Bis ans Ende der Welt von Flordelis (Das Schwert folgt stets dem Herzen) ================================================================================ Kapitel 20: Ein großer Schritt ------------------------------ Die über die Wiedervereinigung äußerst erfreute Ailis plante nicht, mit dem Schiff weiterzufahren, aber genausowenig wollte sie auf der Insel verweilen. Was genau sie allerdings plante, verriet sie Hix nicht, während sie ihn über unzählige Treppen zum höchsten Punkt der Insel führte. Rim schien es zu wissen, aber sie schwieg und verriet kein einziges Wort, was Hix ihr ein wenig übel nahm. Nachdem sie nun ihr eigenes kleines Abenteuer hinter sich hatten, war da die Erwartung gewesen, dass sie ein wenig enger verbunden wären, aber vermutlich ging es doch nicht so einfach. Während sie die Stufen erklommen, erzählte Ailis ihnen, dass die Reise nach dem Zwischenfall mit dem Wesen aus der Welt der Leere vollkommen ereignislos weitergelaufen war. Viel hatte sie davon aber nicht mitbekommen, so sagte sie, weil sie lange Zeit bewusstlos gewesen war. Zumindest musste das so gewesen sein, denn sie erinnerte sich lediglich an die wenigen Stunden, bevor sie in Razril angekommen war und ihr Wissen über die restliche Fahrt hatte sie hauptsächlich von anderen Mitfahrenden. Oben angekommen, sah Hix sich um, doch egal in welche Richtung er blickte, es gab nichts zu entdecken. Sie standen auf einer mit Gras bewachsenen Plattform, auf der auch zwei verkümmerte Bäume standen. Ansonsten sah er lediglich den Ozean, dessen Oberfläche im Sonnenlicht glitzerte, da sie von dieser Position aus nicht einmal einen Blick auf die Stadt werfen konnten. „Hier sind wir“, sagte Ailis mit unverhohlenem Stolz in der Stimme, so als erwartete sie, gelobt zu werden – aber Hix verstand immer noch nicht, weswegen sie eigentlich an diesen Ort gekommen waren. Er öffnete gerade den Mund, um ihr mitzuteilen, dass er nicht wusste, was sie hier suchten, da nahm Rim ihm das in gewisser Weise bereits ab: „Du solltest ihm vielleicht sagen, was genau du hier zu finden hoffst. Er ist immerhin kein Magier.“ Zum ersten Mal, seit diese Reise angefangen hatte, hielt Hix für einen kurzen Augenblick inne, um sich etwas ins Gedächtnis zu rufen, das er bislang strikt vernachlässigt hatte: Dougal, Fion und Ailis waren allesamt ebenfalls mit der Begabung der Magie gesegnet – oder auch beladen, er war sich nicht sicher, wie sie selbst es betrachteten. Aber Ailis wirkte nicht unbedingt wie eine Person, die sehr darunter litt, sich so sehr von anderen zu unterscheiden und doch nie jemandem davon erzählen zu dürfen. Mehr noch, allein wegen ihrer panische Furcht davor, zu ertrinken, kam sie ihm wesentlich menschlicher vor als so manch anderer. Wenn die Menschen und die Magier damals nur mehr auf ihre Gemeinsamkeiten und weniger auf ihre Unterschiede geachtet hätten, wären sie nun vermutlich nicht in dieser Situation. Aber nun waren die Magier fast vollkommen ausgelöscht und einer von ihnen entführte aus Verzweiflung die Nachfahrinnen von Klift, von denen sie nun eine zu retten versuchte. Eine Gemeinschaft aus zwei Magiern, zwei Assistentinnen, von denen er nicht wusste, was sie waren und einem Menschen. Sein ganzes Leben lang war Hix auf andere angewiesen gewesen und selbst nun, da es um Tengaars Leben ging, musste er sich auf andere verlassen, weil ihr Entführer ein Magier war, gegen den er als normaler Krieger nichts ausrichten konnte. Es war frustrierend. Die Krähe, die ihren Weg verfolgt hatte, setzte sich auf den kümmerlichen Ast eines Baumes und neigte den Kopf, als würde sie fragen, wie es weitergehen sollte und warum sie nur noch herumstanden und nichts mehr unternahmen. Ailis stemmte die Arme in die Hüften. „Du erinnerst dich sicher, dass Fion in den Graslanden ein Portal durchschritten hat, um nach Falena zu kommen, ja? Danach hat er es verschlossen, damit niemand von uns ihm folgen kann. Aber hier, auf Razril, direkt vor uns, gibt es ein weiteres Tor, das uns nach Falena befördern kann. Es gibt also keinen Grund, dass wir uns noch einmal einem furchtbaren Schiff anvertrauen und über diesen grausamen Ozean fahren müssen, wo wir jederzeit untergehen und elendig ertrinken könnten.“ Rim rollte mit den Augen, was Ailis aber nicht mitbekam oder beachtete, denn sie ging nicht im Mindesten darauf ein. Sie löste wieder eine ihrer Hände von ihrer Hüfte und deutete hinter sich, als würde sie gerade eine Attraktion bewerben. „Hier ist unsere wundervolle Abkürzung nach Falena, damit du bald wieder mit deiner Liebsten vereint bist!“ Augenblicklich begann sein Herz schneller zu schlagen. Als er aufgestanden war, hatte er damit gerechnet, noch weitere Tage oder gar Wochen auf den Kohlen sitzen zu müssen, aber die Aussicht, sie schon bald wiederzusehen, ließ seinen Blutdruck in die Höhe schnellen. „Worauf warten wir dann noch?“, fragte er. „Öffne es... bitte.“ Ailis schien nur auf diese Bitte gewartet zu haben, denn kaum war sie ausgesprochen, fuhr sie mit einem leichten Lächeln herum und hob die rechte Hand, als würde sie eine Rune benutzen. Doch statt dem verschwommenen Abbild einer solchen, begann ihr Körper sanft in einem farblosen Licht zu glühen und einen Augenblick später entstand etwas direkt vor ihnen, zwischen den beiden verkümmerten Bäumen. Es war erst eine kleine, kaum sichtbare Kugel aus Licht, die sich rasch ausbreitete, bis sie schließlich zu einem Portal angewachsen war, groß genug, um ihnen allesamt Durchgang zu gewähren. Als es soweit war, drehte sie sich wieder zu ihren Gefährten, ein stolzes Lächeln auf dem Gesicht. „Na, wie war ich? Gut oder sehr gut?“ Hix wusste nicht so recht, etwas darauf zu sagen, aber Rim lächelte, wie eine Mutter es tun würde, wenn sie ihrem Kind ein Lob aussprach: „Perfekt, Ailis, vielen Dank.“ Noch ein wenig misstrauisch, was dieses Portal anging, wartete Hix bis Rim und Ailis zuerst durchgegangen waren. Die Krähe kehrte wieder auf seine Schulter zurück, um gemeinsam mit ihm hindurchzugehen. Es kam ihm vor, als würde er gegen eine Wand aus Wasser laufen und dann in dieses eintauchen. Sämtliche Geräusche, die er bis dahin gehört hatte, ohne sie wirklich zu registrieren, verschwanden auf einen Schlag und ließen ihn mit einer Stille zurück, die so vollkommen war, dass sie schwer auf seinen Ohren lastete. Die angenehme Atmosphäre wurde durch eine ersetzt, die ihn abzustoßen schien, ihn von allen Seiten mit unsichtbaren Händen fortzuschieben versuchte, dabei aber erfolglos war, weil es eben von überall versucht wurde. Das Atmen fiel ihm schwer, weswegen er tiefer als sonst einatmen musste. Aber der Blick umher, ließ ihn erst einmal überwältigt den Atem anhalten: Sie standen auf einem steinernen Weg, an dem sich zahlreiche Türbögen reihten und der aus dem Nichts entstanden zu sein schien. Es gab keinerlei Erde unter ihnen, dafür waren sie umgeben von Myriaden von leuchtenden Sternen, über ihnen, unter ihnen, links, rechts, geradeaus. Egal, wohin er sah, überall waren sie zu sehen, sie bildeten Galaxien, mit blauem oder kupferfarbenem Nebel, es war ein Anblick, dessen Schönheit alles übertraf, was er jemals zuvor gesehen hatte. „Wo... sind wir?“, fragte er überwältigt. Erst in diesem Moment fiel sein Blick wieder auf Ailis und ihr Gesichtsausdruck überraschte ihn. Er war sanft, frei von jedem Spott oder Hohn, sie lächelte sogar ein wenig und es war anders als ihre sonstigen Lächeln, viel ehrlicher. „Das hier ist die Unendlichkeit. Jedenfalls ein Teil davon. Normalerweise wird sie benutzt, um zwischen den Welten umherzureisen, aber man kann mit ihr auch zu verschiedenen Orten einer einzigen Welt.“ „Aber wir waren einfach nur... da waren diese Bäume...“ Er konnte das Konzept durchaus verstehen, aber es hatte keinerlei Zeichen gegeben, dass sich dort ein Portal befinden könnte, dass sie an einen solchen Ort führte. „Nun, die Portale an sich wurden während des Magierkrieges zerstört“, erklärte Ailis. „Damit sollte verhindert werden, dass jemand sich einfach hinter eine fremde Armee schleichen kann. Aber die Kräfte, die sich dort bündeln und das Öffnen der Tore überhaupt erlauben, gibt es immer noch.“ „Warum haben die Magier sich nicht einfach teleportiert?“ Während der Kriege, an denen er teilgenommen hatte, waren ihm Leute aufgefallen, die sich ohne diese Portale durch die Welt bewegen konnten, da müssten diese Magier doch ebenfalls dazu in der Lage gewesen sein. Doch Ailis schüttelte mit dem Kopf. „Das ist nicht so einfach. Nicht jeder Magier kann das und wenn, dann ist es nicht immer eine einfache Sache. Ich würde es dir gern genauer erklären, aber weil ich nicht teleportieren kann, fällt mir das echt schwer – und die Erklärung von Fion habe ich schon lange wieder vergessen.“ So genau musste er das eigentlich nicht wissen, aber dennoch überlegte er, Rim zu fragen. Als er sich nach ihr umsah, stellte er allerdings fest, dass sie mehrere Meter von ihnen entfernt war und sich die anderen Portale genauer ansah. Offenbar musste sie herausfinden, welches sie nach Falena führen würde. „Wie sieht es aus?“, fragte Ailis, als sie ebenfalls ihre Aufmerksamkeit auf Rim richtete. Das Mädchen wandte sich ihr zu und deutete dabei auf das Portal, vor dem sie stand. „Das hier ist das richtige. Hiermit kommen wir in der Nähe des Westpalasts raus.“ „Wie wollen wir Tengaar eigentlich finden?“ Es war ein vollkommen fremdes Land, wie ihm in diesem Moment wieder bewusst wurde. Da es so weit entfernt war, kannte er das genaue Aussehen nicht, er hatte nie eine Karte von Falena gesehen, weswegen er nicht einmal wusste, wo sich dieser Westpalast überhaupt befand und was es in der Gegend noch geben könnte. „Ich dachte, wir schauen uns erst einmal Dougals Versteck an und dann sehen wir weiter“, meinte Ailis schulterzuckend. Die erhabene Atmosphäre, die sie umgeben hatte, war bereits wieder verschwunden, wie er bedauernd bemerkte, aber dafür war sie wieder genau wie vorher, was durchaus beruhigend war. Ihr Plan dagegen war alles andere als beruhigend. „Ist das alles?“ „Hat einer von euch eine bessere Idee?“ Rim verschränkte die Arme vor der Brust und neigte den Kopf von der einen auf die andere Seite. „Ich würde gerne Ja sagen, aber das wäre eine Lüge, ich weiß nämlich auch noch nichts.“ Am Liebsten hätte Hix geseufzt – aber dann fiel ihm wieder ein, dass es eigentlich seine Aufgabe war, sich einen Plan zur Rettung Tengaars zu überlegen und er absolut nichts tat, um dieser gerecht zu werden. Eigentlich war er vollkommen überflüssig und auch wenn es nicht das erste Mal in seinem Leben war, dass er sich so fühlte, so hasste er es in diesem Moment mehr als je zuvor. Er müsste sich unbedingt etwas einfallen lassen, so konnte das nicht weitergehen. „Da keiner von euch etwas weiß“, schloss Ailis, „werden wir einfach mal hingehen und dann sehen wir weiter. Vielleicht hat Fion auch schon irgendwas erreicht.“ Das konnte Hix nur hoffen, denn er wusste selbst, dass er nicht unbedingt gut darin war, sich Strategien auszudenken oder Pläne auszuhecken – auch wenn das der billigste Ausweg für ihn war. Die Krähe gab ein Kreischen von sich, als würde sie die Gruppe zum Weitergehen animieren wollen und das taten sie schließlich auch. Ailis ging wieder zuerst durch das Portal, gefolgt von Rim und Hix wieder als letztes. Grelles Sonnenlicht blendete ihn, kaum dass er hindurchgetreten war, so dass er erst einmal die Augen schließen musste. Sie waren nicht lange in der Unendlichkeit gewesen, aber es kam ihm vor, als wäre die Sonne in diesem Land wesentlich intensiver als noch zuvor auf den Inselnationen. „Hach, Falena“, seufzte Ailis. „Wie schön, mal wieder hier zu sein.“ Offenbar waren diese intensiven Sonnenstrahlen also normal, weswegen er vorsichtig, eine Hand an der Stirn, seine Augen öffnete, um sich umzusehen. In der Sicherheit ihres Zimmers im Gasthaus, schaffte Tengaar es erstmals, wieder durchzuatmen. Alles war ruhig, von ihrem Verfolger war, wenn sie aus dem Fenster blickte, nichts zu sehen, lediglich die Bewohner dieser Stadt und Kavalleristen, die gemeinsam mit ihren ausgewachsenen Drachenpferden patrouillierten, konnte sie entdecken. Das ließ sie wesentlich tiefer durchatmen, als noch zuvor. Aber es gab ihr auch Gelegenheit, sich die letzten Ereignisse wieder ins Gedächtnis zu rufen. Faolan war tot, er hatte sich geopfert, um ihr die Flucht zu ermöglichen, dann waren da diese Personen gewesen, die ihr geholfen hatten und die hoffentlich in Sicherheit waren. Und dann war da noch Dougals verzweifelter Blick, der ihr nicht mehr aus dem Sinn gehen wollte. Er sehnte sich so sehr nach seiner Geliebten, dass er seit Jahren versuchte, sie in einem neuen Körper zurückzuholen. Sogesehen empfand sie ihn als eine sehr bemitleidenswerte Gestalt, der nicht mehr zu helfen war – jedenfalls, wenn man sie fragte. Aber sein Elan, sein Ehrgeiz und seine unerschütterlicher Wille war in gewisser Weise bewundernswert, wenn er dafür nicht so viele andere Seelen getötet hätte. Fast schon bedauerte sie, ihm nicht einfach seinen Wunsch erfüllen zu können, damit seine Odyssee beendet und kein anderes Mädchen mehr unter ihm zu leiden hätte. Aber sie würde es nicht tun. Sie war Tengaar, die Tochter von Zorak und als solche war sie nicht gewillt, sich einfach selbst aufzugeben, auch nicht aus Mitleid. Sie würde wieder mit Hix vereint werden und dann würde alles gut enden, das wusste sie einfach. Sie war derart in ihre Gedanken vertieft, dass sie erst glaubte, es sich einzubilden, als sie auf der Straße jemanden entdeckte, der nicht in diese Stadt zu gehören schien. Zuerst glaubte sie, dass es sich um Dougal handelte, aber auf den zweiten Blick erkannte sie, dass es Fion war, der sich gemeinsam mit Zahra dem Gasthaus näherte, vermutlich um sie abzuholen und sie endlich zu Hix zurückzubringen. Voller Vorfreude erhob sie sich von ihrem Stuhl, um seinen Weg mitzuverfolgen und als er tatsächlich das Gasthaus betrat, fuhr sie herum, damit sie direkt zur Tür und ihm entgegen gehen könnte. Doch als sie bemerkte, dass sie nicht mehr allein in ihrem Zimmer war, dass da jemand zwischen ihr und der rettenden Tür stand, hielt sie sofort wieder inne. Sie wich ein wenig zurück und stieß gegen das hölzerne Fensterbrett. Das silberne Haar ihres ungebetenen Gastes glitzerte im einfallenden Sonnenlicht und ließ es damit überraschenderweise noch kälter erscheinen – genau wie seine eisblauen Augen, die sie ohne jedes Interesse musterten. „Ich komme wohl gerade noch rechtzeitig“, sagte Cain mit unterkühlter Stimme. Sie runzelte skeptisch die Stirn und legte eine Hand auf eines ihrer Messer an ihrem Gürtel, ohne jede Hoffnung, dass sie ihn auch nur verletzen könnte und er war davon überzeugt, unantastbar zu sein, das erkannte sie an seinem vollkommen überlegenen Blick. „Rechtzeitig für was?“ Cain deutete hinter sich. „Fiongal ist hier.“ „Ja, um mich heimzubringen“, erwiderte sie, entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie in seinem Angesicht Furcht verspürte. „Also geh mir aus dem Weg.“ „Denkst du wirklich, dass er dich heimbringen will?“ Sie wollte es nicht zulassen, aber etwas an seinem Blick schien ihre Verteidigung zu durchbrechen und den Samen des Misstrauens direkt in ihr Unterbewusstsein zu pflanzen, genährt von dem, was er direkt im Anschluss zu ihr sagte: „Er ist hier, um dich umzubringen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)