Matter of Madness von Mi-sa-ki (Szayels Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 1: Nahrung ------------------ Ein widerlich klatschendes Geräusch ertönte, als der blutige Körper vor seinen Füßen landete. Schnell wandte er den Blick ab. Doch er hatte bereits gesehen, dass die Brust des Wesens sich noch immer hob und senkte, als würde das Herz dem Körper noch nicht gönnen, zu sterben. Ihm wurde übel. “Iss.” Vor einigen Tagen noch hätte die Stimme leicht auffordernd geklungen. Gestern war sie bittend. Nun jedoch war es ein eindeutiger Befehl. Er schluckte und schüttelte leicht den Kopf. Plötzlich spürte er ein Gewicht im Rücken, er wurde niedergedrückt, bis sein Gesicht dem des nach Luft ringenden Shinigami abartig nahe kam. Schnell schloss er die Augen. Er wollte so etwas nicht sehen, war das so schwer zu verstehen? “Szayel…” Die Stimme wurde ungeduldiger. “Wir haben keine Zeit für deine Spielereien. Sei froh, dass ich dir einen gebracht habe und du ihn nicht auch noch selbst jagen musstest.” “Ich will nicht.” Er klang trotzig, wie ein Kind, das sein Gemüse nicht essen wollte. Er wünschte sich, dass es hierbei wirklich nur um Gemüse gehen würde. “Ist dir klar, wie lange du nichts mehr gegessen hast? Du verhungerst noch.” Das Gewicht in seinem Rücken wurde verstärkt. Nötig gewesen wäre dies nicht, Szayel konnte sich ohnehin kaum wehren. Für einen Adjucha war er unglaublich zerbrechlich und dazu hatte er nicht die geringste Kampferfahrung. Es hätte wahrscheinlich schon gereicht, wenn der andere ihn einfach drohend angesehen hätte. Er hätte sich nicht von der Stelle bewegt. Vorsichtig öffnete er die Augen wieder und blickte direkt in die starren Pupillen des Shinigami vor ihm. Tränen hatten sich inzwischen in dessen Augenwinkeln gesammelt. Die Erkenntnis, dass er als Hollowfutter enden sollte, schien sein Hirn endlich erreicht zu haben. Erneut schüttelte Szayel widerwillig den Kopf. “Gut, du musst ihn nicht essen. Aber dann suche ich dir gleich einen Hollow. Und den wirst du verschlingen, und wenn ich ihn selbst zerrupfen und dir zwischen die Zähne schieben muss.” Diese Drohung wirkte. Schon bei dem Gedanken daran wurde Szayels Körper von einem Zittern überzogen. Er verabscheute es, Shinigami zu essen. Aber noch mehr hasste er den Geschmack seiner eigenen Artgenossen. Er verstand nicht, wie die anderen Hollows aufeinander Jagd machen konnten, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Und sie verstanden nicht, wie er das nicht tun konnte. Denn im Grunde waren sie es, die Recht hatten: Es war in der Tat eine Selbstverständlichkeit Und er war die Ausnahme. Die einzige Ausnahme, wie es schien. Der andere Hollow schien zu merken, dass Resignation sich in ihm breit machte. Er ließ ihn los. Zögernd richtete Szayel sich wieder auf und wandte seinen Kopf zu seinem Begleiter. Sein Blick war eine einzige Anklage, doch der andere schien unberührt. Szayel wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem kleineren Wesen vor sich zu. Es stimmte, er würde verhungern, wenn er nichts aß. Vermutlich als erster Hollow überhaupt. Aber es fiel ihm leichter, den Hunger zu ignorieren als den Ekel. Das einzige, was ihn dazu veranlasste, sich jedes Mal doch zum Essen überreden zu lassen, war der Gedanke daran, dass er mit seinem Tod den einzigen, dem er etwas bedeutete, im Stich lassen würde. Langsam glitt eine seiner Tentakeln auf den Shinigami zu, umwickelte ihn und dann brachte er es schnell hinter sich. Er versuchte, nicht daran zu denken, was er da gerade verschlang. Doch er wusste bereits, dass ihn spätestens dann, wenn er sich zur Ruhe legte, die Gedanken wieder einholen würden. Dann würde er sich fragen, ob der Shinigami nicht vielleicht von viel mehr Freunden und Familienmitgliedern vermisst wurde als er, wenn er starb. Und ob sein eigener Tod nicht dementsprechend verkraftbarer wäre. Doch noch konnte er all diese Überlegungen von sich schieben. Er sah wieder zu dem anderen Adjucha. “Bist du zufrieden, Bruder?” “Natürlich.” Der Angesprochene lächelte. Erkennbar war dies nur an seinen Augen, am restlichen Gesicht ließ sich keinerlei Stimmung ablesen. Es war überzogen von der den Hollows eigenen Maske, geformt wie der Kopf eines Bullen. Auch Szayel lächelte, wenn auch vorsichtiger. So schrecklich seine Taten ihm gerade vorkamen, er hatte sie für Yylfordt begangen. Er hätte alles für ihn getan. “Lass uns zurück gehen. Bevor Verstärkung von Seiten der Shinigami eintrifft.” Szayel wusste, dass sein Bruder selbst keine Angst vor einer möglichen Verstärkung hatte. Im Gegenteil, er legte sich gerne mit anderen an, seien es nun Shinigami oder Hollows. Sie würden sich nun um Szayels Willen zurückziehen, aufgrund seiner Furcht vor Kämpfen und den Konsequenzen. Und er war ihm dankbar dafür. Im nächsten Moment schon klaffte eine riesige schwarze Lücke in der Welt. Der stierähnliche Hollow schritt zuerst durch das Garganta, sein kleinerer Bruder beeilte sich, ihm zu folgen. Erleichtert atmete er auf, als die Wüste sich vor ihnen auffächerte. Es war nicht so, dass er den Sand sonderlich mochte. Doch Hueco Mundo bat genau das, was der Name versprach: Leere. Hier lauerten ebenso Gefahren wie im Diesseits, keine Shinigami zwar, dafür aber wesentlich weiter entwickelte Hollows. Doch war die Gefahr, hier auf einen Feind zu treffen, einfach geringer. Viel Zeit zum Entspannen blieb ihm jedoch nicht, der größere Hollow war schon dabei, sich zu entfernen. “Yylfordt?” “Was ist?” “Bist du nun wütend?” Erst dachte er, sein Brüder würde nur schweigen, doch dann bekam er eine Antwort. “Bin ich nicht. Es ist nur jedes Mal anstrengend. Immer dasselbe mit dir… Kannst du dich nicht ein einziges Mal aufführen wie ein gewöhnlicher Adjucha?” Natürlich konnte er das. Er wollte nur nicht. Und die Gründe dafür hatte er bereits oft genug erläutert. “Dieser Kannibalismus ist eben einfach…” “Wieso Kannibalismus? Du musst keine Hollows essen, auch Shinigami alleine halten dich am Leben.” Nun holte Szayel etwas auf, was anstrengend war, denn die mächtigen Hufe seines Bruders ließen diesen sehr große Schritte machen. “Shinigami sehen aus wie Menschen.” “Wo ist das Problem?” “Wir waren doch auch einmal welche.” Nun blieb Yylfordt zu Szayels Erleichterung doch stehen. Er musterte seinen Bruder von oben herab. “Aber wir erinnern uns nicht mehr daran. Und damit hat sich das.” Er setzte seinen Weg wieder fort, die kurze Verschnaufpause war vorbei. Szayel ließ sich wieder zurückfallen, was jedoch nicht hieß, dass er auch locker lassen würde. “Ob wir uns erinnern oder nicht, das ist doch egal… wir wissen es. Hast du nie ein mulmiges Gefühl, wenn du…” “Nein.” “Aber wir hätten wie sie werden können!” “Ach, hätten wir?” “Wenn wir nicht zu Hollows geworden wären… wenn wir nach unserem Tod in die Soul Society gekommen wären… vielleicht wären auch wir Shinigami geworden.” Sein Bruder blickte kurz über die Schulter zurück, seine Augen verengten sich. Es war deutlich zu sehen, dass ihm diese Art der Diskussion nicht zusagte. Warum sich über derartige Dinge Gedanken machen, wenn sie ohnehin nicht mehr eintreffen konnten? “Und du wärst also lieber ein Shinigami als ein Hollow?” Für einen Moment breitete sich Schweigen zwischen den beiden aus. Erst als Yylfordt seinen Kopf wieder nach vorne wandte, als sein Blick den Körper des Kleineren nicht mehr durchbohrte wie seine Hörner es gewöhnlich bei Feinden taten, traute Szayel sich, zu antworten. “Ja.” Er wartete auf eine Reaktion, jedoch vergeblich. Yylfordt schien so zu tun, als hätte er dieses kurze, aber bedeutungsvolle Wort nicht gehört. “Ja, ich wäre lieber ein Shinigami. Sie leben nicht auf Kosten anderer. Sie müssen nicht fürchten, dass ihre Gefährten sie im Schlaf zerfetzen.” “Sie töten uns.” “Nein, sie erlösen uns.” Ruckartig blieb der Größere wieder stehen, sodass sein Bruder beinahe in ihn hineingelaufen wäre. Wieder sah er auf ihn herab, dieses Mal schienen seine Augen wirklich zu lodern. “Ist das so? Nun, warum gehst du dann nicht zu ihnen und lässt dich erlösen?” “Weil ich dann nicht mehr bei dir sein kann.” Dieses Mal kam die Antwort ohne das geringste Zögern, leise zwar, aber bestimmt. Yylfords Augen wurden wieder eine Spur sanfter. Szayel war anstrengend, manchmal eine Nervensäge, bisweilen unerträglich. Aber er war ihm auch wichtig und es rührte ihn jedes Mal zu hören, dass er selbst seinem Bruder anscheinend noch wichtiger war. Gerade öffnete er sein Maul um etwas zu erwidern, als plötzlich eine Reiatsuwelle über die beiden hereinbrach. Ohne nachzudenken flüchtete Szayel sich hinter den Rücken seines Bruders. Kämpfen konnte er nicht, seine Aufgabe war es daher, sich so wenig wie möglich einzumischen. Er spürte auch die Anspannung seines Bruders, als dieser auf die Hollows wartete, die für diese Welle verantwortlich waren. Es waren mehrere, soviel war sicher. Es dauerte auch keine Minute, da hoben sich einige Schatten vom mit Mondlicht durchfluteten Horizont ab. Instinktiv duckte Szayel sich noch etwas mehr. Vier Adjuchas konnte er zählen. Zu viele, sogar für seinen Bruder. Er bangte, hoffte, dass sie einfach fliehen konnten. Oder dass die anderen nicht zum Kämpfen hier waren. Erschrocken stellte er fest, dass sich die Fremden auffächerten, ihn und Yylfordt umstellten. Sie schienen sich im Vorfeld bereits abgesprochen zu haben, ihre Bewegungen waren präzise. Als sie ihre Aufstellung komplettiert hatten, trat der kleinste Adjucha vor. Sofort machte sich ein mulmiges Gefühl in Szayel breit. Es war ein unheimlicher Adjucha, es schien, als hätte er ein Gitter vor dem Gesicht hinter welchem sein Auge frei schwebte. Noch unheimlicher waren aber seine Finger, dürr und lang wie die Beine einer Spinne. Misstrauisch linste Szayel hinter seinem Bruder hervor, achtete aber gleichzeitig auch auf den schlangenartigen Adjucha auf der anderen Seite. Ein riesiges Wesen. Doch noch schien keiner angreifen zu wollen. Der dürre Adjucha begann zu sprechen. “Wir haben ein Ziel: Wir machen gemeinsam Jagd auf andere unserer Art. Wir werden den Status eines Vasto Lordes erreichen.” In Szayel zog sich alles zusammen. Was für ein widerliches Ziel! Doch Yylfordt blieb unbeeindruckt. “So. Und wir sind der nächste Punkt auf eurem Speiseplan?” “Nein. Du bist unser nächstes Mitglied.” Entsetzt riss Szayel die Augen auf. Das war ja beinahe noch schlimmer, als gefressen zu werden! Früher oder später würden sie sich vielleicht weiterentwickeln, wenn sie genug andere Hollows gegessen hatten. Doch aktiv auf die Jagd gehen, nur, um dieses Ziel zu erreichen? Andere töten, nicht nur um des Hungers willen, sondern um ein Vasto Lorde zu werden? Eine widerliche Vorstellung. Doch Yylfordt nickte bloß, als sei es eine Selbstverständlichkeit. Wahrscheinlich war es auch eine. Eine, die mal wieder nur Szayel nicht begreifen konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)