Die Realität ist immer noch grausam von Shoot_the_puppy (written by crazypark & mir) ================================================================================ Kapitel 4: Koexistenz mit Folgen -------------------------------- Kapitel 4 Großes Sorry, dass es diesmal etwas länger gedauert hat. Irgendwie haben wir den Upload total verdrängt XD … Vielen, vielen Dank auch für die tollen Kommentare :D Wir sind immer ganz aus dem Häuschen deswegen ^^ Viel Spaß beim lesen *** Koexistenz mit Folgen Tim Seit dem Wochenende der Einweihungsfeier waren zwei Wochen vergangen und das war so ziemlich das letzte Mal, dass ich Daniel länger als drei Stunden am Stück zu Gesicht bekommen hatte. Heute war Freitag und die letzte Vorlesung war gerade eben zu Ende gegangen. Und ich war mit den Nerven am Ende. Ich konnte von Glück reden, dass mir Sarah und Lukas des öfteren Gesellschaft geleistet hatten, sonst wäre ich wohl durchgedreht. Daniels Ausflüchte ála Gruppenarbeiten kaufte ich ihm keinen Meter ab und mittlerweile wollte ich sie auch gar nicht mehr hören. Auch wenn ich wusste, dass es auf Dauer nicht gut war, schaltete ich auf „Ignoriermodus“. Ich hatte keinen Bock, das alles an mich heran kommen zu lassen. Viel lieber ging ich mit meinen neuen Freunden einen heben und verdrängte unsere Beziehungsprobleme. „20 Uhr Saufen bei mir?“, fragte Sarah zur Sicherheit noch einmal nach. „Na logen.“ Was sollte ich auch sonst an einem Freitagabend machen? Daniel war ja eh nie zu Hause, ging selten an sein Handy und schien sich lieber mit allem anderen zu vergnügen, nur nicht mit mir. Und ich sah gar nicht ein, dass immer ich derjenige war, der ihn daran erinnerte, dass wir eine Beziehung führen. Wie erwartet war er nicht in unserer Wohnung anzutreffen und dies änderte sich auch nicht, bis ich mich auf den Weg zu Sarahs WG machte. Besagte Frau wohnte mit zwei Informatikstudenten zusammen, die sich wenig am Haushalt beteiligten, dafür aber umso mehr an den Partys, die in regelmäßigen Abständen abgehalten wurden. „Ich hab deinen geliebten Licheewein mitgebracht“, grinste ich sie an, als sie mir die Tür öffnete und hielt ihr die Flasche vor die Nase. „Auf dich ist eben Verlass“, freute sie sich und ließ mich eintreten. „Wer kommt heute alles?“, fragte ich, während ich mir meine Jacke und Schuhe auszog. „Ein paar Nerds von Toms und Patricks Kursen und Lukas.“ „Kleine Runde also.“ „Jepp, wir haben vor, Sinnlos im Weltraum zu gucken und vielleicht noch ein paar andere dämliche Youtube-Videos.“ Das klang nach einem gediegenen Abend ganz nach meinem Geschmack. Keine 10 Minuten später war Lukas auch eingetroffen und hielt mir lächelnd Vodka und Cola hin. „Mixt du mir wieder was?“ Da war aber jemand auf den Geschmack gekommen. „Klar“, stimmte ich zu und ging an meine Aufgabe. „Was machst du unter der Woche eigentlich immer?“, fragte er mich, nachdem wir angestoßen hatten. „Mir deine Freundin ausborgen“, grinste ich. „Cool, gleiches gilt für mich und deinen Mitbewohner.“ „Wie jetzt?“, fragte ich, als mein Hirn diese Information verarbeitet hatte. Meine Gesichtszüge entgleisten wohl gerade aufs Übelste. „Wir sind zusammen im Medienseminar und arbeiten immer in einer Gruppe.“ „Was?“, krächzte ich geschockt. „Hat er dir das nicht erzählt?“ „Nee“, murmelte ich und musste mich erst mal setzen. Dass er mir etwas verschweigt, wusste ich ja schon vorher. Ich konnte nur hoffen, dass es bei dieser einen Sache blieb. Kein Wunder, dass er kaum Zeit hatte, wenn er sich noch extra Kurse aufhalste. Denn Medien standen bei seinem Wirtschaftsstudium normalerweise nicht auf dem Programm. „Na ja, ist ja auch nicht so wichtig, oder?“, fragte er ahnungslos. Man, wenn der wüsste. Ich konnte mich daraufhin eigentlich nur noch besaufen. Und das hatte ich ja ohnehin vorgehabt. Ich brummte etwas undefinierbares als Antwort und kippte mir dann mein Bier hinter. Ich brauchte dringend etwas Starkes. Eine halbe Stunde später waren wir komplett und zogen uns bekloppte Videos rein. Lukas saß neben mir und wir soffen zusammen um die Wette. Ich, weil ich Frust hatte und Lukas wohl, weil er mithalten wollte oder so. „Wollt ihr die Flasche heute noch leer kriegen?“, fragte Sarah skeptisch und deutete auf den Vodka, der schon beträchtlich abgenommen hatte. „Wir bemühen uns“, lallte Lukas freudig. Meine Güte, hatte der schon wieder einen sitzen. Ich konnte von Glück reden, halber Ukrainer zu sein. Vodka war für mich wie Wasser und hatte ein dementsprechend harmlosere Wirkung als für die meisten Deutschen. Nichtsdestotrotz spürte ich die Folgen und genau das war ja auch beabsichtigt. Leider hielt es mich nicht von Grübeleien ab, wie ich mir erhofft hatte. Irgendwann hatten wir die Flasche tatsächlich noch alle gekriegt und ich war doch gut dabei. Ich verabschiedete mich von allen, die noch weiter Party machen wollten, schließlich musste ich morgen arbeiten. Nur Lukas begleitete mich zur Straßenbahn, der ebenfalls genug hatte. Seinem Schwanken nach zu urteilen, hätte er wohl schon vor zehn Gläsern aufhören sollen. „Was machst'n du morgen?“, nuschelte es neben mir, sodass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen. „Arbeiten und dann mal sehen, wieso?“ „Du könntest mich ja mal besuchen und dann zocken wir 'ne Runde oder so.“ „Ich kann dir nix versprechen, aber ich denk' drüber nach okay?“ Eigentlich hatte ich morgen vorgehabt, mal wieder Zeit mit Daniel zu verbringen. Obwohl mir die Lust darauf vergangen war, seit ich wusste, dass er mir schon wieder wichtige Sachen vorenthielt. Wir tauschten noch Handynummern aus für den Fall der Fälle und begaben uns dann in unsere Bahnen. In der Wohnung war alles ruhig, als ich ankam. Keinen Plan, ob Daniel anwesend war oder nicht. Ich wollte nur noch ins Bett und begab mich auch auf direktem Wege in mein Zimmer. Heute wollte ich mich definitiv nicht mehr mit meinem Freund beschäftigen, das wäre sonst nicht gut ausgegangen. Samstag kam wie immer zu früh und unangenehm. Ich hätte wohl doch nicht darauf bestehen sollen, den Vodka zu killen. Mit dem Pelz auf der Zunge und dem Hämmern im Kopf würde es ein lustiger Arbeitstag werden. Aber mit einer halben Schachtel Schmerztabletten und einigen Tassen Kaffee intus würde ich das schon überstehen. Ich schlurfte in die Küche, um meine Pläne in die Tat umzusetzen und sah eine benutzte Tasse in der Spüle stehen. Offensichtlich war mein werter Herr Mitbewohner bereits unterwegs zu seinem Training oder was auch immer. Gott, ich war derzeit wieder in richtiger Leck-Mich-Am-Arsch-Stimmung und es war mir total egal. Irgendwie überstand ich die 7 Stunden Arbeit mehr oder weniger lebendig. Meine Kollegen schenkten mir den ein oder anderen besorgten Blick, den ich aber gekonnt ignorierte. Darin war ich inzwischen eh ein Meister geworden. Wieder zu Hause angekommen fehlte von Daniel weiterhin jede Spur. Ich gönnte mir eine Pizza als Mahlzeit, denn auf Kochen hatte ich heute sicher keine Lust mehr. Gegen 20 Uhr ging ich dann pennen. Mein Freund war nicht aufgetaucht und ich hatte extremen Schlafmangel seit gestern. So schlecht gelaunt wie ich war, erstaunte es mich wirklich, dass ich innerhalb von Minuten eingeschlafen war. Der nächste Morgen startete nicht besser für mich. Ich krauchte motivationslos aus meinem Bett und wünschte mir, dass ich niemanden begegnen würde, während ich mir meinen Kaffee zubereitete. Weiß Gott, was mit mir geschehen war, aber ich hatte nicht die geringste Lust, meiner Liebe gegenüber zu treten. Ich war scheinbar zu einem Arschloch mutiert, dass mich das alles peripher tangierte. Aber nach jahrelangem Daniel-Einfluss war das vielleicht nicht einmal verwunderlich. Als ich so in unserer Küche saß und vergeblich darauf wartete, dass mein sogenannter Freund mir Gesellschaft leistete, kam mir der Gedanke, Lukas' Vorschlag anzunehmen, immer verlockender vor. Und als sich auch nach einer Stunde Wartezeit nichts rührte, rief ich meinen Samariter an. „Hey, steht dein Angebot zum Zocken noch?“ „Klar“, ertönte es erfreut am anderen Ende der Leitung. „Gib mir nur 20 Minuten und alles steht bereit.“ „Wunderbar“, meinte ich, „dann mach ich mich auf den Weg.“ Gesagt, getan – eine halbe Stunde später klingelte ich tatsächlich an Lukas' Tür und eben dieser öffnete mir mit einem strahlenden Lächeln seinen Verschlag. „Komm rein“, meinte er und trat zur Seite. Ich hatte keine Ahnung, wann sich das letzte Mal jemand so über meine Gesellschaft gefreut hatte, aber ich konnte nicht leugnen, dass es meine Laune besserte. „Hast du gut her gefunden?“, fragte er, als er mir seine kleine Ein-Zimmer-Wohnung zeigte. „Klar, wieso nicht?“ „Ist ja für ein Dorfkind nicht so leicht“, lachte er unverschämt. Kaum war er allein mit mir, wurde er aufmüpfig oder was? „Ey, werd' ja nicht frech.“ „Sonst was?“ „Hol ich meine Mistgabel vom Bauernhof.“ „Oh verdammt. Kann ich es mit Essen wieder gutmachen?“ Wie auf Kommando meldete sich mein Magen, um mich zu erinnern, dass ich ihn heute noch nicht ausreichend versorgt hatte. „Kann ich das Angebot gleich einlösen?“, grinste ich schief. Glücklicherweise konnte ich das, denn Lukas lotste mich sogleich in seine Küche und platzierte mich auf einen der zwei Stühle. Es war ein sehr angenehmes Gefühl, auch mal wieder bedient zu werden. „Lust auf Auflauf?“ „Sag bloß, du kannst kochen.“ „Na ja, ich nicht, aber der Backofen kann es ganz gut.“ So langsam aber sicher wurde mir der Junge immer sympathischer. Bislang hatte ich immer den Eindruck gehabt, dass er nicht er selbst war und auch sonst liefen unsere Gespräche etwas krampfig ab. Aber offenbar hatte er nur eine Weile gebraucht, um aufzutauen. Nachdem wir unsere Bäuche gefüllt hatten, vertrieben wir uns die Zeit wie abgemacht mit Zocken. Wir waren gerade mittendrin, als mein Handy sich zu Wort meldete. Es war eine SMS von Daniel mit der Frage, wann ich nach Hause kommen würde. War ihm also wieder eingefallen, dass es noch jemand anderen als ihn in seinem Leben gab. Einerseits wünschte ich ihn gerade zum Teufel, aber andererseits hatte ich ihn so lange nicht gesehen und ich vermisste ihn ja auch. „Ich glaub, ich mach mich gleich nach Hause.“ „Schon? Du bist doch kaum erst angekommen.“ 'Kaum erst' war eine dezente Untertreibung für knapp drei Stunden. „Daniel ruft nach mir.“ „Ach komm schon, bleib doch noch. Deinen Mitbewohner siehst du doch ständig.“ Diese Aussage war ja an und für sich logisch, zumindest im Normalfall, aber was war bei meinem Freund und mir schon normal? Ich erwähnte mal lieber nicht, dass ich Lukas mittlerweile öfter sah als Daniel. So weit war er noch nicht aufgestiegen, dass ich mit ihm solche privaten Dinge besprach. Dieser sah mich gerade aus großen Augen an. Den Hundeblick hatte er wirklich drauf. „Also gut“, willigte ich ein und schrieb eine kurze Nachricht zurück, dass es später werden könnte. „Aber nicht mehr allzu lange.“ Aus diesem Vorsatz wurde irgendwie nichts, weil wir uns fest gespielt hatten und als ich das nächste Mal auf die Uhr sah, war bereits die letzte Bahn gefahren. Verdammter Mist! So war das nun wirklich nicht geplant gewesen. Andererseits war es vielleicht gar nicht so schlecht, wenn Daniel mal merkte, wie es war, wenn man vergeblich auf jemanden wartete. „Was machen wir jetzt?“, fragte ich ratlos. „Du kannst ruhig bei mir pennen“, bot mir Lukas an. „Und wo bitte?“ Ich fand, das war eine berechtigte Frage, da er mit einem Bett und dem winzigen Sofa keine wirkliche Übernachtungsmöglichkeiten bot. „Ich hab noch einen Schlafsack, dann könnte ich auf dem Boden schlafen.“ „Kommt gar nicht in die Tüte. Ist ja schließlich meine Schuld, dass ich mich bei dir einquartiere.“ „Aber ohne mein Drängen wäre es nicht dazu gekommen.“ Oh man, der Junge war eindeutig zu nett für diese Welt. „Wir könnten aber auch...also, wenn's dir nix ausmacht...ähm, in meinem Bett pennen...breit genug ist es ja.“ Nachdem ich einen prüfenden Blick darauf geworfen hatte, stellte ich fest, dass er recht hatte und stimmte kurzerhand zu. „Man, du hast echt was gut bei mir“, lächelte ich ihn an. „Ich hoffe mal, du trittst mich nicht im Schlaf.“ Daniel hatte manchmal diese Anwandlungen, mir mitten in der Nacht seinen Arm auf meine Nase zu brettern. „Ich werde mich bemühen.“ Tatsächlich bekam ich weder gezielte Schläge oder Tritte in der Nacht, worüber ich sehr froh war. Allerdings wurde ich zeitig aus den Federn geschmissen. Lukas musste bald zur Uni und ich sollte vielleicht auch mal wieder nach Hause fahren. „Trinkst du Kaffee?“, fragte er, während er sich Schlabberklamotten anzog. „Jau“, krächzte ich und versuchte, mich aus dem Bett hervorzuwühlen. Lukas Lachen nach zu urteilen, standen meine Haare wohl wieder in alle Richtungen ab. „Im Bad liegt ein Kamm“, zwinkerte er mir zu, bevor er aus dem Raum verschwand. Nachdem ich mich halbwegs in ein sozialfähiges Wesen zurückverwandelt hatte, schlürfte ich gähnend in die Küche. Ich war es nicht gewohnt, mit so wenig Schlaf auszukommen. Ganz im Gegensatz zu Lukas, denn dieser summte fröhlich ein Lied vor sich hin und schien nicht im geringsten müde zu sein. „Ich hab nicht viel zu Essen da“, meinte er zerknirscht, worauf ich nur abwinkte. „Toast und irgendwas drauf tut es allemal“, nuschelte ich zur Antwort und bekam, was ich wollte. „Kein Frühaufsteher, was?“, fragte Lukas grinsend, während er mir Kaffee einschenkte. „Nope“, murmelte ich und hätte meinen Kopf am liebsten auf dem Tisch zum Schlafen abgelegt. Keine halbe Stunde später machte ich mich auf den Weg zu meiner Bude und war inzwischen etwas munterer. War auch dringend von Nöten, wenn ich nicht in die falsche Bahn einsteigen wollte. Daniel war inzwischen wohl auch in der Uni, worüber ich ganz froh war. Er war mit Sicherheit leicht säuerlich und hatte auch allen Grund dazu. Auf dem Handy hatte er sich nicht mehr gemeldet und auch in der Wohnung fand ich keine Haftnotiz von ihm, wie es des öfteren der Fall war. Mit Sicherheit konnte ich mir dafür noch eine Pfeife anbrennen, aber ich hatte ja auch noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen. Daniel So langsam hatte ich keine Lust mehr auf die ganze Scheiße. Es kam in letzter Zeit nicht nur einmal vor, dass ich am überlegen war, nicht einfach alles hinzuschmeißen. Seit zwei Wochen war nicht nur in der Uni die Hölle los. Die Professoren fanden es besonders lustig, uns ihre Arbeit machen zu lassen, indem sie uns in diversen Gruppen einfach dazu zwangen, sich den Stoff selbst beizubringen. Ich fragte mich ernsthaft, warum die alten Säcke so hoch bezahlt waren, wenn sie ja noch nicht mal ihren Job richtig machten. In der Firma meines Vaters sah es gerade nicht besser aus. Sie betreuten zur Zeit ein wichtiges Projekt und da hieß es Überstunden und noch mehr Überstunden. Leider auch für so unwichtige Hilfsarbeiter wie mich. Freitag war der große Abschluss und so sah ich schon freudig meinem ruhigen Wochenende entgegen, das ich am liebsten auf der Couch neben Tim verbringen wollte. Leider war ich zu naiv, zu glauben, dass dies wirklich in Erfüllung gehen könnte. Ich war kaum aus der Uni raus, als die Sekretärin meines Vaters mich schon über das Handy versuchte, zu kontaktieren. Mein werter Erzeuger würde heute den Vertrag mit seinem Geschäftspartnern begießen und mir wurde angetragen, mich schnellstens im Büro einzufinden. Wie ich mich freute. Der Freitag war dann wohl gegessen. Fing ja schon mal klasse an. Dort angekommen wurde mir ein bescheidener Anzug in die Hand gedrückt und ehe ich mich versah, saß ich frisch geschniegelt neben der Elternfront in der BMW Limousine.  Mein Vater erläuterte während der gesamten Fahrt die Vorteile dieser neuen Geschäftsbeziehung, dass es erforderlich wäre, genau jetzt wichtige Kontakte zu knüpfen und ob ich in der Zwischenzeit einmal darüber nachgedacht hätte, bei welchem der langweiligen, oberwichtigen Futzis ich mal ein Praktikum machen wollte. Klar, ich hatte ja so schon nicht genug zu tun. Wozu brauchte man eigentlich so etwas Überflüssiges wie ein Privatleben? Ich biss mir hart auf die Lippe, um diese oder ähnliche Antworten zu unterdrücken. „Müsst ihr immer nur über Arbeit reden?“,beschwerte sich irgendwann zum Glück meine Mutter und das Thema wurde spontan auf Lästereien über irgendwelche Nachbarn gewechselt. Das Restaurant war auf den ersten Blick wie jedes andere, welche meine Eltern bevorzugten. Statt einem ordentlichen Bier gab es nur Martini und Prickelwasser. Ich wollte mich spontan erschießen gehen. An den Portionen aß man sich hungrig und die Themen am Tisch drehten sich zum Großteil um die Entwicklung an der Börse, den Aufstieg Chinas oder ähnlich spannendes Gerede. Die Frauen hielten die Klappe, während ich versuchte, mich in Luft aufzulösen. Leider scheiterte ich daran, denn irgendwann fiel zumindest dem Ältesten der Runde auf, dass ich existierte. Verdammter Mist aber auch. „Und du studierst BWL, mein Junge?“, wandte er direkt das Wort an mich. Er musste schon die 60 weit überschritten haben und hatte irgendwie die Ausstrahlung eines netten Opas von nebenan. Er passte überhaupt nicht in die Runde aus verbissenen Gesichtern.   „Äh ja“, antwortete ich zögerlich und wusste gerade nicht, wie ich mich verhalten sollte. „Vernünftige Wahl. Meine Enkelin redet immer noch davon, unbedingt Popstar werden zu wollen.“ Gestelltes Lachen von allen Seiten folgte. „Die Jugend heutzutage. Wir sind so froh, dass sich Daniel rechtzeitig gefangen hat. Er war nicht immer so einsichtig“, erläuterte mein Vater und ich hatte das Gefühl, meine Jakobsmuschel gleich wieder heraus würgen zu müssen. „Als ob wir in dem Alter anders gewesen wären.“ Der Opa wurde mir irgendwie sympathisch. „Was hast du sonst noch für Hobbies, Junge?“ „Handball“, antwortete ich knapp und konnte es mir gerade noch verkneifen, ein Sir anzuhängen. Fand ich passend zur Situation, aber da wäre ich sicher der Einzige gewesen. „Ein Sportbegeisterter.“ Das Lächeln des alten Mannes schien ehrlich und ich fing augenblicklich an, mich etwas zu entspannen. „Wir haben schon alles versucht, ihm das ausreden, damit er sich voll und ganz auf die wichtige Sachen konzentrieren kann“, seufzte meine Mutter theatralisch, als wäre mein Hobby irgendetwas Gesellschaftsschädigendes. Was war denn bitte an Handball so verwerflich? Wenigstens war ich nicht der Einzige, der dieser Meinung war. „Als ich ein junger Mann war, habe ich sehr viel Fussball gespielt. Irgendwann hatte ich aufgehört und man sieht ja, was es mir gebracht hat.“ Diesmal sprach ein Mann der ungefähr Ende vierzig zu sein schien und klopfte sich lachend auf seinen recht beachtlichen Bauch. „Behalte dir das also lieber bei, Junge. Sonst siehst du irgendwann aus wie ich.“ Wieder gestelltes Gelächter zu dieser grusligen Vorstellung. Die Herren schwelgten nun in ihren Erinnerungen und ich war zumindest vorerst aus dem Verhör entlassen. „…und die Mädchen damals erst. Wie sieht es bei dir aus Daniel? Schon eine Freundin?“ So viel zum Thema. „Nein“, antwortete ich routiniert. Es war immerhin nicht das erste Mal, dass ich auf dieses Thema angesprochen wurde. „Lass dir damit ja Zeit, mein Junge. Zuerst beschweren sich die Frauen, wenn man ihnen nichts bieten kann und dann verdient man das Geld dafür und sie beschweren sich, dass man nie Zeit für sie hat.“ Ich quälte mir ein Lächeln aufs Gesicht und musste plötzlich an Tim denken. Er hatte sich bisher noch nicht wirklich darüber beschwert und ich wusste nicht, ob das nun gut oder schlecht war. Es war weit nach ein Uhr, als ich endlich zu Hause abgesetzt wurde. Tim schien nicht da zu sein, was ich durchaus an einem Freitag nachvollziehen konnte. Ich war auch viel zu müde und zu fertig, um noch auf ihn zu warten. Gähnend schleppte ich mich ins Bett. In wenigen Stunden würde der Wecker mich schon wieder herausjagen. Beim Handball stand morgen Konditionstraining an, was im Grunde nur Nachteile hatte. Zuerst musste man sich zu unchristlichen Zeiten nach draußen quälen, um dann so lange hin und her zu rennen, bis einem die Lunge aus dem Hals hing. Für mich als Raucher war das Ganze eine Tortur und ich wollte gar nicht daran denken. So hieß es für mich halb sechs aus den Federn, schnell mit Kaffee und der ersten Kippe versorgen und sich mental auf diese Qual vorbereiten. Ich wollte Tim lieber nicht um diese Zeit wecken, auch wenn ich zu gerne wenigstens einmal zwei Wörter mit ihm gewechselt hätte. Von anderen Dingen mal abgesehen. Dafür brauchte ich wenigstens kein beschissenes Konditionstraining. Gegen 12 Uhr war das Training vorbei. Meine Beine zitterten noch immer, während meine Lunge schon nach dem ersten Lauf kollabiert war. Ein schönes Gefühl, wenn der Schmerz nachließ. Völlig fertig mit der Welt trabte ich aus der Sporthalle und blickte in ein Gesicht, auf welches ich heute mehr als nur gern verzichtet hätte. „Hallo Daniel.“ „Felix“, murmelte ich leise und versuchte, schon mal den schnellsten Fluchtweg zu analysieren. Seine Anwesenheit bedeutete nie etwas Gutes und ich sollte mich auch dieses Mal nicht täuschen. „Ich darf mal wieder deinen Fahrer spielen.“ Welch eine Freude. Gab es ja schon lange nicht mehr, nachdem der Hilfsgehilfe der Elternfront in ihrer Gunst eine Stufe aufgestiegen war. „Ich schaffe es gerade so zu Fuß heim“, erwiderte ich kühl und wollte eigentlich auch schon los. „Es geht leider nicht dort hin.“ „Wohin dann?“ „Steig ein, dann sag ich es dir. Wir sind schon spät dran.“ Schnell öffnete er die Beifahrertür und sah mich auffordernd an. „Und was ist, wenn ich mich weigere?“ „Werde ich wieder degradiert und darf dich noch mehr nerven,“ Ich hasste diesen Typen. Genervt ließ ich mich also auf dem Ledersitz nieder und schon ging die Fahrt los. „Also, wo geht es jetzt hin?.“ „Golf Ressort.“ Ich blickte Felix an wie ein überfahrenes Meerschweinchen. „Nicht dein Ernst.“ „Oh doch. Ich freue mich schon auf dein Handicap“ Ich war so was von im Arsch. Nicht nur wegen meines mangelnden Talents auf dem Rasen, sondern auch, weil ich gerade vorgehabt hatte, Tim über mein Leid zu informieren, aber entsetzt feststellen musste, dass mein Akku wohl leer war. So eine Kacke aber auch. Ich kannte nicht einmal seine Nummer auswendig. Festnetz hatten wir natürlich damals für überflüssig gehalten. Sehr schön. Der Golfplatz war abstoßend wie jeder andere. Überall nur grün, egal wo man hinsah. Ein Paradies für Allergiker. Vielleicht sollte ich spontan eine Allergie vortäuschen, um dieser Hölle zu entkommen. Wenigstens zwang mich bisher keiner, in diese hässlichen Klamotten zu schlüpfen, auch wenn ich mit meiner ausgewaschenen Jeans und dem schwarzen Vans Shirt mehr als nur einmal schief angeschaut wurde. Da wir ja, wie bereits von Felix erwähnt, etwas verspätet waren, wurden wir direkt zu dem dritten Loch gefahren, an denen sich die Herrschaften tummelten. Ich erkannte den Opa von gestern sowie seine Frau. Neben ihnen rannte eine aufgetakelte Blondine herum, welche von weitem erschreckende Ähnlichkeit mit Annika hatte. Lag sicher an der vielen Schminke. Wenn man sich so sein Gesicht einbetonierte, war es kein Wunder, dass die alle gleich aussahen. Neben ihnen befanden sich meine Eltern und der Stellvertreter meines Vaters. „Daniel, da bist du ja endlich“, wurde sich mehr oder weniger freundlich von meiner Mutter begrüßt, welche mich nicht gerade sanft in die Mitte der Meute schleifte. Mein Vater war soeben bei seinem Abschlag und ignorierte mich gekonnt, weil er sich ja ach so stark konzentrieren musste. Im übrigen hatte ich mein Talent für Golf von ihm geerbt. Daher war es auch kein Wunder, dass er den Ball in der Sandbank versenkte. Ich musste schwerlich meine aufkeimende Schadenfreude verbergen. „Hallo, mein Junge. Leider seid ihr zu spät, um noch mitspielen zu können“, begrüßte mich nun auch Opa. Ja, welch Unglück aber auch. Schnell sagte ich freundlich seiner Frau hallo, als mir auch schon dieses überschminkte Monster vor die Nase gesetzt wurde. „Das ist meine Enkelin. Ich hatte gestern von ihr erzählt. Gislinde, das ist Daniel.“ Abschätzig wurde ich von oben bis unten gemustert. „Isabella Gislinde III.“, kam es nasal von ihr und ich biss mir mal wieder auf die Lippe, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. „Ich fürchte einfach nur Daniel und der Erste, denke ich zumindest,“ antwortete ich weniger schnippisch, als ich eigentlich wollte und fühlte die Blicke sämtlicher „Erwachsener“ auf mir. Also rang ich mir noch ein charmantes Lächeln ab. Sie schaffte es tatsächlich, unter der Tonnenschicht zu erröten und senkte brav den Blick. Die Herrschaften waren entzückt und ich kurz davor, auf den englischen Rasen zu kotzen. Nach der schier endlosen Party ging es in die Raucherlounge zu Whisky und Zigarren. Natürlich wurde mein Vater aufgefordert, mit seiner Familie doch über Nacht zu bleiben, da er ja schwer nun noch fahren könnte. Als ob der Mensch jemals selbst ein Auto von A nach B befördert hätte. Das Abendbrot war genauso üppig, wie das Dinner gestern und so verabschiedete ich mich mit knurrendem Magen und den enttäuschten Blicken von Gisela oder wie sie auch immer hieß, um mich in dem mir zugewiesenen Zimmer zu verschanzen. Nicht, dass das Weib noch auf dumme Gedanken kam. Ich war heilfroh, als ich Sonntag Vormittag endlich wieder in den eigenen vier Wänden angekommen war. Ich musste leider feststellen, dass Tim scheinbar ausgeflogen war. Schnell hing ich mein Handy an das Ladekabel, packte eine Pizza in den Ofen, damit ich endlich etwas Ordentliches zu essen bekam und schrieb währenddessen meinem Freund eine Nachricht. Klar, war ich von seiner Antwort enttäuscht, aber konnte es ihm auch nicht verübeln. So pflanzte ich mich samt Pizza vor den Rechner und ließ extra meine Zimmertür offen, dass ich auch hörte, wenn er heim kam. Zwischendurch verschob ich noch das allwöchentliche Telefonat mit Luisa. Dafür hatte ich heute wirklich keine Nerven. Gegen zwei Uhr gab ich letztendlich auf. Von Tim fehlte immer noch jede Spur. Später war leider keine definierte Uhrzeit. Leicht säuerlich machte ich mich ins Bett. Soviel zum Thema gediegenes Wochenende zu zweit. Ich hasste Montage. Nicht nur, dass das Wochenende im Grunde völlig für den Arsch gewesen war, nein, es ging genauso beschissen weiter. Da stand man extra mitten in der Nacht auf, um zu der blöden Vorlesung zu trampeln und was war? Der Professor hatte scheinbar selber keine Lust gehabt und der Scheiß fiel nun aus. Klasse, echt. Ich war begeistert. Meine Laune befand sich noch drei Etagen unter dem Tiefpunkt. Gefrustet marschierte ich zuerst in die Mensa, um mir einen der leckeren Spülwasserkaffees zu genehmigen und irgendwie die Zeit totzuschlagen. Heim fahren hätte sich einfach nicht gelohnt. Nach drei von diesen Dingern war ich weder wacher, noch hatte sich meine Laune gebessert. Dafür war mir nun schlecht. Super, es wurde immer besser. Ich machte mich irgendwann zu meinem Medienseminar auf. Ich war der erste im Raum und ebenfalls viel zu zeitig. Löcher in die Luft zu starren mutierte schon zu meinem neuen Hobby. Nach ungefähr zehn Miuten füllte sich der Raum langsam. Eine Gruppe, welche heute ihre Arbeit präsentieren würde, wuselte schon rege vorne an dem Pult herum. Würde ja spannend werden, sich 90 Minuten das Gelaber von inkompetenten Studenten anzuhören, weil der Dozent selber keine Lust hatte. „Hey“, flötete es neben mir definitiv zu fröhlich und ich erblickte das nächste Übel in Form eines strahlenden Lukas. Hatte der ein Uranröhrchen gefressen oder was war da los? Nein, eigentlich wollte ich es nicht wissen. „Wie war dein Wochenende?“, fragte er enthusiastisch, dass ich es langsam mit der Angst zu tun bekam. „Geht dich nichts an“, maulte ich zurück und packte schon mal meinen Block auf den Tisch. „Da hat aber jemand schlechte Laune.“ „Kommt vor.“ „Ist es wegen Tim?“ Hä? Wie er jetzt auf diese Schlussfolgerung kam, möchte ich wirklich gerne wissen. Zum Glück brauchte man diese Labertasche nach nichts zu fragen. Der erzählte einem auch so alles, ob man es nun hören wollte oder nicht. „Sorry, war meine Schuld.“ Okay?! Ich schnappte mir schon mal meinen Bleistift, um diesen demnächst vielleicht als Waffe missbrauchen zu können. Mich interessierte gerade brennend, was Tim mit diesem Deppen zu schaffen hatte. „Scheinbar wusste er gar nicht, dass wir zusammen ein Modul haben. Hat ziemlich erschrocken geschaut.“ Mein Griff um das Stück Holz wurde fester. Was bildete sich dieser Schnösel eigentlich ein, mich zu verpetzen? Wegen diesem Drecksack hatte ich nun ein echtes Problem an der Backe. 'Sorry Tim, ich hab es einfach vergessen, zu erzählen', würde wohl kaum ausreichen. Der Tag war doch echt zum Kotzen. Ich hätte einfach im Bett bleiben sollen. Aber wie hieß es so schön? Schlimmer ging es immer. „Na ja, ist ja auch nicht so wild. Auch sorry, dass ich ihn dir gestern vorenthalten habe, aber ich musste die Gelegenheit einfach nutzen. Das verstehst du doch.“ Der Bleistift war in zwei Hälften und das Gleiche würde sehr bald mit meinem Nachbarn passieren, wenn der noch ein falsches Wörtchen von sich gab. „Welche Gelegenheit?“, zischte ich gefährlich, aber dies schien dem Deppen in seiner heilen, rosa Welt gar nicht aufzufallen. „Ich glaub schon, dass ich eine Chance bei ihm hab, auch wenn du was anderes denkst. Wir haben uns gestern so gut verstanden. Es war toll, so viel Zeit mit ihm zu verbringen und dann hat er auch noch bei übernachtet. Es ist zwar nichts passiert, aber es war ...“ Weiter kam er nicht, da ich schon aufgesprungen war, diesen Sack an seinem Kragen packte und heftig zu mir nach oben zerrte. Geschockt riss er die Augen auf und starrte mich einfach nur an. „Ich sag's dir nur einmal: Lass deine Finger von ihm oder ich vergesse mich wirklich.“ Damit stieß ich ihn wieder zurück auf seinen Stuhl, wohl mit etwas zu viel Schwung, denn dieser kippte samt Lukas einfach nach hinten um. Die Blicke lagen natürlich alle auf uns, aber das war mir im Moment so was von egal. Schnell schnappte ich mir meine Sachen und machte, dass ich vom Acker kam. Wenn ich noch länger mit dem in einem Raum gewesen wäre, hätte ich für nichts mehr garantieren können. Der Tag war einfach nur gelaufen. TBC Feedback? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)