Bis ans Ende der Welt von Flordelis (Das Schwert folgt stets dem Herzen) ================================================================================ Kapitel 7: Fragen über Fragen ----------------------------- Noch bevor Hix seine Augen wieder öffnete, wusste er genau, dass er nicht mehr auf der Steppe lag. Er konnte den frischen Geruch des saftigen Grases und der Erde nicht mehr wahrnehmen, dafür war die Luft feucht, Wasser schwappte irgendwo dagegen. Doch es roch nicht nach Meerwasser. Wo immer er war, er befand sich nicht mehr mitten in den Graslanden, aber auch nicht in Vinay. Neugierig schlug er die Augen auf. Das erste, was er erblickte, war eine Decke, die aus Schilf und Bambus zu bestehen schien, genau wie der Rest der kleinen Hütte, in der er sich befand. So genau konnte er das wegen seinem verschwommenen Sichtfeld aber noch nicht sagen. Während er darauf wartete, dass sein Blick wieder klar wurde, rief er sich ins Gedächtnis, was geschehen war. Er hatte Tengaar in neuer Kleidung in der Messingburg gefunden, doch dieser Fremde war gemeinsam mit ihr geflohen. Offensichtlich waren ihm Fähigkeiten zugänglich, die anderen völlig unbekannt waren, zumindest was Hix betraf. Er kannte sich ohnehin nicht sonderlich gut mit Runenmagie aus, aber dieser Mann schien zu einem ganz anderen Kaliber zu gehören, das konnte der Kriegerlehrling auch ohne jede Ahnung sagen. Allein dass er offenbar Gewalt über Tengaar zu besitzen schien, war für Hix Beweis genug. Aber was war das gewesen, was sie gegen ihn eingesetzt hatte? Er sah auf seine Hand. Inzwischen blutete sie nicht mehr, auch die Schmerzen waren abgeklungen. Diese Technik hatte Tengaar noch nie zuvor verwendet. Wusste sie überhaupt, dass sie darüber verfügte? Argh! So viele Fragen! Ich brauche auch Antworten... Tengaar... Schlagartig fiel ihm wieder ein, dass sie mit dem Fremden verschwunden war. Sofort saß er aufrecht im Bett. Er ignorierte das Schwindelgefühl, als er seine Füße über die Kante schwang und sich hastig die Schuhe anzog. Die Fragen wo er war und wie er dort hingekommen war, gingen in seiner neu erwachten Sorge um Tengaar unter. Irgendwie würde er es wieder zu diesem Tor zurückschaffen müssen, um von dort aus eine Spur zu finden, die ihn wieder auf die Fährte der Verschwundenen brachte. Wenn es um seine Freundin ging, konnte er nicht so einfach aufgeben, auch wenn es im Moment hoffnungslos schien. Wie viele aussichtslose Situationen hatten die Armeen, in denen er gewesen war, schon erlebt? Und jedesmal war es weitergegangen, weil jemand die Hoffnung nicht aufgegeben hatte. Hix würde diesem Beispiel folgen, bis ans Ende seines Lebens, wenn es sein musste. Ja, Tengaar wäre sicherlich stolz auf ihn. Er griff sich sein Schwert, das gegen das Bett gelehnt war und verließ die Hütte. Die Tür führte auf einen Steg hinaus, der zu weiteren Behausungen führte. Etwas, was Hix stark an eine Ente erinnerte, lief auf dem Steg hin und her. Allerdings war dieses Wesen so groß wie ein Mensch und trug Kleidung über den weißen Federn. Es musste ein Angehöriger des Entenclans sein, der in den Graslanden heimisch war. Wenn er sich all das Wasser betrachtete, befand er sich wohl in der Heimat dieses Clans. Aber wie war er hierher gekommen? Er grüßte die Ente, als er an ihr vorbeilief und erntete dafür erstaunlicherweise kein Quack, wie er erwartet hatte, sondern ebenfalls einen knappen Gruß. Der Steg führte direkt zu einem größeren Gebäude. Es machte für Hix den Eindruck, öffentlich zu sein, so dass er es ohne anzuklopfen betrat. Der Tresen, der mitten im Raum stand und die Tische, von denen einer besetzt war, sagten ihm, dass es tatsächlich ein öffentliches Gebäude war. Wenn er raten würde, dann wäre seine Vermutung, dass es sich um ein Gasthaus handelte. Auch wenn hinter dem Tresen eine Ente stand, verströmte es dieses typische Gefühl – schon allein weil die Personen, die am Tisch saßen, Menschen waren. Eine Frau mit purpurfarbenem, hochgesteckten Haar und ein Schwarzhaariger, der dem Entführer erstaunlich ähnlich sah. Hix wusste es nicht, aber Tengaar hatte die beiden Personen bereits in der Messingburg gesehen. Hätte er das gewusst, wäre seine Verwirrung größer gewesen. So aber ging er nur verwirrt auf den Mann zu. Wenn er schon aussah wie der Entführer, so wusste er vielleicht etwas über diesen, was Hix weiterhelfen könnte. Die beiden Personen blickten ihn an. Die Frau schmunzelte. „Ah, du bist wieder wach~ Ich dachte schon, du schläfst noch eine Nacht durch.“ „Noch eine...?“ Wie lange hatte er nur geschlafen? Tengaar konnte inzwischen schon wer-weiß-wo sein. Eine Welle von Furcht überkam ihn. Hoffentlich ging es ihr gut. „Du hast den letzten Tag und eine ganze Nacht geschlafen“, klärte der Mann ihn auf. „Seit wir dich gefunden haben zumindest.“ „Ihr habt mich hierher gebracht?“ Beide nickten unisono. „Dann... danke.“ Die Frau winkte ab. „Vielleicht wird es mal an der Zeit, uns deinen Namen zu verraten.“ „Ailis!“, zischte der Mann. „Sei nicht so unhöflich.“ Er räusperte sich gleich darauf und wandte sich freundlich lächelnd an Hix: „Mein Name ist Fion, das hier ist Ailis. Wir haben jemanden verfolgt und dabei dich auf der Steppe gefunden. Wir machten uns Sorgen um dich, deswegen brachten wir dich hierher.“ Misstrauisch sah Hix ihn an, Ailis' Kichern bestärkte ihn darin. „Eigentlich haben wir dir geholfen, weil wir dachten, du kennst diese Rothaarige.“ Fion seufzte schwer, aber Hix ignorierte ihn. „Welche Rothaarige?“ „Die von Dougal entführt worden ist natürlich~“ Der Name war völlig neu für den Kriegerlehrling. Hieß der andere Mann wirklich so? „Wer ist Dougal?“, fragte er. Fion brachte die Frau mit einer einzigen Handbewegung zum Schweigen. Überraschenderweise reagierte sie sofort und schloss den Mund, ohne etwas zu sagen. Fion wandte sich derweil an Hix: „Dougal ist ein Freund von uns. Aber bevor du jetzt die Nerven verlierst“ – er hob im Voraus die Hände, um seinen Gesprächspartner zu beruhigen – „wir stecken nicht mit ihm unter einer Decke. Er verfolgt seine eigenen Pläne, die wir ihm auszureden versuchen.“ Hix war weit davon entfernt, sich aufzuregen, weswegen die Geste für ihn wertlos war. Allerdings entstanden für ihn einige neue Fragen durch Fions Aussage. „Was hat er denn vor?“ Die beiden warfen sich einen fragenden Blick zu, es schien, als würden sie lautlos darüber beraten, was sie ihm sagen sollten. Schließlich übernahm Fion wieder das Wort: „Das würdest du jetzt noch nicht verstehen, wir reden ein andermal darüber.“ Obwohl der Tonfall neutral blieb, überkam Hix das Gefühl, dass das Gesagte ihn geringschätzte. Ihm blieb allerdings keine Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, denn Fion sprach bereits weiter: „Da du das Mädchen kennst, das er entführt hat, kannst du uns vielleicht helfen, seine Pläne ein wenig besser nachzuvollziehen.“ Dann hat er seine Pläne also gar nicht verraten? „Wir wissen, was er vorhat“, sagte Ailis, als hätte sie seine Gedanken erahnt. „Wir wissen nur nicht, wie er das alles anstellen will. Das ist nämlich gar nicht so einfach, weißt du?“ „Nein, weiß ich nicht“, antwortete er wahrheitsgemäß und ein wenig kleinlaut. Woher auch? Immerhin hatte er keine Ahnung, was der Plan überhaupt beinhaltete. Fion seufzte leise. „Setz dich bitte, äh...“ Er machte eine hilflose Geste mit der Hand, da Hix aber nicht darauf ansprang, seufzte er noch einmal. „Wir kennen leider deinen Namen noch nicht.“ Vor lauter Dougal hatte der Kriegerlehrling verpasst, sich vorzustellen. Er holte das nach, während er sich setzte. Fion lächelte wieder. „Hix also. Darf ich fragen, woher du und deine Freundin kommt?“ „Aus dem Dorf der Krieger in der Toran-Republik. Wir waren auf meiner Reise der Männlichkeit.“ Ailis schmunzelte und öffnete bereits den Mund, um etwas zu sagen, doch ihr Begleiter schnitt ihr das Wort ab: „Und der Name deiner Freundin?“ „Tengaar.“ Das Aussprechen des Namens brachte die Sorgen um sie zurück. Wer wusste schon, was der Mann mit ihr anstellen würde? „Was wird er mit ihr tun?“, fragte er automatisch, ohne dass ihm bewusst wurde, dass er es laut aussprach, weswegen es ihn auch überraschte, als er eine Antwort bekam: „Schwer zu sagen bei unserem aktuellen Kenntnisstand. Wir müssen ein wenig mehr über sie erfahren.“ „Warum?“ „Erzählen wir dir ein andermal“, erwiderte Ailis. Es schien so sinnlos. Warum konnten sie nicht einfach antworten? Aber nun gut, dann würde er ihnen eben sagen, was sie wissen wollten: „Tengaar ist die Tochter von Zorak, dem Anführer des Dorfes, das macht sie laut seinen Geschichten zu einer direkten Nachfahrin von Klift, dem Kreuzfahrer.“ „Sagtest du Klift!?“, fragte Ailis erschrocken. Hix sah sie verständnislos an. „Ja, habe ich. Warum?“ Wieder schnitt Fion ihr das Wort ab: „Du bist dir sicher, dass euer Klift den Beinamen Kreuzfahrer trug?“ So sicher wie sein Name Hix war. Zoraks unzählige Geschichten über diesen Mann waren ihm direkt ins Gedächtnis gebrannt, immer und immer wieder hatte das Dorfoberhaupt sie ihm und Tengaar und auch jedem anderen, der unglücklich genug war, sich in der Nähe aufzuhalten, erzählt. Es blieb keinerlei Zweifel übrig. Zorak konnte vielleicht keine Geschichten erzählen, aber im Fakten merken war er außerordentlich gut – fast schon zu gut. Warum die beiden sich allerdings besorgt anblickten, als er mit einem Nicken seine Aussage bestätigte, konnte er sich nicht erklären. „Bedeutet das irgendetwas?“ Statt zu antworten stand Fion auf. „Wir sollten aufbrechen. Es wäre besser, wenn wir vor Einbruch der Dunkelheit wieder in der Messingburg sind.“ „Herrliche Idee“, stimmte Ailis begeistert zu. „Lasst uns gehen~“ „Huh, was?“ Hix sah zwischen den beiden hin und her. „Warum so plötzlich?“ „Unsere Begleiterinnen werden sich schon Sorgen machen, wo wir so lange bleiben“, erklärte Fion. „Außerdem dürfen wir nicht noch mehr Zeit verstreichen lassen, wenn wir Dougal aufhalten wollen.“ „Wisst ihr denn, wo er hin ist?“ Was für eine Frage. Die drei waren befreundet, es war doch wohl nachvollziehbar, dass sie wussten, wo er sich befand, selbst wenn er durch dieses seltsame Tor gelaufen war. Tatsächlich schüttelte Fion aber mit dem Kopf. „Nein. Aber wir haben den Durchgang, den er nutzte. Ich kann ihn wieder öffnen, wenn meine Begleiterin mir hilft.“ „Dann werden wir Tengaar finden?“, fragte Hix hoffnungsvoll. Sein Gegenüber antwortete ihm nicht darauf. „Gehen wir. Wir haben nicht alle Zeit der Welt.“ Ailis stand ebenfalls auf und brachte den Kriegerlehrling dazu, es auch zu tun, bevor sie zu Fion hinübertänzelte und sich an seinen Arm klammerte. „Lass uns gehen~“ Ihre Fröhlichkeit wirkte aufgesetzt, als würde sie damit etwas überdecken wollen – wie zum Beispiel Nervosität. Hat sie etwa Angst vor mir? Hix folgte den beiden hinaus. Jenseits des Gasthauses war ein weiterer Steg mit jeder Menge Abzweigungen, die alle zu einem eigenen Gebäude führten. Vor einem davon drehte sich ein Mühlenrad unablässig im Wasser. Boote, teilweise mit Waren beladen, waren an Anlegestellen festgemacht, Körbe mit Obst standen herum. Bislang hatte Hix geglaubt, Enten würden sich nur von trockenem Brot ernähren – aber das galt wohl nur für die normalgroßen, die sich ihres Lebens erfreuten, während sie auf einem kleinen Teich schwammen und Menschen anquakten. Während Hix hinter seinen Helfern herlief, bemerkte er die Blicke von Ailis zum Wasser hin. Außerdem bemühte sie sich immer möglichst weit in der Mitte des Stegs zu laufen. Dann hat sie keine Angst vor mir, sondern vor dem Wasser? In gewisser Weise fand er das lustig. Bislang waren ihm noch nie wirklich Menschen mit Ängsten aufgefallen, außer ihm selbst. Nun aber eine Person zu bemerken, die etwas Ähnliches durchmachte, beruhigte ihn ein wenig, besonders da sie sich vor so etwas Lächerlichem wie Wasser fürchtete. Bei Gelegenheit würde er sie fragen, wie es dazu gekommen war. Wenn er überhaupt länger Zeit mit ihr verbringen würde. Eigentlich ging es ihm immerhin darum, Tengaar zu retten, nicht mit irgendwelchen Fremden seine Zeit zu verbringen. Eine Ente lief plötzlich gleichauf mit den beiden. Hix konnte beobachten, wie der Bürzel sich stets hin und her bewegte, anmutig von einer Seite zur anderen sprang, mit jedem watschelnden Schritt, den das Wesen tat. Diese Mischung aus Eleganz und Tollpatschigkeit faszinierte den Kriegerlehrling. Doch die Faszination wurde direkt zerstört, als die Ente ihren Schnabel öffnete und eine quäkende Stimme erklang: „Bist du wieder zum Wahrsagen hier, Fion?“ Der Mann schüttelte den Kopf, als er sich dem Wesen zuwandte. Hix konnte sehen, dass er lächelte, aber auf seiner Stirn standen Sorgenfalten. „Leider nicht. Aber ich werde bald wieder zu euch kommen, nur keine Sorge.“ Die Ente freute das sichtlich und nach einer kurzen Verabschiedung ging sie wieder davon. „Du bist Wahrsager?“, fragte Hix neugierig. Fion lief ein wenig langsamer, so dass sie alle auf derselben Höhe gingen. „Ja, bin ich. Und am liebsten bin ich in den Graslanden unterwegs. Hier kann man die Spiritualität geradezu greifen.“ Der Kriegerlehrling warf einen Blick umher, als würde er sich danach umsehen, aber erwartungsgemäß entdeckte er nichts. Fion lachte leise, Ailis dagegen schien gar nichts von dem Gespräch mitzubekommen. „Können wir bitte endlich verschwinden? Ich will hier weg! Los!“ Der Schwarzhaarige tätschelte ihren Kopf wie den eines kleinen Kindes. „Wir sind ja schon auf dem Weg, dann musst du das Wasser nicht mehr sehen.“ Sie seufzte erleichtert und drängte ihn hastig, schneller zu laufen. Hix konnte nicht anders, als zu lächeln, während er die beiden betrachtete. Sie wirkten wie Freunde, aber irgendwie auch wie Geschwister, vermutlich kannten sie sich schon sehr lange, genau wie er Tengaar. Sofort übernahm die Sorge wieder die Oberhand über seine Gedanken. Doch nun war er wieder ein wenig zuversichtlicher. Er wusste zwar nichts über die beiden, denen er da gerade sein Vertrauen schenkte, aber ihnen zu folgen war besser, als gar nichts tun zu können. Ihm blieb nur zu hoffen, dass sie ihn nicht enttäuschen würden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)