Moonglow von Flordelis ================================================================================ Moonglow -------- Es war nicht das erste, aber höchstwahrscheinlich das letzte, Mal, dass ihn dieser Gedanke durchzuckte: Wir werden alle sterben. Seltsamerweise erfüllte es ihn nicht mit der sonstigen Panik, die ihn durchfuhr, wann immer er daran dachte. Stattdessen schwamm er innerlich in einem See aus sanfter Ruhe, in dem ihm glasklar bewusst war, was er tun musste. Er konnte nicht vor dieser Schlacht weglaufen, es gab keinen Ort, um sich zu verstecken – aber es war die perfekte und möglicherweise letzte Gelegenheit für etwas, das ihm schon lange auf der Seele brannte. Das schien nicht nur ihm aufzufallen, sondern auch Avan, der sein Gewehr sinken ließ, als das feindliche Feuer nachließ und ihm zunickte. „Du musst zu ihr, Morris!“ Cosette, die neben ihm kniete, um etwaige Verletzungen sofort zu behandeln, stimmte mit einem heftigen Nicken zu. Das genügte, um ihn endgültig davon zu überzeugen. Er richtete seinen Kragen, von dem er sich wie so oft eingeengt fühlte, dann erhob er sich vorsichtig. Niemand eröffnete das Feuer. „Bis der Funkkontakt ausfiel, war ihre Einheit in Abschnitt Zwei“, erklärte Cosette. „Du weißt, wie du dort hinkommst?“ Natürlich wusste er das. In Gedanken war er den Weg dorthin in den letzten Minuten immer und immer wieder durchgegangen, hatte sich vorgestellt, wie er diesen zurücklegte, um zu ihr zu kommen. Er nickte und wandte sich ab, um bereits zu gehen, ehe ein Feind auf sie aufmerksam werden würde. Avans Stimme ließ ihn noch einmal innehalten und den Kopf wenden. Der Klassensprecher und Anführer der Einheit wirkte überraschend ernst, sein Gesicht war ungewohnt sorgenverzerrt, doch als Morris sich ihm zuwandte, lächelte er und hob den Daumen. „Hals- und Beinbruch, Mann.“ „Ich bin sicher, dass sie sich freuen wird, es zu hören. Von dir.“ „Ich bin Cosettes Meinung. Hals- und Beinbruch, Mann!“ Das waren damals Avans Worte gewesen, als sie in der Daws Desert nach einer Blume gesucht hatte. Er, Cosette und Avan, auf der Suche nach einer ominösen Pflanze, der die Fähigkeit nachgesagt wurde, zu garantieren, dass ein Liebesgeständnis erwidert wurde. Es war erst vor kurzem gewesen und doch schien es ihm in diesem Moment so lange her als wäre es in einem vollkommen anderen Leben geschehen. Er war in einer Wüste herumgeirrt, mitten in der Nacht, während der tobende Sandsturm immer stärker geworden war, um die Blume zu finden, die ihm den Mut geben sollte, seine Gefühle zu gestehen. Und nun lief er durch einen Wald, während der Nebel ihm jegliche Sicht raubte – was ihm öfter das Leben rettete, wenn er wieder einmal spürte, wie eine einzelne Patrone an seinem Kopf vorbeischoss und sich irgendwo im dichten Nebel verirrte – um das Mädchen zu finden, dem er diese Gefühle gestehen wollte. Der Kontakt zu ihr war während der Schlacht abgebrochen, aber er war fest davon überzeugt, dass sie noch lebte und sich irgendwo verborgen hielt, um nicht entdeckt zu werden oder im geeigneten Moment zuzuschlagen. Sein Atem ging nur noch schwer, obwohl er das schwere Schild, das ihn nur aufgehalten hätte, längst fallengelassen hatte, genau wie der Hammer, den er als Armor Tech trug, um seine Feinde zu besiegen. Immerhin war er nicht hier, um zu kämpfen. Dafür hielt er die Blume in seiner Hand, ohne zu wissen, wann er sie hervorgeholt hatte. Sein Blick ging umher, als er in dem betreffenden Abschnitt ankam. Hier waren die Geräusche der Schlacht wesentlich intensiver. Schüsse zerfetzten die trügerische Stille, immer wieder schrie jemand auf, sei es aus Schmerz oder um nach Verstärkung zu verlangen. Morris konnte keine der Stimmen zuordnen oder differenzieren, in seinem Gehirn verschmolzen alle Geräusche zu einem einzigen lauten Summen, das die Melodie seines Lieblingsliedes anstimmte. Er befand sich mitten in einer Schlacht und doch schien ihm alles so unendlich weit weg als würde er in der Daws Desert wieder nach der Blume suchen. „Sie ist hier... Sie muss hier irgendwo sein! Ich gebe nicht auf, bis ich sie gefunden habe!“ Seine Füße trugen ihn wie schon damals vollkommen automatisch über das Schlachtfeld, bis er wieder in eine etwas ruhigere Gegend kam. In diesem Teil des Waldes schien der Kampf bereits vorbei zu sein, tote Rebellen lagen auf dem Boden, es schien als hätte eine Rakete eingeschlagen – und augenblicklich wusste er, dass er hier richtig war. Er lief langsamer, erlaubte seinem Herzschlag, sich zu beruhigen und seinem Kopf, wieder klarer zu werden. Nur wenn er wieder eins wurde mit dem See aus Ruhe, würde er es schaffen, das zu finden, was er suchte, ohne sich dabei selbst das Genick zu brechen. Immer wieder stolperte er fast über eine Leiche, die eine Uniform der Lanseal-Akademie trug, blickte dieser dann geschockt ins Gesicht – nur um gleich darauf erleichtert festzustellen, dass er die Person nicht kannte, so dass er seinen Weg fortsetzen konnte. Doch egal wie lange er in diesem Bereich herumirrte, er fand sie nicht. „Das ist der Weg des Universums, mir zu sagen, dass ich es einfach vergessen sollte.“ „Ich wurde nicht hier rausgeschleppt, nur um zuzusehen, wie du aufgibst! Ich kenne dich. Du hättest uns nicht gebeten, dich zu begleiten, wenn es dir nicht ernst wäre.“ „Es war mir ernst. Es ist mir immer noch ernst! Ich will nicht aufgeben! Ich bin verliebt in sie! Rroaaaaagh!“ „M-Morris! Nicht da lang, Mann! Es ist gefährlich! Komm zurück!“ Er konnte hören, dass ein Panzer ganz in seiner Nähe durch den Wald fuhr, sich seinen Weg über trockenes Holz und Leichen bahnte, ohne Rücksicht auf jeden möglichen Verlust. Morris erschauerte und überlegte, woanders weiterzusuchen – als plötzlich eine leise Stimme sein Ohr erreichte: „M-Morris?“ Sein Herz schlug wieder schneller, aber nicht aus Furcht oder Sorge, sondern vor überschäumender Freude. Er ließ sich ins hohe Gras fallen, ein erleichtertes Lächeln auf seinem Gesicht. „Coleen!“ Sie sah aus als wäre sie durch die Hölle gegangen, das Gesicht mit Schmutz und Blut verkrustet, die Kleidung ramponiert und die Blume, die sie sonst in ihrem Haar trug, war spurlos verschwunden. „Was tust du hier?“, fragte sie flüsternd. Offenbar hatte sie den Panzer ebenfalls gehört und wollte dessen Aufmerksamkeit nicht auf sich ziehen. „Ich habe nach dir gesucht.“ Er bemerkte nicht nur das erschöpfte Lächeln, sondern auch den roten Schimmer, der sich dabei auf ihrem Gesicht ausbreitete. „Was ist passiert?“, fragte er, ehe sie etwas sagen konnte. „Mir ist die Munition ausgegangen.“ Sie blickte zerknirscht, runzelte ihre Stirn. „Und dann habe ich mir den Fuß verstaucht, aber ich konnte keinen Medic anfordern.“ Sie deutete auf die Stelle, an der sie normalerweise ihr Funkgerät trug. Es fehlte komplett, daher war vermutlich der Kontakt abgerissen. Er erinnerte sich daran, dass sie einmal beim Training ihren Knöchel verstaucht hatte. Kurzentschlossen hatte er sie damals zurück ins Hospital getragen – dieses Mal würde das nicht so einfach werden. „Wir sollten hier warten, bis der Panzer weg ist“, wisperte sie. Morris nickte zustimmend und legte sich ein wenig flacher ins Gras, direkt neben sie, um nicht entdeckt zu werden. Sein Herz schlug noch heftiger, als er so nah bei ihr war, seine Hände verkrampften sich. „Es ist schon gut“, sagte sie plötzlich, sie lächelte sanft. „Avan und Cosette halten immer noch die Stellung, oder?“ Wieder konnte er nur nicken, worauf sie fortfuhr. „Reiner und Zeri sind auch noch hier irgendwo, ich bin sicher, dass alles gut wird.“ Dessen war er sich absolut nicht sicher, aber ihr Optimismus umhüllte ihn mit einem warmen Gefühl von Zuversicht, das seinen Pessimismus zu vertreiben versuchte – dummerweise klammerte dieser sich äußerst entschieden fest und wollte nicht gehen. Tief in seinem Inneren blieb ihm also kalt. Ihr Blick glitt an ihm hinab – und hielt an seiner Hand inne. „Was hast du da?“ Er fühlte sich fast schon ertappt, als er die Hand hob und die Blume betrachtete. Gerade wollte er ihr antworten, als sie das auch schon selbst tat, ein sanftes Lächeln dabei auf dem Gesicht als würde sie sich an etwas erinnern. „Ah, eine Moonglow.“ Er nickte, schluckte, sein Hals war staubtrocken. „Wenn man sie der Person schenkt, der man seine Liebe gesteht, werden die Gefühle erwidert.“ „Das habe ich auch gehört.“ Plötzlich strich sie sich nervös eine Strähne hinters Ohr. „Deswegen habe ich auch eine geholt.“ Zu seiner Überraschung griff sie in ihre Tasche und zog ebenfalls eine Blume hervor. Er erkannte die hellen weißen Blüten – die in ihm stets den Eindruck erweckten, dass sie aus Mondgestein bestanden – sofort wieder. „Du hast auch eine.“ Sie nickte und hob die Blume an ihr Gesicht, ihre plötzliche Verlegenheit überraschte ihn noch mehr, es war eine Seite, die er nicht kannte, aber auf Anhieb mochte. „Ich dachte, wenn ich eine habe, würde ich den Mut finden...“ Ihre Stimme erstarb, als sie den rollenden Panzer nicht mehr nur hören, sondern die von ihm verursachten Vibrationen auch spüren konnten. Er spürte, wie sie noch etwas näher an ihn heranrutschte, sein Herz schlug so heftig, dass er glaubte, sie würde es spüren können. Der Panzer hielt direkt neben dem Stück Gras, in dem sie verborgen lagen. Die Sekunden, in denen er stillstand, krochen so schwerfällig dahin als wären sie lieber Minuten und waren entschlossen, das demonstrativ durchzusetzen. Morris widerstand der Versuchung, die Augen zu schließen, mit Sicherheit hätte Coleen sich dann noch mehr gefürchtet und im Moment versuchte er immerhin, stark für sie zu sein, ungeachtet all der Angst in seinem Inneren. „Danke, Leute. Ich habe mich entschieden. Ich werde Coleen sagen, was ich fühle.“ „Coleen...“ Er sprach leise, hauchte seine Worte fast schon, auch wenn er befürchtete, dass sie diese dann nicht verstehen würde. Doch er spürte, wie sie leicht nickte, wie um ihn aufzufordern, fortzufahren. „Ich... weißt du... ich weiß, du bist eigentlich zu gut für mich, aber... ich...“ Ihr Körper spannte sich an, sie zitterte, aber er glaubte zu spüren, dass es freudige Erwartung und nicht Furcht war. Dennoch kam er nicht dazu, die Worte zu sagen. Ein leises Zischen durchschnitt die Stille, doch ehe Morris das Geräusch einordnen konnte, erklang bereits die bekannte Explosion, wenn ein getroffener Panzer in die Luft flog. Die Hitze der Detonation ergriff seinen Körper, aber er konnte von Glück sagen, dass der Panzer doch überraschend weit weg gestanden hatte, so dass er mit angesengten Haarspitzen davonkam. Vorsichtig setzten er und Coleen sich aufrecht hin. In einigen Schritten Entfernung stand Reiner, der sich triumphierend über das Kinn rieb. Morris war noch nie so froh gewesen, seinen Mitschüler zu sehen wie in diesem Moment. Auch wenn er zu einem eher unpassenden Augenblick erschienen war. „He, alles in Ordnung mit euch beiden?!“, rief er ihnen zu. Beide nickten, er gab ihnen daraufhin ein Zeichen, dass sie verschwinden sollten. „Die Verstärkung von Lanseal ist eingetroffen und die meisten Rebellen ziehen sich zurück. So wie ihr ausseht, solltet ihr erstmal auf die Krankenstation.“ Sie nickten noch einmal, statt etwas zu sagen, worauf er ihnen zuwinkte und in eine andere Richtung davonlief. Sofort stand Morris wieder auf, ehe Coleen sehen konnte, wie rot sein Gesicht geworden war, doch dann beugte er sich zu ihr hinunter, um sie wieder hochzuheben. Die Verlegenheit in seinem Inneren nach seinem missglückten Liebesgeständnis wurde spielend von seinem Wunsch ihr zu helfen überdeckt, sagen konnte er dennoch nichts. Er schwieg also, während er herumfuhr und mit ihr auf dem Arm davonlief. Sie war größer als er, es musste lächerlich aussehen, wenn er so mit ihr herumlief, aber das kümmerte ihn nicht weiter, er war froh, sie so tragen tragen zu dürfen – und ihre eigene Verlegenheit schien auch nicht daher zu rühren. Gerade eben noch hatten sie beide befürchtet, sterben zu müssen und nun liefen sie einfach so wieder davon. Es zeigte, wie sehr sie diesen Krieg mit all seinen Konsequenzen bereits gewohnt waren. In der Ferne erklangen noch vereinzelt Schüsse, aber ansonsten herrschte absolute Stille, so dass er es hören konnte, als Coleen leise zu sprechen begann: „Morris, ich weiß, was du sagen wolltest.“ Es lief ihm eiskalt den Rücken hinunter, als er sich vorstellte, wie sie ihm gleich das Herz brechen würde. Ihre Hände, die sie um ihre eigene Moonglow geschlossen hatte, verkrampften sich. „Zumindest hoffe ich, dass du das sagen wolltest, denn ich...“ Sie verstummte wieder, doch sie musste es auch nicht aussprechen, damit er wusste, was sie sagen wollte, es schien ihm mit einemmal so offensichtlich. Er lächelte. „Ich bin so froh darüber.“ Als sie das hörte, lächelte sie ebenfalls wieder und schmiegte sich an ihn. „Du bist mein Ritter, Morris.“ Mit einemmal überkam ihn das Gefühl, dass dieser eine Moment, selbst wenn er nur flüchtig anhalten würde, alles wert gewesen war. Die Suche nach der Moonglow in der Daws Desert, die Suche nach Coleen im Leanbluff Forest... es hatte sich alles gelohnt und zum ersten Mal in seinem Leben glaubte er nicht mehr, dass er unmännlich war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)