Lektionen fürs Leben von Zyra (Wenn Kaiba vor dem Nichts steht ...) ================================================================================ Kapitel 10: Erste Lektionen --------------------------- Erste Lektionen Was tue ich hier nur? Diese Frage stellte sich Kaiba an diesem Vormittag nicht zum ersten Mal. Er musste noch nicht ganz wach gewesen sein, als er zustimme, Lana mit zum Einkaufen zu nehmen. Auf den ersten Blick hatte er nur die Vorteile gesehen. Sie kannte sich in New York aus. Welche U-Bahn fuhr wann wohin? Wo konnte man relativ günstig einkaufen? In welcher Lokalität wurde er mit hoher Wahrscheinlichkeit beim Essen gehen nicht erkannt? Das waren lauter nützliche Dinge, von denen er sich eine große Zeitersparnis erhofft hatte. Aber im Grunde hätte ihm sofort klar sein müssen, worauf er sich einließ. Eine Kombination, die so selbstverständlich war, dass man sie kaum noch als solche bezeichnen konnte, hätte gereicht. Lana war eine Frau. Also wurde aus „Einkaufen mit Lana“ ganz schnell „Einkaufen mit Frau“. Und kein Mann, der noch bei Sinnen war, würde sich jemals freiwillig darauf einlassen. Demzufolge konnte er nicht wach gewesen sein, als er diese Entscheidung getroffen hatte. Als es darum gegangen war, Kleidung für ihn zu kaufen, war die Situation gerade noch zu ertragen gewesen. Lanas Geschmack war in Ordnung. Nicht das, was er normalerweise bevorzugte, aber mit ihrer Argumentation, er müsse seinen Stil verändern, traf sie genau Kaibas eigenen Gedanken. Was blieb ihm schon anderes übrig, wenn er unerkannt bleiben wollte? In seinem momentanen Outfit erkannte er selbst sich kaum wieder. Jeans im Used Look, schwarze Mütze und Schal, weiße Jacke mit braunen, blauen und grauen horizontalen und vertikalen Streifen, Kapuze mit Felleinsatz. Das war unter normalen Umständen nun wirklich nicht sein Stil. Dazu trug er wieder die Brille und Lana hatte seine Haare, wie sie es nannte, verwuschelt. Diese Kleidung hatte Lana ihm in weiser Voraussicht schon gestern mitgebracht. In seinen Sachen hätte er wieder erbärmlich gefroren. Wie gesagt, es war nicht sein Stil und somit war es gewöhnungsbedürftig, aber schlecht sah es nicht aus. So gesehen war es gar keine so miese Idee gewesen, Lana mitzunehmen. So gesehen, dachte Kaiba missmutig und lehnte sich an die Wand neben der Umkleidekabine. Seine Tüten standen zu seinen Füßen. Die Anzahl ließ nicht auf die Menge schließen, die er gekauft hatte. Lana war strikte Verfechterin des „Tüte-in-Tüte“-Prinzips. Es war praktisch. So praktisch, dass Kaiba sich fragte, warum es augenscheinlich Leute gab, die – im Gegensatz zu ihm – viel und gerne einkaufen gingen, und sich dessen nicht bedienten. Vielleicht irgendwelche Freaks, die befürchten ihre neuen Sachen könnten zerknittern, dachte Kaiba spöttisch. Im nächsten Moment fragte er sich zum wiederholten Male, wie es nur so weit kommen konnte, dass ihm dermaßen langweilig war, dass er über die Einkaufsgewohnheiten anderer Leute philosophierte. Ehe er sich weitere Gedanken machen konnte, trag Lana aus der Kabine. Sie trug ein Kleid, das so knapp war, dass es in Kaibas Augen nicht einmal mehr diese Bezeichnung verdiente. Das Schildchen, das an der Seite baumelte, zeigte, dass jemand anderes ganz offensichtlich anderer Meinung war. Aber er würde für solch einen Fetzen auch keine 945$ verlangen. … Wobei, wenn es Idioten gab, die so viel dafür bezahlten … warum nicht? „Was hältst du davon?“, fragte Lana. Kaibas erste Reaktion war ein verwundertes Augenbrauenheben. Sie wollte ernsthaft seine Meinung hören?! Was mach ich nun?, fragte er sich selbst. Im Grunde war er in einer Situation, in der er nur verlieren konnte. Wenn er ihr ehrlich antwortete, würde sie ihn entweder als unwissend bezeichnen oder wäre davon so begeistert, dass sie ihm ständig in den Ohren läge, als Beratung mit ihr Einkaufen zu gehen. Wenn er keine Antwort gab, bekäme sie schlechte Laune und dieser Irrsinn zöge sich noch weiter in die Länge. Alles keine netten Aussichten. Aber im Moment war ihm wirklich nicht danach, diese Situation auszusitzen. Warum habe ich mir nur nicht die U-Bahn Pläne angesehen?!, ärgerte er sich. Im Nachhinein war man immer klüger. Er hatte nicht vor, sich noch einmal in eine vergleichbare Lage bringen zu lassen. Gut, da hatte er seine Entscheidung. Sollte sie doch später nerven, wie sie wollte. Er würde sie einfach ignorieren. Jetzt musste er diesen Zirkus schnellstmöglich hinter sich bringen. „Komm darauf an, wozu du es anziehen willst“, sagte Kaiba spöttisch. „Wenn du aussehen willst, wie eine Nutte, hast du sicherlich das richtige Kleid gefunden!“ Lana verzog das Gesicht und drehte sich vor dem Spiegel. „Ja, hast recht. Ist ziemlich kurz“, murmelte sie zustimmend und verschwand wieder in die Kabine. „Welches fand’s du besser, das rote oder das blaue?“ „Wozu brauchst du es überhaupt?“, erkundigte er sich. Bisher hatte er immer das Gefühl gehabt, dass Lana jegliche Feierlichkeiten mied, bei denen es einen Dress-Code im Sinne ihres Vaters gab. „Geburtstag von einer Freundin“, erklang es ungeduldig aus der Kabine. „Welches denn nun?“ „Das blaue“, antwortete Kaiba spontan. Das hatte eine ordentliche Länge, war nicht zu formell, aber auch nicht nachlässig. Keine zu auffällige Farbe, aber auch nicht zu fad. Davon einmal abgesehen, musste er sich eingestehen, dass Lana wirklich gut darin aussah. „Du hast Recht“, erklärte Lana wenig später, während sie sich abermals vor dem Spiegel drehte. „Das nehme ich. Und dann lass uns Essen gehen. Ich hab nen Mordshunger!“ Auf die Ansage hatte Kaiba nur gewartet. Langsam wurde er auch hungrig. Sein Körper war es zwar gewöhnt, dass er manchmal nur unregelmäßig aß, aber er bemühte sich, dies zu vermeiden. Der eigentliche Grund, warum er es nicht erwarten konnte, in einem Restaurant zu sitzen, war, dass Lana ihn dort nicht einfach wieder in ein Geschäft zerren konnte. Seine Proteste waren spärlich ausgefallen. Zum einen hatte er unter keinen Umständen auffallen wollen und zum anderen hatte er noch keinen Wohnungsschlüssel, weil Lana ihn auf die Schnelle nicht gefunden hatte. Außerdem war die Frage der unauffälligen Lokalitäten eine Frage von Insiderwissen. So sehr es ihm missfiel, er war dabei auf Lana angewiesen. Jedes Restaurant, das er kannte, konnte ihm zum Vorteil gereichen. Und um eine Liste würde er sicherlich nicht bitten. Das Lokal, das Lana sich für diesen Mittag ausgesucht hatte, war ein kleiner Italiener. Ein recht verwinkelter Raum mit vielen Nischen. Man saß für sich allein und konnte auch nicht so leicht beobachtet oder belauscht werden. Eine gute Wahl. Zumal das Essen gut und nicht übermäßig teuer war. Während Kaiba seine Penne mit Lachs und Weißweinsahnesauce aß, war er zum ersten Mal, nachdem er die Wohnung verlassen hatte, wirklich ruhig … bis Lana anfing zu sprechen. „Oh, jetzt weiß ich, was wir vergessen haben“, rief sie freudig aus. Kaiba jedoch verdreht nur die Augen und wünschte sich weit weg. Dabei hatte er gehofft, sie nur an irgendwelchen Geschäften vorbeilotsen zu müssen, in deren Schaufenstern sie etwas entdeckte, das ihr gefiel. Beim einen klaren Ziel gestaltete sich die Sache schon schwieriger. Vielleicht sollte er einfach den Wohnungsschlüssel verlangen, die nächste U-Bahn Station suchen und erst einmal sorgfältig den Netzplan studieren. „Du brauchst noch Sportklamotten“, erklärte Lana, als er nicht reagierte. „Mit den paar Sachen, die du hast, kommst du sicher nicht hin.“ Wenn du verlernt hast, wie man eine Waschmaschine bedient, sicherlich nicht, war er versucht sarkastisch zu äußern, ließ es jedoch. „Warum?“, fragte er stattdessen desinteressiert. „Ich werd nur gelegentlich Laufen gehen.“ Lana legte fragend den Kopf schief. „Ich dachte, du hättest hier in New York einen guten Lehrer für dein asiatisches Kampfgedöns gefunden?!“ Das hatte er, aber den würde er sich jetzt nicht mehr leisten können. „Wenn es dir so viel wert ist, mich ein paar Stunden mehr aus der Wohnung zu haben“, spöttelte er. „Ach ja, sorry“, murmelte sie nur. Kaiba nahm es ihr nicht übel. Er selbst vergaß manchmal kurzzeitig, dass er nur noch auf ein sehr begrenztes Budgets zugreifen konnte. Geld war eine solche Selbstverständlichkeit gewesen, dass er es bei privaten Fragen nie hatte in Betracht ziehen müssen. Jetzt brauchte er jeden Dollar. Und er hatte noch immer keine Idee, wie er auf die knappen 10.000$ kommen sollte. „Kann sein, dass das jetzt etwas naiv klingt, aber vielleicht lässt er ja mit sich reden, zum Beispiel, dass du jetzt nur einen Teil bezahlst, und wenn du wieder Geld hast den Rest. Man müsste dumm sein, wenn man glaubt, dass du nicht wieder zu Geld kommst“, warf Lana ein. „Man müsste dumm sein, um sich gegen die Kaiba Corp. zu stellen, wenn man nicht selbst ein Familiengeschäftsimperium im Rücken hat. Außerdem werde ich sicherlich nicht um einen Preisnachlass betteln“, erwiderte Kaiba scharf. Davon mal abgesehen war das Risiko viel zu groß. Wenn er scheiterte, wollte er nicht auch noch auf einem Berg von Schulden sitzen. Und die Wahrscheinlichkeit, dass seine Pläne misslangen, war nicht gerade gering. Er wusste das, auch wenn er es nicht wahr haben wollte. Er war genial. Aber auf der anderen Seite standen Mokuba und die KC. Er war zu realistisch, um nicht zu wissen, dass die Tatsachen gegen ihn sprachen. Zu Geld kommen würde er zweifelsohne. Da konnte er sich aufgrund seines Erbes sehr sicher sein. Das Recht konnte ihn niemand nehmen. Nur ob er die Firma wieder übernehmen konnte, das war fraglich. Jedenfalls würde er nicht das Risiko eingehen, sich so hoch zu verschulden. Das wäre in seiner Situation dumm. Obwohl er zugeben musste, dass der Sport ihm gelegen kommen würde. Er musste ihn Form bleiben. Stärke war in seiner Lage unerlässlich. Aber so wie die Dinge im Moment lagen, hatte er nicht die Mittel für den Sport. Vielleicht sollte er sich einen anderen Lehrer suchen. Aber zumeist war Geld auch ein Barometer für Qualität. Also würde er es sicherlich bleiben lassen. Zumal er seine Energie sinnvoller verwenden konnte, als mit der Suche nach einem akzeptablen Lehrer für asiatischen Kampfsport und Kampfkunst. Plötzlich kam ihm ein anderer Gedanke. Es war länger her, dass er bei einem seiner New York Aufenthalte dort trainiert hatte. Normalerweise hatte er immer für mehrere Stunden im Voraus bezahlt. Mit Sicherheit war die letzte Zahlung noch nicht aufgebraucht. Die Frage war nur, wofür er das Geld nutzen sollte. Entweder er nahm die Unterrichtsstunden oder er ließ sich die Restsumme auszahlen. Kaiba seufzte innerlich. So verlockend es auch klang, es würde eh nur ein paar Stunden sein. Und im Moment war ihm das Geld an anderer Stelle wesentlich nützlicher. Also würde er tatsächlich in den sauren Apfel beißen und nach seinem Geld fragen müssen. Zumindest war es insofern kein Betteln, da das Geld letztendlich ihm gehörte. Als er endlich vor dem Haus stand, in dem der Lehrer lebte und arbeitete, war es bereits sieben Uhr abends. Er wusste, dass zu dieser Zeit kein Unterricht mehr standfand. Schließlich war es Samstag. Im Stockwerk der Trainingshalle brannte jedoch noch Licht und auch ansonsten hätte er sich nicht davon abhalten lassen, den Lehrer um diese Zeit noch zu stören. Nicht, nachdem es ihm so viel Zeit gekostet hatte, hierher zu kommen. Er musste sich dringend einen Stadtplan zulegen, auf dem sowohl das U-Bahn Netz als auch die Straßen eingezeichnet waren. Kaiba schlug den Weg zum Hintereingang ein. Obwohl dieser Eingang für Akio Unomi wohl eher der Haupteingang war. Zwar waren dessen Räumlichkeiten auch von der anderen Seite betretbar, aber das war anscheinend nicht gewünscht. Jedenfalls gab es – aus welchen Gründen auch immer – einen separaten Eingang. Etwas, das Kaiba nur recht war. So musste er durch keine Empfangshalle, in der ein Rezeptionist oder Nachtwächter saß. So konnte er einfach die Klingel und die Gegensprechanlange betätigen. Letzteres musste er nicht einmal, kurz nach dem er geklingelt hatte, summte der Türöffner. Seltsam, dachte Kaiba, während er eintrat, denn normalerweise wurde immer nach dem Namen und Anliegen gefragt. „Guten Abend, Kaiba-san!“, sagte Akio Unomi, während er die letzten Stufen der Treppe hinunterstieg. Er trug Trainingskleidung, sein Atem ging ein wenig schneller als gewöhnlich und es glänzten Schweißperlen auf seiner Stirn. Als er Kaiba ansah, lag für einen Moment Irritation in seinen Augen. Die Begrüßung klärte Kaiba zumindest darüber auf, warum er nicht nach seinem Namen gefragt worden war. Unomi hatte gewusst, dass er es war. Die Frage war nur woher, denn in seinem Aufzug erkannt, hatte er ihn augenscheinlich erst später. „Guten Abend, Unomi-sensei“, erwiderte er. „Haben Sie einen Moment Zeit?“ „Ja, natürlich“, sagte der Lehrer und führte ihn in sein kleines Arbeitszimmer. „Also, was kann ich für Sie tun?“, fragte er schließlich, als sie sich beide gesetzt hatten. „Ich möchte die Restsumme meiner Anzahlung zurück“, erklärte Kaiba und schluckte seinen Stolz herunter. Darin hatte er ja inzwischen schon Erfahrung gesammelt. „Ich verstehe“, sagte Unomi und begann in seinen Unterlagen zu suchen. „Ich habe von der … Sache mit Ihrem Bruder gehört.“ Kaiba antwortete nichts. Er hätte auch nicht gewusst, was. Mehr als sein Geld wollte er nicht. Und in diesem Bereich schien der andere keine Einwände zu haben, denn einen Moment später überreichte er den Scheck. Kaiba warf einen Blick darauf und war überrascht. Er hatte nicht gedacht, dass es noch so viel war. Aber gut, damit hatte er die 10.000 voll. Damit sollte er hinkommen. Jetzt konnte er sich anderen Dingen zuwenden. „Vielen Dank, Unomi-sensei“, zwang er sich zu sagen und war schon im Begriff zu gehen. „Warten Sie einen Moment, Kaiba-san“, hielt der andere ihn zurück. „Ich möchte Ihnen ein Angebot unterbreiten.“ Verwundert hob Kaiba eine Augenbraue. Ein Angebot. Worüber? „Ich bin auf der Suche nach einem neuen Trainingspartner, seit mein bisheriger weggezogen ist“, sagte Unomi. „Was hat das mit mir zu tun?“, fragte Kaiba misstrauisch. „Ich hatte an Sie gedacht“, erklärte der andere. „Sie haben Talent. Sie sind gut, auch wenn sie noch einiges lernen müssen. Deshalb mein Angebot. Sie trainieren mit mir einmal die Woche und dafür gebe ich Ihnen pro Woche eine Unterrichtsstunde, bis Sie ein beinahe vollwertiger Trainingspartner sind. Das wäre eine ‚Win Win‘-Situation.“ Das klingt verlockend, musste sich Kaiba eingestehen. Aber dennoch musste es einen Hacken geben. Denn im Grunde war das Angebot zu seinem Vorteil. Wenn auch nur gering. „Sie sollten nicht immer ans Geschäft denken“, sagte Unomi und strich sich lächelnd eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. „Es ist nicht gut, Tücken zu sehen, wo keine sind. Außerdem können Sie am Ende jeder Woche das Angebot aufkündigen, wenn Sie unzufrieden sind.“ „Einverstanden“, sagte Kaiba kurzentschlossen. Er legte sich ja nur für zwei Stunden fest. Im Notfall würde er da schon durchkommen. „Haben Sie jetzt noch etwas Zeit?“, fragte der Lehrer. „Trainingskleidung kann Ihnen leihen.“ Kaiba nickte. Ein bisschen körperliche Betätigung würde ihm gut tun. Eine dreiviertel Stunde später lag er wiederholt auf dem Hallenboden. Er rang nach Atem. Bei seinem Training hatte er die Ausmaße des Könnens seines Lehrers immer nur erahnen können. Ganz eindeutig hatte er sich verschätzt und ihn unterschätzt. „Lassen wir es für heute gut sein. Ich hatte schon etwas alleine trainiert, als Sie kamen“, sagte Unomi und ließ sich im Schneidersitz neben ihm auf dem Boden nieder. Er atmete auch schneller als normalerweise. „Sie sollten meine Ratschläge beherzigen. Sie denken zu viel ans Geschäft. Das lenkt Sie ab und sorgt für Unkonzentriertheit.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)