Die Geflügelte Schlange - Schatten von Erzsebet (* * make love, not war * * - Teil 2) ================================================================================ 31. Aufrichtigkeit ------------------ Nefut pulte den Schorf von seinen Knöcheln, bis die immerhin kleiner gewordenen Verletzungen stellenweise wieder bluteten und er abließ von seiner unvernünftigen Tätigkeit. Aber was sollte er sonst machen, außer darauf zu hoffen, daß Amemna irgendwie von seiner Verhaftung erfuhr und die Angelegenheit beschleunigte? Vorsorglich habe man ihn in Haft genommen, man wolle den Vorwurf gegen ihn gründlich prüfen, aber ein Ende dieser Prüfung sei erst am späten Abend oder am kommenden Morgen zu erwarten, hatte der Erste Sekretär gesagt, als Nefut von den Wachen mit festem Griff gehalten wurde. Seine Beteuerungen, mit dem Tod des Priesters nichts zu tun zu haben, waren mit dem wiederkehrenden Hinweis auf die Prüfung der Fakten und die noch ausstehende Befragung der Zeugen abgeschmettert worden. Darauf hinzuweisen, daß der Ehrwürdige Vater wohl schon tot gewesen war, als er zwischen die Zelte der Mawati gelangte, hatte Nefut sich daraufhin versagt. Es hätte seine Position wohl kaum verbessert, wenn er begonnen hätte, von einem Dämon zu reden, denn der Erste Sekretär hatte nicht den Eindruck eines gottesfürchtigen Menschen gemacht. Alles in allem war er anständig behandelt worden, als Mordverdächtigen hatte man ihn allerdings in Ketten gelegt und in einen fahrbaren Eisenkäfig gesteckt. Ein graues Tuch war von außen über die Oberseite dieses Käfigs gespannt, aber durch die aufgezogenen grauen Regenwolken war zur Zeit gar keine Sonne zu sehen, vor der er in diesem Käfig hätte geschützt werden müssen. Wasserdicht sah der Stoff dagegen nicht aus. Vom Standort seines Käfigs aus, hinter den Zelten des Feldherrn und des Ersten Sekretärs, konnte Nefut nichts von dem nur wenige Schritt entfernt liegenden Hauptplatz des Lagers sehen, aber er hörte das beständige Rauschen entfernter Stimmen. Die Tetraosi hielten heute den Markt ab, wenn er sich nicht sehr täuschte. Die beiden Wachen rechts und links neben dem Käfig sahen gelangweilt, aber recht wehrhaft aus. Ob es die beiden Männer waren, die ihn in Haft genommen hatten, konnte Nefut gar nicht sagen, und die Tatsache, daß er sich nicht mehr an die Gesichter der beiden Wachen erinnerte, die ihm sein Schwert abgenommen hatten, erschreckte ihn. Wieso hatte er sich nicht gewehrt? Wie betäubt hatte er alles mit sich machen lassen, denn der Erste Sekretär des Feldherrn der Tetraosi war der Befehlshaber seines Befehlshabers und Nefut war ein anständiger Söldner. Dabei hätte er ohne Probleme die beiden Wachen und den alten Sekretär ausschalten können - selbst ohne die Klinge blank zu ziehen. Er hätte fliehen können, hätte Amemna berichten können, daß der Dämon die Mawati beeinflußte, sie in Sicherheit wiegte, ihr Gefahrenbewußtsein einschläferte wie in der Nacht alle Männer, die nicht durch eigenes oder nahe neben ihnen liegendes unirdisches Blut dagegen geschützt gewesen waren. Vielleicht war der Dämon jetzt noch stärker geworden, da er in Jochawams Leib steckte, vielleicht dehnte er seine Beeinflussung sogar schon auf das ganze Heerlager aus, hatte den Tetraosi eingegeben, ihn wegen des Mordes an dem Priester zu verhaften, um Amemna ihres Vertrauten zu berauben. Wie konnte der Erste Sekretär der Tetraosi sonst annehmen, ein Oshey würde einen Priester Orems töten, noch dazu einen Ehrwürdigen Vater? Erstaunt bemerkte Nefut plötzlich, daß nahe dem Eingang des Empfangszeltes ein Mawati stand - Derhan, wie es auf diese Entfernung schien. Der Mann schlenderte näher, betrachtete den im Käfig hockenden Nefut, musterte kurz auch die beiden Wachen. "Offenbar bist du richtig gut darin, dir Feinde zu machen", sagte Derhan dann in einem so breiten Mehaly-Dialekt, daß Nefut Probleme hatte, ihn zu verstehen. Die Wachen sahen kurz Derhan und dann einander an, und ihr herablassender Blick machte klar, daß sie Derhan für einen ungebildeten Kamelhirten hielten, der nicht einmal die Handelssprache des Nordens richtig beherrschte. Derhan mußte diesen Gesichtsausdruck auch wahrgenommen haben, denn er grinste frech. Anscheinend wollte er nur von Nefut verstanden werden. "Weswegen bist du hier?" fragte Nefut, bemühte sich, den Dialekt nachzuahmen. Für die Wachen der Tetraosi zumindest schien es überzeugend genug. "Ich möchte herausfinden, wieso dir jemand den Mord an dem alten Priester anhängen will." In gespielter Überraschung zog Nefut die Augenbrauen hoch. "Meinst du etwa, ich wäre nicht fähig dazu, einen alten Mann zu töten?" "Ich meine, du würdest keinen alten Priester töten, außer vielleicht wenn es dazu dient, deinen Geliebten zu schützen", stellte Derhan klar. "Unseren Herrn", verbesserte Nefut ihn. "Ja, unseren unirdischen Herrn, der mir das Leben gerettet hat. Daher habe ich ihm gegenüber auch eine Schuld zu begleichen. Sei dir darüber bewußt, daß ich nur für unseren Wanack mithelfe, deine Haut zu retten." Derhan sah ihn finster an, ließ den Blick dann zu der Kette um Nefuts Fußgelenk schweifen. Als der Schmied mit dem glühenden Metallstift die Kette mit dem Fußeisen vernietete, hatte der Funkenflug Nefuts Bein erreicht, die Haare zum Teil weggeschmort, kleine Verbrennungen hinterlassen. "Soll ich dir eine Heilsalbe bringen?" fragte er erstaunlich mitfühlend. Nefut schüttelte den Kopf, die leicht geröteten Stellen waren kaum unangenehmer als Insektenstiche. "Es hat dich also jemand geschickt, die Angelegenheit aufzuklären", denn wieso sollte Derhan von sich aus Interesse an der Aufklärung dieses Vorfalls haben? Und Amemna wäre doch sicher selbst gekommen. "Deine Schwester bat mich herauszufinden, was genau dir vorgeworfen wird, damit wir etwas unternehmen können." Vor der Mittagsruhe hatte er doch gerade erst finstere Andeutungen über Merats Pläne mit ihrem Bruder gemacht und nun stand er in ihren Diensten? "Und um diese Aufgabe zu erfüllen, halte ich es für wichtig, auch herauszufinden, wer denn den Mord tatsächlich begangen hat", fügte Derhan mit völlig unverdächtiger Miene hinzu. "Kannst du mir dabei helfen?" "Vorhin hast du mich noch vor Merats Ränken gewarnt. Woher soll ich wissen, daß du nun nicht für sie versuchst, mich ins Unglück zu stoßen?" sprach Nefut seinen Verdacht aus. "Noch weiter?" fragte Derhan und grinste freudlos. "Nein, ich bin inzwischen der Ansicht, daß sie nicht vorhat, dir zu schaden." "Und plötzlich glaubst du auch an die Macht der ewigen Liebe und göttliche Strafe für lästerliches Verhalten", warf Nefut gehässig ein. "Derhan, du bist einer der gottlosesten Männer die ich kenne und hast mit Sicherheit das kälteste Herz. Wieso meinst du, du würdest Merats Absichten jetzt richtiger deuten als vor der Mittagsruhe?" War Merat noch gerissener, als ihrer Herkunft nach zu vermuten war? Hatte sie nun sogar Derhan eingewickelt? Derhans Blick verdüsterte sich. "Menschen können sich ändern, durch andere Menschen oder durch Ereignisse", sagte er leise. Nefut dachte an das Sterben seines eigenen Herzens beim Tode seiner Mutter und dessen Wiedergeburt in Amemnas Armen, dann nickte er langsam. "Und was hat deinen Sinn gewandelt?" "Die aufrichtige Zuneigung eines Kindes hat meinen Sinn gewandelt, mir im eigentlichen Sinne die Augen geöffnet. Ich habe gemerkt, daß deine Schwester voller Zuneigung und echter Besorgnis über deine Verhaftung sprach. Was immer sie gegen dich im Schilde geführt haben mag, nun ist sie anscheinend nicht mehr daran interessiert." "Und da bist du dir sicher?" setzte Nefut noch einmal skeptisch nach. Aber um wenigstens eine kleine Chance auf Hilfe zu haben, mußte er Derhan wohl einfach vertrauen. Derhan ignorierte Nefuts Bemerkung. "Wie sah denn der Priester aus, den ihr zwischen den Zelten gefunden habt?" "Der Ehrwürdige Vater war schon sehr alt, hatte einen langen weißen Bart, ein runzliges Gesicht, war recht klein und dünn und trug die schwarze Kleidung, die bei den Orempriestern üblich ist." "Ich denke, ich habe ihn sogar schon einmal bei den Zelten der Götter gesehen", entgegnete Derhan wie in Gedanken. "Stützte er sich nicht beim Gehen auf einen Stock?" Nefut zuckte mit den Schultern. "Er hatte zumindest keinen Stock dabei, als er zwischen unseren Zelten lag. Lebend habe ich ihn nie gesehen." "Aber er soll doch zwischen unseren Zelten gestorben sein, das jedenfalls sagte einer der Wachen des Ersten Sekretärs." "Er war mit Sicherheit schon einige Stunden tot, als er zwischen unseren Zelten lag", gab Nefut zurück. "Seine Finger waren schon ganz steif, Hamarem mußte sie ihm fast brechen, um dieses Stück Papyrus aus seiner Hand zu lösen." Derhan wirkte nun regelrecht alarmiert. "Kein Stock, dafür ein Stück Papyrus in den Händen? Das spricht doch dafür, daß er irgendwo saß und geschrieben..." "Gelesen hat er als er starb", berichtigte Nefut Derhans Spekulationen. "Das Papyrusstück stammte aus dem dritten Buch der Kommentare zu...", und Nefut versuchte, sich an den Titel der Schrift zu erinnern. Derhan wartete jedoch nicht ab, sondern warf seinen Schluß ein: "...und dafür setzt man sich eigentlich nicht im Dunkeln zwischen irgendwelche Zelte." Dann begann er, mit nachdenklicher Miene vor dem Gitter von Nefuts Käfig auf und ab zu gehen, unter skeptischer Beobachtung durch die beiden Wachen. "Er war wohl in seinem eigenen Zelt. Zumindest scheint dieses Buch, das er las, für einen Orempriester gewöhnliche Lektüre zu sein", ließ Nefut den anderen an seinen Erkenntnissen teilhaben. "Wovon handelt das Buch?" fragte Derhan neugierig. "Von Dämonen und ihrer den Unirdischen vergleichbaren Natur", antwortete Nefut. "Nunja, diese Theorie wird dargelegt und dann widerlegt." "Nach meinen bisherigen Erfahrungen stehe ich dem Inhalt der Schriften und den sterblichen Dienern der Götter zwar skeptisch gegenüber, aber ich weiß doch, daß ein solches Thema eher nach Priestern des Ungenannten als nach denen Orems klingt", widersprach Derhan. "Denk was du willst. Wir werden hier im Lager kaum das Buch, an dem dieses Stückchen Papyrus fehlt, finden können", seufzte Nefut resigierend. "Wieso nicht? Einige Stunden war er tot, sagst du. Wann, glaubst du, ist er gestorben?" "Ich denke, etwa gegen Mittag, also als das Heerlager noch vor Tetraos stand", gab Nefut seine Vermutung preis. Derhans Augen weiteten sich wie in plötzlicher Erkenntnis. "Oh", sagte er aber nur leise. Nefut wäre ihm am liebsten an die Kehle gesprungen, um die Informationen aus ihm herauszuschütteln, aber leider reichte die Länge seiner Kette nicht, um mit den Händen auch nur bis an das Gitter zu kommen. "Was weißt du?" stieß er statt dessen zwischen den Zähnen hervor, die Fäuste so fest geballt, daß seine Finger schmerzten. "Ich glaube, ich weiß, wo der Ehrwürdige Vater gesessen und gelesen hat, als er starb. Und ich vermute, daß man sogar seinen Stab noch finden kann. Wenn wir Glück haben, kriege ich raus, wie der alte Priester gestorben ist - was dich vermutlich entlasten würde." "Und dann müßten die Tetraosi mich freilassen." Wenn bewiesen war, daß jemand anderes den Mord begangen hatte, gab es ja keinen Grund mehr, ihn gefangen zu halten. "Sie müßten zumindest bekennen, weswegen sie dich wirklich festhalten. Nach dem, was deine Schwester sagte, ist der Vorwurf des Mordes an dem Priester nur ein Vorwand gewesen, deiner habhaft zu werden." "Aber wieso?" schrie Nefut unbeherrscht. Warum hatte er nur gedacht, der Erste Sekretär hätte die Wahrheit gesagt und handele ehrenhaft, so daß er sich selbst zu ehrenhaftem Handeln verpflichtet gesehen hatte. "Ich habe kein Unrecht begangen, ich bin nur ein einfacher Söldner, ich sollte den Tetraosi völlig unwichtig sein." "Du bist der Leibwächter unseres Herrn, sein Geliebter. Meinst du, die Tetraosi haben das nicht auch mitbekommen? Indem sie dich in ihrer Hand haben, haben sie auch ihren Söldnerführer in der Hand. Der rote Fürst weiß sich zu helfen, wenn der weiße Fürst aus seiner Reichweite zu verschwinden droht", spielte Derhan auf ihre verschwörerische Bohnenspielpartie an. "Aber er würde keinen seiner Männer im Stich lassen. Meint die Regentin wirklich, sie bräuchte außer dem Daumen auf den Lebensmitteln noch ein zusätzliches Druckmittel?" "Nach der Massenheilung vor Tarib vielleicht schon", gab Derhan zurück. "Du sitzt ja hier etwas abseits in deinem Käfig, aber das ganze Lager summt vor Gesprächen darüber, was unser unirdischer Herr vermag. Sie haben vor ein paar Tagen alle gesehen, was er mit dem Sohn der Priesterin gemacht hat, aber das war nur irgend ein Junge für sie. Nun berichten Männer von ihrer eigenen Heilung, und das ist ein beeindruckenes Erlebnis, das kannst du mir glauben. Sogar ich bin da ein wenig schwankend geworden in meiner skeptischen Haltung. Und wer weiß, was die Pferde einander erzählen." Derhan grinste breit. Nefut war es unheimlich, Derhan in so guter Laune zu sehen. Hatte er wirklich eine Vorstellung davon, wo der Ehrwürdige Vater verstorben war? Wieso kümmerte Amemna sich nicht um diese Sache? Sie brauchte doch nur in die Gedanken des in seiner Durchtriebenheit alle Vorurteile gegen Städter bestätigenden Ersten Sekretärs zu schauen, schon wußte sie, warum die Tetraosi ihn festhielten. Ebenso leicht konnte sie herausfinden, wer den Ehrwürdigen Vater auf dem Gewissen hatte. Wieso besuchte Derhan ihn, nicht aber Amemna? Wußte sie am Ende noch gar nichts von seiner Verhaftung? "Weiß Amemna, daß ich verhaftet wurde?" fragte Nefut, obwohl er es gleich darauf bereute. Wenn sie es wußte, was hielt sie dann davon ab, zu ihm zu kommen? "Unser Wanack", betonte Derhan, "hat Nachricht von deiner Verhaftung erhalten. Aber er hat zur Zeit andere Verpflichtungen." Welche Verpflichtungen waren für Amemna drängender, als die Verhaftung ihres, nein, eines ihrer Geliebten? Nefut haßte sich dafür, daß er schon wieder an Amemnas aufrichtiger Liebe zweifelte. Sie war der Birh-Melack, sie mußte für alle Söldner sorgen - und eigentlich mußte sie sich auch um den Dämon in dem Ostler kümmern. Aber was konnte sie wegen des Dämons überhaupt unternehmen, was sie nicht schon in der vergangenen Nacht mit Hamarem hätte versuchen können? "Wenn Amemna den Ehrwürdigen Vater doch nur wiedererweckt hätte", entfuhr Nefut mit einem Seufzer. "So leicht wie es ihr vor Tarib fiel, sollte man doch denken, daß es ihr auch in der Nacht gelungen wäre." Wieso sah Derhan ihn so sonderbar an - dann wurde Nefut klar, daß er beim Sprechen über Amemna die weiblichen Formen verwendet hatte. Das hatte der Unruhestifter also noch nicht gewußt. Aber Derhan sagte zunächst nichts, sah Nefut nur weiter an, nickte dann gedankenvoll. "Also stimmen die Gerüchte wohl, oder du drehst dir die Wahrheit so zurecht, daß du dir weiterhin einbilden kannst, ein frommer Mann zu sein." "Seit ich ein Mann bin habe ich mir nur zwei Verfehlungen gegen den Wahren Weg geleistet", entgegnete Nefut steif. Die erste davon war allerdings dummerweise die eine Verfehlung gewesen, die Nefut aus der Gunst seines Vaters in die Hölle der Stammeslosigkeit hatte stürzen lassen. Und die zweite war der Widerstreit der Pflichten gewesen, der ihn hierher geführt hatte, da er sich für seine Pflichten den Göttern gegenüber und gegen Ashan entschieden hatte. Vielleicht war ja auch der Dämon eigentlich ein gehorsamer Unirdischer gewesen, der nur einmal fehlgetreten war. * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)