Bis ans Ende der Welt von Flordelis (Das Schwert folgt stets dem Herzen) ================================================================================ Kapitel 16: Das Ritual ---------------------- „Die Magie war schon lange aus dem Gedächtnis der Menschen verschwunden. Sprach man in dieser Zeit von Magiern, so nahm jeder automatisch an, dass es sich dabei entweder um Runenträger handelte oder um Märchenfiguren. In solchen Geschichten existierte die Magie noch, war lebhaft, verspielt und ungebändigt, sie formte die wundervollsten Dinge und zerstörte sie, nur um sie im Anschluss daran erneut zu erschaffen. Vielen Kindern wurden zur Schlafenszeit von ihren Eltern Märchen über Magier erzählt. Es mag fast schon ironisch anmuten, dass gerade jene, die der Magie mächtig waren, keine Eltern mehr hatten, die ihnen solche Geschichten erzählen könnten. In jenen Tagen waren viele dieser Kinder Waisen oder einfach ausgesetzt worden. Doch waren sie nicht auf sich allein gestellt und sie wuchsen auch nicht mit normalen Kindern auf. Viele dieser begabten Kinder wurden von erwachsenen Magiern unter die Fittiche genommen und ausgebildet, auf dass sie ihre Fähigkeiten würden kontrollieren und dann ein normales Leben führen könnten. Nur wenige dieser Ausbilder strebten nach mehr und jeder von ihnen wurde von dem stärksten aller Magier, dessen Name Lances war, vernichtet, so dass alsbald nur noch wenige Meister übrigblieben und jene sich umso mehr bemühten, sich verborgen zu halten. Diese Geschichte handelt von einem Meister, dem das allerdings zu wenig war. Er war bekannt als Westcott, der in dem Land, das wir heute als Falena kennen, ein Waisenhaus leitete. Selbstverständlich nahm er in dieses nur Kinder auf, in denen die Magie schlummerte, was sich rasch im gesamten Land herumsprach. Da die Menschen sich damals nichts mehr darunter vorstellen konnten, beschlossen sie, ihm einfach jedes seltsam erscheinende Kind, das nicht so recht zu den anderen passen wollte, auf die Türschwelle zu legen. So wurde Westcott zum Meister eines jungen Mannes, der dem stärksten Magier Lances ähnelte, so heißt es. Ihre Augen besaßen denselben ungewöhnlichen Goldton, ihr Haar war so schwarz wie Ebenholz, manch einer behauptete sogar, dass ihre Gesichter sich ähneln würden, weswegen in seinem Heim gemunkelt wurde, dass er der Sohn Lances' sein sollte. Es war nur ein Gerücht, aber es hielt sich hartnäckig, nicht zuletzt, weil er genau wie die anderen nicht wusste, wer seine richtigen Eltern waren. Es gab nur eines, das jeden an dieser Theorie zweifeln ließ: Der junge Mann besaß das Talent der Magie, aber er war schrecklich unbegabt. Selbst der leichteste Zauber misslang ihm, schwere gelangen ihm entweder gar nicht oder führten direkt zu einer mittelschweren Katastrophe für sein Umfeld. Er versuchte zwar, diesen Makel durch Intelligenz wieder wettzumachen, aber zu seinem Unglück mangelte es ihm auch daran, so dass er dem Spott aller anderen Schüler ausgesetzt war. Nur wenige stimmten nicht in das Spiel mit ein und noch weniger gaben sich mit ihm auf einer freundschaftlichen Ebene ab. Aber es gab auch eine Person, deren Herz von dem Versager angesprochen wurde. Eine talentierte junge Frau, deren Fähigkeiten die der anderen Schüler bei weitem überstiegen und die in manchen Versionen dieser Geschichte für ihre Schönheit gerühmt wurde. Sie war so ganz anders als dieser eine Schüler und doch – oder möglicherweise genau deswegen – liebte sie ihn. Sie verbrachte viel ihrer Zeit mit ihm, versuchte, ihn an ihrem Wissen und ihrem Können teilhaben zu lassen und baute ihn auf, wann immer das mit einem Fehlschlag endete. Sie kamen sich so nahe, wie es zwei Menschen nur möglich war, man könnte sagen, dass sie zu einer Einheit wurden. Als ihr Meister davon erfuhr, war er nicht erbaut darüber. Er wollte nicht, dass sich seine Schüler untereinander fortpflanzten, die magische Rasse neu beleben und damit möglicherweise die Menschen oder gar Lances auf sie aufmerksam machen würden. Aber dann erfuhr Westcott von einer Legende, deren Inhalt ihm verriet, wie er Lances Einhalt gebieten könnte. Das darin beschriebene Ritual war noch nie erfolgreich gewesen, aber er war entschlossen, es auszuprobieren und diese beiden Schüler sollten es sein, die es in Angriff nehmen. Man mag sich denken, dass es zu Neid und Missgunst führte, dass gerade dieser Nichtsnutz zu einer solch wichtigen Mission auserkoren wurde. So kam es, dass am Tag des Rituals die junge Frau namens Treasa und der Mann namens Alisdair in die Ashtwal Berge aufbrachen, um ihr Vorhaben allein in die Tat umzusetzen.“ „Hast du jemals so viel Schnee gesehen, Treasa?“ Die goldenen Augen des Mannes glitzerten vergnügt, als er die weiße Pracht bewunderte, die schon längst die Herrschaft über die Ashtwal Berge errungen hatte. Obwohl Falena so weit im Süden lag, war es im Norden des Landes doch so eiskalt, dass der Schnee sich ungehindert niederlassen konnte. Die vereinzelten Bäume, die es hier noch gab, ächzten geradezu unter der Last, unfähig, diese abzuwerfen. Während er sich begeistert umsah, besaß er keinen Blick für seine hinter ihm stehende, eher zurückhaltende Begleiterin, die sich sich immer wieder fahrig mit der Hand durch das rosa Haar ging. „Bist du denn gar nicht nervös, Alisdair?“, fragte sie mit zitternder Stimme. „Du weißt doch, was-“ „Ja, ich weiß.“ Er hielt ihr den Rücken zugewandt, als er sie unterbrach. „Aber gerade deswegen möchte ich gern, nur noch für einen Moment, einfach hier stehen und mir das alles ansehen. Wenn ich es später ansehe, dann mit den Augen eines Mörders.“ Mit langsamen Schritten ging sie auf ihn zu und umarmte ihn von hinten. „Wenn du nicht willst, dann kann ich...“ Er schüttelte sacht den Kopf, so dass sie den Satz nicht beendete. Angesichts seiner Entschlossenheit, überkam sie eine Woge von Gefühlen. Sie war sich sicher, dass sie an seiner Stelle liebend gern getauscht hätte, wäre ihr das angeboten worden. Allein der Gedanke an das, was er tun musste, erfüllte sie mit Furcht – nicht zuletzt, weil sie diejenige war, die als Opfer herhalten musste. Diejenige, die möglicherweise niemals wieder ihre Augen öffnen würde, um den Schnee zu bewundern. Und doch war er es, der nun den Blick dafür besaß, während sie die Augen geschlossen hielt, den Kopf gegen seinen Rücken gelehnt und seinem aufgeregten Herzschlag lauschte. Er war genauso nervös wie sie, wenn nicht sogar noch mehr, immerhin war er es, der sie töten müsste – und wenn seine Liebe nicht stark genug wäre... Nein! Sie wollte nicht einmal daran denken, sie durfte nicht! Wenn sie weiter darüber nachdachte, würde ihr Furcht nur anwachsen und wenn er bemerkte, dass sie zweifelte und Angst verspürte, wäre es ihm mit Sicherheit unmöglich, seinen Auftrag zu erfüllen. Sie müsste einfach nur zuversichtlich lächeln, ihm zeigen, dass sie an ihn glaubte, selbst wenn das nicht der Fall war. Aber irgendwo, tief im Inneren war sie sich sicher, dass sie an ihn glaubte und das genügte ihr, um sie dazu zu bringen, ihn wieder loszulassen. Sie brachte ihn dazu, sich umzudrehen und nickte ihm dann zu. „Ich vertraue dir.“ Seine Mundwinkel hoben sich leicht. „Danke.“ Aber sein Lächeln erlosch sofort wieder, als er sein Schwert zog und es auf sie richtete. „Ich muss also einfach...?“ Sie nickte. Ihr sanftes Lächeln wollte so gar nicht zu ihrem aufgeregten Herzschlag passen, aber sie musste sicher sein, damit er es durchführte. „Ich glaube an dich, Alisdair. Wir sehen uns gleich wieder.“ Er hob das Schwert und- „E-er hat sie umgebracht?“ Hix unterbrach den erzählenden Loki mit dieser Frage, seine Augen waren ungläubig geweitet. Als der Erzähler nickte, runzelte er noch dazu seine Stirn, so dass Loki sich offenbar zu einer Erklärung berufen fühlte: „Die Rune, die benötigt wird, um den Magier Lances zu vernichten, ist eine Rune, die eigentlich gar nicht existiert. Sie muss erst materialisiert werden.“ Rim und Hix tauschten einen ratlosen Blick miteinander. Keiner von beiden hatte je zuvor von einer solchen Rune gehört oder konnte sich gar etwas darunter vorstellen. Aber Hix verstand auch noch etwas anderes nicht: „Ist es denn nicht möglich, diesen Magier auf normalem Wege zu töten?“ Loki schüttelte mit dem Kopf. „In jeder Version des Märchens heißt es, dass er das Geheimnis der Unsterblichkeit entdeckt und für sich beansprucht hat. Er ist ein Wesen, dessen Existenz nicht endet – und in einer Welt, in der Gleichgewicht besteht, braucht man etwas, das nicht existiert, um ihn zu töten. Und diese Rolle übernimmt eben diese Rune. Die ersten Aufzeichnungen darüber stammen noch aus den Jahren vor der Gründung Harmonias und-“ „Genug, genug“, unterbrach Rim ihn, ehe er sich möglicherweise in seinen historischen Fakten verlor. „Verrate uns lieber, warum man dafür die Person umbringen muss, die man liebt.“ Hix nickte bestätigend, das war auch die Frage, die ihn um einiges mehr interessierte als die historischen Begebenheiten der Rune. Doch zum Bedauern der beiden Zuhörer, schwand Lokis selbstsicherer Gesichtsausdruck, stattdessen zog er ein wenig ratlos die Brauen zusammen. „Ehrlich gesagt kann ich euch da auch nur Vermutungen mitgeben. Bislang ist immerhin noch niemand dazu gekommen, diese Rune zu untersuchen.“ Hix seufzte enttäuscht, doch Rim forderte ihren Gastgeber auf, ihnen seine Theorie mitzuteilen, was er auch sofort in die Tat umsetzte: „Eine unbedingte Voraussetzung, um diese Rune zu erlangen, ist eine starke Bindung zwischen den beiden Partnern. Davon ausgehend, denke ich, dass durch die Ermordung ein Band zwischen den beiden Seelen gesponnen wird, einer bleibt zurück, während die andere Seele in die Welt der Leere gleitet, wo sie die Rune birgt. Durch das Band gelangt die Rune zu dem Zurückgebliebenen, der den Ermordeten dann mit der neuerworbenen Macht wieder ins Leben zurückholt.“ Für Hix klang das alles viel zu fantastisch, wie aus einem Märchenbuch, solche, wie er sie früher gern gelesen hatte. Aber damals war er noch ein Kind gewesen und er hatte nie geglaubt, dass etwas davon wahr sein könnte, nun saß er aber als Erwachsener einem Mann gegenüber, der ihm genau das gerade zu erklären versuchte und er konnte es einfach nicht glauben. Allerdings erwiderte er darauf auch nichts. „Wie heißt diese Rune eigentlich?“ Rims Frage holte Hix wieder aus seinen aufkommenden Erinnerungen an die Märchen, die er früher gekannt hatte. „Einen richtigen Namen hat die Rune nie bekommen“, erklärte Loki, „aber in den Aufzeichnungen wird sie Rune der Einheit genannt.“ Für einen Moment herrschte Schweigen, das fast schon andächtig war. Selbst die Krähe, die noch immer neben dem nun leeren Teller saß, gab keinen Laut von sich, sondern neigte nur ein wenig den Kopf, so als wolle sie die Worte bestätigen. Es war Hix, der das Schweigen wieder unterbrach. Er war müde geworden von alldem, was ihm durch den Kopf ging und wollte nur noch ins Bett, wenn er schon nicht sofort zu Tengaar kommen könnte, weswegen ihm daran gelegen war, dass Loki die Geschichte beendete: „Du sagtest, das Ritual habe nicht funktioniert. Was ist geschehen?“ Loki nickte sofort und setzte seine Erzählung fort. Treasa stürzte zu Boden, kaum dass Alisdair die Klinge wieder aus ihrem Körper zog. Reglos lag sie im Schnee, der sich durch ihr Blut rot färbte. Der junge Mann stand ähnlich reglos neben ihr und starrte auf sie hinab, unfähig, zu erfassen, was eben geschehen war. Noch verhinderte sein Gehirn die Verarbeitung des Erlebnisses, versuchte stattdessen, ihn zu beruhigen und ihm zu sagen, dass alles gut werden würde, er musste nur ein wenig warten... ein wenig. Doch wie lange war ein wenig? Was sollte er sich darunter vorstellen? Woher sollte er wissen, ob es funktioniert hatte oder ob er gescheitert war? Und was sollte er tun, wenn das wirklich der Fall war? Wenn Treasa nie zurückkommen würde? Er konnte Schritte hören, gefolgt von einer grollenden Stimme: „W-was hast du getan?“ Zwar wollte er den Blick von der Leiche abwenden und mit einem Lächeln antworten, dass es nicht so schlimm war, aber er konnte nicht, sein Körper verweigerte jeden Befehl. „Was hast du getan!?“, wiederholte der andere seine Frage lauter und wütender. Alisdair versuchte, anhand der Stimme zu erkennen, wer dieser andere war, aber zumindest im Moment wollte es ihm nicht einfallen. Vielleicht war es auch einfach nur nicht wichtig. Vielleicht war absolut gar nichts wichtig in diesem Moment. „Was hast du getan!?!“ Die Stimme des anderen überschlug sich vor Wut und nahm einen bedrohlichen Unterton an, so dass es Alisdair doch noch gelang, ihm den Blick zuzuwenden. Wie er befürchtet hatte, war ihm der Name des anderen aber komplett entfallen, es dauerte einen Moment, bis er ihm wie durch einen dichten Nebel hindurch wieder in den Sinn kam. „Dougal.“ Er verband keine guten Erinnerungen mit diesem Mann, weswegen er direkt nach diesem Einfall wieder den Blick senkte – nur um die Leiche zu entdecken. Es kam ihm vor als hätte er sie vorhin nicht bewusst angesehen, denn erst in diesem Moment wurde ihm wirklich klar, was er getan hatte. Treasa war tot. Sie war durch seine Hand gestorben! Durch seine blutbesudelte Hand! Der Gedanke, dass alles gut werden und sie wieder aufwachen würde, schwand vollkommen und wurde von der grauenhaften Erkenntnis ersetzt, dass er an ihrem Tod schuld war. Hastig wich er von der Leiche zurück. Vergessen war der Grund, warum sie eigentlich tot war oder was er nun tun müsste, um das Ritual der Rune zu beenden, er wollte nur noch fort und nicht mehr diesen leblosen Körper ansehen müssen. Doch Dougal machte bereits einen großen Bogen um die Leiche, ehe er auf Alisdair zuging. „Warum hast du das getan!? Bist du wahnsinnig geworden?!“ Seine Stimme klang schrill, als ob er selbst kurz davor stand, wahnsinnig zu werden. Alisdair wich immer weiter zurück, den Blick ängstlich auf Dougal gerichtet, der jeden Schritt direkt wieder ausglich. „Hör zu, ich kann es erklären“, begann er, doch Dougal ließ ihn nicht ausreden: „Sei ruhig! Ich will deine Ausreden nicht hören! Du hast sie getötet! Du hast. SIE. GETÖTET!“ Mit dem letzten Wort stieß er Alisdair brutal von sich. Dieser prallte hart gegen einen Baum, der Zusammenstoß raubte ihm den Atem, so dass er das Schwert fallenließ. Noch bevor er wieder Luft holen konnte, griff Dougal nach seinem Kragen und stieß ihn noch einmal brutal gegen den Stamm. Schnee fiel sanft von den Ästen nieder und schmolz innerhalb kurzer Zeit auf den schwarzen Haaren der beiden. „Hör mir doch zu!“, bat er noch einmal, doch Dougal dachte nicht daran: „Wie konntest du so etwas nur tun!? Wie konntest du ihr das antun!? Das werde ich dir nie verzeihen!“ Immer wieder stieß er Alisdair gegen den Baumstamm, sein kläglicher Widerstand und alles Bitten waren vergebens. Dougals Griff war zu stark und seine Ohren offenbar taub für seinen Gegenüber, der ihn so bitterlich enttäuscht hatte. Mit jedem neuerlichen Schlag gegen den Stamm, ließ Alisdairs Widerstand mehr nach, dafür nahm die Gleichgültigkeit von ihm Besitz. Ohne Treasa lohnte sich das Leben ohnehin nicht mehr, wenn das Ritual gescheitert war, gab es keinen Grund mehr, weiterzumachen. Sein letzter Blick galt der im Schnee liegenden Gestalt, dann schloss er die Augen und ließ sich in die endlos erscheinende Dunkelheit fallen, die sich vor ihm ausbreitete. In dem Moment, in dem seine Gegenwehr gänzlich erlosch, wurde Dougal des Blutes gewahr, das Alisdairs Haar verklebte und sogar über sein Gesicht lief. Erschrocken ließ er ihn los und trat hastig zurück. Der leblose Körper sank rasch zu Boden, ein helles Licht löste sich von seiner Handfläche und schoss direkt an Dougals Ohr vorbei. Doch er sah dem weder nach, noch fragte er sich, was das gewesen sein könnte. Lediglich Runen reagierten so beim Tod ihres Trägers und er interessierte sich nicht für die Runen dieses Versagers. Er fuhr herum, ging zu der im Schnee liegenden Treasa zurück und kniete sich neben sie. Seine zitternden Hände strichen ihr die Strähnen aus der blassen Stirn. Ihre Haut war bereits eiskalt und ließ ihn bei der kleinsten Berührung frösteln. So konzentriert war er auf ihr Gesicht, dass er weder die verschwundene Wunde in ihrer Brust, noch die Rune an ihrer Hand bemerkte – die Hand, die sich plötzlich wieder bewegte und vorsichtig zu seinem Gesicht gehoben wurde, wo sie ihm vorsichtig über die Wange strich. Erschrocken zuckte er zusammen. Sein Blick ging von ihrem Gesicht zu ihrer Hand, die sich nicht mehr senkte. Ihre Mundwinkel verzogen sich zu einem Lächeln, die Augen blieben jedoch geschlossen. Er musste das träumen, das alles konnte einfach nicht sein, sie war tot! Gerade eben noch war da diese riesige Wunde in ihrer Brust gewesen, das Blut um sie herum war der beste Beweis dafür. Nur deswegen hatte er doch Alisdair getötet, wenn auch unbeabsichtigt. Die Ereignisse forderten ihren Tribut von ihm, doch bevor er endgültig das Bewusstsein verlor, hörte er noch ein letztes Mal ihre Stimme: „Mein lieber Dougal...“ „Treasa kehrte mit Dougal und der Leiche Alisdairs wieder zu ihrem Meister zurück. Westcott glaubte, das Ritual sei trotz Alisdairs vorzeitigem Dahinscheiden gelungen, immerhin stand Treasa wieder lebendig vor ihm und sie trug eine Rune auf ihrem Handrücken, die bis dahin noch nie jemand gesehen hatte. Aber es zeigte sich, dass dies nicht die erwünschte Rune war. Statt Lances zu töten, zersetzte die Rune Treasas Verstand und ließ sie wahnsinnig werden, bis hin zu dem Punkt, an dem sie die gesamte Welt zerstören wollte.“ Loki verstummte, aber seine letzten Worte hingen noch immer unheilschwanger in der Luft, Hix wartete nervös darauf, dass er fortfuhr. Als das nicht geschah, hakte er nach: „Und? Was ist dann passiert?“ Statt Loki antwortete Rim mit einem leicht sarkastischen Unterton in der Stimme: „Da wir alle noch hier sind, hat sie es wohl nicht hinbekommen, die Welt zu vernichten.“ „Das stimmt“, gab Loki ihr recht. „Aber woran genau sie gescheitert ist, das weiß niemand. Auch sämtliche Versionen der Geschichte unterschlagen das Ende.“ „Fast so als ob jemand nicht wollte, dass andere es erfahren“, bemerkte Hix gedankenverloren. Aber er wollte eigentlich gar nicht darüber nachdenken, er verstand ohnehin nicht so recht, was das alles mit ihnen zu tun hatte. „Aber was auch immer geschehen ist, weswegen Treasas Pläne nicht fruchteten“, fuhr Loki fort, „es heißt, dass Alisdairs Seele sich in eine Krähe verwandelte, um nach Treasa zu suchen und sein Versagen wiedergutzumachen.“ Erneut blickten alle auf die Krähe, die in einer fragenden Geste den Kopf neigte, so als versuchte sie, sich unwissend zu stellen. „Und ihr denkt, diese Krähe...?“, begann Hix, ohne den Satz zu beenden. Rim nickte sofort. „Ich bin absolut sicher. Vergiss nicht, dass wir sie in einem Sarg gefunden haben.“ Loki runzelte fragend seine Stirn, worauf Rim demonstrierend gähnte. Daraufhin nickte ihr Gastgeber verstehend. „Oh ja, wir haben jetzt lange miteinander gesprochen. Es wird Zeit, dass ihr ins Bett kommt, damit ihr morgen früh mit dem Schiff weiterfahren könnt. Natürlich seid ihr für diese Nacht meine Gäste, ich wäre sonst ganz allein im Haus.“ Hix konnte nicht anders, als innerlich festzustellen, wie überaus passend doch alles war. Alles, was ihm zustieß, führte zu etwas Neuem, das nur auf ihn gewartet zu haben schien. Fast schon glaubte er, dass tatsächlich das Schicksal seine Finger im Spiel hatte, um mit ihm als Marionette ein besonders aufregendes Theaterstück aufzuführen. Da konnte er nur hoffen, dass das Publikum lange genug interessiert war, dass die Geschichte bis zu ihrem Ende gespielt wurde – und dass dieses nicht bitter werden würde. Loki brachte die beiden in ein kleines Zimmer, das mit zwei Betten ausgestattet war, nur für den Fall, dass Gäste kommen würden, wie ihr Gastgeber ihnen erklärte. So langsam wurde Hix diese Zufälle Leid, denn sie erinnerten ihn nur immer wieder an das Theaterstück des Schicksals. Kaum hatte Loki die beiden alleingelassen – und auch die hereingeflatterte Krähe – seufzte Rim leise. „Dieser Kerl ist überraschend naiv. Wir könnten Banditen oder wer-weiß-was sein.“ Hix deutete ein Kopfschütteln an. „Ich glaube, in einem solchen Fall wären wir nicht hier gelandet und das weiß Loki auch... denke ich zumindest.“ Während er sprach, hielt er den Blick auf die Krähe gerichtet, die sich auf dem hölzernen Kopfende eines Bettes niedergelassen hatte und darauf zu warten schien, dass sie die mitgebrachte Kerze löschten, um zu schlafen. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass dieser Vogel wirklich einmal ein Mensch gewesen sein soll.“ Sicher, in Märchen konnte so etwas vorkommen, aber auch in der Realität? Hix hatte einige Schwierigkeiten damit, das mit sich selbst zu vereinbaren, ungeachtet all der Dinge, die er bereits in den zwei Kriegen beobachtet hatte. Die Realität, in der sie lebten, schien ihm schon manchmal wie ein Märchen, gefüllt mit Hexen, schwarzen Rittern, Drachen und Magie, warum also nicht auch eine Krähe, die lediglich die Verkörperung einer reuevollen Seele war? „Rim, was hat Dougal mit Tengaar vor?“ Das Mädchen setzte sich auf das andere Bett, schwieg aber für eine ganze Weile, die sich für Hix wie eine halbe Ewigkeit anfühlte. Als sie schließlich antwortete, tat sie das mit gesenkter Stimme als befürchtete sie, dass jemand sie belauschen könnte. „Ich bin mir nicht sicher, aber Fion erwähnte da mal etwas... Dougal sucht nach Nachfahrinnen Klifts, so wie Treasa eine war, weil er gedenkt, ihre Seele in den Körper einer anderen Nachfahrin zu übertragen.“ Hix schluckte schwer. „Was würde dann aus Tengaar werden?“ „Ihr Bewusstsein würde komplett überschrieben werden.“ Es war wie ein heftiger Schlag in seine Magengrube. Er hatte mit vielem gerechnet, was Dougal seiner Tengaar würde antun wollen, aber so etwas? Nein, nicht im Mindesten. Am Liebsten wäre er direkt zum Hafen gelaufen, notfalls wäre er geschwommen, um endlich nach Falena zu kommen und Tengaar zu retten, aber er wusste, dass das alles nichts brachte, dass er geduldig sein und hoffen musste. Hoffnung war das einzige, was ihm blieb. „Kann er so etwas denn tun?“ Rim hob die Schultern und behielt sie oben als versuche sie, den Kopf einzuziehen. „Ich bin mir nicht sicher. Offenbar hat er viele Versuche unternommen und ist zuversichtlich, dass er es dieses Mal schaffen wird. Eine Methode gibt es jedenfalls.“ Hix spürte, wie seine Hoffnung zu schwinden begann und doch klammerte er sich mit aller Macht an sie. Er würde nicht zulassen, dass sie verschwand und er würde nicht zulassen, dass Tengaars Bewusstsein überschrieben werde würde. Er musste sie retten, komme was da wolle! „Wir sollten jetzt schlafen“, sagte Rim leise. „Wenn wir morgen das erste Schiff nehmen, haben wir vielleicht noch eine Chance.“ Hix nickte, streifte seine Stiefel ab und legte sich ins Bett. Sein Innerstes fühlte sich dumpf an, obwohl er sich dem Ernst der Lage bewusst war, aber er war müde und sein Kopf war nun nicht mehr bereit, weiter über die Situation nachzudenken. Kaum hatte Rim das Licht gelöscht und sich ebenfalls ins Bett gelegt, beschloss die Krähe offenbar, dass ihr ihre vorige Position nicht mehr gefiel und ließ sich direkt neben Hix' Kopfkissen nieder, wo sie den Schnabel unter den Flügel steckte, um ebenfalls zu schlafen. In der Dunkelheit war es Hix nur möglich, die Umrisse des Vogels zu erkennen, aber das genügte vollauf. „Dein Name ist also Alisdair?“, fragte er leise. Obwohl er keine Antwort erwartete, bekam er tatsächlich eine, der Vogel gab ein zustimmendes Krächzen von sich, gefolgt von einem weiteren, das ihm zu sagen schien, dass er nun erst einmal schlafen sollte. Zumindest wollte Hix glauben, dass dies die genaue Bedeutung des Lautes war. Dementsprechend schloss er die Augen und ließ sich von der Erschöpfung in den Schlaf wiegen. Das Letzte, was er in seinen Gedanken sah, war Tengaar, wie sie zu Boden stürzte und reglos liegenblieb, während der Schnee um sie herum sich dunkelrot färbte... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)