Every girl's a target von Flordelis (And some boys too?!) ================================================================================ Kapitel 1: Incoming ------------------- Er versuchte, sich kein Stück zu bewegen. Zusammengekauert hinter einer Barriere, beobachtete er über den Rand hinweg, ob sich Feinde in der Gegend aufhielten. Die Sicht war klar, lediglich die Dunkelheit schränkte diese ein wenig ein, aber der Vollmond hob es fast schon wieder auf. Der braune Boden des Lanseal-Trainingsgeländes war festgetrampelt von unzähligen Rekruten, die hier ihr Training vollzogen hatten, Wachstum gab es schon lange keines mehr, abgesehen von den bestimmten Bereichen in denen es gewünscht war, damit die Rekruten sich tarnen konnten. Der Ohrstecker seines Funkgeräts, dem er ständig lauschen musste, fühlte sich nach all diesen Stunden bereits unangenehm in seinem Ohr an, die blechernen Stimmen, die daraus erklangen, bereiteten ihm langsam Kopfschmerzen. Immerhin war die Juni-Nacht warm, so dass keiner von ihnen sich eine Erkältung zuziehen würde – auch wenn das im Moment sein geringstes Problem war. Er war müde und er war hungrig, aber dennoch kniete er hier und wartete darauf, dass etwas geschah. Nächtliche Einsätze gehören verboten, grummelte er innerlich. Er war sich absolut sicher, dass er als einziger noch wach war und alle anderen eingeschlafen waren – nun, abgesehen von Franca und Nichol, die sich angeregt über den Funk miteinander unterhielten. Wie üblich nahm Franca das alles wesentlich ernster als jeder andere. Deswegen mochte er sie nicht, sie konnte einfach nie locker sein, nicht einmal außerhalb der Klasse oder abseits der Übungen und echten Missionen. Er wunderte sich, wie Nichol es mit ihr nur aushalten konnte. Seine Gedanken schweiften fort, während er sich umblickte und nichts entdecken konnte. Er dachte an das Brot, das Alicia backte – vermutlich würde sie in weniger als einer Stunde damit anfangen –, an das Abendessen in der Mensa, von dem er wesentlich mehr gegessen hätte, wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass sie in dieser Nacht rausgehen würden und er dachte an sein Bett, das einsam und allein in seinem Zimmer darauf wartete, dass sich jemand hineinlegte. Beinahe wäre er über all diesen Gedanken eingeschlafen, als er plötzlich eine Stimme direkt neben sich hörte: „Pete! Schläfst du etwa?!“ Er fuhr erschrocken zusammen und wandte dann den Kopf nach rechts. Zu seiner Erleichterung stellte er fest, dass es lediglich Zeri war, der ihn mit gerunzelter Stirn musterte. Seine sonst so wachen blauen Augen wirkten hinter der Brille ebenfalls müde, aber dennoch brannte ein geradezu beneidenswertes Feuer in ihnen, das verriet, dass er ein großes Ziel besaß. Pete grinste verschmitzt. „Tut mir Leid, Bro, ich bin eben einfach müde.“ „Das hier mag nur eine Übung sein,“, tadelte Zeri ihn, „aber wenn du schon während einer solchen schlappmachst, wirst du einen frühen Tod auf dem Feld sterben!“ Es klang zwar nicht danach, aber Pete wusste, dass die Sorge aus seinen Worten sprach, deswegen störte er sich nicht daran, sondern entschuldigte sich lediglich noch einmal. Zeri tat es mit einem Seufzen ab. „Es wird Zeit, dass du wieder in Bewegung kommst, also verlässt du das Lager.“ Pete warf einen stummen Blick zu der Flagge, die kennzeichnete, dass es sich hierbei um das Hauptlager handelte, aber Zeri schüttelte mit dem Kopf. „Das Lager ist nicht in Gefahr, es ist kein Feind in der Nähe, ich habe mich umgesehen.“ Es gab keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln, daher nickte Pete. „Geht klar.“ Sie fassten ihre Maschinengewehre fester, zählten beide bis drei und liefen dann gleichzeitig los. Naturgemäß war Zeri ein wenig schneller als Pete, was diesen nicht störte. Es war etwas anderes, das ihn irritierte, während er dem anderen folgte. Da waren auch Schritte hinter ihm. Fragend wandte er den Kopf, um nach hinten zu sehen, aber in der Dunkelheit konnte er niemanden entdecken. Dennoch war er sich sicher, dass dort jemand war. Also blieb er stehen und zielte in die Finsternis. Sein Anhalten blieb nicht unbemerkt, Zeri tat es ihm nach und blickte deutlich genervt zu ihm. „Pete! Wir haben keine Zeit mehr!“ „Aber da ist jemand!“ Wenn es ein Feind war, der ihr Lager einnehmen würde, wäre die gesamte bisherige Zeit verschwendet gewesen, sie mussten einfach aufmerksam sein. Seine Augen starrten in die Dunkelheit, versuchten, diese zu durchdringen, aber es war ihm nicht möglich. Zeri ließ den Blick schweifen und schüttelte dann mit dem Kopf. „Da ist niemand, du musst dich irren.“ Tatsächlich war das Gefühl plötzlich verschwunden. Er fühlte sich zwar immer noch verfolgt, aber das waren nur noch die Nachwirkungen der Situation, das Gefühl der gegenwärtigen Bedrohung war allerdings nicht mehr spürbar. Also stieß er ein leises Seufzen aus und wandte sich dann wieder an Zeri, der ihm zu verstehen gab, dass sie weiterlaufen würden. Pete folgte ihm sofort und kümmerte sich vorerst nicht mehr weiter um das Gefühl, auch wenn er es dennoch nicht vergessen konnte. Die laute Stimme des Drill Instructors Rodriguez noch in den Ohren, kehrten die Schüler nach Ende der nächtlichen Übungseinheit in die Umkleideräume zurück. Jeder von ihnen schien müde zu sein, selbst Zeri bewegte sich ungewohnt schwerfällig, während er sich aus der Militäruniform schälte, um in seine Schuluniform zu wechseln. Pete verzichtete auf seine Krawatte, da er sich ohnehin gleich wieder umziehen und dann ins Bett fallen würde. Die Uhr verriet ihm allerdings, dass ihm nur noch sechs Stunden Schlaf blieben. Avan seufzte schwer, ehe er lautstark gähnte. „Ich frage mich, wie Rodriguez selbst um diese Zeit noch so laut sein kann.“ „Da sagst du was“, stimmte Joachim mit ein. „Der Kerl ist wie ein Roboter, ich sag's euch. Der braucht bestimmt keinen Schlaf, den schließen sie nachts an eine Steckdose an.“ Reiner stieß ein bellendes Lachen aus. „Da würde ich glatt meinen Kopf drauf verwetten.“ Während die anderen ein wenig müde lachten, schob Zeri seine Brille zurecht. „Wenn manche von euch so viel Energie in ihr Lernpensum und die Übungen stecken würden, wie ihr es für eure hanebücheren Geschichten macht, würde der Klassendurchschnitt ganz anders aussehen.“ Pete bemerkte, dass Sigrid, der sich wie üblich im Hintergrund hielt, zustimmend nickte und selbst Heinz, der sonst wohl eher Glasscherben frühstücken würde als einem Darcsen zuzustimmen, kam nicht um ein angedeutetes Nicken herum. Pete stimmte zwar nicht zu, aber... „Das ist mein Bro, immer um die anderen besorgt.“ Immerhin waren seine Noten dank Zeri auch schon um einiges besser geworden. Aber wie üblich akzeptierte er dieses Lob nicht, sondern schnaubte stattdessen. „Ich will nur nicht, dass ihr mich auf meinem Weg nach oben behindert.“ Aber als er sich abwandte, bemerkte Pete doch den leichten Rotschimmer, der ihm sagte, dass Zeri nur nicht mit einem derartigen Lob umgehen konnte und es fast schon aus Gewohnheit ablehnte. Er quittierte das mit einem Grinsen – und im selben Moment stellten sich die Haare auf seinem Nacken auf, ein eisiger Schauer lief über seinen Rücken. Jemand durchbohrte ihn geradezu mit hasserfüllten Blicken, so fühlte es sich an. Aber als er sich umdrehte, um nachzusehen, woher sie kommen könnten, entdeckte er niemanden. Die Spinde jenseits von seinem waren unbenutzt, daher stand dort gerade niemand davor, aber das Gefühl, dass ihm jemand dort Hass entgegenbrachte, schwand nicht. Irritiert neigte er den Kopf ein wenig. Wäre es ihm nur einmal passiert, hätte er sich noch einreden können, dass dies nur das Ergebnis seiner lebhaften Vorstellungskraft war, aber da es in dieser Nacht schon das zweite Mal vorkam, war er davon überzeugt, dass sich dahinter noch mehr verbarg. Nur was? „Was ist los, Pete?“ Avans Stimme riss ihn wieder aus den Gedanken. Er fuhr herum, ehe er antwortete: „Ich dachte gerade, da wäre jemand.“ Automatisch wurden alle für einen Moment still und blickten in die verlassene Ecke des Umkleideraumes, wo immer noch nichts zu sehen war. Für Pete hätte nur noch der obligatorische Strohballen gefehlt, der vom Wind durch das Bild geweht wurde, um die Lächerlichkeit der Szene zu unterstreichen. Wie ein Segen erklang schließlich Helmuts wie üblich gefasste Stimme: „Also ich sehe dort niemanden.“ Die anderen nickten zustimmend, aber bevor einem von ihnen einfallen könnte, sich über Pete lustig zu machen, klopfte Avan ihm auf die Schulter. „Du bist wohl genauso müde wie der Rest von uns. Ich kann es jedenfalls kaum erwarten, endlich ins Bett zu kommen.“ Pete lachte verlegen. „Ja, das muss es sein, ich bin immerhin todmüde.“ Damit wandten sich alle wieder von ihm ab und ihrer Kleidung zu als wäre das eben nie geschehen. Auch das Gefühl war wieder verschwunden und hatte lediglich seine unangenehme Nachwirkung zurückgelassen. Das war es auch, was ihn nicht glauben ließ, dass er sich das alles nur einbildete. Aber er verstand immer noch nicht, was eigentlich vor sich ging. War es einem feindlichen Spion gelungen, sich einzuschleichen? Aber falls ja, warum sollte er dann gerade Klasse G beobachten und ihr solch einen Hass entgegenbringen? Nein, es musste irgend etwas anderes sein und er würde versuchen, dahinterzukommen – aber erst nach dem morgigen Frühstück. Kapitel 2: Friendly Fire ------------------------ Das Gefühl kehrte nicht wieder, weswegen Pete schon bereit war, es zu vergessen. Offenbar war es keinem Spion gelungen, sich einzuschleichen, also gab es nichts, was er herausfinden müsste und er kehrte zu seinem eigentlichen Leben zurück. Das bestand unter anderem aus dem Nachhilfeunterricht, den Zeri ihm erteilte. Ganz zu Anfang hatte Zeri ihn dafür in seinem Zimmer aufgesucht, war aber ob der Unordnung entsetzt direkt rückwärts wieder hinausgestolpert und hatte hoch und heilig geschworen, es nie wieder zu betreten und falls möglich nicht einmal mehr in die Nähe zu kommen. Also musste Pete ihn nun immer in seinem Zimmer aufsuchen, das geradezu spießig aufgeräumt und sauber gewischt war, so dass er sich kaum traute, sich irgendwo hinzusetzen, aus Furcht, aus Versehen etwas unordentlich zu machen. Einmal hatte er diese Befürchtung mit Zeri geteilt, in Erwartung, dass sie beide darüber lachen könnten, aber die nüchterne Erwiderung des anderen war „Ich mache hier sowieso jedes Mal sauber, sobald du wieder draußen bist“ gewesen und seitdem sprach Pete lieber nicht mehr darüber. An diesem Tag wurde es spät, bis Pete sich schließlich von Zeri verabschiedete und sich auf den Weg in sein eigenes Zimmer machte. Es war kurz vor der Sperrstunde und dementsprechend leer war der Gang auch, da sich die meisten bereits in ihren Zimmern befanden. Kaum war die Tür geschlossen, blieb er lauschend stehen, um herauszufinden, ob Zeri wirklich saubermachte – und die geschäftigen Geräusche im Raum verrieten ihm, dass dem tatsächlich so war. Mit gerunzelter Stirn lief er schließlich weiter und fragte sich dabei, ob er auf Zeri wirklich einen so unordentlichen und ungepflegten Eindruck machte, dass dieser erst einmal einen solchen Aufwand betreiben müsste. Aber der Gedanke war schnell vergessen, als er die Hand in eine Tasche seiner Uniformjacke steckte und feststellte, dass sich darin ein Bonbon befand. Viele der Mädchen, nicht nur aus Class G, betrachteten ihn als süß und auch wenn ihn das ein wenig störte, so freute er sich doch über die Süßigkeiten, die sie ihm deswegen zusteckten. Gerade als er die Hand wieder hervorzog, stellte er fest, dass sich noch etwas anderes in seiner Tasche befunden hatte. Er stieß einen erschrockenen Schrei aus, als sich ein wild protestierender Jarde aus seiner Tasche erhob und eilig davonflatterte. Wortlos konnte er Avans Vogel nur hinterherblicken, bis dieser aus seiner Sicht verschwunden war. Manchmal ist er so nervig. Aber immerhin hat er mir mein Bonbon gelassen. Lächelnd blickte er auf seine Hand – und stellte fest, dass diese leer war. Sein suchender Blick entdeckte das Bonbon allerdings nicht weit entfernt an einer Ecke des Ganges. Hastig ging er hinüber und bückte sich danach – und im selben Moment spürte er wieder dieses Gefühl, dass sich noch jemand bei ihm befand. Er hob den Blick und zuckte erschrocken zurück, als er die Person vor sich erkannte. Es war eine Schülerin dieser Akademie, noch dazu eine aus seiner Klasse, wie er auf den zweiten Blick bemerkte. Das schwarze Haar, in dem sich eine grüne Schleife befand, war ihm deutlich in Erinnerung. „Melissa?“ Sie lachte, was ihm einen Schauer über den Rücken jagte. In diesem Moment war er davon überzeugt, dass sie auch die letzten beiden Male diejenige gewesen war, die ihn beobachtet hatte. „Was tust du hier?“, fragte er weiter. „Das hier ist der Jungentrakt, du dürftest gar nicht hier sein.“ Sie lachte noch einmal, was bei ihr kein heller Laut, sondern ein dunkler, rauchiger war, der sie noch unheimlicher werden ließ. „Ich habe ein Rendezvous mit Zeri.“ Pete runzelte die Stirn. „Gerade eben war ich noch bei ihm, da sah es nicht so aus als hättet ihr ein Date oder so.“ „Wir sind immer zusammen“, hauchte sie. „Wir sind ein Paar.“ Zeri hatte nie etwas davon erwähnt, nicht einmal an diesem Abend, deswegen fiel es Peter schwer, sich das vorzustellen. Andererseits war er aber möglicherweise auch nur niemand, der über solche Sachen sprach und sie waren wirklich ein Paar, das würde erklären, warum Pete sich immer nur dann beobachtet gefühlt hatte, wenn Zeri bei ihm gewesen war. Das Mädchen, das er bislang nie weiter beachtet hatte, flößte ihn in diesem Moment ein wenig Furcht ein, weswegen er zurückwich. Doch ehe sie noch etwas tun konnte oder er in der Lage war, etwas zu sagen, erklang die Glocke, die verkündete, dass die Ausgangssperre aktiv wurde. Sie lächelte amüsiert. „Damit endet ein weiteres Rendezvous mit Zeri.“ Mit diesen Worten huschte sie davon und schon nach kurzer Zeit war es so als wäre sie nie da gewesen. Irritiert blickte er ihr hinterher, dann machte er sich weiter auf den Weg in sein Zimmer und ließ das vergessene Bonbon auf dem Boden liegen. Pete erwachte am nächsten Morgen überraschend früh. Noch vom Schlaf umnebelt, richtete er sich für das Frühstück und den darauf folgenden Unterricht, ehe er das Zimmer verließ. Nach wenigen Schritten entdeckte er das Bonbon auf dem Boden – und erinnerte sich schlagartig wieder an die Begegnung der letzten Nacht. Sofort blickte er sich nach Melissa um, aber von ihr war nichts zu sehen. Sie war ein äußerst guter Scout, wie er wusste, möglicherweise lag es daran, dass sie nicht sichtbar war, außer sie wollte entdeckt werden. Bedeutete das etwa, dass sie von ihm gesehen werden wollte? „Guten Morgen, Pete.“ Er stieß ein überraschtes Keuchen aus, als er herumwirbelte und gleichzeitig eine abwehrende Haltung einnahm – nur um festzustellen, dass sich kein Feind hinter ihm befand. Zeri runzelte die Stirn, als er das beobachtete. „Was sollte das denn? Ich habe dir nur einen guten Morgen gewünscht.“ Er lachte verlegen. „Tut mir Leid. Ich bin wohl ein wenig... paranoid.“ „Ein wenig?“ Zeri hob eine Augenbraue, aber sein Ton verriet, dass er keine weitere Antwort wollte, deswegen verzichtete Pete darauf und stellte lieber eine andere Frage, die ihn beschäftigte: „He, Bro, hast du eigentlich viel mit Melissa zu tun?“ Der Gesichtsausdruck des anderen wandelte sich tatsächlich in Verwunderung. „Melissa Dalen? Aus unserer Klasse?“ Pete nickte, war dabei aber doch ein wenig überrascht, dass Zeri sich sogar an den Nachnamen des Mädchens erinnerte. Andererseits war es auch typisch für ihn, der immer perfekt vorbereitet und organisiert war. Mit Sicherheit kannte er auch die Nachnamen ihrer anderen Mitschüler und auch den ein oder anderen aus den sonstigen Klassen. „Eigentlich nicht“, antwortete Zeri schließlich auf die Frage. „Ehrlich gesagt sehe ich sie selten außerhalb des Klassenzimmers. Oh, aber ich habe zu Beginn des Schuljahres einmal die Schleife gefunden, die sie verloren hat. Sonst aber...“ Er verstummte und schüttelte mit dem Kopf, um zu zeigen, dass er sie ansonsten wirklich nicht kannte und er sah nicht so aus als würde lügen. Also war wohl Melissa diejenige, die nicht die Wahrheit gesagt hatte. „Aber warum fragst du?“ „Oh, ich habe mich nur gewundert, weil ich sie auch noch nie außerhalb des Klassenzimmers gesehen habe.“ Besser er fragte Zeri nicht nach der Sache mit dem Rendezvous, denn offenbar wusste er nicht einmal etwas davon, also war es unnötig, ihn darüber in Panik zu versetzen. Er würde lieber anders mehr darüber herausfinden. „Gehen wir lieber frühstücken, bevor Avan uns alles wegfuttert“, meinte Zeri schmunzelnd und ging bereits voraus, während Pete noch einen Moment stehenblieb. Wenn er ehrlich war, empfand er das alles als recht unheimlich, wenn er zu lange darüber nachdachte, lief ein Schauer über seinen Rücken. Während er noch da stand, hörte er plötzlich ein leises Kichern hinter sich, das ihn dermaßen erschreckte, dass er einen panischen Sprung machte und im nächsten Moment losrannte, um so schnell wie möglich aus diesem Gang fortzukommen. Wie Zeri prophezeit hatte, war Avan wieder einmal damit beschäftigt, das Frühstück hinabzuschlingen, als hätte er seit Wochen nichts mehr zu essen bekommen. Früher war er nicht so gewesen, daran erinnerte Pete sich noch, aber früher war sein Leben auch bei weitem nicht so anstrengend gewesen. Wenn Pete daran zurückdachte, fand er die Feldarbeit wesentlich erholsamer als alles, was er hier tun musste. Normalerweise schloss er sich Avan beim Hinabschlingen des Essens an, aber an diesem Tag war ihm absolut nicht danach. Die Furcht saß ihm noch immer im Nacken und wollte ihn einfach nicht mehr loslassen, obwohl er nicht glaubte, dass Melissa anwesend war – oder sie versteckte sich einfach nur besonders gut. Er zweifelte nicht daran, dass sie in der Lage dazu wäre. Allerdings fiel Avan tatsächlich auf, dass Pete ein wenig zurückhaltend war, weswegen er mitten im Kauen plötzlich innehielt. „Wasch losch, Pete?“ Zeri saß an diesem Morgen ein wenig weiter entfernt von ihnen und war gerade in ein Gespräch mit Alexis und Nahum vertieft, so dass er Avan nicht wie sonst für dieses Verhalten rügen konnte. Pete wiederum neigte sich ein wenig zu seinem Freund hinüber, um leiser mit ihm sprechen zu können. Zwar herrschte wie jeden Morgen jede Menge Aufregung im Speisesaal, so dass es ohnehin fast unmöglich war, jemanden zu verstehen, der mehr als ein paar Zentimeter von einem entfernt war, aber er empfand es dennoch als besser, nicht zu laut sprechen zu müssen. Auch wenn er Melissa nicht sah, traute er ihr zu, dass sie sich direkt hinter ihm befand, ohne dass er oder sonst jemand sie bemerkte. „Was denkst du eigentlich über Melissa?“ Plötzlich schien es Pete als könnte er Furcht in den Augen des anderen flackern sehen, aber es verschwand überraschend schnell wieder, dafür erschien ein ungewohnt ernster Aufdruck auf Avans Gesicht. Er schluckte das Essen hinab, dann antwortete er endlich auf die Frage, auch wenn es nicht das war, was Pete eigentlich hören wollte: „Halte dich lieber fern von ihr.“ Es schien ihm als hätte Avan schon ein wenig Erfahrung mit Melissa gemacht, die nicht sonderlich gut ausgefallen waren und die er am Liebsten direkt wieder verdrängen würde – sofern man ihn denn ließe, aber da er jeden Tag mit Melissa konfrontiert war, blieb ihm dafür keine Gelegenheit. „Ist sie denn gefährlich?“, fragte Pete weiter. Avan öffnete gerade den Mund, um zu antworten, da hörten sie beide ein amüsiertes Kichern, das geradezu aus dem Nichts zu kommen schien und im nächsten Moment stand Melissa hinter Avan, als ob sie direkt aus dem Schatten hervorgetreten wäre. Während er einen erschrockenen Schrei ausstieß, konnte Pete sie nur mit vor Furcht geweiteten Augen ansehen. In diesem Moment war er froh, dass sie auf derselben Seite standen und sich nicht auf dem Schlachtfeld als Feinde trafen, aber ein fürchterlicher Schauer, der über seinen Rücken lief, verriet ihm, dass er im Moment glaubte, sie wären Feinde, obwohl sie sich auf derselben Seite befanden. „Hardins“, hauchte Melissa in einem verträumten Ton, der gleichzeitig bedrohlich klang und dafür sorgte, dass sie beide, die sonst so unerschrocken gegen die Rebellen kämpften, das Mädchen anstarrten als wären sie Rehe auf die gerade mit einem Gewehr gezielt wurde. Ehe sie noch etwas sagen konnte, sprang Avan plötzlich auf. „Ich hab ganz vergessen, ich muss noch was erledigen, bevor ich in die Klasse gehe. Bis später!“ Damit stürzte er eilig aus dem Speisesaal und ließ Pete zurück, der ihm nur einen verzweifelten Blick hinterherwerfen konnte. Er war es nicht unbedingt gewohnt, so von meinem seinen besten Freund im Stich gelassen zu werden, ansonsten konnte er sich immer auf ihn verlassen. Warum nur in diesem Fall nicht? Was war nur mit Melissa, dass- Als er ihren Blick auf sich spürte, zuckte er unwillkürlich zusammen und unterbrach sich selbst in seinen Gedanken. Sie lächelte sanft, aber bei ihr sah es eher so aus als wäre sie eine Schlange, die dem Kaninchen vor ihr zu versichern versuchte, dass es nicht gleich gefressen werden würde, weil das Reptil eigentlich plante, sein Opfer im Ganzen hinunterschlingen, statt zu kauen. Doch zu seiner Erleichterung sagte sie nichts mehr, sondern verschwand regelrecht wieder in die Schatten zurück, aus denen sie gekommen war – und zu seinem Unglück war keinem der anderen ihre Anwesenheit überhaupt aufgefallen. Kapitel 3: Behind enemy lines ----------------------------- Es vergingen mehrere Tage, in denen Pete wieder nichts auffiel, obwohl er inzwischen doppelt so aufmerksam war als zuvor. Aber das einzige, was sich ihm geradezu aufdrängte, war die Erkenntnis, dass Avan ihm weiterhin aus dem Weg ging. Dieses Verhalten konnte nur bedeuten, dass Melissa wirklich gefährlich war – und er bereute geradezu, sich in irgendeiner Art und Weise mit ihr eingelassen zu haben, auch wenn letzteres nicht sonderlich freiwillig geschehen war. Immerhin war das ja nur durch seine Freundschaft zu Zeri geschehen... Dieser schien immer noch nichts davon zu ahnen, dass er die ganze Zeit gestalkt wurde, obwohl er sonst immer derart erhaben und über alles im Bilde zu sein schien. Pete konnte einfach nicht verstehen, wie das alles sein konnte. Gab es Melissa vielleicht gar nicht, sondern war nur das Ergebnis viel zu vieler Süßigkeiten? Aber es gab mehrere Gründe, die dagegensprachen. Avan wusste ebenfalls von ihr und stufte sie als gefährlich ein, Zeri kannte sie ebenfalls als ihre Klassenkameradin – und als Pete im Klassenbuch nachgesehen hatte, war ihm Melissas Namen geradezu ins Auge gesprungen. Sie existierte also und er hatte nun das Problem, dass er ihr aus irgendeinem Grund ein Dorn im Auge war. Um nicht an einem Herzinfarkt vorzeitig dahinzuscheiden, hatte er sich angewöhnt, erst einmal vorsichtig um jede Ecke zu sehen, um sicherzugehen, dass sich niemand außer ihm auf dem Gang befand. So tat er es auch an diesem Sonntag, an dem er Melissa noch nicht einmal im Klassenzimmer gesehen hatte, da sie am Wochenende immerhin keinen Unterricht hatten. Er erntete einige verwirrte Blicke von vorbeikommenden Mitschülern, Reiner vermutete sogar grinsend, dass Pete versuchen würde, sich auf Schleichmissionen auf dem Schlachtfeld vorzubereiten. Er wies Reiner nicht zurecht, sondern ließ ihm in dem Glauben, der ihm auch recht gelegen kam und wartete, bis dessen schallendes Lachen verklungen war. Nach einem letzten Blick, ging er um die Ecke herum und folgte dem Gang. Doch schon nach wenigen Schritten hielt er wieder inne, als er eine Stimme hinter sich hörte: „He, Stang...“ Er musste sich gar nicht erst umdrehen, um zu wissen, wer da hinter ihm war, aber er tat es dennoch – nur um seine Vermutung bestätigt zu sehen. „Oh... Melissa...“ Zumindest lächelte sie dieses Mal nicht, aber der ungewohnt ernste Ausdruck auf ihrem Gesicht, verriet ihm, dass es etwas wirklich Schlimmes sein musste, das sie wieder einmal in den Jungentrakt führte, wo sie eigentlich nicht sein durfte. „Was willst du hier?“, fragte er sie direkt. Sie griff nach seiner Hand und zog ihn mit sich, ehe sie zu einer Antwort kam: „Ich brauche deine Hilfe.“ Er war hilfsbereit, keine Frage, aber es ärgerte ihn, dass sie wie selbstverständlich davon ausging, dass er sie unterstützen würde, besonders nachdem sie nicht gerade sehr freundlich in den letzten Wochen gewesen war. Genau genommen hatte er sogar befürchtet, dass sie an seinem vorzeitigen Tod schuld sein würde, immerhin erschreckte sie ihn immerzu und flößte ihm Angst ein. Trotzdem schaffte er es einfach nicht, direkt abzulehnen und sich nicht weiter darum zu kümmern. „Warum solltest du meine Hilfe brauchen?“, fragte er daher nicht sonderlich begeistert. Doch ihre Antwort sagte ihm, dass er nicht einmal dann ablehnen könnte, wenn er nicht so hilfsbereit wäre: „Wir müssen Zeri helfen.“ Seine Augen weiteten sich vor Überraschung, als er das hörte. Dabei fragte er sich, wann er Zeri zuletzt gesehen hatte und stellte erschrocken fest, dass es zuletzt am Vortag gewesen war, er könnte sich also wirklich in Gefahr befinden. All die Möglichkeiten, die ihm einfielen, wollten ihm absolut gar nicht gefallen, deswegen nickte er hastig. „Was ist mit meinem Bro?“ „Jemand will ihm etwas Schreckliches antun“, antwortete sie. Auf weiteres Nachfragen erwiderte sie allerdings nichts mehr, so dass er die ganze Zeit über im Dunkeln blieb. Melissa führte ihn nicht nur auf das Trainingsgelände, sie brachte ihn auch dazu, sich umzuziehen und sich seine Übungswaffe zu nehmen. Sie tat dasselbe und kurz darauf fand er sich auf dem derzeitig verlassenen Gelände wieder. Allerdings verstand er nicht, was sie hier eigentlich machten. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Zeri sich irgendwo hier befand. Außerdem machte es gar keinen Sinn, dass er und Melissa in voller Montur und Übungswaffen irgendeinen Feind verfolgten, den es möglicherweise nicht einmal gab. Misstrauisch beäugte er ihre Waffe, während sie nebeneinander herliefen, um herauszufinden, ob ihre nicht möglicherweise doch echt war und sie eigentlich nur plante, ihn umzubringen – warum auch immer sie das tun sollte. Außerdem würde sie niemals damit durchkommen und das müsste selbst ihr in ihrem Wahn bewusst sein. „Was wollen wir denn hier?“, fragte er schließlich. Er erwartete keine Antwort, weswegen er umso überraschter war als er sie dennoch bekam: „Zeris Feinde werden gleich hierherkommen. Wir müssen sie aufhalten, damit Zeri nicht in Gefahr gerät.“ Keine Frage, da musste er natürlich helfen – aber da gab es doch etwas, das ihn verwirrte: „Warum fragst du ausgerechnet mich und niemand anderen?“ Immerhin war er mit Sicherheit nicht der einzige, dem Zeri genug am Herzen lag, um ihn vor möglichen Feinden zu beschützen. Aber dennoch hatte sie ausgerechnet ihn geholt, um das zu machen, dabei musste sie doch wissen, dass er ihr nicht gerade... vertraute. „Ich habe nach Hardins gesucht“, antwortete sie, „aber ich konnte ihn nicht finden. Du warst der Nächstbeste, den ich finden konnte.“ Prima, er war also nicht einmal ihre erste Wahl gewesen, das störte ihn tatsächlich ein wenig – viel mehr störte ihn aber, dass Avan sich offensichtlich besser verstecken konnte als er, um Melissa aus dem Weg zu gehen. Bei Gelegenheit müsste er ihn um einen Ratschlag diesbezüglich bitten. „Wo ist Zeri?“, fragte Pete. „Wie sollen wir ihn beschützen, wenn er nicht da ist?“ Immerhin machte es keinen Sinn für die Feinde, an einem Ort aufzutauchen, wo sie weit von ihm entfernt waren. Doch Melissa schüttelte leicht mit dem Kopf. „Im Moment ist er in Sicherheit, wir müssen seine Feinde nur hier abfangen.“ Auch wenn er das immer noch nicht verstand, aber er beschloss, sich diese Feinde einfach einmal anzusehen. Wenn es Rebellen waren – was er nicht verwunderlich gefunden hätte, da Zeri ein Darcsen war – könnte er sie immer noch aufreiben und wenn sie keine waren, könnte er sich immer noch neu entscheiden. Melissa gab ihm zu verstehen, in welchem Gebiet er auf diese Feinde warten sollte, dann trennte sie sich von ihm und nahm sich einem anderen Einsatzort an. Pete begab sich unterdessen in das Lager des entsprechenden Gebiets und kniete sich dort hinter eine Barriere, um zu warten. Um die Zeit zu überbrücken, überlegte er, wie Rebellen es wohl schaffen könnten, das Schulgelände zu betreten – kam dann aber darauf, dass sie wohl ihre Mittel und Wege finden könnten, um die Lanseal Akademie zu infiltrieren. Dann fragte er sich, warum wohl gerade Zeri das Ziel sein könnte – aber auch hier kam er darauf, dass sein Bro einfach derart sagenumwoben war inzwischen, dass sogar die Rebellen sich vor seiner Intelligenz und Entschlossenheit fürchteten und sie ihn deswegen ausschalten wollten. Aber er würde das mit Sicherheit nicht zulassen! Ein leises Geräusch ließ ihn schließlich zusammenfahren. Als er den Kopf wandte, konnte er sehen, wie jemand versuchte, sich über das Feld an ihn heranzuschleichen. Entschlossen griff er das Gewehr fester und machte sich bereit, den Feind zuerst anzugreifen. Er müsste ihn nur noch wenige Schritte herankommen lassen. Mit angehaltenem Atem lauschte er, ließ die Person näher herankommen, während er versuchte, sich so gut wie möglich zu verbergen. Schließlich hörte er, wie die Person direkt auf der anderen Seite der Barriere stehenblieb, er zögerte nicht mehr und sprang auf. Doch gerade, als er auch das Gewehr hochreißen und auf den noch nicht identifizierten Feind feuern wollte, spürte er stechende Schmerzen in seinem Kopf – sein Opponent hatte ihm zuerst einen heftigen Schlag dagegen versetzt, so dass er nun zu Boden stürzte. Unwillkürlich griff er sich an die schmerzende Stelle, die Anwesenheit seines Feindes, der gar nicht wirklich bedrohlich schien, war bereits wieder vergessen. „Au...“ Er bemerkte, wie sein Gegenüber stutzte, statt zu einem weiteren Angriff auszuholen und wusste im nächsten Moment, dass die Person ihn wirklich kannte: „Stang? ... Das war doch dein Name, oder?“ Die leicht nervige Stimme mit dem deutlich arroganten Unterton erkannte er direkt, noch ehe er den Kopf hob und auch das rosafarbene Haar bemerkte, das ein eindeutiges Markenzeichen für sie war. Vor ihm stand kein Rebell, sondern Juliana Everhart. Kapitel 4: Over and out ----------------------- „Du bist doch ein Mitglied der G-Klasse, oder?“ Sie war größer als er, weswegen sie mit einem leicht überheblich erscheinendem Blick auf ihn herabsah. Dass sie ihn nicht wirklich kannte, obwohl er sich oft in der Nähe von Zeri aufhielt, wunderte ihn nicht weiter. In der Welt einer Juliana Everhart existierte jemand wie er sicherlich nicht einmal. „Ich bin Pete Stang“, stellte er sich vor, worauf sie das Gesicht verzog. „Du bist der kleine Freund von Hardins, nicht wahr?“ Er nickte grinsend und vergaß die Situation, in der sie sich im Moment befanden. Dass er einen bleibenden, wenn auch geringen Eindruck auf sie hinterlassen hatte, machte ihn doch ein wenig stolz. „Was tust du hier?“, fragte Juliana. Schlagartig erinnerte er sich wieder an Melissa und die angeblichen Feinde Zeris zurück. Also erklärte er ihr knapp, was ihn auf das Trainingsgelände geführt hatte, es war immerhin auch gut möglich, dass sie eine Erklärung für all das hatte. Tatsächlich seufzte sie, nachdem er ausgesprochen hatte. „Ich fürchte, sie hat uns beide ausgetrickst. Wir müssen sie finden und zur Rechenschaft ziehen. Niemand legt sich ungestraft mit Juliana Everhart an!“ Sie wartete seine Erwiderung nicht einmal ab, sondern lief bereits mit großen Schritten voraus, die besser als ihr neutrales Gesicht verrieten, wie wütend sie über diese ganze Sache war. Pete hatte einiges an Mühe, ihr zu folgen, da sie aufgrund ihrer Größe weiter ausholen konnte. „Was meinst du damit?“, hakte er nach, da er noch nicht so ganz verstand, was eigentlich vorging. „Wo sind Zeris Feinde?“ Verärgert runzelte sie ihre Stirn, blickte aber nach wie vor stur geradeaus. „Hast du es denn immer noch nicht begriffen?! Es gibt keine Feinde! Ich gehe davon aus, dass Dalen uns gegeneinander ausspielen wollte.“ „Und warum sollte sie das tun?“ Er hätte es verstanden, wenn er Cosette wäre, die sich oft in der Nähe von Avan und Zeri aufhielt oder irgendeines der anderen Mädchen, das verrückt nach dem Darcsen war, aber warum gerade er? „Vor einer Weile hat Dalen etwas Ähnliches mit Hardins gemacht“, fuhr Juliana in ihrer Erklärung fort. „Damals stahl sie die Bilder, die Zeris Fanclub in ihrem Raum aufbewahrten und Hardins musste ihr helfen, den Zorn der Mädchen abzuwenden.“ Deswegen war Avan also so ängstlich, wenn es um sie ging, er hatte tatsächlich schon einiges an Erfahrungen mit ihr durchgemacht. Das hätte er ihm aber ruhig einmal sagen können, Pete würde sich bei ihm noch gehörig beschweren – sobald er sich erst einmal bei Melissa ausgelassen hatte. „Wie hat sich denn hergelockt?“ Er sah zu Juliana hinüber, diese presste aber unwillig die Lippen aufeinander, offenbar wollte sie nicht wirklich darüber sprechen. „Das ist jetzt unwichtig“, erwiderte sie schließlich statt einer Antwort. „Hat Dalen dir gesagt, wo sie sich verstecken wird?“ Er dachte an die kurze Einsatzbesprechung zurück, musste aber mit dem Kopf schütteln. Melissa hatte nur ihm Anweisungen gegeben, aber nicht verraten, was sie selbst tun würde. Er war nur automatisch davon ausgegangen, dass sie sich im Containerbereich aufhalten würde, wo sie ihre Fähigkeit zum Verstecken bis aufs Äußerste nutzen konnte. Plötzlich zweifelte er sogar daran, dass sie beide dieses menschliche Chamäleon fangen könnten. Würde es nur um ihn gehen, hätte er sich einfach umgezogen, wäre ins Bett gegangen und hätte bis zum nächsten Schultag gewartet, an dem er Melissa auf jeden Fall hätte sehen müssen, aber die ebenfalls anwesende Juliana war jetzt wütend und es brachte nichts, ihr das ausreden zu wollen. Der Container-Bereich des Trainingsgeländes lag wie üblich völlig ruhig da. Während des Trainings hallte das Geräusch des Wassers oft sehr weit, wenn sich Rekruten durch das Nass bewegten, aber im Moment war davon nichts zu hören, also ging Juliana offenbar davon aus, dass sie diesen Bereich gänzlich außer Acht lassen konnte. Also schweifte ihr Blick über die aufgestellten Container, in deren Schatten sich auch während der Übungen immer Einheiten versteckten. Ein eiskalter Schauer fuhr langsam Petes Rücken hinab und brachte ihn dazu, sich zu schütteln. Er fühlte sich von allen Seiten beobachtet und glaubte, Melissas Lachen zu hören, das ebenfalls von überall her zu kommen schien. Er fühlte sich wie der Hauptcharakter einer Horrorgeschichte und hätte sich am Liebsten unter seine Bettdecke verkrochen. Zu seinem Glück blieb Juliana aber vollkommen ruhig – zumindest schien sie so. Sie fasste das Schwert, das sie als Fencer mit sich trug, fester und lief langsam auf einen der Container zu. Mit dem Kopf gab sie Pete zu verstehen, dass er von der anderen Seite aus herumgehen sollte, um die Person, die sich möglicherweise dort verbarg, in die Zange zu nehmen. Er reagierte sofort und tat das, was sie wollte, wenngleich er sich um einiges langsamer bewegte als sie, weil die Furcht ihn immer noch zu lähmen versuchte. Mit rationalen Gedanken versuchte er sich selbst zu beruhigen. Es gab immerhin keinen Grund, vor Melissa Angst zu haben, sie war ein Mensch, genau wie er und kein Monster. Sie konnte ihm nicht schaden, es sei denn, er ließ es zu. Aber ein Monster wäre mir im Moment doch lieber... Bei einem solchen hätte er immerhin auch nicht gezögert, seinen Gegenüber direkt mit Kugeln zu durchlöchern – auch wenn die Platzpatronen, die er im Moment im Gewehr hatte, nicht wirklich effektiv gewesen wären. Als er an der Ecke des Containers angekommen war, warf er einen Blick dahinter. Tatsächlich entdeckte er im Dunkeln jemanden, der auf dem Boden kniete und es sah nicht so aus, als ob diese Person auf ihn achtete. So leise wie möglich schlich er sich weiter und erkannte, dass es sich wirklich um Melissa handelte, die leise vor sich herzusummen schien. Er erkannte die Melodie nicht, aber für einen kurzen Moment fühlte er sich wie verzaubert und hielt inne, was ihm nicht einmal aufgefallen war. Kaum war er sich dessen bewusst geworden, setzte er seinen Weg fort, aber weil er seine Verzögerung durch raschere Fortbewegung ausgleichen wollte, erzeugten seine Schritte wieder knirschende Geräusche, die dazu führten, dass Melissa ihn einfach hören musste. Zwar fuhr sie nicht herum, aber sie hörte auf zu summen. „Was willst du jetzt tun, Stang?“ Erneut hielt er inne, aber dieses Mal vor Schreck. „W-was...?“ „Du willst bestimmt wissen, warum ich dich und Everhart hergerufen habe.“ Das hatte er eigentlich nicht sagen wollen, aber es traf doch sein Interesse, wie er zugeben musste. Dennoch sagte er nichts und wartete einfach darauf, dass sie fortfuhr, was sie auch sofort tat: „Es ist ganz einfach. Ihr seid meinem Zeri zu nahe.“ Er stutzte ein wenig. „W-was?“ Nun wandte sie ihm tatsächlich das Gesicht zu, so dass er sehen konnte, dass sie ein wenig lächelte. Dieses feine Lächeln, das auf den ersten Blick so liebenswert wirkte, bei genauerer Betrachtung aber seine Arglist verriet. „Verstehst du es denn nicht? Jeder, der meinem Zeri zu nahe kommt, ist ein Ziel für mich. Und du, genau wie Hardins, kommst ihm viel zu nahe.“ Wieder fuhr ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken. Er hätte verstanden, wenn sie nur von Mädchen gesprochen hätte, die Zeri zu nahe kamen, weil sie an diesem interessiert waren – aber er konnte doch keine Gefahr für sie sein! Also warum war er ebenfalls ein Ziel? „Eigentlich hatte ich gehofft, du und Everhart würdet euch gegenseitig für eine Weile ins Lazarett befördern. Aber dem helfe ich auch gerne nach, damit ihr meinem Zeri endlich fernbleibt.“ Er fühlte sich immer noch unfähig, sich zu rühren, auch als sie sich aufrichtete. Sie hob das Gewehr über ihren Kopf, um ihn mit dem Kolben an der Stirn zu treffen – und als er das erkannte, kehrte das Leben wieder in seinen Körper zurück. Pete wich zurück und wollte das Gewehr hochreißen, um ihr zumindest einen Schuss mit der Platzmunition zu verpassen. Aus dieser Nähe dürfte auch das immerhin recht wirkungsvoll sein. Doch noch ehe er den Abzug betätigen konnte, sackte Melissa plötzlich mit einem dumpfen Schmerzenslaut zusammen. Er blinzelte verdutzt, als er sich wieder Juliana gegenübersah, deren Anwesenheit ihm während des kurzen Gesprächs entfallen war. Sie schnaubte wütend, während sie auf Melissa hinabsah. „Niemand legt sich mit einer Everhart an und kommt damit davon! Du kannst froh sein, wenn du mit einer einfachen Strafe davonkommst.“ „Ah-ah-ah“, meldete sich plötzlich eine weitere Stimme, die Pete aber durchaus bekannt vorkam, immerhin hörte er sie seit seiner Ankunft in Lanseal fast jeden Tag. „Ich glaube, sie lernt es schon mit einer einfachen Strafe.“ Petes Blick wanderte zu dem braunhaarigen Mann, der aus den Schatten in sein Blickfeld trat. „Mr. Brixham?!“ Die Anwesenheit seines Lehrers verwirrte ihn sichtlich, aber Juliana schien davon nicht im Mindesten überrascht, eher verstimmt darüber, dass Melissa mit einer einfachen Strafe davonkommen sollte. Brixham nickte. „Juliana hat mich davon in Kenntnis gesetzt, dass Melissa andere Schüler anfeindet. Das müssen wir natürlich unterbinden.“ Er sah zu Melissa hinüber, die sich den schmerzenden Hinterkopf rieb. „Aber nur keine Sorge, Juliana, ich werde sicherstellen, dass die Strafe entsprechend hart ausfällt.“ Pete erinnerte sich an die Worte von Brixham, während er aus dem Fenster auf den Sportplatz hinabsah. Noch immer war ihm Julianas genervtes Seufzen, das sie auf dem Rückweg zur Akademie ausgestoßen hatte, im Gedächtnis. Es war der totale Gegensatz zu dem zufriedenen Laut, den sie nun von sich gab, während sie neben ihm stand und ebenfalls hinaussah. Es war nur ein Zufall, dass sie nebeneinander standen, aber er passte außerordentlich gut, auch wenn sie nur einen kurzen Augenblick dieselbe Situation hatten durchstehen müssen. Pete für seinen Teil dachte gar nicht gern diese Nacht zurück und er hoffte, dass sie gemeinsam mit den Erinnerungen an diese furchteinflößende Zeit langsam verblassen würde. Deswegen empfand er kein Mitleid mit Melissa, so wie zum Beispiel Cosette, die bereits ein leises „Owww“ von sich gegeben hatte, als Brixham die Abwesenheit ihrer Mitschülerin im Unterricht hatte. Nein, er verspürte eine wohlige Genugtuung, während er beobachtete, wie Melissa damit beschäftigt war, schwere Geräte zu bedienen, um dem Sportplatz einen neuen Anstrich zu geben. Es sollte sie lehren, die Allgemeinheit zu schätzen, indem sie etwas Gutes für eben diese tat, das waren Brixhams erklärende Worte dafür gewesen, auch wenn er nicht weiter ausgeführt hatte, was genau der Grund für diese Strafe war. Neben der Tatsache, dass sie damit tagsüber beschäftigt sein würde – und das eine ganze Weile – wäre sie im Anschluss zu müde, um sich weiterhin um ihre Konkurrenz zu kümmern. Pete freute sich bereits auf die ruhige Zeit, in der er sich nicht mehr davor fürchten musste, dass Melissa ihm auflauerte – und einläuten würde er diese Zeit mit einem herzhaften Mittagessen. 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