Bis ans Ende der Welt von Flordelis (Das Schwert folgt stets dem Herzen) ================================================================================ Kapitel 21: Die Flucht geht weiter ---------------------------------- Tengaar starrte ihn an, als wäre er wahnsinnig geworden – was er vielleicht sogar war, sie kannte ihn immerhin nicht gut genug, um ihn irgendwie einzuschätzen. Das Lächeln, das er auf seinem Gesicht zur Schau trug, war kalt, aufgesetzt, fast schon glaubte sie, eine Mischung aus Amüsement und Abscheu in seinen Augen glitzern zu sehen, aber sie wollte sich nicht zu sehr darauf konzentrieren. „Was meinst du damit?“, fragte sie, in einem Versuch, sich von seiner Mimik abzulenken. Cain legte die Arme hinter seinem Rücken zusammen und lief einige Schritte von der Tür weg, aber nicht ohne sie noch weiter im Blick zu behalten. Sie wusste genau, dass er nicht zulassen würde, dass sie einfach durch die Tür ging – und außerdem wollte sie wissen, was er zu sagen hatte. Durch seine Unterstützung war ihr die Flucht gelungen, vielleicht war er also gar nicht so bösartig wie er schien, ganz egal, was ihr Gefühl ihr sagte. „Fiongal ist eine Erkenntnis gekommen, während er in einer Höhle übernachten musste“, antwortete er schließlich. „Dougal wird die Jagd auf dich nicht aufgeben, bis einer von euch beiden tot ist – und weil sie Brüder sind, kannst du dir vielleicht denken, dass Fiongal nicht sein Fleisch und Blut dafür wählt.“ Tengaar ereilte die Bedeutung dieser Worte viel zu schnell, wie sie fand. Mit einem einzigen Schlag blieb ihr für einen kurzen Augenblick die Luft weg, aber dann schüttelte sie heftig den Kopf, ehe sie etwas erwiderte: „Das kann nicht dein Ernst sein! Das glaube ich nicht!“ „Es gibt keinen Grund, mir zu glauben“, gab er zu. „Aber es gibt auch keinen Grund, an meinen Worten zu zweifeln. Du kennst diesen Fiongal immerhin nicht.“ Dem konnte sie nicht widersprechen, sie hatte ihn immer nur kurz gesehen und nicht viele Worte mit ihm gewechselt. Er war ihr vollkommen fremd und sie konnte nicht einmal wissen, welche Ziele er verfolgte. Es war gut möglich, dass seine Worte der Wahrheit entsprachen, dass Fiongal wirklich plante, sie zu ermorden, um dieses Spiel zu beenden. Aber genausogut bestand die Möglichkeit, dass dieser Cain sie umbringen wollte. Der einzige, dem sie in dieser Situation vertrauen konnte, war Dougal – und dessen Pläne mochte sie nicht. Sie wollte noch ein wenig mehr zurückweichen, spürte aber wieder das Fensterbrett hinter sich. Cain sagte nichts mehr, obwohl sie nur darauf wartete, dass er fortfuhr, um ihr mit großen Worten zu erklären, was denn nun sein Plan mit ihr war. Sein Schweigen enttäuschte sie regelrecht. „Und was soll ich, deiner Meinung nach, jetzt tun?“, fragte sie schließlich, um herauszufinden, was er plante. Darauf hatte er offenbar gewartet, denn in seinen Augen glitzerte Triumph, der ihr nicht gefallen wollte. „Ich denke, du solltest versuchen zu fliehen. Niemand weiß, ob du entkommen kannst, wenn du erst einmal in Fiongals Hand bist.“ Sie wollte einwenden, dass er ihr doch ganz einfach helfen könnte, wenn er bereits gegen Dougal siegreich gewesen war, entschied sich dann aber anders. Sie wollte seine Hilfe nicht, sie stand immerhin schon viel zu tief in seiner Schuld, wie sie fand. Damit blieb ihre einzige Wahl, seinem Rat zu folgen und direkt zu fliehen. Ohne jedes weitere Wort, drehte sie sich um und öffnete das Fenster. Als Kind war sie nicht selten auf Bäume geklettert, deswegen glaubte sie, dass sie es auch schaffen könnte, an einem Gebäude hinunterzuklettern, wenn sie es musste – so wie eben in diesem Moment. Unter Cains Blick, der unangenehm auf ihrem Rücken brannte, kletterte sie auf das Fensterbrett und richtete sich auf dem steinernen Sims außerhalb, wieder zur vollen Größe auf, nachdem sie einen sicheren Halt gefunden hatte. Die Entfernung zum Boden war nicht ganz so groß wie jene des höchsten Baumes, auf dem sie jemals gestanden hatte, aber dennoch fiel ihr das Atmen plötzlich schwer. Sie glaubte bereits zu spüren, wie schmerzhaft, wenn auch nicht tödlich, so ein Aufprall werden würde und das ließ ihre Bewegungen wesentlich weniger geschmeidig werden. Fast schon vermisste sie ihre kindliche Naivität, damals waren ihr immerhin nie derartige Gedanken durch den Kopf gegangen. Mit aller Macht verdrängte sie diese Gedanken in einen Teil ihres Unterbewusstseins, wo sie vorerst nicht mehr stören könnten und griff nach der Regenrinne, um diese zum Runterklettern zu gebrauchen. Anders als Holz, war das Metall kalt und manche der Schrauben, an die sie ungeschickt griff, schürften ihr die Haut ab, aber sie schaffte es dennoch, sich feszuhalten und langsam nach unten zu klettern. Kaum spürte sie den Boden unter ihren Füßen, ließ sie die Rinne wieder los und lief dafür in irgendeine Richtung davon, solange sie sich damit nur vom Gasthaus entfernte und damit weg von allen, die versuchten, sie in ihre Gewalt zu bringen. „Dass er uns einfach hier hochkommen lässt“, bemerkte Zahra, während sie die Treppe hinaufstieg. Fion, der wieder einmal in seine Gedanken versunken war, erwiderte nichts darauf. Ansonsten hätte er ihr mit Sicherheit gesagt, dass der Besitzer des Gasthauses einfach ein sehr gutgläubiger Mann war, der keinen Grund zum Zweifeln an ihnen fand. Da blieb ihm nur zu hoffen, dass der Besitzer niemals erfahren würde, dass er sich in ihnen geirrt hatte. Er warf einen raschen Blick zu Zahra, die nicht auf ihn achtete und weiter mit sich selbst sprach, dabei betrachtete sie die Türen des Ganges, auf den sie getreten waren. Ein brauner Teppich, auf dem ein goldener Drache abgebildet war, dämpfte ihre Schritte auf dem Holzfußboden, ansonsten gab es keinerlei Verzierungen abseits der Türen, auf denen Nummern geschrieben waren, was Fion als ziemlich modern empfand, vielleicht sogar zu modern. Aus einigen Zimmern konnte er Stimmen hören, Touristen sicherlich, die reichlich vergnügt schienen, doch hinter den meisten herrschte Stille. „Er sagte, Nummer Neun, nicht wahr?“, fragte Zahra und blieb vor der entsprechenden Tür stehen. Fion hielt ebenfalls inne, beiläufig berührte er den Dolch, den er an seinem Gürtel trug und erneut fragte er sich, ob es wirklich die richtige Entscheidung war. Vielleicht war es falsch, sie, als Opfer seines Bruders auszuwählen, statt diesen selbst, da er immerhin der Ursprung des ganzen war, aber er konnte sich doch nicht gegen seine eigenen Verwandten stellen. Das sagte ihm zumindest sein Gewissen – aber es protestierte gleichzeitig gegen sein jetziges Vorhaben. Mit dieser Tat könnte er Dougal nicht von seinem Fanatismus heilen, von dem Verlangen, Treasa wieder bei sich zu haben. Er würde es nur weiter hinausschieben, bis... „Fion!“ Zahras Stimme holte ihn unsanft in die Wirklichkeit zurück. „Du sollst nicht im Stehen einschlafen! Wir gehen jetzt in dieses Zimmer und da brauchst du deine ganze Konzentration.“ Ehe er fragen konnte, was sie meinte, spürte er es bereits selbst. Auf der anderen Seite der Tür gab es eine machtvolle Energiequelle, die wie pure Kälte in seine Haut zu beißen und ihn gleichzeitig wegzuschieben versuchte. „Ist das nicht Cain?“, fragte Zahra leise, die Stirn sorgenvoll zerfurcht. „Ich wundere mich, was er oder sein Meister von Tengaar wollen könnten. Sie ist nur ein normaler Mensch... und eben eine Nachfahrin von Klift.“ Er glaubte nicht, dass sie noch bessere Magie erlernen könnte, sie würde immer auf ihre Runen angewiesen sein und daran konnte Lances unmöglich Interesse haben. Der Entschluss, Cain danach zu fragen, brachte ihn schließlich dazu, die Tür zu öffnen und mit entschlossenen Schritten den Raum zu betreten, direkt gefolgt von Zahra, die sich furchtsam an seinem Umhang festhielt. Lances' Lehrling stand am Fenster und blickte mit einem überraschend zufriedenen Lächeln hinaus, ohne auf diejenigen zu achten, die gerade eingetreten waren. Fion warf einen Blick umher, konnte Tengaar aber nirgends entdeckten. Außer Cain war niemand anwesend – und ein ungutes Gefühl bemächtigte sich seiner. „Wo ist Tengaar?“, fragte Fion, worauf sich der andere ihnen endlich zuwandte. Er deutete hinter sich, aus dem Fenster hinaus. „Sie ist geflohen, immerhin habe ich ihr gesagt, dass du hier bist, um sie zu töten.“ Fion zuckte sofort zusammen, ohne zu verstehen, woher Cain von seinen Plänen wissen konnte. Aber Zahra bemerkte das glücklicherweise nicht – sie wäre sicher dagegen gewesen – und neigte verständnislos den Kopf. „Was soll das denn heißen? Wir sind hier, um ihr zu helfen!“ Cains Lächeln wandte sich von zufrieden zu spöttisch, aber zu Fions Erleichterung teilte er dem Mädchen nicht seine Pläne mit – schon allein, weil er dazwischenging: „Was willst du mit Tengaar?“ „Nichts Spezielles“, antwortete Cain schulterzuckend. „Mein Meister will nur sehen, wie ihr alle hinter ihr herjagt. Es amüsiert ihn.“ „Abstoßend“, kommentierte Zahra. „Er sollte sich ein anderes Hobby suchen.“ Er bedachte sie nicht einmal mit einem Blick, da dieser immer noch auf Fion gerichtet war. „Du kannst ruhig versuchen, sie weiter zu verfolgen, aber du wirst es nicht schaffen.“ Mit diesen Worten verschwand er bereits – und im selben Moment knallten Fenster und Tür zu. Zahra stieß einen erschrockenen Schrei aus und klammerte sich an Fions Umhang, als könne dieser sie vor jedem Übel bewahren, das sie zu sehen glaubte. Erst als sie bemerkte, dass nichts weiter geschah, entspannte sie sich wieder und ließ den Umhang los, so dass Fion erst an die Tür und dann, nachdem er diese verschlossen vorgefunden hatte, ans Fenster treten konnte. Doch auch dieses gab nicht im Mindesten nach, als er es zu öffnen versuchte. „Er muss es mit Magie verschlossen haben“, kommentierte Fion. „Es wird nicht leicht, das zu öffnen.“ „Aber du kannst das, oder?“ „Ja, aber das wird eine Weile dauern, ich bin absolut nicht mit seinem Zauber vertraut.“ Zahra sagte nichts mehr, was ihm verriet, dass sie von ihm verlangte, sich schnellstmöglich darum zu kümmern, worum er sich auch sofort bemühte, während er sich innerlich darüber ärgerte, dass er Tengaar damit selbstredend wieder aus den Augen verlieren würde. Kurz bevor sie den Stadtausgang erreichte, hielt Tengaar noch einmal inne. Nicht, weil sie unsicher geworden war, sondern weil sie jemanden entdeckte, den sie kannte und der gerade die Stadt betrat. „Landis, hallo.“ Überrascht blieb er ebenfalls stehen und sah sie mit gerunzelter Stirn an. Obwohl ihre letzte Begegnung noch nicht so lange her war, schien es einen Augenblick zu dauern, bis er sie tatsächlich erkannte. „Ah, hallo, ähm...“ Da wurde ihr bewusst, weswegen er derart verwirrt war, sie hatten sich nie vorgestellt, sie kannte seinen Namen sogar nur aus seinem Gespräch mit Rina, weswegen sie das eilig nachholte. „Mein Name ist Tengaar.“ „Freut mich sehr.“ „Warum kommst du erst jetzt hier an?“, fragte Tengaar interessiert und auch ein wenig besorgt. „Hat dieser Mann euch etwas getan?“ Sie wollte nicht schuld daran sein, dass einem der beiden etwas geschehen war, nur weil sie ihr geholfen hatten. Dass Hix sich vermutlich in Gefahr befand, war schon mehr als genug. Doch er stemmte die Arme in die Hüften. „Ach, nicht der Rede wert. Rina hat eine leichte Gehirnerschütterung, die sie bald auskuriert hat. Nachdem ich sie nach Hause gebracht hatte, musste jemand auch die beiden Drachenpferde wieder nach Gordius bringen, deswegen bin ich erst jetzt hier.“ Nachdem er seine Erklärung beendet hatte, ließ er die Arme wieder fallen, es war eindeutig, dass er müde war und lediglich aus Höflichkeit so lange ausgeholt hatte. „Wollen Sie die Stadt schon wieder verlassen?“, fragte er. Tengaar wandte den Kopf und blickte sich nach Cain oder Fion um, aber keiner der beiden war zwischen den Passanten zu sehen und sie hoffte, dass sich das auch nicht ändern würde. Nachdem sie das sichergestellt hatte, wandte sie sich wieder Landis zu. „Ich fürchte schon. Kannst du mir vielleicht sagen, wo die nächste Stadt ist? Am besten eine, in der es auch Drachenpferde gibt und über die ich Falena verlassen kann.“ „Das wäre der Hafen von Spinacks“, antwortete er und deutete in eine ungefähre Richtung. „Dort patrouillieren Drachenkavalleristen und man kann ein Boot nehmen, das nach Hershville oder über Umwege nach Estrise geht. Beides Möglichkeiten, um Falena schließlich per Schiff zu verlassen.“ Also war sie nicht weit von ihrer Rettung entfernt, auch wenn sie tief in ihrem Inneren wusste, dass sie nicht einfach so würde fliehen können, immerhin wurde sie von Magiern gejagt und sie würde nicht ewig weglaufen oder sich verstecken können. Hix... ich muss nur wieder zu Hix kommen. Er wird mich beschützen können. Ungeachtet all seiner Komplexe wusste sie genau, dass er sie mit seinem Leben schützen würde, wenn es sein musste. Seine Entschlossenheit machte vieles von dem wett, was er nicht konnte. Aber er musste sie nicht allein schützen. Sobald sie wieder bei ihm war, würde auch ihr Kampfgeist zurückkehren, sie wollte nur nicht allein sein. Eine ungemein starke Woge von Sehnsucht überkam sie, als sie Hix vor sich sah, wie er sich vor sie stellte, um sie zu beschützen, egal wie aussichtslos ihm der Kampf schien und wie er es immer geschafft hatte, sie aus der Gefahr zu retten. Hix war ein wahrer Krieger, egal was er selbst dachte. „Vielen Dank, Landis“, sagte sie lächelnd. „Du hast mir schon wieder sehr weitergeholfen.“ Obwohl er müde war, wirkte sein Lächeln durchaus enthusiastisch und voller Stolz, so als ob er das nicht oft zu hören bekommen würde und er deswegen viel Zuversicht aus ihren Worten zog. „Oh, keine Ursache. Seien Sie vorsichtig, wenn Sie weiterreisen. Dieser Mann ist verletzt, aber vielleicht ist er jetzt erst recht wütend.“ Ehe sie noch etwas fragen konnte, lief er bereits weiter. Sie hielt ihn nicht auf, da er müde war und sie außerdem auch wegwollte, um ihren Verfolgern so schnell wie möglich zu entgehen. Nach wenigen Schritten hatte sie das Treiben der Stadt hinter sich gelassen, sie war von einer wohltuenden Stille umgeben, die lediglich durch die Rufe der Drachenpferde, die vom Fluss über die Ebene hallten, unterbrochen war. Es war derart angenehm, dass sie es bedauerte, keine Nacht im Gasthaus verbracht zu haben. Von diesen Gesängen in den Schlaf gewogen zu werden, war mit Sicherheit traumhaft. Doch noch während sie überlegte, ob es ihr möglich wäre, mit Hix irgendwann nach Sauronix zurückzukehren, spürte sie, wie jemand nach ihrem Handgelenk griff. Erschrocken kehrte sie in die Realität zurück und blickte Cain an, als dieser an ihr vorbeiging, die Führung übernahm und sie dabei nicht einmal im Mindesten zu beachten schien. Als sie auf ihr Handgelenk sah, bemerkte sie, dass er scheinbar durchaus darauf geachtet hatte, nicht ihre Haut zu berühren, sondern nur das blaue Band, das sie an beiden Gelenken zum Schutz trug, fast so, als fürchtete er, in Kontakt mit ihr zu kommen. „Was soll das?“, fragte sie. „Ich weiß selbst, wohin ich gehen will!“ „Daran zweifle ich nicht“, erwiderte er. „Aber du läufst viel zu langsam, so kommst du niemals irgendwo hin.“ Er hob die freie Hand, worauf ein Loch vor ihnen entstand, jenseits davon konnte sie unzählige Sterne sehen und sie glaubte, ein undeutliches Bild in ihren Erinnerungen zu sehen, das diesem ähnelte, nur dass es damals Dougal gewesen war, der sie dort hineingezogen hatte. Dieses Mal war es Cain, der sie direkt darauf zuzog, obwohl sie versuchte, sich dagegen zu wehren und sich loszureißen. Sein Griff schien sich dabei aber nur zu verstärken. „Wohin gehst du?! Was soll das?“ Er warf ihr über die Schulter nur einen kurzen, amüsierten Blick zu. „Das wirst du schon sehen.“ Dann zog er sie durch das Portal hindurch, das sich hinter ihnen schloss, als wäre es niemals an diesem Ort gewesen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)