Hinter den Masken von Flordelis ================================================================================ Kapitel 5: Hinter den Masken ---------------------------- Hix stürzte kopfüber in die andere Welt hinein. Selbst als er sich aufrichtete, schien es ihm als würde er auf dem Kopf stehen. Er befand sich auf einem festen Weg, seine Kleidung und sein Schwert lagen an wie eh und je, aber das Blut schoss in seinen Kopf und wenn er nach oben sah, wurde ihm schwindelig. Spiralen, in schwarz und weiß, zogen sich über (oder unter? Er war sich nicht sicher) ihm hinweg und ließen den Eindruck einer Unendlichkeit entstehen, in die er fallen könnte, wenn er nicht vorsichtig genug war. Aber das rückte in den Hintergrund, als ihm wieder Tengaar ins Bewusstsein kam, zu deren Rettung er gerade unterwegs war. Er hob den Fuß, was ihm einiges an Anstrengung abverlangte, als er sich gegen die Schwerkraft beugte. Einen kurzen, ganz kurzen, Augenblick lang befürchtete er, jeden Halt zu verlieren und in die Spiralen hinabzufallen, aber das geschah nicht. Auch nicht, als er den anderen Fuß zu einem zweiten Schritt nachzog. Nun wesentlich selbstsicherer, begann er zu rennen, anfangs nur schwerlich, so dass es aussah als würde jemand seine Zeit verlangsamen, aber er kümmerte sich nicht darum, sondern lief einfach weiter. Der Weg schlug einen Bogen, kurzzeitig lief er damit wieder richtig herum, nur um wenige Meter weiter erneut kopfüber zu verlaufen. Er führte vorbei an schier endlos verlaufende Spiralen, Fenstern, hinter denen lediglich ein Schachbrett-Muster zu erkennen war und einsam vor sich im Nichts hinwippenden Schaukelstühlen, auf denen undeutlich ein Schatten zu erkennen war, wenn man genauer hinsah. Doch Hix sah nicht hin. Sein Blick galt einzig und allein dem Boden unter seinen Füßen, damit er diesen nicht möglicherweise verlor, sobald er einen falschen Schritt tat. Aber noch während er sich so auf seinen Weg konzentrierte, hörte er plötzlich eine Stimme, die aus weiter Ferne an seine Ohren zu dringen schien. „Warum strengst du dich so sehr an? Hast du nicht selbst gedacht, dass sie jemand Besseren als dich finden sollte?“ „Nicht solange ich lebe!“, erwiderte er wütend, wenngleich durch das Rennen ein wenig atemlos. Er war sich nicht sicher, ob seine Stimme den anderen erreichte, aber offenbar tat sie es, denn Grimare – er glaubte jedenfalls, dass es sich um diesen handelte – sprach weiter: „All deine Anstrengungen sind vergebens! Du wirst niemals gut genug für sie sein, wenn du ihr dein wahres Ich aus Furcht vorenthältst!“ Diesmal erwiderte er nichts darauf und konzentrierte sich einzig darauf, zu laufen. „Nur wer den Mut hat, sich zu offenbaren, ist fähig, zu lieben! Du dagegen liebst sie nicht, du willst sie nur besitzen!“ Hix knurrte leise. Er liebte sie, er war sich sicher, dass er es tat. Was war so falsch daran, sie besitzen zu wollen? Der einzige zu sein, der ihrer Aufmerksamkeit ausgesetzt war? „Du tust hier doch gerade dasselbe!“, erwiderte er wütend. „Du versteckst sie vor der Welt!“ Grimare lachte amüsiert, es hallte von so vielen verschiedenen Seiten wieder, dass es Hix' Ohren klingen ließ und er sich diese am Liebsten zugehalten hätte. Stattdessen knirschte er mit den Zähnen, so stark, dass sein Kiefer schmerzte, aber es half ihm, den Lärm zu ertragen. „Du hast es erfasst“, sagte Grimare schließlich. „Aber im Prinzip ist es doch egal, ob du oder ich sie verstecken.“ Hix rannte weiter, versuchte, sich die Anstrengung nicht einmal anmerken zu lassen, aber seine Lungen brannten bereits heftig, während die Übelkeit in ihm anstieg. Zu allem Überfluss begann sich die Wand zu wölben, etwas fiel in Tropfen auf den Weg und formte sich rasch zu einem Schleimmonster. Es waren insgesamt vier Stück, aber dennoch hielt Hix nicht inne. In einer fließenden Bewegung zog er sein Schwert und ließ die Klinge auf jedes einzelne dieser Wesen niedersausen. Mit nur einem einzigen Hieb zerteilte er sie, die Entschlossenheit trieb ihn voran, verlieh ihm zusätzliche Kraft, die er dringend benötigte. „Nicht schlecht.“ Grimares Stimme klang tatsächlich anerkennend. „Ich sehe, du kommst deinem wahren Ich, dem Kämpfer in dir, näher.“ Dann aber geschah etwas, was Hix tatsächlich für einen Moment innehalten ließ – Tengaars Stimme erklang: „Hix, es ist in Ordnung. Du musst nicht kommen, um mich zu holen, du brauchst mich nicht mehr. Ich werde hier bleiben.“ Einen schrecklichen Augenblick lang glaubte er das, was er da hörte und ihm war als würde sein Herz aussetzen. Seine Beine schmerzten vom Rennen, das Stechen in seiner Seite war fast unerträglich, doch er wusste und diese Worte wollten ihn dazu verleiten, sich hinzulegen, um sich auszuruhen, ehe er den Rückweg antrat. Aber dann rief er sich selbst wieder zur Ordnung. Er konnte nicht aufgeben, besonders nicht hier. „Lass die schmutzigen Tricks, Grimare!“ Wieder hörte er dieses schaurige Lachen, dann erklang erneut Grimares Stimme: „Du bist nicht darauf hereingefallen, Respekt. Dein Egoismus ist also so stark, dass du sogar ihre Worte und Bitten ignorierst?“ „Das hat nichts damit zu tun!“, erwiderte Hix hitzig. „Ich weiß einfach, dass sie niemals freiwillig hier bleiben würde! Ihr geht das Dorf über alles!“ „So gut kennst du sie also?“ Grimare klang amüsiert, fast schon zufrieden, auch wenn Hix sich nicht erklären konnte, weswegen er so fühlen sollte. Weitere Tropfen fielen auf den Weg, was den Kriegerlehrling dazu veranlasste, weiterzurennen und die neuen Schleimmonster ebenfalls mit jeweils einem Schwertstreich zu töten. So weit er blicken konnte war kein Ende des Weges zu sehen, dafür erklang wieder Grimares Stimme: „Weißt du denn, was Tengaar fühlt?“ „Nein, verdammt!“, knurrte Hix. „Woher denn!?“ „Dadurch, dass du dich ihr nicht geöffnet hast, nahmst du ihr gleichzeitig die Möglichkeit, sich dir zu öffnen“, sagte Grimare darauf. „Wie könnt ihr beide da von Liebe sprechen?“ Hix sagte nichts darauf, aber innerlich schwort er sich, bei der erstbesten Gelegenheit mit Tengaar zu sprechen, über alles, was ihm auf dem Herzen lag und im Gegenzug von ihr zu erfahren, was in ihrem Innersten vor sich ging. Er wollte alles wissen und er wollte, dass sie alles wusste, selbst auf die Gefahr hin, dass sie ihn danach fallenließ und er nicht mehr bei ihr sein könnte. Kaum war diese Entschlossenheit in ihm herangereift, veränderte sich alles um ihn herum und im nächsten Moment befand er sich an einem anderen Ort. Er stand wieder genau so, wie es sich gehörte, unter sich war kein Weg mehr, dafür einen fingerbreit Wasser unter seinen Füßen. Die Spiralen waren fort, aber noch immer war das schachbrettartige Muster durch Fenster hindurch zu sehen. Die Muster bewegten sich sacht, wellenförmig geradezu als würden sie sich im Wasser befinden. Doch Hix besaß keinen Blick dafür, er sah stets auf Tengaar, die an einen abstrakten Baum gebunden war, dessen schwarze Äste sich auf unnatürlich verschlungene Art und Weise gen Himmel reckten. Sie schien nicht bei Bewusstsein zu sein, Grimare neben ihr allerdings schon. „Du bist so weit gekommen“, sagte der Maskierte mit einer Spur Anerkennung in der Stimme. „Deine Entschlossenheit ist bewundernswert.“ „Lass Tengaar gehen!“, verlangte Hix und deutete mit der Klinge auf seinen Gegenüber. Allerdings betrachtete er dies selbst als unnütz, es diente nur der Dramatik des Moments. Tief in seinem Inneren wusste er auch, dass dieser Kampf nicht mit Waffengewalt zu bestreiten war. Wer immer Grimare war, er kämpfte auf andere Arten. „Aber dein Egoismus steht der Entschlossenheit in nichts nach.“ „Wie oft denn noch!? Ich bin nicht egoistisch!“ Grimares Lippen kräuselten sich zu einem amüsierten Lächeln ob dieser Worte. „Ach wirklich?“ Flammen schossen plötzlich unter Tengaar und dem Baum empor und hüllten beides ein. Die bewusstlose Tengaar erwachte schlagartig, sie wand sich, während sie aus Leibeskräften zu schreien begann. „Lass das!“, verlangte Hix sofort. „Hör auf damit!“ „Wärst du denn bereit, ihren Schmerz zu tragen?“, fragte Grimare. Er wartete auf keine Antwort, nahm diese bereits als gegeben und ließ die Flammen um den Baum herum erlöschen, um sie dann unter Hix wieder zu entfachen. Schmerzen, die schlimmer waren als alles, was er jemals zuvor erlebt hatte, fuhren in Wellen durch seinen ganzen Körper, ließen ihn in die Knie gehen und in ihm den Wunsch entstehen, einfach ohnmächtig werden zu können. Aber statt sich dem hinzugeben, kämpfte er mit aller Macht dagegen an, zwang sich sogar, den Blick zu heben, um dabei in die gelben Augen der Maske sehen zu können. Tatsächlich glaubte er, dass der Ausdruck der Maske sich änderte, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Der Ausdruck wurde zu einem mitleidigen, mitfühlenden, der denselben Schmerz wie Hix durchzumachen schien, er sah aus wie jemand, der bereute, ihm das antun zu müssen. Und in diesem Moment, in dem ihm das bewusst wurde, reifte eine Ahnung in ihm heran, ein Verdacht, was das alles hier betraf, er müsste ihn nur noch bestätigen. Er fühlte sich als würden Stunden vergehen, bis die Flammen erlöschten und der Schmerz rasch versiegte. Er atmete schwer, immer wieder sanken schwarze Schleier vor seine Augen, doch er war nicht gewillt, aufzugeben. Nicht hier, nicht jetzt! „Deine Entschlossenheit beeindruckt mich“, sagte Grimare. „Du bist für sie hierher gekommen und wärst sogar bereit, die Schmerzen zu ertragen. Vielleicht bist du ja wirklich zur Einsicht gekommen...“ Hix schwieg, noch immer rang er angestrengt nach Atem. „Dann hast du nur noch einen Test vor dir. Nimm mir die Maske ab.“ Der Kriegerlehrling stutzte einen Moment. „Was?“ „Nach dieser kleinen Qual möchtest du doch sicher das Gesicht des Mannes sehen, der euch beiden dem ausgesetzt hat, oder?“ Das war die Gelegenheit, um seinen Verdacht entweder zu bestätigen oder endgültig zu verwerfen. Hix richtete sich auf und ging mit schweren Schritten auf Grimare zu. Er zog das Schwert hinter sich her, die Spitze schleifte dabei auf dem Boden, im Moment kam er gar nicht auf die Idee, es einfach wieder einzustecken. Vor Grimare blieb er wieder stehen. Noch immer sah er dem Maskierten in die Augen, die ihn so leblos anstarrten als wäre er bereits gestorben ohne dass einer von ihnen es gemerkt hätte. Ganz langsam hob er die Hand und dieses Mal schaffte er es, die Maske zu berühren, doch an diesem Punkt hielt er noch einmal inne. Grimare machte keine Anstalten, sich zu rühren, er würde ihn weder abwehren, noch ausweichen, das wusste Hix genau. In nur einer Bewegung würde er dem Monster unter der Maske eines Monsters gegenüberstehen und dann würde er wissen, ob er recht hatte oder nicht. Seine Neugier ließ ihn schließlich diese eine Bewegung vollführen, gleichzeitig trat er einen Schritt zurück und betrachtete Grimares wahres Gesicht. Er konnte nicht anders als zu lächeln, als er feststellte, dass sein Verdacht richtig gewesen war. Ihm gegenüber stand plötzlich nicht mehr ein furchteinflößender Mann, der sich hinter dem Gesicht eines Monsters verbarg, sondern sein Ebenbild in Fleisch und Blut, das wie ein Spiegelbild ebenfalls zu lächeln begann. „Ich denke, du hast verstanden.“ Grimares Stimme klang nun genau wie seine, was erklärte, warum sie ihm zuvor so vertraut gewesen war. Hix sah zu Tengaar hinüber, doch sie war nicht mehr da. Dort, wo sie zuvor gewesen war, befand sich eine nackte, haarlose, aber dafür lebensgroße Marionette. Er blickte wieder Grimare an und nickte. „Ich denke schon. Du bist das Ich, das ich unterdrückt habe, aus Furcht, von Tengaar verlassen zu werden.“ „Das ist richtig. Ich bin erstaunt, dass du es selbst herausgefunden hast.“ Hix' Lächeln wurde noch ein wenig breiter. „Ab sofort werde ich dich nicht mehr unterdrücken, du bist ein Teil von mir und verdienst es auch, dass ich dich dementsprechend in meinem Leben einbinde. Und ich denke auch nicht mehr, dass Tengaar mich deswegen verlassen würde. Sie wäre mit Sicherheit stolz auf mich, oder?“ Grimare nickte. „Das glaube ich auch.“ Wenn er sich vorstellte, wie glücklich Tengaar sein würde – er zweifelte nicht daran, dass sie es sein würde – dann konnte er es sogar kaum erwarten, ihr den wahren Hix zu zeigen. Er müsste ihr erklären, warum er so lange damit gewartet hatte, aber das könnte er schaffen und dann die Belohnung dafür ernten – und diese bestand aus seiner Hochzeit mit ihr. Beide lächelten sich noch einmal zu, dann schien aber zumindest Grimare bewusst zu werden, dass es Zeit wurde, zu gehen. „Ich muss dich jetzt zurückschicken. Vergiss nicht, was dir bewusst geworden ist.“ Hix blieb keine Gelegenheit, noch etwas zu sagen, denn seine Augen wurden plötzlich von einem gleißend hellen Licht überschattet, seine Schmerzen schwanden völlig, das Gewicht des Schwertes verließ seine Hand. Er schloss die Augen und wartete auf das, was kommen würde. 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