Alea Iacta Est von Night_Baroness (Partner-FF by Corab & Night_Baroness) ================================================================================ Kapitel 2: Eine rastlose Seele ------------------------------ 2. Kapitel: Eine rastlose Seele ~ by Corab „Es gibt keine Zufälle.“ Der junge Mann, der vorne hinter dem Rednerpult stand, holte tief Luft. Es war sein erster Vortrag vor einem derartig großen Publikum und bisher lief alles außergewöhnlich gut. Der Tag war perfekt. Konnte man so einen Tag ruinieren? Es würde schwer sein, vermutlich sogar unmöglich. „Alles geschieht aus einem bestimmten Grund. Halten sie sich das immer vor Augen, wenn sie einen Tatort untersuchen. Wenn sie etwas entdecken, das so nicht sein dürfte, dann ist es ein Hinweis des Täters, ein Hinweis des Opfers, ein Beweis für ihre Indizienkette. Es kann vieles sein, nur eines ist es sicher nicht: Purer Zufall. Danke, meine Damen und Herren.“ Es folgte tobender Applaus. Shinichi Kudo verneigte sich kurz und ging dann von der Bühne zu seinem Vorgesetzten. „Ein toller Vortrag.“, lobte ihn der rundliche Mann fröhlich lachend. „Wie ich ihn von dir erwartet hätte, mein Guter.“ „Danke, Herr Oberkommissar.“ Kudo lachte fröhlich. Es war ungewöhnlich, dass man einen Inspektor wie ihn vor so vielen Leuten sprechen ließ, aber dank seiner außergewöhnlichen Verdienste im Kampf gegen das japanische Verbrechen hatte es aus der Führungsriege viele drängende Stimmen gegeben, und nun war er natürlich froh, eine solch positive Resonanz zu erhalten. „Ich dachte mir nur, dass die Leute vielleicht etwas Ansporn gebrauchen könnten, jetzt, wo sie noch eine Leiche gefunden haben.“ Der Oberkommissar wurde schlagartig ernst. „Ja, da hast du wohl Recht. Es ist wirklich wichtig, dass wir Az-zahr so schnell wie möglich fassen.“ Er ballte die Hand zu einer Faust und schlug sie wütend gegen die Betonwand, was ihm verwunderte Blicke einiger vorbeilaufender Polizisten einbrachte. „Gerade jetzt, wo dieser Drecksack in Tokio eine zweite Heimat gefunden zu haben scheint.“ Nun zog auch der junge Inspektor seine Stirn in Falten. Az-zahr war ein grausamer Mörder, der innerhalb von zwei Monaten fünf Menschenleben ausgelöscht hatte. Seine ersten beide Opfer hatten in Osaka gelebt, doch in jüngster Zeit hatte er drei Tokioter ermordet. Die Boulevardpresse walzte den Fall genussvoll auf das Äußerste aus, sodass man förmlich spüren konnte, wie sich ein grauer Schleier der Angst über die Stadt gelegt hatte. Begünstigt wurde dies durch die scheinbar vollkommen willkürliche Auswahl der Opfer und die grausamen Todesarten. Zwei der Opfer waren erdrosselt, eines ertränkt und die anderen beiden erstochen, vielmehr abgeschlachtet worden. Die einzige Verbindung und der Beweis für einen Serienmord war die blutige Signatur gewesen, die sich in dem Haus jeden Mordopfers befunden hatte: Az-zahr, die arabische Bezeichnung für einen Spielwürfel, die nun auch den Täter selbst bezeichnete, von dessen Identität weder Aussehen noch Geschlecht bekannt waren. „Machen Sie sich keine Sorgen, Oberkommissar Megure.“ Kudo hatte zu seinem optimistischen Lächeln zurückgefunden. „Wir werden diesen Kerl schon noch fassen. Und bis dahin schärfen wir einfach unseren Frauen und allen anderen Einwohnern dieser Stadt ein, ihre Türen verschlossen zu lassen. Eingebrochen ist Az-zahr bisher schließlich nirgends.“ „Deinen Optimismus möchte ich haben.“ „Das möchten viele.“ Kudo lachte. „Aber lassen Sie sich keine grauen Haare wachsen. Obwohl, mit Ihrem Hut wird es wohl kaum eine Rolle spielen.“ „Sehr witzig.“, gab der Oberkommissar in gespielter Beleidigung zurück. „Ja, das denke ich auch.“ Ein verschmitztes Grinsen vonseiten des Inspektors. „Aber wie auch immer, ich habe jetzt Dienstschluss.“ „Was? Schon?“ „Ja, ein kleiner Ausgleich für die durchwachte Nacht, die ich vorgestern hier im Revier verbracht habe.“ „Ich habe davon gehört. Du hast mit Takagi 20 Minuten lang den Zeugen verhört und dann habt ihr den Rest der Nacht zusammen mit den Jungs von der Streife Mahjongg gespielt, oder?“ „Naja, nach 20 Minuten hat der Kerl zugegeben, dass er es war, der seine Frau getötet hat, was soll man da machen?“ Shinichi verdrehte scherzhaft die Augen. „Und außerdem wird mein Gehalt, anders als Ihres übrigens, trotzdem alle paar Monate erhöht, ganz falsch kann das, was ich mache, also nicht sein, oder?“ „Nun...“ „Wie auch immer. Ich muss jetzt los.“ Kudo klopfte seinem Vorgesetzten freundschaftlich auf die Schulter und rannte dann fröhlich auf die Glastür zu, die ihn in aus dem stickigen Präsidium in die freie Welt entließ. Es sollte das letzte Mal sein, dass der Oberkommissar ihn so ausgelassen erlebte. „Neue schockierende Erkenntnisse im Fall des Würfelkillers.“, proklamierte einer der in die Fassaden eines riesigen Wolkenkratzers eingelassenen Großbildschirme. Kudo wusste, dass das Unsinn war. Es gab keine neuen Erkenntnisse, und wenn, dann würden sie sicherlich nicht direkt an einen Fernsehsender weitergeleitet. Dass sie ihn weiterhin Würfelkiller nannten, bewies, dass auch die Information über die Signatur nicht weitergeleitet worden war. Ein Glück, sonst hätten wir wohl innerhalb einer Nacht zwanzig Nachahmungstäter am Hals. Und dieser Fall ist auch so einer der vertracktesten, die ich hatte, seit die schwarze Organisation nicht mehr ist. Ein Telefonklingeln unterbrach seinen Gedankenfluss. Ohne auf die Absenderkennung zu achten, nahm er den Anruf an und hielt das Gerät an sein Ohr. „Na, wie geht’s dir, Kudo?“ Er erkannte die jugendliche weibliche Stimme, die aus den Lautsprechern drang, sofort. „Hey, Ai.“ Er lachte. „Wie läuft's in der Schule?“ „Hm, ich bin Klassenbeste mit absoluten Bestnoten und“ Sie seufzte kurz amüsiert, sogar fast mädchenhaft. „recht beliebt bei den Herren der Schöpfung. Gut, denke ich.“ Shinichi freute sich wirklich, das zu hören. Er hatte Bedenken gehabt, als sie es nach der Zerschlagung der Organisation, die sie so lange um ihren Schlaf gebracht hatte, abgelehnt hatte, das von ihr selbst entwickelte Gegengift gegen das APTX 4869 zu nehmen. Neun Jahre war das nun her. Doch im Laufe der Zeit waren diese Bedenken kleiner geworden und die neuerliche Entwicklung zeigte eindeutig, dass es gut gewesen war, Ai ihre Kindheit nachholen zu lassen. „Das ist schön zu hören.“ Der Inspektor musste lächeln. „Sieht aus, als hätten wir beiden rastlosen Seelen endlich unseren Frieden gefunden, nicht wahr?“ Sie stieß einen weiteren amüsierten Seufzer aus, aber ihm war klar, dass sie sich am anderen Ende des Hörers ein Lachen verkniff. „Allerdings. Und der gute Mitsuhiko bemüht sich wirklich um mich – vielleicht sollte ich ihm eine Chance geben?“ „Das solltest du wohl. Jetzt, wo du endlich über mich hinweg bist.“, gab er belustigt zurück. „Ich versteh' immer noch nicht, wie ich mich in einen wie dich verlieben konnte.“ „Mh, entweder war es mein gutes Aussehen, mein unwiderstehlicher Charme, mein atemberaubender Intellekt oder mein - “ Ein lauter Piepton machte ihm klar, dass seine gute Freundin und ehemalige Partnerin aufgelegt hatte. Verdutzt betrachtete er das Display seines Smartphones. „Was sollte das denn jetzt?“, murmelte er zu sich selbst. „Auch gut, unterhalte ich mich halt mit Frauen, die mich verdient haben.“ Fröhlich pfeifend betrat er einen Blumenladen. Seine Laune rechtfertigte ein Mitbringsel und über einen Strauß roter Rosen würde sich Ran sicherlich freuen. Vielleicht sogar so sehr freuen, dass sie seine Bemühungen mit unmoralischen Gegenleistungen entlohnen würde. Konnte dieser Tag noch besser werden? Irgendetwas stimmte nicht. Das war im sofort klar, kaum, dass er vor Villa stand, in der er und Ran gemeinsam lebten. Er konnte nicht seinen Finger darauf legen, doch etwas war nicht in Ordnung. Es war, als würde der Hauch des Todes durch die Luft wehen. Etwas nervös schloss er die Tür auf. „Schatz?“ Die Frage hallte unbeantwortet in ihrem großen und verschwenderisch eingerichteten Flur wieder. Er legte die Schlüssel auf die Kommode und befestigte seinen Mantel an der Garderobe. „Schatz?“, rief er, diesmal etwas lauter. Keine Antwort. Irritiert ging er die Treppe hinauf und rief ein drittes Mal. Wieder keine Antwort. Hastig durchsuchte er alle Räume des Obergeschosses. Er fand sie nicht. Also doch unten? Er ging wieder in den Hausflur und sah sich um. Auf der Kommode lag nur ein Schlüsselbund. Seiner. Aber Ran legte ihre Schlüssel auch immer dorthin. In seinem Körper staute sich mehr und mehr die Unruhe. Nagte an ihm, wie eine Ratte an einem Stück Käse. „Schatz, bitte lass die Spielchen und komm raus.“, sagte er, doch auch dieses hoffnungsvolle Flehen wurde überhört. Ein leises Sirren drang an sein Ohr. Er konnte es zunächst nicht zuordnen, doch dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Es war das Geräusch von Fliegen. Und es kaum aus dem Wohnzimmer. Ihm, der schon viele Leichen aufgefunden hatte, war die Bedeutung dieses Anzeichens sofort klar. Oh Gott. Bitte nicht. Er stürmte zum Wohnzimmer am Ende des Flurs, riss die Tür auf und fand – nichts. Lediglich ein Stuhl war umgekippt. Kudo betrat den Raum und ging auf den Stuhl zu. Als er neben dem Stuhl stand, zuckte er zusammen. Seine Augen weiteten sich. Sein Mund öffnete sich zum Schrei, doch keine Silbe kam über seine Lippen. Seine Frau, die er vor fünf Jahren im jungen Alter von 20 geheiratet hatte, lag dort, die Arme weit von sich gestreckt. Die Augen weit aufgerissen, so wie seine. Der Mund geöffnet, so wie seiner. In ihr war innerlich etwas gestorben, so wie bei ihm. Doch ein Unterschied bestand: Das rote Loch in ihrer Stirn, aus dem konstant rote Suppe tropfte. „Ran.“, war das erste was über seine Lippen kam. Ein Name, gleichzeitig passend und vollkommen unpassend. In dieser gefesselten Leiche steckte nichts mehr von ihr. Er stürzte zu ihr, scheuchte ein paar Fliegen auf, die sich gerade ihrer Mahlzeit gewidmet hatten und fühlte ihren Puls, obwohl es lächerlich war. Langsam entfernte er seine Finger. Er fing an, am ganzen Körper zu zittern. Tränen schossen aus seinen Augen. Seine Muskeln verloren ihre Kraft. Sein ganzer Körper verlor seine Kraft. Er stürzte zu Boden. „RAAAAAAAN!“ Er weinte und schrie, er lachte und zeterte, er schlug mit seinen Fäusten auf den Boden und trat mit seinen Füßen um sich, doch nichts vermochte den dämonischen und vollkommen abstrusen Gedanken, dass seine Frau gestorben sein könnte, aus seinem Hirn zu vertreiben. In seiner Verzweiflung entdeckte er die kleine Signatur, die er teilweise mit seiner Hand verdeckte, nicht einmal. Az-zahr, verkündete sie in geschwungenen roten Lettern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)