Maleficia von Mayiva (Build up castles in the sky and in the sand) ================================================================================ Kapitel 1: Verberge deine Angst... ---------------------------------- ... der Stolz ist dein Schild. Eine kräftige Kinderstimme scholl aufs Höchste erzürnt durch das gesamte Herrenhaus. „Ich verfluche den Tag, an dem dieses Gör das Licht der Welt erblickte.“, knurrte der dunkle Adelige und fing sich sofort einen bitterbösen Blick von seiner Frau ein. „Sie weiß, was sie will. Das kann ich von dir nicht gerade behaupten.“, erwiderte die ungewöhnlich zart gebaute Dunkelelfe mit angenehm tief klingender Stimme, dann erhob sie sich aus ihrem Sessel und verließ das Kaminzimmer, um die eng gewundene Wendeltreppe ins zweite Stockwerk hinauf zu stolzieren. Ihr Gang war grazil und es sah beinahe so aus, als würde sie über den Boden gleiten, dabei drückte er gleichzeitig einen tief verwurzelten Stolz aus. Niemand ahnte zu dem Zeitpunkt, wie ähnlich „dieses Gör“ seiner Mutter noch werden würde. Selbst die Stimme und die Zartheit würde es zu Hundertprozent übernehmen. Die ahnungslose Dunkle sah schon von weitem das Chaos, das sich auf dem Flur vor dem Zimmer ihrer Tochter ausbreitete. Die Tür stand sperrangelweit offen und zwischen achtlos hingeworfenen Kleidungsstücken lagen Scherben von zerbrochenem Porzellan. Eine farblose Flüssigkeit hatte sich zudem über den kalten Steinboden ausgebreitet. Als sie auf ihren hohen Hackenschuhen über das Durcheinander hinweg stiefelte und das Zimmer ihrer Kleinen betrat, fiel ihr der umgeworfene Waschzuber auf, in dem die menschliche Magd wohl probiert hatte, sie zu baden. „Was ist hier geschehen?“, herrschte sie das völlig verängstigte Kindermädchen an, das ihre sechsjährige Tochter verzweifelt versuchte am Arm festzuhalten, damit diese nicht mit ihren dürren Beinchen davonrannte. Kratz- und Bissspuren übersäten die nackten Arme der Frau. „Sie möchte nicht baden, ehe ich ihr…“ Die Magd brach ab und gab einen erstickten Schmerzenslaut von sich, als die kleine Dunkle den unachtsamen Moment ausnutzte und ihr mit aller Kraft in die Finger biss. „Maleficia!“, herrschte die Adelige ihre Tochter an. „So etwas nimmt man doch nicht in den Mund!“ Sie eilte auf die Kleine zu, packte sie grob am Oberarm und zerrte sie von der Magd fort, die mit schmerzverzerrtem Gesicht ihre blutenden Finger umfasste. „Was bei Shilen ist denn nun das Problem?!“, schrie sie das völlig verstörte Kindermädchen an. „Sie möchte nicht baden, ehe ich ihr nicht verspreche, dass sie ihr Lieblingskleid anziehen darf.“, erklärte diese mit zitternder Stimme. „Und?!“ „Das Kleid ist gestern Abend erst gewaschen worden und heute noch nicht ganz trocken.“ „Dann sieh zu, dass es trocken wird! Hier läuft wohl etwas gewaltig schief, wenn mein Schätzchen nicht einmal mehr das bekommt, was es anziehen will!“, fauchte die Adelige. „Soll sie sich unwohl fühlen, wenn ihre Großeltern vorbei kommen?!“ „N-nein.“, stammelte die Magd und senkte den Kopf, um ihre Tränen zu verbergen. „Ich eile, Milady.“ Und damit hastete sie aus dem Zimmer. Die besorgte Mutter kniete vor ihrer Tochter hin und blickte in das verweinte Kindergesicht, das schon jetzt versprach, überirdisch schön zu werden. „Möchtest du eine andere Kammerzofe, mein Liebling?“ Doch Maleficia kam nicht dazu, etwas zu erwidern, denn eine Männerstimme antwortete anstelle ihrer. „Wir können es uns nicht leisten, das nächste Mädchen zu verlieren, sonst finden wir bald keinen mehr, der uns eine Magd verkauft.“ Die Dunkle fuhr herum und blickte ihren Mann entrüstet an. „Dann mach dich auf und fang selber eine.“, wies sie ihn an. „So schwer kann es doch wohl nicht sein, wenn selbst diese Stümper von unseren Nachbarn das hinbekommen.“ Der Hausherr presste die Lippen fest zusammen und seine Frau wusste, dass sie ihn bereits wieder soweit hatte, dass er selbst dieser unsinnigen Anweisung Folge leisten würde, schon alleine um nicht schlechter als ihre verhassten Nachbarn dazustehen. Der Blick ihrer gemeinsamen Tochter durchbohrte ihn wie ein Dolch und er machte auf dem Absatz kehrt und verschwand aus ihrem Gesichtsfeld. „Ich will keine neue.“, schmollte Maleficia, als die Schritte ihres Vaters auf dem Flur verklungen waren. Ihre Mutter drehte sich wieder zu ihr um und strich ihr die Tränen von der Wange. „Verstehe. Alles was du möchtest, mein kleiner Spatz.“ Maleficias kleiner Puppenmund verzog sich zu einem vorsichtigen Lächeln und ihre Mutter beschloss, dass es an der Zeit war, das Mädchen in die Kunst des Schminkens einzuweisen. Kapitel 2: ----------- Die Jahre zogen ins Land und aus dem kleinen Trotzkopf wurde eine berechnende, junge Dame von zwanzig Jahren. Nur – wo stand sie heute? An der Spitze eines Imperiums, in ihrem Gefolge unzählige Untergebene und an ihrer Seite ein treu ergebener Ehemann? Dort gewiss nicht, denn das Schicksal hatte der Adelsfamilie einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht. Mit einem Schlag hatte sie alles verloren. Ihr Ansehen, ihr Vermögen - ihre Macht. Maleficia hatte als einzige den Anschlag auf ihre Familie überlebt und war nun gezwungen, mit einer Gruppe umherziehender Dunkelelfen durch die Lande zu streifen. Sie kochte für sie, reinigte ihre Rüstungen und war bald einem der jungen Assassine versprochen. Sie stand in der Hierarchie der Wanderer sehr weit unten und musste sich zum ersten Mal in ihrem Leben jemandem beugen. Die größte Schmach war die Tatsache, dass es Männer waren, die über sie befehligten, aber Maleficia war intelligent genug, um sich nicht selber zu zerstören, indem sie aufsässig wurde. Ja, die Schläue und Gerissenheit hatte sie von ihrer Mutter geerbt, ebenso der unzerstörbare Wille, der sie immer weiter voran trieb, obwohl das Leben es ihr nicht gerade einfach gemacht hatte. Sie wusste, dass der einzige Weg aus dieser Schande, in der sie nun leben musste, das Abwarten und Beobachten war. Geduld war keine Tugend, die ihre Mutter sie gelehrt hatte, nein, durchaus nicht, es war bloß das notwendige Übel, dass eine Gruppe von Räubern ihr aufgezwungen hatte. Noch heute, fast fünf Jahre nach dem Überfall, träumte sie von dieser schrecklichen Nacht, in der die furchtbaren Gestalten in die Villa eingedrungen waren und alles von Wert an sich gerissen hatten. Ihre Eltern und die Bediensteten waren in dem verzweifelten Versuch, ihr Hab und Gut zu beschützen, umgekommen. Die Flammen, die die Brandschatzenden gelegt hatten, fraßen an Maleficias Herz. Die Silhouette ihrer Mutter, die plötzlich in grellem Orange und Rot aufloderte. Die Schmerzensschreie und dazwischen ihr Name, von Leid und Liebe durchzogen. Ihre Mutter hatte ihren letzten Atemzug darauf verwendet, ihrer Tochter ein Erbe aufzuerlegen, das aus beinahe Nichts bestand, aber deshalb nur umso schwerer wog. Sie war die letzte Überlebende ihrer Familie, ein stolzer Sprössling, in dessen Adern blaues Blut, so dunkel wie Tinte, floss. Wie sie aus dem brennenden Haus geflohen war, das wusste sie heute nicht mehr, aber sie hatte ein Gesicht gesehen, als sie sich hinter den Baum geduckt hatte. Das Gesicht eines Dunklen, das eines ihrer Rasse. Ein Deserteur, ein Söldner, der für Geld sogar die seiner Art ins Verderben stürzte. Ihm waren ein Ork, zwei Zwerginnen und eine Frau gefolgt. Was für ein vermaledeiter Trupp, bunt zusammengewürfelt und einzig durch die Gier nach Reichtum zusammengehalten. Sie hörte sich selber noch heute wispern, die Stimme dunkel und rau vor Schmerz. „Mörder...“ Der Dunkle hatte kurz den Kopf gewandt, als hätte er über dem Prasseln der Flammen ihre vor Hass bebende Stimme gehört, aber Maleficia war mit ihrem schwarzen Haar und der gräulich-blauen Haut in den tiefen Schatten des Waldes unsichtbar gewesen. Der Ork hatte ein ungeduldiges Schauben von sich gegeben und keine zwei Sekunden später waren sie in der Nacht verschwunden wie ein übler Traum. Nur die Villa, die sich in ein brüllendes Inferno verwandelt hatte, blieb. Und das Gefühl, verloren zu haben. Tage später hatten die Wanderer sie aufgelesen und bei sich aufgenommen. Seitdem durchstreifte sie mit ihnen die Lande, in der irrsinnigen Hoffnung, den Trupp zu treffen, der ihr all das angetan hatte, aber bisher hatte sie das Gesicht dieses Dunklen noch nicht wiedererkannt. Dafür traf sie auf einen anderen Dunkelelfen, der sie unbewusst zum Mörder ihrer Familie führen würde. Es war kein schöner Tag, als Maleficia diesem besagten Dunklen zum ersten Mal begegnete. Der Regen fiel wie ein schwerer, grauer Schleier vom Himmel und machte das Atmen schwer, ihre schmalen Finger waren wund und bluteten stellenweise, weil sie mit viel Mühe im eiskalten Wasser eines kleinen Baches die Wäsche gesäubert hatte, und der Assassine, dem sie versprochen worden war, hatte sie zum Abendessen in sein Zelt eingeladen. Sie wollte ihn nicht sehen, diesen jungen Trottel, der gerade junge achtzehn Jahre zählte und sie schon daran erinnerte, welch Sklaverei auf sie zukam. Sie kochte, putzte, machte und tat, aber sie würde es niemals für ihren Mann machen. Niemals. Für alle Männer der Welt, die ihr das Überleben und die Freiheit schenkten, aber niemals für ihren Ehegatten. Das hatte ihre Mutter ihr eingeflößt wie Honig. Beuge dich niemals deinem Mann, denn er steht stets unter dir. Bist du erst in einem Ehebund gefangen, dann hüte dich davor, die Macht abzugeben. Das hat schon so vielen Frauen, die ich kannte, das Leben gekostet. Ja, so hatte ihre Mutter es ihr eingebläut und Maleficia wäre nicht mal im Traum auf die Idee gekommen, dass es jemals anders sein würde. Doch der Kodex der Dunklen schien unter Wanderern nichts wert zu sein. Ihre Finger krallten sich so fest in den Korb, in dem sie die Wäsche zurück zum Lager trug, dass das Geflecht aus Stroh zersprang und aufdröselte, wie ein schlecht genähter Schal, und ihr die frisch gewaschene Kleidung auf den vom Regen aufgeweichten, schlammigen Boden fiel. Mit einem zornigen Fluchen schmiss sie die Überreste des Korbes hinterher und stand minutenlang mit zu Fäusten geballten Händen da, verzweifelt nach Luft ringend, denn die Wut drückte ihr die Kehle und die Brust zu. Der Regen lief ihr in Strömen übers Gesicht und ließ ihre schwarzen Haare schwer und strähnig werden, kühlte aber gleichzeitig ihre erhitzte Stirn, hinter der die Gedanken fieberhaft rasten. Als sie endlich ihre Umgebung wieder klar wahrnehmen konnte, war es allerdings schon zu spät. „Benötigt Ihr Hilfe?“ Einfache Worte, doch sie taten weh - und klangen im selben Moment so wunderbar. Ein Dunkler mit schneeweißem Haar, das der Regen strähnig sein Gesicht rahmen ließ, hatte sie gesprochen. Der Blick seiner graublauen Augen haftete durchaus neugierig an ihrer Gestalt, während seine Finger auf das Chaos zu Maleficias Füßen deuteten. Seine andere Hand aber verbarg etwas hinter seinem Rücken. Maleficia erwiderte seinen Blick und war froh über die Regentropfen, denn so sah er nicht die Tränen, die seit fünf Jahren niemand mehr zu Gesicht bekommen hatte. „Der Korb hat sich in Wohlgefallen aufgelöst.“, erwiderte sie. „Ihr könntet die Sachen zum Fluss tragen.“ Wie gefasst und kalt ihre Stimme klang. An ihr war eine Schauspielerin verloren gegangen. Der Dunkle musterte sie noch einen Moment, dann schien er den Gegenstand, den er hinter seinem Rücken hielt, unter den Gürtel zu schieben und beugte sich zu der erneut dreckigen Kleidung hinab, um sie aufzulesen. Maleficia blickte ihm sekundenlang zu, dann beschloss sie, dass es wohl besser war, seine Hilfsbereitschaft nicht überzustrapazieren und hob ebenfalls einen Teil der Sachen auf. Warum half er ihr? Wollte er sie bestehlen oder Schlimmeres? Seine Gesichtszüge aber strahlten eine Ruhe aus, die all diese Vermutungen zunichte machte. Er folgte ihr zum Fluss hinab und war ihr sogar noch dabei behilflich, die Kleidung auf den Steinen auszubreiten, sodass sie sie einzeln ins Wasser halten und sauber reiben konnte. Bis auf ein paar Anweisungen, die sie ihm gab, herrschte Schweigen zwischen ihnen. Oh, was tat es ihrem Herzen gut, dass dieser Mann ihren Direktiven Folge leistete. „Ist der Weg zu Eurem Dorf lang?“, erkundigte er sich, als Maleficia das letzte, endlich wieder saubere Kleidungsstück zu den anderen legte. Sie betrachtete ihn mit leichter Skepsis, aber da sie trotz der vielen, vielen Seitenblicke, die sie ihm während der letzten halben Stunde zugeworfen hatte, nichts Misstrauen erregendes an ihm entdeckt hatte, beschloss sie, dass sie ruhig ehrlich zu ihm sein konnte. „Wir lagern nicht sehr weit von hier. Etwa eine viertel Stunde Fußmarsch den Pfad entlang, auf dem ich Euch traf. Ich wohne in keinem der umliegenden Dörfer.“, antwortete sie ihm. „Verstehe.“ Er schien einen Augenblick zu überlegen, dann griff er hinter sich und zog aus dem Gürtel, was er vorher dort so sorgsam versteckt hatte. Ein in blutrotem Samt eingeschlagener Gegenstand kam zum Vorschein, den er mit bedächtigen Bewegungen auswickelte. Sein Blick bekam etwas Verschwörerisches, als er Maleficia ansah und den Zeigefinger an die Lippen legte. Die Dunkle nickte, begierig zu erfahren, was so Geheimnisvolles an dem Gegenstand war. Etwas Goldenes kam zum Vorschein, nicht sonderlich groß, vielleicht in etwa wie ihr Handteller, ungefähr genauso flach und dabei kreisrund. Grazile Zeichen waren in die Oberfläche eines verschlungenen Reliefs geritzt und es dauerte einen Moment, bis sie realisierte, was dieses Stück angelaufenen Golds war. Sie musste sich beherrschen, um nicht heftig nach Luft zu schnappen... Kapitel 3: ----------- Fünf Jahre und sie erkannte das Amulett ihres Vaters, als sei es erst gestern gewesen, dass er sich über sie gebeugt hatte und der schwere Anhänger aus massivem Gold dabei aus seinem Ausschnitt rutschte und über ihr baumelte. Sie versuchte ruhig zu bleiben und blickte dem Dunklen geradewegs in die Augen. „Woher habt Ihr das? Es sieht wertvoll aus.“ „Oh, es ist ein Wiedersehensgeschenk sozusagen.“ Seine Augen blitzten. „Ihr wisst nicht zufällig, was das ist?“ Sie überlegte fieberhaft. Er war definitiv nicht der Dunkle, der die Bande aus Räubern angeführt hatte, also hatte er mit dem Überfall wohl auch nichts zu tun. Einige Sekunden zögerte sie noch, dann antwortete sie. „Das ist das Emblem eines Drachen. Ich hörte, dass es einst einer Adelsfamilie gehörte, es ihr aber gestohlen wurde. Es wurde viel darüber gemunkelt, aber die wenigsten wissen, was man damit anstellen kann.“, erklärte sie und musste sich zwingen, den Blick von dem Amulett loszureißen. „Damit kann man den Wind beherrschen.“ Irgendein Urahn in ihrer Familie hatte es einem Drachen entwendet. Ihr Vater hatte damit die Macht des Windes zum Kämpfen nutzen können, obwohl er nicht mit sonderlich starken Magiefähigkeiten geboren war. „Es verleiht einem magische Kräfte...“, schlussfolgerte er. „Ob mein Baron es zurückverlangt, wenn er das erfährt?“ Er lächelte seicht. „Redet Ihr von einem Zwerg?“ Sie lächelte. „Nein, nein. Auch Dunkle können gierig sein.“ Er ging auf das Spiel ein. „Speziell die mit roten Haaren.“, erwiderte sie daraufhin. „Er besitzt schwarzes Haar, aber er hat es mir als Willkommensgruß geschenkt, er wird es wohl kaum wiederhaben wollen.“, lächelte der Dunkle so unschuldig, als würde in seinem Geist kein einziger schlechter Wesenszug wohnen. Ein Dunkler mit schwarzen Haaren... Vor Maleficias Augen erschien ein Gesicht, das tosende Flammen in glutrotes Licht tauchten, während die Schwärze eines nächtlichen Waldes es kurze Zeit später verschlang. Er musste es sein. Niemand sonst besaß dieses Emblem, was einer ihrer Urahnen einst einem Drachen entrungen hatte. Sie erhob sich. „Als Willkommensgruß?“ „Ja, ich war viele, viele Jahre fort.“, erwiderte er ausweichend und erhob sich ebenfalls, nachdem er das Emblem wieder in das Samttuch geschlagen hatte. Maleficia überlegte eilig. Sie musste mit ihm gehen, koste es, was es wolle. Beinahe zaghaft machte sie einen Schritt auf ihn zu. Nun kam es darauf an. Alles oder nichts. Der Blick aus seinen Augen war so unschuldig, wie der Blick eines Dunklen nur sein konnte, doch sie spürte, dass dahinter etwas brodelte, was er selbst vor dem genauen Betrachter sehr gut verbergen konnte. „Dürfte ich wohl Euren Namen erfahren?“, flüsterte sie und schaute zu ihm hoch. Wie lange war es wohl her, dass eine Frau ihn so angesehen hatte? Hoffentlich länger als nur ein paar Stunden. „Sandokan.“, antwortete er einfach. Sie konnte nicht in seinem Gesicht lesen, was er nun dachte. Es war so verschlossen und rein, als würde der Regen jegliche Emotion fortspülen. „Sandokan...“ Sie ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. Er klang so seltsam weich, weicher als alle Namen, die sie gehört hatte. Sie wusste nicht so Recht, ob er ihr gefallen sollte oder nicht, sie wusste nur, dass sie bloß diese eine Chance hatte. Und so machte sie einen weiteren schnellen Schritt auf ihn zu, legte die Arme um seinen Hals und zog sich auf ihre Zehenspitzen, zu ihm hinauf, um seine Lippen mit den eigenen zu versiegeln. Nein, es war ihr vielleicht nicht möglich, in seinem Gesicht zu lesen, aber sie spürte dafür umso deutlicher an seiner Reaktion, worüber sie sich eben noch nicht sicher gewesen war. Mit einer heftigen Bewegung schlang er die kräftigen Arme um sie und drückte ihren Körper so fest gegen seinen, dass sie kaum Luft bekam. Sie hatte gewonnen. Und im selben Moment verloren, aber das merkte sie erst, als er ein paar Zentimeter vor ihr zurückwich und ihr eine Strähne aus der Stirn strich. Sie hatte es genossen. Sie hatte das hier tatsächlich genossen. Sie biss sich auf die Unterlippe. Ihr rastloser Blick tastete über sein Gesicht, versuchte jede Einzelheit mit aller Deutlichkeit wahrzunehmen und in ihrem Kopf abzuspeichern - die hohen Wangenknochen, die nass glänzten, die scharf geschnittenen Augenbrauen, die vollen Lippen, die noch halb geöffnet waren und leicht zu beben schienen, die gerade Nase, die Augen, so klar wie ein Gebirgsfluss... Er begann auf einmal zu lächeln. „Das Amulett werdet Ihr trotzdem nicht bekommen, das ist Euch doch wohl klar.“ Maleficia schüttelte hastig den Kopf. „Ich will das dumme Ding gar nicht, ich möchte nur nicht zurück zu diesen Wanderern.“ „Wanderer? Ihr meint den Trupp der Assassine?“ „Meinetwegen auch Assassine, nennt sie wie Ihr wollt, ich will nur nicht weiter mit ihnen ziehen.“ Sie blickte so flehend zu ihm hoch, wie sie konnte – und oh, sie konnte sehr flehend schauen, dazu brauchte sie nicht einmal großartig schauspielern. „Was genau erhofft Ihr Euch von mir?“, antwortet er leicht amüsiert, wofür sie ihn am liebsten geschlagen hätte, aber sie beherrschte sich. Sie wollte diesen Dunklen finden und ihn zerstören. „Freiheit.“ Sie legte in dieses geflüsterte Wort all den Hass auf ihr Leben, und das amüsierte Funkeln schwand aus Sandokans Augen, als würden sich plötzlich Wolken auf klarem Wasser spiegeln. „Freiheit findest du bei Söldnern sicherlich mehr als bei einem Haufen Assassine, die sich am liebsten gegenseitig erdolchen würden. Aber das Leben ist nicht leichter bei uns.“ Ihr Blick saugte sich an seinen Lippen fest. Wieso wollte sie ihn eben noch schlagen? Ihn zu küssen wäre doch eigentlich schöner... Als wenn er ihre Gedanken las, beugte er sich auf einmal zu ihr herunter und küsste sie, weniger stürmisch als vor ein paar Minuten, aber nicht minder fordernd. Ja, es war definitiv länger als nur ein paar Stunden her, dass eine Frau ihn so angesehen hatte, beantwortete sie sich ihre Frage von vorhin selber. Diesmal war sie es, die sich von ihm löste, denn sie merkte an der Art, wie seine Finger ihren Rücken hinab tasteten, dass er sich mehr erhoffte. Letzten Endes war er eben doch nur ein Mann, aber an genau dem Punkt konnte sie perfekt ansetzen. „Wenn Ihr mich von diesen Meuchelmördern erlöst, erfülle ich Euch einen Wunsch.“ Ihre schmalen Hände glitten über seinen Nacken und sie konnte nahezu dabei zusehen, wie seine Zweifel brachen. „Zerstört das Lager, nehmt Euch, was Ihr wollt, nur lasst mir mein Eigentum und meine Freiheit.“ Und er ging darauf ein. Der Söldnertrupp, der sich selber Bund der Drachen nannte, vertrieb die Assassine mit Leichtigkeit, nahm deren Schätze an sich und Maleficia bei sich auf, aber erst am Ende des Tages bekam sie den Mann zu sehen, dem sie schon eine halbe Ewigkeit, wie es ihr schien, entgegenfieberte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)