Retinnio von Hyoura (Klingend) ================================================================================ Kapitel 3: Nächtlicher Besuch ----------------------------- Auch wenn er beileibe kein Angsthase war, fand er das leerstehende Gasthaus in Addition zu einem merkwürdigen, unbekannten, eventuell gewalttätigem Etwas außerhalb besagten Gasthauses doch sehr beunruhigend. Der Fakt, dass seine Begleitperson – nicht zu verwechseln mit der Bezeichnung 'Begleitschutz', was ja die eigentliche Intention gewesen war – ein erfahrener und durchaus fähiger Bee war, trug nicht unbedingt zur Linderung des Beunruhigungsgefühles bei. Zumal besagter Bee gerade schlief. Was jeder noch so unfähige Quacksalber ihm verschrieben hätte. Er hatte ja schon furchtbar ausgesehen, als er in Herrn Moritz' Büro getreten war und die Reise hatte ihm alles andere als gut getan. Thunderland ertappte sich selber dabei, wie er den schlafenden Lloyd mit leichter Besorgnis musterte. Der Leiter des Bienenstocks ließ seine Leute mal wieder im Akkord schuften. Und anschließend wurde sich gewundert, weshalb plötzlich die halbe Belegschaft den Krankenflügel, der unglücklicherweise unter anderem Thunderland unterstand, belagerte. Jedes kleine Kind hätte den werten Herren Vorsitzenden attestieren können, dass Stress und hohe Belastung das Immunsystem immens schwächten und anfällig für jegliche Art von Infektionen machte. Typisch für solche hohen Leute, die weniger die Leute dafür mehr die Zahlen der gelieferten Briefe sahen. Sie mussten ja auch nicht dafür sorgen, dass die ganzen Kranken gepflegt wurden und irgendwelche Medikamente in Massenproduktionen hergestellt wurden. In dem Moment hörte er, wie unten Holz auf Holz krachte. Sofort war er hellwach. Das unmissverständliche, dumpfe Geräusch von Füßen, die die Treppe hinaufstiegen, übertönte sogar das schiefe Heulen des Windes. „Lloyd!“, zischte er und rüttelte an seinem schlafenden Kollegen. „Nngh... lass mich...“ Unwirsch drehte der Bee sich auf die Seite. Die Schritte erreichten den oberen Absatz der Treppe. „Lloyd! Verdammt noch mal!“ Thunderland packte den Halbschlafenden am Schlafittchen und zog ihn hoch. „Da. Ist. Jemand. Im. Flur.“ Lloyd blinzelte kurz, dann schien das, was Thunderland ihm da so leise wie möglich zu wisperte, zu ihm durchzusickern. Thunderland ließ ihn los und der Bee schnappte sich sein Shindan-juu und die Brille vom Nachttisch. Der Arzt zog seine eigene Pistole von dem Hüftgurt und beide lauschten angestrengt, bemüht kein Geräusch zu machen, in die erdrückende Stille. Und nur Stille antwortete ihnen. Thunderland wurde langsam ungeduldig. Hatte er sich die Schritte nur eingebildet? Da ertönte ein Knarzen, dieses Mal direkt vor ihrer Tür. Er tauschte kurz Blicke mit Lloyd. Dieser bewegte stumm die Lippen. Tür. Thunderland nickte und schlich sich zum einzigen Ausgang aus dem Zimmer, vorsichtig, um nicht wohlmöglich auf knarzende Bretter zu treten. Er drückte sich an die Wand links von der Tür. Beide warteten. Die Tür flog auf und schlug mit einem Krachen gegen die rechte Wand. Blitzschnell folgte der aufspringenden Tür ein dunkler, menschenförmiger Schatten, doch darauf war Thunderland vorbereitet gewesen. Mit einem flinken Griff bekam er den Eindringling an der Schulter zu fassen und schmiss ihn zu Boden. Largo schnellte nach vorne und packte die beiden wild um sich schlagenden Arme während Thunderland die entsicherte Pistole auf seinen Kopf richtete. „Nicht schießen!“, rief eine erheblich gedämpfte Stimme. Was vermutlich daran lag, dass Thunderland den Sprecher gerade mit dem Gesicht zuerst in die Dielen drückte. „Solange du keine Faxen machst, passiert dir schon nichts“, knurrte Thunderland. Daraufhin wurde es still und der Arzt nahm sich Zeit, ihren 'Fang' zu begutachten. Von der Rückseite und der Stimme her sah der Eindringling auf alle Fälle schon einmal sehr menschlich aus, was aber nicht unbedingt Anlass zur Beruhigung war. Gekleidet war der hoffentlich-Mensch in einen den Witterungen entsprechenden Mantel und eine einfache Hose in Kombination mit einem Paar Schneestiefeln. Largo hatte ihm derweil die Waffe aus der linken Hand gewendet und betrachtete sie nun mit mildem Interesse. Es war eine kunstvoll verzierte Pistole mit einem Griff aus Mahagoniholz. Auch wenn Thunderland sich nicht sehr mit Waffen auskannte, man sah dem Gegenstand auf den ersten Blick an, dass der Käufer dafür einige Beutel Münzen auf dem Tresen hinterlassen hatte. Trotz allem hatte der Zahn der Zeit wohl doch schon etwas an ihr genagt und Schrammen und Flecken auf Holz und Metall hinterlassen. „Hallo?“, fragte die Stimme von unten. „Wenn ihr nichts mit mir macht, könntet ihr mich dann bitte loslassen? Der Fußboden ist sehr unbequem...“ „Wer bist du?“, fragte Largo frei heraus. Ein gedämpftes Stöhnen. „Mein Name ist Musica Canor, falls ihr es unbedingt wissen wollt.“ „Und weshalb schleichst du hier um das Haus herum und greifst uns an?“ „Ich habe niemanden angegriffen!“, kam es empört von unten. „Ihr seid es doch, die meinen, unschuldige Leute auf den Boden zu pressen! Ich habe nur nach einem warmen Bett in dieser Herberge gesucht.“ Largo und Thunderland tauschten ratlose Blicke. „Und wegen deinem Job als Bee und seinem als Arzt müsst ihr also zum Briefe liefern und Leute heilen nach Heban?“ Sie saßen an einem der Tische in der Wirtschaft, Largo und Thunderland an der einen und Musica mit seinem Gepäckhaufen an der anderen Seite. Die beiden Männer aus dem Beehive nickten. Geräuschvoll schlürfte Musica seinen Löffel Ekelsuppe leer. „Das Zeug ist echt lecker, wisst ihr das?“ „Äh, ja...“ Largo behagte dieser Typ überhaupt nicht. Das lag nicht an seinem recht umgänglichen Wesen oder dem leichten Lächeln, das irgendwie ständig an seinen Lippen klebte. Nicht an dem jugendlichen Gesicht mit den unschuldig dreinblickenden, rehbraunen Augen, umrahmt von schmutzigem blonden Haar, das lang genug war, dass der daraus geflochtene Zopf mehr als schulterlang war. Oder dass er ihnen im Auszug gegen etwas zu essen den 'Überfall' im Schlafzimmer bereitwillig verziehen hatte. Es lag viel mehr daran, dass er es schaffte, drei Konserven zu leeren, ohne sich dabei zu übergeben. Und zu allem Überfluss schien ihm die Brühe auch noch zu schmecken. Der konnte ja nur böse sein. „Also, genug von uns“, sagte Thunderland, der bisher weitestgehend das Gespräch geführt hatte. „Was ist mit dir?“ Musica wischte sich gesättigt mit der linken Hand die Suppenreste von dem Mundwinkel. „Da gibt es eigentlich nicht viel zu erzählen... Ich bin ein Musiker aus einer kleinen Stadt im Westen von Yuusari...“ „Musiker? Was spielst du?“, fragte Largo. Musicas Augen leuchteten auf. „Violine. Hier, ich zeige sie euch.“ Mit einer Handbewegung wurden die leeren Dosen beiseite geschoben und er hievte einen länglichen Kasten auf den Tisch. Mit einer Hand fummelte er an seinem Hals herum, dann zog er eine unscheinbare Kette hervor, die Schnur ein Lederband und als Anhänger ein kleiner, goldener Schlüssel. Er klippte den Anhänger ab und steckte den Schlüssel in ein Schloss, das man an dem Kasten angebracht hatte. Ein Klicken, und das Schloss war offen. Vorsichtig hob Musica den Kofferdeckel an und drehte den Koffer so herum, dass Thunderland und Lloyd den Inhalt sehen konnten. „Darf ich vorstellen, das ist Phienna!“ Eingebetet in dunklem Tuch, lag eine aus dunklem Holz gefertigte Violine. Largo kannte sich nicht sonderlich mit Instrumenten aus, insofern erschien das Instrument ihm wie jede andere Geige, die er gesehen hatte. Deren Zahl er an einer Hand abzählen konnte. Er zog eine Augenbraue hoch. „Du hast der Geige einen Namen gegeben?“ Leicht zärtlich strich Musica über das blank polierte Holz. „Nicht direkt. Die Geige gehörte früher meiner Mutter, aber nachdem sie sich bei der Arbeit zwei Finger der linken Hand gebrochen hat, konnte sie nicht mehr spielen und hat Phienna an mich weitervererbt. Sie war es auch, die mich das Spielen gelehrt hat.“ „Und was treibt dich dann hier in diese Gegend?“ Musica grinste vergnügt. „Ich bin auch auf dem Weg nach Heban, genau wie ihr.“ „Ist das nicht etwas gefährlich, allein zu reisen?“ Der Violonist zuckt mit den Schultern. „Bisher wurde ich noch nicht umgebracht.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)