Lektionen fürs Leben von Zyra (Wenn Kaiba vor dem Nichts steht ...) ================================================================================ Kapitel 19: Vernunftsache ------------------------- Vernunftsache Seufzend fuhr Kaiba sich durch die Haare. Als er die wirren Strähnen zwischen seinen Fingern hindurch gleiten spürte, musste er den Impuls unterdrücken, sie wieder zu ordnen. Es fühlte sich ungewohnt an, aber es war nun mal sein neuer Stil. Er musste sich eingestehen, dass die zerzauste Frisur ihren Zweck erfüllte und solange sie das tat, würde er nichts daran ändern. Du musst schnell handeln, rief Kaiba sich abermals ins Gedächtnis. Er hasste es so unter Druck zu geraten. Zeitnot führte zum Hetzen und das wiederum oftmals zu Fehlern. Und Fehler konnte er gerade in dieser Situation überhaupt nicht gebrauchen. Leider blieb ihm gar nichts anderes übrig, als sich zu beeilen. Er hatte eine Deadline. Bis dahin würde er so sorgfältig arbeiten, wie es möglich war. Den halben Nachmittag hatte er damit zugebracht, Nerea und Charlie zu überprüfen. Dabei waren einige interessante Informationen ans Tageslicht gekommen, darunter allerdings nichts, dass ihm besonders nützlich sein oder gefährlich werden konnte. Praktisch war es ohne Zweifel, dass Charles Johnson nicht nur Nereas Kollege war, sondern auch ihr Boss. Damit gab es in dem Café niemanden, dem die beiden Erklärungen oder Rechenschaft schuldig wären. Darüber hinaus hatte Charlie mehrere Lieferverträge für Frühstück mit Bewohnern des Apartmenthauses geschlossen. Somit ergab auch Nereas Ausspruch Sinn, dass sie eine logische Erklärung hatte, das Gebäude zu betreten, wenn Charlie sich nicht querstellte. Vorteilhaft konnte es sicherlich auch sein, dass Charlies Wohnung direkt über dem Café lag. Die Wahrscheinlichkeit, dass man von dort aus einen guten Blick auf das Gebäude gegenüber hatte, war recht hoch. Das Einzige, was Kaiba an der gesamten Sachlage zu denken gab – einmal abgesehen davon, dass er überhaupt jemanden in den brisanten Plan einweihen musste – war die Tatsache, dass Nerea die 10.000$, die ihr „gestohlen“ wurden, selbst abgehoben hatte. Er wurde das ungute Gefühl nicht los, dass sie vielleicht vorgehabt hatte, ein Geschäft mit Pierce zu machen und dabei betrogen worden war. Den Punkt galt es auf jeden Fall noch zu klären. Die Verhältnisse, aus denen sie stammte, waren zwar eher ärmlich, allerdings schien das familiäre Umfeld durchaus solide zu sein. Den Eindruck erweckte zumindest ihre Persönlichkeit im Zusammenhang mit seinen gesammelten Daten. Darin, dass Nerea nicht wusste, wer ihr Vater war – das schloss er daraus, dass sie ihn nicht kannte und er auch nicht namentlich in ihrer Geburtsurkunde genannt wurde – lag sicherlich ein Spannungsfeld, aber Streitigkeiten gehörten nun mal auch in Familien dazu. Einen möglichen Zusammenhang mit seinem Vorhaben konnte er nicht erkennen. Die zweite Hälfte des Nachmittages hatte Seto damit verbracht, zu grübeln, wie viel er Nerea verraten sollte. Eigentlich wollte er nur das Nötigste erzählen, aber er befürchtete, dass sie sich nicht damit zufrieden geben würde. Ihre dann wahrscheinlichen Nachforschungen zögen sicherlich mehr Aufmerksamkeit auf sich, als wenn etwas schief ging und sie herumerzählte, dass Seto Kaiba in der Stadt war. Genervt vergrub Kaiba seine Hände in den Haaren. Wie er diese Kompromisse hasste. Funktionierte in letzter Zeit denn gar nichts einwandfrei?! Er massierte sich die Schläfen, die langsam zu pochen begannen. Im Grunde hatte er nur zwei Möglichkeiten. Ihr zu sagen, wer er war, und dass er etwas aus seinem Penthouse brauchte. Er war sich relativ sicher, dass sie das so akzeptieren würde. Das Problem an dieser Option war, dass er einer weiteren Person offenbarte, dass er in der Stadt war. Fraglich war nur, ob ihm das gefährlich werden konnte. Selbst wenn er sich mit ihr überwarf und Nerea zum Telefonhörer griff, um ihn bei Mokuba anzuschwärzen, fände sie wohl eher kein Gehör. Solche Anrufe liefen in der KC sicherlich stündlich von irgendwelchen Wichtigtuern auf. Und wie wahrscheinlich war es, dass Mokuba ihn in dieser Stadt finden würde. Sein Bruder hatte keine Ahnung von seiner Verbindung zu Lana. Sollte es hart auf hart kommen, konnte er immer noch in der Wohnung bleiben, bis Mokuba annahm, dass er weiter gezogen war. So weit zu gut, dachte Kaiba. Das klang gar nicht schlecht. Der große Knackpunkt war, dass er sich dagegen sträubte, zu sagen, wer er war. Er wollte dem Mädchen gegenüber nicht eingestehen, was ihm widerfahren war. Jedoch … wie sah seine Alternative aus? Sie war riskant. Es würde Nerea im Dunkeln tappen lassen oder anlügen müssen. Seinem Eindruck nach würde das nur dazu führen, dass sie ihm misstraute und hinter seinem Rücken agierte. Ob das nun auffällige Nachforschungen über seine Person oder verschwiegene Informationen waren, es konnte ganz schnell nach hinten losgehen. Verdammter Dreck. Bei der kurzen Zeit, die ihm zur Verfügung stand, konnte er sich dieses Risiko nicht erlauben. Er tat gut daran, nicht ihr Misstrauen zu erwecken. Es war besser, wenn sie am Anfang seinen Plan still und leise ablehnte, als dass es möglicherweise später mit einem großen Knall passierte. Zu Beginn hatte sie nichts gegen ihn in der Hand und er hätte notfalls noch Zeit, sich etwas anderes zu überlegen. Hör auf die Vernunft, sagte er sich seufzend. Die Papiere zu beschaffen, war zu wichtig, als dass er so leicht riskieren sollte, im letzten Moment zu scheitern. Ist ja nicht so, als ob mein Ego in der letzten Zeit nicht schon genug gelitten hätte, dachte er sarkastisch. An seiner Entscheidung änderte es nichts. *** „Du bist heute aber nicht sehr gesprächig“, sagte Nerea und musterte ihn kritisch. Kaiba lächelte säuerlich. Er war einfach nicht bei der Sache. Ständig schweiften seine Gedanken ab. Er haderte tatsächlich immer noch mit seiner Entscheidung. Er wollte es nicht. Seine Vorbereitungen hatte er getroffen. Von Lana hatte er sich eine schlichte, schwarze Umhängetasche für seine Technik geliehen und er hatte mit Charlie gesprochen. Der junge Mann war durchaus dankbar dafür, dass Kaiba auf andere Art und Weise versuchen wollte, seine Kellnerin von dem Einbruch bei Terry Pierce abzubringen. Dass sie so leicht nicht aufgeben würde, hatten sie beide am Morgen sofort erkannt. „Ich bin sehr nachdenklich“, gestand Kaiba schließlich ein. Er machte sich nicht die Mühe, den Impuls, sich durch die Haare zu fahren, zu unterdrücken. „Ich hadere mit einem Gedanken.“ „Hm, verstehe“, erwiderte sie langsam. „Ich kann dir nicht zufällig helfen, oder?“ Kaiba lächelte leicht und gab sich einen Ruck. „Das kannst du tatsächlich.“ „Ja?!“, sagte Nerea. Sie wirkte gleichermaßen erstaunt und erfreut. „Wie denn?“ „Es macht dir sicher nichts aus, wenn wir das oben in Charlies Wohnung besprechen?!“, erwiderte Kaiba und erhob sich, ohne eine Antwort abzuwarten. „Ich denke, es ist besser, dabei nicht in der Öffentlichkeit zu sein. Keine Sorge, ich habe es mit ihm abgeklärt.“ Nerea hob die Augenbrauen. Sie war ein wenig verwirrt, folgte ihm aber in die Privaträume des Café. „Hier entlang“, sagte sie grinsend, als Kaiba einen Moment innehielt, um sich noch einmal Charlies Wegbeschreibung vor Augen zu führen. Zielstrebige ging sie durch den Raum, öffnete die Tür, die zum Treppenhaus führte und sprang mit großen Schritten die Stufen in den ersten Stock hinauf. Mit dem geliehenen Schlüssel schloss Kaiba die Wohnung auf und verschaffte ihnen Zutritt zu den in warmen und dunklen Farben eingerichteten Räumen. „Also?“, fragte Nerea, nachdem sie es sich im Wohnzimmer in Sessel und Sofa bequem gemacht hatten. „Was gibt es so Brisantes zu besprechen?“ „Es geht um die Angelegenheit mit Terry Pierce“, sagte Kaiba. Als erstes musste er herausfinden, wie sie das Geld verloren hatte. Wenn ihm nicht gefiel, was er hörte, konnte er die Sache immer noch abblasen. Nerea seufzte. Ihr Gesichtsausdruck blieb freundlich, aber es war ganz deutlich zu erkennen, dass sie das Thema langsam nervte. „Deine Sorge ist wirklich rührend“, sagte sie schmunzelnd und fügte distanzierter hinzu: „Aber es betrifft dich nicht, also ist es ganz alleine meine Entscheidung.“ „Abgesehen davon, dass das so nicht stimmt, kann ich dir vielleicht ein Angebot machen, um dir zu helfen“, warf Kaiba ein, der mit diesem Einwand schon gerechnet hatte. Nur das Wort „rührend“ erschien im fehl am Platze. Überrascht hob Nerea die Brauen. „Wie kommt es, dass du deine Meinung so schnell geändert hast?“, fragte sie und lehnte sich im Sofa zurück. „Ich habe meine Meinung nicht geändert“, widersprach Kaiba. Bisher verlief das Gespräch wie erwartet. „Ich halte es immer noch für lebensmüde, bei Pierce einzubrechen. Aber vielleicht kann ich dir ein weniger riskantes, aber ebenso befriedigendes Angebot machen.“ Nerea runzelte die Stirn. „Käme auf einen Versuch an?“, antwortete sie nachdenklich. „Dazu müsste ich allerdings wissen, was vorgefallen ist“, verlangte Kaiba. Es lief gut mit. Und für die Frage, was er ihr möglicherweise über sich sagen sollte, kam langsam auch eine neue Idee in ihm auf. Nerea seufzte abermals. Ihr schien unbehaglich zu Mute. „Warum sollte ich dir das sagen?“ „Weil du mir vernünftig genug erscheinst, für Geld nicht dein Leben aufs Spiel zu setzen“, antwortete Kaiba selbstsicher. Provokant setzte er nach: „Oder hast du dabei etwas zu verlieren?“ Sie fuhr sich durch die Haare und biss sich auf die Unterlippe. „Na schön, warum auch nicht. Ich habe nichts Unrechtes getan.“ Sie schwieg einen Moment. „Es war eine Wette. Es klang absolut fair.“ „Davon abgesehen, dass Terry Pierce niemals fair wettet, sind die meisten Wetten um solche Summen verboten“, warf Kaiba spöttisch ein. Zu seiner Verwunderung nickte Nerea. „Stimmt, das war letztendlich auch der Harken. Es war mein Stiefvater, der gewettet hat. Er hat sich provozieren lassen und obwohl ich mich mit ihm nicht so besonders verstehe, kann ich nicht richtig böse auf ihn sein. Ich weiß, dass ich wohl auch nicht anders gehandelt hätte. Natürlich war es mein Geld, aber na ja, richtig wütend bin ich auf Pierce. Nachdem mein Stiefvater die Wette gewonnen hatte, hat Pierce damit gedroht, ihn anzuschwärzen. Für den Wetteinsatz konnte er die Audioaufnahme kaufen, die Pierce von ihrem Gespräch mit dem Handy gemacht hatte.“ „Wieso bist du dir so sicher, dass es keine Kopien der Aufnahme gibt?“, fragte Kaiba argwöhnisch. So eine Erpressung konnte bei gemachten Kopien endlos weitergehen. „Mein Stiefvater hat Pierce sofort mit Geld der Baufirma, bei der er arbeitet, bezahlt. Ich habe die Speicherkarte des Handys, die er bekommen hat, ausgelesen. Die Datei ist darauf und mein Stiefvater sagt, dass Pierce nicht oft genug auf dem Gerät herum getippt hat, um sie im internen Speicher zu speichern. Per SMS hat er die Aufnahme auch nicht verschickt, das habe ich überprüft.“ Sie machte eine wegwerfende Handbewegung und schwieg kurz. Kaiba grinste schwach. Sie hatte also gehackt, um an diese Informationen zu kommen. „Außerdem ist das Ganze jetzt gute sieben Monate her. Wenn er eine Kopie hätte, hätte er sich sicherlich schon gemeldet.“ Kaiba nickte langsam. Da hatte sie sicherlich Recht. Nachdenklich rückte er die Brille auf seiner Nase zurecht. Er war es immer noch nicht gewohnt, sie so häufig zu tragen. Die Informationen, die er bekommen hatte, waren zufriedenstellend. Er nahm nicht an, dass Nerea ihn belog. Sie war im Grunde nicht der Typ, der irgendwo einbrach. Ihr Geld wollte sie zurück, aber ihr Leben zu riskieren, sahen ihre Pläne eher nicht vor. Nach Möglichkeit wollte sie eine Alternative. „Da deine Eltern das Geld nicht hatten, bist du zur Bank gegangen und hast dein Erspartes geholt, damit sein Stiefvater seinen Job nicht verlor.“ Es war mehr eine Feststellung, aber er wollte die endgültige Bestätigung. „Ja. Es blieb mir ja gar nichts anderes übrig“, sagte sie. „Vom Einkommen meiner Mutter und meines Stiefvaters soll ich das Geld zurückbekommen, aber na ja, du kannst dir ja vorstellen, wie lange das dauern wird. Wir sind nicht so flüssig. Ich arbeite so viel wie möglich und Charlie unterstützt mich da zum Glück auch, aber um das Studium beginnen zu können, brauche ich die 10.000.“ „Ja, natürlich“, stimmte Kaiba zu. Geldnot, um ein bestimmtes Ziel zu ermöglichen, kannte er zurzeit selbst sehr gut. „Ich denke, wir könnten einen Deal machen.“ „Einen Deal“, wiederholte Nerea verwundert, jedoch interessiert. „Ja. Ich könnte dir sozusagen einen Job anbieten. Er ist nicht sehr zeitaufwändig, dafür jedoch nicht legal. Du würdest fünf- bis achttausend wieder reinkriegen. Darüber hinaus würde ich dir helfen, eine kleine Rache an Pierce zu organisieren, die nicht auf uns zurückzuführen ist.“ Nerea runzelte nachdenklich die Stirn. „Was wäre das für ein Job?“, fragte sie, wobei ihre Betonung auf dem letzten Wort lag. „Ich brauche jemanden, der mir drüber die Kameras anzapft.“ Er deutete aus dem Fenster auf das gegenüberliegende Apartmenthaus. „Es ist ein internes System und es ist besser, wenn ich das Gebäude nicht mehr als einmal betrete. Du hast gesagt, du hast einen guten Grund, dort zu sein, wenn Charlie mitspielt.“ „Ja, stimmt schon“, bestätigte Nerea, „aber bei wem willst du einsteigen? Ich werde nicht riskieren, mir mit einem noch größeren Arsch als Terry Pierce Ärger einzufangen.“ Seufzend lehnte sich Kaiba in dem Ledersessel zurück. Er hatte so gehofft, dass sie genau diese Frage nicht stellen würde. Das hätte es ihm deutlich einfacher gemacht. Aber so würde er nicht darum herumkommen, es ihr zu sagen. Lügen oder die Antwort verweigern, würde er nicht. Er gab sich einen Ruck und holte eine Eigentümerliste aus der Umhängetasche. „Du kannst ja mal raten“, sagte er grinsend und schob den Zettel über den Couchtisch. „Es ist wirklich nicht schwer.“ Automatisch griff Nerea nach dem Blattpapier. Sie zog interessiert die Augenbrauen zusammen. „Ich verstehe nicht ganz“, murmelte sie in die Liste vertieft. Kaiba legt ein Bein über das andere, nahm die Brille ab und richtete seine zerzauste Frisur. „Und du bist dir sicher, dass du dich in der Software-Branche gut auskennst?“, fragte er sarkastisch und setzte sein übliches spöttisch-arrogantes Grinsen auf. Verwirrt blickte Nerea auf, dann riss sie plötzlich die Augen auf. Wie von selbst fand ihr Finger Mokubas Namen. „Seto“, murmelte sie zu sich selbst und schlug sich leicht mit der Hand vor die Stirn. „O Mann. Wie kann man nur so blind sein.“ Der Blick, den sie ihm zuwarf, empfand Kaiba für sich selbst als durchaus positiv. „Du bist Seto Kaiba“, sagte Nerea schließlich verblüfft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)