Bis ans Ende der Welt von Flordelis (Das Schwert folgt stets dem Herzen) ================================================================================ Kapitel 17: Hilfe von außen --------------------------- Der Anblick des kleinen Schlosses war doch reichlich imposant, selbst in der Dunkelheit. Der Betonblock wirkte eher wie eine Festung denn wie ein Schloss und daher nicht sonderlich heimelig. Das Eingangstor aus massivem Eisen sollte etwaige Besucher davon überzeugen, dass es besser war, erst gar nicht den Versuch zu wagen. Die steinernen, geflügelten Löwen, die das Tor flankierten, die Mäuler weit aufgerissen, verstärkten den Effekt noch einmal. Obwohl Fion es eigentlich ganz genau kannte und er auch wusste, dass er nichts zu befürchten hatte, solange er nur davorstand, schüchterte es ihn dennoch ein, Dougal hatte ganze Arbeit geleistet. Hätte Fion damals bereits gewusst, was sein Bruder in diesem Bau verstecken wollte, hätte er ihm nicht geholfen, die Schutzzauber darauf zu legen, die verhindern sollten, dass normale Menschen es sehen oder gar in die Nähe kommen konnten. Fion straffte seine Schultern, in einem Versuch, sich selbst Mut zuzusprechen, auch wenn er ziemlich genau wusste, dass dieses Vorhaben zum Scheitern verurteilt war. Sein Mut war ohnehin nie sonderlich der Rede wert gewesen, aber im Moment schien er sich auf Reisen zu befinden, irgendwo weit weg von Falena und er wünschte sich, bei diesem zu sein. Leider war es ihm aber auch nicht möglich, noch einen Rückzieher zu machen, denn auch wenn er ihn nicht sehen konnte, so wusste er doch, dass Cain ihn beobachtete und darauf wartete, dass er hineinging, um seinen Auftrag zu erfüllen. Sein einziges Glück war nur, dass Dougal nicht anwesend war, dieser hatte erst vor wenigen Minuten die Festung verlassen, vermutlich um noch etwas zu holen, das er unbedingt brauchte. Obwohl Fion jede einzelne Minute gebrauchen könnte, zögerte er das Betreten so lange wie möglich hinaus, als hoffte er, dass Dougal zurückkehren und den Plan damit nichtig machen würde. Dabei war es auch in seinem Interesse, Tengaar zu retten, immerhin hatte er das diesem Hix versprochen. Zahra, die wie üblich an seiner Seite war, blickte zu ihm hinauf. „Hör endlich mit deiner Verzögerungstaktik auf, das bringt dir ohnehin nichts.“ „Ich weiß“, erwiderte er seufzend. Noch einmal straffte er seine Schultern, dann trat er einen Schritt vor. Für einen Menschen hätte es ausgesehen wie ein einfacher Schritt, aber für jemanden mit dem Dritten Auge war gut ersichtlich, dass er damit eine Grenze übertrat, die den letzten Sicherheitsmechanismus der Festung aktivierte. Die Löwen, die das Tor flankierten, erwachten urplötzlich zum Leben, sie senkten die ihm zugewandten Köpfe, um ihn beschnuppern zu können, da ihre blinden Augen nicht in der Lage waren, ihn zu sehen. „Wer verlangt Einlass?“, sprachen die Löwen synchron, die tiefen Stimmen der beiden erzeugten eine wohlige Gänsehaut auf Fions Armen. Die Stimmen, so kam es ihm vor, waren kontraproduktiv für die Abschreckung, denn sie schienen einen eher willkommen zu heißen und freundlich hereinzubitten. Er schluckte noch einmal, dann gab er sich Mühe, Dougals Stimme bestmöglich nachzuahmen: „Wer wohl? Euer Meister verlangt Einlass! Also öffnet das Tor, wird’s bald?“ Nichts geschah. Für einen kurzen Moment fürchtete er, nicht überzeugend genug gewesen zu sein oder dass Dougal möglicherweise etwas an den Zaubern geändert hätte, doch schon im nächsten Augenblick neigten die beiden Löwen ihre Häupter wie zur Verbeugung, das Tor öffnete sich wie von Zauberhand, begleitet von den Worten: „Willkommen zurück, Meister Dougal.“ Kaum war das Tor offen, erstarrten die Löwen wieder in derselben Form wie zuvor. Zarah grinste. „Gar nicht schlecht, schon sind wir drin.“ „Solltest du nicht lieber draußen warten?“ Sie hob eine Augenbraue, als sie ihn wieder ansah, was ihm sagen sollte, dass sie nicht einfach warten würde und er kannte ihren Dickkopf, weswegen er sich nicht weiter auf eine Diskussion einließ, auch wenn er fürchtete, dass sie ihn im Inneren in Probleme bringen würde. „Fein, dann komm eben mit, aber denk dran, dass wir keine Vergnügungsreise machen.“ Sie gab ein bestätigendes Nicken von sich, dann betrat sie gemeinsam mit Fion die Festung. Hinter ihnen schloss sich das Tor wieder, aber erst nachdem Cain ebenfalls hereingehuscht war. Wie verabredet versteckte der Schüler sich im Eingangsbereich im Schatten einer Statue. „Gut, dann suchen wir mal los“, sagte Zahra und ging mit großen Schritten voraus. Fion folgte ihr mit wesentlich geringerem Optimismus, nur mit der Hoffnung, dass sie Tengaar finden würden, bevor Dougal zurückkehren würde. Die Erschöpfung hatte sie schließlich doch einschlafen lassen. Allerdings lag sie vollständig bekleidet auf dem Bett und sie schreckte auch sofort hoch, als der neben ihr liegende Faolan sich zu bewegen begann. „Was ist denn los?“, fragte sie verschlafen. „Ist etwas passiert?“ Faolan blickte aufmerksam ins Leere, seine Ohren zuckten, während er versuchte, etwaige Geräusche aufzufangen, doch schließlich nickte er. „Jemand ist gerade ins Haus gekommen, aber es ist nicht Meister Dougal.“ „Wer könnte es dann sein?“ Ihr schien als wolle der Wasserspeier mit den Schultern zucken, aber da ihm das nicht möglich war, neigte er den Kopf in ihre Richtung. „Ich weiß es nicht. Vielleicht sollten wir nachsehen gehen. Möglicherweise ist es dein Weg, nach draußen zu kommen.“ Das klang doch äußerst vielversprechend. Also ließ Tengaar sich nicht zweimal auffordern, sondern stand direkt auf und ging zur Tür. Glücklicherweise war diese immer noch nicht verschlossen, so dass sie mit Faolan auf den Gang treten konnte. An den Wänden waren in regelmäßigen Abständen Kerzenhalter angebracht, von denen in der Nacht allerdings nur immer jeder zweite entzündet war. Das bot genug Licht, um zu sehen, wohin man lief, aber nicht genug, um wirklich jedes Detail erkennen zu können. Für Tengaar war es allerdings ausreichend, dass sie Faolan folgen konnte, der sie ins Erdgeschoss führte. Dort konnte sie bereits von der Treppe aus hören, wie jemand immer wieder Türen öffnete und schloss, so als würde die Person nicht wissen, wohin sie eigentlich gehen sollte. Daraus folgerte sie, dass es sich wirklich nicht um Dougal handelte, der würde sich höchstwahrscheinlich gut in seinem Zuhause auskennen. Neugierig geworden, folgte Tengaar den Geräuschen. Schon nach wenigen Schritten hielt sie inne, da sie den Suchenden gefunden hatte, auch wenn er sie nicht zu bemerken schien. Noch immer öffnete er Türen, warf einen Blick in den Raum dahinter und schloss sie dann wieder. Während sie ihn beobachtete, kam es ihr vor als hätte sie ihn schon einmal gesehen, aber es dauerte einen kurzen Moment, bis es ihr einfiel: Natürlich, ich habe ihn in der Messingburg gesehen. Er war da in Begleitung dieser seltsamen Frau. Aber hier war er in Begleitung eines kleinen Mädchens mit rosa Haar, das erstaunlich desinteressiert an einer Wand lehnte. Faolan neigte wieder den Kopf. „Das ist Meister Fiongal.“ Kaum hatte er etwas gesagt, wandte sich die Aufmerksamkeit der beiden Suchenden ihnen zu. Fion atmete erleichtert auf, als er sie sah. „Tengaar, ich komme noch rechtzeitig.“ „Du kennst mich?“ „Natürlich tut er das“, ereiferte Faolan sich sofort. „Ich bin sicher, dass Meister Fiongal genau weiß, was Meister Dougal plant.“ Fion druckste ein wenig. „Genau würde ich nicht sagen...“ Bevor die Diskussion noch lange anhalten konnte, ging das Mädchen dazwischen. „Wir haben echt keine Zeit für so etwas, sehen wir lieber zu, dass wir verschwinden, bevor Dougal zurückkommt.“ „Dafür bin ich auch“, stimmte Tengaar zu, auch wenn sie noch immer jede Menge Fragen hatte, aber diese stellte sie gern hinten an, wenn sie dann nur einfach in Sicherheit war. Gemeinsam setzten sie sich in Bewegung, um zum Haupttor zu kommen, aber schon nach wenigen Schritten hielten sie wieder inne, da eine Stimme durch die Festung hallte: „Willkommen zurück, Meister Dougal.“ Etwas stimmte nicht, das spürte er sofort, als er das Anwesen betrat. Die Statuen am Tor hatten bereits ein wenig zu lange gezögert vor dem Einlass, so als wären sie sich nicht ganz sicher, ob er wirklich Dougal war und im Inneren spürte er sofort, dass er nicht allein war – und das konnte eigentlich nur eines bedeuten: „Fiongal!“ Was sein Bruder hier wollte, war offensichtlich, er würde ihn nicht erst fragen müssen. Aber dazu kam er auch gar nicht, denn eine weitaus gewichtigere Aura hielt ihn davon ab, weiterzulaufen. Im nächsten Moment huschte bereits ein silberner Schatten in sein Blickfeld, der sich zu seinem Leidwesen natürlich als Cain herausstellte. „Ich habe im Moment keine Zeit für dich oder deinen Meister“, knurrte Dougal, was bei Cain nur zu einem humorlosen Lachen führte. „Denkst du, das kümmert mich?“ Ehe er über die Konsequenzen seines Handelns nachdenken konnte, hob er seine Hand. Nicht um seinen Gegenüber damit zu schlagen, sondern um einen Zauber zu wirken, der seinen Weg freiräumen könnte. In Cains Augen konnte er ein Glitzern erkennen, ähnlich dem der Vorfreude, aber bevor er herausfinden konnte, was das zu bedeuten hatte, wurde er von dem Geräusch sich nähernder Personen unterbrochen. Im nächsten Moment sah er bereits Fion, Zahra und Tengaar hinter Cain auftauchen. „Das hat ja auch lange genug gedauert“, kommentierte der Schüler unterkühlt. Fion setzte an, um sich zu entschuldigen, aber Zahra schnitt ihm das Wort ab: „Ist doch jetzt egal!“ Obwohl Cain immer noch direkt vor ihm stand, vergaß Dougal diesen vollständig, als ihm wirklich bewusst wurde, dass sein Bruder hier war, um ihm Tengaar wegzunehmen! Sein eigener Bruder arbeitete gegen ihn! Schon wieder! Eiskalte Wut erfüllte seinen gesamten Körper und wollte sich unter allen Umständen entladen. Seine Haarspitzen begannen zu knistern, während die Temperatur im Gang anstieg. Für den Moment war ihm sogar egal, dass er Tengaar schaden würde, wenn er sich nun nicht zurückhielt, wichtig war nur, dass Fion und auch dieser Cain dafür bezahlten, was sie ihm antun wollten. Doch im nächsten Moment spürte er bereits einen beißenden Schmerz in seinem Bein. Als er hinabsah, entdeckte er Faolan, der sich in seine Schienbein verbissen hatte. Dougals Magie entlud sich augenblicklich auf diesen Wasserspeier, der sich wieder in seine steinerne Form zurückverwandelte und dann in unzählige Teile zersprang. Tengaar stieß einen erschrockenen Schrei aus. „Faolan!“ Für einen flüchtigen Augenblick kehrte Dougals Vernunft zurück, die ihm für seinen kurzen Aussetzer schalt, aber er wischte sie ungeduldig beiseite und konzentrierte seine Magie wieder darauf, Cain anzugreifen. Doch diesem hatte der kurze Moment der Unachtsamkeit genügt, um einen eigenen Zauber zu sprechen. Ein Pfeifton, so hoch, dass er kaum noch wahrnehmbar war, zerschlug Dougals Konzentration und zwang ihn dazu, die Hände auf seine Ohren zu pressen, in einem verzweifelten Versuch, diesen Ton nicht mehr wahrnehmen zu müssen. Fion erkannte die Chance sofort. Er griff nach Tengaars Hand und zog die junge Frau mit sich, als er in Richtung Eingangstor losrannte. „Nein!“ Die Furcht, Tengaar zu verlieren, übernahm erneut die Oberhand und ließ Dougal für einen Augenblick sogar die Konzentration wiederfinden. Er griff nach Tengaars freiem Arm, doch bevor er zupacken konnte, hatte Fion sie bereits aus seiner Reichweite gezogen. Er wollte ihnen nachsetzen, aber Cain wirkte noch einen weiteren Spruch und erstellte damit eine Wand aus rasiermesserscharfen Windklingen, die Dougal von Tengaar und Fion trennten. „Tengaar!“ Seine Stimme nahm einen verzweifelten, geradezu schrillen Tonfall an, der immerhin dazu führte, dass sie sich ihm noch einmal zuwandte, während Fion damit beschäftigt war, das Tor zu öffnen. Er konnte Mitleid in ihrem Blick sehen, aber auch Furcht und das in einem Ausmaß, die unter anderen Umständen in ihm selbst Mitgefühl geweckt hätte. Aber so reichte es nur zu Verständnislosigkeit von seiner Seite, die sich in einem weiteren Schrei entlud, als Fion die Tür endlich öffnete und Tengaar nach draußen lief. „Scheint als wäre sie nun deinen Klauen entronnen“, kommentierte Cain fast schon süffisant. „Bist du jetzt sauer?“ Die Verzweiflung schwand rasch und überließ die Bühne einer gefassten Überzeugung. Erst würde er sich mit diesem Schüler auseinandersetzen, dann mit Fion und dann würde er sich Tengaar zurückholen, er war nun schon so weit gekommen, es gab kein Zurück mehr. Er zog seinen Rapier hervor und deutete die Spitze der Klinge in Cains Richtung. „Dafür wirst du bezahlen, Eisherz!“ Das Eingangstor fiel hinter ihnen wieder zu. Tengaar hielt noch einmal inne und warf einen Blick zurück. „Was ist mit dem Mädchen?“ Fion war ebenfalls aufgefallen, dass Zahra sich der Fluchtaktion nicht angeschlossen hatte, aber im Moment stand ihm nicht der Sinn danach, noch einmal hineinzugehen. „Sie kommt schon klar, sie ist zäh. Wichtig ist jetzt, dass du wegkommst.“ „Ich verstehe nicht-“ Ein Knirschen schnitt ihr das Wort ab. Die Löwenstatuen, die das Tor flankierten, hatten sich zu bewegen begonnen und wandten sich nun beide ihnen zu. Fion entfuhr ein undeutliches Fluchen. „Auch das noch!“ Allerdings fing er sich sofort wieder und blickte noch einmal Tengaar an, die beide Löwen nur mit großen Augen anstarren konnte. Im Gegensatz zu Faolan waren diese Statuen nach wie vor aus Marmor und nicht aus Fleisch und Blut, aber dennoch bewegten sie sich als wären sie es. „Tengaar, hör mir zu. Lauf nach Südwesten, dort gibt es eine Stadt in der du dich versteckst! Ich treffe dich dort später.“ Er deutete in die Richtung, in der sie im Dunkeln nur Wald entdecken konnte. Aber wenn sie sich richtig erinnerte... „Gibt es vor dem Wald nicht noch eine Stadt?“ Der Gedanke, mitten in der Nacht allein durch einen Wald laufen zu müssen, behagte ihr nicht im Mindesten, weswegen sie das lieber vermieden hätte. Aber er deutete ein Kopfschütteln an, das ihr verriet, dass sie wohl nicht darum herumkommen würde. Die Statuen, wohl endlich Herr ihrer Bewegungen, stürzten sich mit Schwung auf Fion, der noch ein letztes „Lauf!“ ausstieß, ehe er von einer Kugel aus Licht umgeben wurde, die ihm wohl Schutz bieten sollte. Tengaar blieb nicht, um herauszufinden, ob das tatsächlich gelang, sie wirbelte herum und rannte los, direkt auf den Wald zu, der sie binne kürzester Zeit mit seiner Dunkelheit umfing als wolle er sie nie wieder gehen lassen. Gemeinsam mit dem Licht, schwanden auch die Geräusche, so dass sie von Stille umgeben war, abgesehen von ihren eigenen hastigen Atemzügen und dem Knacken der unter ihren Füßen zerbrechenden Ästen. Es war einerseits unheimlich und gleichzeitig fühlte sie sich doch sicher und behütet, immerhin bedeutete es doch, dass sie ganz allein war. Aber aller Entschlossenheit zum Trotz ergriff doch bald die Erschöpfung wieder von ihr Besitz, der Wald schien einfach kein Ende zu nehmen und sie war doch so furchtbar müde. Wenn sie sich einen sicheren Platz suchte, könnte sie sich doch bestimmt ausruhen, nur ein wenig... Ihre Schritte wurden träge, aber schließlich fand sie einen Baum, dessen hervorstehende Wurzel derart groß war, dass sie es sich dazwischen gemütlich machen könnte und auch ein wenig vor neugierigen Blicken zufällig Vorbeikommender geschützt wäre. Während sie so dort saß, die Beine angezogen und die Arme darum geschlungen, wanderten ihre Gedanken davon. Sie dachte an Faolan, der sein Leben für sie geopfert hatte und den sie nun schon vermisste. An Fion, der ihre Flucht gedeckt hatte und hoffentlich noch lebte. An Hix, der, wie sie hoffte, bereits auf den Weg zu ihr war. Doch ihr letzte Gedanke, bevor sie in den Schlaf abdriftete, galt Dougals verzweifeltem Blick, als ihm klar geworden war, dass sie entkommen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)