Hinter den Masken von Flordelis ================================================================================ Kapitel 1: Freie Drachen ------------------------ Manchmal, nein, sehr oft sogar, kam er sich wirklich unfähig vor. In diesem Moment war es wieder einmal so, während er vor ihr stand und unentschlossen den Blick schweifen ließ. Immer wieder blickte er zwischen Tengaar und dem leeren Bootssteg hin und her. Er hatte gehofft, dass sie in Radat eine Fahrt nach Banner bekommen könnten, nein, eigentlich sogar bis nach Teien, aber stattdessen war da nur die Nachricht gewesen, dass an diesem Tag niemand die Zeit hatte, Passagiere zu transportieren. Er vermutete allerdings, dass das nur bedeuten sollte, dass die Fischer noch immer so sehr mit Feiern beschäftigt waren, dass sie schlichtweg nicht die Muse hatten, auszulaufen. Hix' Aufgabe war es nun, zu entscheiden, wie es weitergehen sollte, ausgehend von den Möglichkeiten, die Tengaar ihm gegeben hatte. Allerdings war er sich fast sicher, dass es sich nur um eine Fangaufgabe handelte und sie genau die Antwort erwartete, die ihm absolut zuwider war. Der Gedanke, sich durch das Ödland schlagen zu müssen, um nach Hause zu kommen, behagte ihm nicht. Allein diese Bezeichnung... Ödland. Das verriet doch schon, was einen dort zu erwarten hatte und er dachte dabei nicht an die fehlende Unterhaltung. Die andere Möglichkeit war, eine Nacht im ansässigen Gasthaus zu verbringen, in der Hoffnung, dass die Fischer am nächsten Tag eher geneigt wären, sie zu fahren. Diese Option gefiel Hix äußerst gut, aber je mehr er darüber nachdachte desto klarer wurde ihm, dass sie das nicht akzeptieren und das nur wieder als Gelegenheit nutzen würde, um ihn zurechtzuweisen. Also gab es eigentlich keine richtige Entscheidung, denn das, was er wollte, würde zu Tadel führen und das, was sie wollte, war ihm vollkommen zuwider. Für einen kurzen Moment war da sogar der Gedanke gewesen, einfach ins Wasser zu springen und den Fluss hinunter zu schwimmen, aber davon war er schnell wieder abgekommen. Er spürte, wie ihre Ungeduld wuchs, während er die Antwort hinauszögerte, wenn nicht bald etwas geschah, müsste er sich doch für das Ödland entscheiden – oder ihr erklären, dass er das nicht wollte und hoffen, dass sie das verstand. Aber dieser Gedanke jagte ihm fast mehr Furcht ein als das Ödland, deswegen verwarf er das wieder. Der Haufen, auf den er diese Gedanken warf, wuchs langsam an, er würde aufpassen müssen, nicht aus Versehen darüber zu stolpern, so dachte er sich, nur um sich direkt danach bewusst zu werden, dass das Unsinn war und ihm eine verlegene Röte darüber den Nacken hinaufkroch. Noch einmal blickte er zu Tengaar, die in wachsender Ungeduld die Brauen zusammengezogen hatte – und da bemerkte er etwas in seinen Augenwinkeln. Es kam ihm wie eine Rettung vor, eine willkommene Ablenkung, eine gute Ausrede, um seine Entscheidung weiter hinauszuzögern. Auch Tengaars Aufmerksamkeit wurde davon beansprucht, sie wandte sich der Straße zu, die aus der Stadt hinausführte. Dort standen drei von Pferden gezogene Wägen, deren Holz mit bunten Farben bemalt war, darauf lackierte Buchstaben verkündeten, dass es sich bei dieser Gemeinschaft um eine Truppe von Schaustellern handelte. Die braunen Pferde wirkten im Vergleich zu den bunten Wägen ein wenig zu normal, sie scharrten mit den Hufen auf dem Boden, während sie darauf warteten, dass die Reise weiterging. Da allerdings drei Personen aus den Wägen herauskamen und sich zu einer Unterredung zusammenfanden, schien dieser Moment wohl in weite Ferne zu rücken. Hix versuchte, sie alle zu mustern, aber sein überfordertes Gehirn registrierte nur, dass es zwei Frauen und ein Mann waren. Jeder von ihnen hatte schwarzes Haar, das des Mannes war akkurat auf Kinnlänge gestutzt, das einer Frau reichte bis zu ihren Ellbögen und das der anderen war zu einem Dutt hochgesteckt. Nur die Augenfarben waren bei jedem anders, die des Mannes waren braun, die der Frau mit den offen Haaren blau und der anderen grün. Diese Farben spiegelten sich auch in ihrer Kleidung wieder, so dass der Mann eine braune Weste über seinem weißen Hemd und der schwarzen Hose trug; die Frauen wiederum trugen je eine blaue oder eine grüne Weste über ihren weißen Kleidern, die bis zu ihren Knien reichten. Jede der drei Westen wies goldene Stickereien auf, die einen feuerspeienden Drachen darstellten. Man sah auf den ersten Blick, dass sie zusammengehörten. Während Hix noch darüber nachdachte, ob er es wagen könnte, diese Leute anzusprechen, nahm Tengaar ihm diese Entscheidung bereits ab und ging auf sie zu. „Gibt es ein Problem?“ Das Gespräch der drei endete sofort, als sie sich ihr und dem nachgeeilten Hix zuwandten. Aus der Nähe betrachtet, ähnelten sich die Gesichtszüge der drei, was einem verriet, dass sie miteinander verwandt, höchstwahrscheinlich sogar Geschwister, waren. Stumm einigten sie sich darauf, dass der Mann das Reden übernahm: „Wir haben gerade nur überlegt, wie wir am besten nach Toran kommen könnten.“ Die beiden Frauen nickten zustimmend. Tengaar warf einen Blick auf die Wägen. Es war selbst für Hix eindeutig, dass sie damit nicht auf dem Fluss reisen könnten, denn es gab kein Boot, das groß genug war, um diese Wägen zu transportieren. Den Banner-Pass könnten sie ebenfalls nicht benutzen, denn das bezog eine Kletterpartie mit ein, aber durch das Ödland könnte es funktionieren. Zwar müssten sie da auch über einen Bergpass, aber es gab einen Weg, der dort hinauf- und auf der anderen Seite wieder hinabführte. Tengaar schlug das auch direkt vor, worauf der Mann nickte. „Das dachten wir auch gerade. Aber ganz allein empfinden wir das als ein wenig schwierig, wir sind Schausteller, keine Kämpfer.“ Ihnen beiden kam der Gedanke gleichzeitig, aber sie war es, die ihn aussprach: „Wir wollen ebenfalls nach Toran und könnten euch begleiten. Ich bin Tengaar und das hier ist Hix, wir kommen aus dem Dorf der Krieger.“ Die Gesichter ihrer Gegenüber erhellten sich augenblicklich in freudiger Erleichterung. Offenbar waren sie der festen Überzeugung, dass jemand, der aus diesem Dorf kam, wirklich fähig war, zu kämpfen und zu überleben – und im Prinzip stimmte das ja sogar. „Das wäre sehr nett von euch beiden. Mein Name Etzel.“ Die blauäugige Frau mit dem offenen Haar legte eine Hand auf ihr Herz, sie lächelte sanft. „Ich bin Nerthus.“ Die grünäugige Frau mit dem Dutt stemmte die Arme in die Hüften. „Und ich bin Siglind.“ Etzel übernahm wieder das Wort für sie alle: „Wie man an unserem Wagen sehen kann, sind wir eine Schausteller-Gruppe namens Freie Drachen.“ Nerthus nickte zustimmend. „Das bedeutet, dass wir keinem Land angehören und immer neutral bleiben.“ „Allerdings“, fuhr Siglind fort, „bedeutet das auch, dass wir während Kriegszeiten nicht wirklich reisen können. Ich meine, wer will schon gerne als neutrale Person in eine Schlacht zwischen zwei Länder geraten, von denen sich keines für dich verantwortlich fühlt?“ Dem musste Hix ebenfalls zustimmen, er würde das nicht wollen und wie er an Tengaars gerunzelter Stirn erkannte, sie ebensowenig. „Seid ihr nur zu dritt?“, fragte sie. Sie schüttelten einvernehmlich ihre Köpfe. „Wir haben noch einen Begleiter“, erklärte Etzel. „Er ist aber in die Stadt hineingegangen, um unseren Proviant aufzustocken.“ Hix neigte verwundert den Kopf. Außer diesen drei Personen war ihm sonst niemand mehr aufgefallen. War er so sehr von seinen eigenen Gedanken abgelenkt gewesen? Plötzlich schien es ihm als würden sich Wolken vor die Sonne schieben, ein Frösteln überkam ihn, während er versuchte, sich eine weitere Person, die hierzu gehören könnte, ins Gedächtnis zu rufen. „Falls ihr auch noch Vorbereitungen treffen müsst, solltet ihr diese nun tun“, schlug Nerthus vor, aber Tengaar schüttelte abwehrend den Kopf. „Das ist nicht nötig, wir sind vollauf versorgt und können sofort aufbrechen.“ Das schien die drei wieder zu freuen und zu erleichtern und sie baten die beiden, sich ihnen sofort anzuschließen, als sie die Pferde zum Weiterlaufen anhielten, um die Stadt zu durchqueren. Während sie liefen, dachte Hix daran, dass sie noch nie im Ödland gewesen waren, er konnte nur hoffen, dass Tengaar nicht zu viel versprochen hatte. Und auch wenn das Reisen mit einer solchen Gruppe unterhaltsam zu werden versprach, wünschte er sich plötzlich doch, sich früher entschieden zu haben, denn dann befänden sie sich nun bereits im Gasthaus und wären dieser Gruppe nie begegnet – und dann wäre es auch nicht zu Tengaars Vorschlag gekommen. Aber nun war es bereits zu spät. Im Stadtkern von Radat herrschte noch immer ausgelassene Feierstimmung. Der Krieg hatte so lange angedauert, dass die Menschen nun nie müde wurden, ihrer Freude über dessen Ende Ausdruck zu verleihen. Immer noch spielten die Musikanten für jene, die tanzen wollten und vor dem Restaurant waren Tische aufgebaut, an denen Stadtbewohner saßen und sich lachend während des Essens oder Trinkens unterhielten. Kaum tauchten sie wieder in diese Atmosphäre ein, wäre Hix am Liebsten ein Teil davon geworden. Es schien so leicht, sich einfach dazuzusetzen und zu vergessen, was er eigentlich tun sollte. Nur Tengaar hielt ihn davon ab. Nein, der Gedanke kam ihm nicht ganz richtig vor, er klang so negativ. Besser war es, wenn er dachte, dass sie ihn ablenkte. Er liebte sie immerhin, sie war kein Störfaktor. Aber sehr oft empfand er sich selbst als solcher. Zwar empfand er sich nun als Krieger und er wollte sie auch unbedingt heiraten, aber wie sollte er nur den Mut aufbringen, sie zu fragen, wenn ihre bloße Anwesenheit sie schon nervös machte? Plötzlich blieb Tengaar stehen und er hielt automatisch ebenfalls inne. Er folgte ihrem Blick, der direkt an einer Person hängenblieb, von der er einfach wusste, dass sie zu den Schaustellern gehörte. Allein seine Anwesenheit an diesem Ort war einfach falsch, fast so als ob jemand ihn nur mal eben abgestellt und dann vergessen hätte, ihn wieder abzuholen, um ihn an seinen richtigen Platz zu bringen. Diese Person trug ein nachtfarbenes Jackett, eine weiße Hose und ab den Knien abwärts war derselbe Stoff an die Beine gebunden wie jener aus dem das Jackett gefertigt war. Auf dem Kopf trug er einen schwarzen Kapitänshut. Aber das wirklich Außergewöhnliche an dieser Person und das, was auch seinen Blick anzog, war die Maske, hinter der er die obere Hälfte seines Gesichts verbarg. Sie war aus rotem Holz gefertigt, mit riesigen roten Augen, die in gelben Höhlen saßen. An den Seiten waren angedeutete weiße Hörner zu sehen, während am unteren Rand eine Reihe weißer Zähne gebleckt war. Aber da war noch etwas anderes an dieser Person, etwas, was einerseits Furcht und gleichzeitig auch Sehnsucht in Hix auslöste. Diese Person war ihm fremd und gleichzeitig vertraut wie ein alter Freund, den er nach Jahren zum ersten Mal wiederbegegnete. Dabei gab es nicht viele Personen, die Hix gut kannte und jene waren auch mit Sicherheit nicht an diesem Ort und trugen auch keine Masken. Warum wurde er dann von diesen Gefühlen überfallen? Tengaar schluckte hörbar, worauf ihm bewusst wurde, dass es ihr genauso erging. Er spürte, wie sie nach seiner Hand griff und diese drückte als suchte sie bei ihm für den Moment Halt und Zuversicht. Aber er war nicht in der Lage, den Händedruck zu erwidern, zu sehr war er von der Furcht gelähmt, so dass sie ihn wieder losließ, ein enttäuschtes Aufblitzen in den Augen. Wie durch Watte hindurch vernahm er plötzlich hinter sich die Stimme von Etzel: „Ah, da ist er ja. Darf ich euch vorstellen? Das ist der vierte Mann im Bunde, Grimare.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)