Lektionen fürs Leben von Zyra (Wenn Kaiba vor dem Nichts steht ...) ================================================================================ Kapitel 9: Entscheidende Sentimentalität ----------------------------------------- Entscheidende Sentimentalität Plötzlich lief alles in Kaibas Kopf wieder so ab, wie er es gewohnt war. Ein Gedanke wurde mit Geschehnissen kombiniert. Fragen wurden geklärt und die Antworten warfen wieder Fragen auf, die geklärt wurden. Und das alles in Rekordgeschwindigkeit. Als Kaiba seine Laptoptasche vom Boden auf das Sofa zerrte, hatte er das Grundgerüst seines Plans schon entwickelt. Es gab drei Etappen: Geld, Identität und noch mehr Geld. „Na komm schon!“, murmelte er angespannt und konnte nicht sagen, ob er damit die Gesamtsituation oder die lederne Deckbox meinte, die sich seinen Bewegungen widersetzte. Wahrscheinlich eher letztere. Schließlich wusste er, dass die Karte dort drin sein musste. Er konnte sich nicht daran erinnern, sie herausgenommen zu haben. Den Gürtel hatte er schon aus den Laschen gerissen, sein Deck war für seine Verhältnisse nachlässig auf dem Couchtisch gelandet. Nun fingerte er an der Rückwand der Tasche herum, um das Geheimfach zu öffnen, das sich darin befand. Nachdem es ihm endlich gelungen war, zog er umständlich einen kleinen Zettel und eine Plastikkarte hervor. Seto Kanaka stand auf der EC-Karte und als er den Zettel entfaltete, erkannte er die PIN und das aktuelle Guthaben. Wusste ich es doch, triumphierte Kaiba zufrieden. So wie es aussah waren auf dem Konto zwar nur läppische 1.500$, aber insgesamt hatte er dann etwa 7.000$. Was für seine Verhältnisse immer noch ein Fliegenschiss war und für seine Zwecke keine Basis. Aber dafür hatte er eh schon eine andere Idee. Wichtig war, dass ihm ein Konto geblieben war. „Auch wenn ich den Anblick sehr genieße, zieh dir was über“, sagte Lana, die sich in einen Morgenmantel geschlungen hatte, und warf ihm seine Shorts und seinen Pullover zu. „Die Nachtabsenkung der Heizung ist an und ich habe keinen Bock, dich zu pflegen, wenn du krank wirst. Also zieh was an und werd gar nicht erst krank.“ Kaiba lag schon ein bissiger Widerspruch auf der Zunge, weil er sich von so einem Kinderkram nicht aufhalten lassen wollte. Jedoch bemerkte er, als sie sprach, wie kühl es war. In seiner Situation auch noch krank zu werden, konnte er sich nicht erlauben, deshalb schlüpfte er in seine Kleidung und gab eine andere spöttische Bemerkung ab. „Eine energiebewusste Amerikanerin. Hat noch niemand einen Ausbürgerungsantrag gestellt?!“ „Tja, das überrascht dich, was?“, schoss Lana zurück, während sie sich auf die Couch ihm gegenüber sinken ließ. „Erzähl mir mal, was ich so beängstigendes gesagt habe, sodass du fluchtartig das Bett verlassen hast?“ Kaiba verdrehte kurz die Augen und ignorierte sie. Er legte die EC-Karte auf den Tisch und holte seinen Notizblock hervor. Dieses Mal konnte er auch etwas aufschreiben. Eine Menge sogar. „Du hast eine EC-Karte auf einen falsche Namen“, sagte Lana und Kaiba erkannte aus dem Augenwinkel, dass sie sich die Karte genommen hatte. „Warum hast du die denn damals nicht benutzt? Wie viel ist denn auf dem Konto, dass du dich so freust?“ Unerwarteter Weise versetzte ihm die Betitelung „falscher Name“ einen Stich. Vielleicht hatte er – irgendwo tief in sich selbst – immer noch nicht aufgehört, Seto Kanaka zu sein. „Das ist mein Familienname“, antwortete Kaiba automatisch. „Ich wusste gar nicht mehr, dass ich sie habe. Der Kontostand ist gering.“ Inzwischen erinnerte er sich wieder sehr genau daran, wie er dazu gekommen war. Sentimentalität. Reine Sentimentalität. Kurz nachdem die Firma sein Eigentum geworden war, hatte er das Konto eröffnet. Ein Teil des Beweises dafür, dass Seto Kanaka sein Ziel erreicht hatte und der Chef einer großen Spielefirma war. Nach dem Tod seines Vaters hatte er sich das geschworen. Ein Schwur der auf einem Versprechen beruhte, dass er seinem Vater einmal gegeben hatte. Das Konto sollte dem Zweck dienen, darauf sein Erbe zu sammeln, um das seine Verwandtschaft ihn betrogen hatte. Dazu war es bisher nicht gekommen. Er hatte schnell einsehen müssen, dass sein neuer Posten genug Arbeit mit sich brachte und er dafür keine Zeit hatte. Davon einmal abgesehen hatte er das Erbe nicht benötigt. Es war wichtiger gewesen, dass die Firma gut lief, denn damit finanzierte er Mokubas und seine Zukunft. Außerdem war der Aufbau des Geschäftsimperiums sein Werk gewesen und dies hatte nicht unter anderen Aktivitäten leiden dürfen. Bald würde Kaiba es nachholen. Von jedem Teil seiner Verwandtschaft, der ihn um sein Erbe betrogen hatte, würde er sich sein Geld holen. Er konnte nicht genau abschätzen, wie viel das sein würde. Zwar wusste er, dass sein Vater ein reicher und erfolgreicher Mann gewesen war, aber wie viel das Vermögen betrug, war für ihn nie interessant gewesen. Als Kind hatte es ihm an nichts gemangelt. „Was bringt dir die Karte dann?“, fragte Lana, nachdem sie einen Moment nachgedacht hatte. „Ich habe ein Konto auf einen Namen, den Mokuba sicherlich nicht bedenkt. Er hat all meine Konten gesperrt, aber ich benötige eins. Wenn ich in den nächsten Tagen eines eröffnen wollte, müsste ich das auf den Namen ‚Seto Kaiba‘ tun. Das wird Mokuba überwachen lassen und somit wüsste er, wo ich mich aufhalte“, erklärte Kaiba. „Klingt einleuchtet“, sagte Lana, schränkte dann aber ein: „Hältst du es für sinnvoll, mit einer EC-Karte herumzulaufen, auf der ein anderer Namen steht, als in deinen Papieren?“ Ein berechtigter Einwand, dachte Kaiba, das könnte tatsächlich zu einem Problem werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass er in der nächsten Zeit in eine Polizeikontrolle geriet, war zwar extrem gering, aber darauf ankommen lassen, sollte er es vielleicht nicht. Abgesehen von den rechtlichen Schritten, die man wegen Diebstahls gegen ihn einleiten konnte, würde Mokuba so sicherlich von der Identität erfahren, unter der er vorhatte zu leben. „Wenn ich nicht gerade Geld abheben oder einzahlen will, dann lass ich die Karte eben hier“, sagte er und tat die Sache mit einem Schulterzucken ab. „Lange wird es so oder so nicht dauern, bis ich meine Papiere habe.“ Lana klappte der Mund auf. „Du willst dir Papiere fälschen lassen?“, fragte sie fassungslos. „Dann bist du besser dran, wenn sie dich mit einer angeblich gestohlenen EC-Karte erwischen.“ „Ich habe Papiere“, sagte er und fügte, bevor Lana wieder protestieren konnte, hinzu: „Absolut legal erlangt!“ Das war auch in einem Anflug von Sentimentalität geschehen. Obwohl der Auslöser ein Geschäftsparther gewesen war, der von den Vorzügen mehrerer Pässe geschwärmt hatte. Damit hatte er die Sache ins Rollen gebracht. Für Kaiba waren zwar andere Vorteile relevant gewesen, aber letztendlich hatte er eine zweite Staatsbürgerschaft auf anderen Namen haben wollen. Und das bitteschön legal. Von Illegalität hielt er nicht viel. Meistens war das Risiko einfach zu groß. Außerdem wäre es in seiner Position absolut dämlich gewesen. „Aha“, murrte Lana. „Und wie viel hast du dafür auf den Tisch gelegt?“ Langsam nervt ihn diese Fragerei. Wenn das so weiter ging, war er morgen immer noch nicht mit der Ausarbeitung seines Plans vorangekommen. „Meine Mutter war Amerikanerin“, knurrte er. „Also konnte ich die amerikanische Staatsbürgerschaft mit entsprechendem Nachweis einfach ganz legal beantragen! Und bevor du fragst: Die Papiere liegen im Safe meines New Yorker Penthouses und ja, ich werde dort einsteigen, um an sie zu gelangen. Das ist nicht diskutierbar!“ Lana seufzte. „Komm runter. Ich hab’s verstanden. Bin schon weg. Viel Spaß dabei dir die Nacht, um die Ohren zu schlagen“, sagte sie und warf eine Wolldecke von dem Sofa, auf dem sie gesessen hatte, zu ihm hinüber. „Und denk dran: Kranke Setos sind hier nicht gerne gesehen, egal, ob sie Kaiba oder Kanaka heißen“, fügte sie mit einem Grinsen hinzu. Kaiba gestattete sich ein Seufzen, als sie verschwunden war. Zurück zu meinem Plan, dachte er. Das konnte noch eine lange Nacht werden. Der erste Schritt war Geld. Dabei hatte er auf die Karte gesetzt. Allerdings war weniger auf dem Konto, als er vermutet hatte. Für den Anfang würden die 7.000$ genügen, aber lieber wäre es ihm, wenn noch 2.000-3.000$ dazukämen. Mit etwa 10.000$ sollte er für längere Zeit auskommen. Spontan fielen ihm nur Kleidung und Nahrung ein, die er von dem Geld bezahlen musste. Und Nahrung auch nur, wenn er sich in der Stadt etwas kaufte. Alles, was er bei Lana aß, würde sie übernehmen, ebenso wie die Nebenkosten. Technisch war er gut ausgerüstet. Kaufen musste er nichts, aber wenn etwas kaputt ging, könnte es teuer werden. Und für solche Eventualitäten wollte Kaiba zumindest einen kleinen Puffer haben. Noch hatte er den nicht. Allerdings fiel ihm momentan keine simple, unauffällige Möglichkeit ein, an ein wenig Geld zu kommen. Sein Erbe wollte er für die Grundversorgung nicht nutzen müssen. Kaiba machte sich eine Notiz, kleine Einnahmequellen nicht aus dem Auge zu verlieren und wendete sich danach dem zweiten Schritt – der Identität – zu. Wie er Lana gesagt hatte, lagen seine sämtlichen Papiere – Pass, Führerschein, Geburtsurkunde etc. – in seinem New Yorker Penthouse. Einerseits war es ein Glück, dass sie in Amerika waren, andererseits wäre es ihm lieber gewesen, wenn sie in einer anderen Stadt gewesen wäre. Ein Einbruch an einem Ort, in dessen Nähe er sich nicht aufhielt, wäre sicherlich besser gewesen, aber es konnte es nicht ändern. Kaiba hatte nicht vor, irgendwelche Spuren zu hinterlassen, die auf einen Einbruch hindeuteten oder darauf, dass er dort gewesen war. Aber man wusste nie so genau, was passierte. Es konnte immer etwas schief gehen und wenn es nur Kleinigkeiten waren. Das Sicherheitssystem kannte er sehr gut. Damit hatte er sich immer eingehend beschäftigt, bevor er eine Immobilie gekauft hatte. Mit seinen Informationen sollte es ihm möglich sein, sich ins System zu hacken und die Kameras in eine Schleife zu legen. Natürlich musste er sein Wissen absichern und die Dienstpläne des Sicherheitspersonals wären auch von Nutzen, aber das war alles machbar. Ebenso hatte er noch die Schlüsselkarte für das Penthouse im Portemonnaie. Seine eigene Karte würde er nicht benutzen, das wäre ein zu eindeutiger Hinweis auf seine Person, aber mit den Daten konnte er den Generalcode entschlüsseln. Mit dem eigentlichen Einbruch würde er noch etwas warten, da niemand diesen in Zusammenhang mit seinem „Verschwinden“ bringen sollte. Mit seinen Vorbereitungen konnte er allerdings in den nächsten Tagen beginnen. Wodurch er wieder an die Zeitzone gebunden war. Schliche er nachts um den Block, in dem sich das Penthouse befand, würde er nur auffallen. Also tue ich doch gut daran, meinen Jetlag schnell zu überwinden, schlussfolgerte Kaiba und warf einen Blick auf die Uhr. Es war schon ein Uhr. Er beendete seine Arbeit. Viel mehr konnte er im Moment eh nicht tun. Herauszufinden, welche Teile seiner Verwandtschaft, ihm wie viel Geld schuldeten, war nicht einfach. Aber der Abschnitt seines Plans hatte noch Zeit. Im Moment musste er sich auf andere Dinge konzentrieren. Im Grunde wusste er auch schon, wie er an die Informationen kommen konnte. Das Gefühl, das er bei dem Gedanken hatte, behagte ihm nicht. Allerdings wusste er nach diesem Tag, dass er immer wieder sentimentale Phasen gehabt hatte. Warum sollten sie mit dieser Erkenntnis aufhören aufzutreten? Die nächste kam bestimmt. Irgendwann … in absehbarer Zeit. Dann würde er sicherlich von selbst über seinen Schatten springen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)