Zehn Fragen - Zehn Oneshots von abgemeldet (One Shot Sammlung) ================================================================================ Kapitel 6: Die Hexe aus dem Niemalsland --------------------------------------- Die Hexe aus dem Niemalsland Die alte Frau ächzte leise, als Sophie ihr half die Beine ins Bett zu heben. Das silberhaarige Mädchen deckte sie zu und wünschte ihr eine gute Nacht. Sophie ging aus dem winzigen Zimmer, das gerade mal Platz für ein Bett und ein Tischen bot. Sonst war es eigentlich für zwei Personen schon fast zu klein. Hauro hatte es nur Sophie zu Liebe bei dem Aufbau des Schlosses einbauen lassen, damit die Hexe aus dem Niemalsland einen Ort hatte, um sich zurückziehen zu können. Die Silberhaarige ging noch einmal zu der Feuerstelle von Calcifer. Sie wollte ihm noch einige Holzscheite für die Nacht hinlegen. Als dieser sie sah blitzen seine Augen erfreut auf. „Sophie, warte! Bleib noch ein bisschen hier. Lass mich dir noch etwas erzählen. Etwas, was du vielleicht wissen solltest, weil du ja auch die Geschichte über dieses andere Mädchen hören wolltest. Es geht um das alte Mütterchen, um das du dich so aufopferungsvoll kümmerst. Es wundert mich, dass du auf eine absolut Fremde eifersüchtig warst, aber ausgerechnet die Frau, die dich verhext hat, behandelst du wie deine eigen Mutter.“ „Warum wundert dich das? Ich habe keinen Grund, auf die Hexe eifersüchtig zu sein. Hauro hat mir erzählt, dass er sich einige Zeit für sie interessiert hat, aber dann Angst vor ihr bekommen hat. Warum sollte ich denn jetzt eifersüchtig auf sie sein?“ „Bist du denn überhaupt nicht böse auf sie. Wegen ihrem Fluch warst du für sehr lange Zeit eine alte Frau. Du musstest dich von deiner Familie trennen, musstest deine geliebte Arbeit aufgeben und ich will gar nicht wissen, was du durchmachen musstest, bevor du uns gefunden hattest.“ „Nun, es scheint mir, du willst eine Geschichte erzählen Calcifer. Ich habe Zeit, also fang an“, forderte Sophie ihn auf. Dem Feuerdämon war anzusehen, dass ihm diese Geschichte auf der Zunge brannte. Mit einem selbstzufriedenen Lächeln schnappte er sich einen Holzscheit und verschlang diesen genüsslich, während Sophie auf einem der Stühle platz nahm. Sie war zwar müde, aber sie freute sich jedes Mal darüber, wenn Calcifer ihr etwas aus Hauros Vergangenheit erzählte. Von dem Magier selbst erfuhr sie ja nichts. „Also, was ich dir schon immer erzählen wollte, ist die Sache, wie wir damals zu dieser Hexe kamen. Wolltest du das denn niemals wissen? Wolltest du nie wissen, warum sie wie verrückt hinter ihm hergejagte und warum er sich versteckt hatte? Warum er so eine Angst hatte?“ „Natürlich hat es mich immer interessiert, aber weißt du was Calcifer? Ich glaube du willst mir das nur unbedingt erzählen, weil du tratschen willst! Manchmal bist du schlimmer als jedes Waschweib“, grinste das Mädchen ihm wissend entgegen. Der ehemalige Sternengeist plusterte seine Wangen auf und spielte für wenige Sekunden auf beleidigt, doch dann konnte er sich nicht mehr beherrschen, denn Sophie hatte mit ihrer Behauptung direkt ins Schwarze getroffen. Der Feuerdämon wollte auf jeden Fall tratschen. „Also,“ begann Calcifer zu erzählen, „die Hexe aus dem Niemalsland, war einmal eine Hofdame im Königsschloss. Sie hatte eine unwahrscheinlich große Begabung für die Magie. Deshalb rekrutierte Madam Suliman für die Zauberakademie. Na ja, wie gesagt, sie war sehr talentiert, ihr Problem war nur, dass so ruhmsüchtig war. Sie verlangte immer nach Aufmerksamkeit und wollte immer im Mittelpunkt stehen. Dies fiel auch Madam Suliman auf und sie wies die Frau zurecht. Weißt du, das alles passierte Jahrzehnte bevor Hauro an dies Schule kam, daher konnte sich niemand mehr an den richtigen Namen dieser Hexe erinnern. Was aber jeder wusste, war dass die Frau vom Ehrgeiz zerfressen war. Sie wollte Madam Sulimans Stelle in der Akademie und am Königshof einnehmen. Damals war diese zwar nur Lehrerin, aber beim ehemaligen König wurde sie als Beraterin hoch geachtet. Er vertraute ihrer Meinung und ließ sie sogar seine Söhne unterrichten. Der Älteste ist im Übrigen nun der König dieses Landes. Auf jeden Fall wollte die Hexe aus dem Niemalsland diesen Posten innehaben. Sie wäre auch als Nachfolgerin vorgeschlagen worden, doch leider war sie zu ungeduldig. Sie hat gegen Madam Suliman intrigiert, hat versucht sie bloß zu stellen und sie vor dem König schlecht zu machen. Als das nicht funktionierte, hat sie probiert sie zu verfluchen und zu guter Letzt auch zu vergiften. Deswegen wurde sie vom Hof verbannt. Es mag sein, dass sie talentiert gewesen war und viel Macht hatte, doch ihre Geltungssucht hat ihr alles genommen, was sie sich hätte aufbauen können. Erst nach der Verbannung tat sie sich mit einem Dämon zusammen um die ewige Jugend zu erlangen. Der Dämon nahm ihr Herz und ihren Körper in Besitz und von da an, war sie zusätzlich zu ihrer Geltungssucht, besessen davon Herzen zu sammeln. Herzen von jungen Männern, um den dunklen Geist in sich zu ernähren.“ Das entsetzte Aufkeuchen seiner Zuhörerin ließ Calcifer kurz in seiner Erzählung innehalten. Fragend sah er Sophie an. „Warum…warum war Hauro dann bei ihr gewesen, wenn du es doch gewusst hast Calcifer?“, stammelte sie verschreckt. „Machst du dir jetzt wirklich Sorgen? Du weißt doch, dass alles gut ausgegangen ist. Hauro hat sie doch nur aufgesucht, weil er neugierig war. Er hat gedacht, sie könnte ihm einige Zaubersprüche beibringen, die ihm helfen konnten dich zu finden. Madam Suliman wollte ja die entsprechenden magischen Formeln ja nicht lehren, weil es in keiner Weise dem König von nutzen war. Außerdem dachte er damals, dass die Hexe freiwillig vom Königshof gegangen war, weil sie mit den Entscheidungen der Königsfamilie nicht einverstanden war. Ich muss dir sagen, die Hexe war natürlich sehr interessiert an ihm. Er war schon immer etwas Besonderes gewesen. Was glaubst du wie frustriert die alte Frau war, als sie bemerkte, dass sie Hauros Herz nicht haben konnte? Wieso? Na weil ich es bewacht habe und gegen meine Magie konnte nicht einmal das dunkle Wesen, welches sie besessen hatte, etwas tun. Sie hat getobt, hat gebrüllt und ist im wahrsten Sinne des Wortes die Wände hochgegangen. Doch sie konnte das was sie wollte nicht haben – sein Herz. Als sie dich mit ihm zusammen sah, wusste sie, dass sich etwas verändert hatte. Das wir beide kurz vor unserem Ziel standen. Ich hätte zu gerne gesehen, wie sie ausgerastet ist, dass ausgerechnet der Fluch, mit dem sie dich belegt hatte, dich zu uns führt und unser Schicksal dadurch erfüllt.“ Nach einer kurzen Pause sprach Calcifer dann ganz unverwandt weiter: „So dann habe ich auch genug getratscht für heute gute Nacht.“ Nach diesem Satz gähnte er herzhaft und wollte schon die Augen schließen, als Sophie noch einmal das Wort ergriff. „Warte, schlaf noch nicht ein. Du kannst mir doch nicht erzählen, dass das alte Mütterchen mal von einem bösen Dämon besessen war oder noch ist und dann einfach einschlafen. Was ist mit diesem bösen Geist passiert?“ „Das müsstest du doch wissen. Du warst doch dabei, als Madam Sulimann ihn exorziert hat. Etwas anderes war diese Sache mit der Treppe und der Lampe nicht. Eine sehr einfache und primitive Art des Exorzismus, aber trotzdem ein Exorzismus. Sei unbesorgt, von diesem Dämon haben wir nichts mehr zu befürchten.“ Langsam erhob sich das silberhaarige Mädchen und löschte das Licht in der Küche. Der ehemalige Sternengeist war bereits dabei leise vor sich hin zu schnarchen. Auf dem Weg die Treppe hinauf, warf sie noch einen letzten Blick, auf die geschlossene Tür, des Zimmers der alten Frau. Egal wie harmlos und liebenswert die alte Frau jetzt auch war, nach dem, was sie von Calcifer erfahren hatte, würde sie das alte Mütterchen nie mehr so sehen, wie sie es noch vor diesem Gespräch getan hatte. Irgendetwas sagte ihr, dass Calcifer genau das damit beabsichtigt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)