Das wahre Spiel von Night_Baroness (Die Tribute von Panem) ================================================================================ Kapitel 4: Wenn eine Sekunde ewig währt --------------------------------------- „Sitzt du immer noch vorm Fernseher?“ Meine Mutter mustert mich besorgt. Normalerweise ist sie es nicht gewohnt, dass ich so viel fernsehe, schon gar nicht, wenn die Hungerspiele laufen. Auch wenn sie es nicht zugibt, mag sie sie genauso wenig wie ich. Meine Mutter ist kein schlechter Mensch, im Gegenteil, sie ist voller Mitleid und würde auch etwas gegen die Spiele tun, wenn sie könnte, aber sie kann sich einfach nicht gegen meinen Vater durchsetzen, niemand kann das. Vielleicht ist das der einzige Grund, warum sie noch bei ihm ist. Weil sie nicht weglaufen kann, weil sie ihm nicht entkommen kann… Ich lächle schwach. „Wir sollen sie von der Schule aus ansehen, da wir uns in Politik jetzt näher mit den Aufständen und ihren Folgen befassen.“ Meine Mutter nickt und verlässt den Raum. Leise schließt sie die Tür hinter sich. Ich weiß, dass sie mir nicht glaubt. Sie ist nicht dumm, ganz und gar nicht, vermutlich ist sie einer der klügsten Köpfe im Kapitol. Sie weiß, was vor sich geht und sie weiß, wer der wahre Feind ist. Auch, wenn sie Snow anlächelt und seine Rosen hegt und pflegt, auch wenn sie bei meinem Vater bleibt und alles für ihn tut, sie weiß es, ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass dem nicht so ist. Aber das Kapitol ist nun einmal wie ein Gefängnis, der buchstäbliche goldene Käfig. Man darf nicht denken, was man will, nicht sagen, was man denkt. Man hat eine illusionäre Freiheit, die nur bis zu einem gewissen Grad geht. Eine unsichtbare Barriere, die doch jeder sieht und die niemals überschritten werden darf. Als hätten sie uns diesen Gedanken ins nackte Fleisch gebrannt. Ich lache bitter und richte meinen Blick wieder auf den Bildschirm. Deshalb weiß sie auch, dass ich nicht für die Schule lerne, sie weiß, dass ich hoffe, dass ich bete und dass ich jemanden habe, den ich um nichts auf der Welt sterben sehen will… Luca läuft durch den Wald. Anspannung und Müdigkeit haben sich bereits in jedem seiner Glieder breit gemacht und drohen ihn zu lähmen. Doch er ignoriert es und läuft weiter. Wie viele sind sie noch? 3, 2? Er kann es schaffen, das weiß er. Wenn er nur zum Füllhorn kommt. Dorthin, wo dieses Messer in den kleinen Spalt gerutscht ist. Er könnte es herausholen, dann hätte er eine Waffe, er könnte gewinnen, überleben… Ein Kanonenschuss ertönt. Jemand ist tot. Er achtet nicht weiter darauf. Seine Hand klammert sich um das kleine Medaillon, dass er immer bei sich trägt. Es fühlt sich heiß an oder er ist kalt vor Angst und Schweiß, die Realität verschwimmt so sehr, dass er es nicht mehr sagen kann. Ob sich alle so fühlen, wenn sie Todesangst haben? Ein Knacken. Hektisch blickt er sich um. Was war das für ein Schatten? Er läuft weiter, so schnell ihn seine Beine tragen. Wer ist noch am Leben? Das flinke Mädchen aus Distrikt 2? Der kräftige Junge aus Distrikt 1? Er weiß es nicht mehr. Aber es spielt auch keine Rolle mehr, von wem man getötet wird ist egal, tot ist tot. Die Kette scheint immer mehr zu glühen und Luca merkt, wie ihm schwindelig wird, wie ihn die Kräfte verlassen. Nur noch ein Stückchen… Beinahe kann er das Füllhorn schon sehen. Groß und golden, ein elysisches Feld vor seinem inneren Auge. Er greift danach. Dann knackt es wieder, lauter und bedrohlicher und der Junge steht vor ihm, in der Hand ein Messer. Sein Messer, den Strohhalm, an den er sich die ganze Zeit geklammert hat. Angespannt fixiere ich den Fernseher. Zeigt endlich Luca, verdammt! Das Mädchen aus Distrikt 2 ist eben verunglückt. Sie hatte versucht einen Abhang hochzuklettern, war abgerutscht und hatte sich das Genick gebrochen. Ihre leeren Augen starren anklagend zum Himmel, als das Hovercroft sie abholt und wegbringt, dann ertönt ein Schuss, worauf eine kurze Einblendung ihres Bildes und ihres Namens für die Fernsehzuschauer folgt, ebenso wie ein kleiner Kommentar des Spielmachers, den ich vollkommen überhöre, weil nur noch Luca und sein Überleben für mich zählen. Dann, nach einer halben Ewigkeit, bringen sie endlich Luca in den Fokus der Kameras. Mir stockt der Atem. Da steht er. Luca. Seit wir uns das letzte Mal gesehen haben, hat er sich kaum verändert. Eine Träne läuft mir über die Wange. Ich bemerke es nicht einmal, zu gebannt starre ich auf das Geschehen. Der andere Junge geht auf ihn zu, das Messer in der Hand. Luca wirkt erledigt, kraftlos. „Nein“, flüstere ich mit zittriger Stimme, als der andere Junge mit dem Messer auf ihn zustürmt. Nein… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)