Sommersonnwende von Ishajida ================================================================================ Kapitel 1: Kapitel 1 -------------------- „Imiloné. Komm her!“ Die Stimme des alten Mannes hatte einen scharfen Ton angenommen. Wütend fuchtelte der Mittsechziger mit seinem Gehstock in der Luft herum. Seine Wangen hatten eine rote Färbung angenommen. Das Halbelfenmädchen dachte gar nicht daran stehen zu bleiben. Lachend rannte sie durch den Kräutergarten ihres Großvaters und sprang mit einem Satz über den Holzzaun. Sie blieb stehen und streckte dem alten Mann die Zunge heraus. „Nein, dada. Papa hat gesagt, ich darf heut länger wach bleiben. Zumindest bis der Strohkerl verbrannt ist.“ Trotzig verschränkte das Mädchen die Arme vor der Brust. Immer musste sie sich sagen lassen, was sie durfte und was nicht. Doch ab heute, so hatte sie sich geschworen, würde alles anders werden! Schon letztes Jahr hatte sie den Höhepunkt des Sommersonnwendenfestes verpasst. Der alte Mann seufzte. Er verlangsamte seinen Schritt und blieb schließlich stehen. „Na gut Mädchen. Dann lass uns zum Dorfplatz gehen.“ Imiloné kehrte mit einem siegessicheren Lächeln zu ihrem Großvater zurück. „Du bist genauso eigensinnig wie deine Mutter es war. Nur Travia weiß, wieso mein Sohn sich mit ihr eingelassen hat.“ Das Mädchen legte den Kopf schief und sah ihn neugierig an. „Erzähl mir von ihr dada.“ Wulfhelm sah seine Enkeltochter streng an. „Dafür, das du gerade so frech warst? Der Herr Boron sieht es nicht gerne, wenn Kinder ihre Großeltern ärgern.“ Imiloné sah aus großen, grünen Augen zu ihm auf. „Ich bin mir sicher, der dunkle Herr Boron kann mir noch einmal verzeihen.“ Der alte Mann fuhr sich durch das schüttere, graue Haar. „Ach Kindchen, mit noch größeren Augen kannst du mich nicht anschauen, oder?“ Die junge Halbelfin grinste und schüttelte den Kopf. „Na gut. Setzen wir uns auf die Bank, meine alten Beine machen nicht mehr so mit.“ Wulfhelm lief, gefolgt von Imiloné, zurück zum Haus. Vor dem zweistöckigen Fachwerkgebäude stand eine wuchtige Bank aus Holz. Die Praiosscheibe hatte das Material in all den Götterläufen ausgezogen, sodass es nun eine dunkle Färbung hatte. Ächzend ließ sich der Grauhaarige darauf fallen. Die Halbelfin setzte sich neben ihn und wartete. Mit einem Seufzen begann er zu erzählen. „Deine Mutter war eine auelfische Abenteurerin aus den Wäldern firunwärts. Sie ist viel durch Aventurien gereist. Im tiefsten Süden ist sie gewesen. Stell dir vor, dort gibt es Echsen die aufrecht laufen und riesige, graue Tiere auf denen man reiten kann. Sie werden Elefanten genannt.“ Imiloné sah ihren Großvater mit großen Augen an. Obwohl sie diese Geschichten schon oft gehört hatte, konnte sie doch nie genug davon haben. „Bei den stolzen Söhnen der Khom-Wüste, den Novadis, war sie ebenfalls. Von ihnen hat sie ihre Stute Sasanya bekommen. Deine Mutter hat den Stamm wohl vor einer großen Gefahr gerettet. Du musst wissen, normalerweise geben die Wüstensöhne keines ihrer wunderbaren Pferde an Fremde weiter.“ Imiloné nickte eifrig. Sasanya war, trotz ihrer dreißig Götterläufe, immer noch ein stolzes Tier. Die schneeweiße Stute besaß ein feuriges Temperament, hatte jedoch auch eine sehr eigensinnige Art. Niemand, außer Imilóne´s Vater, durfte sie berühren. Wulfhelm räusperte sich. „Als deine Mutter vor Jahren mit ihren Gefährten hier durchreiste und halt machte, verliebte sie sich in deinen Vater. Nadráel gab ihr Abenteuererleben auf und ließ sich hier nieder. Einige Jahre später wurdest du geboren.“ Er tippte leicht an die Nasespitze seiner Enkelin. Die Halbelfin lächelte. „Was ist dann passiert?“ Das Gesicht ihres Großvaters nahm eine ernste Miene an. „Kurz nach deiner Geburt verschwand deine Mutter spurlos. Tagelang suchte dein Vater und die Männer des Dorfes die Umgebung nach ihr ab. Doch all das Suchen brachte keinen Erfolg. Sie blieb verschwunden. Danach hat dich dein Vater alleine großgezogen.“ Wulfhelm schloss mit einem seufzen. Imiloné nickte und blickte nachdenklich zu Boden. Als sie den Kopf wieder hob, lag ein Ausdruck in ihren Augen, der Wulfhelm sofort an Nadráel erinnerte. Auch wenn er manchmal abfällig über Imiloné´s Mutter sprach, so hatte er sie doch sehr gemocht. Noch heute fragte er sich, was oder wer der Grund für ihr verschwinden war. „Lass uns nana holen und dann zum Dorfplatz gehen.“ Eine kleine Hand umgriff seine eigene. Imiloné sah lächelnd zu ihm auf. Wulfhelm nickte und erhob sich. Beide liefen zurück ins Haus. Azina saba Zachan langweilte sich. Sie lümmelte auf einem Tisch in der Herberge „Zum Stachel“, welche in einem kleinen Dorf an einer unbedeutenden Straße im westlichen Garetien lag. Sie hasste kleine Dörfer. Vor allem die im Mittelreich. In Anchopal, ihrer Geburtsstadt, hatte man ihr immer geraten nicht gen Firun zu ziehen. Eigentlich hatte sie auch nie vorgehabt dorthin zu reisen, doch die Neugier auf die Abenteuer, die dort lauern könnten, war einfach zu groß. Und jetzt? Nun saß sie hier und langweilte sich. Seit ihrem Aufbruch in Punin war nichts aufregendes passiert. Hazan, ein Kameltreiber aus Unau, hatte recht gehabt! Sie hätte sich weiterhin als Karawanenführerin verdingen sollen. Mit einem Seufzen wanderten ihre Gedanken zu den weiten Ebenen der Khom. Wenn sie ehrlich war, hatte sie dort mehr erlebt als hier. Das Mittelreich bot alles im Überfluss, während man in der Khom Tag für Tag ums nackte Überleben kämpfte. Die Karawanen waren darauf angewiesen, von Oase zu Oase zu reisen um an Wasser zu gelangen. Hier hingegen musste man aufpassen, nicht ständig in einen Teich oder See zu fallen. Azina hasste die Wasserflächen. Das nasse Element war zum trinken und zum waschen da. Wenn es nach der Tulamidin ginge, bräuchte man es auch nicht für mehr. Allein der Gedanke an den Tümpel in der Mitte des Dorfes ließ ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen. Ärgerlich schob die Schwarzhaarige die Gedanken beiseite und starrte auf den Becher vor sich. Klares, jedoch mittlerweile warmes Wasser befand sich darin. Welch Ironie des Schicksals, das der Mensch darauf angewiesen war. Zudem hatte sie angenommen, wenn man gen Firun reiste würde es kälter werden. Doch auch dieser Gedanke hatte sich als falsch herausgestellt. Es war Mitte Rahja und eine brütende Hitze hatte sich über das Land ausgebreitet. Azina hob ihren Blick und ließ ihn durch die leere Schankstube schweifen. Der Raum war L-förmig angelegt und recht groß, ungefähr zehn Schritt an der Längsseite. Vor der großen, aus Eichenholz gefertigten Theke, hatte der Wirt sechs rechteckige Tische aufgestellt. Lange Bänke und einige Stühle umstanden diese. Gegenüber des Eingangs, war ein kleiner Traviaschrein errichtet worden. Eine Bronzestatue der gütigen Göttin und ein Strauß frisch gepflückter Blumen befanden sich darauf. Azina musste lächeln. Selten hatte sie so viele selbst errichtete Schreine zu Ehren Travias gesehen, wie im Mittelreich. Der Wirt und seine Frau waren nirgends zu sehen. Einzig ihre etwa zwanzig Götterläufe zählende Tochter stand hinter der Theke und blickte genauso gelangweilt drein wie Azina selbst. Sie glaubte sich an den Namen Hesindiane zu erinnern. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt einem unsichtbaren Punkt an der Holzwand. Im Gegensatz zu den meisten anderen Frauen im Dorf besaß sie eine feingliedrige Gestalt mit langen schwarzen Haaren. Die Tulamidin trank ihren Becher in einem Zug leer und erhob sich. Sie musste etwas unternehmen, sonst starb sie noch vor Langeweile. Die Wirtstochter hob interessiert ihren Blick, ließ ihn jedoch wieder sinken als sie bemerkte das es nur Azina war. „Warum seid Ihr nicht bei den Festvorbereitung wie die anderen Dorfbewohner?“ Hesindiane seufzte und nahm den Holzbecher von Azina entgegen. „Das wäre ich zu gerne, werte Dame. Nur leider muss sich jemand um die Reisenden kümmern, die sich hier einmieten wollen.“ Mit einem erneuten Seufzen griff sie unter die Theke und holte ein beiges Leinentuch hervor. Nachdem sie den Becher in den Wassereimer hinter der Theke getaucht hatte, begann sie ihn zu putzen. Drei große Holfässer standen hinter ihr auf dicken Gestellen. Während in zwei Zapfhähne gestochen waren, sah das dritte noch recht neu aus. An der linken Wand befanden sich Regale, auf denen sich allerlei Holzbecher und Krüge stapelten. Azina beobachtete die Wirtstochter abwesend bei ihrer Arbeit. Sie hatte sich an das kühle Holz der Theke gelehnt und überlegte. „Sagt, gibt es in Eurem schönen Ort etwas zu sehen? Von diesem Fest einmal abgesehen.“ Hesindiane nickte eifrig. „Ja, natürlich.“ Sie hielt in ihrem Tun inne und stellte den Becher ab. „Ein paar Meilen Efferd-wärts von hier liegt die Wulfenklamm. Ein düsterer Ort, an dem es spuken soll. Aber auch beliebt bei den Reisenden die hier durchkommen. Mich persönlich würden keine zehn Tralloper da rein bringen. Wer will denn schon freiwillig von den Geistern gejagt werden?“ Die Schwarzhaarige Wirtstochter schüttelte den Kopf und fuhr fort. „Eine weitere Sehenswürdigkeit ist der Turm des Edlen Alian Durnal.“ Bei diesen Worten nahmen ihre blauen Augen einen traurigen Zug an. Azina überging diesen Blick und zog ihrerseits eine Augenbraue nach oben. Turm? Und wieso mussten die Mittelreicher immer so seltsame Namen haben? „Wenn dieser Herr… Durnal so edel ist wie Ihr behauptet, wieso wohnt er dann nicht in einem Haus?“ Sie hatte noch nie gehört, das ein Adliger sich einen Turm als Domizil ausgesucht hatte. Oder vielleicht war das eine Sitte im Mittelreich? Azina verwarf diesen Gedanken gleich wieder. Sie hatte auf ihrer Reise schon mehrere Burgen und auch Stadthäuser der Adligen gesehen. Zumindest war es ihr so von ihrem garethischen Reisegefährten erklärt worden. Die Augen der Wirtstochter weiteten sich. „Er ist kein einfacher Adliger! Er ist Magier und Streiter des Reiches!“ Die Tulamidin zuckte zusammen. Magier? Nach Wasser war Magie das zweite große Übel in ihrem Leben. Sie wusste selbst nicht warum, aber sobald das Wort nur ausgesprochen wurde oder es ein kleines Anzeichen für die Benutzung von Magie gab, hatte die Tulamidin schon immer die Beine in die Hand genommen. Doch diesmal zwang sie sich zur Ruhe. Der Magier war nicht hier, also gab es keinen Grund zur Beunruhigung. Feqzverflucht, wieso war dieses Gesindel auch überall anzutreffen? Sie räusperte sich, bevor sie erneut die Stimme erhob. „Nun gut, er ist also ein Magier und lebt in diesem Turm. Was aber, beim Bart meines Vaters, soll denn daran eine Sehenswürdigkeit sein?“ Hesindiane straffte sich und reckte stolz ihren hübschen Kopf in die Luft. „Der Turm wurde ihm als Geschenk vom Reichsbehüter persönlich übergeben. Er und seine Gefährten hatten ihm beim großen Turnier in Gareth das Leben gerettet.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Außerdem ist er ein vielgereister Gelehrter der schon in ganz Aventurien unterwegs war und viele Gefahren überwunden hat. Bis vor einigen Wochen war ich seine Haushälterin. Für einen gewöhnlichen Dieb würde es sich wohl nicht lohnen dort etwas zu holen. Aber allein der Wert seiner Bücher und der magischen Ar…“ Sie verstummte augenblicklich und schlug sich die Hand vor den Mund. Azina grinste. Für eine Haushälterin war sie ganz schön geschwätzig. In ihrer Heimat wäre einem Diener für solch unbedachte Worte die Zunge herausgeschnitten worden. Doch da dies hier das Mittelreich war, hob die Tulamidin beruhigend die Hände. „Keine Sorge. Ich bin nicht daran interessiert mich auch nur auf 50 Kamellängen diesem Feqzverfluchten Ort zu nähern.“ „Feqz?“ Die Wirtstochter sah sie verwirrt an. „Darf ich fragen, wo Ihr herkommt? Und gehört dieses seltsame Tier in unseren Stallungen Euch?“ Die Tulamidin nickte. „Ja, Rasul ist mein Tier. Er ist ein Quai´Chelar.“ Als Hesindiane sie fragend ansah, schüttelte Azina den Kopf. „Ein Kamel. Der beste Freund des Menschen, wenn Ihr mich fragt.“ Wenn er nicht gerade seinen eigenen Kopf hat, fügte sie in Gedanken hinzu. „Sie sind unerlässliche Gefährten, wenn es darum geht die Khom zu durchqueren. Glaubt mir, ich habe schon viele reiche Kaufleute auf ihren wertvollen Pferden durch die Wüste geführt. Dem größten Teil der armen Tiere musste ich beim sterben zusehen. Nur weil diese reichen Pfeffersäcke Zhas Geschenk nicht achten.“ Sie schnaubte und fuhr sich über die Augen, jedoch peinlich darauf bedacht nicht das aufgetragene Kohl zu verwischen. „Um auf Eure Frage zu antworten, woher ich komme: Aus Anchopal.“ Hesindiane schüttelte den Kopf. „Davon habe ich noch nie gehört.“ Azina winkte ab. „Ist auch nicht weiter wichtig. Nun gut, dann werde ich heute Abend zumindest Euer Fest beehren. Vielen Dank für die Auskunft!“ Die Tulamidin nickte Hesindiane kurz zu und drehte sich auf dem Absatz um. Ihr Füße trugen sie in Richtung Stallungen. Unerbittlich schien die Praiosscheibe auf Dere herab. Obwohl sich der Tag schon den Abendstunden entgegenneigte, herrschte noch immer eine starke Hitze. Schwitzende Männer und Frauen liefen umher und bereiteten alles für ein großes Fest vor. Auf dem Dorfplatz, welcher vom Perainetempel, dem Weiher, der Schmiede und dem Gasthaus „Zum Stachel“ gebildet wurde, stellten die Dörfler Tische und Bänke auf. Frauen schmückten diese mit Bändern und frisch gepflückten Blumen. Zur Straße hin wurde von einigen Männern eine zwei Spann tiefe Grube ausgehoben. In ihr sollte später ein helles Feuer brennen. Einige Halbwüchsige rannten zwischen den Erwachsenen umher und spielten „Fang den Ork“. Dabei liefen sie dem Wirt Alrizio über den Weg, der mit seiner Frau Körbe voller Krüge zu einem Tisch trug. Der ortsansässige Perainegeweihte, seine Gnaden Niam Peresen, stand an einem Tisch und breitete eine Decke aus weißen Leinen darüber. Mit kundigem Auge strich er ein paar Falten glatt, bevor er zufrieden nickte. Eine junge Frau trat hinzu. Sie hatte sich einen Korb unter den Arm geklemmt, in dem verschiedenfarbige Bänder zu sehen waren. In der anderen hielt sie einen Strauß Blumen. Niam trat einen Schritt zurück, damit sie den Tisch dekorieren konnte. Die Festvorbereitungen verliefen ohne Probleme. Jeder wusste wo er anzupacken hatte, sodass alles in weniger als einer Stunde fertig sein sollte. Einzig dem Strohkerl fehlten noch der Kopf und ein Bein. Der Geweihte setzte sich in Bewegung. Sein Ziel waren zwei Frauen, die es sich etwas abseits auf zwei Stühlen bequem gemacht hatten. Zwischen ihnen lag der halbfertige Strohkerl. Beide unterhielten sich und lachten. Er musste lächeln. Als er vor zwanzig Götterläufen hierher versetzt worden war, hatte er sich darüber Gedanken gemacht, ob die Dorfbevölkerung ihn akzeptieren würde. Frisch aus dem Noviziat entlassen, war ihm gleich eine eigene Gemeinde zugeteilt worden. Er wusste das sein Auftreten als Geweihter einen gewissen Respekt ihm gegenüber voraussetzte, doch ob sie hinter seinem Rücken über ihn sprechen würden hatte er nicht ahnen können. Anfänglich waren ihm kleinere Missgeschicke passiert und Zweifel an seinen Fähigkeiten waren in ihm laut geworden. Doch die Dörfler hatten ihm tatkräftig unter die Arme gegriffen und ihn bei allem unterstützt. So waren seine Selbstzweifel irgendwann verschwunden. Die beiden Frauen bemerkten seine Anwesenheit und unterbrachen ihrer Arbeit. „Peraine zum Gruße, Euer Gnaden! Wir haben ihn fast fertig gestellt.“ Die Frau des Müllers, Rondirai ihr Name, deutete auf den Strohkerl vor sich. Die jüngere der beiden sah nun ebenfalls auf. Ihre mandelförmigen, dunklen Augen blickten freundlich, aber auch etwas nervös drein und verrieten ihre nivesische Herkunft. Die dichten, schwarzen Haare hatte sie zu einem Zopf nach hinten gebunden und bunte Bänder hineingeflochten. Ihr Vater war Svartjok, ein nivesischer Bauer der sich hier niedergelassen hatte. Im letzten Ingerimm hatte sie ihren neunzehnten Tsatag gefeiert. Niam nickte. „Ich habe auch nicht daran gezweifelt, das ihr es nicht schaffen würdet. Dann will ich euch auch nicht weiter von der Arbeit abhalten.“ Karena, Svartjoks Tochter, schüttelte den Kopf und wollte aufstehen. Das halbfertige Bein des Strohkerls lag immer noch in ihrem Schoß. „Aber Euer Gnaden Ihr…“ Weiter kam sie nicht, denn ihre Füße hatten sich in einem Bündel aus Stroh und Bändern verfangen. Sie wäre der Länge nach hingeschlagen, hätte Niam sie nicht aufgefangen. Die Nivesin öffnete langsam die Augen und sah in das lächelnde Gesicht des Geweihten. Sofort lief sie rot an und rappelte sich wieder auf. Ein gemurmeltes Danke kam über ihre Lippen als sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte. Niam war verwirrt. Hatte er etwas falsch gemacht? Er bemerkte Rondirais Grinsen, das ihn noch mehr durcheinander brachte. Einen Moment später fiel es ihm wie Schuppen von den Augen und er verstand. Karena hatte sich in letzter Zeit ihm gegenüber immer so seltsam verhalten. Die scheuen Blicke und wenig gewechselten Worte drängten sich in seinen Verstand. Er würde sie heute Abend einmal darauf ansprechen müssen. Mit diesem Gedanken wandte sich der Geweihte ab und lief über den Platz. Wie lange er gedankenverloren vor sich hingewandert war, bemerkte er erst, als eine Stimme ihn aus seiner Grübelei riss. „Rondra zum Gruße, Euer Gnaden.“ Ilkhold Steingräber, der einarmige Weibel der ortsansässigen Büttel, stand mit einem Krug in der Hand vor ihm. Der blonde Mann überwachte die Vorbereitungen des Festes mit wachen Augen. Wegen der Hitze und dem Gambeson, den er in seiner Dienstzeit tragen musste, hatte er sich in den Schatten zurückgezogen. In seinem Krug befand sich, anders als Niam angenommen hatte, frisches Wasser. Erst jetzt bemerkte der Geweihte, wohin ihn seine Schritte geführt hatten. Er stand im Schatten des „Stachels“. Ilkhold hatte von hier einen guten Überblick auf das Treiben auf dem Dorfplatz. Er hatte sich gegen die Holzwand gelehnt, die zu den Stallungen der Herberge gehörte. Das große Tor stand weit offen, sodass die Tiere im Inneren nicht der brütenden Hitze zum Opfer fielen. Niam erwiderte den Gruß mit einem Nicken und bewegte sich auf den Wassertrog zu, der sich an der Rückwand der Herberge befand. Der Geweihte war überrascht, wie kühl das Wasser war. Er benetzte Nacken und Gesicht bevor er sich wieder dem Weibel zuwandte. „Das wird heute Abend ein sehr perainegefälliges Fest. Ich denke, wir brauchen uns wegen der Ernte keine Sorgen machen.“ Ilkhold lächelte. „Das wird Gilborn aber gerne hören.“ Gilborn Okenheld war der Haushofmeister des Edlengutes. Er leitete alljährlich die anstehenden Ernten und nahm dafür Tagelöhner aus der Umgebung unter Lohn und Brot. Ein tiefes, langgezogenes Blöken und eine weibliche Stimme drangen plötzlich aus dem Stall. „Na komm schon Rasul. Du kannst den Rest des Tages auch noch herum liegen.“ Im nächsten Moment war das Reißen eines Strickes, ein Schrei und ein dumpfer Aufprall, gefolgt von einem Scheppern zu hören. Die Person stieß ein gequältes Stöhnen aus, bevor wieder Ruhe einkehrte. Ilkhold sah Niam ratlos an. Der Geweihte zuckte mit den Schultern und lief auf den Stall zu. Der Weibel folgte ihm. Die Stallungen waren durch das offene Tor im vorderen Bereich gut ausgeleuchtet. Niam konnte rechts einige Boxen erkennen, aus denen die vor Neugier gestreckten Köpfe einiger Pferde zu sehen waren. Links war ein Gatter in dem Schweine lagen und dösten. Daneben stapelten sich Heu- und Strohgarben. Im hinteren Teil des Stalles erklang erneut das Stöhnen. Ilkhold bewegte sich, gefolgt von Niam, darauf zu. Vor einem Regal lagen mehrere Holzeimer und Bottiche auf dem Boden. Rechts saß ein großes Tier mit kurzem, sandfarbenem Fell. Es kaute auf einem Büschel Stroh herum und sah die beiden Männer gelangweilt an. „Ein Kamel.“ Entfuhr es Niam. „Verdammtes, störrisches…“ Die wütende Stimme erklang von unterhalb des Stapels. Ilkhold stellte seinen Krug ab und begann damit die Behälter beiseite zu räumen. Nach wenigen Augenblicken konnten die beiden Männer die Besitzerin der Stimme sehen. Eine junge, schwarzhaarige Tulamidin in beigem Leinenhemd und Pluderhose lag vor ihnen. Sie sah benommen zu ihnen auf. Eine große Beule prangte auf ihrer Stirn und sie stieß ein erneutes Stöhnen aus, als sie sich mit rudernden Armen aufrichten wollte. Der Versuch scheiterte, sodass Ilkhold sie stützen musste. „Dieser vermaledeite, zwölfmalverfluchte Bastard eines Esels und einer Khoramsbestie.“ Sie verstummte abrupt, als Niams Robe in ihr Blickfeld kam. Langsam sah sie auf und schluckte. Die Schwarzhaarige machte sich von Ilkhold los und verbeugte sich. „Verzeiht Euer Gnaden. Ich wollte in Eurer Gegenwart nicht auf die Zwölfe fluchen, aber dieser verd…“, sie verstummte, fuhr jedoch sogleich wieder fort. „Dieser Kamelhengst ist einfach ein so unberechenbares Tier. Wenn dieser verflixte Strick nicht abgerissen wäre hätte ich ihn ohne Probleme zum stehen gebracht.“ Sie fuhr zu dem großen Hengst herum, taumelte jedoch und wäre beinahe wieder zu Boden gegangen, hätte Ilkhold nicht erneut seinen Arm nach ihr ausgestreckt. „Werte Dame, Ihr solltet Euch erst einmal ausruhen. Der Unfall hat euch wohl etwas mitgenommen. Mein Name ist übrigens Ilkhold Steingräber, Weibel der Edlen.“ Er deutete eine leichte Verbeugung an. Niam beobachtete derweil die Tulamidin. Wahrscheinlich hatte sie ein Eimer direkt an der Schläfe getroffen, denn nur so konnte er sich die Gleichgewichtsstörungen erklären. Ilkhold hatte recht. Sie sollte sich etwas ausruhen. „Danke für den Rat, aber das schaffe ich schon.“ Die Tulamidin wollte sich abwenden, zuckte jedoch zusammen und legte sich eine Hand an die Schläfe. Sie sah die beiden Männer entschuldigend an. „Naja, vielleicht habt Ihr ja doch recht. Mein Name ist Azina saba Zachan.“ „Niam Peresen, Diener Peraines.“ Er neigte den Kopf und lächelte sie an. „Kommt, ich werde mich sogleich um Euren Kopf kümmern.“ Die Tulamidin nickte und ließ sich von den beiden Männern aus dem Stall führen. Rasul sah den drei Menschen gelangweilt nach und wandte sich dem nächsten Büschel Heu zu. ~~~~ Das erste Kapitel. Vielen Dank im Voraus für Kommentare! Kapitel 2: Kapitel 2 -------------------- Der zweite Teil. Viel Spaß beim lesen. :) ~~~~~~~~~~~~~~ Das geschäftige Treiben auf dem Dorfplatz näherte sich langsam dem Ende. Die letzten Tische wurden gedeckt und dekoriert, das Feuerholz in der Grube aufgestapelt und ein großes Bierfass in der Nähe des vor sich hin bratenden Spanferkels aufgestellt. Der Wirt Alrizio und seine Frau Alara reihten verschiedene Krüge auf einem der Tische auf, während die Schankmagd Algunde sich um das Spanferkel kümmerte. Sie drehte den Spieß und bestrich das Fleisch mit einem Gemisch aus Kräutern und Praiosblumenöl. Rondirai und Karena hatten den Strohkerl fertig gestellt und in die Schmiede gebracht. Er sollte erst zu später Abendstunde verbrannt werden. Togan Angbarer, der Grobschmied des Dorfes, hatte alljährlich die Ehre das Fest der Sommersonnwende mit dem verbrennen des Strohkerls einzuleiten. Danach würde seine Gnaden Niam Peresen und der Haushofmeister Okenheld einige Worte an die Dorfgemeinschaft richten. Anschließend konnte das Fest beginnen. Karena freute sich darauf. Als sie an den Perainegeweihten dachte, fuhr ihr ein wohliger Schauer über den Rücken. Vor einiger Zeit hatte sie den Entschluss gefasst Niam anzusprechen und ihm von ihren Gefühlen zu berichten. Doch bei jeder Gelegenheit die sich ihr geboten hatte war sie nicht mutig genug gewesen ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen. Daran, das sie sich vor ihm blamiert hatte, wollte sie gar nicht erst denken. Rondirai hatte versucht ihr Mut zuzusprechen, doch für Karena war es eindeutig: Niam musste sie für einen Bauerntrampel halten. Ein Seufzen entrang sich ihrer Kehle, als ihre dunklen Augen den Platz nach seiner Gestalt absuchten. Enttäuscht musste sie feststellen, das er nirgends zu sehen war. Wahrscheinlich bereitete sich der Geweihte bereits auf das Fest vor. Rondirai trat neben sie. Die üppige Mittdreißigerin trug einen Korb voller Hanfbänder an ihrer Seite, mit denen sie den Strohkerl gebunden hatten. „Wir sollten uns auf das Fest vorbereiten Karena. Die anderen haben sich schon zurückgezogen.“ Als ihr die Schwarzhaarige nicht antwortete, stupste sie sie an. „Hörst du mir überhaupt zu?“ Karena blinzelte und sah sie irritiert an. „Wie bitte?“ Unwillkürlich musste die Frau des Müllers lachen. Ihr voller Busen hob und senkte sich, während die junge Frau sie weiterhin verwirrt anstarrte. Rondirai beruhigte sich wieder und sah Karena amüsiert an. „Mein Liebes, tu mir einen Gefallen und sprich seine Gnaden heute Abend an. Ansonsten muss ich das übernehmen.“ Karenas Augen weiteten sich und sie schüttelte heftig den Kopf. „Nein! Bei Travia, tu das bitte nicht. Ich werde ihn selbst ansprechen.“ Sobald ich den Mut dazu gefunden habe, führte sie den Satz in Gedanken zu Ende. „Außerdem wenn Travia oder Rahja gewollt hätten, das wir beide zusammen sein sollen, hätten sie doch schon längst etwas unternommen, oder?“ Ihr schien es das Beste zu sein, ihre eigene Feigheit auf den Willen der Götter zu schieben. Die Müllerin schüttelte den Kopf. „Willst du wirklich auf ein Zeichen warten? Du kennst meinen Mann. Hätte ich auf ein Zeichen von Rahja gewartet, ob ich eine Nacht bei ihm liegen dürfte, oder von Travia, ob ich mich für den Bund mit ihm entscheiden sollte, wären wir vermutlich immer noch nicht verheiratet.“ Sie legte Karena eine Hand auf die Schulter. „Du siehst also, die Götter mischen sich nicht immer in unsere Angelegenheiten ein. Ich denke, sie schätzen es wenn die Sterblichen einige Entscheidungen ihres Lebens eigenständig treffen und nicht auf ihr Urteil warten.“ Sie schenkte der Schwarzhaarigen noch ein aufmunterndes Lächeln, bevor sie den Korb fester packte und sich auf den Weg zur Mühle machte. Karena senkte nachdenklich den Kopf. Einerseits hatte Rondirai recht, doch andererseits konnte sie den Geweihten nicht einfach darauf ansprechen. Er war schließlich ein Diener Peraines. Sofort schob sie den Gedanken ärgerlich beiseite. Wieso machte sie es sich nur selbst so schwer? Er war schließlich auch nur ein Mann. Entschlossen hob sie den Kopf. Ihr Entschluss stand fest: Im Laufe des Festes würde sie ihn ansprechen. Diesmal würde sie den Mut aufbringen und die Worte, die sie sich schon lange zurecht gelegt hatte endlich über die Lippen bringen. Sie malte sich bereits aus, wie sie in ihrem besten Kleid vor ihm stand und er ihr langsam näher kam. Die junge Frau errötete und wagte es nicht, diesen rahjagefälligen Gedanken weiterzuführen. Mit einem entschlossenen Lächeln auf den Lippen machte sie sich auf den Weg zum Hof ihres Vaters. Dieser Abend sollte ein Erfolg werden! Imiloné bestaunte mit großen, grünen Augen den hohen Feuerholzstapel vor sich. Er war dieses Mal um einiges höher als der vom letzten Rahja. Ob es wohl etwas besonderes zum Feiern gab? Die Halbelfin wirbelte herum und wollte zu ihrem Großvater rennen, als sie mit jemandem zusammenstieß. Sie blieb erschrocken stehen und sah auf. Ein blondhaariger Mann von vielleicht zwanzig Götterläufen stand vor ihr und betrachtete sie freundlich aus seinen grauen Augen. Er ging in die Hocke und legte den Kopf schief. „Du bist aber eine stürmische junge Dame. Wohin des Weges?“ Imiloné zeigte zu ihrem Großvater. „Ich wollte zu dada.“ Sie wunderte sich, warum sie ihm gegenüber nicht schüchtern war. Ihr Blick wanderte über sein Äußeres. Er war in schlichte Leinenkleidung von dunkler Farbe gehüllt und hatte einen Hut mit breiter Krempe auf dem Kopf. Seine grauen, wachen Augen befanden sich inmitten fein geschnittener Gesichtszüge. Feine Grübchen bildeten sich beim Lächeln und seine Zähne waren makellos weiß. Der junge Mann machte einen netten Eindruck auf sie. „Du bist eine Halbelfin?“ Er hatte wohl ihre spitzen Ohren bemerkt. Bevor sie antworten konnte, vernahm sie eine vertraute Stimme hinter sich. „Imiloné! Du sollst doch nicht immer so herumtoben!“ Wulfhelm kam mit schnellen Schritten zu seiner Enkelin gelaufen. Er sah sie streng an, bevor er sich an den fremden Mann wandte. „Entschuldigt bitte werter Herr. Sie ist einfach ein kleiner Wirbelwind und weiß nicht, wie man sich Fremden gegenüber verhalten muss. Ihr müsst ihr bitte vergeben.“ Der Blondhaarige lächelte überrascht und erhob sich. „Es ist ja nichts passiert. Außerdem kann ich einer hübschen, jungen Dame eine solche Kleinigkeit nicht übelnehmen.“ Er zwinkerte Imiloné zu, die daraufhin zu grinsen begann. „Doch verratet mir bitte, wie ein halbelfisches Kind hierher gelangt.“ Wulfhelm räusperte sich. „Ihre Mutter war eine Auelfin aus dem Norden. Mein Sohn Torben ist ihr Vater.“ Er verstummte und beobachtete wie sein Gegenüber reagieren würde. Der junge Mann nickte jedoch nur und lächelte beide weiterhin an. Im nächsten Moment zog er seinen Hut vom Kopf und deutete eine Verbeugung an. „Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Sieghelm Wulfinger, Abenteurer aus Gareth.“ Imiloné sah ihn mit großen Augen an. „Ihr seid ein Abenteurer? Habt Ihr schon viel erlebt? Wo wart Ihr schon überall?“ „Kindchen! Bestürme den armen Mann doch nicht mit so vielen Fragen.“ Er wandte sich schnell zu Sieghelm um. „Entschuldigt bitte. Mein Name ist Wulfhelm und diese vorlaute Halbelfin hier ist Imiloné, meine Enkelin. Was führt Euch in diese Ländliche Gegend, wenn Ihr doch aus Gareth kommt?“ Sieghelm setzte seinen Hut wieder auf. „Ich begleite eine Tulamidin auf ihrer Reise durch den Norden.“ Imiloné zog aufgeregt am Ärmel von Wulfelms Hemd. „Dada. Sind Tulamiden nicht die, von denen du immer erzählst?“ Ihr Großvater schüttelte den Kopf. „Nein, Kindchen. Die Söhne der Wüste nennt man Novadis. Die Tulamiden leben nicht in der Khom.“ Sieghelm wiegte bei diesen Worten den Kopf hin und her. „Naja, wenn man danach geht ist Azina wohl eine Tochter der Wüste. Sie hat sich, bevor sie ihre Reise Firunwärts begann, als Karawanenführerin in der Khom verdingt. Zumindest hat sie das einmal erzählt.“ „Ist die Wüste so groß, das man dafür einen Führer braucht dada?“ Imiloné sah zu den beiden Männern auf. Wulfhelm antwortete, während Sieghelm ein leises Lachen entfuhr. „Ja, die Khom ist so groß.“ Um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, breitete er seine Arme aus und zeichnete einen großen Kreis in die Luft. „Da kann sich ein sechsjähriges, neunmalkluges Mädchen wie du ganz leicht verlaufen.“ Imiloné verschränkte trotzig die Arme vor der Brust und sah ebenso drein, was Sieghelm ein erneutes Lachen entlockte. Wulfhelm fuhr seiner Enkelin entschuldigend durch die braunen Haare. „Aber sagt, woher wisst Ihr soviel? Ist es nicht so, das man als einfacher Dörfler nie etwas anderes sieht als den nächsten Weiler?“ Der junge Mann sah sein Gegenüber interessiert an. Der Grauhaarige nickte. „Ja, da mögt Ihr wohl recht haben. Meine… Schwiegertochter war eine Abenteuerin, die sich hier niederließ. Sie hat uns Geschichten über das Leben und die Landschaften der von ihr bereisten Länder erzählt.“ Imiloné unterbrach ihn. „Aber dada, du warst doch auch viel unterwegs.“ Sie reckte stolz die Brust und wandte sich an Sieghelm. „Er war schon in Perricum, Wehrheim und Havena! In Punin hat er bei Feldarbeiten geholfen. Außerdem hat er den Reichsbehüter schon einmal gesehen!“ Wulfhelm hielt seiner Enkelin den Mund zu. „Ist schon gut Kindchen. Das interessiert den werten Herrn doch gar nicht.“ Die Halbelfin machte sich los und sah ihren Großvater beleidigt an. „Doch, bestimmt. Du tust anderen gegenüber immer so geheimnisvoll, wenn es darum geht von deinen Reisen zu berichten. Dabei ist daran doch gar nichts schlimmes.“ Sie sah Sieghelm nach Unterstützung heischend an. „Oder?“ Dieser wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, besann sich jedoch und zuckte nur mit den Schultern. Imiloné schnaubte, drehte sich um und rannte in Richtung Perainetempel. Mit einem tiefen Seufzen wandte sich Wulfhelm an den jungen Garether. „Vergebt mir bitte. Diese Meinungsverschiedenheit hätte nicht hier ausgetragen werden müssen. Ihr müsst wissen, das Imiloné ihre Mutter nie kennen gelernt hat. Sie denkt, dass das Abenteurerleben nur gute Seiten hat und nichts schlimmes passieren kann. Doch in Wirklichkeit existiert nur hier eine heile Welt, die bisher von dem verschont geblieben ist was schon soviel zerstört hat. Hass, Mord und Habgier.“ Ein trauriger Zug trat in die Augen des Grauhaarigen. „Vielleicht bin ich an den Flausen, die in ihrem Kopf sind, auch selbst schuld. Ich lasse mich immer wieder dazu hinreißen ihr von fremden Orten zu erzählen, ohne mir bewusst zu sein wie sehr sie das zu einem Abenteurerleben motivieren könnte. Ach, was rede ich da. Hört nicht auf die Worte eines alten Mannes, Herr Wulfinger. Peraine sei mit Euch.“ Mit diesen Worten drehte er sich um und folgte seiner Enkelin. Sieghelm blickte dem Alten betroffen nach. Er konnte nicht ahnen, das Wulfhelms erstgeborener Sohn durch seine Abenteurerlust umgekommen war. Der Keulenschlag eines Kriegsogers hatte seinem jungen Leben ein abruptes Ende bereitet. Azina saß wieder im Gasthaus „Zum Stachel“. Um ihren Kopf war ein weißer Leinenverband geschlungen, unter dem der angenehme Geruch von Kräutern hervordrang. Trotzdem hatte sie so starke Kopfschmerzen das sie meinte, eine Hundertschaft Novadischer Reiter auf edlen Shadifs würde durch ihren Schädel galoppieren. So schön diese Erinnerung normalerweise auch war, konnte Azina ihr momentan nichts abgewinnen. Sie versuchte das Bild in ihrem Kopf erträglicher werden zu lassen, indem sie den donnernden Hufen Leinenwickel verpasste. Die Tulamidin stöhnte schmerzvoll auf. Es half alles nichts. Zum Glück hatte sie sich dem Rat des Geweihten widersetzt und einen guten Rotwein bestellt. Vielleicht würde der Alkohol die Schmerzen etwas lindern. Vor einer Stunde war sie, gestützt von Weibel Ilkhold, wieder in der Herberge eingetroffen. Ihr Reisegefährte war zwar nicht dagewesen, dafür aber Hesindiane. Die Schwarzhaarige Schönheit hatte Azina, trotz Ilkholds Widerspruch, sofort einen Wein gebracht. Sie war ebenso der Meinung, das eine kräftige Portion Alkohol eine Wohltat für den gemarterten Schädel der Tulamidin war. Der Weibel hatte sich schließlich lachend geschlagen gegeben und war mit einem „Bis später“ gegangen. Nach einem kurzen Gespräch mit Hesindiane hatte sie erfahren, das die Herberge fast ausgebucht war. Eine Gruppe Glücksritter, drei Händler samt Gefolge und zwei hohe Herrschaften, wie die Garetierin sie nannte, hatten sich eingemietet. Letztere waren die einzigen, die sich im Schankraum aufhielten. Die beiden waren wohl ein Liebfelder Pärchen, das auf dem Weg nach Gareth war. Azina fand die edle, schwere Brokatkleidung mit den Spitzenbesätzen für diese Jahreszeit unpassend. Die wollen sich ja wahrscheinlich selbst umbringen, also denk nicht weiter darüber nach. Das macht die Kopfschmerzen nur noch schlimmer. Sie nahm einen tiefen Schluck aus ihrem Weinbecher und stellte ihn sanft wieder ab. Nur keine unnötig lauten Geräusche. Der Rebensaft floss ihre Kehle hinunter und hinterließ ein leichtes aber angenehmes Brennen in ihrem Magen. Azina ließ die letzte Stunde noch einmal Revue passieren. Nachdem sie von Niam und Ilkhold zum Perainetempel geführt worden war, hatte der Geweihte sich um sie gekümmert. Auf dem kurzen Weg dorthin war zwar der Schock verflogen, dafür aber die Schmerzen gekommen. Ihrer Herkunft entsprechend hatte sie es sich nicht nehmen lassen kräftig vor sich hinzufluchen. Zum größten Teil waren die obszönen Worte gegen ihr Kamel gerichtet, der andere Teil gegen das Regal und die Eimer. Niam hatte anschließend eine Salbe aus heilkräftigen Kräutern, die er selbst anbaute, auf ihren Kopf gestrichen. Als er sie verbinden wollte, begehrte die Tulamidin auf. Sie wollte schließlich nicht mit einem krummen Verband auf dem Kopf herumlaufen. Als sie bemerkt hatte, das dieser eigentlich nur als Gedanke geplante Einwurf ihre Lippen verließ, entschuldigte sie sich in Feqzens und Peraines Namen bei ihm. Der Geweihte ließ Nachsicht walten und übergab ihr das weiße Leinen. Trotz der Schmerzen schlang sich Azina den Stoff wie einen Turban um den Kopf. Kurz darauf war sie von Niam entlassen worden, natürlich nicht ohne eine großzügige Spende ihrerseits. Ilkhold hatte sie anschließend zurück zum „Stachel“ geführt. Nun saß sie hier, den schmerzenden Kopf zwischen den Händen und den Becher mit dem herrlichen Rebensaft vor sich. Die beiden Liebfelder tuschelten und warfen ab und an geringschätzige Blicke in ihre Richtung. Doch Azina ließ sich davon nicht stören. „Geht es dir besser?“ Die sanfte Stimme Hesindianes riss sie aus ihren Gedanken. Die Tulamidin sah auf und lächelte schwach. Sie hatte der Wirtstochter angeboten, die Förmlichkeiten zu übergehen und sich zu duzen. Hesindiane hatte lächelnd angenommen. „Naja, es geht. Aber der Wein wirkt Wunder.“ Sie hob ihren Becher und trank erneut einen Schluck. Hesindiane grinste. „Das ist auch das mindeste, was ich tun konnte. Schließlich waren es Eimer unserer Stallungen die dich beinahe erschlagen hätten. Ich muss Jadviga dringend darum bitten das Regal zu reparieren.“ Azina winkte ab. „Nein, wenn dann war das meine eigene Schuld. Oder die von Rasul.“ Im nächsten Moment wurde die Tür aufgestoßen und flog krachend gegen die Mauer. Die beiden Liebfelder und Hesindiane zuckten zusammen, während Azina ihren schmerzenden Kopf hielt. Wer auch immer jetzt einen Fuß in die Herberge setzen würde, sollte von Praios gerechtem Zorn zerschmettert werden. Zwei breitschultrige Männer, beides Thorwaler, betraten lachend die Schankstube. Ihnen folgte eine Zwergin und ein schmächtiger, junger Mann in grellbunter Kleidung. Während die Angroscha grimmig dreinblickte und an einer Pfeife zog, grinste ihr Hintermann bis über beide Ohren. Seine karottenrote Haare standen in alle Richtungen ab und auf seiner Schulter saß ein Moosäffchen. Das musste wohl die Gruppe von Glücksrittern sein. Hesindiane seufzte. Keiner der vier kümmerte sich darum die Tür zu schließen. Die Wirtstochter hatte sich gerade in Bewegung gesetzt, als noch jemand den Schankraum betrat. Eine kleine, schwarz gekleidete Frau durchschritt mit hoch erhobenem Haupt die Tür. Ihre Robe war mit silbernen Stickereien versehen und in der Rechten hielt sie einen mannshohen Stab auf dem ein bearbeiteter Kristall thronte. Sofort verkrampften sich Azinas Hände an der Tischplatte. Das hatte ihr noch gefehlt. Die Kopfschmerzen waren vergessen. Gehetzt sah sie sich nach einem Weg um, um so schnell wie möglich aus dem Schankraum zu entkommen ohne dabei an der Magierin vorbei zu müssen. Denn das sie eine war, das stand außer Frage. Während die drei Männer und die Zwergin an einem der Tische Platz nahmen, bewegte sich die Magierin auf die Treppe zu. Sie stieg die Stufen nach oben und verschwand. Azina atmete gierig die Luft ein. Sie hatte vor lauter Schreck vollkommen vergessen zu atmen. Langsam entkrampfte sie sich wieder. Hesindianes Blick bemerkt sie im ersten Moment gar nicht. Als sie aufsah, war eine Mischung aus Erstaunen und Belustigung im Gesicht der Wirtstochter zu erkennen. Die Tulamidin warf ihr einen vernichtenden Blick zu. „Das ist nicht lustig.“ Hesindiane hob die Hände und schenkte ihr ein entschuldigendes Lächeln. „Deshalb hast du vorhin so seltsam reagiert, als ich unseren Magister Durnal erwähnte.“ Azina versteifte sich erneut. Das hatte sie gemerkt? Sobald ihre Reise durch den Norden beendet war, würde sie sich wieder dem Karawanenführen widmen. So viele Magier wie hier, waren ihr, zum Glück, noch nirgends begegnet. Die Tulamidin rang sich ein Nicken ab. Ihre Schwächen einzugestehen mochte sie überhaupt nicht. Immerhin musste nicht jeder gleich wissen was sie am meisten in Schrecken versetzte. Deshalb räusperte sich Azina und senkte verschwörerisch die Stimme. „Das muss aber bitte unter uns bleiben. Verstanden?“ Hesindiane lachte und nickte. „Ich schwöre bei Rahja.“ Zufrieden nickend leerte Azina ihren Becher und übergab ihn der Wirtstochter. Die Schwarzhaarige machte sich auf den Weg zur Theke um ihn erneut zu füllen. Vorher fragte sie die Ankömmlinge nach ihrem Begehr. Die Tulamidin verfiel derweil wieder in Grübeleien. Was mochte die Magierin hier wollen? Noch dazu vollkommen in schwarz gekleidet. War sie etwa eine Dämonenbuhle? Aber wieso reisten die anderen dann mit? Waren sie vielleicht ihre Diener? Bei diesen Nordmännern wusste man nie. Sie unterbrach ihre Gedankengänge, als Hesindiane ihr einen neuen Becher Wein brachte. Dankbar nickend nahm sie ihn entgegen. Vielleicht gab es aber auch eine ganze einfache, logische Erklärung für das Ganze. Sie war immerhin etwas später eingetroffen als die anderen und konnte somit auch eine Reisende sein, die allein durch die Lande zog. Azina bemerkte eine Bewegung im Augenwinkel. Als sie aufsah erkannte sie Sieghelm, der ihr den Rücken zuwandte und am Tresen stand. Er wechselte einige Worte mit Hesindiane, bevor er mit einem Becher in der Hand zu ihr herüber lief. Er bedachte Azinas provisorischen Turban mit einem Runzeln der Stirn. „Wieso trägst du deinen Turban wieder? Und war der nicht eigentlich beige?“ Der junge Garether setzte sich ihr gegenüber auf die Bank. Nachdem er einen Schluck aus seinem Becher getrunken und noch immer keine Antwort bekommen hatte, hob er auffordernd die Augenbrauen. Die Tulamidin seufzte. „Mir ist vorhin ein kleines Missgeschick geschehen.“ Als sie nicht weiterredete, war es an Sieghelm ein Seufzen auszustoßen. „Willst du es mir nicht erzählen? Danach geht’s dir bestimmt besser.“ Er lächelte ihr aufmunternd zu. Die beiden Thorwaler am Nachbartisch lachten lautstark auf. Azina hielt sich die Ohren zu um ihren Kopf vor weiteren Schmerzen zu bewahren. Auch wenn der Wein langsam Wirkung zeigte, blieb doch ein dumpfes Stechen zurück. Sieghelm quittierte diese Geste mit einem Stirnrunzeln. Die Tulamidin erzählte ihrem Gegenüber mit knappen Worten was geschehen war. Sie nahm einen großen Schluck Wein zu sich, als sie geendet hatte. „Du siehst also, dieser Turban ist nur ein Mittel zum Zweck.“ Sieghelms Mundwinkel zuckten und Azina sah, wie sehr er sich bemühte betroffen drein zu schauen. „Das… Das ist ja wirklich ein sehr dummer… ich meine sehr unglücklicher Zufall gewesen.“ „Pah, mach dich nur lustig! Das wird dir noch leid tun!“ Zischte sie. Im nächsten Moment stand sie auf, warf die Arme in die Luft und gab ihrer Stimme einen klagenden Ton. „Ich arme, von Feqz verlassene Frau. Warum musste ich mir ausgerechnet diesen undankbaren Sohn eines Wüstenfuchses als Weggefährten aussuchen? Entschuldige dich sofort du unzuverlässiger Sohn eines Quai Chelar´s!“ Absichtlich hatte Azina lauter gesprochen. Die beiden Liebfelder warfen ihr verwunderte Blicke zu, während die Thorwaler und ihre zwergische Gefährtin sie nur verstohlen musterten. Einzig der junge Mann in grellbunter Kleidung schenkte ihr mehr Aufmerksamkeit. Als er ihren Blick bemerkte, huschte ein schelmischer Zug über sein Gesicht. Das Moosäffchen war nirgends zu sehen. „Ist ja schon gut. Setzt dich wieder!“ Sieghelm hatte die Worte knurrend ausgesprochen und die Tulamidin an ihrem Hemdsärmel wieder auf die Bank gezogen. „Entschuldigen werde ich mich nicht. Du hast mich immerhin gerade beleidigt!“ Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: „Oder?“ Azina sah den Garether triumphierend an und zuckte mit den Schultern. Wenn du dich über mich lustig machst, geschieht dir das nur recht! Nachdem zwischen den beiden einige Minuten Schweigen geherrscht hatte und sie nicht mehr beobachtet wurden, begann die Tulamidin in versöhnlicherem Ton zu sprechen. „Hast du dir die Festvorbereitungen angesehen?“ „Ja. In einer Stunde soll es beginnen.“ Er deutete auf ihren Verband. „Meinst du, bis dahin geht es wieder?“ Azina lächelte. „Bei Feqz, so was lass ich mir doch nicht entgehen.“ „Gut.“ Sieghelm nickte. „Und wie wollen wir die Zeit bis dahin überbrücken?“ Die Schwarzhaarige hob ihren Becher und schwenkte ihn leicht hin und her. Mit einem breiten Grinsen zwinkerte sie ihm zu. „Mit diesem köstlichen Rebensaft, der uns von Rahja höchst selbst gegeben wurde.“ Sieghelm grinste ebenfalls und stieß mit Azina an. Die Kopfschmerzen und die Anwesenheit der Magierin waren plötzlich vergessen. Kapitel 3: Kapitel 3 -------------------- Erneut viel Spaß beim lesen. :) ~~~~~~~~~~~ Knisternd fraß sich das Feuer an den Beinen des Strohkerls empor. Die bunten Bänder, die das Stroh zusammenhielten, vergingen unter der Macht der gefräßigen Flammen. Funken stoben in den Abendhimmel und schwebten erkaltet zurück auf Sumus Leib. Die Dorfgemeinschaft hatte sich in einem Halbkreis um das Feuer versammelt. Alle waren in ihre besten Gewänder gehüllt und starrten mit freudigen und erwartungsvollen Mienen in die Flammen. Vor dem Feuer stand Niam Peresen in seiner grünen Geweihtentracht. Um seine Schultern hatte er einen breiten Kranz gelegt, der aus ineinander geflochtenen Sommerblumen und Ähren bestand. An seinem Gürtel hing die Sichel, mit denen er die Kräuter des Tempelgartens schnitt. Mit ernster Miene wartete er auf den geeigneten Moment, einige Worte an Peraine richten zu können. An seiner Seite stand Gilborn Okenheld. Der braunhaarige Haushofmeister betrachtete mit ebenso gespannter Miene das Feuer. Immerhin war dies ein wichtiger Moment, der darüber entscheiden sollte wie die Ernte ausfallen würde. Auch wenn es in den letzten Jahrzehnten nie zu einem tragischen Zwischenfall während des Sommersonnwendenfestes gekommen war, konnte man doch nie vorbereitet genug sein. Gilborn hatte seine Festtagsgewandung angelegt. Niam mochte sich nicht vorstellen, wie sehr der Mittfünfziger unter dem schweren Samt schwitzen musste. Sein Lehrling Quinn stand einige Schritte abseits. Der junge Mann beobachtete aufmerksam seinen Lehrmeister, sollte er doch in einigen Jahren das Handwerk des Haushofmeisters übernehmen. Ilkhold hatte mit seinen beiden Kameraden Ullmann und Diethard Position am Rand der Menge bezogen. Mit wachen Augen musterten die Büttel die Anwesenden. Vor allem drei Fremde, zwei Thorwaler und eine Zwergin, behielten sie aufmerksam im Auge. Das Feuer fraß sich weiterhin durch den Körper des Strohkerls, bis nur noch ein einzelnes Band übrig war. Einen Augenblick später fiel es den Flammen zum Opfer und verging in wenigen Sekunden. Niam merkte wie die Anspannung von ihm abfiel. Im Nachhinein schalt er sich selbst für die Zweifel, die in ihm aufgekommen waren. Peraine war mit ihm, das spürte er deutlich. Ein wärmendes Gefühl, das nicht vom Feuer herrührte, breitete sich in ihm aus, als er sich umwandte. Mit einem Lächeln auf den Lippen und der Gewissheit, die Göttin würde auch bei dieser Ernte mit ihnen sein, begann er. Gilborn stieß ein erleichtertes Seufzen aus. „Herrin Peraine. Gütige Göttin des Ackerbaus und der Heilkunst. Alljährlich bringen wir Dir dieses Opfer dar, um von Dir eine gute Ernte zu erbeten. So auch für den kommenden Götterlauf, der sich langsam seinem Beginn nähert. Peraine, Hüterin und Heilerin all dessen was hier lebt, lass Deine segensreiche Hand weiter ruhen über diesem Land. Auf Dich trauen, zu Dir beten wir. Gib uns auch im kommenden Götterlauf reiche Ernte und eine volle Lese. Dafür danken wir. Peraine Dank!“ Nachdem Niam geendet hatte, erklang ein lautes „Peraine Dank!“ von den Dörflern. Alle Blicke richteten sich nun auf Gilborn. Der Haushofmeister trat einen Schritt vor und breitete die Arme aus. „Den Worten seiner Gnaden habe ich eigentlich nichts mehr hinzuzufügen. Gesagt sei noch, das ich auch für die kommende Ernte Tagelöhner aus den umliegenden Ortschaften unter Lohn genommen habe. Die genaue Aufteilung der Arbeitskräfte wird Anfang Rondra erfolgen.“ Er machte eine kurze Pause und räusperte sich. „Im Voraus sei unserem guten Alrizio für das Bier und der Edlen, die leider nicht anwesend sein kann, für das Ferkel gedankt. Nun möchte ich nicht noch mehr Worte vergeuden, sondern eröffne hiermit das Fest. Lasst es euch schmecken.“ Jubel brandete unter den Dörflern auf, als Gilborn den letzten Satz sprach. Niam musste grinsen. Die Menge löste sich sofort auf und jeder suchte einen Platz an den Tischen. Alrizio und seine Frau übernahmen den Ausschank, während die Magd Algunde das Fleisch des Spanferkels in Scheiben schnitt und auf die Holzteller der warteten Dörfler legte. Dazu wurde frisches Schwarzbrot und Rübengemüse gereicht. Niam trat einige Schritt vom Feuer weg. Die Abendluft war immer noch von der Hitze des Tages erfüllt, sodass die Wärme der Flammen nur eine unnötige Belastung war. Außerdem hatte er von diesem Platz einen guten Blick auf das Festtreiben. Alara, die Frau des Wirts, kam mit einem Krug in der Hand auf ihn zu. Lächelnd überreichte sie ihm das Gefäß. „Hier Euer Gnaden. Ihr sollt der Erste sein, der einen Krug unseres neues Fasses bekommt.“ Niam neigte das Haupt und nickte. „Vielen Dank Alara. Ihr seid zu gütig.“ Die Wirtin winkte ab und lachte. „Dafür müsst Ihr mir nicht danken. Aber entschuldigt mich bitte, die Arbeit wartet.“ Sie wandte sich ab und lief zurück zu ihrem Mann. Nachdem er einen tiefen Schluck vom süffigen Ferdoker genommen hatte, ließ er seinen Blick über den Platz schweifen. Ilkhold und seine Männer hatten sich an einem Tisch in der Nähe des Weihers niedergelassen. Die drei Büttel unterhielten sich mit den beiden Thorwalern und der Zwergin die ebenfalls dort saßen. Der Nachbartisch wurde von zehn fremden Männern besetzt. Drei von ihnen waren in bessere Kleidung gewandt, während die sieben anderen schlichte Fuhrmannskleidung trugen. Niam überlegte. Das mussten die drei Händler und ihre Fuhrknechte sein, von denen Alrizio ihm berichtet hatte. Einer von ihnen war ein Schmuckhändler, der bei den Frauen des Dorfes einige seiner Kostbarkeiten losgeworden war. Er sollte sich die Waren des Händlers einmal zeigen lassen, vielleicht fand er ein passendes Schmuckstück für… Niam ließ den Gedanken unvollendet und stutzte. Sein Blick glitt unwillkürlich zu Karena. Sie saß zwischen ihrem Vater Svartjok und Rondirai an einem der Tische die sich in der Nähe der Schmiede befanden. Die junge Frau lachte. Als sie ihren Becher zum Mund führen wollte und sich ihre Augen dabei hoben, kreuzte sie Niams Blick. Karena hielt mitten in der Bewegung inne. Einige Sekunden starrten sich die beiden einfach nur an. Erst jetzt fiel Niam das lindgrüne, schulterfreie Kleid auf das sie trug und ihre schlanke Figur betonte. Ihre schwarzen Haare hatte sie kunstvoll hoch gesteckt. Eine schmale Halskette war der einzige Schmuck den sie trug. Bei ihrem Anblick machte sich ein angenehmes Kribbeln in seinem Bauch breit. Als ihm bewusst wurde das er sie anstarrte, senkte er verlegen den Blick. Er spürte wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. Um seine Unsicherheit zu überspielen nahm er einen großen Schluck aus seinem Krug und beobachtete weiterhin das Festtreiben, peinlich darauf bedacht nicht mehr Karenas Blick zu kreuzen. Bei Rahja, wieso verhielt er sich gerade wie ein Zwölfjähriger? „Euer Gnaden. Darf ich Euch noch einmal für diese hervorragende Behandlung danken?“ Die weibliche Stimme erklang zu seiner Rechten. Niam wandte sich um und erkannte die Tulamidin, die mit einem Lächeln auf den Lippen und leicht glasigem Blick auf ihn zulief. Der Geweihte runzelte die Stirn. Hatte er ihr nicht geraten keinen Alkohol zu sich zu nehmen? Neben ihr lief ein junger Mann, wohl Mittelreicher nach seiner Kleidung zu urteilen. Niam sah den beiden freundlich entgegen. „Das braucht Ihr nicht. Ich habe es in Peraines Namen getan.“ Die Tulamidin schüttelte den Kopf. Beide standen nun direkt vor ihm. „Ihr solltet nicht so bescheiden sein, Euer Gnaden. Immerhin habe ich Euch meine Gesundheit zu verdanken.“ Sie hob ihren rechten Zeigefinger um die Worte zu verdeutlichen. Der Geruch von Rotwein stieg Niam in die Nase. Scheinbar hatte die Tulamidin einen Becher zuviel getrunken. Ihr mittelreichischer Gefährte sah sie erschrocken an. „Oh, vergebt mir meine Unhöflichkeit. Ich habe euch einander noch gar nicht vorgestellt.“ Sie wandte sich Niam zu und deutete auf ihren Gefährten. „Euer Gnaden, das ist Sieghelm Wulfinger. Lebemann aus Gareth und mein Reisegefährte. Sieghelm, das ist seine Gnaden Niam Peresen, der ortsansässige Perainegeweihte.“ In ihrer Stimme schwang ein leichtes Lallen mit. Niam lächelte und nickte Sieghelm zu. „Willkommen in unserem schönen Dorf. Wenn ich Euch einen Rat geben darf: Ihr solltet Eurer Gefährtin etwas zu Essen besorgen. Ich glaube sie hat ein wenig zuviel Wein getrunken.“ Der junge Garether sah ihn peinlich berührt an. „Natürlich Euer Gnaden. Entschuldigt bitte ihr Verhalten.“ „Mein Verhalten? Wie verhalte ich mich denn lieber Sieghelm?“ Azina hatte die Hände in die Hüften gestemmt und sah ihren Gefährten herausfordernd an. „Unangemessen. Und jetzt komm!“ Er packte die Tulamidin am Arm und zog sie in Richtung des Spanferkels. Vorher warf er Niam noch einen um Entschuldigung heischenden Blick zu. Azina ließ sich widerstandslos mitziehen. Über das Gesicht des Geweihten huschte ein Grinsen. „Hast du etwas herausgefunden?“ Die helle Frauenstimme ließ ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Er nickte. „Ja. Die Wirtstochter ist ein gesprächiges Ding.“ „Dann sprich!“ Die leise ausgesprochenen Worte klangen unendlich laut in dem ansonsten stillen Raum. Wieder nickte er. „Was du suchst befindet sich im zweiten Stockwerk. Wo genau konnte ich nicht herausfinden, doch muss es dort irgendwo ein Geheimversteck geben. Dafür gibt es keinen Schlüssel, so wurde mir gesagt. Allein mit Magie lässt es sich öffnen. Außerdem gibt es einen Wächter.“ „Einen menschlichen?“ „Ja.“ „Das dürfte kein Problem sein.“ Er nickte. Sein Gegenüber lächelte kalt. „Gut. Du hast deine Aufgabe hervorragend erledigt.“ Er wollte sich zum gehen umwenden, als ihre Stimme erneut erklang. „Ich habe noch einen Auftrag für dich.“ „Aber…“ Sie schnitt ihm mit einer herrischen Bewegung das Wort ab. „Kein aber. Es soll dein letzter sein. Danach bist du aus meinen Diensten entlassen.“ Er wollte aufbegehren, nickte jedoch nur widerwillig. „Was soll ich tun?“ Sie trat näher an ihn heran und ein triumphierendes Lächeln lag auf ihren Lippen. „Hör mir jetzt genau zu…“ Imiloné hetzte atemlos durch die warme Abendluft. Sie konnte das Schnaufen des Orks genau hören. Er war irgendwo hinter ihr und ziemlich nahe. Die Halbelfin spurtete am Rand eines Kornfeldes entlang. Als sie an einer Trasse vorbeikam, die alle zehn Schritt durch die Felder führten, bremste sie und bog ab. Mit rudernden Armen rannte sie wieder los. Als sie sich sicher war, den Ork abgehängt zu haben, blieb sie stehen. Mit klopfendem Herz und rasselndem Atem stand sie da und lauschte. War da nicht gerade ein Geräusch gewesen? Sie ging in die Hocke und blickte sich um. Im Halbdunkel konnte sie nur die Kornähren um sich herum erkennen, die sich leicht im Wind wiegten. Doch halt! Da vorne bewegte sich etwas. In gebückter Haltung schlich die Halbelfin darauf zu. Ihre Neugier war einfach zu groß, als sie zwei streitende Stimmen vernahm. „Ich will aber nicht! Das war unfair.“ Sie erkannte die Stimme. Das war der dreijährige Brin von nebenan. „Jetzt sei nicht so stur. Ich hab dich schließlich gefangen.“ Den überhebliche Klang des anderen konnte sie sofort zuordnen. Ingalf, der siebenjährige Sohn des Stallmeisters der Edlen. Imiloné schlich vorsichtig weiter und suchte nach einem Platz, von dem sie die beiden beobachten konnte. Als sie einen passenden gefunden hatte, kauerte sie sich nieder und spähte zwischen den Ähren in eine weitere Trasse. Dort standen sich die beiden Jungen gegenüber. Ingalf war fast zwei Köpfe größer als Brin. Er hielt eine Maske in den Händen, die er dem kleineren entgegenstreckte. „Nimm sie endlich. Oder ich verprügel dich!“ Die Augen des kleinen Brin weiteten sich bei dieser Bemerkung. Er schüttelte den Kopf und machte einen kleinen Schritt nach hinten, die Arme abwehrend erhoben. „Nein. Ich will das Ding nicht!“ „Na gut, du hast es ja nicht anders gewollt.“ Ingalf hob die Hand über den Kopf und wollte Brin schlagen. Imiloné sprang von ihrem Beobachtungsplatz hoch und rannte auf den Älteren zu. Das konnte sie nicht zulassen! Mit einem Sprung warf sie sich auf ihn, sodass beide zu Boden stürzten. Behände erhob sie sich wieder und trat zwei Schritt zurück. Erst jetzt erkannte die Halbelfin, das sie sich nicht auf einer Trasse befanden, sondern auf einem Weg. Ingalf rappelte sich wütend auf. „Sag mal spinnst du?“ Imiloné sah den Älteren streng an. „Du weißt doch ganz genau, das alle die jünger als fünf Götterläufe sind, die Orkmaske nicht tragen müssen.“ Sie stellte sich schützend vor Brin. „Also lass ihn in Ruhe!“ Hämisch sah Ingalf sie an. „Lass ihn in Ruhe“, äffte er sie nach. „Wieso mischt du dich überhaupt ein, blödes Spitzohr?“ Die Halbelfin sah ihn wütend an. Brin drängte sich an ihr vorbei. „Nenn sie nicht so! So was sagt man nicht.“ „Halt den Mund, sonst bekommst du heut wirklich noch Prügel.“ Ingalf hatte den jüngeren so angefahren, das er sich wieder schluchzend hinter Imiloné versteckte. „Na Kinder. Was gibt es denn hier zu streiten?“ Alle drei zuckten erschrocken zusammen, als eine Stimme hinter ihnen erklang. Imiloné drehte sich um. Vor den dreien stand ein hoch gewachsener, schmächtiger Mann. Seine Kleidung war ein grellbuntes Stoffgemisch. Ein gelbes Hemd, rot-blaue Hosen in Rautenmuster und braune Schnabelschuhe. An seinem Gürtel und den Schuhen waren Schellen befestigt, die bei jedem Schritt leise Töne von sich gaben. Imiloné fragte sich, warum sie ihn nicht bemerkt hatten. Unter der grün-gelben Narrenkappe lugten hellrote Haare hervor. Auf seiner Schulter saß ein seltsames Tier, das keines der drei Kinder kannte. Ingalf fand als erster seine Sprache wieder. „Das geht Euch gar nichts an Fremder. Wer seid Ihr überhaupt und was wollt Ihr hier draußen?“ Brin wusste nicht so recht, ob er sich mehr vor Ingalf oder dem Fremden fürchten sollte. So presste er sich ängstlich an Imiloné. Die Halbelfin fuhr dem Jungen beruhigend über den Rücken. Sie selbst fürchtete sich nicht vor dem Fremden. Schon oft waren Gaukler durch das Dorf gereist oder hatten auf einer nahe gelegenen Wiese ein Nachtlager aufgeschlagen. Der Mann vor ihnen sah wie einer von ihnen aus. Außerdem trug er keine Waffe bei sich. Der Gaukler hatte Ingalfs Frage wohl überhört. Er ging in die Hocke und lächelte Brin an. „Hab keine Angst vor mir. Schau her.“ Er streckte den Arm aus und das seltsame Tier sprang herunter. Imiloné musterte es neugierig. Es schien, als sei das Wesen die kleine, bepelzte Ausgabe eines Menschen. Es trug eine zierliche, bestickte Weste aus dunklem Stoff. Die dunklen, klugen Augen blickten den Kindern entgegen. „Sein Name ist Sahib Malkillah. Er ist ein Moosäffchen aus dem Süden Aventuriens. Du kannst ihn ruhig streicheln wenn du willst.“ Er deutete auffordernd auf das Tier. Brin trat vorsichtig einen Schritt nach vorne, hielt sich aber immer noch an Imiloné´s Kleid fest. Mit großen Augen betrachtete er das Äffchen. Er blieb stehen und sah den Gaukler an. „Beißt er?“ Der Mann schüttelte den Kopf. Dabei klingelten die Glöckchen die an den Enden der Narrenkappe angebracht waren. Er sagte etwas in einer fremden Sprache, worauf das Äffchen zu Brin lief. Nicht auf vier Beinen, sondern auf zwei. Imiloné staunte. Bei den Kindern angekommen hob es die dünnen Ärmchen, so wie es ein Kleinkind tat, wenn es von den Eltern hochgehoben werden wollte. Brin sah Imiloné schüchtern an. Sie lächelte. „Mach nur.“ Durch ihre Worte ermutigt, hob er das Tier vorsichtig hoch. Als sich das weiche Fell an seine Wangen schmiegte und die kalte Nase sein Ohr streifte, musste er lachen. Auch von Imiloné fiel die Anspannung ab. Der Fremde grinste. Im nächsten Moment stand er auf und sah die Kinder ernst an. „Sagt, wisst ihr wo ich den Turm des Magiers finden kann?“ Imiloné sah erstaunt auf. Schließlich nickte sie und deutete nach Westen. „Ihr müsst einfach dem Weg folgen. Was wollt ihr denn dort?“ Der Mann lächelte nun wieder und zuckte mit den Schultern. „Ich habe so ein Gebäude noch nie gesehen. Wollte einfach einen Abstecher dorthin machen und es mir näher ansehen.“ „Da werdet ihr Pech haben. Der Edle Magister ist nicht anwesend. Außerdem hat er einen Wächter, der seinen Turm bewacht.“ Ingalf mischte sich nun auch wieder ein. Scheinbar hatte er seine Sprache wieder gefunden. „Das ist Schade. Nun gut, dann werde ich ihn zumindest von außen betrachten.“ Der Gaukler lächelte schief. „Wenn ihr mich nun entschuldigen würdet. Sahib!“ Das Äffchen machte sich von Brin los und lief, nun auf vier Beinen, zurück zu seinem Herrn. Ohne ein weiteres Wort bewegten sich beide in Richtung Westen. Die Kinder sahen sich verwundert an. Ingalf ergriff als erster das Wort. „Seit wann interessieren sich abergläubische Gaukler für den Turm des Magiers?“ „Woher willst du denn wissen das er abergläubisch ist?“ Brin sah den Älteren neugierig an. „Von meinem Vater. Er sagt, dass das Gauklerpack immer einen großen Bogen um die schwarze Katze der alten Ornella macht. Außerdem meiden sie Leute mit roten Haaren und tragen immer allerlei Schutzzeug mit sich rum. Hasenpfoten, Amulette und so.“ Imiloné verdrehte die Augen. Ingalf war scheinbar entgangen, das der Mann selbst rote Haare besessen hatte. Außerdem hatte er keine Amulette oder sonstige Glücksbringer mit sich getragen. „Du solltest nicht immer von dich auf andere schließen. Komm Brin, gehen wir zurück zum Fest.“ Der Junge sah sie freudestrahlend an und nickte eifrig. Beide wandten sich um und liefen zurück zum Dorf. Den verdutzten Ingalf ließen sie stehen. Karena trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Nervös kontrollierte sie den Sitz ihres Kleides. Passte auch wirklich alles? War da nicht ein Faden gezogen? Mit einem genervten Seufzen verschränkte sie die Arme vor der Brust. So konnte sie wenigstens nicht in Versuchung geraten erneut an ihrem Kleid zu ziehen. Sie ermahnte sich selbst zur Ruhe, sonst könnte sie ihr Vorhaben gleich vergessen. Die junge Frau stand an der efferdwärtigen Seite des Perainetempels. Die hellen Mauern des Gebäudes und die göttergefälligen Malereien strahlten eine angenehme Ruhe auf sie aus. Zwei dunkle Fenster, die auf Kopfhöhe angebracht waren, starrten leer in die Nacht. Die grün gestrichenen Läden waren nicht geschlossen. Karena ließ ihren Blick an der Mauer nach oben schweifen. Das Dach war mit dunklen Ziegeln gedeckt, von denen sie jedoch nur die ersten Reihen sehen konnte. Auf dem Dachfirst hatte eine Storchenfamilie ihr Quartier bezogen. Im Schein des vollen Madamals konnte Karena nur die Umrisse des Nests ausmachen. Die Tiere selbst machten mit einem gelegentlichen Klappern auf sich aufmerksam. Die Geräusche des Festtreibens drangen nur gedämpft an ihr Ohr. Karena hatte gerade beschlossen zum Eingang des Tempels zu laufen, als sie eine Stimme vernahm. Erschrocken blieb sie stehen und sah sich um. Wer mochte zu dieser späten Stunde im Dorf unterwegs sein, wo doch alle auf dem Fest waren? Die Stimme kam näher und ein Lichtschein tauchte vor ihr auf. Die Schwarzhaarige beeilte sich um die Ecke des Tempels zu schleichen. Sie wollte nicht unbedingt einem der anderen Dörfler in die Arme laufen und sich erklären müssen. Im nächsten Moment trat eine kleine, dunkelhaarige Frau in ihr Blickfeld. Sie war in eine lange, schwarze Robe gehüllt und hielt eine Fackel in der rechten Hand. Die Flamme hatte einen seltsam bläulichen Schimmer. Auf dem Gewand der Frau spiegelte sich an einigen Stellen das silberne Licht des Madamals wieder. Karena kniff die Augen zusammen. Sie meinte auf der Robe silberne Symbole zu erkennen, von denen dieses Glitzern ausging. Um die Schultern der Frau hing ein prallgefüllter Tuchbeutel. Wahrscheinlich war sie eine Reisende die im Dorf nächtigte. Die Unbekannte blieb stehen und sah sich nach allen Seiten um. „Taraxis?“ Ihre Stimme war hell und klar, hatte aber einen befehlenden Unterton. Karena überlegte. Diesen Namen kam ihr irgendwie bekannt vor. Hatte Hesindiane ihn nicht erwähnt? Ihre Überlegungen wurden jäh unterbrochen, als sie Schritte von rechts vernahm. Ein leises Schellen erklang mit jedem Tritt. Die Dunkelhaarige vor Karena setzte sich plötzlich in Bewegung. Und zwar genau auf sie zu! Panisch sah sich die junge Frau um. Wenn man sie jetzt entdecken würde, hätte sie mächtigen Ärger am Hals. So leise wie möglich versuchte sie zum anderen Ende des Tempels zu gelangen. Dort angekommen verharrte sie regungslos. In ihrem Rücken befand sich die Umzäunung des Boronangers, der direkt an den Perainetempel angrenzte. Als sie sich sicher war, das keiner der beiden sie bemerkt hatte, ging sie in die Hocke und lehnte sich gegen den Zaun. Hoffentlich wurde ihr Kleid nicht schmutzig. Ihr Blick richtete sich auf die beiden Gestalten, die nur ein Dutzend Schritt von ihr entfernt standen. Unbewusst hatte sie einen Beobachtungspunkt gewählt von dem sie die zwei gut mustern konnte, ohne selbst bemerkt zu werden. Wer mochten die zwei Personen sein? Und wieso schlichen beide so heimlich durch die Nacht? Sie schüttelte den Kopf. Das konnte sie sich ebenso gut fragen. Schließlich war sie diejenige, die vor den Fremden geflüchtet war und beide nun wie ein Dieb beobachtete. Sie vertrieb diesen Gedanken aus ihrem Kopf. Ein schlechtes Gewissen konnte sie sich später auch noch einreden. Ein großer Mann in Narrenkleidung stand vor der Frau und redete leise auf sie ein. Er überragte sie um gut eineinhalb Spann. Karena lauschte angestrengt, konnte aber nicht mehr als ein paar Wortfetzen aufschnappen. Sie standen zwar nicht allzu weit weg, hatten ihre Stimmen jedoch zu einem Flüstern gesenkt. „…. keine Möglichkeit … öffnen… überrascht worden.“ Der Mann hatte geendet und trat von einem Fuß auf den anderen. Dabei erklang wieder das leise Schellen. Auf den ebenmäßigen Zügen der schwarz gewandten Frau erschien eine steile Zornesfalte. „Unfähig! Wieso habe ich mich überhaupt auf dich verlassen.“ Sie schien nicht mehr auf Heimlichkeit bedacht zu sein, denn ihre Stimme war laut geworden und ein zorniger Ton schwang darin mit. „Ständig bin ich von Dilettanten umgeben, die meine von Satinav gegebene Zeit unnütz verschwenden. Geh mir aus den Augen Taraxis von Schellenquax. Du bist entlassen.“ Sie sprach einige Worte in einer fremden Sprache, bevor sie sich umdrehte und mit großen Schritten davon eilte. Der Mann blieb stehen. Karena kniff die Augen zusammen um im schwachen Licht der Sterne sein Gesicht zu erkennen. Er schien erleichtert zu sein. „Ich denke, wir können unser Leben nun wieder selbst bestimmen, Sahib.“ Ein Keckern, ähnlich dem eines Eichhörnchens, erklang im Dunkeln. Langsam setzte er sich in Bewegung und war nach wenigen Schritten in der Dunkelheit verschwunden. Die junge Frau blieb verwirrt zurück. Über was auch immer die beiden gesprochen hatten, es ergab für sie keinen Sinn. Langsam erhob sich Karena und sah sich vorsichtig nach allen Seiten um. Sie wollte sicher gehen das niemand in der Nähe war, wenn sie ihr Versteck verließ. Erleichtert atmete sie auf, als sie weder das Klingen der Schellen noch etwas anderes vernahm. Allein die Geräusche des Festes waren zu hören. Mit wenigen, schnellen Schritten war sie am Eingang des Tempels angekommen. Dort setzte sie sich auf die unterste Stufe und dachte nach. Sie versuchte in Gedanken noch einmal das Gespräch durchzugehen. Beide hatten sich durch ihre Heimlichtuerei verdächtig gemacht. Das der Mann geflüstert hatte war ebenso auffällig. Wer sollte schon vermuten, das sich während der Festlichkeiten jemand außerhalb des Dorfplatzes aufhielt. Also hatte er wohl auf Nummer sicher gehen wollen, das auch wirklich niemand das Gespräch mitbekam. Der Wutausbruch der Frau machte sie nachdenklich. Scheinbar war dem Mann etwas aufgetragen worden, wobei er aber gescheitert war. Aufgeregt spann Karena ihre Gedanken weiter. Ob er etwas stehlen sollte? Sie konnte sich nicht vorstellen was in ihrem Heimatdorf so kostbar war, das es sich zu stehlen lohnte. Hatte die Edle vielleicht wertvolle Güter in ihrem Hof gelagert? Nur wer wäre so töricht eine Edle des Mittelreiches zu bestehlen? Karena kam ein Geistesblitz. Der Turm des Magiers! Die Frau hatte schließlich fast dieselbe Kleidung wie der Edle getragen. Ob sie vielleicht von dort etwas stehlen wollte? Einen magischen Gegenstand oder etwas ähnliches? Ein Geräusch ließ sie aufschrecken. War einer der beiden etwa wieder zurückgekommen? Hastig sah sie sich um und konnte eine Gestalt vor sich ausmachen, die auf den Tempel zulief. Karena beruhigte sich, als sie die Umrisse im Sternenlicht erkannte. Es war seine Gnaden Niam Peresen. Der Geweihte lief mit bedächtigen Schritten auf sie zu. Er hatte den Kopf gesenkt und schien über etwas nachzudenken. Karena wurde nervös, als sie ihn beobachtete. Ihr Vorhaben kam ihr wieder in den Sinn. Er war schließlich der Grund, wieso sie seit geraumer Zeit vor dem Tempel wartete. Da er sie noch nicht bemerkt hatte, räusperte sie sich. „Euer Gnaden.“ Niam blieb erschrocken stehen und sah auf. Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als er sie erkannte. „Karena. Wieso sitzt Ihr hier im Dunkeln auf den Stufen des Tempels?“ Wie konnte er nur so ruhig bleiben? Als sich ihre Blicke vorhin begegnet waren hatte sie erkannt, das auch er gewissen Gefühle für sie zu hegen schien. Diese Gewissheit hatte ihr neuen Mut gemacht und sie in ihrem Vorhaben bestärkt. Karena erhob sich und stand nun direkt vor ihm. Sie atmete noch einmal tief durch, bevor sie antwortete. „Ich habe auf Euch gewartet.“ Niam blinzelte und sah sie mit einem undeutbaren Blick an. Das Madamal war hinter dem Tempeldach verschwunden, sodass sie sein Gesicht nur vage erkennen konnte. „Auf mich?“ Die Worte waren zwar nur gehaucht, ließen Karena dennoch einen wohligen Schauer über den Rücken laufen. „Wenn ich mir die Frage erlauben darf: Warum?“ Ihr Mund war vor Aufregung wie ausgetrocknet. „Ich muss Euch etwas sagen.“ Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr. „Etwas, das ich Euch schon seit längerem sagen wollte.“ Ihr Herz pochte in ihrer Brust, als würde es gleich zerspringen. Niam nickte. „Dann lasst uns in den Tempel gehen, dort haben wir wenigstens etwas Licht.“ Panik stieg in Karena auf. Sie wusste, wenn sie es nicht jetzt sagen konnte, würde sie der Mut verlassen. Deshalb trat sie auf Niam zu, der sich gerade umwandte, und hielt ihn am Arm fest. Als ihr bewusst wurde, was sie da gerade tat, ließ sie ihn los und trat einen Schritt zurück. „Entschuldigt.“ Sie sah auf und versuchte seine Augen zu erkennen. „Ich möchte es Euch lieber hier sagen, Euer Gnaden.“ Niam wandte sich ihr zu. Seine Stimme klang sanft und sie bemerkte eine Hand, seine Hand, die sich auf ihre Schulter legte. „Nun gut, sprecht!“ Seine kühle Hand brannte auf ihrer nackten Haut. Ein angenehmes Kribbeln machte sich in ihrem Bauch breit, als sie antworten wollte. Mehr als ein Krächzen brachte sie aber nicht zustande. Sie spürte, wie ihr die Röte in die Wangen schoss. Nach einem Räuspern versuchte sie erneut zu sprechen, was ihr diesmal auch gelang. „Bei Rahja, ich wollte es Euch schon lange sagen, Euer Gnaden. Doch habe ich bisher nie den Mut aufgebracht, an Euch heranzutreten und Euch von meinen…“ Sie unterbrach sich. „Ja?“ Niams Stimme hatte immer noch diesen warmen Ton, der sie dazu bewegte weiter zu sprechen. „…Euch von meinen Gefühlen zu berichten. Es ist nun schon einen halben Götterlauf her, als ich mir darüber klar wurde was dieses Kribbeln, das ich in Eurer Gegenwart verspürte und immer noch spüre, zu bedeuten hatte. Doch ich habe aufgrund Eures Standes nie gewagt Euch deswegen anzusprechen und Euch zu sagen, das ich…“ Sie atmete tief durch, bevor sie die verhängnisvollen Worte aussprach. „Ich mich wohl in Euch verliebt habe, Euer Gnaden.“ Scheu senkte sie den Blick. Sie war erleichtert, die Worte endlich gesagt zu haben die ihr schon so lange auf der Seele lagen. Dennoch hatte sie Angst vor seiner Reaktion. Karena konnte hören, wie sich der Geweihte räusperte. Seine Hand lag immer noch auf ihrer Schulter und sandte heiße Wellen durch ihren Körper. „Karena, ich…“ Sie schloss die Augen. Welche Worte auch immer seinen Mund verlassen würden, sollten über ihre Zukunft entscheiden. Auch wenn sie Niams Gesicht in der Dunkelheit nicht sehen konnte, wollte sie seine Worte lieber mit geschlossenen Augen vernehmen. Als sich seine Hand von ihrer Schulter löste, sank ihr der Mut. Sie hatte seinen Blick auf dem Fest wohl doch falsch gedeutet. Im nächsten Moment spürte sie eine federleichte Berührung an ihrem Kinn. Sachte hob er ihren Kopf an, damit sie ihm in die Augen sehen musste. Sein warmer Atem strich über ihre Wange. „Ich muss Euch sagen, das es mir nicht anders ergangen ist.“ Seine Worte zauberten ein Lächeln in Karenas Gesicht. Sie spürte eine hauchzarte Berührung an ihren Lippen, der sie sich völlig hingab. Beide sanken in das weiche Gras vor dem Perainetempel. Kapitel 4: Kapitel 4 -------------------- Viel Spaß beim lesen. ~~~~~~~~~~~~~ Azina fühlte sich prächtig. Vor ihr stand ein bis zum Rand gefüllter Krug Bier und ein Teller mit einem saftigen Stück vom Spanferkel. Daneben lagen zwei dicke Scheiben Schwarzbrot und eine Schale mit Gemüse. Sieghelm hatte ihr geraten erst einmal nur Wasser zu trinken um die Kopfschmerzen nicht noch weiter herauszufordern, sie hatte aber abgewinkt. Der Wein hatte ihr geholfen, also würde ihr das Bier auch weiterhin helfen. Ihr Gefährte hatte zweifelnd die Stirn gerunzelt, aber nichts weiter dazu gesagt. Die Tulamidin griff nach einem Holzmesser und schnitt ein mundgerechtes Stück vom Schweinefleisch. Trotz des hohen Alkoholpegels in ihrem Blut, funktionierte ihre Motorik noch einwandfrei. Mit dem Sprechen hatte sie allerdings Probleme. Nachdem Sieghelm sie vom Perainegeweihten weggezogen hatte, waren sie zum einzigen noch freien Tisch gelaufen und hatten dort die letzten zwei Plätze ergattert. Azina begrüßte die anderen am Tisch mit einem Nicken und erkannte sie zum Teil wieder. Die beiden Thorwaler und die Angroscha, sowie Weibel Ilkhold. Die beiden Männer, die neben dem Weibel saßen und den gleichen Gambeson trugen, waren vermutlich seine Untergebenen. Das Gespräch am Tisch drehte sich gerade um die Reisestrecke von Punin nach Gareth. Die beiden Thorwaler, Gunnar und Tronde, und die Zwergin, Angescha, hatten ebenso wie Azina und Sieghelm den Amboss überquert um über Ferdok nach Gareth zu reisen. Auf ihrem Weg waren sie der Magierin Nephara und dem Gaukler Taraxis begegnet, die sich ihnen angeschlossen hatten. In Ferdok angekommen, waren sie, sehr zum Leidwesen der Magierin, von Schenke zu Schenke gezogen. Die beiden Hünen lobten immer wieder das Ferdoker Bier, während Angescha behauptete das der Zwerge wäre noch um einiges besser. Azina lauschte den Erzählungen der drei, während sie abwechselnd Brot und Fleisch in sich hineinschaufelte. Zwischendurch nahm sie einen großen Schluck aus ihrem Bierkrug. Sieghelm sah sie noch immer mit gerunzelter Stirn an. Als die Tulamidin seinen Blick bemerkte hob sie fragend eine Augenbraue. „Was ist?“ „Falls du morgen früh einen Kater hast oder mir wegen irgendetwas anderem die Ohren voll jammern solltest, sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!“ Der Garether hatte die Fingerspitzen aneinander gelegt und musterte sie. Seinen Braten und das Gemüse hatte er noch nicht angerührt. Die Tulamidin grinste und zuckte mit den Schultern. „Iss lieber deinen Teller leer, sonst fällst du mir noch vom Fleisch.“ Sieghelm seufzte theatralisch. Wieder einmal kam er gegen die tulamidische Dickköpfigkeit nicht an. Nach einem gemurmelten „Ich hab dich gewarnt“ begann er ebenfalls zu essen. Azina grinste weiterhin, wandte sich aber wieder den Gesprächen ihrer Tischnachbarn zu. „Und Ihr habt alle in der Ogerschlacht gekämpft?“ Einer der hellblonden Hünen, Gunnar Bjarnson, wandte sich mit einem neugierigen Blick an die drei Büttel. Ilkhold nickte. „Ja und wie Ihr seht, hat jeder von uns eine unangenehme Erinnerung mitgenommen.“ Zum Beweis hob er seinen linken Arm. „Ich hatte Glück, das mir ein Oger nur den Unterarm abtrennte und mich danach liegen ließ. Wobei“, er sah seine zwei Kameraden an. „man hier eigentlich von sehr großem Glück reden sollte. Wir haben viele unserer Kameraden an der Trollpforte sterben sehen.“ Ullmann Rogershort, dessen rechtes Auge mit einer ledernen Klappe verdeckt war, nickte zustimmend. „Glaubt mir, das war kein schöner Anblick.“ Er schüttelte sich, als versuche er so die Erinnerungen los zu werden. Azina hielt im Kauen inne. Sie hatte zwar noch nie einen Oger gesehen, aber schon einiges über diese menschenähnlichen Kreaturen gehört. So hoch wie eine Scheune und stark wie drei Bullen sollten sie sein. Tronde Hasgarson ergriff das Wort. „Man erzählt sich, das die Oger so etwas wie ein provisorisches Katapult bei sich gehabt hatten. Stimmt das?“ Ilkhold nickte erneut. „Ja, sie nannten es den Ogerlöffel. Es heißt, ein abtrünniger Zwerg soll ihnen beim Bau dieses Geräts geholfen haben.“ Er sah die beiden Thorwaler ernst an. Die Angroscha nahm die Pfeife aus ihrem Mund und mischte sich ein. „Wollt Ihr damit sagen, das ein Angehöriger meines Volkes sich mit diesen verfluchten Kreaturen eingelassen hat?“ Ullman nickte anstelle seines Weibels. „Ja, sie hätten in Wehrheim einigen Schaden anrichten können, wenn die Kaiserlichen Truppen sie an der Trollpforte nicht aufgehalten hätten. Die Edle und der Magister waren an der Zerstörung des Ogerlöffels beteiligt. Sie erzählten, das die Konstruktion nicht von ogrischen Händen stammen konnte. Einige Flüchtlinge aus Ysilia berichteten von einer kleinen Gestalt, die sich während der Belagerung zwischen den Ogern aufhielt. Ob das wirklich ein Angroschim war, kann natürlich keiner von uns wirklich bestätigen.“ „Ihr könntet allerdings Recht haben. Wir haben die Belagerung Greifenfurts durch die Orks miterlebt. Du weißt, das dort einer deines Volkes auf Seiten der Orks stand.“ Tronde hatte sich an seine Gefährtin gewand. Angescha nickte widerwillig. „Ja, stimmt.“ Die Tulamidin wandte sich wieder ihrem Essen zu. Sie hasste Krieg, genauso wie sie Wasser und Magie hasste. Es machte ihr nichts aus einem Ferkina ihren Khunchomer in den Leib zu rammen, wenn er eine von ihr geführte Karawane angriff. Aber das abschlachten unschuldiger Menschen, das mit einem Krieg leider immer einherging, mochte sie nicht tolerieren. Sie hatte viele Flüchtlinge gesehen, die beim Einmarsch der Al´Anfaner in das Reich der Novadis nach Norden geflohen waren. Die verhärmten, ausdruckslosen Gesichter der Männer und Frauen waren ihr bis in Bishdariels Reich gefolgt. Mit einem Seufzen vertrieb sie die Bilder aus ihren Gedanken. Vorsichtig betastete sie ihren Kopfverband. Die Schmerzen hatten mittlerweile ganz nachgelassen und nur ein dumpfes Pochen erinnerte sie noch an ihr Missgeschick. Plötzlich entstand Unruhe unter den Feiernden. Ilkhold und seine Männer unterbrachen sofort ihr Gespräch und sahen auf. Am Rand des Platzes erschien ein Mann, der eine Laterne in der Hand hielt. Am Oberkörper trug er ein gestepptes Wams und an der Seite ein Schwert. Sein Gesicht war gerötet und er lief mit seltsam staksenden Schritten auf den Tisch des Weibels zu. Ilkhold erhob sich und lief ihm entgegen. „Friedgar. Bei Praios, was tust du hier?“ Er betrachtete ihn genauer. „Was ist mit dir geschehen?“ Der Mann blieb schwer atmend stehen. Die Frau des Wirtes kam mit einem Krug zu ihm gelaufen, welchen er dankend entgegen nahm. Nachdem er einige Schlucke getrunken hatte, ließ er sich ächzend auf Ilkholds Platz nieder. Viele Dorfbewohner versammelten sich um den Tisch und sahen Friedgar neugierig an. Azina betrachtete ihn genauer. Das Gesicht und die Hände des Mannes waren aufgedunsen. Seine grün-grauen Augen sahen die umstehenden unter fleischigen Lidern ernst an. Der Kragen des Wamses war durch die Fettmassen des Halses weit aufgerissen. Angewidert verzog die Tulamidin ihr Gesicht. Wie konnte man sich nur so gehen lassen. „Berichte!“ Ilkhold sah mit strengem Gesicht auf ihn herab. Friedgar nickte. Dabei fing die fleischige Masse um seinen Hals an zu schwabbeln. Azina stutze als er zu sprechen begann. Sie hatte eine andere Stimme erwartet. Der tiefe, ruhige Bass passte nicht zum Rest des Körpers. „Ich war wie üblich auf meinem Posten im Turm. Als ich ein Geräusch hörte stand ich auf um nachzusehen. Nachdem ich einen Blick nach draußen geworfen hatte und nichts auffälliges sehen konnte, hab ich meine Runde gedreht. Im zweiten Stock angekommen fiel mir ein seltsames Tier auf, das sich am Gemälde über dem Bett des Edlen zu schaffen machte. Du weißt schon, DAS Gemälde.“ Er sah Ilkhold an. Der Weibel nickte und bedeutete ihm fortzufahren. „Ich war gerade dabei das Tier zu vertreiben, als mein Körper plötzlich begann sich … aufzublähen. Meine Glieder wuchsen rasend schnell an und ich erhob mich langsam in die Luft. Ihr könnt die Nachwirkungen des Zaubers noch sehen, denn was sonst sollte das hier verursacht haben.“ Azina erschauerte. Sofort kam ihr die Schwarzmagierin aus der Herberge in den Sinn. Das war bestimmt ihr Werk, schließlich war sie bis jetzt noch nicht auf dem Festplatz erschienen. Einige der Dorfbewohner schlugen sich bei diesen Worten die Hände vor den Mund. Friedgar nahm einen weiteren Schluck. „Als ich an der Decke des Turmes hing, unfähig auch nur einen Finger zu rühren, betrat ein junger Mann in Narrenkleidung den Raum. Er hatte sich wahrscheinlich hinter mir in den Turm geschlichen. Seine Schritte trugen ihn zielstrebig auf das Tier am Kopfende des Bettes zu. Er werkelte einige Herzschläge mit einem seltsamen Gegenstand am Gemälde herum, bevor er sich abwandte. Ohne ein weiteres Wort hat er mit dem Tier den Raum verlassen und mich da an der Decke hängen lassen. Ich will gar nicht wiederholen, was ich ihm alles hinterher gerufen habe.“ Er schüttelte den Kopf, wobei sein Kinn erneut wackelte. „Aber,“ er hob einen fleischigen Finger „ich habe mir sein Gesicht gemerkt. So schnell wird er von hier nicht weg kommen, bei Praios!“ Der Weibel nickte. Dann sah er sein Gegenüber prüfend an. „Er hat also nichts mitgenommen?“ „Nein. Wahrscheinlich hat er das Schloss nicht aufbekommen.“ Friedgar strich sich eine blonde Strähne aus dem aufgeblähten Gesicht. Ilkhold legte nachdenklich einen Finger ans Kinn. Einen Moment später bedeutete er Diethard ihm zu folgen und flüsterte Ullman etwas zu. Der Hüne folgte seinem Vorgesetzten, während der Einäugige aufstand und die Menge der Schaulustigen mit einigen Worten zerstreute. Dann setzte er sich neben Friedgar und redete leise auf ihn ein. Ilkhold und Diethard verschwanden in der Dunkelheit. Die Dörfler nahmen wieder ihre Plätze ein und feierten weiter, wenn auch nicht mehr so ausgiebig. Weiße Kreidestriche waren auf den Boden des Zimmers gemalt. An den Enden der fünf Spitzen standen schwarze Kerzen, die nur schwach den Raum erhellten. Alle Zacken waren gleichmäßig miteinander verbunden. Eine Goldmünze lag vor jeder Kerze und schimmerte leicht im diffusen Licht. In der Mitte stand die winzige Statue eines goldenen Fuchses. Eine dunkle Gestalt saß Barfuss vor dem Pentagramm. Neben ihr ein runenverzierter Hiebdolch und ein mannsgroßer Stab. Ein dumpfes, monotones Summen erhob sich in den Raum. Den Ursprung hatte es in der Brust der Person. „Invocatio Minor.“ Die helle Stimme durchdrang die Stille des Raumes und lies das Summen abrupt enden. Im ersten Moment geschah nichts. Nach einigen Herzschlägen begannen die Kerzenflammen unstet zu flackern und warfen grausige Schemen an die Wände. Die Temperatur des Raumes sank schlagartig und ließ die Person weiße Atemwölkchen ausstoßen. Gelbliche, stinkende Schwaden entstanden innerhalb des Pentagramms und breiteten sich langsam aus. Die Fuchsstatue vibrierte und bewegte sich hin und her, als würde eine unsichtbare Macht sie über den Holzboden ziehen. Ein dumpfes Dröhnen, das stetig lauter wurde, drang von weit her an das Ohr der Person. Im nächsten Moment herrschte Stille. Die zierliche Statue stand wieder an ihrem Platz in der Mitte des Pentagramms. Plötzlich begann das Gold zu schmelzen. Die gelblichen Schwaden schwebten zurück und vereinten sich. Aus der goldenen Pfütze formten sich Gliedmaßen, bis eine ein Spann große, menschenähnliche Gestalt inmitten des Pentagramms stand. Sie wuchs rasend schnell in die Höhe, bis sie die Größe eines ausgewachsenen Mannes erreicht hatte. Zwei krumme, schwarze Hörner wuchsen aus ihrem Rücken. Die Person hielt den Atem an. „De profundis clamavi ad te, Nakartak.*“ Ihre Stimme zitterte leicht. Ein dumpfes, unwirkliches Lachen erklang. Die Kreatur beugte sich vor und wollte die sitzende Person berühren. Der Schutzkreis um das Pentagramm verhinderte das Vorhaben, sodass der Goldene wieder in seine ursprüngliche Position zurückkehren musste. „Non Nakartak. Dominus iste aviditas, Balrak.*“ Die Person sprang entsetzt auf, griff nach Hiebdolch und Stab und wich zurück. „Bleib mir vom Leib Verfluchter!“ Durch die rasche Bewegung fiel eine der Beschwörungskerzen um. Langsam lief das dunkle Wachs über die schmale Linie des Schutzkreises und löste den Kreidestrich an dieser Stelle auf. Imiloné lief mit Brin an der Hand am Haus ihres Vaters vorbei. Sie summte eine fröhliche Melodie, in die ihr junger Begleiter nach einer Weile einfiel. Die Begegnung mit Ingalf hatten beide schon wieder vergessen. Das volle Madamal tauchte die Umgebung in ein silbernes Licht. Die warme Luft roch angenehm nach Blumen und Sommer, aber auch der Geruch des Feuers mischte sich mit ein. Das vielstimmige Zirpen der Grillen war zu hören und irgendwo stritten sich zwei Katzen. Imiloné genoss die Ruhe und atmete tief ein. Ihre Gedanken wanderten zur Begegnung mit dem Fremden zurück. Er hatte den Turm sehen wollen, wie so viele Reisende die durch den Ort kamen. Sie selbst fand das steinerne Gebäude langweilig. Vollgestopft mit Büchern und Artefakten des Magiers, zumindest sagte man sich das. Außerdem gab es den Wächter Wagenspalt der seinen Posten nie zu verlassen schien. Sie hatte mit ihren Freunden schon etliche Male versucht das Gebäude zu erforschen. Immer waren sie sofort von Friedgar entdeckt worden, der sie wieder hinaus gescheucht hatte. Ob der Edle ihn verzauberte, damit er Diebe schnell erkennen konnte? „Meinst du der Mann wollte wirklich in den Turm gehen?“ Brins Stimme riss die Halbelfin zurück in die Wirklichkeit. Scheinbar hatte er sich ebenso Gedanken darüber gemacht. Mit großen, braunen Augen sah er zu ihr auf. Seine Hand umklammerte noch immer die ihre. Imiloné legte nachdenklich den Kopf schief. „In den Turm wird er nicht können. Herr Wagenspalt würde ihn sofort entdecken. Vielleicht will er ihn ja wirklich nur von außen betrachten.“ Die Halbelfin pflückte einen Grashalm vom Boden und drehte ihn zwischen den Fingern. Plötzlich hielt sie inne. Etwas stimmte nicht. Ein seltsames Gefühl beschlich sie, als sie sich ängstlich umsah. Brin blieb ebenfalls stehen und sah sie verwundert an. „Was ist denn los?“ Imiloné legte ihm schnell eine Hand auf den Mund und bedeutete ihm ruhig zu sein. Der Junge nickte erschrocken und rührte sich nicht mehr. Aufmerksam sahen sich beide um. Ihr Weg hatte sie in die Nähe der Herberge geführt. Dunkel ragte das Gebäude vor ihnen aus der Nacht. In einem kleinen Fenster im Obergeschoss war schwacher Lichtschein zu erkennen. Das Schild über der Eingangstür quietschte, als es von einem Windstoß leicht bewegt wurde. Die Geräusche des Festes drangen gedämpft zu ihnen. Ein seltsamer Geruch stieg Imiloné in die Nase. Er war stechend und hinterließ einen sauren Nachgeschmack auf ihrer Zunge. Angewidert verzog sie das Gesicht und überlegte, woher sie diesen Geruch kannte. Einen Herzschlag später erinnerte sie sich. Vor Wochen hatte ihr Vater drei alte Eier kochen wollen, sie dann aber weggeschmissen weil sie verfault waren. Der stechende Geruch hatte sich für mehrere Tage in der Küche festgesetzt. Erst nach ausgiebigem Lüften hatte man den Raum wieder betreten können. Brin begann zu husten, als er die widerlichen Dämpfe einatmete. „Lass uns schnell weitergehen.“ Imiloné packte ihn am Handgelenk und wollte losrennen. Eine großes Wesen trat den Kindern vollkommen lautlos in den Weg. Der goldene, mannshohe Körper strahlte leicht und tauchte seine Umgebung in ein schwaches, kränklich gelbes Licht. Die Kreatur hatte die Gestalt eines aufrecht gehenden Fuchses und streckte die spitze Schnauze schnuppernd in die Luft. Schwarze Augen blickten auf die Kinder herab. Damit endeten die Ähnlichkeiten. Drei lange Ohren bewegten sich auf dem mächtigen Haupt zuckend hin und her. Der Oberkörper war dem eines Menschen gleich, doch statt der Behaarung wuchsen schmächtige, goldene Kettchen aus Brust und Bauch. Ein mächtiger, viergliedriger Schweif fegte über den Boden. Die dünnen Arme reichten bis zu den Knien und endeten wie seine Füße in langen, viergliedrigen Klauen. Zwei krumme, schwarze Hörner ragten aus seinem Rücken. Die Anwesenheit der Kreatur ließ die Kinder vor Furcht erstarren. Beide starrten mit angstgeweiteten Augen auf das Wesen vor ihnen. Einerseits verspürte Imiloné große Angst, andererseits übte die Kreatur eine gewisse Faszination auf sie aus. Der kraftvolle, goldene Körper und der elegant geschwungene Kopf. Ob er ein Wesen des Phex war? Doch wieso umgab ihn dann diese Aura der Furcht? Eine tiefe, angenehme Stimme erklang in ihrem Kopf. Das Wesen beugte sich vor und streckte die langen Arme einladend den Kindern entgegen. „Wollt ihr einen Handel eingehen? Eure Seelen im Tausch gegen unermesslichen Reichtum.“ Ein unbekanntes Verlangen ergriff plötzlich von Imiloné Besitz und umnebelte ihre Gedanken. Sie wollte dieses Wesen besitzen. Das Gold des Körpers mit ihren Fingern berühren und es mit niemanden teilen. Es sollte ihr gehören, nur ihr! Die Halbelfin machte einen Schritt auf das Wesen zu, erschrak jedoch im nächsten Moment über die seltsamen Gedanken und schüttelte verwirrt den Kopf. Was dachte sie da? Mit aller Kraft die sie aufbieten konnte, wehrte sie sich gegen die Einflüsterungen. Nur langsam konnte sie sich aus ihrer Starre befreien. In ihrem Kopf herrschte ein heilloses Durcheinander, das sich nur schleppend wieder auflöste. Dieses Wesen war abgrundtief böse, das konnte sie spüren. Ein Dämon, der nicht hierher gehörte und versucht hatte sich ihrer Seele zu bemächtigen. Imiloné´s Augen weiteten sich bei dieser Erkenntnis. Sie musste dringend Hilfe holen. Die Halbelfin machte auf dem Absatz kehrt und wollte davon rennen. Als Brin ihr nicht folgte, blieb sie stehen. „Brin! Schnell!“ Die Worte blieben ihr im Hals stecken, als sie das vor Gier verzerrte Gesicht ihres jungen Freundes sah. Er hatten seinen Arm ausgestreckt und wollte die Kreatur berühren. „Nein, fass ihn nicht an! Er ist ein Dämon!“ Brin schien sie nicht zu hören. Er machte einen Schritt auf das Wesen zu und blickte zu ihm auf. Die Kreatur beugte sich ihm entgegen. Imiloné traten ob ihrer Hilflosigkeit Tränen in die Augen. Sie musste etwas tun, sonst wäre Brin verloren. Ihre Gedanken rasten, doch ihr wollte nichts einfallen. Brins Hand näherte sich immer weiter dem Wesen und war kurz davor es zu berühren. „Nein!“ Die Halbelfin streckte verzweifelt die Hand nach ihrem Freund aus. Plötzlich spürte sie wie eine Energie ihren Arm durchströmte und aus den Fingerspitzen brach. Die Kreatur schrie gepeinigt auf und stolperte nach hinten. Imiloné nutzte den Moment, packte Brin am Arm und zog ihn mit sich. Scheinbar war der Bann von ihrem Freund gefallen, denn dem Jungen entfuhr ein erstickter Schrei. Ohne sich umzudrehen rannten die Kinder zum Festplatz. Hinter ihnen ertönte ein infernalisches Brüllen. „… Plötzlich waren wir von Orks umzingelt. Von allen Seiten drangen die Schwarzpelze mit ihren wendigen Ponys auf uns ein. Ehe wir uns versahen, standen die ersten Wagen schon in Brand. Die verfluchten Bastarde streckten einige von uns nieder, bis wir uns endlich aus unserer Erstarrung lösen konnten und zurückschlugen.“ Tronde stand inmitten einer Kinderschar, unter die sich auch einige Erwachsenen gemischt hatten und dem Thorwaler aufmerksam zuhörten. Der Hüne hielt einen schmalen Ast in Händen und schwang ihn wie ein Schwert. Seine Gefährten beobachteten ihn von ihren Sitzplätzen aus und warfen gelegentlich einige Kommentare ein. Azina schmunzelte. Nachdem sich ihre Teilnahme an der Belagerung Greifenfurts herumgesprochen hatte, waren sie von den Kindern solange bedrängt worden ihnen davon zu erzählen, bis sich Tronde nach langem hin und her dazu bereit erklärt hatte. Der Thorwaler bewies großes Talent, denn seine Zuhörer hingen geradezu an seinen Lippen. Die Tulamidin ließ ihren Blick über das Fest schweifen. Die Tische waren noch immer gut besucht, es wurde viel gelacht und geredet. Das Spanferkel war verzehrt und das Sommersonnfeuer beinahe herunter gebrannt. Bier und Wein flossen reichlich, doch die Gemüter blieben ruhig. Azina wunderte sich, das bei diesem Alkoholfluss noch keine Schlägerei ausgebrochen war. Vermutlich verliefen die Feste auf dem Land ruhiger als die in den Städten. Der Vorfall mit dem Turmwächter schien jedenfalls vergessen. Ilkhold und Diethard waren noch nicht wieder aufgetaucht. Vermutlich kontrollierte der Weibel die Aussage Friedgars. Unwillkürlich richtete sich ihr Blick auf den untersetzten Mann. Der Zauber hatte mittlerweile völlig nachgelassen und ihm seine ursprüngliche Gestalt zurückgegeben. Nun saß ihr gegenüber kein fleischiger Klops mehr, sondern ein breitschultriger, kräftiger Mann von Ende Zwanzig. Ihre abfälligen Gedanken über seine Gestalt taten ihr nun leid, doch woher hätte sie wissen sollen das es sich um einen Zauber handelte? Sie verscheuchte diesen Gedanken und beobachtete ihn weiter. Friedgar unterhielt sich angeregt mit Ullmann. Worüber konnte die Tulamidin nicht verstehen. Azina fand es bewundernswert, wie ruhig er über seiner Verzauberung gesprochen hatte. Sie selbst hätte sich vermutlich schreiend von der nächsten Klippe gestürzt, wenn es hier eine geben würde. Wo war eigentlich diese Schwarzmagierin? Verstohlen sah sie sich nach der Zauberin um, konnte sie aber nirgends entdecken. Bestimmt bereitete sie ein böses Ritual vor um das Dorf auszulöschen. Dumpf brütete sie vor sich hin und malte sich die Katastrophe in Gedanken aus. Feqzverflucht, diesen Magiern konnte man einfach nicht trauen! „Azina? Hörst du mir überhaupt zu?“ Erschrocken sah sie auf. Sieghelm hatte den Kopf schief gelegt und warf ihr einen fragenden Blick zu. Die Tulamidin versuchte sich nichts anmerken zu lassen und nickte. „Natürlich hab ich das.“ Der Garether hob eine Augenbraue. Er wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als ein panischer Schrei ertönte. Das Festtreiben erstarrte und alle Blicke richteten sich auf die Ursache. Zwei Kinder rannten mit angstverzerrten Gesichtern auf den Festplatz zu. Ullmann und Friedgar sprangen sofort auf und rannten ihnen entgegen. Niam Peresen und zwei weitere Männer folgten. Die Gespräche waren verstummt. Langsam versammelten sich die Dörfler um die kleine Gruppe, denn jeder wollte wissen was geschehen war. Azina und Sieghelm erhoben sich ebenfalls. „Imiloné! Ist alles in Ordnung?“ Ein Braunhaariger Mann kniete vor dem Mädchen und fuhr ihr beruhigend über die Arme. Die schreckgeweiteten Augen des Kindes huschten hin und her. Im nächsten Moment sprudelte es aus ihr heraus. „Papa, ein Monster hat uns verfolgt. Es war groß und wollte unsere Seelen.“ Sie deutete auf den „Stachel“. Der Junge an ihrer Seite nickte heftig. Der Mann, wohl ihr Vater, runzelte die Stirn. „Hier gibt es keine Monster. Ich hoffe für dich, dass das nicht wieder einer deiner… .“ Weiter kam er nicht. Mehrere Schreie richteten die Aufmerksamkeit der Menschen auf ein neues Ziel. Azina glaubte, ihren Augen nicht trauen zu können. Erst nach mehrmaligem Blinzeln war sie sich sicher nicht zu träumen. Ein mannsgroßes, goldenes Wesen lief mit langsamen, bedächtigen Schritten auf die Dörfler zu. Sein Körper war die grässliche Karikatur eines aufrecht gehenden Fuchses. Ein rissiges Geflecht überzog die Gestalt und ließ das Gold spröde und angelaufen wirken. Lange Hautlappen hingen von Brust und Bauch und sein Maul war voll von krummen, abgebrochenen Zähnen. Die Glieder waren mehrmals gebrochen, doch das schien die Kreatur nicht zu stören. Ab und zu hielt sie an und streckte den übergroßen Kopf witternd in die Luft. „Peraine steh uns bei.“ Niam Peresen schlug ein Schutzzeichen. Im nächsten Moment brach Tumult aus. Viele Dörfler rannten schreiend davon, während andere vor Schreck zur Salzsäule erstarrt waren. Sie wurden unweigerlich von der Menge mitgerissen. Keiner achtete mehr auf den andern. Mit Mühe und Not konnten Azina und Sieghelm den in Panik geratenen Dörflern ausweichen. Die Tulamidin wusste nicht was sie tun sollte. Ihr Herz riet ihr zu fliehen, während ihr Verstand neugierig auf diese Kreatur war. Sieghelm schien es nicht anders zu ergehen, denn auf seinem Gesicht zeichnete sich sein innerer Zwiespalt ab. Das Wesen war stehen geblieben und starrte den fliehenden Menschen nach. Sein Blick fiel auf die verbliebenen acht Personen und ein dumpfes Lachen schallte über den Platz. Ullmann und Friedgar zogen ihre Waffen. „Euer Gnaden, was ist das?“ Der Perainegeweihte zögerte kurz bevor er antwortete. „Ein Wesen der siebten Sphäre. Selbst auf diese Entfernung kann ich seine verdorbene Aura fühlen. Allein seine Anwesenheit verpestet Sumus Leib.“ Azina schluckte. Ein Ifriit? Ihre Vermutungen über die Machenschaften der Magierin kamen ihr in den Sinn. Scheinbar waren ihre Gedankengänge gar nicht so abwegig gewesen. Hatte diese feqzverfluchte Zauberin tatsächlich einen Dämon gerufen um das Dorf auszulöschen? Der Gedanken an soviel Zerstörungswut ließ Azina innerlich nur den Kopf schütteln. Sie zwang ihre Aufmerksamkeit wieder in die Wirklichkeit zurück. Schließlich stand ein Wesen vor ihnen, von dem niemand wusste ob es gut oder böse war. Niam trat einen Schritt nach vorne. Er hatte ein Amulett in der Hand, das er schützend vor sich hielt. „Im Namen Peraines und Praios befehle ich dir, dahin zurückzukehren wo du hergekommen bist!“ Die Kreatur stieß ein Schnauben aus. Gelblicher Rauch kringelte sich aus ihren goldenen Nüstern. „Schwacher, närrischer Sterblicher. Glaubst du wirklich deine Götter könnten dich vor mir beschützen?“ Azina erschrak. Die dumpfe, verzerrte Stimme erklang in ihren Gedanken und ließ ihre Kopfschmerzen wieder beginnen. Panik stieg in ihr auf. Nach einem raschen Seitenblick erkannte sie das es den anderen ebenso erging. Friedgar ließ vor Schreck sein Schwert fallen. Das Wesen hatte sich in Bewegung gesetzt und lief nun langsam auf die Gruppe zu. Dabei breitete es die langen Arme aus, gerade so als wolle es sie alle in eine innige Umarmung ziehen. Der Körper der Kreatur schien plötzlich zu leuchten und wurde von einem Moment auf den anderen immer heller. Etwas regte sich in Azina. Wie gebannt starrte sie auf die Kreatur, die ihr plötzlich so wunderschön vorkam. Die strahlende, goldene Haut, die sich fest über die darunter liegenden Muskelstränge spannte. Die geraden, vollendet wirkenden Gliedmaßen und goldenen Kettchen an Brust und Bauch waren faszinierend. Die Eleganz, mit der sich die Kreatur bewegte schlug alle Anwesenden in ihren Bann. Bis auf Niam. Der Geweihte versuchte verzweifelt Ullmann und Friedgar aus ihrer Erstarrung zu lösen. Sein Vorhaben war zum Scheitern verurteilt, denn die Männer lagen unter dem gleichen Bann wie Azina. Die Tulamidin machte einen Schritt nach vorne. Sie wollte zu ihm und niemand würde sie davon abhalten können! Stille hatte sich über den Dorfplatz gelegt. Eine Stille, die nur gelegentlich vom Prasseln des Feuers unterbrochen wurde, ansonsten jedoch geradezu erdrückend wirkte. Die Dörfler waren in ihre Häuser geflohen und hatten die Türen verriegelt. Auch wenn sie nicht wussten um was es sich bei diesem Wesen handelte, so hatte allein der Anblick sie vor Schreck fliehen lassen. Tische und Bänke waren umgestürzt und dazwischen lagen zerbrochene Krüge und Teller. Die ehemals weißen Decken waren verdreckt und die Blumenvasen zerbrochen. Nichts ließ mehr auf das rahjagefällige Treiben schließen, das noch vor wenigen Momenten hier geherrscht hatte. Niam atmete schwer und wandte den Blick ab. Es tat ihm in der Seele weh, den Platz so verwüstet zu sehen. Verzweifelt hatte er nach einem Grund gesucht, weshalb der Dämon hier erschienen war. Das Fest war normal abgelaufen und auch sonst hatte es keine Auffälligkeiten gegeben. Hektisch schob er die Gedanken beiseite. Woher das Wesen kam konnte ihm im Moment egal sein. Er hatte immer noch zwei Probleme: Den Dämon und der Bann, mit dem er die anderen belegt zu haben schien. Die rechte Wange des Geweihten war angeschwollen und aus seiner Nase lief ein dünner, roter Rinnsal. Zuerst hatte er versucht Ullmann, Friedgar und die anderen mit Worten wieder zur Vernunft zu bringen. Er hatte sich auf Peraine und sämtliche Heilige berufen, doch nichts hatte geholfen. Sie waren weiterhin mit vor Gier verzerrten Gesichtern und stocksteifen Bewegungen auf den Dämon zugewankt. Niam hatte nur noch eine Möglichkeit gesehen und schließlich mit aller Kraft versucht den verbliebenen Büttel zurückzuhalten. Ullmann war wirklich stehen geblieben und hatte sich langsam umgedreht. Gerade als Niam erleichtert aufatmen wollte, hatte sein Gegenüber ausgeholt und ihn niedergeschlagen. Der Angriff war viel zu überraschend gekommen, als das er sich hätte verteidigen können. Ullmann hatte sich abgewandt und war erneut in den staksenden Trott verfallen. Der Dämon quittierte die Bemühungen des Geweihten mit einem hämischen Lachen und einigen Worten in einer seltsamen Sprache. Niam dachte verzweifelt nach. Ein rascher Blick auf die Anderen ließ seine Verzweiflung größer werden. Sie waren mittlerweile auf weniger als zehn Schritt an das Wesen heran. Bekämpfen konnte er die Kreatur nicht. Der Umgang mit seiner Sichel beschränkte sich lediglich aufs Kräuterschneiden (worüber er dankbar war). Auch war er kein Praiosgeweihter um den Dämon mit einer Liturgie zu vertreiben. Er konnte nur noch eines tun: Beten. „Gütige Herrin Peraine, ich bitte dich hilf mir!“ Er schloss die Augen und versuchte sich an eine Liturgie zu erinnern, die er vor langer Zeit einmal gelernt hatte. Seine Konzentration litt sehr unter den Schmerzen in seiner Wange und dem Adrenalin das durch seine Adern schoss. „Für Rondra!“ Der zweistimmige Schlachtruf ließ ihn aufschauen. Ein hoffnungsvoller Zug trat auf Niams Gesicht als er Ilkhold und Diethard erkannte. Die Büttel rannten mit gezogenen Waffen auf den Dämon zu. Beide hielten erschrocken inne als sie ihre gebannten Kameraden sahen, nur um daraufhin wutentbrannt weiterzustürmen. Plötzlich schob sich eine dunkle Gestalt in Niams Sichtfeld. Eine kleine Frau mit Robe und Stab betrat eiligen Schrittes den Dorfplatz und schnitt den Bütteln den Weg ab. „Bleibt stehen! Das ist eine Sache zwischen mir und ihm. Mischt Euch nicht ein.“ Sie hatte die Hand ausgestreckt und bedeutete den Männern stehen zu bleiben. Ilkhold bremste ab und blieb zwei Schritt vor der Frau stehen. Sein zorniger Blick richtete sich auf sie. „Im Namen Praios, was habt Ihr mit dieser götterlästerlichen Kreatur zu schaffen? Sprecht rasch!“ herrschte er sie an. Diethard kam neben ihm zum stehen und blickte genauso finster drein. Die Dunkelhaarige zeigte sich davon unbeeindruckt. „Mischt Euch nicht ein wenn Euch Euer Leben lieb ist, Soldat.“ Sie wandte sich ohne ein weiteres Wort ab und schritt auf den Dämon zu. Auf dem Gesicht des Weibels kämpften Zorn und Überraschung um die Oberhand, doch er blieb ruhig und senkte seine Waffe. Niam fühlte das gleiche. Hatte diese Frau etwa den Dämon gerufen? War sie für das ganze Chaos hier verantwortlich? Er sah Ilkholds fragenden Blick, konnte jedoch nur mit einem Schulterzucken darauf antworten. Der Dämon hatte das Auftreten der Büttel unbeteiligt verfolgt. Als jedoch die Frau den Platz betrat, war zu Niams Erstaunen eine Regung auf dem Gesicht der Kreatur erschienen. Blinder Hass verzerrte die grotesken Züge zu einer Maske des Grauens. Das Wesen senkte die Arme und wandte seine ganze Aufmerksamkeit der Magierin zu. Niam starrte gebannt auf die zwei ungleichen Kontrahenten, sodass er nicht sofort bemerkte wie Ullmann, Friedgar und die Anderen geräuschlos zu Boden sanken. Scheinbar war der Bann von ihnen gefallen als der Dämon sich abgewandt hatte. Sofort hastete der Geweihte zu den am Boden Liegenden und überprüfte ihren Zustand. Die vor Gier verzerrten Züge hatten sich wieder geglättet und der Puls ging gleichmäßig. Sie waren nur ohnmächtig. Die Stimme der Frau ließ ihn aufschauen. Sie stand dem Dämon gegenüber und hielt den Stab und ein kurzes Schwert mit gekrümmter Klinge in Händen. In ihren Augen lag ein hochmütiger Zug und ihre Stimme troff vor Spott. „Richte deinen Hass auf mich Balrak. Ich war diejenige die dich in diese Sphäre gezwungen hat und so werde ich auch diejenige sein, die dich wieder in die Niederhöllen zurückschickt!“ Ein dumpfes, verzerrtes Lachen schallte über den Platz. Der Dämon senkt seinen übergroßen Kopf und musterte die Dunkelhaarige. „Dumme Sterbliche. Was glaubst du wer du bist? Niemand kann mich besiegen. Ich werde mir deine Seele holen und sie…“ Balrak verstummte. Die Magierin hatte die Augen geschlossen und murmelte etwas vor sich hin. Ihren Stab hatte sie dem Dämon entgegengestreckt und das Schwert abwehrbereit erhoben. „Pentagramma Drudenfuß. Heb dich fort in Rauch und Ruß!“ Ein eiskalter Schauer lief Niam über den Rücken. Was auch immer die Frau vor hatte, es bereitete ihm Unbehagen. Der Geweihte wechselte einen flüchtigen Blick mit Ilkhold. Zweifel und Angst lagen auch in seinen Augen, die er aber, vergeblich, zu unterdrücken versuchte. Er hatte das Schwert wieder erhoben und stand abwartend da. Der Boden zu Füßen des Dämons begann plötzlich zu leuchten. Weißgoldene Linien entstanden und bildeten nach wenigen Herzschlägen die Form eines Pentagramms. Balrak fauchte wie ein waidwundes Tier und wollte aus dem Kreis treten. Er kam nicht weit, denn im nächsten Moment bildeten sich weißgoldene Ranken aus dem Pentagramm und umschlossen Arme und Beine des Dämons. Er wehrte sich und schlug nach den Trieben. Doch dort wo seine Klauen ein Band zerrissen, schossen zwei neue aus dem Boden. Die Ranken zogen ihn unerbittlich in das Pentagramm. Als er seine auswegslose Situation bemerkte, legten sich seine dunklen Augen auf die Magierin. „Memento mori, moribunda.*“ Niam konnte ein kurzes Aufflackern von Angst in den Augen der Dunkelhaarigen erkennen. Einen Herzschlag später festigte sich ihr Blick wieder und sie sah den Dämon trotzig an. „Non omnis moriar!*“ Ein letztes Mal stieß Balrak sein dumpfes Lachen aus, bevor er von den Ranken vollständig umschlugen und in das Pentagramm gezogen wurde. Zurück blieb nur der Gestank nach Schwefel und eine kleine, goldene Fuchsstatue. *********** Ich entschuldige mich im Vorraus für mein unglaublich schlechtes Latein... *: De profundis clamavi ad te, Nakartak. - Aus den Abgründen habe ich dich gerufen, Nakartak. Dominus iste aviditas - Herr der Gier Memento mori, moribunda - Bedenke dass du sterben musst, Sterblicher. Non omnis moriar - Ich werde nicht sterben. Epilog: Epilog -------------- Azina scharrte mürrisch mit dem Fuß in der Erde. Sie hatte drückende Kopfschmerzen und ihr Hals war so trocken wie die Khom selbst. Und das, obwohl sie zwei Krüge Heißes Wasser mit Kräutern zum Frühstück getrunken hatte. Bei Feqz, das nächste Mal würde sie auf ihren Gefährten hören. Noch dazu waren ihre Erinnerungen an den vergangenen Abend mehr als verschwommen. Bilder einer goldenen Gestalt schoben sich in ihre verworrenen Gedanken. Einer grotesken Kreatur, die von einem auf den anderen Moment wie ein Alveranier auf Dere ausgesehen hatte. Danach waren alle Erinnerungen verschwunden. Graue Schleier umwaberten diesen Teil ihrer Gedanken und ließen sich einfach nicht vertreiben. Mit Kopf- und Halsschmerzen war sie heute morgen aufgewacht, im Unklaren darüber wie genau sie auf ihre Schlafstatt gekommen war. Ein Bewegung an ihrer Seite ließ sie aufsehen. Rasul stand gesattelt da und kaute auf einem Büschel Stroh herum. „Na mein Großer.“ Die Tulamidin fuhr dem Hengst liebevoll über den Hals. Rasul quittierte die Streicheleinheit mit einem Blähen der Nüstern und rieb seinen großen Kopf an ihrer Brust. Die Schwarzhaarige lächelte. Wie unberechenbar eigensinnig Kamele doch sein konnten. Gestern noch der störrische Hengst und heute das schmusende Lämmchen. Mit einem Seufzen ließ sie ihren Blick über den Dorfplatz schweifen. Geschäftig liefen die Leute hin und her. Frauen sammelten Geschirr zusammen, Männer trugen Tische und Bänke zu einem Schuppen und die Kinder tollten munter zwischen den Erwachsenen. Doch nicht alle waren so erfreut über den neuen Tag. Azina sah mehr als einmal ängstliche Blicke, die die Dorfbewohner untereinander tauschten. Hatte das etwas mit dem gestrigen Abend zu tun? Die Tulamidin grübelte, konnte sich aber einfach nicht erinnern. Feqzverflucht, vermutlich war es doch etwas zuviel Alkohol gewesen. Ihr Blick blieb an einem Mann in grüner Kutte hängen, der am Rand des Platzes stand. Seine Gnaden Niam Peresen hatte ihr die Seite zugewandt und starrte vor sich hin. Azina wandte sich an Rasul. „Bleib hier stehen.“ Der Kamelhengst kaute ungerührt weiter und beachtete sie nicht. Die Tulamidin hatte nichts anderes erwartet und setzte sich in Bewegung. Die Praiosscheibe sandte bereits ihre wärmenden Strahlen auf Dere nieder. Azina schloss genießerisch die Augen. Es würde wohl noch einige Stunden dauern, bis sich die brütende Hitze des Sommers wieder über das Land legte. Für ihren Kopf waren die angenehmen Temperaturen des Morgens erträglicher. Noch bevor sie den Perainegeweihten erreichte, drehte er sich in ihre Richtung. Er hatte ihr Kommen wohl bemerkt. Als sie nun sein ganzes Gesicht sehen konnte, schrak sie unwillkürlich zusammen. Das rechte Auge und die Wange waren leicht angeschwollen und blau. Trotzdem lag ein freundliches Lächeln auf seinen Lippen als er ihr zunickte. „Guten Morgen.“ Azina war völlig perplex um sofort zu reagieren. Mit schreckgeweiteten Augen starrte sie auf die Wange des Geweihten. Nur langsam wurde sie wieder Herr über ihre Sinne. Innerlich schollt sie sich für ihre mangelnden Etikette. „Ich… Entschuldigt Euer Gnaden. Ich war nur überrascht das Ihr…“ Weiter kam sie nicht, denn Niam schüttelte lächelnd den Kopf. „Ihr seid nicht die erste, die mich heute Morgen so ansieht. Scheinbar habt Ihr wie die Anderen keine Erinnerung an den gestrigen Abend.“ Die Tulamidin nickte erst, schüttelte dann aber den Kopf. Woher wusste er das? „Ihr habt Recht. Deswegen wollte ich Euch aufsuchen. Vielleicht könnt Ihr die grauen Schwaden vertreiben, die sich über meine Erinnerungen gelegt haben.“ Sie räusperte sich und versuchte nicht auf seine Wange zu starren. Wer war nur so verrückt einen Geweihten zu schlagen? Niam nickte. „In der Tat, das kann ich. Das Fest zu Ehren der gütigen Göttin wurde durch eine Wesenheit gestört, die nicht auf Dere wandeln sollte.“ Azina sah erschrocken auf. „War sie aus Gold?“ „Ja, eine Perversion von Phexens heiligem Tier. Ihr erinnert Euch also auch daran.“ Der Geweihte rieb sich nachdenklich über das Kinn. Die Tulamidin wiegte den Kopf hin und her. „Nun ja, es ist mehr eine Ahnung. Ein vages Bild, das sich in meine Erinnerung gebrannt hat.“ Sie durchwühlte erneut ihre Gedanken. „Ich erinnere mich an Eure Worte. Ihr sagtet es sei ein Ifriit. Danach…“ Azina zuckte mit den Schultern. „… erinnere ich mich an nichts mehr.“ Wahrscheinlich war diese Erscheinung an den ängstlichen Blicken der Dorfbewohner schuld. „Ein Dämon. Er hatte Euch und den Anderen noch Anwesenden einen Bann auferlegt, den ich nicht brechen konnte.“ Er sah sie ernst an. Ein eiskalter Schauer fuhr der Schwarzhaarigen über den Rücken. Sie war Opfer eines Zaubers geworden und hatte es nicht einmal gemerkt. Ihre Beine fühlten sich plötzlich an wie Butter und ihre Kopfschmerzen waren verschwunden. Mit weit aufgerissenen Augen sah sie den Geweihten an. Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn daraufhin aber wieder. Niam sah sie besorgt an. „Ist alles in Ordnung?“ „Ja, natürlich.“ Ihr Stimme glich einem hohen Quieken und sie lief unstet einige Schritte hin und her. Der Geweihte sah ihr verwirrt dabei zu. Innerlich versuchte sie sich zu beruhigen. Der Bann lag schließlich nicht mehr auf ihr. Sie hatte es überstanden und keine Schäden davon getragen. Was wollte sie also mehr? Es vergingen etliche Herzschläge, bevor sie sich langsam beruhigte und Niam zuwandte. Sie atmete tief durch und rang sich sogar ein Lächeln ab. „Entschuldigt. Ich habe eine geradezu panische Angst vor Magie. Allein der Gedanke, das mich diese Kreatur mit einem Bann belegt hat…“ Azina ließ den Satz unvollendet und schüttelte sich angewidert. Der Geweihte sah sie mitfühlend an. „Ich verstehe. Ihr braucht Euch darüber jedoch keine Gedanken mehr zu machen. Die Kreatur wandelt nicht mehr auf Dere.“ Die Tulamidin seufzte erleichtert. „Feqz sei Dank.“ Ein Gedanke schob sich plötzlich in ihr Bewusstsein. „Wie kam dieser Ifriit überhaupt hier her? War diese feqzverfl… diese Schwarzmagierin daran schuld?“ Niams Gesicht nahm einen erstaunten Zug an. „Ihr habt sie gekannt?“ Azina schüttelte rasch den Kopf. „Bei Feqz, nein. Ich hatte einfach vermutet das sie etwas damit zu tun hat. Schließlich ist sie eine Magierin.“ Ihr Gegenüber zog zweifelnd eine Augenbraue nach oben. „Auch wenn ich Eure Vorurteile nicht gutheiße, so muss ich Euch doch recht geben. Sie hat den Dämon gerufen, ihn jedoch auch wieder gebannt.“ „Wusste ich es doch. Wird sie nun ihrer gerechten Strafe zugeführt?“ Hämisch lächelnd rieb sie ihre Handflächen aneinander. „Wenn wir wüssten wo sie ist, würde sie vermutlich schon in einer Zelle auf ihre Verurteilung warten.“ Niam seufzte. Er rieb sich kurz über die Augen bevor er weiter sprach. Erst jetzt fiel Azina auf wie übermüdet der Geweihte wirkte. „Nachdem der Dämon verschwunden war, wollte Weibel Ilkhold sie festsetzen. Doch von einem auf den anderen Moment war sie spurlos verschwunden. Ich glaube mich zu erinnern, das sie genickt hat bevor sie sich in Luft auflöste.“ Er machte eine wegwerfende Geste. „Der Weibel hat heute morgen einen seiner Männer zum Baron geschickt. Sie wird nicht weit kommen, sobald ihr Steckbrief im ganzen Mittelreich verteilt ist und die Praiosgeweihten sie suchen.“ Azina nickte. In der Haut der Magierin mochte sie jetzt nicht stecken. Die Tulamidin hob den Kopf und überprüfte den Stand der Praiosscheibe. Es wurde langsam Zeit um aufzubrechen. „Ich danke Euch für die erklärenden Worte, Euer Gnaden. Ihr konntet mir zumindest einen kleinen Teil meiner Erinnerung wiedergeben.“ Sie verbeugte sich lächelnd. „Falls mir diese Magierin auf meinen Reisen begegnen sollte, so wisset das ich mein möglichstes tun werde sie zur Strecke zu bringen.“ Niam lächelte und neigte sein Haupt. „Ich danke Euch ebenso. Peraines Segen möge auf Euren Reisen mit Euch sein.“ Azina verbeugte sich erneut und wandte sich um. Ihre Füße trugen sie wie von selbst zu Rasul, während sich das Bild der goldenen Kreatur wieder in ihren Kopf schob. Gedankenverloren blieb sie vor dem Kamelhengst stehen und fuhr ihm über den Hals. Im Nachhinein war sie froh, sich an fast nichts mehr erinnern zu können. Die Erkenntnis, Opfer eines Zaubers gewesen zu sein, setzte ihr schon genug zu. Vielleicht hatte der Geweihte auch nicht alles erzählt. Ein Wiehern lenkte ihre Aufmerksamkeit auf eine Gruppe Reisender. Vier Menschen auf großen, edlen Kaltblütern ritten zum Dorfplatz. Ihnen folgte ein Zwerg auf einem genauso edlen Pony. Niam sowie einige Dörfler liefen ihnen freudig entgegen. „Azina!“ Sieghelms Stimme ließ sie aufschauen. Der junge Garether kam freudestrahlend auf sie zugelaufen. Seinen abgewetzten Lederrucksack hatte er sich über die Schulter geworfen und das Rapier angelegt. Die Tulamidin lächelte ihm entgegen, sagte jedoch nichts. Scheinbar hatte er keine Erinnerung an den vergangenen Abend. Auch gut. „Bereit für die Weiterreise und zu neuen heldenhaften Taten?“ Sieghelm trat unternehmungslustig von einem Bein auf das andere. Sie lachte auf. „Ja. Du kannst es gar nicht erwarten wieder in deine Heimatstadt zu kommen, oder?“ Der Blonde nickte grinsend. Azina umfasste Rasuls Führstrick und verließ mit Sieghelm das Dorf in Richtung Firun. ~~~~~~~~~ So, fertig. :) Ich danke im Voraus für Kommis! Hosted by Animexx e.V. 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