Rot, Weiß, Schwarz, Rot von ShinPurple (Nur was Kleines für Zwischendurch) ================================================================================ Kapitel 1: Rot, Weiß, Schwarz, Rot ---------------------------------- Seine Hände lagen unruhig in seinem Schoß und er fuhr sich immer wieder über die Finger, während er im Sekretariat der Schule auf seine neue Klassenlehrerin wartete. Über seinen braunen Haaren, die ihm ins Gesicht hingen, trug er eine große Stoffmütze mit vielen Buttons, seine Augen wurden durch eine breite Sonnenbrille bedeckt. „Hallo Janosch, ich bin Frau Weschke und deine neue Klassenlehrerin. Na dann komm mal mit in die 11e!“ Der Junge hielt seinen Kopf während dieser Worte gesenkt und nickte nur knapp, ehe er sich erhob und der Frau folgte. Der Weg durch die Flure kam ihm vor wie sein Gang zum Galgen. „Lass dich hier nie wieder blicken!“ „Du bist ein Monster!“ „So etwas wie du... dürfte gar nicht existieren...“ „Verschwinde endlich!“ „Du hast meiner kleinen Schwester Angst gemacht! Was fällt dir ein?!“ „Wir wollen dich hier nicht!“ „Das ist abartig. Einfach nur abartig.“ Er wollte nicht schon wieder verurteilt werden! Janosch seufzte bei diesen Gedanken leise auf und rückt seine Brille zurecht. Er war mit seinen Eltern vor einer Woche nach Berlin gezogen, davor hatten sie in einem kleinen Dorf gewohnt. Die Kirchengemeinde war grausam... Alle... waren sie grausam! Würde er jetzt nur wieder den gleichen Mist erleben? Er wollte nicht! Doch seine Gedanken konnten ihn nicht retten, noch nie hatten sie das getan. Denn Frau Weschke hielt vor einer offenen Tür, aus der schon laute Stimmen ertönten. Sie lächelte ihn aufmunternd an, als die Schulklingel ertönte. Nicht doch. Seine neue Lehrerin trat ein und sofort war das Bewegen von Stühlen zu vernehmen, ehe alle Schüler saßen. „Guten Morgen.“ „Guten Morgen, Frau Weschke!“ „Ihr bekommt heute einen neuen Mitschüler, begrüßt ihn bitte freundlich.“ Sie drehte ihren Kopf zu Janosch um und blickte ihn auffordernd an. Kurz spielte er mit der Idee, nun einfach zu flüchten, verwarf diese allerdings wieder und betrat mit klopfendem Herzen das Klassenzimmer, schloss scheinbar konzentriert die Tür, ehe er sich wohl oder übel zu seinen neuen Mitschülern drehte. „H-Hallo... mein Name is-“ „Was hat er gesagt?“ „Keine Ahnung!“ „Etwas lauter bitte!“ Frau Weschke lächelte den Jungen wieder an, worauf dieser seine Hände zu Fäusten ballte und etwas rot im Gesicht wurde. Das war peinlich! „Hallo, mein Name ist Janosch, ich bin 17 Jahre alt und gerade nach Berlin gezogen!“ Er bekam ein paar Begrüßungsrufe, peilte dann den freien Tisch in der letzten Reihe an. Gerade wollte er sich setzen, als die Lehrerin ihn erneut ansprach. „Janosch, sei so gut und setze deine Sonnenbrille ab.“ Verdammt! „Aber... Ich habe empfindliche Augen!“ „Du sitzt da doch im Schatten. Draußen kannst du sie ja wieder aufsetzen.“ Damit hatte die Frau ihren kurzen sympathischen Eindruck wieder zerstört. Mit verbissenem Gesichtsausdruck nahm Janosch seine Sonnenbrille ab und hielt den Blick gesenkt, traute sich nicht, aufzusehen. Er spürte ganz genau, wie sie ihn alle anstarrten! Das war furchtbar! Die Blicke brannten! Er wollte hier sofort raus! „Frau Weschke!“ „Was ist denn, Fiona?“ „Kopfbedeckungen sind doch verboten!“ „Uhh, Fiona, du Streberin!“ Ja, vielen Dank auch Fiona! Janosch sah durch seine schützenden Strähnen zur Lehrerin, welche ihn erneut auffordernd ansah. So ein Mist! Zögernd griff er sich an die Mütze und zog sie herab, hörte sofort ein Raunen und die Tuschelei der Anderen. Seine Haare waren nur an den Spitzen braun gefärbt, seine nachgewachsenen Haare am Ansatz waren... weiß. „Sieh dir das mal an...“ - „Sind die echt?“ - „Sieht voll verrückt aus!“ - „Oh mein Gott, wie geil!“ Janosch war eindeutig verwirrt. Er wagte doch wieder einen kurzen Blick, der letzte Kommentar stammte von einem schwarzhaarigen Jungen etwas weiter vorne. Doch da wurde die Klasse schon zur Ruhe aufgefordert. Der Unterricht sollte endlich beginnen. Der Neue starrte die zwei Stunden lang auf den Tisch herab. Im Unterrichtsstoff war er selbst etwas weiter, er musste gerade nicht zu genau aufpassen. Viel zu sehr verwirrten ihn die Reaktionen hier. Überrascht, ja. Aber nicht böse. Nicht gerade feindselig. Der letzte Ausruf wirkte ja beinahe freudig! Als es nach diesen Stunden endlich zur Hofpause klingelte, stand der Junge sofort auf und setzte sich seine Mütze auf. „Hey, Janosch! Ich bin Sam! Kommst du mit auf den Hof?“ „Nein Danke...“ „Wieso denn nicht?“ Er schien nicht aufgeben zu wollen. „Ich vertrage keine Sonne!“ Und außerdem machte ihn diese Freundlichkeit hier gerade ziemlich nervös. Er griff nach seiner Sonnenbrille und wollte sie gerade aufsetzen, als Sam ihn am Arm zurückhielt. Durch diese Berührung ziemlich erschrocken, drehte er sich zu dem Jungen um und starrte ihn verwirrt an. Und... ahh? „Warum hast du rote Augen?“ zischte Janosch nun leise. „Und warum hast du rote Augen?“ fragte Sam anscheinend ebenso verwirrt, kratzte sich dann am Kopf und zuckte mit den Schultern. Auch die anderen aus der Klasse waren nun auf sie Beide aufmerksam geworden. „Ich habe Kontaktlinsen drin. Weil ich die Farbe einfach genial finde!“ antwortete Sam nun regelrecht stolz, ehe er auf Janoschs Antwort wartete. „Ich... trage keine Kontaktlinsen.“ murrte dieser allerdings nur leise und setzte sich die Sonnenbrille wieder auf, ehe er aus dem Klassenraum stürzte. Nach draußen ging er nicht, dafür war seine Haut für die pralle Mittagssonne zu empfindlich. Den Schultag verbrachte Janosch mit Kritzeleien auf seinem Block. Aber bei jeder neuen Stunde musste er sich jedem Lehrer erneut vorstellen! Das war wirklich nervig! Und vor allem ungewohnt. Menschen die sich so offen mit ihm unterhielten, kannte er einfach nicht. Mit dieser ganzen Situation müsste er sich erst einmal in Ruhe auseinandersetzen! Deshalb hatte er es nach Schulschluss auch ziemlich eilig, seine Sachen zu packen und abzuhauen. Doch am Schultor wurde er abgefangen. „Hey! Warte doch mal!“ Es war Sam, der ihn nun vorsichtig an der Hand zurückhielt. „Janosch, du hast mir vorhin nicht geantwortet. Was ist denn nun mit deinen Augen?“ Der Angesprochene zuckte abermals zusammen und zog sich die Mütze tiefer. Er hasste es, auf dieses empfindliche Thema angesprochen zu werden! Er hasste es, auf dieses hässliche Rot angesprochen zu werden! Bisher hatte er nie ein Geheimnis darum gemacht, hatte die Erklärung als Rechtfertigung benutzt. Doch heute war es anders. Sam klagte ihn nicht an, er verurteilte ihn nicht. Er... zeigte Interesse? Auf einmal war es Janosch peinlich. „Ich bin ein Albino.“ murrte er nun leise. „Sonnenempfindlichkeit, pigmentlose Haut und Haare, rote Augen...“ Gleich würden die üblichen Reaktionen kommen. Verwunderung, Schock, Ekel, Verurteilung. Nicht schon wieder... Janosch hatte doch gewusst, dass er auch auf dieser Schule nicht vor den Beschimpfungen verschont bleiben würde! „Wow! Wie genial!“ Der Kleinere sah vollkommen aus der Fassung gebracht auf und blickte direkt in Sams strahlendes Gesicht. „Hast du... nicht verstanden, was ich eben gesagt habe? Ich bin ein Albino!“ „Doch, klar, ist schon angekommen. Das ist doch toll! Du bist was Besonderes. Und jetzt nimm endlich die Sonnenbrille ab, die stört.“ Verwirrt kam er dieser Aufforderung nach. Das verstand er nicht. Keine Ablehnung? Stattdessen wurde ihm mit Akzeptanz begegnet? Mehr noch! Sam gefiel dies anscheinend! „Wow... deine Augen sind echt toll. Ich wünschte ich hätte solche naturroten Augen!“ Der Schwarzhaarige seufzte wehmütig, während Janosch aus allen Wolken fiel. „Ich wünschte es wären Kontaktlinsen, die ich einfach herausnehmen kann.“ Bizarr! Diese Situation war total bizarr! Er, der dieses Rot verfluchte, immer geärgert wurde, immer nur Hass zu Spüren bekam. Sam, der diese Farbe anscheinend sehr anziehend fand und sie gerne hätte. „Janosch, rede doch nicht so von dir! Deine Augen sind toll. Hat dir das wirklich noch nie jemand gesagt? Rot ist so eine wunderbare Farbe! Feuer, Flammen, Leidenschaft, Begierde, Lust, Liebe!“ „Zorn, Hass, Wut, Verbrennung!“ Zwei Welten die aufeinander trafen. Sam lächelte schief und schüttelte den Kopf, legte seine Hände dann an Janoschs Schläfen. „Die eine Seite steht für deine negativen Begriffe. Die andere Seite steht für meine positiven Begriffe. Du hast zwei rote Augen. Und diese zwei Seiten. Und wenn sich etwas so ausgeglichen die Waage hält, muss es doch gut sein! Außerdem überwiegen die positiven Dinge!“ Keck streckte der Schwarzhaarige ihm die Zunge heraus, ließ seine Hände dann wieder sinken. Janosch verstand gar nichts mehr. Er konnte nicht von einem Moment auf den anderen sein ganzes bisheriges Leben überdenken und sein Weltbild ändern. Bisher war Rot immer etwas Negatives. Etwas ausschließlich Negatives! Wie konnte er einem fremden Jungen vertrauen, der ihm plötzlich das Gegenteil erzählte? „Janosch.“ Wieder diese Stimme! Er musste doch wenigstens mal kurz nachdenken dürfen! „Was ist denn?!“ Er reagierte wohl etwas zu gereizt, aber dies schien Sam nicht weiter zu stören. „Ich weiß nicht, was du schon erlebt hast, weshalb du so schlecht über dich und deine Augen denkst. Aber was immer es war: es hat auch etwas Gutes! Ohne diese Erlebnisse wärst du niemals hergezogen und du hättest niemals so 'nen coolen Kumpel wie mich kennen gelernt!“ Er streckte ihm die Zunge heraus, während Janosch leicht stutzte. Ein Kumpel also? „Sam, weshalb magst du die Farbe Rot so? Weshalb trägst du rote Kontaktlinsen?“ „Das müsstest du doch wissen. Mit roten Augen wird man garantiert angesprochen! Dadurch habe ich schon viele neue nette Leute kennen gelernt. Die stärkste, impulsivste, leidenschaftlichste und kontaktfreudigste Farbe ist Rot!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)