Dark Circle von Darklover ================================================================================ Kapitel 61: 61. Kapitel ----------------------- Mit einem Auftritt, den er normalerweise niemals hinlegen würde, da er Unauffälligkeit stets bevorzugte, drückte Ryon die zerschrammte Tür zum ‚Fass‘ so stark auf, dass diese beinahe an die Wand krachte. Obwohl er das Innere der Bar noch nie gesehen hatte, war ihm sowohl Paige, als auch ihre Beschattung vor so langer Zeit ein großer Nutzen dabei gewesen, sich für ein passendes Outfit zu entscheiden, um nicht gleich mit seiner Tarnung aufzufliegen. Zwar wollte er auffallen, aber es sollte nicht gleich ‚Vorsicht Falle‘ auf seiner Stirn geschrieben stehen. Darum hatte er sich in wuchtige Lederstiefel gesteckt, trug zerrissene Jeans und ein gewöhnliches schwarzes Shirt am Leib und rundete den Eindruck von ‚ungewaschen und immer auf Prügel aus‘ mit einem schmutzigen langen Mantel ab, dessen Saum die Haken seiner Stiefel beim Gehen streifte. Zudem hatte er seine Haare zerwuschelt und mit seinen Händen ein bisschen im Dreck gewühlt, nur um sie dann grob an seiner Jeans abzuwischen. Seine Krallen waren ein Stück weit ausgefahren und die dunklen Ränder darunter konnten alles Mögliche bedeuten. Dreck, Öl oder Blut. Die Leute in der Bar hielten nur kurz mit ihrer Tätigkeit inne, um den Neuankömmling zu mustern, ehe sie sich wieder ihren Geschäften zuwandten. Ryon ließ keinen Moment länger als nötig, frische Luft in die Bar, ehe er sich auch schon einen freien Platz in der Nähe des Ausgangs suchte, während er es vermied, nach Paige Ausschau zu halten. Seine eigene Mutter würde ihn im Augenblick kaum wiedererkennen und soweit es sich vermeiden ließ, wollte er nicht, dass man irgendeine Verbindung zu ihm und Paige herstellen konnte. Zwar wurden sie beide steckbrieflich gejagt, aber nicht im Zusammenhang. Ein Vorteil, den sie ausnützen mussten, so gut sie konnten. Er und Paige würden die Unwissenden spielen, oder besser gesagt diejenigen, die glaubten, nicht geschnappt werden zu können, ansonsten würden sie sich ja wohl kaum mitten in die Öffentlichkeit stellen, wo jeder sie sehen und verraten konnte. Hoffentlich würde diese Nacht erfolgversprechend sein, denn Ryons Nerven lagen bereits jetzt blank. Sein Tiger war ständig auf der Hut und sträubte schon seit Betreten der Bar die Nackenhaare, als würde er in der Falle sitzen. Es war auch nicht gerade die Gegend, in die Ryon sich freiwillig begeben würde. Wie Paige hier nur hatte arbeiten können, war ihm ein Rätsel, trotzdem ließ er sich nichts anmerken, sondern ritzte mit der Kralle seines Zeigefingers ungeduldig in der ramponierten Tischplatte herum, während er darauf wartete, dass man ihm einen ‚Drink‘ brachte. Mit dem durchsichtigen, mit Glitter durchsetzten Tablett schlug Paige wie nebenbei eine aufdringliche Hand aus dem Weg und kam mit etwas zerzauster Perücke an der Bar an. Hinter dem dunklen Holztresen mit den silbernen Sternen darauf zapfte Jazz wie wild ein Bier nach dem Anderen, was ihn aber nicht davon abhielt immer wieder nervöse Blicke in die Runde und sorgenvolle in Richtung Paige zu werfen. Er war nicht der Einzige, dem unwohl war bei dem Gedanken, dass sie angefragt hatte und nun wieder im Fass arbeitete. Nicht etwa, weil es nicht genug zu tun gab oder ihr Können nachgelassen hätte. Aber auch ihrem geldgierigen Chef hatte sie mit guten Argumenten kommen müssen, damit er das Risiko einging seine Kellnerin nach einer halben Schicht wieder zu verlieren, weil sie von irgendjemandem, der auf das Kopfgeld aus war, aus der Kneipe gezerrt wurde. Bis jetzt war es aber noch nicht so weit. Und solange Paige ihren Job in gewohnter Weise erledigte, konnte niemand etwas gegen ihre Anwesenheit sagen. Auch wenn Jazz es zu Anfang der Schicht ein paar Mal versucht hatte. Als Paige daran dachte, dass er ihr angeboten hatte, sie könne sich in seiner Wohnung verstecken, wurde ihr wegen des schlechten Gewissens ein bisschen flau im Magen. Sie konnte gegen andere Dämonen kämpfen, war bereit einem ganzen Heer von bösen Magiern und Hexen entgegen zu treten... Aber Jazz zu sagen, dass sie jemanden hatte, der auf sie aufpasste, war noch ein ganz anderes Kaliber. Die Angst, ihn endgültig als guten Freund zu verlieren, bohrte sich wie kleine Stacheln in ihr Herz. Doch es würde sich nicht vermeiden lassen, dass er früher oder später von Ryon erfuhr. Und Paige wollte auch, dass die Männer von einander wussten. Aber gerade jetzt war nicht der beste Zeitpunkt, um irgendwelche Beziehungen auszudiskutieren. „Ey, Süße!“ Paige drehte sich langsam zu dem schmerbäuchigen Kerl herum, der wohl leider sie gemeint haben musste. Er hob beim Anblick ihres Gesichts die Brauen und war kein besonders guter Schauspieler, der hätte verhindern können, dass man ihm sein Erstaunen ansah. Eine ihrer Kolleginnen war so nett gewesen Paiges Veilchen mit einem lila Stern zu übermalen. Das hatte sogar ganz gut funktioniert, aber ihre Unterlippe leuchtete immer noch in recht eindeutigen Farben, die man selbst im Licht des 'Fass' zuordnen konnte. „Ein Bier?“, fragte Paige, als der Kerl anscheinend seine Bestellung vergessen hatte. Er nickte nur und Paige gab Jazz ein Zeichen. Als sie ihr Tablett wieder voll bestückt hatte, warf sie sich erneut in die Menge, lieferte den Alkohol an den Tischen ab und versuchte so unauffällig wie möglich Ausschau nach Ryon zu halten. Er hatte sie zwar darum gebeten, keinen Zweifel daran aufkommen zu lassen, dass sie nichts mit einander zu tun hatten, aber bei ihrem Job konnte sie sich ja wohl darüber orientieren, wer alles zur Kundschaft gehörte. Als sie ihn entdeckte, hätte sie am liebsten in ihr Plastiktablett gebissen, um sich das Lachen zu verkneifen. Ihre Lippen kräuselten sich dennoch zu einem Ausdruck, der gleichzeitig aus Unglauben und Anerkennung zu bestehen schien. „Sexy...“, war ihr gemurmelter Kommentar, bevor sie von einem anderen Gast in Anspruch genommen wurde. Außerdem hatte sie im Augenwinkel gesehen, dass eine der Kolleginnen Ryon ebenfalls erspäht hatte und sich auf dem Weg zu ihm machte, um ihn zu bedienen. Es herrschte dichtes Gedränge im ‚Fass‘, ganz so, als würde in der nächsten Stunde das Bier ausgehen und jeder versuchte noch einen letzten Schluck zu ergattern. Wie Paige hier hatte arbeiten können, konnte er sich wirklich nicht vorstellen. Andererseits wusste er auch nicht, wie es war, sich ständig Gedanken über Geld machen zu müssen oder wie es war, zu hungern. Als Ryon Paige schließlich am anderen Ende der Bar erspähen konnte, wurde ihm wieder einmal bewusst, wie dünn und abgemagert sie beinahe gewesen war, als sie sich zum ersten Mal getroffen hatten. Nun, nach einigen Wochen unter Tylers Kost war ihr Körper einfach perfekt geformt. Zu seinem eigenen Leid und der gemeinsamen Bestürzung von ihm und seinem Tiger, schien das auch vielen der Gäste nicht entgangen zu sein. Zuerst beobachtete Ryon Paige nur einfach bei der Arbeit, obwohl er seine Augen eigentlich wo anders haben sollte, doch er konnte seinen Blick einfach nicht von ihr lassen. Die Arbeitskluft für das ‚Fass‘ war einfach speziell und Paige sah darin so anders aus, als er sie sonst kannte. Nicht schlecht anders, sondern einfach anders. Als dann aber die ersten Pranken nach ihrem Hintern grabschten und Ryon mit ansah, wie Paige die Hände meistens schon wie automatisch von sich ablenkte, baute sich ein tiefes Grollen in seiner Brust auf, das er nur mit Müh und Not unterdrücken konnte. Am liebsten hätte Paiges Gefährte die Kerle mit bloßen Händen umgebracht, alleine für die Blicke, die man seiner Gefährtin zuwarf! Ryon ermahnte sich, dass er aus einem ganz bestimmten Grund hier war und nicht etwa, um seine Frau zu verteidigen, obwohl sie das ganz gut alleine konnte. Trotzdem wurde der Auftrag zusehends immer weiter in einen weniger wichtigen Teil seines Verstandes gedrängt. Der vordergründige Teil wollte sofort aufstehen und seinem Aussehen gerecht werden, das von vornherein Prügel versprach. Oh ja und wie er diese Schweine verprügeln wollte, bis Blut spritzte und sie keinen einzigen Atemzug mehr taten! „Was darf’s sein, Schätzchen?“ Ryons Blick huschte zu der feenhafte Kellnerin hinüber. Sie hatte zwar versucht, die Anstrengungen dieses Jobs mit Make-up zu übermalen, doch man konnte es an ihren Augen ansehen, dass es ganz schön an einem zerrte, hier als Frau zu arbeiten. Erst als sie einen guten Schritt von seinem Tisch zurück wich, glätteten sich Ryons Gesichtszüge, die gerade noch Bände über seine Gedanken gesprochen hatten und obwohl er sich nicht zu Freundlichkeit durchringen konnte, erschreckte er die Kellnerin doch so wenigstens nicht mehr. „Ein Bier.“, grummelte er noch immer stinksauer, ehe er auch schon wieder zu Paige hinüber späte, nur um erneut in wütenden Hitzewallungen aufzugehen, die seine Krallen voll ausfahren und ihn beinahe die Zähne fletschen ließen. Paige würde hier auf keinen Fall eine Nacht länger arbeiten. Nie wieder! Die Kellnerin beeilte sich, seinem Wunsch nachzukommen und somit stand keine Minute später auch schon ein großer Humpen voll Bier vor ihm, auf das er so wütend hinab starrte, dass es ihn nicht gewundert hätte, wenn es gleich zu kochen anfangen würde. Aber auf jeden Fall war es besser, das Gebräu anzustarren, als Paige bei der Arbeit zuzusehen. Er musste wieder einen klaren Kopf kriegen. Immerhin tat er sich das hier nicht umsonst an und eigentlich sollte er wesentlich besser aufpassen. Schließlich waren Kopfgeldjäger hinter ihnen beiden her. Das durfte er auf keinen Fall vergessen. Als die Tür zur Bar sich erneut öffnete, hob Ryon erst gar nicht den Kopf. Bestimmt war es nur ein weiterer Typ, der Paige an den Hintern fassen wollte. Innerlich knurrend und brüllend, bemerkte er den Geruch nach Wolf viel zu spät, obwohl der Tiger bereits die Krallen ausfuhr, ganz Katze wie er war und keine Hunde ausstehen konnte. Oder zumindest nicht alle. „Wow. Bist du das wirklich … Ryon?“ Ein großer Streifen nackter Haut mit einem funkelnden Bauchnabelpiercing in Form eines glitzernden Totenschädels schob sich in sein Sichtfeld. Überrascht fuhr Ryons Blick hoch und starrte in ein ihm vage vertrautes Gesicht. Weiße zu einem langen Zopf geflochtene Haare, graue schwarz umrandete Augen, kirschrote Lippen und ein Outfit, das jede Nutte blass vor Neid werden ließ. Ja, da rührte sich tatsächlich etwas in seinem Gehirn. „De-lila?“, fragte Ryon zögernd. Er war sich nicht sicher. Immerhin war es Jahre her, dass er diese Frau nur für wenige Tage gekannt hatte. Aber er vergaß nun einmal nie einen seiner Jobs und sie war in dem Fall sozusagen sogar eine Mitstreiterin gewesen, obwohl er für gewöhnlich alleine arbeitete. Aber das war jetzt nicht weiter wichtig. Was zum Teufel machte sie hier? „Jepp. Wie sie leibt und lebt, wie man so schön sagt.“ Sie grinste breit und klaute sich einfach einen Stuhl vom Nachbartisch, um ihn heran zu ziehen und sich darauf zu präsentieren. Denn anders konnte man das einfach nicht nennen. „Aber sag‘ mal. Was machst du hier in so einer Bar? Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, hatte ich dich so ziemlich anders in Erinnerung.“ Sie hatte sich dafür offenbar überhaupt nicht verändert. Soweit er noch wusste, war sie hinter jedem Schwanz her, der nicht bei drei auf den Bäumen war und damit meinte er nicht nur die tierische Verlängerung des Rückgrats und trotzdem, sie wirkte auch irgendwie ein bisschen reifer. Kein Wunder, es war ja schließlich auch drei Jahre her. „Ich genehmige mir ein Bier.“ Ryon deutete auf sein unangetastetes Glas Bier, während er Delila keine Sekunde aus den Augen ließ. Zufälle gab’s, das konnte doch schon gar nicht mehr wahr sein. „Aber die gleiche Frage könnte ich dir stellen. Wenn du auf Männerfang aus bist, wirst du hier kein brauchbares Material finden.“ Ihr Lächeln wurde breiter und der Schalk glitzerte in ihren Augen. „Ich seh‘ das ein bisschen anders. Immerhin hab ich schließlich dich hier gefunden, wenn auch unerwartet.“ Ihre Offenheit war entwaffnend, doch gerade als Ryon etwas darauf erwidern wollte, winkte sie sanft lächelnd ab. „Hey, das war ein Scherz. Ich bin nicht mehr auf Männersuche.“ Delila hielt eine Hand hoch, an der zwei kostbare Silberringe gleichzeitig an ihrem Ringfinger steckten. Wenn es nicht zwei gewesen wären, hätte Ryon angenommen, sie wäre verheiratet. Auf seinen fragenden Blick hin, begann sie zu erklären, während sie beinahe zärtlich mit den Ringen spielte. „Du kannst dich doch sicher noch an die Zwillingswerwölfe D und J erinnern? Nun, in meinem Fall war das der Doppel Jackpot. Wir haben sozusagen unser eigenes kleines Rudel gebildet und obwohl ich nur ein Gestaltwandlerwolf bin, hab ich mich von Anfang an als das Alphaweibchen behauptet. Seltsam was? Was sich so alles in drei Jahren verändert. Du hast dich auch ganz schön verändert, wenn ich mir da so deine Augen ansehe. Ich hatte dich ja noch als schweigsamen Eisbrocken in Erinnerung, aber offenbar hat sich da eine Frau in dein Leben gemischt.“ Sie zwinkerte ihm wissend zu und bestellte bei der Kellnerin, die sich wieder an ihren Tisch getraut hatte, einen Wodka pur. "Kann irgendjemand mal auffüllen gehen?!" Jazz, wirbelte hinter der Theke herum, zapfte Bier, schüttelte und rührte Cocktails zusammen und sah dabei so aus, als bewerkstellige er das alles ohne die geringste Mühe. Der Barkeeper hatte nur wenig Unterstützung von einem weiteren Herren, der aber noch in der Lernphase war und sich vom Andrang im 'Fass' schon überfordert zu fühlen schien. "Ich geh schon!" Paige steckte ihr Tablett hinter dem Spülbecken an die dafür vorgesehene Stelle und schnappte sich den Schlüssel zum Vorratsschrank. Bevor sie sich allerdings umdrehte, um in Richtung Hinterzimmer zu verschwinden, warf sie einen prüfenden Blick über ihre Schulter zu Ryons Tisch hinüber. Sofort als sie ein glitzerndes Bauchnabelpiercing und ein Zwinkern sah, zogen sich rote Schuppen über ihre Schultern und ihren Nacken hinauf bis unter die Fransen der pinken Perücke. War das schon eine von Boudiccas Leuten? Oder wurde Ryon einfach nur angegraben? Paige hätte nicht sagen können, was sie schlimmer fand. Mit wehendem Kleidchen bog sie um die Ecke, warf die Feuerschutztür hinter sich ins Schloss und lehnte sich mit dem Rücken gegen das kalte Metall. Vielleicht war das hier doch keine so gute Idee gewesen. Paige schüttelte heftig den Kopf, um sich zusammen zu reißen. Sie musste aufmerksam bleiben. Es stand zu viel auf dem Spiel, um sich von einer Verkleidung und der Aufmerksamkeit, die sie auf sich zog, verunsichern und ablenken zu lassen. Dass Delila mit ihrer Aussage mitten ins Schwarze getroffen hatte, gab Ryon nicht zu. Er verriet sich noch nicht einmal mit einem Wimpernzucken. Denn selbst die Tatsache, dass er die Wölfin trotz ihrer offenen Art sympathisch fand, war das noch kein Grund, seine Privatangelegenheiten und vor allem Paige offen Preis zu geben. Beides war zu wertvoll und zu kostbar. Er wollte nichts riskieren, weshalb er noch nicht einmal einen flüchtigen Blick zu Paige hinüber schweifen ließ, damit er sie nicht verriet. Delila wäre es bestimmt sofort aufgefallen. Er wechselte also einfach das Thema. „Ich hatte damals eher den Eindruck, die Zwillinge würden dir nicht zusagen. Hast du nicht selbst sie als ‚Welpen‘ bezeichnet?“ Der Wodka kam und Delila ignorierte einen Moment lang Ryons Einwurf, schenkte stattdessen dem Glas in ihrer Hand einen Blick, als würde es ihr unendliche Qualen bereiten, es auch nur anzusehen, ehe sie den Drink in einem Zug hinunter stürzte und sich noch einen bestellte, bevor die Kellnerin sich überhaupt umdrehen konnte. Ryon konnte sich keinen Reim auf diese seltsame Aktion machen, trotzdem machte es ihn nervös. Denn das gerade Gesehene beunruhigte ihn auf eine Art, die er nicht hatte deuten können. Wenn überhaupt, verzog man das Gesicht nicht nachdem man den Alkohol getrunken hatte und nicht schon davor? „Nun, weißt du. Sie führen sich größtenteils immer noch wie ungezogene Welpen auf, aber in anderen Bereichen können sie durchaus ihren ‚Mann stehen‘. Wenn du verstehst, was ich meine.“ Sie schmunzelte verwegen. Ryon verstand und versuchte den Vorfall von vorhin einfach zu vergessen, als sie weiter über die Fähigkeiten und Unfähigkeiten ihrer beiden Männer zu erzählen begann. Besonders unter dem Einfluss des Wodkas wurde sie im Laufe der Nacht immer gesprächiger und obwohl Ryon die ganze Zeit wachsam blieb, glaubte er doch nicht mehr, dass sie diese Nacht Glück mit ihrer Falle haben würden. Es ging einfach alles seinen gewohnten Gang. Selbst die seltsame Beobachtung bei Delilas erstem Glas Wodka widerholte sich nicht mehr, bis er glaubte, sich die Regung lediglich eingebildet zu haben. Sein eigenes Bier stand immer noch unberührt vor ihm. „Und dann haben wir alle drei nackt den Mond angeheult!“ Delilas Lachen klang hell und glöckchenhaft durch die Bar, durchdrang sogar teilweise das besoffene Gegröle der anderen Bargäste, die wie die Wölfin ebenfalls schon zu tief ins Glas geguckt hatten und vermochte selbst zu so später Stunde, immer noch Aufmerksamkeit von diversen Männerblicken zu erregen. Wäre Ryon nicht am selben Tisch wie sie gesessen, sie hätte sich vor Angeboten sicherlich kaum retten können. So aber ließ man sie in ihrem Zustand zum Glück in Ruhe. Selbst Ryon konnte sich ein Schmunzeln oft nicht mehr verkneifen, da die ausführlichen Berichte von Delila ebenso komisch, wie oftmals delikat und heikel waren. Das schien sie allerdings nicht großartig zu stören und bis jetzt war Ryon noch kein Argument eingefallen, wie er die aufreizende Frau wieder hätte los werden können. Doch das änderte sich in dem Moment, als sich die grauen Augen von Delila plötzlich veränderten. Sie sagte nichts mehr. Lachte nicht mehr. Sondern starrte nur unendlich traurig die zerschrammte Tischplatte an. Ein guter Zeitpunkt, um zur Tat zu schreiten. Jetzt kam eindeutig die Depressionsphase des Rauschzustands. „Ich bringe dich wohl jetzt besser zu einem Taxi.“ Delila blickte ruhig hoch, aus ihren Augen sprach mehr Tier als Mensch. Ryon wurde es bei diesem Anblick eiskalt. Hätte er auch nur im Ansatz wölfisch verstanden, hätte dieser eine Blick ihm Vieles sagen können, doch er konnte es nicht und sie sagte auch nichts weiter, sondern nickte dann schließlich nur. Ryon bezahlte bei der Kellnerin gleich für Delila mit, ehe er einen wirklich sehr flüchtigen Blick in Richtung Paige warf, doch bevor seine Augen sie gefunden hatten, erhob auch die Wölfin sich und hätte sich mit ihren Meterlangen Absätzen und dem gewaltigen Alkoholpegel beinahe den Hals gebrochen, wenn er sie nicht noch rechtzeitig gestützt hätte. „Ich hätte dich nicht so viel trinken lassen sollen.“ Delila krallte sich an seinem Shirt fest und sah vollkommen erledigt zu ihm hoch. „Das hätt’ste mal versuchen sollen.“ Im nächsten Moment kicherte sie wieder los und machte Anstalten alleine zur Tür zu torkeln. Doch rasch fing Ryon sie wieder ein, bevor sie in eine Gruppe betrunkener und halb komatisierte Männer fallen konnte. „Isch hab‘ nämlich auch Krallen, weißt du!?“ Ryon hatte keine Chance Paige irgendein Zeichen zu geben, dass er Delila nur zu einem Taxi bringen wollte. Aber hoffentlich verstand sie die Situation auch ohne große Erklärung. Eigentlich war die Wölfin an sich schon Erklärung genug. Er musste sie schon fast mit Gewalt aus der Bar buchsieren, weil sie beschlossen hatte, dass es ihr drinnen doch viel besser gefiel. Ryon war sogar schließlich dazu gezwungen, sie sich kurzerhand vorsichtig über die Schulter zu werfen, da ihre eigenen Beine sie nicht mehr trugen, sie sich aber trotzdem noch kräftig zur Wehr setzte. Kaum dass sie über seinem Rücken baumelte, begann sie wieder zu kichern und ließ sich willenlos wie ein Sack Kartoffeln hängen, während sie seinen Hintern betatschte. „Wusstest du eigentlich … dass isch früher mal gerne mit dir … gebrödelt … gedödelt … nein … gevögelt, ja genau … hätte?“ Ryon beschloss darauf nicht zu antworten. Sie redete absoluten Blödsinn daher und würde sich später wohl kaum noch daran erinnern. Hoffentlich tat ihr wenigstens die kühle Luft etwas gut, auch wenn es bis an die Oberfläche noch etwas dauerte. „Ey, Mister. Isch rede mit Ihnen!“ Einfach weiter gehen und ignorieren. „War ja klar. Ihr Männer seid echt das Letzte! Erst groß reden und dann … dann lasst ihr einfach einen wie’n Haufen Dreck fallen.“ Aufmerksam sah sich Ryon nach allen Seiten um, da Delila mit ihrem Geschwafel ganz schön viel Lärm machte, doch in der Gasse, die er gerade durchschritt, war alles ruhig und unauffällig. „Wer hat dich fallen gelassen? Die Zwillinge?“ Schweigen antwortete ihm, bis er schon glaubte, Delila sei eingeschlafen oder ohnmächtig geworden, doch dann hörte er sie leise schluchzen. Automatisch ging er langsamer. „Nein. Mein Herr! Er hat versprochen… Er hat mir geschworen… Ich dachte ich würde meinen Kleinen wieder bekommen… Dafür musste ich Dean und James…“ Ryon konnte sie kaum noch verstehen, so heftig begann sie nun zu weinen. Sie zwang ihn damit sogar, stehen zu bleiben und sie von seiner Schulter zu lassen, damit er ihr in die völlig verweinten Augen sehen konnte, die ihn verzweifelt anblickten. „Ich dachte … ich könnte ihn damit beschützen…“ Sie schluchzte heftiger, hörte sich dafür aber wieder deutlich nüchterner an. Ryon berührte sie sanft an den Schultern. „Wen, Delila? Wen könntest du durch was beschützen? Was ist los?“ Die junge Frau hob erneut den Blick, ihr Make-up war verschmiert, ihre Augen rot gerändert, doch ihre Iris sah ihn auf eine Weise an, die ihm den Atem raubte. Vor allem, da ihr Gesicht mit einem Mal vollkommen ausdruckslos wurde. Im nächsten Augenblick war es nicht nur ihr Anblick, der ihn am Atmen hinderte. Ryon sah es nicht kommen. In keinster Weise hätte er damit gerechnet, da war es auch schon zu spät, als er das Gefühl von kaltem Metall zwischen seine Rippen spürte und wie ihm kurz darauf etwas warmes über den Brustkorb lief und sein Shirt durchtränkte. Ungläubig ließ er Delila los, die ihn noch immer ansah, dieses Mal erneut voller Qualen im Blick. Doch sie sagte kein Wort, als er zurück trat und das Messer zwischen seinen Rippen heraus zog, das sie bis zum Schafft hinein getrieben hatte. „Warum, Delila?“, verlangte er zu wissen, nachdem die Waffe klirrend zu Boden gefallen war. Aber im nächsten Moment war er sich sogar ziemlich sicher, dass er die Antwort bereits wusste. Kein Wunder, dass es die ganze Nacht friedlich gewesen war. SIE hätte eigentlich in die Falle gehen sollen, stattdessen war er direkt in die ihre gelaufen. Nur hätte sie damit rechnen müssen, dass ihn dieser Messerstich nicht gleich auf die Matte schickte. Er war schließlich ein Gestaltwandler. Aber vermutlich wusste sie das heute genauso wenig wie damals. „Weil sie ihn sonst umbringen werden. Ich habe bereits Dean und James verloren. IHN werde ich niemals aufgeben!“ Wie auf einmal das zweite Messer in ihre Hand kam, würde Ryon wohl immer ein Rätsel bleiben, denn da hatte er auch schon die Betäubungspistole gezogen und einen Schuss zielgenau gesetzt. Delila sackte ohne jegliche Gegenwehr einfach in sich zusammen und ließ das Messer fallen. Mit langsamen Bewegungen steckte Ryon die Waffe wieder weg, ging zu der Bewusstlosen hinüber, während er sein Handy aus der Tasche zog und Tennessey anpiepste, ehe er Paige eine SMS schickte, um sie zu bitten, den Job vor Schichtende zu schmeißen und sich stattdessen mit ihm zusammen zurück zu ziehen. Für heute Nacht hatten sie sich genug in Gefahr begeben. Mit einem Ruck riss er sich ein gutes Stück Stoff aus seinem Mantelsaum und presste ihn sich auf die Wunde, während er Delila wieder über seine Schulter warf und auf Paige wartete. Auf dieses Verhör freute er sich schon einmal überhaupt nicht, obwohl er neugierig war. „Wusstest du eigentlich … dass ich früher mal gerne mit dir ...“ Dunkle Augen blitzten unter einem pinken Pony hervor, durchsichtiges Plastik schmolz unter glühenden Fingerkuppen. „HEY!“ Die Frau sah zu Paige hoch und wedelte in Richtung des Cocktailglases, in dem es vor sich hin brodelte. „Salamander, den trink ich nicht mehr! Bring mir 'nen Neuen!“ Die Blonde konnte nur froh sein, dass Paige noch Herrin ihrer Sinne war und sie nicht mit dem attraktiven Wrack verwechselte, das Ryon gerade über die Schulter geworfen und aus der Bar getragen hatte. Die Tussi hatte seinen Hintern begrapscht, verdammt nochmal! Von dem verbalen Ausfall ganz zu schweigen! Paige merkte, wie die Menschenmasse sich vor ihr teilte. Männer und Frauen stutzten oder zuckten vor der Hitzewelle zurück, die die Kellnerin um sich aussandte. Am liebsten hätte sie das `Fass` lichterloh in Brand gesetzt. Dieses Stück hätte ihn also früher gern gevögelt, ja?! Mit Schwung donnerte Paige ihr völlig versengtes, zerschmolzenes Serviertablett auf die Theke und maulte Jazz ein „Mai Tai“ entgegen. Der Barkeeper sah sie nur mit hochgezogenen Brauen an und mixte den Cocktail so schnell, wie noch nie in seinem Leben. Als das Handy in dem Riemen unter ihrem Rock vibrierte, hätte Paige am liebsten 'Was?!' geschrien. Ihre Miene war so finster, dass das kleine Ding eigentlich allein davon hätte schmelzen müssen. Doch es hielt durch, bis Paige die kurze SMS gelesen hatte und das Telefon wieder unter ihr Röckchen stopfte, während sie sich bereits durch die Menge boxte. Irgendjemand rempelte sie an, ein Anderer schrie hinter ihr her, doch das alles war für Paige wie ausgeblendet. Die Schwingtüren der Bar donnerten gegen die Außenwand, als sie mit wehendem Kostüm um die Ecke in die Seitengasse bog. Die glitzernden Flügelchen auf ihrem Rücken wippten grazil und völlig unpassend, während Paige mit loderndem Blick ein paar Meter vor Ryon stehen blieb. „Was ist-“ Ihr Herz blieb stehen. Paige war sicher, dass ihr gesamter Blutzyklus still stand und sie so bleich wurde, wie ihr Kleid. „Scheiße...“ Es war mehr ein Wimmern, als ein echter Fluch. Sofort war sie bei ihm, zog seine Hand mitsamt dem Stofffetzen von seinem Bauch und hatte das Gefühl noch weniger Farbe in den Wangen zu haben. Paige zerrte ihm das Stück Stoff aus den Fingern und drückte es fest auf die immer noch blutende Stichwunde. „Lass' sie doch fallen, verdammt!“ Sie wollte sich so gern wütend anhören, doch die Panik fraß sich durch ihre Worte nach draußen. Mein Gott, wie konnte er bei dem Blutverlust nur noch grade stehen? Oh Gott, er war so erleichtert, Paige zu sehen, dass er sie am liebsten an sich gezogen und nie wieder losgelassen hätte. Doch weder war dazu die passende Zeit noch der passende Ort. Außerdem ließ sie ihm gar keine Wahl, als einen Moment lang still zu halten, damit sie seine Wunde besser sehen konnte, was ihn fast zusammenfahren ließ. Es war zwar nichts wirklich Ernsthaftes, aber es tat trotzdem höllisch weh. „Paige.“ Sie reagierte nicht, sondern drückte stattdessen den Stofffetzen nun fester auf seine Wunde. „Paige!“ Er hob mit seiner freien Hand ihr Kinn an, damit sie von der blutenden Wunde weg und in seine Augen sah. Dass er sie dabei mit Blut beschmierte tat ihm leid, aber daran konnte er gerade nichts ändern. „Es ist nicht so wild, wie es aussieht.“ Zumindest war ihm nur schlecht, ansonsten gab es noch keine bösen Warnzeichen. „Und ich kann sie nicht fallen lassen. Wir müssen zum Wagen und sie an den Treffpunkt bringen. Es ist wichtig. Ich glaube, sie könnte uns … wertvolle Informationen geben.“ Er glaubte es nicht nur, er hatte auch noch so einige Befürchtungen. Denn obwohl Delila für ihn immer noch wie eine Fremde war, so war sie doch eine ehrliche und gute Frau gewesen. So sehr konnte er sich nicht in ihr getäuscht haben. Es musste irgendetwas nicht stimmen. Sonst hätte sie ihn wohl kaum angegriffen, auch wenn er das vermutlich nur selbst glauben wollte. Ryon konnte es immer noch nicht fassen, was sie getan hatte. „Bringen-“ Er zuckte zusammen, da er zu tief Luft geholt hatte und sich das nicht gerade herrlich anfühlte. „Bringen wir sie zum Wagen.“ Ryon wollte nur sehr ungern weiterhin in der Gasse herum stehen, wo jeder sie angreifen konnte. Außerdem wurde die zierliche Frau über seiner Schulter langsam immer schwerer und er begann zu frieren. „Es ist alles gut. Komm.“ Sein Tonfall war beruhigend, um Paige nicht noch mehr aufzubringen, als sie offensichtlich ohnehin schon war. Also zog er sie mit dem freien Arm an sich, damit sie weiter auf seine Wunde drücken konnte und gleichzeitig in Bewegung kam. Mit ihr zusammen machte er sich so rasch wie möglich auf den Weg zum Wagen und verbiss sich bei jedem Schritt ein Stöhnen, um seiner Gefährtin nicht noch mehr Sorge zu bereiten. Der Weg verlief sich in den Minuten, die sie zum Auto brauchten. Paige zerrte zuerst den Schlüssel aus Ryons Hosentasche, presste dann seine Hand auf den Stofffetzen und schenkte ihm einen Blick, der ihm Schlimmeres als diese Verletzung prophezeite, wenn er auch nur daran dachte, sich mehr zu bewegen als nötig. Sie riss den Kofferraum auf und zerrte Ryon die schmale Frau von der Schulter, um sie gewollt unsanft hinein zu befördern und die Klappe wieder zuzuschlagen. Als sie sah, dass Ryon auf die rechte Seite des Autos zusteuerte, zischte sie ihn an. „Ooh nein! Ich fahre!“ Sie öffnete ihm die Tür, schnallte ihn sogar an, bevor sie um die Motorhaube herum hetzte und sich hinters Steuer warf. Der Motor kam für Paiges Geschmack viel zu langsam in Gang, doch sie riss sich zusammen und gab um Ryons Willen nicht sofort Vollgas. Mit einem Seitenblick spähte sie mehr als besorgt auf die Stelle, an der sich der dunkel, feucht glitzernde Fleck auf seinem Shirt immer noch weiter ausbreitete. Wäre Tennessey nicht, sie hätte die Frau im Kofferraum verdorren lassen und ihn auf schnellstem Wege zu einem Arzt geschafft. Wenn er ihr die Ernsthaftigkeit seiner Wunde verschwieg, konnte er was erleben! Der Weg zum Wagen war die pure Folter. Dort angekommen brannte und pochte seine verletzte Seite so heftig, dass er kaum noch die Kiefer auseinander bekam, so fest verbiss er sich jeden Laut. Unfähig zu protestieren, ließ er Paige die Kontrolle übernehmen und sank stattdessen fast schon erleichtert in den Beifahrersitz zurück. Es wäre schön gewesen, jetzt einfach die Augen zu schließen und eine kräftige Portion zu schlafen, um sich wieder zu erholen, doch stattdessen presste er sich den durchnässten Stoffstreifen noch fester gegen die Seite und gab Paige immer wieder ein paar Anweisungen, wo sie hinfahren musste, da sie noch nicht den genauen Weg kannte. Seine Ausführungen waren knapp und präzise und seine Stimme immer noch kräftig, aber es kostete ihn Mühe und das begann er langsam zu spüren. Ungeduldig blickte er immer wieder aufmerksam aus dem Fenster. Zuerst verließen sie die Stadt, dann fuhren sie durch kleine Dörfer, bis die Straße in einem holprigen und verwachsenen Waldweg überging, der sich mehrere höllische Minuten lang tiefer zwischen die Bäume schlängelte und schließlich ein Weiterfahren unmöglich wurde. „Halt hier an. Das restliche Stückchen müssen wir zu Fuß gehen.“ Etwas, das Paige garantiert nicht passte, aber Ryon hatte keine Zeit, sich von ihr bemuttern zu lassen, obwohl er nichts lieber getan hätte. Stattdessen öffnete er etwas ungelenkig seinen Gurt und stieg innerlich vor sich hin fluchend aus. Wenigstens hatte die Wunde schon fast ganz zu bluten aufgehört, aber auch so fühlte er sich inzwischen ziemlich ausgelaugt und fertig. Inzwischen war Ryon sogar bereit, um es mit Tennesseys Nadeln aufzunehmen, wenn es denn wirklich sein musste, nur damit er zu Tropfen aufhörte. Beim Kofferraum angekommen, schlief Delila immer noch tief und fest. Nicht einmal eine Atombombe hätte sie wecken können, aber dafür hatte sie in den letzten zwanzig Minuten ganz schön an Gewicht zugelegt. Zum Glück waren es kaum fünf Minuten zu der kleinen windschiefen Hütte, die sie für die Befragungen ausgesucht hatten. So tief im Wald wie sie lag, war eine gute Schallisolierung nicht nötig. Auch so würde niemand sie hören oder gar stören. Hier kam einfach nie jemand vorbei. Tennessey musste sie schon von weitem gesehen haben, denn er kam bereits aus dem Haus, bevor sie die kleine Lichtung betreten hatten. Ein Blick genügte und der Arzt hatte die Situation erfasst. „Okay. Bring sie rein und leg sie auf die Pritsche. Ich will mir erst einmal ansehen, was du schon wieder angestellt hast.“ Ryon tat wie ihm befohlen und legte Delila auf das schmale Feldbett, das zusammen mit zwei Stühlen einem Tisch und einer alten Holztruhe alles an Einrichtung in der kleinen Hütte darstellte. „Gut und jetzt setz dich.“, befahl Tennessey ganz Arzt wie er war in einem Tonfall, dem man sich nicht widersetzen konnte. Also setzte er sich auf den stabileren der beiden Stühle. „Paige, du gehst auf seine andere Seite und passt auf, dass er auch sitzen bleibt.“ Warum sie das tun sollte, war Ryon ein Rätsel, aber er griff sofort nach ihrer Hand, als sie da war. Einfach nur, weil er sie berühren musste. Die ganze Nacht lang hatte er zusehen müssen, wie fremde Männer sie anfassen und noch viel Schlimmeres mit ihr anstellen wollten. Das hatte ihm ganz und gar nicht gefallen. Tennessey stellte währenddessen seine Arzttasche auf den Tisch, die er immer bei sich zu haben schien und holte daraus eine Schere hervor, mit der er Ryons T-Shirt aufschnitt, danach zog er ihm langsam den Stoff zur Seite. „Die Gute hat dich aber ganz schön erwischt. Ich hätte dich wirklich für vorsichtiger gehalten, Ryon!“, rügte der Ältere ihn und machte dabei mit einem Tupfer die Stelle um die Stichverletzung sauber. „Paige, drück bitte seine Schultern runter und sorg dafür, dass er mir bloß sitzen bleibt.“ Schon wieder befürchtete sein Freund, Ryon wäre so blöd, einfach während der Behandlung vom Stuhl aufzuspringen, warum nur? Als die warmen, prüfenden Finger direkt in die Stichwunde hinein fuhren, hatte er seine Antwort. Sofort wollte er vom Stuhl aufspringen, was Paige aber verhinderte, alleine durch die Tatsache, dass sie hier war und er sie nicht einfach über den Haufen rennen wollte. Also umschlang er ihre Taille rein instinktiv mit dem einen Arm, zog sie an sich und drückte sein Gesicht an ihren Körper, während er sich so fest mit der anderen Hand in die Tischkante krallte, dass er fast ein Stück raus brach. Er wollte vor Schmerz schreien, tat es aber nicht, stattdessen begann er flach und heftig zu Atmen, während Tennessey in ihm herum stocherte. Am liebsten hätte er seinem Freund in diesem Moment den Kopf abgerissen, denn selbst als es vorbei war, fühlte es sich immer noch so an, als hätte dieser seine ganze Hand in der Wunde. „Du hast noch einmal Glück gehabt. Etwas weiter Links oder Rechts und es wären innere Organe ernsthaft verletzt worden.“ Ryon hörte seinen Freund kaum, hielt sich stattdessen immer noch an Paige und dem Tisch fest, während er einfach an nichts zu denken versuchte. Gut, dass er nicht sah, wie Tennessey Nadel und Faden hervor holte, um die Wunde rasch und präzise zu vernähen. Die Stiche spürte er noch nicht einmal. „Mein Gott...“ Paiges Augen wollten aus ihren Höhlen treten, als sie die Finger des Arztes in Ryons Bauch verschwinden sah. Sie merkte, wie sie bleich wurde und nur noch auf den Beinen stand, weil Ryon sie brauchte. Er hatte sein Gesicht an ihrem Bauch vergraben und den Arm fest um sie geschlungen. Seine Krallen drangen durch den dünnen Stoff ihres Kleides wie durch weiche Butter. Paige störte es nicht, denn Ryons sonst tödliche Waffen glitten an ihren Schuppen ab. Hätte sie sich nicht absolut auf das konzentriert, was Tennessey tat, wären ihr vielleicht tatsächlich die Sinne geschwunden. Und obwohl sie das bei dem Anblick immer noch fürchtete, starrte sie auf jeden Handgriff des Arztes, verfolgte, wie er die Wunde sauber vernähte und anschließend ein riesiges Wundpflaster darüber anbrachte. Ihr Bauch war heiß von Ryons schnellen, gequälten Atemzügen und er hielt sie immer noch umklammert wie einen rettenden Anker. Erst als Tennessey seine Instrumente wegpackte und Paige wieder einigermaßen klar denken konnte, bemerkte sie, dass sie schon die ganze Zeit Ryons Nacken und Rücken beruhigend streichelte. Immer wieder in großen sanften Kreisen, um ihn und sich selbst zur Ruhe zu bringen. Vorsichtig sank sie in die Hocke und schlang beide Arme um Ryons Körper. Erst als sie seinen Atem an ihrem Hals spüren konnte, erlaubte sie sich ein paar Tränen, während sie in ihrem Kopf lauthals fluchte. Sie hatte immer noch das Gefühl, vor Angst um ihn einfach den Verstand verlieren zu müssen. Langsam, ganz langsam flaute der Schmerz in seinem Körper ab und wich stattdessen Taubheit an der Stelle, wo er vorhin noch ein Loch gehabt hatte. Tennessey musste ihm wohl auch etwas Schmerzstillendes verabreicht haben, ohne, dass er es bemerkte, oder es lag einfach an Paiges Nähe, die ihm so viel mehr gab, als alles andere es hätte tun können. Inzwischen hatte er beide Arme um sie geschlungen und sein Gesicht an ihren Hals geschmiegt, um bei jedem Atemzug ihren Duft tief einsaugen zu können und zu wissen, dass sie hier war. Sie gehörte ihm und er war der ihre. So und nicht anders sollte es sein. Die vielen Männer heute um sie herum, hatten ihn schier wahnsinnig gemacht. Selbst jetzt noch, würde er sich ohne zu zögern auf sie stürzen, wenn es die Situation erfordern sollte, auch wenn die Chancen auf Erfolg nun deutlich gesunken waren. Trotzdem würde er es tun. Vorsichtig zog Ryon Paige schließlich auf seinen Schoß, um sie einfach fest zu halten. Er musste nicht mit ihr sprechen oder großartig etwas tun. Er musste sie einfach dringend eine Weile halten und spüren. Alles andere war im Augenblick unwichtig und das nutzte auch Tennessey aus, um nach dem Mitbringsel auf der Pritsche zu sehen und ihnen beiden somit einen Moment der Ungestörtheit zu bieten. Als sein Freund schließlich langsam unruhig wurde, löste sich Ryon etwas von Paige, wischte ihr zärtlich die Nässe von den Wangen und küsste sie sanft auf die immer noch leicht geschwollene Unterlippe. „Wie hoch stehen die Chancen, dieses Kostümchen mal in unserem Schlafzimmer zu Gesicht zu bekommen?“, flüsterte er ihr leise und mit schwachem Humor zu. Er konnte es nicht ausstehen, wenn sie sich Sorgen machte. Tennessey räusperte sich vernehmlich am anderen Ende des Raumes. Nicht, dass er diesen Satz gerade gehört hatte, dazu war er viel zu leise gewesen, aber er verlangte offensichtlich genauso nach Aufmerksamkeit. „Ich habe der Frau-“ „Delila.“ „Wie bitte?“ „Ihr Name ist Delila und sie ist eine Gestaltwandlerwölfin.“ Tennessey runzelte die Stirn, ließ sich dann aber doch nicht beirren. „Okay, also ich habe Delila ein Gegenmittel gegeben. Sie wird nicht sofort aufwachen und auch nicht gleich wieder fit sein. Ich kann nichts mit ihr anfangen, wenn sie im Koma liegt, aber benommen genügt mir. Fesseln werden, denke ich, nicht nötig sein. Die Dosis war für ihre Statur ziemlich hoch.“ Wofür der Doc natürlich nichts konnte. Immerhin hatte er sicherlich nicht damit gerechnet statt einem riesigen Werwolf eine kleine Wölfin damit zu erwischen. Aber dass ihr Feind gerissen war, hatten sie inzwischen nur zu deutlich herausfinden können. „Gut, willst du dann anfangen?“ Ryon drückte sich immer noch zittrig an Paige, aber seine Gedanken kamen langsam wieder zur Sache. Nun, da die Wunde verschlossen war, verbesserte sich sein Zustand wesentlich schneller. Zur Sicherheit schob er seine Hand in die Nähe einer seiner Waffen. „Ja. Sie kommt langsam zu sich.“ Tatsächlich regte sich Delila schwach aber merklich auf dem Feldbett. Zumindest flatterten ihre Augenlider immer wieder hoch und gaben einen verirrten Blick frei, ehe sie sie mit einem Seufzen wieder schloss und offenbar versuchte, aus dem Dämmerzustand zu entkommen. Doch inzwischen hatte sich Tennessey den zweiten Stuhl heran gezogen und sich ans Kopfende des Bettes gesetzt, um ihr so leichter die Hände an die Schläfen legen zu können. Keine Sekunde später waren ihre Augen ganz geschlossen und ihre Bewegungen hörten auf. Eine Falte bildete sich auf der konzentrierten Stirn seines Freundes, der lange kein Wort sprach oder einen Muskel rührte, während er in Delilas Geist auf Wanderschaft ging. Paige wollte ihr Gewicht eigentlich nicht auf Ryons Schoß lasten, doch er zog sie so Besitz ergreifend an sich, dass sie im wörtlichen, wie auch im übertragenen Sinne den Boden unter den Füßen verlor. Er hätte tot sein können. Nur wenige Meter von ihr entfernt von einer Tussi erstochen, die so aussah, als könnte Paige sie locker aus den Latschen kicken. Sie hätte Ryon verlieren können – einfach so! Ihr Körper fühlte sich fast taub an vor Sorge und Angst um ihn. Paige spürte den Kuss kaum und war doch so froh darum, dass Ryon ihr die Tränen von den Wangen wischte. „Wie hoch stehen die Chancen, dieses Kostümchen mal in unserem Schlafzimmer zu Gesicht zu bekommen?“ Sie sah den Schalk ganz leise in seinen goldenen Augen glitzern und begriff doch erst, was er meinte, als sie an sich hinab sah. Das weiße Kleidchen war sogar noch ein Stück ihre Oberschenkel hinauf gerutscht, ihre Beine steckten immer noch in hoch geschnürten, glitzernden Stiefeln und Ryons Arm war unter einem Paar pinker Flügel um ihren Rücken geschlungen. Der Anflug eines Lächelns über ihr Erstaunen, ließ sie halb wütend die Augenbrauen zusammen ziehen. Ihre Faust boxte ihn nicht wirklich sanft auf die Schulter und Paige wollte gerade etwas Schnippisches erwidern, als Tennessey ihrer beider Aufmerksamkeit forderte. Sie hätte nicht gedacht, dass sich ihr Körper noch mehr versteifen könnte, aber so war es, als Ryon den Arzt verbesserte und den Namen der Frau nannte, die dort noch immer ohnmächtig auf der Pritsche lag. Sie kannten sich also wirklich. Vielleicht nur aus dem Gespräch, das immerhin die halbe Nacht gedauert hatte... Paige empfand den Gedanken seltsamer Weise als nicht sonderlich beruhigend. Wären Ryons zitternder Arm und sein warmer Körper an ihrem nicht gewesen, sie hätte sich wohl kaum davon abhalten können, diese Delila sehr nachdrücklich und auf nicht gerade schöne Weise in den Wachzustand zurück zu holen. Doch statt sich so gehen zu lassen, sah sie Tennessey konzentriert dabei zu, wie er seine Fingerspitzen sanft gegen den Kopf der Gestaltwandlerin drückte und schon bald ein verkrampfter Ausdruck auf seinem Gesicht erschien. Paige würde nie verstehen, was genau der ältere Mann tat, wenn er seine Kräfte einsetzte. Oder wie es für ihn sein musste, in einem Unterbewusstsein spazieren zu gehen. Es kam ihr unpassend vor, aber Paige fragte sich, ob es auch schön sein konnte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)