Lektionen fürs Leben von Zyra (Wenn Kaiba vor dem Nichts steht ...) ================================================================================ Kapitel 11: Nützliche Konkurrenz -------------------------------- Nützliche Konkurrenz Unwillkürlich stöhnte Kaiba auf, als er am Sonntagmorgen versuchte aufzustehen. Verdammter Muskelkater, fluchte er. Dass Lana sich mal wieder erdreistete, ihn als Kopfkissen zu benutzen, machte die Sache auch nicht besser. Genervt schob er sie beiseite, was mit einem Murren quittiert wurde, und stand auf – den Protest seiner Muskeln ignorierend. Ich hätte gestern doch noch ein heißes Bad nehmen sollen, dachte Kaiba missmutig, während er ins Bad – in Richtung Dusche – lief. Solch ein Training war sein Körper nicht mehr gewohnt. Er trat in den warmen Wasserstrahl, merkte, wie sich seine Muskeln etwas entspannten und sehnte den Moment herbei, an dem der Gewöhnungsprozess seines Körpers abgeschlossen war. Dann würde er zumindest nicht mehr in einem solchen Maß Muskelkater haben. Es war gerade einmal halb acht, als er das Haus verließ. Bevor er in sein Penthouse einbrechen konnte, brauchte er Informationen. Über das Sicherheitssystem und das Sicherheitspersonal. Ersteres konnte er aus der Wohnung mit seinem Laptop erledigen, letzteres würde er vor Ort tun müssen. Nachdem Kaiba damals das Penthouse gekauft hatte, waren ihm auch die hausinternen Sicherheitsmaßnahmen gezeigt worden – weil er darauf bestanden hatte. So hatte unter anderem auch den Aufenthaltsraum des Personals besichtig, in dem eine große Tafel mit den Schichtplänen hing. Beim Blick aus dem Fenster war ihm auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein kleines Café aufgefallen, von dem man, wie er es einschätze, hervorragend das Zimmer einsehen konnte. Das war ein Grund gewesen, warum er sich dafür entschieden hatte, Sicherheitstechnisch noch ein wenig nachzurüsten. Heute wollte Kaiba herausfinden, ob er Recht hatte. Und wenn er es hatte, würde er es gnadenlos ausnutzen. Er hat eine kleine Knopfvideokamera in der Tasche. Sie hatte eine gute Auflösung und Kaiba hoffte, dass sie die Dienstpläne in brauchbarer Qualität erfassen konnte. Während die Kamera aufzeichnete, würde er beobachten, wann wer kam und welche zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den einzelnen Mitarbeitern herrschten. Deshalb war er so früh dran. Um ziemlich genau acht Uhr betrat er das kleine Café. Für die Uhrzeit und den Wochentag war es relativ voll. Anscheinend gehörte es zu den Lokalitäten, in denen man gut frühstücken konnte. Kaiba wählte einen Fensterplatz in der Ecke. So saß er mit dem Rücken zur Wand – sodass ihm niemand über die Schulter schauen konnte – und hatte einen optimalen Blick in den Aufenthaltsraum. Zuerst allerdings studierte er die Karte. Wenn die hielt, was sie versprach, konnte Kaiba durchaus nachvollziehen, warum das Lokal so gut besucht war. „Was darf es sein?“, wurde er von einem Kellner in seinem Alter aus seinen Gedanken gerissen. „Erst einmal nur einen Kaffee. Ohne Zucker. Ohne Milch“, sagte Kaiba bemüht freundlich. Er wollte auf keinen Fall in besonderer Erinnerung bleiben. „Sehr wohl.“ Nach einem letzten kurzen Blick in die Karte, bei dem er endgültig die Entscheidung traf ein Schinken-Käse-Omelette zu nehmen, richtete er seinen Blick – scheinbar desinteressiert – aus dem Fenster. Zufrieden stellte er fest, dass der Aufenthaltsraum noch leer war. Seine Augen wanderten über seinen Tisch. Er brauchte irgendeinen Ort, wo er die Videokamera befestigen konnte und an dem sie nicht auffallen würde. Die Fensterbank war relativ niedrig, zumindest im Gegensatz zum Tisch. Wenn er das Gerät an der Tischplatte anbrachte, müsste es die gewünschten Bilder liefern, außer Teile des Fensterrahmens waren gerade im Weg. Die Wahrscheinlichkeit dafür war jedoch gering. Dazu musste er schon einen sehr ungünstigen Platz an der Tischkante wählen. Nachdem Kaiba die Kamera platziert hatte, holte er seinen Notizblock und Kugelschreiber hervor. Am Abend zuvor hatte er sich in das Mitarbeiterverzeichnis des Sicherheitsdienstes gehackt, das praktischerweise auch Fotos beinhaltete. Die Gesichter derjenigen, die für ihn interessant waren, hatte er sich eingeprägt. Von weitem konnte er zwar nur eingeschränkt erkennen, welche Beziehungen zwischen den Angestellten herrscheten, aber er hatte einen recht guten Blick für Sympathien und Differenzen. „Ihr Kaffee“, sagte der Kellner, während er die Tasse vor ihm abstellte. „Dankeschön!“, zwang Kaiba über seine Lippen. Herzlich wirkte es zwar nicht, aber bei wem tat es das schon? Inzwischen war er nur noch einer unter vielen. Also benahm er sich besser auch so. Alles andere wäre zu auffällig. Die nächste halbe Stunde brachte er damit zu, den Aufenthaltsraum zu beobachten und sich alles zu notieren, was ihm wichtig erschien. Er hatte länger überlegt, ob er seine Aufzeichnungen verschlüsseln sollte. Letztendlich hatte er sich für einen einfachen Code entschieden. Es war unwahrscheinlich, dass jemand seine Mitschriften lesen würde, aber für den Fall, dass es doch geschah, sollte nicht sofort erkennbar sein, was er tat. So hatte Kaiba den Zahlen von null bis neun jeweils drei Buchstaben des Alphabets zugeordnet, für die Initialen des Personals die japanische Stellung – Nachname, Vorname – gewählt, Abkürzungen eingeführt – zum Beispiel i. B. v. für „in Begleitung von“ – und Symbole bestimmt, mit denen er die zwischenmenschlichen Beziehungen abbilden konnte. Um kurz nach halb neun trat eine junge Frau an seinen Tisch. Von ihrer Kleidung passte sie überhaupt nicht ins Viertel. Der kleine Camcorder, mit dem sie herumspielte schon etwas eher. „Entschuldigen Sie, Sir“, sagte sie freundlich lächelnd. „Stört es Sie, wenn ich mich zu Ihnen an den Tisch setze? Es ist alles besetzt.“ Kaiba warf einen Blick über die Schulter und stellte verwundert fest, dass sie Recht hatte. Er hatte gar nicht bemerkt, dass das Café inzwischen voll war. „Meinetwegen“, meinte er knapp und neutral. Eigentlich passte es nicht in seinen Plan, aber er sah keinen guten Grund, Nein zu sagen. Seine Notizen konnte sie nicht lesen. Also was sollte schon groß schief gehen? „Dankeschön!“, erwiderte sie und lächelte ihn dankbar an. Sie ließ sich auf die Bank gegenüber sinken und legte ihre Tasche, sowie Mantel, Mütze, Schal und Handschuhe neben sich. Abermals fragte Kaiba sich, wie sie denn in dieses Viertel passte. „Hallo Nerea“, begrüßte der Kellner sie wenig später. „Guten Morgen, Charlie!“ „Willst du wieder deinen Mitarbeiterrabatt nutzen?“, fragte er augenzwinkernd und beantwortete damit Kaibas Frage. Sie arbeitet also hier, dachte Kaiba und so passte sie ins Bild. „Ja, klar. Nirgendwo anders in der Stadt bekomme ich so günstig, so gutes Frühstück“, erklärte sie grinsend. „Wohl wahr“, bestätigte Charlie vergnügt. „Weißt du schon, was du möchtest?“ „Nee. Ich guck noch mal in die Karte“, sagte sie und schnappte sich eben diese aus dem Ständer. „Ich hätte gern noch einen Kaffee“, schaltete sich Kaiba ein, bevor der Kellner wieder verschwinden konnte. „Und ein Käse-Schinken-Omelette.“ „Gern!“ „Oh, das kling gut, aber für mich einen Cappuccino“, entschied sich Nerea schnell und stellte die Karte weg. Nachdem der Kellner verschwunden war, begann sie an ihrem Camcorder Einstellungen vorzunehmen. Verwundert nahm Kaiba aus dem Augenwinkel wahr, dass das rote Aufnahmelämpchen aufleuchtete und sie das Gerät weglegte – so, dass Aufnahmen vom Haus gegenüber gemacht wurden. „Sie machen aber eine seltsame Steuererklärung“, meinte sie nach einem langen Blick auf seine Notizen. Kaiba hob fragend eine Augenbraue. Eigentlich wollte er sie anfahren, dass sie sich um ihren eigenen Kram kümmern sollte und er nicht an Smalltalk interessiert wäre. Aber das erschien ihm in diesem Moment nicht angebracht. Zumal er noch nicht hatte erkennen können, ob der Camcorder auch Ton aufzeichnete. Seine Stimme auf dem Gerät einer Frau, die er verärgert hatte, schien in seiner jetzigen Situation nicht sonderlich sinnvoll. „IVA“, sagte Nerea schmunzelnd und deutete mit einem Finger auf die erste Zeile seiner Notizen. „Das ist die Abkürzung für 'impuesto sobre el valor añadido'. Spanisch für Mehrwertsteuer. Aber Ihrem Gesichtsausdruck entnehme ich, dass Sie das nicht gemeint haben.“ IVA stand für 8:10 Uhr, aber das wusste sie zum Glück nicht. Erst jetzt fiel Kaiba auf, dass sie durchaus aussah wie eine Spanierin – etwas dunklerer Teint und lange, dunkle Haare. Die Sprache beherrschte sie jedenfalls fließend. Aber das musste nichts heißen. Theoretisch konnte sie auch aus Südamerika stammen oder sie war zweisprachig aufgewachsen. Ihr Englisch war genauso gut wie das Spanisch. Kaiba warf noch einmal einen unauffälligen Blick auf ihre Videokamera. Nun entdeckte er das aufleuchtende „Stumm“ – Zeichen. Damit konnte er sehr sicher ausschließen, dass sie das Gerät ausversehen eingeschaltet hatte. „Nein, das steht für ‚Isotopenverdünnungsanalyse‘“, sagte er schließlich. Inhaltlich war es Nonsens, aber es war das erste Wort, das ihm einfiel, für das IVA eine Abkürzung war. Sein Gegenüber brach daraufhin in schallendes Gelächter aus. „Schon okay. Sie brauchen sich keine Wörter auszudenken, um Ihrem Geheimschrift-Liebesbrief einen anderen Sinn zu geben“, sagte sie schmunzelnd und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. Kaiba runzelte die Stirn. Geheimschrift – definitiv. Liebesbrief – extrem weit von der Wahrheit entfernt. Aber ihm sollte es nur recht sein. Das war besser, als wenn sie seine Absichten erkannt hätte. „Chemie ist nicht so Ihrs, hm?“, konnte er sich dennoch nicht verkneifen zu sagen. „Diese Analyse gibt es wirklich?“, fragte Nerea verblüfft. Er nickte nur. „Tja, da hab ich in der Schule wohl mal gepennt.“ Kaiba bezweifelte, dass die Isotopenverdünnungsanalyse in irgendeinem Land auf dem Lehrplan stand. Vielleicht in einem Leistungsfach. Oder sie wurde mal am Rande erwähnt. Er selbst hatte in seiner ganzen Schullaufbahn jedenfalls nie etwas davon gehört. Als Charlie ihre bestellten Speisen brachte, nutzte Kaiba den Moment, um den Block und den Stift verschwinden zu lassen. Nachfragen, was andere Abkürzungen bedeuteten, wollte er vermeiden. Vielleicht wäre ihm spontan zu dem ein oder anderen sogar etwas eingefallen, aber das hätte sicherlich nichts mit Chemie zu tun. Er würde sich auf seine Videoaufzeichnungen verlassen müssen. „Und Sie interessieren sich für Chemie?“, fragte Nerea, nachdem sie sich bei Charlie bedankt hatte. „Ein wenig“, antwortete er vage und machte sich über sein Omelette her. Sie sprachen nicht mehr viel. Kaiba antwortete immer kurz und knapp und irgendwann musste sie sich an die Arbeit machen. „Kann ich meine Wertsache hier liegen lassen?“, fragte sie ihn. „Wir haben leider ein kleines Diebstahlproblem in unserer Umkleide.“ „Ich bin nicht ewig hier“, stellte er fest. Allerdings war ihm nach ihrer Frage endgültig klar, dass sie den Aufenthaltsraum gegenüber absichtlich aufnahm. „Schon klar“, sagte sie schmunzelnd, „aber haben Sie solange ein Auge auf meine Sachen?“ „Kein Problem. Es macht ja keine Umstände“, sagte er und zuckte mit den Schultern. Er hatte die Videokamera sowieso gerne genauer unter die Lupe nehmen wollen. Vielleicht waren ja noch Aufnahmen von anderen Tagen darauf. „Danke!“ Sobald Nerea mit ihren Gästen beschäftigt war, griff Kaiba nach dem Camcorder. Er schaltete die Aufnahme aus und verschaffte sich einen Überblick über das darauf gespeicherte Material. Wenn er das richtig sah, hatte sie Daten von Donnerstag bis heute. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, ihre Speicherkarte einzustecken, verwarf den ihn jedoch sofort. Selbst mit ihren Aufnahmen fehlten ihm noch drei Tage. Er musste noch mehrmals herkommen und sie hätte ihn sofort in Verdacht. Für Mittwoch könnte er es allerdings tatsächlichen in Betracht ziehen. „Was tun Sie da?“ Gerade als Kaiba den Camcorder ausgeschaltet hatte, trat Nerea auf ihn zu. Er lächelte leicht und die Lüge kam problemlos über seine Lippen. „Ich hab ein rotes Lämpchen leuchten gesehen. Sie haben ihn vorhin wohl ausversehen eingeschaltet. Es wär ja ärgerlich, wenn Sie später etwas aufnehmen wollen und der Akku schmiert Ihnen ab, deshalb wollte ich ihn ausschalten. Ich hab einen Moment gebraucht, bis ich den Aus-Knopf gefunden habe. Ich bin nicht so technikversiert.“ „Oh. … Danke, … das war sehr nett“, brachte sie stockend über ihre Lippen. Sie lächelte. Es wirkte auf den ersten Blick ehrlich, aber Kaiba durchschaute ihre Maske sofort. Er wusste, worauf er achten musste. „Nicht der Rede wert“, antwortete er abwinkend. „Ich möchte dann zahlen.“ „Ja, natürlich. Einen Moment, bitte.“ Während Nerea die Rechnung holte, steckte Kaiba seinen Videoknopf wieder ein und trank seine letzten Schlucke Kaffee. Warum auch immer sie Interesse am Geschehen im Aufenthaltsraum hatte, sie konnte ihm noch sehr nützlich sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)