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Eragon - Kind des Mondes

Murtagh x OC
von

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Erinnerung

Der Himmel war von Rauch geschwärzt. Nirgendwo blitzte ein Stück des Firmaments hindurch. Die Wolke, die das Himmelszelt verdeckte, war so dicht, dass man nicht erkennen konnte, ob es Tag oder Nacht war. Hier herrschte ewige Finsternis.

Trotzdem wusste sie genau, dass es Mittag war. Sie hatte die Stunden gezählt, die seit dem Angriff vergangen waren. Es musste einfach Mittag sein!! Mit leeren Augen schaute sie sich um. Das Einzige, was von dem großen Dorf noch übrig war, waren brennende Ruinen, gefertigt aus Holz und deswegen schnell vom Feuer verschlungen. Das Feuer, das ihr ihre Heimat nahm.

Ab und zu sah man Leichen auf dem Boden liegen, regungslos und grauenvoll anzusehen. Trotz ihres Widerwillens sah sie sich jede genau an. Vielleicht würde sie auf diese Weise ihre Familie wiederfinden. Wenn auch nur im Tod. Nur wenige hatten den Überfall überlebt, der so plötzlich kam, dass sich niemand mehr rechtzeitig bewaffnen konnte. Überlebende wurden verschleppt, in ein fernes Land, dessen Namen sie noch nie gehört oder gelesen hatte. Nicht mal die wenigen Geschichtenerzähler, die sie noch lebend vorfand, konnten ihr von diesem Land erzählen. Sie kannten keine Legenden darüber.

Inzwischen hatte sie sich vor Erschöpfung neben ein brennendes Haus setzen müssen. Die Luft zu atmen war schwer, da sie von Rauch geschwängert war und zum Husten anregte. Außerdem hatte sie Verbrennungen am ganzen Leib, die schmerzten und ihr ihre Kraft entzogen. Wie konnte es auch anders sein, wo sie sich doch aus einem in Flammen stehenden Haus gerettet hatte. Und nun hoffte, dass ihren Eltern und ihrem Bruder dasselbe gelungen war. Doch auch diese letzte Hoffnung schwand langsam.

Anscheinend musste sie sich damit abfinden, dass sie von nun an eine Waise war, dazu verdammt, allein auf der Welt zu sein. Ihr Gesicht war braungebrannt, doch durch den dichten Aschefilm, der ihre gesamte Haut bedeckte, konnte man die Farbe nur erahnen.

„Hier ist noch eine Überlebende!!“, schrie ein Soldat, wie sie erkannte, als sie erschrocken aufblickte. Ihre ebenholzschwarzen Haare reflektierten geisterhaft das Glühen des Feuers, das in ihrem Rücken wütete. Man hatte sie gefunden. Grob wurde sie an einem Arm gepackt, ihr wurden die Hände auf den Rücken gedreht und gefesselt, damit sie nicht die Chance hatte, sich zu wehren oder gar selbst umzubringen. Das wäre wenigstens ein ehrenhafter Tod. Auch wenn sie bezweifelte, dass es so etwas überhaupt gab. Ehrenhaft sterben… Der Tod war immer eine Erniedrigung, denn man hatte eine Niederlage erlitten und keinen Ausweg mehr gewusst. Man hatte das Kämpfen aufgegeben.

„Sachte mit diesem Mädchen!“, rief ein anderer Mann, der in teure Stoffe gehüllt war. Mit kalten Augen und einem unheilverheißenden Lächeln auf den Lippen musterte er sie. „Versorgt ihre Wunden und sorgt dafür, dass sie unversehrt nach Alagaësia kommt!“, befahl er und wandte sich dann von ihr ab. Alagaësia, das verfluchte Land, dessen Armee sie ihres Zuhauses beraubt hatte. Das Letzte, was sie wahrnahm, war ein explodierender Schmerz in ihrem Kopf, dann wurde es um sie herum so schwarz wie der Himmel über Cyrianna.
 

Araya riss die Augen auf, doch die Dunkelheit blieb. Sie atmete schnell und unregelmäßig, ihr Keuchen hallte durch den steinernen Raum, der keinerlei Fenster hatte. Hier war es immer Nacht. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war. Auch wusste sie nicht, wie lange sie nun eigentlich in diesem ihr so verhassten Land war. Die Zeit schien ihr zäh durch die Finger zu rinnen und doch folgte Tag auf Tag, Nacht auf Nacht so schnell aufeinander, dass sie nicht in der Lage war, auch nur zu sagen, welche Jahreszeit sie hatten. Hier unten hatte man nicht den geringsten Kontakt zur Außenwelt.

Langsam und schleichend beruhigte sich ihre Atmung wieder. Sie sah sich in ihrer Zelle um, versuchte es zumindest, denn eigentlich sah man rein gar nichts. Trotzdem wusste sie genau, wo die Tür war, ebenso genau, wie sie wusste, dass sie fest verschlossen war. Am Anfang hatte ihr ihre Platzangst große Probleme bereitet. Sie hatte geschrien, geweint und gefleht, doch irgendwann schien auch ihre von Angst gepeinigte Seele begriffen zu haben, dass weder die Wände noch die Decke sie erschlagen würden, nur weil es keinen ihr offenstehenden Ausgang gab.

An die Stelle dieser quälenden Panik war jedoch etwas Neues getreten. Sie konnte es nicht mehr ertragen, von einem anderen Menschen berührt zu werden. Jedesmal schien es ihr, als würden ihr alle Gliedmaßen einzeln herausgerissen werden. Allerdings hatte sie mit diesem neuen Widerstand ihres Körpers noch keine Erfahrungen. Denn seit sie hier gelandet war, hatte sie nur einer berührt, und das auch nur, um scheinbar etwas zu suchen.

Dabei suchte derjenige nicht mit seinen Händen, er schien ihr einfach nur die Finger an die Schläfen zu legen und abzuwarten. Erst hatte Araya den Sinn des Ganzen nicht verstanden, doch eines Tages verspürte sie ein dumpfes Pochen in ihrem Kopf. Es war penetrant, unangenehm und nervenaufreibend, jedoch nicht schmerzhaft. Und es kam immer nur, wenn dieser Mann bei ihr war.

»Galbatorix« hatte er sich genannt. Und er kam jeden Tag. Zu Beginn ihrer persönlichen Odyssee hatte Araya nur wenig von dem verstanden, was er ihr ins Gesicht brüllte, doch nach und nach hatte sie die hier gebrauchte Sprache gelernt. Allerdings ließ sie es sich nicht anmerken. Immer, wenn Galbatorix eine Kerze mit hinunter brachte, ihr Fragen stellte und das dumpfe Gefühl in ihrem Verstand ihr dabei auf die Nerven ging, schaute sie arglos drein und sagte kein Wort. Er musste glauben, sie verstehe ihn immer noch nicht.

Körperlich hatte er sie noch nicht mehr angerührt, als ihr über die Schläfen zu fahren. Aber Araya wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis er die Geduld verlor. Und ein paar Mal hatte er bei seinen täglichen Besuchen fremdartige Worte vor sich hingemurmelt, die für sie keinen Sinn ergaben. Und jedesmal, wenn nichts geschah, wurde er wütender. Es schien fast so, als suche er nach einer Art Bezeichnung für sie in einer anderen Sprache.

Die Sprache des Entführers hatte sie durch Zuhören gelernt. Eines Tages schien es Araya, als würden die dicken Steinwände keine Geräusche mehr fernhalten und vieles drang an ihr Ohr. Und durch dieses ganz besondere Hören konnte sie die Worte verstehen, ohne ihre Bedeutung zu kennen. Die Gefühle und Bilder, die mit ihnen kamen, waren so anschaulich, dass sie einer Unterhaltung folgen konnte, ohne auch nur ein gesprochenes Wort zu verstehen. Das funktionierte jedoch nicht bei allen anderen Gefangenen. Manche spürte sie zwar durch die Wände hindurch, konnte sie jedoch nicht hören. Meistens sah sie dann die Wand ihrer Zelle vor sich, ganz plötzlich, wie aus dem Nichts aufgetaucht. Doch sie fühlte die Wärme, die von diesen Menschen ausging und wusste daher, dass sie da waren.

Mit einem durchdringenden Quietschen öffnete sich die Tür ihrer Zelle. In Erwartung, Galbatorix hereinkommen zu sehen, hob Araya neugierig den Kopf. Doch die Wärme, die ihr entgegenschlug, war nicht die des Tyrannen. Sie war anders, wärmer, sanfter. Galbatorix‘ Anwesenheit war durchdringend, kalt und unangenehm. Doch er wartete vor der Tür, konnte jedoch durch die perfekte Schallisolierung wahrscheinlich nichts mit anhören. Doch am seltsamsten war die immer noch an währende Dunkelheit.

Unsichere Schritte hallten durch die Dunkelheit. Langsam erhob Araya sich, immer darauf vorbereitet, sich wieder auf den Boden zu werfen, sollte sich der neue Besucher als Gefahr herausstellen. Ein kleines Feuer flammte auf und rief ihr das Inferno in Cyrianna wieder ins Gedächtnis. Dunkle Augen blitzten ihr neugierig entgegen, erhellt von einer Kerze. „Wer bist du?“, fragte Araya misstrauisch.

Dunkelheit

Der Fremde musterte sie unverhohlen und hob eine Augenbraue. „Ich denke nicht, dass es dir zusteht, mich das zu fragen. Sag mir, wie du heißt!“, verlangte er wie selbstverständlich und stellte die Kerze auf den Boden, um beide Hände freizuhaben. Araya heftete ihre dunkelgrünen Augen auf sein Gesicht und schnitt eine spöttische Grimasse. „Jemandem, der in Ketten liegt, wird nicht gerade unbedingte Autorität zuteil. Wenn du fragst, sag ich dir meinen Namen vielleicht“, erwiderte sie. Was sie verschwieg, war, dass sie durchaus auch noch etwas anderes sah. Ein schmales, aber doch starkes Band, über das die Ketten zusätzlich auf ein anderes Wesen übertragen wurden. Doch wer oder was ging mit einem Menschen eine derart innige Bindung ein?

Wütend verzog der junge Mann das Gesicht und trat drohend einen Schritt näher. Sein ganzer Körper war angespannt und selbst durch seine Kleidung, die aus Stiefeln, einer Hose, einem Oberteil und einem darüber gezogenen Wams bestand, sah man jeden Muskel. „Du verweigerst dich mir?“ Araya funkelte ihn an, ob seines abermals so befehlenden Ton, und nickte trotzig.

Ohne jegliche Vorwarnung sprang der Mann vor und versuchte, sie am Arm zu packen. Einzig ihre geschulten Reflexe und ihre Panik vor seiner Berührung ermöglichten es ihr, seinem Griff auszuweichen und in die nächste Ecke ihrer Zelle zu sprinten. Allerdings hatte Araya dabei nicht bedacht, dass sie so unwillkürlich in der Falle saß. Schnell näherte sich der Fremde, presste sie schließlich an die Wand und hielt sie dort gefangen, indem er ihre Oberarme unbarmherzig festhielt. Augenblicklich sträubte sich jede Faser ihres Körpers gegen die Berührung und seine Nähe und sie begann, sich panisch, wenn nicht sogar verzweifelt zu wehren. Doch es nützte nichts, der Scherge des Königs ließ sie nicht frei.

Nachdem die Information, dass ihre Gegenwehr ihr nichts als Kratzer und Blutergüsse einbrachte, in ihrem Kopf angekommen war, stellte sie ihre Bemühungen mit laut pochendem Herzen ein und ertrug den sich langsam zu körperlichen Schmerzen ausweitenden Widerwillen ihres Körpers. „Sagst du mir jetzt deinen Namen?“, knurrte er. Araya sah ihm in vor Wut funkelnden Augen und erwiderte: „Das war ja schon wenigstens eine Frage. Jetzt noch etwas freundlicher und du erfährst vielleicht wirklich, wie ich heiße!“

Ihre Worte schienen ihn nur noch wütender zu machen und langsam fragte sie sich, ob ein Mensch nicht vor Wut platzen konnte. Wenn ja, dann war dieser hier auf jeden Fall ein potenzieller Kandidat. „Warum sollte ich einem Diener des Königs eine Frage beantworten. Ich könnte dir ja vielleicht sogar helfen, deine Ketten, die dich an ihn binden, abzulegen, aber du könntest keine Information für dich behalten. Zuerst müsstest du lernen, einen Teil deines Geistes zu verbergen, und das lernt sich nicht von heute auf morgen!!!“ Sie versuchte, ihn zu beruhigen, und es schien auch etwas zu bewirken, denn er knurrte gleich viel weniger aggressiv: „Wie sollte ich bitteschön irgendetwas vor einem so mächtigen Magier verheimlichen? Er kennt meinen wahren Namen!!“

Sie wusste nicht, was ein »wahrer Name« war, aber trotzdem konnte sie ihm auf seine Frage antworten. „Wenn man etwas um jeden Preis für sich behalten will und bereit ist, alles andere einem verzehrenden Feuer hinzugeben, dann kann jeder Geheimnisse bewahren. Doch zuallererst müsstest du natürlich diesen unbändigen Willen aufbringen. Ich weiß nicht, was es bewirkt, den »wahren Namen« eines Menschen zu kennen, aber den Willen kann man niemanden unter keinen Um-ständen wegnehmen!“

„Du würdest mir also helfen?!!“, spottete er mit einem höhnischen Unterton. „Damit würdest du dein Leben aufs Spiel setzen?!!! Niemand nimmt so ein Opfer ohne Gegenleistung auf sich!!!“ Er schien wieder wütender zu werden, doch dieses Mal konnte sie ihm leicht den Wind aus den Segeln nehmen. Sie hatte ihre Familie verloren, ihre Freunde, ihre Heimat. Sie hatte nichts mehr, was sie gefährden könnte und ihr Leben war nichts mehr wert. Was sollte sie also aufhalten?

„Jederzeit.“ Er starrte sie verdutzt an, als könnte er nicht glauben, was er gehört hatte. Als würde er sich fragen, ob sie ihn anlog. Sie spürte ein dumpfes Pochen in ihrem Kopf, doch es war bei Weitem nicht so unangenehm wie das, was Galbatorix in ihr verursachte. Er seufzte und fragte schließlich: „Wie heißt du?“

Wenn seine Stimme nicht gerade von Ärger verzehrt wurde, klang sie dunkel und sehr überlegt. Und eine ungekannte Sanftheit schwang in ihr mit. Es zerriss Araya fast das Herz, dass ausgerechnet ein so guter Mensch in Ketten lag. „Ich heiße Araya und komme aus einem fernen Land jenseits des Meeres.“

„Mein Name ist Murtagh. Und ich werde versuchen, den König zu überreden, dich hier rauszulassen!“ Mit diesen Worten ließ er sie schließlich los, hob die Kerze auf und löschte sie, bevor er die Tür der Zelle öffnete und hindurchtrat. Nun blieb ihr nur noch, zu warten und auf die Erfüllung seines Versprechens zu hoffen. Araya schloss die Augen und versuchte, ihre Umgebung auszublenden. Dann suchte sie nach dem Geist Murtaghs.

Das Wissen um seinen Namen half ihr, ihn in dem großen Schloss zu finden. Das Einzige, um was sie sich Sorgen machen musste, war, dass sie sich soweit entfernten, dass sie Murtagh nicht mehr erreichen konnte. Wieder sah sie eine Mauer vor sich, er hatte sie also entweder bereits bemerkt oder er behielt sie immer aufrecht. Zaghaft klopfte sie gegen die Steine, doch sie rührten sich nicht einen Millimeter. Sie ging einmal komplett darum herum, suchte kleine Schwachstellen, durch die sie ihm verständlich machen konnte, dass sie keineswegs etwas Schlechtes im Schilde führte, sondern nur wissen wollte, was um sie herum geschah.

Doch die Mauer war durchgehend einheitlich, also versuchte sie es abermals mit einem Klopfen, dieses Mal etwas kräftiger. Gleichzeitig verstärkte sie den Druck, den sie damit in seinem Kopf ausü-ben musste, mit ihrem Geist. Vielleicht erkannte er sie auf diese Weise …

Tatsächlich bildete sich ein kleiner Eingang, jederzeit wieder verschließbar, durch den sie schlüpfen konnte. Was machst du hier?!!, fuhr er sie zornig an und die Welle, die er dabei auslöste, vertrieb sie beinahe wieder aus seinen Gedanken.

Ich dachte, ich höre mal mit an, was ihr so beredet. Ich wollte einfach mal aus der Zelle rauskommen … Du hast ja keine Ahnung, wie wenig von der Außenwelt hier unten ankommt!, verteidigte Araya sich. Murtagh schien sich ein wenig zu beruhigen, doch nun machte er sich Sorgen.

Was, wenn Galbatorix dich bemerkt? Murtagh berichtete dem König gerade mündlich, was in der Zelle passiert war. Doch bemerkte sie, dass er einiges ausließ. Erzähl ihm alles, was passiert ist!, befahl sie ihm und Murtagh folgte, ohne zu zögern. Erst danach fragte er nach dem Warum. Wie fühlt es sich an, wenn jemand in deinen Geist eindringt?, stellte Araya die Gegenfrage.

Es ist, als würde eine fremde Kraft in deinen Kopf eindringen. Wenn es mit Gewalt passiert, schmerzt es. Warum?

Dann war Galbatorix noch nie in meinem Geist. Aber ich bin sicher, er kontrolliert, was du ihm schilderst. Er hat dich zum Gehorsam gezwungen, also muss er sich vor Verrat in acht nehmen. Er wird unserer Unterhaltung eine größere Bedeutung zumessen, wenn er herausfindet, dass du ihm etwas verschwiegen hast. Du hast doch sicher die Angewohnheit, das, was du vor ihm verheimlichen willst, verbergen zu wollen, oder? Als sie nur eine zustimmende Emotion auffing, sprach sie weiter, während sie dabei dem lauschte, was Murtagh dem König erzählte.

Wenn du es also gar nicht erst versuchst, machst du ihn auf den genauen Wortlaut vielleicht gar nicht aufmerksam.

Er wird dich bemerken, gab Murtagh völlig zusammenhangslos zurück. Wenn er in meinen Geist eindringt, bemerkt er dich.

Dann werde ich nicht mehr bei dir sein. Im Moment kannst weder du dir selbst helfen, noch kann ich etwas für dich tun. Tut mir leid. Kummer schwang in ihren Gedanken mit und sie hoffte, er würde verstehen, dass sie wirklich meinte, was sie sagte. Eine tröstende Welle kam ihr entgegen. Jedoch kam sie nicht von Murtagh. Bevor sie der Verbindung folgen konnte, verlöschte das Gefühl wieder. Es war anscheinend nicht für sie gedacht gewesen.

Dann spürte sie plötzlich, wie eine andere Präsenz sich gewaltsam Zutritt in Murtaghs Geist verschaffte. Hastig zog sie sich zurück, war nunmehr ein von ihrem Körper losgelöster Geist, nicht fähig, zu sehen oder zu hören. Doch sie spürte den Nachhall von Murtaghs Schmerzen. Langsam begab sie sich zurück in ihren Körper, ließ den Schmerz vorher noch in ihre Umgebung strömen. So würde ihr eigener Leib ihn nicht ertragen müssen. All dies tat Araya völlig instinktiv, ohne dass sie es je gelernt hätte.

Ab jetzt blieb ihr wirklich nur noch das Warten. Sie hatte sich ja während ihrer Zeit hier genügend in Geduld üben können. Eigentlich hatte sie Untätigkeit immer gehasst, doch sie hatte gelernt, ihren Tatendrang zu beherrschen und die Dinge geschehen zu lassen, wie sie bestimmt waren. Eine kleine Hoffnung regte sich in ihr, seitdem Murtagh in ihrer Zelle gewesen war. Wenn er es wirklich schaffte, den König zu überzeugen, dass er ihm bei seiner Suche, wonach auch immer er suchen mochte, helfen konnte, würde dieser ihr vielleicht mehr Freiheiten lassen. Dann würde sie auch aus diesem Ge-fängnis kommen.

Alles in ihr sträubte sich, länger hier auszuharren, hilflos und unwissend, doch gerade jetzt, wo Erlösung nähergerückt war, durfte sie sich keinen Fehler erlauben. Bald würde sie vielleicht wieder der Sonne ins Antlitz sehen. Und was noch viel wichtiger war: Das Gesicht des Mondes wäre nicht mehr vor ihr verborgen. Sie würde wieder wissen, wann sie ihre Gebete halten musste, und konnte die rituellen Kräuter verbrennen.

Doch an diesem Tag empfing sie keinen weiteren Besuch. Irgendwann wurde ihr so langweilig, dass sie einfach einschlief. Wieder verfolgten sie Bilder von dem Tag, an dem Galbatorix in Drakon-Ryuu einmarschiert war und ihr ihre Familie genommen hatte.
 

Sie sah die Schiffe schon vom Weiten. Oft saß sie einfach nur auf der Klippe und starrte aufs Meer, doch es war das erste Mal, dass sie sah, dass etwas vom Wasser aus auf sie zuhielt. „Was siehst du?“, fragte Saliha, ihre beste Freundin. Ihr Name war eine einzige Farce. Ein großer Witz, denn sie tat nie etwas, was Gott gefallen würde. Im Gegenteil, sie stellte dauernd nur Unsinn an.

„Seltsame Dinge aus Holz“, antwortete sie nach kurzem Zögern. Warum nur überkam sie das Gefühl, dass sie schleunigst weglaufen sollte? Diese kuriosen, schwimmenden Teile schienen nicht gefährlich zu sein. Jedenfalls nicht gefährlicher, als die vielen magischen Wesen, die durch das Land streifen.

Sie hörte ein schabendes metallisches Geräusch und schaute zu Saliha. Sie hatte ihr Fernrohr aus ihrer Tasche gezogen. „Da sind Menschen drauf!!“, rief sie aufgeregt und hüpfte auf und ab. „Mir gefällt das nicht!“, erwiderte sie, doch Saliha beachtete sie gar nicht. „Komm, gehen wir zur Küste und war-ten, bis sie bei uns ankommen!!“, entgegnete sie stattdessen und zog sie hoch. Kaum stand sie auf ihren Füßen, zog ihre Freundin sie mit sich.

Seufzend verwarf sie all ihre Bedenken und rannte mit Feuereifer ihrer Freundin hinterher. Doch schon bald sollte ein anderes Feuer brennen. Ein Feuer, das ihr schönes und friedliches Dorf verschlingen und sie allein und ausgelaugt zurücklassen würde. Wenn sie doch nur auf ihren Instinkt gehört hätte!!
 

Araya erwachte durch das Klicken des Türschlosses. Sofort saß sie kerzengerade auf ihrer Pritsche und sah neugierig und erwartungsvoll in Richtung Tür. Vielleicht würde man sie nun hier rausholen! Doch als kein Soldat mit Licht durch die Tür trat, sondern wieder Murtagh, schwand ihre Hoffnung. Galbatorix hätte niemals ihn geschickt, um sie in eine neue Unterkunft zu bringen. Als er ihren ent-täuschten Blick registrierte, strich er sich die braunen Locken zurück.

„Der König überlegt noch. Aber ich bringe dir etwas zu essen. Das ist besser, als das lausige Gefang-enenfutter.“ Er reichte ihr einen Teller und einen Krug. Als sie das Fleisch darauf roch, lief Araya das Wasser im Mund zusammen. Nur mit Mühe konnte sie an ihren Manieren festhalten und sich nicht auf das Essen stürzen.

„Dankeschön“, bedankte sie sich und machte sich ans Essen. „Wie spät ist es?“, fragte sie zwischen zwei Bissen. Sie würde gerne wissen, ob gerade die Sonne schien oder der Mond über den Sternenhimmel wanderte. „Es ist noch ziemlich früh. Die Sonne ist erst vor Kurzem aufgegangen. Es weiß also niemand, dass ich hier bin.“

„Wann, denkst du, wird sich der König entscheiden?“, löcherte sie ihn weiter, was er nur mit einem amüsierten Blick quittierte. „Ich habe keine Ahnung. In den Kopf seiner Majestät kann niemand schauen“, amüsierte er sich über sie. Hastig stürzte Araya den köstlichen Saft hinunter, dann faltete sie die Hände über Teller und Krug und dankte der Göttin für diese besondere Speise.

„Es wird schon gut gehen!“, meinte sie schließlich enthusiastisch. „So schnell gebe ich meine Hoffnung nicht auf, da kann er lange warten!!“ Murtagh nickte. „Und wenn ich solange auf ihn einreden muss, bis er dich von Fanfaren begleitet in den Palast lässt“, versprach er. Sie sah ihn an. „Du bist echt ziemlich egoistisch!“, warf Araya ihm vor, woraufhin er sie nur verwirrt anschaute. „Hätte ich dir meine Hilfe nicht angeboten, würdest du mich ohne zu zögern hier verrotten lassen! Aber jetzt bin ich für dich wichtig! Das ist der einzige Grund, warum du dafür kämpfst, dass ich hier rauskomme!!!“, warf sie ihm vor. Allerdings war sie froh, dass er sich überhaupt dafür einsetzte, aus welchen Gründen auch immer. Freiheit war Freiheit, egal, durch welche Taten sie erlangt wurde.

„Vergiss es einfach!“, setzte sie nach einer Weile hinzu, als Murtagh seinen Blick immer noch nicht von ihr abgewandt hatte. Verdutzt schüttelte er den Kopf: „Für einen Moment habe ich wirklich in Betracht gezogen, dass du dich in meinen Geist geschlichen haben könntest. Ich empfand deine Worte als erschreckend wahr, auch wenn es nicht wirklich so ist.“ Empört schnaubte Araya. Als wenn sie es nötig hätte, sich anderer Leute Geist zu ermächtigen.

„Ich gebe dir Bescheid, sobald der König sich entschieden hat!“ Mit diesen Worten erhob sich Arayas Besucher, löschte die Laterne und ließ sie in der Dunkelheit zurück. Und Araya fragte sich ernsthaft, was sie tun würde, wenn Galbatorix sie hier weiter gefangen hielt.
 

Tage vergingen und es war noch keine Entscheidung gefallen. Araya hatte das Gefühl, der König ließe sich extra viel Zeit, um sie in der Dunkelheit zu quälen. Ab und zu wurde der Alltag durch einen Besuch Murtaghs durchbrochen, doch meistens wusste sie nichts mit ihrer Zeit anzufangen. Sie lang-weilte sich wie jeden Tag und beschäftigte sich damit, sich ein besseres und freies Leben auszumalen. Oder sie schlief den ganzen Tag hindurch, da Galbatorix seine Besuche bei ihr eingestellt hatte.

Leider war das fast unmöglich, da regelmäßig Wasser und Essen gebracht wurden, wobei peinlichst genau darauf geachtet wurde, dass sie es auch wirklich aß. Ihr ging die ganze Prozedur auf die Nerven, doch der König schien schon mit anderen Bürgern Cyriannas Erfahrungen gesammelt zu haben, denn anscheinend hatte er Angst, sie würde sich tothungern. Das war bei ihr Zuhause ein beliebtes Übergehen in die Anderswelt, während man in Gefangenschaft war. Seine Würde war für jeden aus Drakon-Ryuu das Letzte, was man noch um jeden Preis retten musste.

Und da fragte Araya sich, ob die so sorg- und traditionslose Saliha wohl auch schon einen Meter achtzig tief unter der Erde schlummerte oder ob sie wie sie selbst der ewigen Dunkelheit ausgeliefert war. Aber eigentlich, dachte Araya ironisch, hat sie das Verhungern am meisten an unserer Kultur gehasst. Ich glaube, sie wandelt hier irgendwo im Schloss herum. Diese Gedanken waren mehr als nur egoistisch. Immerhin würde es bedeuten, nicht völlig allein in diesem fremden Land mit den seltsamen Gebräuchen zu sein. Über das viele Nachdenken schlief Araya unbemerkt ein.
 

Es war seltsam. Das erste Mal, seit sie aus ihrem Land verschleppt worden war, sah sie nicht die großen Dinge aus Holz, die sie hier »Schiffe« nannten, sah nicht die Neuankömmlinge, die Leichen oder das verbrannte Cyrianna. Nein, sie sah absolute Dunkelheit.

Ihr war schrecklich kalt. So kalt, dass sie zitterte. Vorsichtig streckte sie die Arme aus und stieß an eine kalte und glatte Oberfläche. Jetzt ist mir der Himmel auf den Kopf gefallen!, dachte sie und wollte nach Luft schnappen. Doch alles, was in ihre Lungen flutete, war Wasser. Erschrocken stellte sie fest, dass sie völlig von dem nassen Element umgeben war. Der einzige Ausweg aus diesen teuflisch kalten Massen schien die Fläche über ihr zu sein. Verzweifelt schlug sie mit ihren Fäusten auf die Oberfläche, doch sie rührte sich nicht.

Die Schläge wurden durch das Wasser abgebremst und hörten sich seltsam gedämpft an, doch auf der anderen Seite der Oberfläche bewegte sich etwas. Aus der samtschwarzen Farbe wurde ein dunkles Blau, das aussah wie der Nachthimmel. Tatsächlich konnte sie Sterne erkennen. Und erkannte auch, dass es Schnee war, der ihr die Sicht auf das Universum verwehrt hatte. Mit Schrecken wurde ihr klar, dass sie sich unter einer meterdicken Eisschicht befand.

Durch diese Erkenntnis angestachelt, versuchte sie, noch kräftiger zuzuschlagen, doch es half nichts. Ihr Körper fühlte sich an, als wäre er schon seit Jahren taub und sie konnte ihre Hände nicht mehr krümmen, um nach irgendetwas greifen oder sich irgendwo festhalten zu können. Sie würde haltlos durch das Wasser treiben!

Dann hörte sie dumpfe Schritte auf der Oberfläche. Hoffnungsvoll hämmerte sie weiter, verbrauchte ihre letzten Kraftreserven, um denjenigen zu sich zu lotsen. Er konnte das Eis sicher aufbrechen und sie befreien. Eine behandschuhte Hand schob weiteren Schnee weg und legte ihr Gesicht unter dem Eis völlig frei. Dunkle, fast schwarze Augen sahen sie an, durchdringend und als würden sie sie schon Ewigkeiten kennen. Verzweifelt schlug sie ein letztes Mal gegen das Eis. Als der Mann sich langsam hinunterbeugte, verschwamm alles vor ihren Augen …
 

Araya sah Murtaghs Gesicht vor sich und erschrak. Er war ihr viel zu nahe! Doch schon hatte sie etwas Abstand zwischen sich und ihn gebracht und musterte ihn nun genauer. Ihr eigenes Herz flatterte noch aufgrund des Albtraums, doch langsam beruhigte es sich wieder. Und sie sah in Murtaghs Gesicht eine eigentümliche Zufriedenheit aufblitzen. Anscheinend hatte er entweder gute Laune oder gute Neuigkeiten.

„Du zitterst“, merkte er an und Araya schaute erschrocken auf sich hinunter. Er hatte recht, sie zitterte immer noch, als wäre ihr furchtbar kalt. Schnell versuchte sie, es zu verdrängen, was ihr nur mäßig gelang. „Warum so guter Dinge?“, fragte sie mit zittriger Stimme, um von sich selbst abzulenken.

„Du darfst umziehen. Galbatorix hat sich endlich entschieden. Allerdings weiß ich nicht, ob du nicht doch lieber hierbleiben möchtest …“, erklärte er und zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. „Nein nein“, erwiderte Araya schnell, „Es ist überall besser als hier!“

„Wie du meinst.“ Mit diesen Worten half er ihr auf die Beine und führte sie aus der Zelle. „Warum wurdest du eigentlich geschickt, mich zu führen? Du bekleidest doch eine viel zu hohe Position.“ Arayas Stimme zitterte immer noch wie vor dem Erfrieren, doch langsam konnte sie sich wieder unter Kontrolle bringen. „Der König hat Angst, du könntest bei einer weniger mächtigen Person Ärger verursachen“, antwortete Murtagh neutral, dann wurde sein Blick abwesend, als wäre sein Geist an einem völlig anderen Ort.

Sie gingen Treppen rauf und runter, durch verschiedene Räume und immer wieder an kunstvoll verzierten Wänden vorbei, die Geschichten erzählten, die Araya von den Bildern her zu erkennen meinte. Doch was darunter stand, konnte sie nicht lesen. Sie konnte zwar die gängige Sprache Alagaësias sprechen, jedoch nicht lesen. Schließlich blieb Murtagh vor einer großen Flügeltür aus edlem Holz stehen. Es sah aus wie Ebenholz, doch so genau kannte Araya sich nicht mit Schreinerarbeiten aus. Ihr fielen jedoch die aufwendigen Runen, die im Holz verborgen waren, auf. Sie waren mit Plattgold verziert und sorgfältig mit Zinnober nachgezeichnet worden. Eine teure Arbeit.

Kaum hatte sie all diese Eindrücke in sich aufgenommen, schwang das Tor wie von Geisterhand geführt auf und gab den Blick auf einen prunkvollen Thronsaal frei. Nervös schluckte Araya. Dies war Galbatorix Raum. Warum mussten sie ausgerechnet hier durch? Trotz ihrer Abneigung gegenüber diesem Mann konnte sie nicht leugnen, dass der Saal durchaus eindrucksvoll und voller Überraschungen war. Beim Bau war ganz offensichtlich nicht gespart worden, denn überall waren Verzierungen aus Lapislazuli und Gold. Auch mit Silber wurde nicht gespart. In die Vorhänge waren Fäden aus Gold verwoben und überall, wo man hinsah, erblickte man das königliche Purpur.

Der Thron an sich war aus reinem Gold und mit unzähligen kleinen Edel- und Halbedelsteinen besetzt. Und er war leer. Erleichtertes Aufatmen war neben ihr zu hören. Murtagh mochte diesen Raum anscheinend genauso wenig wie Araya diese unverschämte Zurschaustellung von Macht und Wohlstand, der sicherlich nur durch überhöhte Steuern bei den Bürgern möglich war. Aber so war es überall: Den Reichen ging es prächtig und die Armen mussten hungern, während sie gleichzeitig noch von blutsaugenden Steuereintreibern verfolgt und genötigt wurden.

„Komm!“, hallte es durch den Raum und Araya richtete ihren Blick wieder auf Murtagh. Dieser hatte schon den halben Thronsaal durchquert. Hastig folgte sie ihm, immerhin war auch sie nicht erpicht darauf, den König wiederzusehen. „Entschuldige“, murmelte sie und sah ihn erwartungsvoll an. Sie hatte keinen Ausgang gesehen, dieser Raum war eine Sackgasse. Doch Murtagh hielt unbeirrt auf ein mit Seide und Teppichen behängtes Stück Wand zu und blieb stehen, um darauf zu warten, dass Araya ihn einholte. Er machte viel zu lange Schritte für sie.

Kaum war sie neben ihm zum Stehen gekommen, hob er einen der Teppiche an und legte seine Hand auf eine verborgene Vertiefung, während er ein paar seltsame Worte murmelte. Ohne ein Geräusch zu verursachen, glitt die Wand zur Seite und ließ sie passieren. Eine ganze Weile gingen sie eine Treppe runter und Araya dämmerte, dass ihr neues Zuhause wohl auch unter der Erde liegen würde. Ihre Hoffnung, die Sonne oder den Mond wiederzusehen, schwand zusehends. Sie würde wohl Murtagh fragen müssen, wann Vollmond war. Vielleicht konnte sie so trotzdem die Opferkräuter verbrennen, wenn sie sie fände.

Am Ende der Treppe breitete sich ein großer Raum aus. Auch die Treppe war schon ungewöhnlich breit gewesen, doch diese unterirdische Höhle sprengte Arayas Vorstellungskraft. Sie war noch nie in einem so riesigen Raum gewesen. Es war, als stünde man mitten in der Nacht im Freien. Nicht einmal das Ende der Höhle konnte sie erspähen, dabei war es hier nicht halb so dunkel, wie Araya angenommen hatte. Eine seltsame Lichtquelle spendete ein sonnenähnliches Licht. Allerdings fragte sie sich, wie man bei solchem Licht schlafen konnte. Durch die Helligkeit bildeten sich düstere Ecken, in denen sich alles Mögliche verstecken konnte. Auch sie beide warfen deutliche Schatten.

„Hier werde ich untergebracht?“, fragte Araya ungläubig. Wieso wurde ihr ein so großer Raum zur Verfügung gestellt? Immerhin war sie immer noch eine Gefangene. „Du wohnst hier nicht allein. Dorn und Shruikan werden dir Gesellschaft leisten“, erwiderte Murtagh ruhig und sah sich suchend um. Er starrte konzentriert in die Schatten und versuchte offensichtlich, Genaueres zu erkennen. „Shruikan wird allerdings nicht sooft hier sein …“, setzte er dazu, während er weiterhin den Raum mit seinem Blick untersuchte. Schließlich seufzte er ergeben und rief: „Dorn, wo bist du?!“

„Wer sind denn -“, setzte Araya an, wurde jedoch von einem gewaltigen Beben der Erde und ohrenbetäubenden Krach unterbrochen. Direkt vor ihren Füßen war ein roter Drache geschmeidig und extra laut gelandet und starrte nun zu den beiden Menschen runter. Murtagh musterte ihn tadelnd und verärgert, während er etwas in seinen nichtvorhandenen Bart brummte. Araya selbst stockte der Atem. Die Schuppen des Drachen leuchteten wie Rubine im Licht und brachten seine glühend roten Augen noch besser zur Geltung. Sie war vollkommen sprachlos.

„Lass den Unsinn und benimm dich endlich wie ein erwachsener Drache und nicht wie ein verspieltes Kätzchen!“, tadelte Murtagh ihn und Araya fragte sich, ob er den Verstand verloren hatte. Mit einem Drachen durfte man nicht auf diese Weise reden! Doch der zog nur ergeben den Kopf ob dieser Zurechtweisung ein und sah nun zu Araya. Knurrend legte er die Ohren an.

„Dorn, das ist Araya. Araya, ich stelle dir Dorn vor!“, versuchte Murtagh die Situation zu retten, doch der Drache namens Dorn dachte gar nicht daran, mit dem bedrohlichen Gebaren aufzuhören. Im Gegenteil, augenblicklich zog er seine Lefzen noch mehr nach oben und gab damit den Blick auf seine weißen Fänge frei. „Benimm dich, sie wird hier mit dir wohnen!“, rief Murtagh über das Dröhnen hinweg und stemmte die Hände in die Seiten.

Ich mag sie nicht!, hallte es durch die Höhle und das Knurren wurde wenn möglich noch lauter. Dorn trat einen Schritt vor und duckte sich wie zum Sprung. Er ignorierte Murtagh, der anscheinend eine Art Autorität gegenüber Dorn hatte. „Das kannst du nicht beurteilen“, erwiderte er laut und verzog das Gesicht. Doch Dorn schien sich nicht beruhigen zu wollen. Araya beschloss, selbst für ihr Wohlergehen zu sorgen.

Murtagh versuchte zwar, sie aufzuhalten, als sie mit sicheren Schritten auf den Drachen zuging, doch sie schüttelte seine Hand mit Leichtigkeit ab. Dann kniete sie vor ihm nieder, senkte ihr Haupt, wodurch Arayas schwarze Haare ihr Gesicht fast vollständig verbargen, und sprach mit klarer Stimme: „Ehrenwerter Drache Dorn, ich verstehe Deine Verärgerung darüber, dass ich ohne Deine Erlaubnis in Dein Reich eingedrungen bin. Ich hatte weder die Absicht, Dich zu stören noch Dir etwas streitig zu machen. Hiermit erbitte ich Asyl in Deinen Hallen, einen Schlafplatz und Verpflegung. Mehr brauche ich nicht. Ich hoffe, Du wirst die Güte und Weisheit besitzen, meine Absichten zu erkennen und mir meinen Wunsch zu erfüllen. Die Entscheidung liegt bei Dir.“

Liegt sie nicht!, drang die tiefe Stimme des Drachen in ihren Kopf. Der König befahl, dich hier unterzubringen und so soll es sein. Trotzdem muss ich zugeben, dass du sehr wohl weißt, wie man mit jemandem meiner Herkunft umzugehen hat. Mit diesen Worten wandte sich der rubinrote Dorn ab und verschwand in den Schatten der Höhle. Sie sah ihm noch eine Weile nach, dann erhob sie sich. Murtagh trat neben sie. „Wo hast du das gelernt?“, fragte er verwirrt. Ein Lächeln stahl sich auf Arayas Lippen, eine seltene Geste, seit Cyrianna überfallen worden war. Dann antwortete sie belustigt: „Ich lese.“

Abendmahl

Schritte hallten auf der Treppe wider, während Araya ihre neue Unterkunft noch immer vorsichtig in Augenschein nahm. Das offensichtlich künstliche Sonnenlicht behagte ihr nicht, ebenso wenig wie die unheimlichen Schatten, die es warf, doch es war besser, als wieder in absoluter Schwärze zu leben. Als das hallende Geräusch verklang und sich in den Klang von Schuhen auf harter Erde verwandelte, drehte sie sich um und erblickte eine Dienerin, die auf Murtagh einredete. Er verzog widerwillig das Gesicht, schüttelte dann jedoch trotzig den Kopf. Araya musste lächeln. Mit diesem Gesichtsausdruck sah er nicht sehr erwachsen aus. Es erstaunte sie selbst, dass Murtagh es schaffte, sie für einen kurzen Moment vergessen zu machen, dass sie völlig allein war.

Sie vernahm Dorns dröhnende Schritte in ihrem Rücken, als sie die Dienerin mit wütender Miene von Murtagh abwandte und auf sie selbst zuging. Unter ihren Arm hatte sie mehrere Kleidungsstücke gezwängt und sie trug einen geflochtenen Korb bei sich. „Dies ist für Euch!“, sagte sie mit angesäuerter Stimme und drückte ihr den Korb in die Hände. Darin befanden sich verschiedene Seifen, ein Kamm und Unterwäsche. Verwirrt starrte sie das Mädchen an. „Das soll ich Euch von Seiner Majestät auch geben“, setzte sie noch widerwillig und verachtend hinzu und legte die Kleidung unter ihrem Arm auf den Korb. Erst jetzt erkannte Araya ein Kleid darin.

Höflich bedankte sie sich bei dem Mädchen und wimmelte es so schnell wie möglich ab. Sie hasste sich dafür, auf die Gnade Galbatorix‘ angewiesen zu sein, doch leider schien der Tyrann nur allzu gut zu wissen, wie es um ihre Kleidung stand. Araya war von oben bis unten verdreckt, der Schlamm war so dick auf ihrer Haut abgelagert, dass sie sich schon oft gefragt hatte, ob sie ihn jemals wieder ab-waschen konnte. Dementsprechend sah auch das einst weiße Kleid aus, das sie an jenem schicksalhaften Tag getragen hatte. Außerdem war es völlig zerrissen.

Verstimmt zog sich die Dienerin zurück und Murtagh trat auf sie zu. „Dort drüben fließt ein unterirdischer Fluss. Das Wasser ist zwar kalt, aber sauber“, sagte er, während seine Hand auf einen dunklen Teil der Höhle zeigte. Dankbar nickte Araya und verschwand schließlich in den Schatten. Von hier aus konnte sie zwar noch Murtagh sehen, er war jedoch nicht mehr in der Lage, sie zu erspähen.

Vorsichtig schälte sie sich aus ihrer Kleidung und bettete sie neben den Fluss. Dann stieg sie in die kalten Fluten und schnappte nach Luft. Murtagh hatte sie zwar vorgewarnt, doch so kalt war kein Gewässer in Drakon-Ryuu gewesen. Sie schlotterte am ganzen Körper, trotzdem griff sie nach der Kernseife und schrubbte sich den Schmutz ab.

Unter dem zentimeterdicken Schlamm entdeckte sie die zurückgebliebenen Verbände, die ihr wegen der Verbrennungen umgebunden worden waren. Zuerst hatte sie sich gegen die Behandlungen durch die Heiler gewehrt, hatte sich die Verbände abgerissen und die Wunden erneut geöffnet, nur um ihren Protest auszudrücken. Auch das Essen hatte sie verweigert, hatte es in ihrer Zelle vergraben und das Wasser ausgeschüttet. Allerdings war es zu offensichtlich geworden, als sie immer schwächer wurde und Galbatorix hatte veranlasst, sie zu fesseln und gewaltsam zu ernähren.

Seufzend löste sie das Leinen und betrachtete die geheilte Haut darunter. Keine einzige Narbe war zurückgeblieben. Sie musste also wirklich schon sehr lange hier sein. Am besten, sie fragte Murtagh demnächst, welche Jahreszeit sie hatten. Die Armee von Galbatorix war mitten im immer sehr milden Herbst gekommen, also ließe sich das leicht errechnen.

Araya tauchte unter. Die Geräusche, die um sie herum waren, wurden durch das Wasser gedämpft und sie fühlte sich wie in einem warmen Kokon. Nachdem sie den Schmutz auch endlich aus ihren Haaren entfernt hatte, stieß sie durch die Wasseroberfläche und schnappte leise nach Luft. Das Wasser des Flusses hatte sich tiefbraun verfärbt und verschwand leise blubbernd im Boden. Sie zog sich ans Ufer und schlüpfte in die Unterwäsche und das weiße Unterkleid. Dann legte sie umständlich das Kleid an, das der König ihr geschickt hatte.

Als sie aus der Dunkelheit trat, blendete sie das Licht so sehr, dass Araya ihre Augen schließen musste. Vorsichtig öffnete sie sie wieder, nur um sie wieder fast vollständig zusammenzukneifen. Langsam passten sich ihre Pupillen an die Lichtverhältnisse an und sie konnte wieder uneingeschränkt sehen. Murtagh starrte sie mit großen Augen an, woraufhin Araya an sich heruntersah. Das Kleid, das Galbatorix ihr geschickt hatte, war äußerst edel und sie fragte sich, warum dieser Sadist ihr ein derart kostbares Stück bereitstellte.

Die Grundfarbe des Kleides war ein dunkles Moosgrün, das ihre Augen wohl sehr betonten würde. Es bestand aus einem schwarzen Korsett, das ein großes Dekolleté bildete, und mit weißer Seide und baumgrünen Seidenbändern bestückt war. Nahtlos schloss sich ein ebenfalls schwarzer Rock an, der ihr gerade einmal bis zur Hälfte ihrer Oberschenkel ging und gänzlich ohne Verzierungen blieb. Darüber trug sie eine Art grünen Überwurf, der die Ärmel mit einschloss, die ihr bis zur Hälfte der Unterarme reichten, geradezu kunstvoll auffächerten und bei denen zahlreich teure Spitze untergenäht war. Dieser Überwurf war ebenfalls mit einer Halskrause versehen, die sich geschmeidig an ihren Hals schmiegte und mit weißer Spitze, einer hellblauen Schleife und einem herzförmigen weißen Anhänger verziert war. Der Überwurf endete an ihren Kniekehlen und bauschte sich elegant nach vorn.

Doch was sie wirklich erstaunte, war ihre unnatürlich helle Haut. Schneeweiß und durchscheinend sah sie aus und man konnte genau die blau schimmernden Adern sehen. Ihr war danach, das Kleid zu zerreißen und Galbatorix zu verfluchen für das, was er ihr angetan hatte. Nun hatte er ihr nicht nur ihre Heimat genommen. Araya ballte die Fäuste und atmete tief ein und aus.

„Du siehst … unglaublich aus!“, riss Murtagh sie aus ihren düsteren Gedanken. „Vielen Dank“, erwiderte sie. „Aber ich verstehe den Sinn nicht.“ Araya sah ihn fragend an, doch auch er schüttelte den Kopf und brachte damit sein Unverständnis zum Ausdruck. „Sag, welche Jahreszeit haben wir?“, fragte Araya völlig aus der Luft gegriffen und sah Murtagh unsicher in die Augen. Auf irgendeine Weise machte ihr die Antwort jetzt schon Angst, doch sie musste es wissen.

„Der Frühling endet bald. Warum?“, antwortete der Brünette und sah Araya verständnislos an, als sie traurig den Kopf senkte. „Seven months …*“, murmelte sie und seufzte. „Wann war das letzte Mal Vollmond?“, fragte sie jedoch unbeirrt weiter und wartete ungeduldig auf die Antwort. Als Murtagh eine Weile nicht geantwortet, sondern an die Decke gestarrt hatte, stellte sie die Frage anders: „Wann geht der Vollmond auf?“

„Mmh … Das dürfte in ungefähr drei Tagen sein.“

„Was?!“, schrie sie hysterisch und begann, auf- und abzulaufen. Wenn Vollmond wirklich schon so nah war und sie die Chance hatte, die Opferkräuter zu bekommen, es aber nicht versuchte, würde man sie bestimmt fürchterlich bestrafen. Sie zerbrach sich noch immer den Kopf über ihr Problem, während Murtagh ihr verwirrt mit seinen Blicken folgte, als die Dienerin, die Araya auch das neue Kleid gebracht hatte, den Raum betrat.

„Seine Majestät wünscht, dass ihr mit ihm zu Abend esst“, berichtete sie reserviert und verzog das Gesicht. „Sag diesem Tyrannen, er kann sich sein E-“, schimpfte Araya, doch bevor sie ausreden konnte, hielt Murtagh ihr die Hand vor den Mund und sagte: „Wir leisten dem König beim Dinieren gerne Gesellschaft.“ Dann schickte er die Dienerin mit einer Handbewegung fort.

Kaum war das Mädchen in der Dunkelheit verschwunden, schlug Arayas Murtaghs Hand beiseite und fauchte jetzt ihn an: „Was fällt dir eigentlich ein? Nie, niemals werde ich mit diesem Unmensch an einem Tisch sitzen und essen!! Das ist nun wirklich zu viel verlangt und das weiß er auch!“

„Und trotzdem hast du Hunger“, stellte Murtagh ruhig fest und er erntete ein zerknirschtes Nicken. „Siehst du! Glaubst du, er würde dir dein Essen hier runterbringen lassen?“ Araya kniff vor Wut die Augen zusammen. „Natürlich nicht! Aber mir macht es nichts aus, zu hungern. Lieber hungere ich, als mit diesem selbst ernannten König Kontakt zu haben!!“, zischte sie.

Du wirst tun, was Murtagh dir sagt. Habe ich mich klar ausgedrückt?, ertönte es ohne Vorwarnung hinter ihr. Die Worte wurden von einem bedrohlichen Knurren begleitet. „Ich frage mich wirklich, warum du mich hasst, Drache Dorn!“ Aber sie stimmte widerwillig zu.

Kaum hatte sie den Satz beendet, in dem sie ihre unfreiwillige Zustimmung bekundete, trat ein Mann aus dem Schatten und verkündete, dass es nun Zeit war, in den Thronsaal zurückzukehren und sich umzuziehen. Das galt jedenfalls für Murtagh, doch Galbatorix hatte wohl befohlen, sie nicht alleinzulassen. Und der Einzige, der seiner Meinung nach dieser Aufgabe gewachsen war, war offensichtlich eben dieser. Sie fragte sich, was Galbatorix nur ausheckte.

Murtaghs Zimmer – eigentlich müsste man es schon Gemach nennen – war sehr prunkvoll eingerichtet und hell war es auch. Er verschwand kurz in einem angrenzenden Raum, während Araya mit dem fremden Diener allein zurückblieb. Plötzlich durchzuckte sie ein unerträglicher Schmerz, der sich von ihrem rechten Arm in alle Winkel ihres Körpers ausbreitete. Als sie auf ihren Arm hinabblickte, erkannte sie die Hand des Dieners, die sie hart gepackt hielt. Araya unterdrückte einen Aufschrei und versuchte, die Qualen abzuschütteln.

„Ich soll dich von einer guten Freundin warnen: Halte dich von dem ehrenwerten Argetlam Murtagh fern oder du wirst es bereuen!“ Dann ließ er sie ruckartig los, als hätte er sich verbrannt. In diesem Moment betrat Murtagh den Raum. Araya stand zwar der Schweiß auf der Stirn, doch sie wusste, es zu verbergen. Mit einem freundlichen Lächeln hielt der Diener ihnen die Tür auf und ließ sie wieder auf die marmornen Gänge hinaustreten.

Schnell schloss er zu ihnen auf und übernahm die Führung. Diese Gelegenheit ließ sich Araya nicht entgehen. „Was ist ein »Argetlam«?“, flüsterte sie Murtagh zu. „Wer hat dieses Wort zu dir gesagt?“, fragte dieser jedoch nur zurück. Mit dem Finger auf den vorausgehenden Diener zeigend antwortete sie: „Er nannte dich so!“

Murtagh seufzte. „»Argetlam« bedeutet »Silberhand«. Es ist eine Anrede für Drachenreiter, wie ich einer bin.“ Als er ihren unverständlichen Blick bemerkte, zog er sich den Handschuh von der rechten Hand und legte somit eine silbern schimmernde Narbe frei. „Ein Drachenreiter ist ein Mensch oder Elf, der eine Art Bündnis mit einem Drachen eingegangen ist. Die Drachen verleihen demjenigen dann zum Beispiel magische Kräfte. Ein Drache und ein Drachenreiter können fast unmöglich voneinander getrennt leben“, erklärte er.

„So wie du und Dorn“, stellte sie fest und bekam ein Nicken als Antwort. „Verstehe.“ Der Diener räusperte sich und forderte so ihre Aufmerksamkeit. Kaum sah auch Araya zu ihm, stieß er die beiden großen und reich verzierten Flügeltüren auf und legte somit das Esszimmer frei.

Für Arayas Geschmack sah man darin viel zu wenig Persönlichkeit, dafür aber viel zu viel Reichtum. Dieses Zimmer diente Galbatorix offensichtlich nur dafür, Leuten zu imponieren, die er einschüchtern oder für sich gewinnen wollte. Der Raum war über und über mit Seide und Elfenbein geschmückt, die Teller nur aus Gold und das Besteck aus reinstem Silber. Das konnte Araya schon von der Tür aus problemlos erkennen. Abschätzig verzog sie den Mund, als der Diener sie übertrieben freundlich an ihre Plätze führte. Wie sollte es anders sein, trennte der König Murtagh und sie natürlich. Er saß zu seiner rechten – als Zeichen dafür, dass Murtagh für ihn wertvoll war – und Araya zu seiner Linken.

Galbatorix Lächeln widersprach allem, was der äußere Schein wohl darstellte: Gastfreundschaft, Wärme, Freiheit. Denn er zeigte ganz offen, dass er weder sie noch Murtagh mochte, sie für ihn gar nur Ungeziefer waren, das er vielleicht brauchte, aber sicher nicht mochte. Und er schien seine Macht sehr zu genießen.

„Ah, das wilde Mädchen! Wie schön, dich einmal in angemessener Kleidung vorzufinden und nicht in dieser Bauerntracht“, begrüßte er Araya, der ob dieser falschen Freundlichkeit ein kalter Schauder den Rücken hinunterfuhr. „Nun, es ist ja nicht so, als hätte ich eine gewisse Auswahl an Kleidungsstücken gehabt“, erwiderte das Mädchen mit unverblümter Verachtung in der Stimme und wandte ihr Gesicht schließlich Murtagh zu, als würde der König sie nicht weiter interessieren.

Das Lächeln des Königs verrutschte ein Stück, wie sie aus den Augenwinkeln feststellte, und enthüllte einen Teil der Wut, die sie in ihm geschürt hatte. Und wie auf ein Stichwort begann wieder dieses nervenaufreibende Pochen hinter ihren Augen, das ihr ankündigte, dass Galbatorix versuchte, in ihren Kopf zu schauen.

„Du hast wirklich sehr gut verborgen, dass du unsere Sprache zu sprechen gelernt hast. Ich dachte immer, du verstündest kein einziges Wort.“

„Oh, die meisten Ausdrücke, die Ihr in meiner Gegenwart benutzt habt, habe ich tatsächlich nicht verstanden. Es klang, als hättet Ihr etwas Bestimmtes gesucht!“, erkundigte Araya sich unauffällig. Unsicherheit spiegelte sich für einen kurzen Moment in der Mimik ihres Gegenübers, während Murtaghs Gesicht aschfahl wurde. Anscheinend wusste er genau, wonach Galbatorix gesucht hatte.

„Das hast du dir nur eingebildet!“, wies der König sie etwas zu scharf zurecht, ließ seine Stimme aber gleich darauf um einiges sanfter klingen. „Das Unverständnis einer Sprache spielt einem manchmal Streiche.“

Ab da wurde wortlos gespeist, wobei Araya sorgfältig darauf achtete, ob etwas an ihrem Essen komisch roch oder dergleichen seltsam anmutete. Immerhin wurden die Teller für jeden einzeln vorbereitet, da wäre es ein Leichtes gewesen, gewisse Substanzen in das Mahl zu mischen.

Araya war unendlich erleichtert, als auch der letzte Gang abgeräumt wurde. Ihr Kopf schmerzte und drohte, zu explodieren, doch all dies ließ sie sich natürlich nicht anmerken. „Nun, ich hoffe, das Essen hat euch beiden gemundet und wir können so ein Ereignis bald wiederholen!“, beendete Galbatorix schließlich die Tortur und Araya wollte sich schon zusammen mit Murtagh erheben, doch der König packte ihren Unterarm und fesselte sie somit einige weitere schmerzliche Sekunden lang an den Tisch, während das unerträgliche Pochen noch zunahm und brennender Schmerz durch ihren Arm zuckte.

Galbatorix zog sie ein gutes Stück zu sich herunter, wobei Araya das Gesicht verzog. „Ich rate dir, dich zu benehmen und keinen Ärger zu verursachen. Wir wollen doch nicht, dass du noch weitere schmerzliche Verluste mit ansehen musst, Araya!“ Obwohl er die Stimme gesenkt hatte, hallte sie deutlich durch den Saal, sodass auch Murtagh seine Worte verstehen konnte.

Brennende Wut wallte in ihr auf, brachte ihr Blut zum Kochen und ließ sie den Schreck darüber vergessen, dass er ihren Namen kannte. Das lodernde Feuer in ihren Adern verdrängte nicht nur das Pochen in ihrem Kopf, sondern auch den Schmerz, den seine Berührung mit sich brachte. Obwohl sie vollkommen erschöpft war, brachte sie noch die Kraft auf, ihm ihren Arm zu entreißen. „Murderer!!!“, dröhnte ihre Stimme durch den Saal, bevor sie ebenjenen verließ, während sich das Kleid hinter ihr bauschte.

Araya war wütend genug, um jeden umzurennen, der ihr im Weg stand. Die meisten fing Murtagh vor der Bekanntschaft mit dem Marmorboden auf, wie sie am Rande ihres Bewusstseins registrierte, doch es interessierte sie nicht wirklich. „Jetzt beruhige dich doch! Du kannst mit Galbatorix nicht so umgehen“, rief Murtagh ihr hinterher. Aufgebracht darüber, dass er diesen Mörder auch noch verteidigte, wirbelte sie zu ihm herum.

You! Why do you still defend this bastard?!! Why do you do this? Are you his subject now?!! Do you serve him now completely?!! You are so pathetic!!”, schrie sie ihn völlig von Sinnen an und achtete gar nicht darauf, wer ihre Worte hörte oder nicht.

Araya?“, erklang plötzlich eine verunsicherte Stimme leise hinter ihr. Araya war zwar immer noch so wütend wie noch nie in ihrem Leben, doch sie riss sich zusammen, denn diese Stimme kannte sie nur zu gut. „Saliha?“, hauchte sie. Kaum hatte sie den Namen über die Lippen gebracht, spürte sie warme Arme um sich und blondes Haar nahm ihr die Sicht.

„Hey, was machst du da, Mädchen?!!“, rief Murtagh aufgebracht. „Wirst du wohl von ihr weggehen, Dienerin!!“ Doch das Mädchen hörte nicht auf ihren Herrn, schluchzte in Arayas Kleid und wollte sie anscheinend nie wieder loslassen.

I thought you are dead! Thank goodness you’re alive!“, rief Saliha aus und nun erkannte Araya ihre Stimme vollkommen. Die Berührung verursachte nicht die erwarteten Schmerzen, anscheinend wusste ihr Körper, dass Saliha sie nie verletzen würde.

I’m so glad to see you, Saliha! Even, if I don’t really see you. Your hair is in my face!!”, flüsterte Araya lächelnd. Sofort wurde sie losgelassen und sah in ein wirklich vertrautes Gesicht. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie war nicht länger allein auf dieser Welt. Auch wenn niemand anderes überlebt hatte, ihre beste Freundin war noch hier.

„Du kennst sie?“, fragte Murtagh neben ihr und musterte Saliha misstrauisch. „Ihr sprecht dieselbe Sprache.“ Araya war immer noch wütend auf Murtagh, doch sie entschied sich, ihn nicht mit Schweigen dafür zu bestrafen, dass er seinen Herrn verteidigt hatte. „Sie ist meine beste Freundin!“ Nachdem sie sich endlich wieder ein paar Sätze lang in ihrer Heimatsprache verständigt hatte, kam ihr Murtaghs Sprache seltsam rau und klanglos vor. Nur unbeholfen kamen ihr die Worte über die Lippen.

„Ihr sprecht eine ziemlich barbarisch klingende Sprache. Ich verstehe schon, warum Galbatorix so froh darüber war, dass du die unsere gelernt hast. So blieb uns diese kantige Sprache erspart“, sagte er mit gesenkter Stimme. Araya verengte ihre Augen zu Schlitzen und funkelte Murtagh wütend an. „Das musst gerade du sagen! Du, der diese grässliche Sprache spricht, die so überhaupt keine Harmonie zu kennen scheint!“ Nun verzog sich auch Murtaghs Gesicht vor Wut.

Aus heiterem Himmel stürzte Saliha vor Araya, als wolle sie sie vor Murtagh beschützen. Der schien nur noch wütender zu werden, während Araya ihre Freundin verwirrt anstarrte. „Bitte nicht … be-bestrafen. Sie nicht wissen … wer Meister seid!“, stotterte Saliha mit einem seltsamen Akzent, den zumindest Araya als die Betonung ihrer Muttersprache identifizieren konnte. Trotzdem schien Murtagh zu verstehen, was ihm das Mädchen in den braunen Leinenlumpen sagen wollte.

Er schnaubte. „Wenigstens sie scheint begriffen zu haben, dass man sich den einflussreichen Leuten in diesem Schloss nicht in den Weg stellt. Vielleicht solltest du ihrem Beispiel folgen.“

„Vielleicht sollte ihr jemand einmal eure Sprache beibringen!“, erwiderte Araya schnippisch, woraufhin Saliha zusammenzuckte und versuchte, ihr den Mund zuzuhalten. „It’s fine. I’m safer than you. I’m able to say whatever I want to say!“, erklärte sie ihrer besten Freundin flüsternd, als sie deren Hand sanft von ihrem Mund gelöst hatte.

Könntest du freundlicherweise damit aufhören, in dieser verfluchten Sprache zu reden, während ich anwesend bin?!!“, fauchte Murtagh plötzlich und wie auf Knopfdruck machte es bei Araya »Klick«. „Du kannst es einfach nicht leiden, dass du nicht ein Wort von dem verstehst, was wir sagen“, stichelte sie lächelnd. Und sie schien genau ins Schwarze getroffen zu haben, denn Murtaghs Miene wurde noch ein Stück finsterer.

„Es reicht, wir gehen zu Dorn zurück!“, murrte er, stieß Saliha unsanft zur Seite und zog Araya trotz ihres Widerstandes ohne große Mühe in den Thronsaal. Sie hatte gerade noch genug Zeit, ihren Kopf Saliha zuzuwenden und mit ihrem Mittel- und Ringfinger einmal ihre Stirn zu berühren – eine geläufige Abschiedsgeste in Drakon-Ryuu.

Kaum hatte Murtagh die Wand geöffnet, die zum Drachenhort führte, stieß er sie unsanft hinein und verschloss das Gestein wieder, sodass jeder, der nicht wusste, dass es hier einen geheimen Gang gab, gedacht hätte, sie wären spurlos verschwunden. Kaum war der Felsen zurückgeglitten, packte Murtagh sie erneut am Arm und schleifte Araya die Treppe herunter, während sie die Füße in den Boden stemmte. Allmählich fragte sie sich, ob man als Drachenreiter auch körperlich stärker war als normale Menschen.

Sie schaffte es erst, ihren Arm aus seinem schmerzenden Griff zu reißen, als sie bereits den Fuß der langen Treppe erreicht hatten. Allerdings dünkte es ihr, dass Murtagh ihren Arm freiwillig losgelassen hatte. Sie wollte Murtagh gerade anschreien und ihn fragen, was bitte in ihn gefahren war, als sich Dorn drohend im Rücken seines Reiters aufrichtete und die Zähne bleckte. Wütend biss sie sich auf die Unterlippe, um all die unfreundlichen Worte in ihrem Mund einzusperren.

„Weißt du, da, wo ich herkomme, schleift man Mädchen nicht einfach so von ihren besten Freundinnen weg!“, brachte Araya zerknirscht hervor und war sich Dorns drohendem Geist überdeutlich bewusst. Ohne den Drachen aus den Augen zu lassen, rieb sie sich ihren Oberarm, an dem Murtaghs Hand sicherlich ihre Spuren hinterlassen hatte.

„Hätte Galbatorix herausgefunden, dass du dieses Mädchen kennst, hätte er dich in der Hand gehabt. Du solltest mir dankbar sein. Ich habe ihr vielleicht noch das Leben retten können“, knurrte der Drachenreiter und funkelte Araya an. Doch die verzog nur das Gesicht.

Don’t make me laugh! Wenn er wirklich etwas von mir will, dann sollte er nicht den Fehler begehen und sie umbringen oder foltern lassen. Dann könnte er mit mir anstellen, was er wollte, allein um ihr Andenken zu wahren, würde ich bis in den Tod schweigen!!“, zischte sie verächtlich und hob überlegen den Kopf. Sofort erdröhnte Dorns Knurren. Er schien es nicht zu dulden, dass sich jemand über Murtagh erhob.

„Was bedeutet dieser Satz?“, fragte Murtagh, ohne Dorns drohende Gebärden weiter zu beachten. Verwirrt warf sie ihm einen fragenden Blick zu, woraufhin der Drachenreiter den Anfang ihres Satzes wiederholte. Bevor Araya ihn allerdings aufklären konnte, brach sie in schallendes Gelächter aus. In Drakon-Ryuu gab es zwar einige bizarre Abwandlungen ihrer Sprache – von der Aussprache bis hin zu den eigentlichen Wörtern –, sodass sich einzelne Bevölkerungsgruppen untereinander nur noch mit großen Schwierigkeiten verständigen konnten, doch so verzerrt hatte sie ihre Muttersprache noch nie gehört.

Murtagh hingegen schien nicht zu verstehen, warum sie ihn auf einmal auslachte, und bekam einen peinlich berührten Rosaschimmer um die Nase herum. Allerdings verwandelte sich dieses Rosa sofort in ein ausgereiftes Rot, als er endlich zu realisieren schien, dass Araya über seine Aussprache lachte und nicht über etwas, dass er eventuell getan hatte. Wütend donnerte er: „Letta!!!

Das Lachen blieb Araya im Halse stecken. Sie konnte kein einziges Geräusch mehr mit ihren Stimmbändern erzeugen. Entsetzt starrte sie Murtagh an. Was war das? Wie konnte ein Mensch einem anderen die Stimme nehmen?

„Das hast du davon, mich auszulachen!“, grinste der Drachenreiter höhnisch, als er Arayas bestürzten Gesichtsausdruck sah. Man sollte sich eben nicht mit einem mächtigeren Magier anlegen!!, blaffte auch Dorn aggressiv und stellte seine Flügel hinter Murtagh auf. »Magier«. Das Wort weckte in Araya das Gefühl, etwas vergessen zu haben, sich aber unbedingt daran erinnern zu müssen. Dabei hatte sie das Wort nie zuvor vernommen. Jedenfalls nicht in dieser Sprache.

Immer noch von Entsetzen erfasst, fragte Araya sich, ob sie nie wieder würde sprechen können. Dann hatte sie keine Möglichkeit mehr, ihrer Göttin zu huldigen. Es gab zwar Mittel und Wege für die Stummen – ob so geboren oder so gemacht –, trotz des wirklich bedauernswerten Fehlens einer Stimme, Gebete abzuhalten, doch dies wurde von den Betroffenen strengstens geheim gehalten. Nur, wer bewies, dass er seine Stimme tatsächlich verloren hatte, wurde in dieser geheimen Kunst unterrichtet.

Doch selbst dazu würde sie keine Gelegenheit haben, denn jeder, der es ihr hätte beibringen können, lag nun Tod in der eigenen Blutlache oder wurde vom Feuer zu Asche verbrannt. Ehe sich Araya jedoch weitere Gedanken machen konnte, verschwand ein Druck aus ihrem Hals, den sie vorher überhaupt nicht wahrgenommen hatte. Und als sie probierte, einen Ton aus ihrem Hals hervor zu pressen, vernahm sie wieder ihre eigene Stimme.

Erleichterung überschwemmte ihre Sinne, blendete ihre Umwelt aus, ertränkte alle anderen Gefühle, ließ eine Leere zurück, die sie noch nie in ihrem kurzen Leben gespürt hatte, und ließ ihre Beine so schwach werden, dass sie auf dem Boden zusammensackte und zu weinen begann. Still und leise liefen ihr die Tränen die weißen Wangen hinunter.
 


 

* Ja, Araya spricht eigentlich Englisch. Wer’s nicht versteht, kann mir schreiben oder schaut in seinem Wörterbuch nach. Ich war einfach zu faul, mir eine völlig andere Sprache auszudenken und Englisch ist die Einzige mir bekannte, die ich einigermaßen fehlerfrei kann …

Shruikan

Araya wusste nicht, wie lange sie schon auf dem kalten und steinernen Boden im Drachenhort saß, doch nach einer Weile spürte sie einen suchenden Geist, der ihre Barriere wie neugierige Finger abzutasten schien. Unwillkürlich öffnete Araya ihren Geist und umschloss den des Suchenden. Das gequälte Fauchen eines Drachen riss sie schließlich endgültig aus ihrer Trance.

Dorn hatte den riesigen Kopf gesenkt und stieß ebenjenen Klagelaut aus. Erst da wurde Araya bewusst, dass sie die fremde Präsenz immer noch mit ihrem Geist umschlossen hielt und ihn somit einsperrte und zusammenpresste. Sofort ließ sie das Bewusstsein los und Dorn verstummte.

Murtagh hingegen hatte sich die Fingerspitzen an die Schläfen gepresst, als hätte er Kopfschmerzen. Während der Drachenreiter versuchte, sich wieder hoch zu hieven, wischte Araya sich mit zittrigen Händen die Tränen von den Wangen und schlich leise zu dem unterirdischen Fluss, um auch die letzten Tränenspuren verschwinden zu lassen.

Murtagh trat mit festen Schritten neben sie. „Ich wollte dich nicht zum Weinen bringen“, sagte er zerknirscht und starrte zur Seite, als sie ihm den Kopf zuwandte. „Das glaube ich dir sogar“, erwiderte Araya leise und setzte dann hinzu: „Aber mir macht etwas Anderes Sorgen.“

Verwirrt sah ihr Murtagh in die Augen. Sie schienen nur die eine Frage zu kennen. „Wenn Galbatorix jetzt deine Erinnerungen durchforstet, wird er sehen, was du gerade gesehen hast. Und das macht mir Angst. Du gibst ihm unfreiwillig eine Waffe, die eigentlich nie in seinen Besitz gelangen sollte.“

Schweigen hüllte die Höhle in eine kalte Decke ein. Murtagh hatte nicht daran gedacht, dass er Galbatorix in die Hände spielen könnte, indem er einen Zauber bei Araya wirkte. Er hatte sie vielleicht in ihren Untergang geschickt …

„Wie hast du das gemacht?“, durchbrach Arayas Stimme plötzlich die Ruhe. Auf den Seitenblick, den Murtagh ihr zuwarf, ergänzte sie: „Das mit meiner Stimme!“ Demonstrativ zeigte sie mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf ihren Kehlkopf.

„Ich habe Magie benutzt, um deine Stimmbänder anzuhalten“, antwortete er schließlich desinteressiert. Araya legte den Kopf schief. „Und wie benutzt man Magie?“ Murtagh seufzte. Er hatte wohl gehofft, sie würde sich mit dieser einfachen Antwort zufriedengeben.

„Zuerst muss man in den Strom der eigenen Magie eintauchen. Dann muss man sich von ihr durchströmen lassen, woraufhin man sie schließlich mit Worten formen kann.“

„Was für Worte?“, stellte Araya sofort die nächste Frage. Ihr wurde ein genervter Blick zuteil, doch Murtagh antwortete trotzdem: „Worte der Magie. Die Sprache der Magie wird die »Alte Sprache« genannt. Es heißt, sie wurde früher von allen Lebewesen gesprochen, doch mit der Zeit geriet sie in Vergessenheit.“

Unbewusst legte Araya den Kopf schief. Alle Lebewesen hatten einmal diese Sprache gesprochen? Aber nicht alle Lebewesen konnten sprechen. Unauffällig musterte sie Murtagh und wog ab, ob sie es riskieren konnte, ihm noch eine Frage zu stellen. Wenn sie es sich recht überlegte, hatte sie an diesem einen Tag so viele Fragen gestellt wie noch an keinem anderen Tag. „Was bedeutet »Letta«? Du hast es benutzt, um mir meine Stimme zu nehmen.“

„Es bedeutet »stoppen«“, erwiderte Murtagh in einem Tonfall, der klarmachte, dass er nicht weiter gelöchert werden wollte. Jedenfalls nicht zu diesem Thema. Erst jetzt wurde Araya bewusst, dass ihre Wut auf Galbatorix und ihre Bestürzung über den Verlust ihrer Stimme verflogen waren. Sie hatte sich so auf das Mysterium der Magie konzentriert, dass sie alles andere völlig verdrängt hatte. Und sie beschloss, ihren Groll ruhen zu lassen.

Unsicher sah sie zu Dorn. Vielleicht konnte ihr der Drache einen Hinweis auf Murtaghs Gemütszustand verraten. Doch wenn dieser genauso dunkel war wie die kleinen Rauchwolken, die nun aus dessen Nüstern aufstiegen, dann hatte sie wohl keine Chance, ihn noch zu einem Gefallen zu überreden. Besser gesagt zu zwei, fügte sie in Gedanken hinzu, als sie ihr Kleid musterte.

Schließlich nahm sie allen Mut zusammen und öffnete den Mund, um zu sprechen. Doch sie konnte nicht einmal ein Wort hervorbringen, da wurde sie von Murtagh bereits mit einem barschen „Keine Fragen über Magie!“ unterbrochen. Sie sah es ihm nach und nickte überdeutlich, sodass er es aus den Augenwinkeln eigentlich gesehen haben müsste.

„Du sagtest, in drei Tagen sei Vollmond. In dieser Nacht brauche ich einige ganz bestimmte Kräuter und ich wollte dich fragen, ob du vielleicht gewillt bist, mir dabei zu helfen, sie zu beschaffen. Ich stände in deiner Schuld.“ Sie machte eine kurze Pause, und als Murtagh nichts weiter sagte, fügte sie rasch hinzu: „Und wäre es eventuell noch möglich, mir andere Kleidung mitzubringen? Dieses hier eignet sich nicht wirklich für einen Drachenhort!“

Augenblicklich hallte ein tiefes Grollen durch die Höhle. Dorn meldete sich wieder zu Wort: Soll das heißen, dass es hier zu viel Dreck gibt, Menschenkind?!! Doch bevor er nach Araya schnappen konnte, ging Murtagh dazwischen. „Lass es, Dorn! Sie hat recht. Ich werde dir gleich morgen früh neue Kleidung mitbringen. Was die Kräuter betrifft, müsstest du mir erst einmal sagen, welche du brauchst …“

Überglücklich klatschte Araya in die Hände. Er war tatsächlich bereit, ihr bei den Vorbereitungen des Rituals zu helfen. „Oh! Ich brauche rosemary, arnica, und vermouth!“, rief sie begeistert aus. Murtagh sah sie jedoch nur gereizt an.

„Geht das vielleicht auch in einer Sprache, die ich verstehe?“, blaffte er sie an und erst verstand Araya nicht, doch schließlich fiel der Groschen. „I-ich kenne leider keine Kräuternamen in deiner Sprache. Die, von denen ich es gelernt habe, hatten Besseres zu tun, als ganze Listen mit Kräutern durchzugehen“, erwiderte sie unsicher. Selbst wenn er unzählige Kräuter aufzählen würde, könnte sie ihm nicht sagen, welche sie bräuchte. Wie auch, wenn sie den Zusammenhang der Worte nicht herstellen konnte?

„Dann werde ich dich gleich bei Sonnenaufgang in die Küche schleusen müssen!“, seufzte der Drachenreiter ergeben und erhob sich. „Aber es ist spät und du möchtest bestimmt deinen wohlver-dienten Schlaf genießen und nichts davon missen. Ich hole dich ab, wenn die Sonne gerade den Horizont berührt.“ Er war schon an der Treppe angekommen, als Murtagh sich noch einmal umwandte. „Und Dorn? Sei brav!“, knurrte er in einem mahnenden Ton und verließ schließlich den Hort.

Murrend zog sich der rote Drache in eine der dunkleren Ecken der Höhle zurück und peitschte währenddessen mit dem schuppenbesetzten Schweif über den Boden. Araya hörte noch das Knir-schen der kleinen Steine unter seinen Schuppen, als er sich auf der Erde niederließ, dann war alles ruhig. Sie senkte den Kopf. Dorn schien sie aus unerfindlichen Gründen nicht besonders zu mögen, doch Araya selbst war sich keiner Schuld bewusst.

Das schabende Geräusch, das der schließende Geheimgang hervorrief, schallte durch den Drachen-hort und kündigte an, dass Murtagh die Halle verlassen hatte. Araya kam sich verlassen und allein in diesem riesigen Raum vor. Für einen Menschen war dies hier viel zu gewaltig, als dass er sich hier wohlfühlen konnte.

Suchend sah sie sich um. Es gab nirgendwo einen Platz, der mit Decken als Schlafstätte gekenn-zeichnet war. Sie hatte nicht wirklich erwartet, dass es ihr hier ein wenig gemütlicher gemacht wurde als in ihrer Zelle im Keller, doch ein paar Decken, um nicht auf dem so harten Erdboden schlafen zu müssen, hatte sie schon erwartet. Aber anscheinend war selbst das zu viel verlangt.

Seufzend entschied Araya, dass sie, wenn sie schon auf dem Boden schlafen musste, nicht wie auf dem Präsentierteller liegen wollte. Sie zog sich in ein halbdunkles Areal des Horts zurück. Vorher holte sie sich jedoch ihr altes und mittlerweile fast trockenes Kleid von dem unterirdischen Fluss und benutzte es als eine Art Kopfkissen.
 

Erneut frierend erwachte Araya am nächsten Morgen. Sie hatte wieder den Traum gehabt, unter Eis gefangen zu sein, und fand es langsam seltsam. Auch diese wunderschönen schwarzen Augen hatte sie wiedergesehen, doch sie war erwacht, bevor sie das Gesicht zu ihnen sehen konnte. Es war frustrierend …

Müde schloss sie erneut die Augen, worauf jedoch sofort ein Schütteln ihren Körper erfasste und sie sich hastig aufsetzte. Sie starrte genau in Murtaghs Augen. Und sie kam nicht umhin zu bemerken, dass seine Seelenspiegel fast genauso schwarz waren wie die aus ihren Träumen.

Mühsam riss sie sich von den Tiefen los, in die sie Araya ziehen wollten, und registrierte Dorn, der ungeduldig hinter Murtagh thronte. Endlich! Wurde aber auch Zeit, dass du aufwachst, kleine Fremde. Murtagh versucht bestimmt schon seit fünf Minuten, dich aufzuwecken!!, kommentierte er ihren schlaftrunkenen, fragenden Blick, der ihn auffordern sollte, ihr doch zu sagen, was ihm nun schon wieder nicht passte.

Verwirrt sah sie nochmals in Murtaghs Gesicht, bevor sie verschlafen fragte: „Was ist denn los?“ Die Augen verdrehend antwortete er, die Sonne sei aufgegangen und er wolle sie abholen. „Abholen? Wohin gehen wir denn?“, erwiderte Araya nur verwirrt. Sie hätte vielleicht erwähnen sollen, dass sie kurz nach dem Aufwachen nicht gerade der hellste Stern am Abendhimmel war, denn dann hätte Dorn sicher keinen Satz auf sie zugemacht, während er bedrohlich knurrte. Jedoch verfehlte diese Aktion seine Wirkung nicht, denn nun war sie hellwach.

„Ach so. Du willst mich in die Küche bringen, oder?“, fragte Araya sicherheitshalber noch mal nach und erhielt ein ungeduldiges Nicken als Antwort. „Ja. Aber wenn du dich nicht bald mal beeilst, wird das heute nichts mehr. Ich will nicht riskieren, dass der König von unserem Ausflug Wind bekommt“, antwortete Murtagh.

Also beweg dich!, setzte Dorn noch unhöflich hinten an und unterstrich seinen Befehl, indem er seinen rubinroten Schweif über den Boden sausen ließ. Gemächlich gähnend erhob sich Araya von ihrer unbequemen Schlafstätte und machte sich auf zum unterirdischen Fluss, in dem sie schon gestern gebadet hatte. „Ich hab dir deine Kleidung schon dorthin gelegt!“, rief ihr Murtagh noch nach, worauf er nur ein Winken von Araya bekam, das bedeuten sollte, dass sie verstanden hatte.

Sie sprang schnell in den kalten Fluss, wusch sich und versuchte schließlich, so trocken wie möglich zu werden, bevor sie in das von Murtagh mitgebrachte Kleid stieg und es sich überzog. Sie konnte erst an sich hinuntersehen, als sie wieder in dem künstlichen Licht stand. Es war ein einfaches Baumwollkleid ohne jede Verzierung, aber Araya fand, dass es unangenehm sowohl ihre blässlich schimmernde Haut als auch ihr schwarzes Haar betonte. In Cyrianna hätte sie so etwas niemals getragen.

Murtagh hingegen nickte zufrieden und wandte sich dem Ausgang zu. Ohne ein sichtliches Zeichen, dass er sie begleiten durfte, erhob sich Dorn und machte ebenfalls Anstalten, sich dem Loch in der Wand zu nähern. Araya beeilte sich, die beiden einzuholen und fragte dann: „Kommst du mit, Drache Dorn?“ Der rubinrote Drache starrte sie mit einem seiner Augen an, doch eine Antwort erhielt sie nicht. Für einen kurzen Moment drängte sich ihr der Gedanke auf, dass jetzt womöglich der Drache selbst nicht mehr so weit in ihr Bewusstsein vorstoßen konnte, um ihr seine Worte zu übermitteln, doch dann war Araya sich sicher, dass er sie einfach ignoriert hatte.

Dorn passte ohne Probleme durch den Gang mit den Treppen, auch wenn es sicherlich nicht sehr angenehm für ihn war, über die für ihn kleinen Erhöhungen im Boden zu gehen, da sie ihm in die Haut unter seinen Klauen drückte. Araya stellte sich die Frage, ob dieser Gang von jeher für Drachen gedacht gewesen war. Wenn ja, dann hatten die Erbauer nicht sonderlich viel auf das Wohl dieser magischen Geschöpfe geachtet.

Auch an der Wand in der Höhle gab es eine handtiefe Versenkung, in die Murtagh nun die Hand mit dem silbernen Mal legte und ein paar unverständliche Worte murmelte. Nun, da Araya dieses Schauspiel schon zum zweiten Mal sah und sie wusste, dass Murtagh ein Magier war, sträubten sich Araya die Nackenhaare. Sie war sich sicher, dass er Worte in der Alten Sprache aufsagte, um die Wand zu öffnen, und dieser Gedanke behagte ihr seltsamerweise nicht. Ihre Gefühle mussten so stark von ihr ausstrahlen, dass selbst Dorn sie erspüren konnte und in der kurzen Zeit unruhig mit dem Schweif peitschte.

„Still, Dorn!“, ermahnte Murtagh seinen rubinroten Drachen, während der Fels zurückglitt. Schuldbewusst biss sich Araya auf die Unterlippe und überlegte, ob sie ihm sagen sollte, dass Dorns Unruhe ihre Schuld war. Doch als sie schließlich den Mund öffnen wollte, gab der Drache nur ein abgehacktes Grollen von sich. Araya wunderte sich zwar, dass er ihren Fehler ausbügelte, aber die Taten eines Drachen waren von Natur aus undurchschaubar.

Die Schwarzhaarige beeilte sich, dem Drachenreiter zu folgen, bevor dieser wieder ungeduldig nach ihr rufen konnte. Dorn folgte rasch und die steinerne Wand glitt wieder an ihren ursprünglichen Platz zurück. Araya konnte gar nicht so schnell schauen, wie das geflügelte Wesen lautstark Anlauf auf dem Marmorboden genommen hatte, auf dem seine Krallen ein hohles Geräusch erzeugten, und durch eines der großen Fenster im Himmel verschwunden war.

Ehrfürchtig schaute Araya dem Himmelsherrscher nach und riss sich erst von dem Anblick des Feuer speienden und brüllenden Drachen los, als Murtagh sie an der Hand gepackt und quer durch den Thronsaal schleifte, sodass sie das Fenster aus den Augen verlor. Rasch hatte Araya wieder aufgeholt und lief nun neben Murtagh her.

Sie mussten nur einen Stock tiefer gehen, um die Küche zu erreichen. Sie lag am Ende eines schmalen Ganges, in dem man hintereinandergehen musste, um die Wände nicht zu berühren, was denkbar ungünstig war. Nicht selten kam ihnen mitten im Gang ein Diener entgegen, der sich mitsamt Tablett in eine kleine Nische drängen musste, um Murtagh vorbeizulassen. Er war höhergestellt als die Diener, daher wäre es unschicklich gewesen, ebenjenen den Vortritt zu lassen. Die höfischen Sitten scheinen also überall gleich zu sein, dachte sie und bedachte den vorbeilaufenden Jungen mit einem entschuldigenden Blick.

Die Küche war im Gegensatz zum Gang riesig. Das Dreifache des anwesenden Küchenpersonals hätte in den insgesamt drei Räumen Platz gefunden, und selbst dann hätte noch eine Heerschar von Kellnern Essen holen und Geschirr zurückbringen können. Der größte Teil der Küche wurde natürlich von den Kochfeuern und Arbeitsplatten eingenommen. Araya hatte noch nie so viele Kochstellen in einem Raum gesehen. Es waren weit mehr als fünfzig, und sie fragte sich, wie viele Menschen allein hier in Galbatorix Herrschaftsgebiet leben mussten, um eine solche Anzahl zu rechtfertigen.

Der zweitgrößte Raum war der Schlafraum des Gesindes, das nur aus einem einzigen Grund ihre Schlafstätten so nahe an der Küche hatte: Um in kalten Winternächten nicht zu erfrieren, in denen es reine Verschwendung wäre, Kaminfeuer brennen zu lassen. Natürlich nicht, weil es dadurch nicht wärmer wurde, sondern weil die hohen Herren, die die oberen Zimmer benutzten, das kostbare Holz nicht an ihre Lakaien und Bediensteten verschwenden wollten.

Der kleinste Raum war die Vorratskammer. Trotzdem übertraf diese alle Dimensionen, die Araya von Zuhause gewohnt war. Fünf große Regale standen an den Wänden und waren bestückt mit allen möglichen Lebensmitteln, die sie sich nur vorstellen konnte. Auf dem Boden lagen Kartoffeln, die ihr seltsam rund erschienen, und getrocknete Fleischstreifen hingen von der Decke. Doch ihre ganze Aufmerksamkeit richtete sich auf das breite Fensterbrett, auf dem Kräuter zum Trocknen lagen.

Araya suchte sich vorsichtig einen Weg durch das Gemüse, das auf dem Boden verstreut lag. Murtagh folgte ihr in einigem Abstand. Sie brauchte nicht lange, um die jeweiligen Kräuter zu identifizieren. „Das da! Das ist vermouth“, erklärte sie Murtagh. Der Brünette verzog das Gesicht und rief nach einer Köchin: „Hey, du! Komm her und sag mir, wie diese Kräuter heißen!“

Eilig suchte sich die mollige Frau einen Weg zu dem Fensterbrett, dann strich sie sich eine lose Haarsträhne zurück in ihren Dutt und fragte, welches Kraut der Herr gerne beim Namen wissen würde. Aufgeregt deutete Araya auf das gewünschte Grün. Ein unsicherer Blick streifte Murtagh, doch als der nur eine ungeduldige Handbewegung machte, erklärte sie schnell: „Das ist Wermut, edles Fräulein!“

„Wermut …“, murmelte Araya vor sich hin und versuchte, sich den Namen gut einzuprägen. Er fühlte sich seltsam befremdend auf ihrer Zunge an. „Und … und wie heißt rosemary in eurer Sprache?“ Um der Köchin zu zeigen, welches der Kräuter sie genau meinte, wies sie mit dem Zeigefinger auf die hellblauen Blüten hin. „Rosmarin“, antwortete die Frau mit einem Knicks.

Ein Nicken zeigte ihr, dass Araya verstanden hatte. Auf diese Weise erfuhr sie auch, dass arnica in Murtaghs Sprache Arnika hieß. Nachdem Araya die mollige Frau freundlich gefragt hatte, ob sie sich etwas von den drei Kräutern ausleihen könne, und eine zustimmende Geste erhalten hatte, hatte sie jeweils ein paar Zweige jeden Krautes genommen und in die Rocktaschen ihres Kleides verstaut. Dann fing die Fragerei unkontrolliert an: Araya nannte Begriffe in ihrer Heimatsprache und zeigte auf Dinge im Raum, die die Köchin dann für sie übersetzte.

Die arme Frau war völlig überfordert mit diesem fremdländischen Mädchen, dass sie über Küchenzutaten ausfragte. Jedoch erfuhr Araya auf diese Weise, dass nettle, thyme, fennel, rose hip, cumin, nutmeg und juniper hier Brennnessel, Thymian, Fenchel, Hagebutte, Kümmel, Muskat und Wacholder hießen. Als Arayas Wissensdurst endlich gestillt war, stand die Sonne schon um einiges höher und andere Köche hatten murrend die Schicht der molligen Frau übernommen, die eigentlich für das Frühstück verantwortlich gewesen war.

Erst jetzt bemerkte Araya ihren Hunger, und da es Murtagh zu umständlich war, erst wieder in den Drachenhort zu gehen und dann auf das Essen zu warten, beschloss er, sich darauf hinabzulassen, in der Küche zu essen. Araya freute sich über die Gesellschaft, und als Saliha in die Küche kam, um das benutzte Geschirr Seiner Majestät in die Küche zu bringen, bestand sie auf deren Anwesenheit und bescherte ihrer besten Freundin damit ein reichhaltiges Frühstück.

Leider wäre es auffällig gewesen, wenn Saliha noch länger ihrem Dienst ferngeblieben wäre, trotzdem war Araya glücklich, zu sehen, dass es ihrer Freundin weitestgehend gut ging. Sie schien es nicht so schwer zu haben wie sie selbst, ihr altes Leben hinter sich zu lassen und zu vergessen. Sie wirkte sogar richtig zufrieden.

Araya selbst vermisste den Geruch des Meeres und die weiten Ebenen in Drakon-Ryuu. Und ihre Familie. Sie konnte sich einfach nicht dazu überwinden, sie zu verdrängen oder sogar zu vergessen. Immer wieder rief sie sich die glücklichsten Momente mit ihrer Familie vor Augen; das Lachen ihres Vaters, den strengen und doch stets besorgten Blick ihrer Mutter und die unbeschwerte Ausgelassenheit ihres jüngeren Bruders.

Während sich Saliha und Araya miteinander unterhielten, saß Murtagh mit grimmiger und finsterer Miene neben ihnen, da er nichts von dem verstand, was die Mädchen miteinander redeten. Das war auch etwas gewesen, was sie genossen hatte: Sich wieder mit jemanden in ihrer Muttersprache zu unterhalten.

Lange hielt es Murtagh nicht mehr in der Küche aus, als Saliha sich entfernt hatte. Araya hatte sich zwar noch mit der netten Köchin und einigen Dienern unterhalten, die in der Küche auf Essen warteten, das sie ihren Herren bringen sollten, doch sie wurde rasch von dem Dunkelhaarigen unterbrochen, der sie dazu drängte, in den Hort zurückzukehren.

Sie ahnte, dass Murtagh einfach nicht weiter in der Küche stehen und ihr zusehen wollte, da er sich dort nicht wohlfühlte. Araya musste jedoch zugeben, dass sie sich in seiner Situation ähnlich fühlen würde. Sie bemerkte sehr wohl, wie befremdlich und manchmal auch feindselig die Diener ihn ansahen. Also ließ sie sich bereitwillig aus der Küche führen, ließ sich jedoch Zeit dabei, durch den engen Gang zurück in den Treppensaal zu gehen.

Sie wollte nicht schon wieder zurück in den Drachenhort mit seinem künstlichen Licht, wenn sie genauso gut die Strahlen der Sonne auf ihrer Haut genießen könnte. Vor allem, da sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben hatte, vielleicht wenigstens wieder eine leicht bräunliche Hautfarbe zu bekommen.

Um Murtagh das mitzuteilen, griff sie nach seiner Hand, als sie das Erdgeschoss erreicht hatten, da er vorging, um sie zu führen, und ignorierte das unangenehm Gefühl, das ihr Körper daraufhin zu ihr zurücksandte. Verwundert drehte er sich zu ihr um. „Was ist?“, fragte er, während er eine Augenbraue hochzog. Etwas verunsichert schielte Araya zu der kleinen Seitentür, die ihrer Meinung nach auf den Hof hinausführen könnte.

„Müssen wir schon zurück?“, erwiderte sie bedauernd und schaute dieses Mal direkt aus einem naheliegenden Fenster. Ihr war nicht wohl dabei, ihn zu bitten, mit ihr nur für ein paar Minuten nach draußen zu gehen. Sie wollte ihn nicht dazu zwingen, ihr einen Wunsch so offensichtlich abschlagen zu müssen. Außerdem könnte sie sich in diesem Fall immer noch selbst einreden, er habe ihre Andeutungen einfach nicht verstanden.

Doch Murtagh seufzte, als er ihrem Blick folgte. „Von mir aus“, antwortete er auf ihre unausgesprochene Frage und als sich Arayas Gesicht erhellte, fügte er schnell noch hinzu: „Aber nur für eine kurze Weile! Galbatorix wird es gar nicht gut aufnehmen, wenn er dich auf dem Hof sieht.“

Das war ihr schon genug. Zur Bestätigung nickte sie kräftig und wartete dann mit erwartungsvollem Blick darauf, dass Murtagh wieder vorging. Mit einem Kopfschütteln wandte er sich ab, umschloss ihre Hand fester und zog sie in Richtung der unauffälligen Holztür, zu der Araya noch kurze Zeit zuvor gesehen hatte.

Als sie durch die Tür traten, konnte Araya ein seliges Lächeln nicht verhindern. Sie wandte ihr Gesicht mit geschlossenen Augen dem Himmel zu und genoss die Wärme auf ihrer Haut. Das Mädchen sog die frische Luft tief in ihre Lungen, registrierte mit einem Stirnrunzeln jedoch die starke rauchige Note des Windes. Und als sie die Augen öffnete, sah sie die hohen Mauern, von denen das riesige Gebäude, in dem Galbatorix in Urû‘baen hauste, umgeben war. Dahinter musste sich die Stadt befinden, in der wohl auch viele Eisenhütten standen.

Araya warf einen weiteren Blick in den Himmel und bemerkte Dorn, der wohl die kurze Zeit der Freiheit ausnutzte, um unbeschwert seine Schwingen ausbreiten und wieder fliegen zu können. Er wirkte ausgelassen und fröhlich, und plötzlich kam er Araya viel jünger vor, als sie ihn aufgrund seiner Größe und Statur geschätzt hatte. Dann verdunkelte ein Schatten die Stelle, an der Murtagh und Araya standen.

Sie warf einen erneuten Blick auf Dorn, nur um festzustellen, dass er viel zu weit entfernt war, um gerade über sie hinweggeflogen zu sein. Erschrocken warf Araya den Kopf in den Nacken und erblickte einen zweiten Drachen. Auch Murtagh hatte den zweiten Herrscher der Lüfte entdeckt, und als dieser sich dem Boden näherte, kniete der Gefangene des Königs ohne zu zögern nieder.

Fast instinktiv folgte Araya seinem Beispiel, senkte jedoch nicht den Kopf, wie der junge Mann es tat. Ein pechschwarzer, männlicher Drache landete vor ihnen, hoch erhobenen Hauptes und stolzen Blickes. Aber Araya sah sofort die Ketten, die auch dieses wunderschöne Geschöpf in ihren Fängen hielten. Und das erste Mal in ihrem Leben stiegen ihr die Tränen aus einem Mitleid, das nahezu überwältigend war, in die Augen.

Als Murtagh bemerkte, das Araya den Drachen wie hypnotisiert anstarrte, packte er ihren Hinterkopf und drückte ihr Gesicht gen Boden. „Das ist Shruikan, Galbatorix‘ Drache“, zischte er ihr erklärend zu und hielt ihren Kopf unten. Nach oben schielend behielt sie den schwarzen Drachen trotzdem im Blickfeld. „Er liegt in Ketten“, erwiderte sie nur, und Murtagh drehte irritiert den Kopf zu ihr. Anscheinend war ihm ihre tieftraurige Stimmlage unangenehm aufgefallen.

Shruikan senkte den Kopf zu Araya, die stark dem Drang widerstehen musste, sich von Murtagh loszureißen und zurückzuweichen. Doch der Drache schnupperte nur an ihrem Haar, wandte sich dann wieder ab und erhob sich erneut in den Himmel. Allerdings blieb er in der Nähe des Hofes, sodass Araya bald darum bat, doch wieder in den Drachenhort zurückzukehren, da sie sich von Shruikan unangenehm beobachtet fühlte.

Murtagh stimmte dem erleichtert zu, denn so verringerte sich natürlich auch das Risiko, von Galbatorix entdeckt zu werden. Allerdings sorgte er sich darüber, dass Shruikan sie entdeckt hatte. Er konnte nur hoffen, dass der Drache über dieses Detail hinwegsah und schwieg, wenn er wieder auf seinen Herrn traf. Denn sonst müsste er die Konsequenzen für ihren Ausflug tragen.
 

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Ihr werdet es nicht glauben, aber ich habe in den Ferien fast DREI KAPITEL fertig geschrieben. Bin ich stolz auf mich. Ich versuche also, daran zu denken, das vierte möglichst bald hochzuladen^^
 

Hoffe, es hat euch gefallen und würde mich natürlich SEHR über Kommis freuen. Wie jeder Autor eben xDD
 

HDL Mara

Glaube

Sobald Murtagh sie in den Drachenhort zurückgeführt hatte - es war zu ihrem Erstaunen bereits Nachmittag -, verließ er sie wieder ohne ein Wort des Abschiedes. Araya fragte sich, ob sie ihn irgendwie verärgert hatte, konnte dafür jedoch keine Anzeichen in seiner Mimik erkennen. Im Gegenteil, seine Gesichtszüge waren starr und ausdruckslos, als wäre er gar nicht recht bei ihr …

Schließlich entschied sie sich, die Sache ruhen zu lassen und legte sich mit dem Gesicht zur Decke auf den erdigen Boden von Dorns Reich. Sie schloss die Augen und stellte sich vor, das künstliche Licht, das durch ihre Lider schien, wäre das der Sonne. Sie konnte die Wärme auf ihrem Gesicht spüren, ein wenig abgekühlt durch den unregelmäßig wehenden, leichten Wind. Und nach einer Weile meinte sie sogar, das Gras Drakon-Ryuus riechen zu können.

Seufzend öffnete Araya wieder die Augen und erblickte die hellerleuchtete Decke aus Höhlengestein. Zu gern hätte sie sich mit Saliha darüber unterhalten, ob diese auch so ein Heimweh hatte. Und wenn nicht, hätte sie gern gewusst, wie sie ihre Heimat leichter vergessen und den Schmerz austreiben konnte.

Wo sie so über das Gefühl des Vermissens nachdachte, fielen ihr die Kräuter in der Tasche ihres schlichten Kleides wieder ein. Sie griff mit ihrer Hand vorsichtig nach ihnen und brachte sie so zum Vorschein. Die Kräuter hatten sich bei der vielen Bewegung vermischt. Araya setzte sich auf und fing an, sie zu sortieren. Nach ein paar Minuten lagen vier Büschel Kräuter vor ihr.

Sie zupfte sowohl vom Rosmarin als auch vom Wermut die Blätter ab. Das waren die Bestandteile, die sie brauche würde. Die Zweige des Rosmarins könnte sie allerdings auch noch verwenden. Die Arnika würde sie trocknen. Dumm nur, dass es weder Sonne noch Wärme gab, womit sie das bewerkstelligen könnte. Vielleicht würde sie Murtagh um Hilfe bitten.

Ganz davon abgesehen, dass sie hochwertiges Speiseöl brauchte, um aus den Blättern des Rosmarin ein wohlriechendes Öl zu machen, dessen Verbrennung am Vollmond essentiell war. Dann würde sie die getrockneten Arnikapflanzen über das kleine Feuer geben, dass sie entzünden würde, und schließlich die Wermutblätter und die kleinen Sprossspitzen zerdrücken, um den aromatischen Duft zu verbreiten.

Wenn sie denn das Speiseöl bekam. Sie hätte gleich in der Küche daran denken sollen. Aber sie war so erpicht darauf gewesen, die Namen der anderen Kräuter zu erfahren, dass sie das völlig verdrängt hatte. Und dann war auch noch Saliha dazugekommen.

Araya verzog das Gesicht. Sie machte es sich wirklich nicht gerade leichter. Es missfiel ihr, Murtagh um Öl bitten zu müssen. Aber es blieb ihr ja nichts anderes übrig. Ein schabendes Geräusch, das aus dem Gang kam, ließ sie hoffnungsvoll aufsehen. Sie wurde jedoch enttäuscht, als schließlich Dorn die Höhle betrat.

Als sie seufzte, wandte Dorn ihr seine Aufmerksamkeit zu. Ein Grollen erfüllte den Raum, während seine Stimme in Arayas Kopf mürrisch widerhallte. Was ist? Araya verstand das als eine Aufforderung, ihm ihre Sorgen mitzuteilen, trotzdem antwortete sie: „Es ist nichts. Ich dachte nur, vielleicht kommt Murtagh noch einmal zurück. Ich habe etwas vergessen.“

Der Drache kam näher, wie, um ihr zu bedeuten, dass er ihr zuhörte und sie weiterreden sollte. „Nichts Weltbewegendes!“, fügte Araya deswegen an. Das letzte, was sie wollte, war, dass sie Dorn verstimmte, weil sie ihn mit für ihn unwichtigen Details und Problemen überhäufte. Sie stellte sich einen wütenden und genervten Drachen nicht angenehm vor.

Als Dorn sie nur weiterhin ansah, begab sich Araya unbewusst in eine Abwehrhaltung. „Was interessiert dich das überhaupt so sehr? Du kannst mich ja nicht mal gut leiden!“, fauchte sie, bereute es jedoch gleich wieder, als Dorn seine Lefzen hochzog und ihr seine scharfen Fänge untermalt mit einem bedrohlichen Knurren zeigte.

Nimm dir nicht zu viel heraus, Menschenkind!, erhob er abermals seine tiefe und mächtige Stimme. Er klang schon jetzt ungehalten. Hätte sie ihm von ihren unbedeutenden, für sie aber weitreichenden Problemen erzählt, wollte sie sich nicht vorstellen, wie er jetzt klingen würde. Innerlich beglückwünschte sie sich schon für ihre Weitsicht, als Dorn ungeduldig schnaubte und fortfuhr: Spuck es schon aus!

Jetzt wurde Araya misstrauisch. „Warum willst du das so unbedingt wissen?“, erwiderte sie nur und musterte den rubinroten Drachen mit einem scharfen Blick. Was führte er in Schilde? Dorn hatte sich in den letzten zwei Tagen - diesen mit eingeschlossen - reichlich wenig um sie gekümmert. Im Gegenteil, er hatte sie gemieden, wo es nur ging, und sich über sie lustig gemacht. Er hatte sie mehrfach mit Drohgebärden einzuschüchtern versucht und sie nur missmutig in seinem Reich aufgenommen.

Unter ihrem forschenden Blick knurrte Dorn jedoch nur ungehalten und scharrte mit den Krallen auf dem Erdboden, anstatt ihr eine Antwort zu geben. Und als sie sich dieses Verhalten weiterhin ansah, das immer mehr danach aussah, als würde Dorn sich unter ihren Fragen und Blicken unangenehm fühlen, und sie das mit dem Verhalten eines Menschen, der grimmig auf den Boden starrend und mit dem Fuß scharrend vor ihr stehen würde, wäre Dorn kein Drache gewesen, ging ihr langsam ein Licht auf.

Ungläubig starrte sie das große Geschöpf vor sich an. „Hat Murtagh dir etwa gesagt, du sollst ein bisschen netter zu mir sein?!“, fragte sie erschüttert und fühlte sich in ihrer Vermutung nur noch mehr bestätigt, als Dorn sich abrupt abwandte und sie anfuhr. Natürlich nicht! Was für ein dummer Gedanke! So was kann auch nur von dir kommen! Mit diesen Worten machte Dorn sich in eine Ecke des Hortes auf und wandte ihr demonstrativ den Rücken zu, während er weiterredete: Aber wie du meinst. Die Probleme eines kleinen Mädchens wie dir interessieren mich auch gar nicht, also bilde dir ja nichts darauf ein!!

„Das wäre mir auch nie in den Sinn gekommen!“, rief Araya entrüstet aus und ließ den Drachen beleidigt abziehen. Sie konnte es immer noch nicht glauben. Da überwand sich ein Drache, mit einer Person zu reden, die er absolut nicht leiden konnte, nur weil ein Mensch dies von ihm verlangt hatte? Andererseits, wenn die Bindung zwischen den beiden wirklich so stark war, wie sie durch Murtaghs Erzählungen und ihren Beobachtungen vermutete, blieb Dorn wahrscheinlich kaum eine andere Wahl. Es sei denn, er wollte Streit riskieren …

Um dies im Keim zu ersticken, rief sie Dorn, der bereit auf der anderen Seite des Horts auf einem schattigen Flecken Erde saß, zu: „Und richte Murtagh aus, er brauch sich keine Sorgen zu machen, dass ich einsam bin.“ Sie erwartete gar keine Antwort von Dorn.

Für sie war das Thema erledigt. Araya legte sich wieder mit dem Rücken auf den Boden und starrte abermals auf die Höhlendecke, da sie nichts mit ihrer Zeit anzufangen musste. Die Langeweile war fast so schlimm, wie die Dunkelheit in ihrer alten Zelle oder die grauenhaften Träume, die sie hin und wieder immer noch verfolgten.

Sie wusste nicht, wie lange sie nun schon die Decke anstarrte und auf ihr imaginäre Bilder zeichnete, doch es mussten wohl schon ein paar Stunden sein, da vernahm sie abermals das Knirschen der Felswand, die den Eingang zum Drachenhort öffnete. Araya machte sich nicht einmal die Mühe, sich aufzusetzen. Wer, außer Murtagh, sollte schon hier herunterkommen?

Doch als sie einen Blick in Richtung Eingang warf, erschien dort nicht der junge Mann, den sie erwartet hatte, sondern die Dienerin, die ihr gestern das Kleid gebracht hatte. Dieses Mal hatte sie allerdings weder einen Korb noch Kleidung auf dem Arm. Was sie wohl hier unten will?, ging es Araya durch den Kopf, doch als das junge Mädchen weiterhin unbeirrt auf sie zuhielt, setzte sie sich auf. Anscheinend wollte sie mit ihr reden.

Das Mädchen blieb vor ihr stehen und starrte auf Araya hinab, die ja immer noch auf dem erdigen Boden saß. Dann musterte sie sie. Als ihr Blick auf das Baumwollkleid fiel, das sie trug, verzog sich ihr Gesicht zu einer verächtlichen Fratze. „Das Kleid, das Argetlam Murtagh heute von mir zu bekommen verlangte, war also für dich bestimmt“, stieß die Dienerin in ihrem wahrscheinlich unfreundlichsten Ton aus. Aber Araya war anderes gewohnt. Das sollte sie noch einmal üben, wenn das Mädchen sie verletzen wollte.

„Nun, meine Kleidung aus meiner Heimat ist rettungslos verloren und ich wollte das wunderbare Kleid von dem Tyrannen Galbatorix doch nicht verschmutzen!“, erwiderte Araya sarkastisch und verzog das Gesicht. Was war das Problem dieses Mädchens? Das sie Kleidung bekam und sie nicht? Sie konnte das Kleid des Tyrannen-Königs ruhig haben, sie wollte es jedenfalls nicht mehr sehen.

Das Mädchen wurde kalkweiß und biss offensichtlich die Zähne zusammen, um keine unfreundliche Bemerkung fallenzulassen. Warum sie sich zurückhielt, war Araya jedoch ein Rätsel. Außer Dorn würde hier niemand von ihrer Eifersuchtsattacke etwas erfahren. Und der Drache würde ja wohl kaum mit dem Dienstpersonal oder dem König plaudern, oder?

Als sie eine Weile weiter nichts sagte, stand Araya nun doch auf. „Wenn das alles war, was du herausfinden wolltest, dann würde ich dich bitten, jetzt zu gehen. Ich würde diesen Tag gerne ohne vernichtende Blicke im Nacken ausklingen lassen, auch wenn deine niemanden in Grund und Boden starren würden“, teilte sie dem Mädchen mit, das daraufhin noch bleicher wurde. Doch ihre Ansprache schien keine Wirkung zu entfalten.

Als Araya schließlich genervt seufzend zum Ausgang schielte und überlegte, wie sie die junge Dame so schnell wie möglich dort hinausbefördern könnte, vernahm sie auf einmal ein zischenden Geräusch und fühlte dann einen Schmerz in ihrer rechten Wange, als ihr Kopf nach links geworfen wurde. Araya brauchte eine Weile, um zu verstehen, dass das Mädchen ihr eine Ohrfeige gegeben hatte.

Als sie sich der Dienerin wieder zuwandte, konnte sie deutlich Dorns interessierten Blick auf sich spüren. Ihr Gegenüber hatte die Hand immer noch erhoben und starrte sie hasserfüllt an. Sie biss sich auf die Lippe, anscheinend, um eine Salve von Beschimpfungen aufzuhalten, und Araya fragte sich einmal mehr, was diese Göre eigentlich von ihr wollte!

Sie rieb sich über die brennende Wange und starrte jetzt ihrerseits der Dienerin in den Augen. Gut, eine Schelle würde sie ihr durchgehen lassen, weil sie noch so jung war. Trotzdem, wenn sie nach dieser Aufforderung ihr Glück nicht in der Flucht suchen würde, würde Araya sie persönlich aus dem Drachenhort werfen, und wenn sie dieses Mädchen zwingen musste, die Worte auszuspucken, die die Tür öffneten … selbst, wenn sie aus einer Auseinandersetzung sicher als Verliererin hervorgehen würde, wenn sie die Dienerin so musterte. Die körperliche Arbeit, die ihr Beruf mit sich brachte, hatte ihr wahrscheinlich mehr Muskeln beschert, als die Hausarbeit, die Araya von Zuhause gewohnt war.

„Ich schlage vor, du gehst jetzt besser. Und wenn du das nächste Mal hierherkommst, trinkst du vorher einen Tee mit Baldrian oder ähnlichem, ja? Deine Narrenfreiheit hast du gerade aufgebraucht“, erklärte sie ihr so ruhig es ging, doch man hörte die versteckte Drohung deutlich heraus. Das Mädchen schaute ihr erschrocken in die Augen, anscheinend hatte sie erst gar nicht mit Gegenwehr gerechnet. Dann drehte sie auf dem Absatz um und stolzierte aus dem Drachenhort, allerdings verriet ihr erhöhtes Schritttempo ihre Nervosität.

Als Araya heute zum dritten Mal das Geräusch der sich öffnenden und schließenden Pforte hörte, entschloss sie sich, den Tag für heute zu beenden und die verlorene Nachtruhe durch das frühe Aufstehen nachzuholen. Mit diesem Entschluss im Hinterkopf drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand in der dunkleren Nische des Drachenhortes, die sie sich schon gestern als Schlafstätte auserkoren hatte. Im Rücken immer noch Dorns forschenden Blick.
 

Araya driftete am nächsten Morgen durch den wärmenden Geruch von frischen Broten und ihren protestierenden Magen aus ihrem kalten Traum. Es verwunderte sie nicht, dass sie großen Hunger hatte, schließlich hatte sie am Abend nichts mehr gegessen. Doch sie bezweifelte, dass man ihr noch etwas gebracht hätte, nach dem Streit mit der Dienerin, die ihr offenbar zugeteilt wurde.

Sie öffnete die Augen und sah Murtagh im Schneidersitz auf dem Boden hocken. Er hatte einen großen Korb mitgebracht und holte daraus gerade alle möglichen Leckereien, die Araya sich im Moment vorstellen konnte. Langsam erhob sie sich, schritt schon zum dritten Mal zu dem kleinen Bach, der durch den Hort floss, wusch sich das Gesicht und die Arme, bevor sie aus den Schatten trat und Murtagh den Kopf hoch.

Araya klopfte sich die Erde vom Kleid, während der junge Mann sie mit einem freundlichen Lächeln begrüßte. „Gut geschlafen?“, fragte er und erinnerte sie unwillkürlich an ihren wiederkehrenden Traum. War es normal, dass man immer den gleichen Traum hatte? Das schlimmste daran war ja eigentlich, dass sie nie das Gesicht des Unbekannten sah. Was sie langsam aber sicher in den Wahnsinn trieb. Trotzdem antwortete sie Murtagh etwas gequält lächelnd: „Ja. Auch, wenn der Boden nicht der bequemste ist.“

„Ich habe dir Frühstück mitgebracht“, fuhr Murtagh fort, während er weiterhin Köstlichkeiten aus dem großen Korb hervorzauberte und Araya auf ihn zuging. „Hab gehört, du hattest gestern kein Abendmahl. Also dachte ich, ich komme mit meiner Verpflegung zu dir und Dorn und wir essen zusammen.“

Sie staunte nicht schlecht. So viel Essen war für Murtagh allein gedacht? Wo steckte er das alles nur Tag für Tag hin? „Das alles isst du jeden Morgen?“, platzte es schließlich aus ihr heraus. Doch Murtagh lachte nur. „Nein, natürlich nicht. Ich habe eben eine große Auswahl!“ Araya konnte es nicht glauben. Selbst Zuhause, als sie noch selbst entscheiden konnte, was sie anbauten, wurde nur soviel geerntet, wie man auch verzehren konnte. Und das Angebot war streng saisonbestimmt.

„Und was passiert mit dem Rest?“, fragte sie weiter, während sie sich Murtagh gegenüberhockte und stellte sich vor, wie viele Vorräte man anlegen konnte, wenn man das Übriggebliebene einlegte. Oder wie viele Mittel- und Heimatlose man ernähren konnte.

Murtagh sah überrascht auf. Diese Frage hatte man ihm anscheinend noch nie gestellt. „Ich glaube, es wird weggeworfen“, antwortete er schließlich zögernd. Er wusste es nicht einmal! Hatte er sich nie Gedanken darüber gemacht?! „Das wäre aber eine schreckliche Verschwendung! Denk doch nur daran, was man mit dem ganzen Essen machen könnte! Vorräte für lange Winter anlegen oder Arme ernähren!“, erwiderte Araya schließlich. Murtagh starrte sie nur an.

Araya ging erst ein Licht auf, als Murtagh sie fragte: „Du kommst aus einer Bauernfamilie?“ Natürlich. Murtagh war so viel Auswahl und Reichtum wahrscheinlich von klein auf gewohnt. So, wie er immer gekleidet war, hätte sie schon eher darauf kommen sollen. Und Reiche dachten nie daran, wie sie mit ihrem Reichtum helfen konnten. Sie waren egoistisch genug, um ihn für sich allein zu horten. Auf Murtaghs Frage brauchte sie nicht zu antworten. Sie sah in seinem Blick, dass es eher rhetorisch gemeint war.

Schließlich entschloss sie sich, der Göttin zu danken, dass wenigstens sie von diesem Reichtum als Mittellose profitieren konnte und nicht alles weggeworfen wurde. Sie griff nach einem Brot und nahm sich eine der Schüsseln, die Murtagh gerade auspackte. Er reichte ihr schließlich noch ein Messer, mit dem sie das Essen zuschneiden konnte. Araya zögerte kurz, ein wenig von dem Fleisch oder dem Joghurt zu nehmen, doch Murtagh schien es zu bemerken und bedeutete ihr mit einer Handbewegung, dass sie zugreifen sollte. Schließlich griff auch er zu.

Araya führte gerade ein Stück des Brotes zu ihrem Mund, als sie aus dem Augenwinkel einen Glaskrug entdeckte. Sie ließ das Brot sinken und starrte nun ganz offen auf das Gefäß, das mit einer gelblichen, durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war.

„Ist das Speiseöl?!“, fragte sie ungläubig und wusste die Antwort doch schon vorher. Sie konnte ihr Glück gar nicht fassen. Noch gestern hatte sie sich den Kopf darüber zerbrochen, wie sie Murtagh darum bitten sollte, ihr Speiseöl zu beschaffen, und da spazierte er in den Drachenhort mit einem gefüllten Krug davon. Murtaghs Nicken zauberte nur das glückliche Lächeln auf ihr Gesicht, das sich in ihrem Geist schon längst ausgebreitet hatte. „Ich bekomme es immer zum Brot mitgebracht. Um es schmackhafter zu machen.“

„Kann ich etwas davon haben?!“, fragte Araya übereifrig und griff schon nach einer weiteren Schüssel. Wieder nickte Murtagh nur, dieses Mal überrascht über ihre Freude. Sofort goss sie etwas von dem Öl in die Schüssel, brachte sie schnell zu ihren Rosmarinblättern und legte sie darin ein. Diese Mischung musste jetzt noch etwas stehen bleiben, dann würde sie hochwertiges Rosmarinöl erhalten.

Araya wollte sich gerade wieder umdrehen und zu Murtagh zurückkehren, da hörte sie ein knirschendes Geräusch in der Dunkelheit vor sich. Bevor sie ergründen konnte, was sich da bewegte und dabei solch ein Geräusch verursachte, kam ein schwarzer Drachenkopf mit blutroten Augen aus dem Schatten hervor, die sie anstarrten.

Aufschreiend wich Araya zurück und keine Sekunde später stand schon Murtagh hinter ihr. Mit weit aufgerissenen Augen, die nur auf Shruikan gerichtet waren, stolperte sie weiter von dem Drachen fort, bis sie auf Murtagh traf, der nur die Hände um ihre Oberarme schloss, was einen stechenden Schmerz durch ihren Körper schickte, und sie hinter sich zog.

„Ehrenwerter Shruikan, es freut mich, Euch hier im Drachenhort zu sehen“, sprach Murtagh den schwarzen Drachen an, doch Araya spürte, dass er seine Worte nicht annähernd so meinte, wie er sie sagte. Und erst jetzt begann sie sich zu wundern, dass sie Dorn heute noch nicht gesehen hatte. Der jüngere Drache musste sich zurückgezogen haben, um dem ranghöheren Tier seinen Platz zu lassen.

Der große Drache knurrte Murtagh mit hochgezogenen Lefzen an. Als Murtagh auf etwas antwortete, dass Araya nicht gehört hatte, ging ihr auf, dass dies nur die Untermalung der Worte war, die nur er gehört hatte. „Der König hat dies veranlasst. Wenn ihre Anwesenheit Euch missfällt, müsst Ihr dies mit Eurem Herren ausdiskutieren“, erwiderte Murtagh mit erstaunlich diplomatischem Ton. Anscheinend nahm auch Shruikan Anstoß an ihrem Hiersein. In den letzten Monaten schien sich aller Ärger um sie zu drehen …

Araya konnte einen wütenden und bitteren Blick nicht unterdrücken. Sie selbst wollte doch auch nicht hier sein! Sie wollte viel lieber daheim auf dem Hof ihrer Eltern sein und ihr altes Leben wiederhaben. Was dachten sich diese Drachen nur, dass sie Anstoß an ihrer Anwesenheit in ihrem Revier nahmen und dabei nicht bedachten, dass Araya selbst aus ihrem »Revier« vertrieben und entführt wurde?!

Doch Shruikan schien sich Murtaghs Vorschlag zu Herzen zu nehmen, denn kaum hatte er beide Menschen vor sich noch einmal mit einem abschätzigen Blick bedacht, drehte er sich um und verschwand in der Dunkelheit. Araya hörte nur noch das Flügelschlagen des riesigen Tieres, dann war auch das Geräusch verschwunden.

Murtagh atmete hörbar auf und drehte sich dann lächelnd nach Araya um. „Also, man kann sagen, was man will, aber gute Lungen hast du!“, lachte er, doch er verstummte sofort, als er ihren Blick bemerkte. „Gibt es hier noch einen Ausgang?“, fragte Araya, anstatt auf seinen fragenden Blick oder seine Bemerkung einzugehen. Der junge Mann nickte und Araya wollte sich schon zu der Stelle aufmachen, an der Shruikan verschwunden war, doch er hielt sie davon ab.

„Das brauchst du nicht zu versuchen. Der Ausgang ist mit einem Zauber belegt, der nur Wesen mit einem lebenden Drachen als Begleiter den Durchgang gewährt.“ Er warf ihr einen bedauernden Blick zu. „Tut mir leid.“ Dann drehte er sich um und ging ohne ein weiteres Wort zurück zu ihrem Frühstück. Nach kurzem Zögern folgte Araya ihm.

Sie nahm das Stück Brot, das sie hatte essen wollen, bevor sie das Speiseöl entdeckt hatte, wieder auf und führte es sich lustlos zum Mund. Ihr war über den Schreck mit Shruikan der Hunger vergangen. Doch ein paar Bissen des wirklich köstlichen und weichen Brotes und ihr Hunger kehrte mit vollem Eifer zurück. Als sie das Gebäck vertilgt hatte, griff Araya nach dem Joghurt, der wunderbar weiß und rein anmutete, und tat davon etwas in ihre Schüssel. Dann nahm sie sich einen der Äpfel und das Messer, das Murtagh ihr gereicht hatte, schnitt ihn in angenehm große Stücke und gab diese dann in den Joghurt. Murtagh beobachtete sie dabei verdutzt.

Araya starrte noch eine Weile auf diese Mischung, bevor sie endgültig beschloss, dass zu wenig Abwechslung vorhanden war und es eine Schande wäre, mehr von dem Obst verkommen zu lassen. Also nahm sie sich eine Handvoll Erdbeeren, die sie ebenfalls zerkleinerte und in den Joghurt gab, und drei Handvoll Waldbeeren. Diese waren ein gemischtes Einerlei aus Brombeeren, Wilderdbeeren, Johannesbeeren, Himbeeren und Heidelbeeren. Zum Abschluss schüttete sie noch nach Augenmaß Haferflocken hinein und gab zum Verflüssigung ein wenig Milch hinzu.

Als sie mit einem Löffel das ganze vermischte und schließlich einen Bissen von ihrem improvisierten Frühstück nach Art ihrer Mutter nehmen wollte, konnte Murtagh, der sie nun offen anstarrte, nicht mehr an sich halten: „Was tust du da?!“ Araya sah überrascht auf und folgte seinem Blick zu ihrer Schüssel.

„Das … Das hat meine Mutter uns immer gemacht. Damit wir gestärkt in den Tag gehen können. Dieser Joghurt macht satt und gibt dir Energie bis zum Mittag hin. Und er macht wach!“, grinste sie schließlich, doch Murtagh schien ihr nicht so recht zu glauben. „Und das soll schmecken?“, fragte er ungläubig nach, als Araya den ersten Löffel mit einem seligen Ausdruck auf dem Gesicht genoss.

„Natürlich!“, rief sie gekränkt aus. Und wie zum Beweis stand sie auf, ging zu Murtagh hinüber, ließ sich neben ihm nieder und hielt ihm einen gefüllten Löffel des Joghurts vor die Nase. Der Drachenreiter sah sie verdutzt an. „Mund auf!“, befahl Araya, als er keinerlei Anstalten dazu machte. Sie meinte, einen roten Schimmer sich auf seiner Nase ausbreiten zu sehen, bevor er ihrer Aufforderung folgte und den Mund gerade weitgenug öffnete, dass sie ihm den Löffel zwischen die Lippen schieben konnte.

Mit einem misstrauischen Ausdruck kaute er die Mischung in seinem Mund, während auf Araya wieder etwas davon nahm und ihr Morgenmahl fortsetzte. Als er schließlich schluckte, traf ihn ein auffordernder Blick von dem Mädchen ihm gegenüber. „Ich bin deftigeres morgens gewohnt. Nicht so mein Geschmack“, antwortete er schließlich und verzog etwas das Gesicht. Araya zog einen Schmollmund, nahm die Antwort aber kommentarlos hin. Über Geschmack ließ sich eben nicht streiten, das hatte schon ihr Vater gesagt.

Dafür konnte jemand anderes mit seiner Meinung nicht hinter den Berg halten: Aber füttern lässt du dich von ihr wie ein kleines Kind! Dorns Lachen hallte durch ihrer beiden Köpfe und im Gegensatz zu Murtagh, der weder aufsah noch sich wirklich umsehen musste, um Dorn zu entdecken, warf Araya den Kopf von einer Seite auf die andere, ehe sie den rubinroten Drachen in der Nähe ihrer Kräuter entdeckte.

Was hast du da gemacht?!, fragte er nach einem kurzen witternden Geräusch unfreundlich. Das stinkt ja bestialisch! Araya wusste erst nicht, was er meinte, immerhin hatte sie nur ein paar Kräuter dorthin getan. Wermut hatte zwar einen sehr aromatischen Duft, ebenso wie das langsam entstehende Rosmarinöl, doch selbst Arnika stank nicht. Erst, als Araya in den Sinn kam, dass Dorns Nase viel empfindlicher war als ihre eigene, ging ihr ein Licht auf.

„Kräuter!“, antwortete sie etwas verspätet. „Der Rosmarin gibt seine Öle und Inhaltsstoffe gerade an das Speiseöl ab und der Wermut hat einen starkaromatischen Duft. Tut mir leid, wenn deine Nase darunter leidet!“

„Komm einfach her, dann riecht es auch nicht mehr so stark!“, schlug Murtagh Dorn vor und der Drache folgte tatsächlich murrend. Einmal mehr wurde Araya vor Augen geführt, dass er eine gewisse Autorität dem Drachen gegenüber hatte. Mit einem knirschenden Geräusch, das durch die Steine entstand, die Dorn unter sich zermalmte, ließ sich der Drache nieder und schnaubte noch einmal abfällig.

Araya konnte gar nicht anders, als sich abermals zu fragen, warum Dorn so unfreundlich zu ihr war. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob diese Grobheit nicht einfach zu seinem Charakter gehörte. Wenn man allerdings an Murtaghs zwar etwas egoistische, aber doch unterbewusst sanfte Art dachte, wären die beiden schon ein ziemlich unterschiedliches Paar, wenn Dorn tatsächlich eher ungehobelt veranlagt war.

Abermals drehte sich Araya zu den am Fluss liegenden Kräutern, während Murtagh Brot und Fleischstreifen kaute. Dann sah sie wieder den Drachenreiter an. Warum hatte sie nur das Gefühl, etwas vergessen zu haben? Sie war doch sonst nicht so vergesslich … Vielleicht lag es daran, dass sie Murtagh nicht nach dem Speiseöl hatte fragen müssen? Das Rosmarinöl war ja nun gesichert.

Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Die Arnika! Natürlich, sie musste ja noch die Arnika trocknen. Besser gesagt, sie musste Murtagh noch darum bitten, das Kraut magisch zu trocknen. Ungeduldig wartete Araya, bis auch Murtagh aufgegessen hatte, während sie den Rest des Joghurts vor Tatendrang nahezu herunter schlang. Als sie fertig war, wusste Araya nichts mit sich anzufangen und verlagerte sich darauf, Murtagh beim Essen zuzusehen.

Den Drachenreiter schien dies aber so zu nerven, dass er das halbgegessene Brot beiseitelegte. „Was ist?“, fragte er mürrisch. Araya schüttelte den Kopf. „Nichts, iss ruhig erst auf!“ Murtagh verdrehte die Augen. „Weißt du, ich bin es nicht gerade gewohnt, dass man mir beim Speisen zusieht, als hätte man mir Gift hineingetan und würde nun sehen, wie viel ich von der fraglichen Substanz zu mir nehme!“, erwiderte er und Araya konnte gar nicht anders: Sie wurde purpurrot.

„Entschuldige …“, murmelte sie und senkte den Kopf, nachdem sie gesehen hatte, wie Murtagh sie nun erst recht seinerseits anstarrte. Um nicht noch mal in Verlegenheit zu kommen oder bringen, je nachdem, aus welcher Perspektive man es betrachtete, starrte sie lieber den Erdboden an, auf dem sie saß. Und war dankbar dafür, dass Dorn seinen Kommentar diesmal zurückhielt. Sie war sich sicher, hätte er noch seine Meinung kundgetan, hätte sie vollends die Fassung verloren.

Nachdem Murtagh mit dem Essen fertig war, begann er das Gespräch: „Also, was war los?“ Araya sah unsicher auf und bemerkte, dass er bereits alles wieder in den Korb gepackt hatte. Sie wusste nicht, wie spät es war, aber sie war sich sicher, dass das Frühstück durch die Unterbrechungen länger als geplant gedauert hatte und es bestimmt schon später Vormittag war.

Sie seufzte. „Ich habe ein Problem. Ich habe dich zwar darum gebeten, mir bei der Beschaffung der Kräuter zu helfen, die ich brauche, aber nicht daran, dass ich auch gewisse Hilfsmittel brauche, um sie weiterzuverarbeiten. Es war eine Fügung des Schicksals, dass du Speiseöl mitgebracht hast, aber ich kann ohne Hilfe keine Pflanze schonend trocknen“, erklärte sie Murtagh ihre verzwickte Lage und er bewies einmal mehr, dass er nicht auf den Kopf gefallen war. „Und du brauchst meine Hilfe dafür, weil ich mit einem Zauber nachhelfen kann.“

Es war eher eine Feststellung denn eine Frage, aber trotzdem fühlte Araya sich genötigt, zu nicken. „Gut, dann bring sie her!“, forderte Murtagh sie auf, und Araya konnte nicht anders, als ihn anzustrahlen und aufzuspringen. Es war wirklich ein Glück, dass sie ihn kennengelernt hatte. Sie wollte gar nicht wissen, wo sie jetzt stünde, hätte der Drachenreiter sich nicht für sie eingesetzt, oder wie unglücklich sie ohne seine Gesellschaft wäre.

Das eigentliche Trocknen des Krautes ging viel schneller voran, als Araya es sich vorgestellt hätte. Auf natürlichem Wege musste man drei Tage warten, bis man den richtigen Grad erreicht hatte, und sie hatte erwartet, dass Murtagh mindestens drei Stunden brauchen würde. In Wirklichkeit murmelte er ein paar unverständliche Worte – Araya vermutete, dass er sie absichtlich so leise sprach, dass sie ihn nicht verstehen konnte, damit sie ihn nicht wieder löcherte – und saß gerade einmal zehn Minuten still, in denen Araya den gesamten Prozess des Trocknens im Schnelldurchlauf mit verfolgen konnte.

Als Murtagh fertig war und ihr die Arnika wiedergeben wollte, hatte sie vor Staunen große Augen und bekam wortwörtlich den Mund nicht mehr zu. Ihn schien ihre Bewunderung eher verlegen zu machen, und so forderte er sie unwirsch auf, ihm endlich dieses verdammte Kraut aus der Hand zu nehmen. Araya folgte diesem Befehl hastig und brachte die getrocknete Pflanze zurück an ihren alten Platz.

Murtagh folgte ihr in einigem Abstand, während Dorn gemütlich auf der Stelle liegenblieb. Araya bemerkte ihn erst, als sie sich umdrehen wollte. Er musterte die Schüssel mit dem Öl und dem Rosmarin darin, die Wermutblätter, die völlig unverändert danebenlagen und die getrocknete Arnika. Dann machte er seiner Neugier Luft.

„Wozu brauchst du die eigentlich?“, fragte er und ließ abermals seinen Blick über die Pflanzen streifen. Araya sah ihn an und lächelte. „Für eine Zeremonie an Vollmond. Für unsere Göttin“, fügte sie auf seinen verständnislosen Blick an. Murtagh wirkte überrascht.

„Eigentlich ist es verständlich, dass ihr einen Glauben habt, aber eine Göttin?! Ihr zelebriert eine richtige Religion?“, fragte er weiter und Araya nickte nur. „Erzählst du mir davon?“ Mit einem weiteren Nicken begann Araya, von ihrem eigenen Glauben zu erzählen.

Fragen

Hab tatsächlich zwei Kapitel geschafft *stolz auf sich sei*

Ja, und die gibt's jetzt^-^

Das nächste ist übrigens schon durchgeplant, aber ich weiß nicht, wann ich das schreibe, sorry xDD

Aber erstmal viel Spaß!!

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„Es gibt eine Geschichte zu unsere Göttin“, erzählte Araya ihm und Murtagh hatte seinen Blick unverwandt auf sie gerichtet. Was sie, ehrlich gesagt, etwas nervös machte. „Ihr Name ist Louise, und es heißt, sie sei einmal ein Mensch wie jeder von uns gewesen. Aber das Land, in dem sie lebte, kontrollierte sie und nahm ihr die Freiheit, eigene Entscheidungen zu treffen. So zog sie fort und suchte sich einen Ort der Ruhe und des Friedens, wo sie unbeschwert nach ihren eigenen Vorstellungen leben und lieben konnte.

Als sie einen Platz fand, an den die Macht ihrer Wächter nicht mehr reichte, erschuf sie ein fruchtbares Land, auf dem sie selbst leben wollte. Dieses nannte sie Drakon-Ryuu. Eine Weile lebte sie vor sich hin, doch dann packte sie die Sehnsucht und sie erschuf sich ein Volk. Louise soll auch einen Geliebten gehabt haben, aber er wird nicht namentlich erwähnt und auch sein Auftauchen wird nicht erklärt.

Sie regierte ihr Volk weise und gütig, doch ihr Geliebter zog fort und ließ sie allein. Er kam zwar einige Male wieder, aber es sollte wohl nicht sein. Er weckte ihre Liebe und Leidenschaft wie am ersten Tag, nur um dann wieder fortzugehen und ihr das Herz zu brechen. Über diesen Schmerz soll sie sich eines Nachts, als der Vollmond die Landschaft erhellte, von einer Klippe ins Meer gestürzt haben.

Aber da ihr Schmerz und ihre Einsamkeit über den Tod hinausgingen, kehrten ihr Bewusstsein und ihre Seele nicht ins Totenreich ein, sondern in den Mond, der ihr göttliche Kraft schenkte, um sie zu trösten“, beendete Araya ihre Geschichte. Sie konnte die Geschichte förmlich vor sich sehen, denn auch bei ihnen gab es Tempel, die sie bildreich ausschmückten. Doch sie selbst hatte immer das Gefühl gehabt, ihr ginge diese Legende besonders nahe.

Dann blickte sie auf in Murtaghs Gesicht, der die Stirn in Falten gelegt hatte. „Seitdem beten wir jeden Vollmond für unser Glück oder für unsere Wünsche, wenn Louise uns voll und ganz sehen kann. Und erfreuen sie mit dem Duft der Kräuter, die wir in den Himmel schicken. Die Art der Kräuter kann auch den Zweck der Bitten unterstützen, und üblicherweise spricht man noch ein paar Verse, um ihr näher zu gehen.“

„Für mich hört sich das ziemlich seltsam an“, gestand Murtagh. „Warum?“, fragte Araya stirnrunzelnd nach. Was war denn so besonders an dieser Geschichte? Der Drachenreiter sah ihr unverwandt ins Gesicht. „Ihr erhebt einen Menschen in den Stand eines Gottes, schreibt ihm aber schon vorher außergewöhnliche Fähigkeiten zu. Diese Louise führte ja anscheinend das Leben eines Menschen, der durchaus erschaffen konnte, da sollte man sie nicht noch mächtiger machen. Mal ganz davon abgesehen, dass ich nicht verstehe, wie sie sich bitteschön ein Volk erschuf!“

Araya war das unverständlich. Louise war schon vorher besonders gewesen, mächtig und weise, und der Mond hatte ihr nur Macht über das Schicksal anderer gegeben, um sie damit zu trösten, dass niemandem dasselbe geschehen musste wie ihr. „Vielleicht liegt das daran, dass ihr hier in Alagaësia keinen Glauben habt. Wenn man an nichts glaubt, fällt es schwer, Unerklärliches zu akzeptieren!“, erwiderte sie darauf und schien Murtagh damit ernsthaft zu verärgern.

„Wenn du an solch unsinniges Zeug glauben willst, tu dir keinen Zwang an, aber verlange bitte nicht, dass ich hinnehme, dass Menschen zu Göttern werden können. Dann müsste ich nämlich fürchten, dass Galbatorix schon längst Gott und nicht mehr Mensch ist!“, brauste er auf und erschreckte Araya damit fürchterlich. »Unsinnig« nannte er ihre Glauben? Aber was sollte sie denn ohne ihn machen. Ihr Glaube, der so in Drakon-Ryuu verwurzelt war, war hier das einzige, was sie an ihre Heimat erinnerte und den ihr niemand nehmen konnte.

Murtagh schien zu bemerken, dass er ein wenig zu weit gegangen war und entschuldigte sich leise. Dann schien er das Thema wechseln zu wollen, um sich nicht mit der Fragestellung einer höheren Macht auseinandersetzen zu müssen. Araya verstand das teilweise. Denn gäbe es einen Gott hier in Alagaësia, müsste er sich fragen, warum ausgerechnet er hier gefangen war. Diese Frage hatte Araya längst aufgegeben.

„Erzählst du mir von deinem Leben in deiner Heimat?“, fragte er vorsichtig und gewann so Arayas Wohlwollen zurück. Er forderte nicht, er fragte auf eine Weise, die ihr erlaubte, zu verneinen, sollte es zu schmerzhaft werden. Aber sie wollte ihm von ihrer Familie erzählen. Im Gegenzug würde sie auch ihn nach seiner Kindheit fragen.

„Mein Vater war ein einfacher Bauer. Wir lebten ein wenig außerhalb des Dorfes, nahe dem Meer. Meine Familie baute Getreide und Gemüse an, züchtete aber auch Vieh. Alles in allem waren wir beinahe unabhängig von der Gesellschaft. Nur unsere Kleider und Werkezeuge stammten aus dem Dorf. Mutter war darauf immer besonders stolz.“ Ein trauriges Lächeln huschte über Araya Züge, als sie an ihre stolze, strenge und immer um sie besorgte Mutter dachte. Doch als sie daran denken musste, was sie ihr schon alles verboten hatte, um sie den Idealen näherzubringen, tauchte ein leicht bitterer Zug um ihren Mund auf. Trotzdem hatte sie ihre Mutter abgöttisch geliebt.

„Mutter war immer sehr traditionsgebunden. Sie liebte unser Leben auf Drakon-Ryuu, unsere Kultur, unsere Religion und Gebräuche. Es war wohl ein ziemlicher Schlag ins Gesicht für sie, als ich zur Welt kam …“ Araya ignorierte Murtaghs verwunderten Blick und fuhr fort: „Umso glücklicher war sie, als mein Bruder ohne Fehl und Tadel zur Welt kam. Er war ihr ein und alles, er konnte gar nichts falsch machen.“ Murtagh öffnete den Mund, offensichtlich um eine Frage zu stellen, doch Araya redete schnell weiter und ließ ihm somit keine Zeit dafür.

„Vater hingegen war unabhängig. Er gab nie viel auf die Meinung anderer. Er liebte vor allem unser kleines Haus und das Land, das ihn und seine Familie ernährte. Die Traditionen und Konventionen unserer Kultur kamen ihm immer veraltet vor.“ Als Araya an ihren Vater dachte, konnte sie gar nicht traurig sein. Er war immer so fröhlich gewesen, und so würde er ihr auch immer in Erinnerung bleiben. Er hatte so viel für seine Tochter getan, obwohl sie eigentlich unter der Erziehung ihrer Mutter stand. Das hatte er meistens völlig ignoriert. Ihren Vater vergötterte Araya zutiefst, und sie hatte schon mehrmals gefürchtet, die Göttin könnte neidisch auf ihn werden und sie bestrafen.

„Obwohl eigentlich Mutter mich erziehen sollte – du weißt schon … Kochen, Putzen und so weiter –, habe ich das wichtigste in meinem Leben von Vater gelernt. So kommt es mir jedenfalls vor. Er behandelte mich nicht anders als meinen kleinen Bruder, zog mich fast wie einen Jungen auf!“ Nun lachte Araya, als sie daran dachte, wie wütend ihre Mutter geworden war, als sie erfahren hatte, dass ihr Vater Araya beim Melken hatte helfen lassen.

„Er und mein Bruder waren die einzigen, die mich akzeptierten, wie ich war. Wirklich war.“ Araya seufzte. „Mutter hatte immer versucht, mich so zu formen, wie sie mich gerne hätte und wie es die Leute von mir erwarteten.“ Murtagh runzelte die Stirn und Araya konnte geradezu spüren, wie er eine Frage stellen wollte. „Weißt du, unsere Traditionen sind sehr streng und da ich so isoliert vom Dorf aufgewachsen war, waren sie mir nicht besonders wichtig. Mutter redete zwar immer davon, wie wichtig es wäre, sich anständig zu benehmen, Vater lehrte mich jedoch, einen eigenen Verstand und eine Meinung zu haben. Beides durchzusetzen war unmöglich.“

Sie senkte kurz den Blick, dachte über ihre kontroverse Erziehung nach. Ihr Vater hatte sie zur Eigenständigkeit ermuntert, ihre Mutter zur Folgsamkeit. Beides zu vereinen war nicht möglich. Trotzdem …

„Aber trotzdem war ich sehr glücklich. Mein Bruder war der netteste und süßeste Junge, den ich je kennengelernt habe. Und ich vermisse sie alle schrecklich!“ Araya konnte sehen, wie Murtagh seine Fragen geradezu herunterschluckte. Schließlich nickte er nur, zum Zeichen, dass er verstand. Und sie hatte das eigentümliche Gefühl, dass er das tatsächlich tat.

Jetzt war sie dran! Neugierig beugte sie sich vor, stützte sich mit beiden Händen auf dem Boden ab und schaute Murtagh wissbegierig an. „Und nun erzähl mir etwas über deine Familie!“, forderte sie ihn auf.

Augenblicklich konnte sie beobachten, wie sich Murtaghs Züge verschlossen und er sich in sich zurückzog. Anscheinend hatte er keine so gute Beziehung zu seiner Familie wie sie selbst. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie man seine Eltern nicht lieben könnte. Arayas Mutter hatte sie zwar schon so einiges Mal zur Weißglut getrieben und sie tief verletzt, doch sie wusste, dass sie dies stets nur aus Sorge um sie tat.

„Ich habe keine Familie mehr außer Dorn“, antwortete er finster und mit harter Tonlage, die im völligen Kontrast zu seiner sonst so sanftmütigen Stimme stand. „Mein Vater war ein grausamer Mann und meine Mutter verließ mich, um den Sohn eines anderen Mannes zu retten.“ Murtaghs Mund verzog sich zu einer grausamen Linie, die seine ganze aufgestaute Wut und Bitterkeit ausdrückte, als hätte er beides laut herausgeschrien. Araya trieb dieser harte und brutale Ausdruck auf seinem Gesicht, das für sein Alter wahrscheinlich auch viel zu erwachsen aussah, die Tränen in die Augen. Sie konnte gar nicht anders, als mit ihm zu fühlen. Was für eine harte Kindheit und Vergangenheit musste er gehabt haben, um so für seine Eltern zu empfinden?!

„Du hast also einen Halbbruder?“, fragte sie, denn das war die einzige Information, die sie aus seiner kargen Antwort herausfiltern konnte. Murtagh nickte nur und mied ihren Blick. „Was ist mit deinen Eltern?“ Araya wusste schon nachdem sie die Frage gestellt hatte, dass sie keine Antwort bekommen würde. Murtaghs Kiefermuskeln spannten sich an, die Sehnen an seinem Hals traten überdeutlich hervor – er presste die Zähne zusammen.

„Wo ist er?“, fragte sie nahtlos weiter. Sie wusste, Murtagh würde wissen, dass sie seinen Halbbruder meinte. „Bei den Varden“, knurrte er und seine Augen verengten sich vor Wut. Araya legte die Stirn in Falten. Schon wieder so ein Begriff, mit dem sie nichts anfangen konnte. Sie war es leid, immer nachfragen zu müssen. Sie kam sich vor wie ein unwissendes Kind …

„Wer sind die »Varden«?“ Ein Muskel unter Murtaghs rechtem Auge zuckte. Er war wütend, die Erinnerung schien ihn wirklich aufzuwühlen. Sie schien ihn zu nerven … Trotzdem erschrak sie fürchterlich, als er sie plötzlich anschrie. „Verflucht, was weißt du eigentlich?! Bist du so dumm oder tust du nur so?! Und du willst mir dabei helfen, Galbatorix zu entkommen! Da könnte ich genauso gut eine der Dienerinnen um Hilfe bitten, das wäre mir sogar noch eine größere Hilfe, als du es bist!!“

Nun schossen Araya wirklich die Tränen in die Augen. Er hielt sie also für so entbehrlich, dass eine Dienerin – eine Dienerin wie die, die sie bedroht hatte – eine größere Hilfe darstellte als sie selbst. Dabei hatte sie immer nur gute Absichten gehabt! Und Araya glaubte nicht daran, dass Leute in Augenblicken der Wut Dinge sagten, die sie nicht so meinten. Sie hatte eher gelernt, dass die erhitzten Gemüter all das herausließen, was sie bei vollem Bewusstsein in sich hineinfraßen.

Was Araya nur sagte, dass Murtagh sie für entbehrlich und ersetzbar hielt. Was sie, wie sie erstaunt feststellte, zutiefst verletzte … Traurig, verletzt und wütend schoss Araya hoch und drehte sich auf dem Absatz um. Auch, wenn es keinen Sinn hatte, würde sie zum Ausgang des Drachenhorts gehen und versuchen, ihn zu verlassen. Wenn Murtagh ihre Hilfe nicht wollte, hatte sie keinen Grund mehr, einen Fluchtversuch zu unterlassen.

Als der Drachenreiter begriff, was er gesagt hatte, sich ebenfalls erhob, um ihr nachzulaufen, und Araya versicherte, dass er seine Worte nicht so gemeint hatte, konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie flossen ihr über die weißen Wangen und als Araya sie bemerkte, wischte sie sie mit einer wütenden Handbewegung weg. Aus Angst zu schluchzen, presste sie die Lippen fest zusammen und beschleunigte ihre Schritte noch, als Murtagh sie fast erreichte.

„Jetzt warte doch! Wo willst du überhaupt hin?“, rief er ihr zu und beschleunigte ebenfalls seine Schritte. „Weg“, antwortete Araya knapp mit erstickter Stimme. Wenigstens hörte man nicht direkt, dass sie weinte. Sie hatte gelernt, dass Männer eine Art Triumph verspürten, wenn sie sie zum Weinen gebracht hatten. Diese Genugtuung würde sie Murtagh sicher nicht eingestehen.

Als er sie am Arm griff und Araya gewaltsam aufhielt und umdrehte, schoss der altbekannte Schmerz durch Berührungen in ungekannter Intensität durch ihren Körper und trieb ihr noch weitere Tränen aus den Augen. Mist! Jetzt hatte er ihre Tränen doch gesehen. Anklagend wandte sie ihre Augen nicht von den seinen ab und wurde überrascht. Anstatt dieses bekannten Ausdrucks der Genugtuung oder des Unwillens, sie auch noch trösten zu müssen, trat in Murtaghs bis jetzt entschlossenes Gesicht ein weicher und bedauernder Ausdruck.

Ihre Tränen schienen ihm leidzutun. Was völlig unmöglich war. Nur ihr Bruder und ihr Vater hatten je bereut, sie zum Weinen gebracht zu haben. Familie eben. Aber nie ein Fremder. „Es tut mir leid. Ich meinte es nicht so. Ich war einfach wütend und gereizt, als ich daran denken musste, was mein Bruder für ein Leben hatte und wie meines dagegen verlief“, erklärte er ihr entschuldigend und senkte bedauernd den Blick, während er ihren Arm losließ. Araya schluckte ihre Tränen und den Kloß im Hals hinunter.

„Ich glaube dir nicht. Was man in Wut sagt, denkt man auch. Und außerdem weine ich aus Wut und nicht, weil du mir wehgetan hast!“, fauchte sie. Das war allerdings nur die halbe Wahrheit. Ja, sie war wütend, aber auch verdammt verletzt. Aber das musste er ja nicht wissen. Murtagh sah auf und Araya erkannte in seinen Augen, dass er ihr nicht glaubte.

„Bitte, ich bin dir wirklich sehr dankbar, dass du versuchst, mir zu helfen. Auch wenn ich deine Absichten für Zeitverschwendung halte. Aber immerhin bin ich in diesem Schloss nicht mehr so allein wie zuvor. Ich habe jemandem, mit dem ich reden könnte, und dich könnte Galbatorix nicht mal aushorchen!“ Er lachte. Während er redete, wischte sich Araya abermals mit einer raschen Handbewegung die Tränen fort, die immer noch ihre Wangen zierten.

Langsam zweifelte Araya an ihrer festen Überzeugung. Er hörte sich nicht an, als würde er sie anlügen. Vielleicht gab es ja wirkliche Menschen, die aus Wut einfach irgendwelche Gedanken loswurden, die ihnen gerade durch den Kopf schossen, ohne sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Vielleicht meinte er ja das, was er gerade sagte so. Sie schüttelte den Kopf, um ihre wirren Gedanken zu ordnen.

Murtagh schien es anders zu interpretieren. „Okay, hör zu. Mein Bruder ist Drachenreiter wie ich. Er lebt bei den Varden, den Rebellen, die den König stürzen wollen. Galbatorix hat mir erzählt, dass Eragon mein Bruder sei, und ich war verflucht wütend, dass meine Mutter ihn vor meinem Vater gerettet hatte, mich aber nicht. Doch dann erfuhr ich während eines Kampfes mit ihm, dass wir gar nicht denselben Vater hatten, doch ich war trotzdem noch wütend auf ihn und meine Mutter, weil ich es war, der diese verkorkste Vergangenheit ertragen musste.

Bevor ich wusste, dass Eragon mein Bruder ist, waren wir Weggefährten und Freunde. Aber als Galbatorix mich entführen ließ und meinen wahren Namen erriet, war ich gezwungen, gegen ihn zu kämpfen. Ich siegte, nahm ihm das Schwert meines Vaters ab, ließ ihn und seinen Drachen aber gehen, weil wir Brüder waren. Als ich zurückkehrte, nahm Galbatorix mir weitere Schwüre ab, damit das nicht noch einmal geschehen konnte.

Eigentlich will ich gar nicht gegen Eragon kämpfen, doch ich lasse ihn glauben, dass ich Gefallen an der Macht von Galbatorix gefunden habe, damit er kein Mitleid mehr mit mir hat und seine Bemühungen, mich zu befreien, aufgibt. Er würde es sonst zweifellos versuchen und dabei umkommen. Und ich wäre weiterhin gezwungen, gegen ihn zu kämpfen.“

Araya warf einen Blick hinter Murtagh und sah Dorn kauernd dort stehen. Er schien sie einfangen zu wollen, sobald sie wieder versuchte, umzudrehen und den Ausgang zu erreichen. „Dorn ist eigentlich erst ein halbes Jahr alt, doch er ist inzwischen größer als Saphira, die ein Jahr älter ist als er. Das hat auch Galbatorix getan. Er hatte keine Kindheit“, erklärte er, als Murtagh ihrem Blick folgte.

Abermals konnte Araya nur Mitgefühl empfinden. Wie konnte man es nur ertragen, so schnell in einen Körper hineinzuwachsen, der einem doch vollkommen fremd vorkommen musste? Ihre Gefühle schienen derart stark von ihr abzustrahlen, dass Dorn sie empfangen und entwirren konnte, denn keine Sekunde später meldete er sich seit langer Zeit wieder zu Wort. Nun hör endlich auf zu heulen und spar dir die traurigen Gedanken. Du kannst daran nichts ändern und mittlerweile bin ich ganz froh, den schwachen, heranwachsenden Körper eines Drachen schnell losgeworden zu sein!!

Araya konnte nur nicken. Irgendwie hatte sie das Gefühl, dass der rubinrote Drache sie nur trösten wollte und es gar nicht so meinte, wie er es sagte. Was seltsam war, immerhin konnte er sie immer noch nicht besonders gut leiden. Ihre Tränen versiegten und sie sah Murtagh an. „Du bist also gezwungen, gegen deinen jüngeren Bruder zu kämpfen?“, fragte sie, brauchte aber keine Antwort. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie das sein muss. Ich könnte meinem Bruder nie etwas antun!“

Anstatt zu antworten, streckte Murtagh die Hand aus und führte sie zu Arayas Gesicht. Sie erschrak fürchterlich und wollte schon zurückweichen, doch es war schon zu spät. Sanft wischte der junge Drachenreiter ihre Tränen fort und trocknete ihre noch feuchten Wangen. Zu Arayas Erstaunen verspürte sie keinen Schmerz bei dieser Berührung. Als hätte ihr Körper vor ihrem Verstand begriffen, dass er ihr nie etwas antun würde.

„Weißt du, ich habe Angst“, gestand Murtagh ihr völlig zusammenhanglos, doch Araya war irgendwie stolz, dass er ihr genug vertraute, um ihr das mitzuteilen. „Wovor?“, fragte sie leise und sanft nach, als er nicht weitersprach. Er schluckte hörbar. „Galbatorix wird bald wieder meine Gedanken durchsuchen. Und er wird alles erfahren. Auch, wie er dich verletzen kann, indem er dir deine Stimme nimmt. Ich will dich aber nicht verraten. Deswegen habe ich Angst, was er tun wird.“

Er unterbrach sich kurz, dann sprach er weiter: „Und ich kann es nicht verhindern. Ich kann meinen Geist nicht so gründlich verschließen wie du. Und selbst, wenn ich es könnte, würde er mich zwingen, ihm zu schwören, es nie wieder zu tun.“ Araya nickte. „Ich verstehe.“ Und dann zerbrach sie sich den Kopf darüber, wie sie das Problem lösen konnten.

Murtagh holte tief Luft. „Und ich dürfte auch gar nichts tun, selbst wenn ich es könnte!“ Er senkte den Kopf, während Araya verwundert aufsah. Warum durfte er sich nicht wehren? Ihr Blick schien ihn in Verlegenheit zu bringen. „Ich musste dem König vorschlagen, deine Freundschaft zu gewinnen und dich dann auszuhorchen, um ihn dazu zu bewegen, dich aus dem Gefängnis zu lassen“, gestand er ihr leise. „Das heißt, es wäre verdächtig, wenn ich ihm keine Informationen über dich liefere. Tut mir leid. Aber täte ich es nicht, würdest du dort unten wahrscheinlich verrotten, bevor man dir mit weniger sanften Methoden als bisher begegnen würde, um Informationen von dir zu bekommen.“

Araya schüttelte verständnislos den Kopf. Was konnte der König schon von ihr wissen wollen? Sie war ein ganz normales Bauernmädchen aus Drakon-Ryuu, das nahe dem Dorf Cyrianna aufgewachsen war. „Ich weiß aber nichts, was für euch von Bedeutung sein könnte“, entgegnete sie. Murtagh hob verwundert den Kopf. Und Araya fragte sich, was er gedacht hatte, was sie wissen könnte. „Bist du gar nicht wütend?“, fragte er jedoch.

Sie runzelte die Stirn. „Wütend? Warum?“, stellte sie die Gegenfrage. Doch statt Murtagh antwortete Dorn. Er hat dir gerade gestanden, dir gegenüber nur zum Schein freundlich gewesen zu sein. Wir hätten gedacht, du würdest uns jetzt misstrauen und nicht darüber hinweggehen. Doch Araya schüttelte den Kopf, als sie verstand, was die beiden meinten.

„Du hast doch gesagt, du musstest dem König das Vorschlagen, um mich zu befreien. Du hast dir dafür eine Verantwortung aufgebürdet und deswegen bin ich dir zu Dank verpflichtet. Es besteht die Möglichkeit des Versagens und ein Mann wie Galbatorix hasst es, wenn er nicht bekommt, was ihm versprochen wurde. Du hast einen weiteren Teil deiner Freiheit für die meine aufgegeben. Das hättest du niemals getan, wenn du nicht ehrlich zu mir wärst!“ Sie selbst hätte es jedenfalls nicht getan. Ganz davon abgesehen, dass sie spürte, dass Murtagh sich ihr tatsächlich öffnete und dies nicht nur einfach vorgab.

„Aber mir ist eine Lösung für unser Problem eingefallen!“, fuhr sie enthusiastisch fort. „Allerdings wirst du deinen Geist nicht vor ihm schützen, sondern nur gewisse wenige Informationen vorenthalten können.“ Murtagh lächelte erleichtert. „Für mich wäre es schon eine wahnsinnige Erleichterung, wenigstens irgendetwas vor dem König geheim halten zu können!“

Araya nickte. „Du hast Galbatorix bis jetzt immer Anlass dazu gegeben, dich zu kontrollieren. Nie hast du ihm freiwillig irgendetwas erzählt, hast dich geweigert und Widerwillen entwickelt. Er wird am Anfang ziemlich verwirrt sein, wenn du ihm Informationen freiwillig in deinem Geist preisgibst.“ Araya wurde von Murtaghs barschem „Was?!“ kurz unterbrochen, doch sie hob nur die Hand, um ihn zum Warten anzuhalten. „Verstehst du nicht? Wenn du ihm freiwillig Informationen gibst, kannst du gezielt welche zurückhalten. Er wird glauben, du hättest endlich deinen Widerstand aufgegeben und dich ihm gefügt. Das kann aber nur vollkommen funktionieren, wenn du ihn förmlich mit Informationen bewirfst. Er wird mit der Wucht deines Entgegenkommens hoffentlich so beschäftigt sein, dass er gar nicht bemerkt, wie du ihm etwas vorenthältst.“

Murtagh sah ihr zweifelnd ins Gesicht. Als würde er abwägen, ob sie vielleicht verrücktgeworden sei. Doch dann nickte er. „Ich kann nichts Anderes tun, als auf dich zu hören. Denn alles, was ich bisher versucht habe, hat nichts genutzt.“ Araya lächelte und ergänzte: „Und selbst, wenn es nicht funktionieren sollte, entsteht für uns kein Schaden. Es kann nur gut ausgehen.“

Murtaghs Gesicht wurde plötzlich wieder ernst. Er schien an etwas zu denken, doch als Araya schon nachfragen wollte, was ihn beschäftigte, verschwand der Ausdruck. „Ich werde den Vorfall mit deiner Stimme verheimlichen, dass du diese seltsame Dienerin-“ – „Saliha!“, warf Araya gereizt ein – „kennst und dieses Gespräch hier.“ Und somit war es beschlossen. Murtagh würde es versuchen, sobald Galbatorix wieder nach ihm schicken würde. Was laut seiner Erfahrung spätestens morgen sein müsste.

Kaum hatten sie dieses Thema beendet, trat die Dienerin, die Araya gestern noch besucht hatte, ein und brachte das Mittagsmahl. Es musste also schon Nachmittag sein. Als sie verschwunden war, fragte Araya Murtagh ein wenig über sein Leben hier im Schloss und mit seinen Eltern aus, doch sie erfuhr nur wenig. Er erwähnte weder die Namen seiner Eltern, noch wer sie gewesen waren. Eigentlich erfuhr sie nur den Namen des Schwertes, von dem er zuvor gesprochen hatte, und, dass sein Vater einmal ebenjenes Schwert nach ihm geworfen und Murtagh so eine lange Narbe auf dem Rücken beschert hatte. Und er fragte ihm Gegenzug – für seine mehr als spärlichen Antworten, wie Araya zerknirscht feststellte – vieles über das Leben auf Drakon-Ryuu, wie die Leute sich dort organisierten, wie ein normaler Tag verlief und ob sie auch Städte hätten.

Gegen Abend waren sie beide dann der Fragen überdrüssig und schwiegen sich an. Genossen nur die ungezwungene Atmosphäre ihres Beisammenseins, wenn jeder so sein konnte wie er wirklich war. Das Abendessen wurde nicht wieder von der Dienerin gebracht, sondern von einem etwas älteren Diener, der von Murtagh kalt und angespannt angesehen wurde. Kaum hatte er die Schüssel Eintopf vor Araya und das wahre Festmahl vor Murtagh abgestellt, wandte er sich an ihn.

„Der König wünscht ihre Anwesenheit morgen beim ersten Sonnenstrahl. Und er wünscht euch ein gutes Abendmahl!“ Mit diesen Worten wandte sich der Diener wieder ab und verließ schnellen Schrittes wieder den Hort. „Der persönliche Diener des Königs“, erklärte Murtagh ihr. Araya schielte misstrauisch auf ihren Eintopf. Der König wünschte ihnen also ein gutes Mahl? Na, wenn da mal nichts vergiftet war!

Sie wollte gerade einen Löffel des Essens aufnehmen und daran riechen, als Murtagh ihre Hand festhielt – und sie keine Schmerzen empfand. „Nicht jedes Gift kann man riechen“, erläuterte er. „Lass mich das machen.“ Mit diesen Worten nahm er seine Hand von ihrer und murmelte eine Formel in der für sie seltsam klingenden Alten Sprache. Doch es passierte nichts. „Ich glaube, es ist nicht vergiftet“, ließ Murtagh schließlich verlauten.

Araya zog die Augenbrauen hoch. „Du glaubst, es ist nicht vergiftet?“, fragte sie ungläubig. Wie konnte er denn mit so einer ungenauen Aussage auf sein Können vertrauen? Murtagh knurrte gereizt. „Der König könnte durchaus Gifte mit Magie vor dieser Suchformel verbergen, aber ich glaube nicht, dass er sich die Mühe machen würde!“, antwortete er.

Araya seufzte. Sie musste sich wohl auf sein Urteil verlassen … Murtagh verließ sofort nach dem Essen den Drachenhort. Er wünschte ihr und Dorn noch eine gute Nacht, dann war er auch schon verschwunden. Araya konnte es verstehen. Er war sicher furchtbar nervös, dem König mit ihrer Strategie so früh gegenüberzutreten. Sie selbst war es und sie musste nicht einmal persönlich dorthin. Wie musste es dann erst bei Murtagh sein?

Schließlich stellte Araya das schmutzige Geschirr direkt neben den Eingang zum Drachenhort, dort, wo die Treppen hinaufführten, und zog sich dann in die Dunkelheit ihres provisorischen Schlaflagers zurück. Sie hoffte wirklich, sie würde bald ein paar Decken bekommen. Ihr letzter Gedanke galt dem morgigen Vollmond, dann schlief sie ein und fand sich wieder unter der grausigen Schicht aus Eis im Wasser wieder.
 

Sie erwachte am nächsten Morgen nicht durch den Geruch von Essen, das Murtagh oder sonst jemand gebracht hatte. Sie wurde aber auch nicht von allein wach. Etwas stupste sie an, doch es war nicht so, als würde Murtagh sie aufwecken. Dafür war das, was sie berührte, viel zu groß. Araya schlug die Augen auf und ihr blieb fast das Herz stehen, als sie Dorn hoch über sich aufragen sah.

Dann ließ sie ein Fluchen den Blick von dem Drachen abwenden und zum Eingang sehen. Murtagh saß mit der linken Seite zu ihr neben dem Eingang des Hortes und hielt eine Flasche in der Hand, die sehr nach hochprozentigem Schnaps aussah. Doch das war es nicht, was sie zu Tode ängstigte. Dorn hatte sie nicht umsonst geweckt. Er war in Sorge um seinen Reiter und hatte scheinbar Hilfe gebraucht.

Murtaghs Hemd war an Armen und Rücken blutdurchtränkt. Und die Flecken wurden immer größer …

Bestrafung

Hastig sprang Araya auf die Füße, fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und trat schnellen Schrittes aus den Schatten. Dorn folgte ihr auf dem Fuß. Als sie neben ihn trat, warf Murtagh ihr nur einen kurzen Blick zu, bevor er den Korken aus dem Flaschenhals zog und Araya der Geruch von Alkohol in die Nase stieg. Sie kräuselte die Nase und verzog angewidert ihr Gesicht.

„Was ist passiert?“, fragte sie mit erstickter Stimme, denn das Rot auf seinem Hemd breitete sich immer noch weiter aus. Hinter ihm sah sie ein paar Rollen Verbandszeug und hoffte sehr, dass er den Alkohol nur zum Ausspülen der Wunden nehmen wollte, doch sie wurde rasch eines Besseren belehrt.

Murtagh nahm einen großen Schluck des hochprozentigen Getränks und schluckte ihn schaudernd hinunter, bevor er sich mit dem sauberen Ende seines Ärmels den Mund abwischte. „Ich wurde bestraft“, war seine knappe Antwort. Er sah sie nicht an. Araya schüttelte den Kopf.

„Trotzdem solltest du nicht trinken. Das macht es nämlich nicht besser!“, tadelte sie ihn, und zum ersten Mal sah er sie richtig an. Er fluchte, als er ihren anklagenden und angewiderten Blick sah, der die Flasche in seiner Hand fixierte. Er zog sie hinter sich und entzog die Flasche so ihren Augen, als befürchte er, sie würde sie an sich reißen und zerbrechen.

„Wenn ich von Galbatorix bestraft werde, habe ich jedes Recht auf dieser verdammten Welt, mich zu betrinken!“, fauchte er aggressiv, was Araya nur den Eindruck gab, dass er nicht hier damit begonnen hatte zu trinken. Er klammerte sich an die Flasche, als sei sie sein einziger Rettungsanker, und sie hatte so das Gefühl, dass er nur trank, um seine Schmerzen zu übertünchen.

Sie musterte ihn erneut. Die Flecken waren noch größer geworden, die Wunden schienen überhaupt nicht zu heilen. „Warum heilst du dich nicht einfach mit einem Zauber?“, fragte sie Murtagh schließlich, vor allem, um ihn von der Flasche in seiner Hand abzulenken. Unauffällig warf sie einen Blick auf den Alkohol. „Weil das nicht geht!“, murrte er. Araya öffnete schon den Mund, doch er redete weiter: „Grundsätzlich kann man Wunden natürlich mit Magie heilen, aber Galbatorix hat einen Zauber auf die Verletzungen gelegt, damit man sie auf natürliche Weise heilen lassen muss!“

Araya nickte. Sie hatte eine Entscheidung getroffen. Blitzschnell griff sie nach der Flasche mit dem Schnaps und riss ihn Murtagh aus den Händen. Er sprang auf und protestierte, doch anstatt auf ihn einzugehen, drehte sie sich um und stolzierte zu dem unterirdischen Fluss. Schweren Herzens schüttete sie das Rosmarinöl weg, füllte die Schale mit Wasser und nahm sowohl die getrocknete Arnika als auch die Wermutblätter mit.

Als sie sich abermals neben Murtagh niederließ und die Flasche vorausschauend außerhalb seiner Reichweite neben sich stellte und die Arnika zur Hand nahm, hielt er ihren Arm auf. „Was hast du vor?“, fragte er misstrauisch und Araya schaute auf. „Diese Kräuter haben auch wundheilende und desinfizierende Wirkung. Und ich werde dich hier nicht einfach sitzen lassen!“

Murtagh schüttelte den Kopf. „Du brauchst sie doch heute! Lass es, ich komm schon allein klar”, erwiderte er. Als Araya ihn nur stur weiter ansah und wartete, dass er ihren Arm wieder freiließ, seufzte er. „Was geschieht mit dir, wenn du deiner Göttin heute nicht huldigst?“, fragte er.

In ihren Augen blitze Unsicherheit auf, doch dann riss sie sich zusammen. „Wenn man die Möglichkeit hatte und sie nicht wahrnimmt oder ignoriert, wird man bestraft“, antwortete Araya langsam und Murtagh wollte schon triumphierend ausrufen, als Araya fortfuhr. „Aber ich bin sicher, sie wird es verstehen!“

Kurzerhand öffnete sie die Flasche Brandwein und zwängte die getrockneten Arnikapflanzen durch den schmalen Flaschenhals. Dann stopfte sie den Korken wieder hinein. Der Alkohol würde die wichtigsten Stoffe aus dem Kraut lösen und somit eine schwache Tinktur herstellen. Dann gab sie den Wermut in die Schale mit Wasser und drehte sich zu Dorn um.

„Es ist mir unangenehm, dich darum zu bitten, aber könntest du mit deinem Feuer das Wasser zum Kochen bringen?“, fragte sie leise und mit gesenktem Kopf. Das Feuer eines Drachen war sein Eigentum und heilig. Sie hatte noch nie gelesen, dass ein Drache für einen Menschen Feuer spie. Dorn senkte den Kopf zu ihr herab.

Aber nur, weil es Murtagh helfen wird!, stellte er klar, als er seinen Rachen öffnete und einen dünnen Feuerstrahl erscheinen ließ. „Das wird es“, antwortete sie ungefragt. Araya begann, die Sekunden zu zählen, und als fünfzehn Minuten vergangen waren, entzog sie die Schale dem Feuer.

Während sie die Verbände zu sich zog und Murtagh aufforderte, seinen Oberkörper zu entkleiden, damit sie an die Wunden kam, konnte das Wasser abkühlen. Allerdings machte Murtagh nicht die geringsten Anstalten, ihrer Forderung nachzukommen, wie sie bemerkte, als sie die Verbände inspiziert und wieder zu ihm gesehen hatte.

Sie runzelte die Stirn. „Stimmt was nicht?“, fragte sie, als er sich immer noch nicht rührte. Murtagh verzog unwillig das Gesicht. „Ich werde mich bestimmt nicht vor dir ausziehen!“, antwortete er empört und verschränkte mit einem gewissen Trotz die Arme vor der Brust. Araya seufzte. Es war meistens dasselbe. Entweder dachten die Männer, es wäre unschicklich, sich vor einer Frau zu entkleiden, oder sie wollten einfach nicht verwundbar dastehen, während das andere Geschlecht in der Nähe war.

Wie es bei ihm war, konnte sie nicht ermessen, aber sie würde sich nicht von solchen Lappalien davon abhalten lassen, ihn fachgemäß zu verarzten. „Oh doch, das wirst du!“, erwiderte sie mit einem drohenden Ton und erhob sich. Mit wenigen Schritten stand sie hoch aufragend hinter Murtagh, der sich fast den Hals verrenkte, um sie weiterhin ansehen zu können.

„Was hast du denn-“, begann er, schrie jedoch protestierend auf, als sie kurzerhand die Schnüre auf seinem Rücken, die sein Hemd befestigten, auftrennte und ihm sein Oberteil einfach über den Kopf zog. Wütend funkelte er sie an, als sie mit ein paar Schritten neben ihm stand. Dann kniete sie sich wieder neben ihn und zog das nun einigermaßen abgekühlte Wasser mit dem Wermut darin zu sich.

Dann fiel ihr ein, dass sie gar nichts hatte, womit sie die Wunden mit der Lösung ausspülen konnte. Sie fluchte, als ihr klar wurde, dass die Verbände niemals für beides reichen würden. Was konnte sie also zum Abtupfen seiner Verletzungen nehmen. Da kam Araya ihr abgelegtes Kleid aus ihrer Heimat in den Sinn. Schnell sprang sie auf die Füße – wobei sie Murtagh, der schmollend vor sich hinstarrte, wohl fürchterlich erschreckte, denn er fuhr deutlich zusammen – und lief zu ihrer Schlafstätte. Sie griff sich ihr Kleid und eilte zu ihm zurück, wo sie es in zwei Hälften riss. So hatte sie wenigstens noch Tücher zum Wechseln.

Dann tauchte sie die eine Hälfte in das vorbereitete Wasser und wollte gerade beginnen, seine blutenden Wunden zu reinigen, als sie dieses Mal einen Blick darauf warf, der nicht von Kleidung behindert wurde. Sie sog scharf die Luft ein. Beide Arme waren mit tiefen Schnitten in ziemlich regelmäßigen Abständen versehen und sein Rücken sah keinen Deut besser auf. So, wie sie es einschätzte, waren es Peitschenhiebe, die seine Haut kreuz und quer aufgerissen hatten. Und die lange Narbe, von der sie ja wusste, dass sie von seinem Vater stammte, verbesserte das Gesamtbild auch nicht gerade.

Anstatt den Blick abzuwenden, konfrontierte sie sich mit dem Schmerz, den er ertragen haben musste, und versuchte, sich vorzustellen, wie es gewesen wäre, hätte sie diese Schläge abbekommen. Das konnte sie einfach nicht. Dann festigte sie ihren Griff um das getränkte Stück Stoff und fuhr damit, da es so breit war, gleich über drei der vielen Schnitte auf seinem linken Arm.

„Vorsicht, das brennt!“, warnte sie ihn, allerdings zu spät, denn Murtagh hatte schon schmerzhaft die Luft eingesogen. Er lachte. „Nett, dass du das auch schon sagst!“ Nun musste auch Araya lachen und machte sich zügig daran, auch den restlichen Arm zu versorgen. Dorn tigerte nervös neben ihnen auf und ab. Als Araya an Murtaghs Rücken angekommen war, hielt sie es nicht mehr aus. Der Drache machte sie nur zusätzlich nervös …

„Dorn, könntest du bitte von irgendwo anders zusehen? Du machst mich nervös mit deinem ewigen Auf und Ab“, fragte sie ihn so freundlich, wie es ihr ihre strapazierten Nerven erlaubten. Dorn schien es einzusehen, denn er verzog sich in eine der schattigsten Ecken des Hortes, von wo aus Araya ihn nicht mehr sehen konnte, er sie aber schon.

Dann widmete sie sich wieder Murtaghs Rücken, begleitet von seinen unterdrückten Schmerzens-lauten. Auf halbem Weg nahm sie die andere Hälfte des ehemaligen Kleides, tränkte es erneut in der Lösung und kümmerte sich um den unteren Teil des Rückens und um Murtaghs rechten Arm. Als sie endlich fertig war, wischte sie sich mit dem Arm über ihre schweißnasse Stirn. Sie konnte gerade noch einen erleichterten Laut unterdrücken, Murtagh gelang dies allerdings nicht.

Sie lächelte. „Pass auf, die Tortur geht erst richtig los. Aber es hilft!“, versprach sie ihm, worauf er nur den Kopf schüttelte, aber nichts erwiderte. Dorn hielt sich nicht zurück. Das will ich dir auch geraten haben, Menschenkind!, grollte er. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie furchtbar es für ihn sein musste, nichts für seinen Reiter tun zu können und zusehen zu müssen, wie er Schmerzen litt.

Araya schüttete den Rest der desinfizierenden Lösung aus und holte neues Wasser. Als sie die Schüssel wieder neben Murtagh stellte, wandte der sich ihr neugierig zu. Araya nahm die Flasche mit Alkohol auf, schüttelte sie noch einmal kräftig und schüttete dann einen großen Schuss in das Wasser. Murtagh verzog das Gesicht, er schien zu ahnen, was ihm blühte.

Sie warf noch einen nachdenklichen Blick auf den restlichen Alkohol in der Flasche, dann murmelte sie ein „Tut mir echt leid!“ und schüttete einen großzügigen Schluck zusätzlich über Murtaghs Rücken. Der Drachenreiter schrie auf und Dorns drohendes Knurren hallte durch den Drachenhort. Er sah sie vorwurfsvoll an.

„Ich hab mich entschuldigt! Und außerdem kann ich nur so sicher sein, dass die Wunden auf deinem Rücken auch wirklich sauber sind!”, verteidigte sie sich hitzig und legte dann die Verbände in die Mischung in der Schüssel. Als sie begann, sie gut durchzurühren, vernahm Araya ein Geräusch am Treppenabsatz. Doch als sie den Kopf herumwarf und in die Dunkelheit spähte, konnte sie niemanden erkennen.

Sie sah noch einen Moment misstrauisch in die Schwärze des Aufganges, doch dann verbannte sie mit einem Achselzucken diesen Vorfall vorläufig aus ihrem Gedächtnis und konzentrierte sich wieder voll und ganz auf Murtagh. Seine Arme zu verbinden war nicht die Schwierigkeit, außer natürlich, dass er sich beschwerte, dass die Verbände brannten und zu fest sitzen würden. Dies überging Araya jedoch nur mit einem verdrehen ihrer grünen Augen.

Die wirkliche Herausforderung war sein Rücken. Araya hatte noch nie einen Rücken verbinden müssen und musste erst einmal ein wenig experimentieren, bevor sie eine Position der Verbände gefunden hatte, in der sie wenigstens eine Weile halten würden.

„Die müssen regelmäßig ausgetauscht werden“, erklärte Araya Murtagh mit Nachdruck und er nickte. Dann fragte er vorsichtig: „Wieder mit diesem Zeug darauf?“ Als Araya seine leidende Miene sah, lachte sie, schüttelte jedoch den Kopf, was Murtagh aufseufzen ließ. Dann wurde sie wieder ernst. Er hatte über eine ganz bestimmte Sache Stillschweigen bewahrt, und sie hatte es hingenommen, um nicht zu riskieren, dass er sie daran hinderte, ihm zu helfen. Doch jetzt war er versorgt; und sie wollte die Wahrheit wissen!

„Warum hat Galbatorix dich bestraft?“, fragte Araya vorsichtig. Augenblicklich erstarrte Murtagh und warf ihr einen Blick aus den Augenwinkeln zu. Er schien abzuwägen, ob er ihr die Antwort zumuten wollte. Was Araya nicht gerade ein gutes Gefühl bei der Sache gab. Doch sie sah ihm weiterhin fest in die Augen und Murtagh gab mit einem Seufzen seine Niederlage bekannt.

„Ich habe getan, was du verlangt hast. Als Galbatorix in meinen Geist eindrang, zeigte ich ihm alles, was er ohne große Probleme wissen durfte. Ich konnte seine Überraschung darüber spüren und kurz auch das Gefühl des Triumphes, das ihn durchflutete. Doch dann …“ Murtagh endete. Araya war froh, dass die Bestrafung nicht deswegen stattgefunden hatte, weil ihre Taktik nicht funktioniert und Galbatorix wütend geworden war, weil Murtagh sich geweigert hatte, irgendetwas freiwillig preiszugeben.

„Was, dann?“, fragte sie fest. Wenn sie die Fehlerquelle wussten, würde die nächste Gelegenheit vielleicht besser für Murtagh ausfallen. Sie wollte ihm helfen, indem sie ihren Gedankengang verbesserte. „Er hat bemerkt, dass ich ihm etwas vorenthielt. Und ich glaube, nachdem er erst sicher war, mich endlich gebrochen zu haben, hat ihn das nur noch mehr erregt“, antwortete Murtagh und starrte dabei auf keinen bestimmten Punkt an der Felsenwand des Horts.

Araya spürte, wie sie erbleichte. Wusste Galbatorix von dem Vorfall? Wenn ja, war sie verloren. Und die Aktion wäre völlig umsonst gewesen. Sie hätte Murtaghs Bestrafung zu verantworten. „Weiß er es?“, fragte sie mit merklich zitternder Stimme. Murtagh wandte ihr den Kopf zu, das konnte Araya hören, denn sie selbst hatte damit begonnen, den Boden vor ihren Knien zu mustern.

Erst jetzt schien dem Drachenreiter klar zu werden, was er mit seiner Aussage impliziert hatte, denn er sog erschrocken den Atem ein. „Himmel, nein! Er weiß nichts über dich!“ Araya sah langsam auf und warf ihm einen fragenden Blick zu. „Ich verschwieg ihm außerdem, dass wir auf dem Hof waren. Weißt du noch, ich sagte dir doch, er wäre nicht besonders erfreut, dich im Freien zu sehen“, fuhr Murtagh fort und Araya nickte vorsichtig.

„Nun, ich wollte ihm das, ehrlich gesagt, nicht wie auf dem Silbertablett präsentieren. Aber so viele Dinge zurückzuhalten, war anscheinend zu auffällig. Also warf ich ihm das vor, anstatt die Sache mit deiner Stimme oder dem Gespräch von gestern zu erwähnen. Er schöpfte keinen weiteren Verdacht und gab sich damit zufrieden. Aber weil ich ohne seine Zustimmung gehandelt und mich ihm außerdem widersetzt habe, wurde ich gezüchtigt.“

Araya starrte ihn an. Er hatte die Peitschenhiebe auf sich genommen, um sie zu beschützen? Das hieß aber auch, dass sie daran schuld war. Immerhin hatte sie ihn darum gebeten, auf den Hof zu gehen. Sie hatte sich selbstsüchtiger verhalten, als es ihr in ihrer Situation zustand …

Mit tränennassen Augen senkte Araya den Blick. „Und warum bist du hergekommen?“ Vielleicht dachte er wie sie und hatte ihre Hilfe als Entschädigung haben wollen. Sie könnte es ihm nicht verdenken. Als Murtagh antwortete, war seine Stimme sanft. Anscheinend war ihm ihr erstickter Tonfall nicht entgangen. „Ich wollte Dorn sehen. Aber er konnte mir nicht helfen, und weil er sich Sorgen gemacht hat, hat er dich aufgeweckt. Ich habe ihm gesagt, er soll dich schlafen lassen, aber … Du siehst ja, er hat nicht auf mich gehört.“

Sie nickte. Aber trotz seiner Worte fühlte sie sich immer noch schuldig. Nur, weil sie er ihr einen Gefallen tun wollte. Sie starrte auf die Verbände, die immer noch weiß leuchteten. „Ich werde dich nie wieder bitten, mich hinauszubegleiten“, presste sie schließlich hervor und blickte Murtagh ins Gesicht. Er sah verdutzt aus. „Aber das hast du doch gar nicht. Du hast nur hinausgesehen und ich hab mich entschlossen, dir den Gefallen zu tun.“

„Das ist es ja gerade!“, rief Araya aus und erschreckte Murtagh mit ihrer heftigen Reaktion. „Wenn ich dich gebeten hätte, wäre die Sache wenigstens geklärt. Aber so warst du völlig selbstlos und kannst mir nicht einmal die Schuld für all das geben!“ Araya hielt die Tränen nur noch mit Mühe zurück. Sie wollte nicht vor ihm weinen. Das wäre ihm sicher noch unangenehmer, auch wenn er das letzte Mal außerordentliches Feingefühl bewiesen hatte.

Murtagh seufzte tief. „Ich würde dir auch so nicht die Schuld geben.“ Araya starrte ihn fassungslos an. Wie konnte er das sagen? War er wirklich so selbstlos? Sie sah ihn plötzlich mit ganz anderen Augen. Murtagh war weder selbstsüchtig noch zu irgendeinem Verrat fähig. Er war ein freiheitsliebender Mensch, der in Ketten lag. Und weil diese Ketten ihn zu etwas zwangen, das vollkommen gegen seine Natur sprach, tat er ihr nur noch mehr leid.

Sie konnte ein glückliches Lächeln nicht zurückhalten. „Ich danke dir!“, rief sie und strahlte ihn an. Murtagh sah sie zwar verwundert an, musste aber auch leicht lächeln. Anscheinend verstand er nicht ganz, was sie meinte, war aber glücklich darüber, dass sie nicht mehr Trübsal blies. Trotzdem schein ein Schatten über seinem Gesicht zu liegen, den sie nicht deuten konnte. Araya erhob sich und wollte gerade Dorn zu ihnen zurückrufen, da vernahm sie das Öffnen der Pforte zum Hort.

Verwirrt starrte sie auf die große schwarze und bogenförmige Aussparung im Fels und wartete. Wer kam schon hier herunter? Jedenfalls, wenn Murtagh hier war? Ihre Gedanken drehten sich nur noch schneller, als sie das Mädchen erblickte, das sie bedroht hatte.

Aber dieses Mal war sie nicht allein. Zwei Schränke von Männern begleiteten sie. Sie überragten die Dienerin weit über zwei Köpfe und schienen zudem endlos breite Schultern zu haben. Araya hatte noch nie so grobschlächtig gebaute Männer gesehen. Das Mädchen warf ihr erst einen wütenden Blick zu, bevor sie sich Murtagh zuwandte.

Argetlam, ich würde Euch bitten, den Hort zu verlassen. Es geht hierbei um äußerst private Angelegenheiten zwischen des Königs Gast und uns“, erhob sie das Wort und behielt dabei den ziemlich entrückt wirkenden Blick unverändert auf Murtagh. Der ihn skeptisch erwiderte, zumindest soweit Araya das von ihrer Position aus erkennen konnte. Immerhin verstellten ihr die beiden Männer die Sicht.

Aber Murtagh war nicht dumm. Er würde sie doch niemals allein lassen, wenn er doch wusste, dass sie außer ihm nur Saliha in diesem Schloss kannte. Er konnte sich sicher denken, dass sie log. „Gut“, hallte seine Stimme wieder, und sie hörte am Knirschen des erdigen Bodens, dass er sich erhob und von ihr entfernte. Er ließ sie doch nicht wirklich allein, oder? Warum?

Endlich gaben die Männer den Blick auf ihn frei und Araya konnte sich nicht davon abhalten, ihn mit entsetzten Augen anzustarren. Doch er drehte sich erst um, als diese Dienerin wieder sprach. „Darf man fragen, wo Euer ehrenhafter Drache Dorn ist?“, fragte sie mit einschmeichelnder Stimme, von der Araya nur schlecht werden konnte. Murtagh sah über seine Schulter und antwortete: „Draußen, wo sonst. Oder seht ihr ihn hier?“ Bevor er sich wieder umdrehte, streifte sein Blick kurz Araya. Dann drehte er sich um und stieg die Treppe zum Ausgang hinauf.

Kaum war das Geräusch der sich schließenden Tür verklungen, bauten sich die beiden Männer mit verschränkten Armen vor ihr auf. Diese Göre trat vor sie mit einem siegessicheren Ausdruck im Gesicht und einem boshaften Lächeln. „Ich habe dir doch gesagt, du sollst dich von Argetlam Murtagh fernhalten. Stattdessen ziehst du ihn aus!“, schrie sie in einem verächtlichen und zugleich eifersüchtigen Ton.

Langsam verstand Araya. Das Geräusch, das sie vorhin beim Verbinden seiner Wunden gehört hatte, war ihre fluchtartige Bewegung gewesen, als sie den Hort wieder verlassen hatte. Und sie hatte alles falsch verstanden. Anscheinend war sie ja ernsthaft in Murtagh verliebt und wollte sie als Nebenbuhlerin ausschalten. Trotzdem war es Araya ein Rätsel. Wie konnte sie sie als Gefahr betrachten?

Sie hatte keine Zeit mehr, länger darüber nachzudenken, denn auf ein Handzeichen hin näherten sich ihr die beiden Männer, die Arme bedrohlich angewinkelt. Araya hatte sich schon gedacht, dass sie sie nicht umsonst mitgebracht hatte. Sie wollte ihr wohl körperlich einbläuen, sich von dem Drachenreiter fernzuhalten. Und Murtagh hatte sie alleingelassen!

Als der erste der beiden Männer mit rechten ausholte, blieb ihr nichts anderes übrig, als zu dem hin auszuweichen, der von ihr aus gesehen rechts stand. Sie duckte sich unter dem Schlag weg und trat einen großen Schritt nach rechts. Der andere hatte sich darauf anscheinend eingestellt, denn er packte sie am rechten Arm. Araya handelte eher instinktiv als rational.

Erst riss sie an ihrem Arm, aber natürlich war er viel stärker. Dann drehte sie sich um einhundertachtzig Grad nach links, sodass sie mit dem Rücken an seinem Ellbogen stand. Sie versuchte, sich noch weiter zu drehen, um ihn zu zwingen, ihren Arm loszulassen oder ihn sich zu brechen, doch er knurrte nur und legte den anderen Arm um ihre Taille. Als er sie vom Boden hob, begann Araya zu treten.

Der Mann hinter ihr grunzte zwar, als sie ihn mit der Ferse am Schienbein erwischte, lockerte seinen Griff allerdings nicht. Der zweite Mann trat vor sie und ballte die Faust. Wenn sie sich nicht bald aus dem eisernen Klammergriff des Hünen hinter ihr befreien konnte, hätte sie keine Chance mehr, sich zu verteidigen.

Das Glück half ihr aus ihrer Lage. Denn plötzlich verlagerte der Mann hinter ihr sein Gewicht so, dass sie ihm ausversehen in den Schritt trat. Was sicher sehr schmerhaft war, denn er schrie auf und ließ sie augenblicklich los. Der schon ausgeholte Schlag vor ihr verlief ins Leere, als Araya sich über den zusammengekauerten und seine Mitte haltenden Mann rollte, Rücken an Rücken, die Beine nach oben gestreckt, um den Schwung nicht zu verlieren. Dann versetzte sie dem immer noch außer Gefecht gesetzten Mann einen Tritt an den Kopf. Er ging zu Boden.

Blitzschnell wandte sie sich um und trat einige Schritte vor. Nun stand sie direkt vor dem Kameraden des Gefallenen, so nah, dass nur noch wenige Zentimeter zwischen ihnen waren. Aus dieser Entfernung nutze ihm sein Reichweitenvorteil aufgrund seiner langen Arme nichts. Sie schob ihr linkes Bein nach vorne und klemmte es hinter sein rechtes. Dann versetzte sie ihm einen Faustschlag mitten auf die Nase.

Sie spürte Knorpel und Knochen brechen, das Blut spritzte, und der Kerl taumelte rückwärts. Durch ihr Bein, das in seinem Weg stand, verlor er endgültig das Gleichgewicht und ging wie sein Freund vorhin zu Boden. Araya war außer Atem. Sie keuchte vor Anstrengung und hörte so nicht den zweiten Mann, der sich mittlerweile wieder aufgerichtet hatte und sie mit schmerzverzehrtem und hasserfülltem Blick anstarrte.

Erst, als er „Du kleine Schlampe!“ schrie, wirbelte Araya herum. Doch sie konnte den Faustschlag in ihr Gesicht nicht mehr aufhalten. Er traf sie an der linken Wange, so heftig, dass sie sofort zu Boden ging und sich zusammenkugelte. Auch der, dem sie die Nase gebrochen hatte, war wieder auf den Beinen und beide ragten vor ihr auf. Sie rechnete mit Tritten gegen ihre Rippen und Nieren, doch plötzlich vernahm sie noch eine Stimme; eine, die nicht wirklich da war.

Dorn! Dazwischen, los!!, schrie es in ihrem Kopf, doch sie war viel zu benebelt von dem Schlag, um die Stimme wiederzuerkennen. Araya wollte sie aufrichten, da die Männer anscheinend in ihren Bewegungen innegehalten hatten, doch plötzlich wurde sie von etwas Schwerem niedergedrückt. Dieses etwas besaß scharfe weiße Klauen und es landete direkt auf ihren Rücken. Durch die Wucht, die sie wieder auf den Boden warf, schloss sie die Augen, und dann vernahmen ihre Ohren ein tiefes, lautes Brüllen und Knurren. Gefolgt von einem gedämpften, undeutlicheren Laut, der in ihrem Kopf widerhallte. Ein Knurren wie aus weiter Ferne, so tief, dass ihre Knochen vibrierten.

Dann sah Araya über die Schulter und erblickte einen rubinroten Drachen, der drohend die Flügel aufgestellt hatte, den Lefzen hochzog und angriffsbereit über ihr kauerte. Erst jetzt erkannte sie Dorn und konnte somit die Stimme, die durch ihren Geist gehallt war, als Murtaghs zuordnen. Er hatte sie also doch nicht ganz allein gelassen … Eine Welle der Erleichterung überkam sie.

Dorn ließ nicht zu, dass Araya sich erhob oder einer der Männer sich auch nur einen Zentimeter bewegte. Sobald sie auch nur die Anstalten einer Bewegung machten, wurde sein beständiges Knurren lauter und lauter, und ließen sie sich dadurch nicht abschrecken, schnappte er nach ihnen. Das schien die zwei davon zu überzeugen, dass er ihnen notfalls auch die Köpfe abreißen würde.

Araya hatte ihre Befreiungsversuche schon nach dem ersten Misserfolg aufgegeben. Der Drache wollte sie am Boden behalten, um sie so besser zu beschützen, und sie würde ihm seinen Willen lassen. Ein Blick auf die Verantwortliche dieses ganzen Unsinns verriet ihr, dass sie anscheinend schwerwiegende Konsequenzen für ihr Handeln vermutete. Sie war leichenblass, konnte aber anscheinend auch nicht den Mut finden, davonzulaufen.

Dorn hielt sie so lange auf, bis Murtagh kam. Kaum hatte sich der Drachenreiter vor seinen Drachen und somit auch zwischen Araya und die drei anderen Menschen aufgestellt, gab Dorn seine Drohgebärden auf. Er schien anzunehmen, dass sein Reiter stark genug war, es mit ihnen allein aufzunehmen. Sie selbst durfte sich allerdings trotzdem nicht aufrichten.

Araya konnte Murtaghs Blick nicht sehen, immerhin stand er mit den Rücken zu ihr, allerdings konnte sie sich anhand der erschrockenen und ängstlichen Gesichter ungefähr vorstellen, wie glücklich er sie ansah … Seine Stimme räumte ihre letzten Zweifel an seiner guten Laune aus. „Verschwindet!“, zischte er in einer Tonlage, die sie noch nie bei ihm vernommen hatte. Sie kannte sie sanft und beherrscht. Sie hatte ihn auch schon mehrmals wütend erlebt; beispielsweise, als er sie das erste Mal in ihrer Zelle besucht hatte.

Aber derart wütend, dass seine Stimme klang, als müsse er mühsam seine Beherrschung nach außen hin aufrecht erhalten, um die Menschen vor ihm nicht anzufallen oder gar mit einem Zauber zu belegen, hatte sie ihn noch nie erlebt. Sie bezweifelte, dass sie ihn je so erzürnen könnte. Die drei Gestalten vor ihm schienen den gleichen Gedanken zu haben, denn kaum hatte Murtagh das einzelne Wort regelrecht hervorgestoßen, kam plötzlich wieder Leben in sie und hasteten aus dem Drachenhort.

Kaum waren sie auch nur aus seinem Blickfeld verschwunden, drehte sich Murtagh zu ihr um. Dorn nahm das wohl als Zeichen, dass die Gefahr gebannt war und entließ sie aus seiner Klaue. Befreit atmete Araya auf. Wenn einen mehrere Kilogramm auf den Boden pinnten, war das Luftholen eines der Dinge, die oberste Priorität bekamen.

Langsam stemmte Araya sich hoch. Dabei fiel ihr auf, dass die Haut über ihrer linken Wange unangenehm spannte. Der Schlag saß ihr noch in den Knochen. Als sie aufsah, konnte sie Murtagh das erste Mal in die Augen sehen, seit er hier angekommen war. Der Ausdruck darin versprach pure Gewalt. Wut und Zorn waren längst übertroffen. Für Araya sah es eher so aus, als würde er rasen.

Sie senkte den Blick. So etwas wollte sie bei Murtagh nicht sehen. Es würde ihr sonst zu scharf in Erinnerung bleiben, und sie hatte nicht das Bedürfnis, schlecht über ihn zu denken, nur weil er seinen Gefühlen ausgeliefert war. Und wieder war sie schuld. Anscheinend brachte sie in letzter Zeit allen, in deren Nähe sie sich aufhielt, Unglück.

Araya zuckte zusammen, als sie eine Hand auf ihrer malträtierten Wange spürte. Erschrocken sah sie auf. Murtagh stand nah vor ihr. Und es war seine Hand, die die verletzte Haut sanft berührte und darüber strich. Seine Augen hatten sich wieder verändert. Die Raserei war kaum noch zu erkennen, dafür waren seine Augen sanfter denn je. Als sein Blick auf ihre Wange fiel, die sicher rot, wenn nicht sogar schon purpurfarben war, öffnete er den Mund und flüsterte: „Waîse Heil.“

Der Schmerz verschwand. Von einem Augenblick auf den anderen spürte sie nichts mehr von dem Schlag. Sie starrte Murtagh verwirrt an und er verzog den Mund zu einem Lächeln. „Ein Heilzauber“, erklärte er und nahm dann die Hand fort. Sie fühlte sich auf einmal seltsam kühl an. Doch bevor sie länger darüber nachdenken konnte, wandte Murtagh sich ab und hielt auf den Ausgang zu.

„Ähm … Wo willst du denn hin?“, fragte Araya und konnte dabei ihre momentane Angst vor dem Alleinsein nicht unterdrücken. Sie spiegelte sich deutlich im Zittern ihrer Stimme wider. Wer wusste schon, ob die Kerle nicht zurückkommen und ihr Werk vollenden würden. Als Dorn auch noch Anstalten machte, sich zu entfernen, brach sich ihre Furcht ganz los.

Murtagh schien es zu bemerken, denn er drehte sich plötzlich um und starrte ihr in die Augen. Araya konnte gar nicht anders, als die Arme vor dem Körper zu verschränken, indem sie den jeweils gegenüberliegenden Ellbogen in die Hände nahm. Sie schaute unverwandt zu Murtagh zurück. Er seufzte. „Keine Sorge. Dorn wird hier bei dir bleiben und auf dich Acht geben. Es tut mir leid, dass ich dich alleingelassen habe. Aber anders hätte ich nie erfahren, was da zwischen dieser Dienerin und dir geschieht.“

Dorn ergab sich in sein Schicksal und ließ sich mit einem lauten Krachen auf dem Boden nieder, legte seinen riesigen Kopf auf seine vorderen Pranken und schloss die Augen. Murtagh wollte gerade die erste Stufe der Treppe besteigen, als er abermals zögerte. Araya war sich sicher, keinen Laut von sich gegeben zu haben.

„Sag mal …“, begann er, brach aber wieder ab. Anscheinend hatte er Bedenken, seine Frage an sie zu richten. „Ja?“, ermutigte sie ihn. Was immer er fragen wollte, sie hatte keine Angst zu antworten. Das war sie ihm schuldig für all die Probleme, die er wegen ihr hatte. Er druckste noch eine Weile herum, bis er anscheinend mit der Formulierung zufrieden war.

„Ich würde gerne wissen, wo du gelernt hast, dich so gut zu verteidigen.“ Araya starrte ihn an. Murtagh schien es falsch zu deuten, denn er hob abwehrend die Hände und fügte hinzu: „Na ja, du hast einem von ihnen die Nase gebrochen. Dazu gehört schon viel, wenn man so im Nachteil ist, wie du es warst.“ Als sie immer noch nichts sagte, wandte er sich wieder ab. „Vergiss es. Du musst nicht antworten.“

„Papa“, flüsterte Araya gerade laut genug, damit er sie hören konnte. Murtagh erstarrte und wandte sich ihr wieder zu. „Was?“, fragte er, seine Stimme klang betroffen. „Mein Vater hat mir beigebracht, mich im Notfall zu verteidigen. Daher …“, Araya konnte nicht weitersprechen. Das Reden über ihren Vater ließ ihre Augen tränennass werden, und sie wollte nicht mehr weinen. Das hatte sie zu Genüge in ihrer dunklen und lichtlosen Zelle getan. Sie versuchte sich wie gestern an das Bild des fröhlichen Mannes zu klammern, das ihr ihren Vater gut in Erinnerungen erhalten würde.

„Verstehe“, hörte sie Murtaghs Stimme. Sie klang traurig. Als Araya aufsah, um ihn anzusehen, hatte er ihr den ganzen Körper zugewandt. Er verharrte in gerader Haltung, die Arme und Hände strikt an die Seiten seines Körpers gepresst, in einer Verbeugung. „Danke“, murmelte Araya und entließ ihn somit. Er drehte sich um und verschwand aus dem Hort ohne ein weiteres Wort. Das war auch gar nicht nötig, Araya wusste, es war zugleich eine Respektbekundung und Entschuldigung gewesen.

Sie wird dich nicht noch einmal belästigen, meldete sich unvermittelt Dorn wieder zu Wort. Er hatte die Augen aufgeschlagen und starrte ihr mitfühlend entgegen. Araya war über diese Sinneswandlung des Drachen erstaunt. „Was meinst du?”, fragte sie und erwartete doch keine Antwort. Doch Dorn gab sie ihr. Die Dienerin, die dich bedrohte, und die beiden Männer, die sich an dir vergingen, werden von Murtagh bei Galbatorix angeklagt. Dafür muss er nur zu ihm oder einem nahestehendem Diener gehen und ihm die Straftat mitteilen; die Vollstreckung obliegt Murtagh auch ohne die Zustimmung des Königs. Immerhin ist er sein erster Vasall.

Sie würden also bestraft. Und so rasend, wie Murtagh wegen dem Vorfall gewesen war, konnte sie sich die Strafe vorstellen. Sie glaubte nicht, dass irgendjemand die Dienerin und ihre zwei Begleiter je wiedersehen würde.

Koda

Das nächste Kapitel wird leider etwas kurz. Das kürzeste, das ich bis jetzt geschrieben habe (Ausnahme ist natürlich der Prolog ^__^) Dafür hat es aber einen wunderbaren Cliff-Hanger ... Glaub ich zumindest xDD

Ich wollte es einfach teilen, es hat gerade so gut gepasst. Also nicht böse sein, wenn es kurz wird. Oder der zweite Teil ewig auf sich warten lässt (was eigentlich nicht passieren sollte, es wird langsam Zeit *kryptische Voraussage tätigt*)
 

Ach so, und noch etwas: Bitte keine Spoiler zum vierten Teil. Ich warte auf den Schuber, mit dem ich alle vier Bände bekomme und werde ihn vorher auch nicht lesen!!! Vermutlich werde ich mit dem vierten Band sogar erst anfangen, wenn ich diese FF beendet habe (sonst sind alle Ideen futsch xD). DANKE!!!
 

PS: Wenn der Anfang euch zu lang ist, überspringt einfach ein bisschen. Ich hab das so dahingeschrieben und konnte mich nicht entscheiden, es zu löschen (Und J.R. Ward sagt, man soll auf sein Bauchgefühl hören!!) xDD

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Während Araya noch versuchte, die Tatsache zu verarbeiten, dass wegen ihr drei Menschen sterben würden – durch Murtaghs Hand –, langweilte sich Dorn wohl, denn der große Drache war eingeschlafen und überließ sie ihren eigenen Gedanken. Diese Dienerin hatte sie selbst als Bedrohung angesehen, weil sie in Murtagh verliebt war. Aber Araya war es selbst nach langem reflektieren unmöglich zu ergründen, warum das Mädchen sie für interessant gehalten hatte.

Araya spitzte nachdenklich die Lippen. Vielleicht hatte sie es ja daraus geschlossen, dass Murtagh so viel mit ihr zusammen war? Was allerdings lächerlich war, immerhin hatte sie keine Ausweichmöglichkeiten. Allerdings hätte sie auch kaum Murtagh befehlen können, sich ihr nicht mehr so oft zu nähern. Araya legte den Kopf auf die rechte Seite.

Sie versuchte, sich vorzustellen, was sie getan hätte, wenn sich jemand dem Mann genähert hätte, in den sie verliebt war. Wenn er mehr Zeit mit ihr verbrächte als mit Araya selbst. Doch bald musste sie feststellen, dass das für sie unmöglich war. Arayas gespitzte Lippen entwickelten sich zu einem Schmollmund. Im Gegensatz zu dieser Dienerin hier musste sie jedes Mädchen fürchten, dass sie ebenjenem Mann näherte. Sie musste immer befürchten, nicht mehr zu genügen.

Aber vielleicht hatte diese Dienerin auch einfach befürchtet, Murtagh könnte erst gefallen an ihr finden, weil sie fremd war, und sie ihr dann vorziehen. Was ebenso undenkbar war, immerhin hatten er und das Mädchen offensichtlich gar keine engere Beziehung. Andernfalls würde Murtagh sie doch niemals mit solch vehementer Wut zur Verantwortung ziehen wollen. Es sei denn, er besäße einen krankhaft stark ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Und Araya wusste, dass dem nicht so war.

Sie seufzte tief. Nicht nur Dorn war langweilig, aber im Gegensatz zu ihm konnte sie nicht so einfach einschlafen. Ihr schwirrten viel zu viele Gedanken im Kopf herum. Nicht zuletzt, ob es Murtagh mit seinen Verletzungen wohl bald wieder gutgehen würde, und wie sie weiterhin seine Geheimnisse vor dem König schützen könnten.

Und natürlich spukte ihr jetzt, wo das Adrenalin wieder aus ihrem Körper gespült war und ihr Blut nicht mehr zum Kochen brachte, Murtaghs seltsam schwermütiges Gesicht im Geiste herum. Sie hatte sich bei ihm bedankt, doch trotz seines Lächelns schien ihn irgendetwas zu belasten. Er hatte sie dabei angesehen, war sie also der Grund für seine Sorgen? Oder was auch immer es gewesen war …

Abermals seufzend schaute sie an die Decke des Horts, von wo aus das künstliche Licht auf sie herabschien. Und musste dabei unwillkürlich lächeln, als Araya an ein Sprichwort dachte, das ihr ihr Bruder einmal gesagt hatte. Mit jedem Seufzer verliere man ein kleines Stück seines eigenen Glücks. Ihr Bruder hatte sich so etwas immer sehr zu Herzen genommen. Er hatte Seufzer tunlichst gemieden, um der glücklichste Mensch auf Erden zu werden.

Araya konnte gar nicht anders, als laut zu lachen, als sie an seine enthusiastische Stimme dachte, die ihr seine kleine Weisheit erzählte. Er hatte sie immer irgendwie zum Lachen gebracht. Selbst jetzt noch, als er mit großer Wahrscheinlichkeit längst tot war. Wie alle anderen auch. Außer Saliha natürlich.

Und irgendwie wurde Araya das Gefühl nicht los, dass Saliha im Moment eine Art Anker im Leben für sie war. Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich eine Welt ohne ihre beste Freundin vorstellen sollte. Und das wollte sie auch gar nicht. Nicht einmal für einen kurzen Moment auch nur versuchen. Dann wäre alles weg. Alles in weite Ferne gerückt. Alles aus ihrem früheren Leben. Araya vermutete stark, dass sie ohne Saliha untergehen würde.

Ihr Magen holte sie aus ihren Gedanken. Was nicht verwunderlich war. Immerhin hatte sie weder gefrühstückt – das hatten Murtaghs Verletzungen in den Hintergrund gerückt – noch auch nur den kleinsten Happen zwischen die Zähne bekommen. Dann noch die ganze Aufregung und Anstrengung. Und inzwischen war es bestimmt schon Mittag.

Aber wer sollte ihr denn jetzt schon noch etwas zu Essen bringen? Ihre Dienerin war ja gerade dabei, angeklagt und bestraft zu werden … Nun ja, einen Tag ohne Nahrung sollte Araya eigentlich nichts ausmachen. Immerhin bekam man als normaler Bauer auch nicht immer jeden Tag etwas. Wenn die Ernte missglückte, konnte man nur von der Milch des Viehs leben. Oder teuer Nahrung im Dorf kaufen, denn andere Ernten waren bestimmt genauso schlecht ausgefallen.

Wasser hatte sie ja genügend zur Verfügung. Wenn es zu sehr schmerzte, könnte sie ihren Magen immer noch mit Wasser beschäftigen. Auch, wenn Milch eindeutig besser funktionierte, da sie wenigstens etwas nahrhaftes Protein und Fett enthielt.

Mit diesen Gedanken verharrte Araya bis zum Abend. Wie erwartet hatte keiner an sie gedacht. Was sie ja nicht sonderlich kurios war, immerhin war Murtagh beschäftig gewesen und dann sicherlich wie tot in den Schlaf gesunken. Er hätte sich mit seinen Verletzungen sowieso eher schonen sollen. Zwischendurch hatten sie die Krämpfe ihres Magens wirklich so sehr genervt, dass sie ihn mit Wasser beruhigt hatte. Auch, um Dorn nicht unnötig zu wecken.

Obwohl es völlig sinnlos war, schaute Araya prüfend nach oben an die höhlenartige Decke des Drachenhorts. Ob es wohl schon dunkel war? Über die ganze Aufregung heute hatte sie keinesfalls den Vollmond vergessen. Auch, wenn sie keine rituellen Kräuter verbrennen konnte, sollte sie doch zumindest ein improvisiertes Gebet sprechen. Vielleicht wäre der Zorn der Göttin dann schon etwas besänftigt und sie würde sie nicht vollständig ignorieren.

Mit diesen Gedanken erhob sich Araya und wünschte, sie könnte wenigstens so tun, als wolle sie etwas verbrennen. Aber es gab weder Holz noch sonst irgendetwas, womit man ein Feuer entzünden konnte. Sah man von dem großen Drachen ab, versteht sich. Und außerdem wollte sie sich eigentlich nicht selbst aus dem Hort ausräuchern, selbst wenn es irgendwo einen zweiten Ausgang gab.

Sie streckte die Arme auf Taillenhöhe leicht angewinkelt aus, mit den Handflächen gerade nach oben. Es sah aus, als würde sie sich in die Sonne stellen und die Strahlen auf Gesicht, Armen und Oberkörper genießen. Im Grunde war das auch der Sinn der Haltung, nur ging es dabei nicht um Sonnenstrahlen. Araya hob das Gesicht weiter gen Decke und legte somit auch ihren Hals frei. Wäre der Felsen und das darüber liegende Gebäude nicht im Weg, hoffte sie, in den Mond zu schauen. Dann schloss sie die Augen und begann, mit feierlicher Stimme zu sprechen.

Dear goddess. I apologize for giving your herbs to a friend of mine but he was hurt and I wanted to help him. I hope you’ll forgive me. I’m in a foreign country now and can’t see you. I can’t even see the sky and your beautiful vestment called stars.“ Dorn regte sich. Anscheinend wunderte er sich, was sie hier redete, doch Araya schenkte ihm kaum Beachtung. Sie musste ihre Situation ausreichend erklären! „I don’t have a favour to ask of you for myself but for this friend of mine I told you before. He’s chained up by a man who’s forcing him to fight against his half-brother as well as against his human values. I don’t want him to be sad about this because he diverts me from my own situation. I’m happy in some way. Furthermore, I don’t want him to be harmed. Please protect him, that’s my wish. Thus it is.

Jetzt, wo sie allein war und nur Dorn ihr zusah, konnte sie eine der vielen Tränen, die sie heute schon zurückgehalten hatte, fließen lassen. Sie ließ sie als Beweis ihrer Aufrichtigkeit Louise gegenüber frei, und weil sie bedauerte, ihr nicht ins Antlitz sehen zu können. Eigentlich wollte sie nicht mehr weinen. Sie war es leid, so schwach zu sein, so verletzlich. Und umso entblößter fühlte Araya sich, weil sie genau wusste, dass Dorn ihre Tränen nicht vor Murtagh verheimlichen würde.

Sie kehrte nur langsam zu ihrem Schlafplatz zurück, hoffte, irgendein Zeichen zu bekommen, dass man ihr verzieh und sie gehört hatte. Doch als sie vor dem dunklen Flecken plattgelegener Erde stand, war noch nichts geschehen. In der Hoffnung, vielleicht im Traum – sollte sie je wieder einen anderen als über diese Eishölle haben – eine Antwort zu finden, ließ sie sich langsam darauf nieder. Sie sollte Murtagh morgen fragen, ob er ihr Decken geben konnte, immerhin ruinierte sie sich so nicht nur ihren Körper, sondern auch noch ihre Gesundheit.

Dann schloss Araya die Augen und versuchte, an nichts mehr zu denken. Die Göttin würde doch zu ihr kommen, oder?
 

Dieses Mal weckte sie niemand. Aber sie träumte weder gut noch von ihrer Göttin. Es war der altbewährte Traum, der sie heimsuchte, und Araya war zutiefst enttäuscht, als sie ohne Antwort von Louise zitternd auf dem Boden erwachte. Hatte sie ihre Mondgöttin derart verärgert, dass sie nicht einmal mehr Bitten annahm, die gar nichts mit ihr selbst zu tun hatten? Ihre Mutter hatte Araya immer erzählt, Louise würde selbst Wünsche von Ketzern erfüllen, bäten die nur um das Glück eines anderen.

War ihr Anliegen noch zu selbstsüchtig gewesen? Immerhin würde auch sie glücklich sein, wenn Murtagh nichts geschah. Sie hatte es ja selbst gesagt. Er lenkte sie von ihrem eigenen Schicksal ab: Hier gefangen zu sein und sich nicht einmal frei bewegen zu können. Nirgends. Seine Anwesenheit gab ihr Trost. Im Grunde teilten sie ihre Sorgen. Sei beide waren gefangen. Murtagh körperlich und seelisch, sie allerdings nur physisch. Allein deswegen hatte sie kein Recht, sich zu beschweren.

Araya stolperte zu dem kleinen unterirdischen Fluss. Prüfend roch sie an ihrem Kleid und stellte fest, dass es wohl mal wieder Zeit war, sich nicht nur auf eine schnelle Wäsche zu verlassen. Immerhin schlief sie nicht nur in dem Ding, sondern lief damit den ganzen Tag herum. Leider konnte sie das Kleidungsstück nicht gleich mitwaschen, weil sie dann nackt herumlaufen müsste. Und das war ihr vor Dorn schon zu peinlich. Murtagh würde bestimmt auch vorbeikommen.

Also zog sie es sich schnell über den Kopf, entledigte sich außerdem ihrer Unterwäsche und stieg so schnell es ihre zittrigen Beine zuließen, in den Fluss. Ihre Temperaturempfindung änderte sich – ihr wurde kalt –, aber das Zittern blieb dasselbe. Nur ein weiterer Beweis, wie sehr dieser seltsame Traum allmählich ihrem Körper zusetzte.

Fahrig strich Araya mit den Händen über ihren Körper, um ihn vom gröbsten Schmutz zu befreien. Für den Rest blieb ihr nichts Anderes übrig, als ihn aufweichen zu lassen und zu hoffen, dass der Fluss ihn abspülte. Doch langsam aber sich hielt sie die Kälte nicht mehr aus! Um ihren Körper ein wenig zu überlisten und von ihren restlichen, schon ein wenig tauben Gliedern abzulenken, tauchte sie schnell unter Wasser. Nun war sie ganz auf ihr kaltes Gesicht konzentriert. Dadurch gewann sie einige Sekunde, bis sie die Kälte nicht mehr aushielt und keuchend wieder auftauchte.

„Ah, da seid Ihr!“, ertönte plötzlich eine männliche Stimme ganz in ihrer Nähe. Erschrocken wirbelte Araya herum und erkannte eine sich vor ihr abzeichnende Silhouette. Die genau am Ufer des kleinen Flusses stand. Schreiend, ja schon kreischend, brach Araya den Versuch, aus dem Fluss zu steigen, augenblicklich ab und wich einige Schritte zurück, um sich mit dem Wasser zu bedecken. Das war ganz sicher nicht Murtagh!

Araya erkannte etwas in seinen Händen, das nach Kleidung aussah. Vielleicht wurde ihr neue gebracht. Doch als sie den Boden absuchte, fand sie ihr getragenes Kleid nicht mehr. Er hatte es weggenommen. Araya zählte eins und eins zusammen und fauchte: „Verschwindet! Und lasst mein Kleid dort liegen!“

Sie schlotterte schon am ganzen Körper. Und Araya befürchtete, wenn er nicht bald gehen würde, zwänge die Kälte sie, vor seinen Augen aus dem Wasser zu steigen. Was sie nur über ihre Leiche tun würde – metaphorisch gesprochen natürlich. Denn Todessehnsucht hatte Araya eigentlich noch nicht.

„Aber, aber … ich fand dieses Kleid und dachte, ich könnte Euch beim Ankleiden helfen. Wie es einer Dame gebührt“, erwiderte dieser fremde Mann mit einem höhnischen Lächeln. Sie sah es zwar nicht, aber man hörte es der Stimme an. Inzwischen schlugen schon ihre Zähne vor Kälte aufeinander.

„Braucht Ihr nicht, und jetzt geht bitte!“, antwortete sie in einem so freundlichen Ton, wie es ihr noch möglich war. Allerdings bedeutete das nicht viel, denn sie klang immer noch ziemlich schroff. Und dann traute Araya ihren Augen nicht. Dieser Mann hatte tatsächlich die Nerven, den Kopf zu schütteln?

„Es gibt auch noch ein kleines Morgenmahl für Euch. Das wollt ihr doch nicht verpassen, oder? Also kommt heraus oder ich nehme beides wieder mit!“ Arayas Augen weiteten sich. Beides? Mit dem Essen konnte sie leben, sie hätte ja Murtagh fragen können, ob er ihr etwas abgab. Aber das Kleid?! Wie konnte er nur! Sie musste sich geschlagen geben, immerhin brauchte sie ja Kleidung. Aber wer wusste schon, wozu er sie noch nötigen würde, wenn er erst Blut geleckt hatte?

Allein aus diesem Grund schüttelte Araya den Kopf. Sie spürte ihre Zehen schon nicht mehr und hatte beide Arme um den Körper geschlungen, um sich wenigstens ein wenig zu wärmen. Sie war verzweifelt. Was sollte sie tun? Als der Diener, denn als nichts Anderes hatte sie ihn identifiziert – bei ihrem Pech war er ihr zugeteilt worden –, sich zum Gehen wandte, entkam Araya ein Schreckenslaut.

Er drehte sich ihr wieder zu. „Ja?“, fragte er scheinheilig. „Habt Ihr es Euch anders überlegt?“

Sie konnte nicht mehr. Ihr war zu kalt. Die einzige Hoffnung, auf die sie bauen konnte, war, dass er nicht viel von ihr würde erkennen können, immerhin war es stockduster hier und sie selbst konnte nur Schemen von ihm sehen. Mit einem leisen, plätschernden Geräusch stieg Araya zitternd aus dem Wasser.

Der Diener trat näher an sie heran, sodass sie seine Körperwärme spüren konnte. Doch anstatt sich über die Wärmequelle zu freuen, verstärkten sich die Schauder, die über ihre Haut zogen durch ihren Widerwillen, diesem Menschen nahe zu sein. Er stellte den mitgebrachten Korb ab und streckte die Hand nach ihr aus. Fast instinktiv wich Araya einen Schritt zurück und fixierte das Kleid in seinen Händen.

„Wisst Ihr, ich sehe ja gar nichts. Wie fändet Ihr es, wenn wir ein wenig näher an die Lichtquelle gehen würden?“, fragte er bedauernd und versuchte, sie zu packen. Araya wich einen weiteren Schritt zurück und somit seiner Hand aus. Sie musste sich auf die Unterlippe beißen, um einen unflätigen Kommentar zurückzuhalten. Und fragte sich gleichzeitig, wo zum Teufel Dorn war, denn wenn dieser Diener dermaßen weit ging, gab es im Augenblick bestimmt keine Zeugen.

Ihre Frage beantwortete sich, als die Pforte zum Hort mit einem vernehmlichen Geräusch aufglitt. Der Diener vor ihr zischte einen Fluch und warf ihr schließlich das weiße Kleid herüber. Araya fing es auf, doch dadurch verriet sie ihm, wo sie sich befand. Blitzschnell war er an ihrer Seite, griff ihr an die Kehle und brachte seinen Mund ganz nah an ihr Ohr.

„Kein Wort, zu niemandem, hörst du! Du bist hier gar nichts wert, vergiss das nicht. Nur ein billiger Zeitvertreib für Leute wie mich, die »unausgelastet« sind, wenn du verstehst!“ Mit diesen Worten ließ er sie los und trat aus den Schatten, noch bevor die Neuankömmlinge den Ein- und Ausgang passiert hatten. Araya starrte ihn mit großen Augen an. »Unausgelastet«? Was meinte er damit?

Beim Gehen wandte er ihr noch einmal das Gesicht zu und sie erkannte ungewöhnlich feine Züge für einen Mann. Er hatte relativ dunkle Haut, schwarze kurzgeschorene Haare und stechend giftgrüne Augen. Ihr schauderte. Er grinste noch einmal in ihre Richtung, dann wandte er sich endgültig dem Ausgang zu.

Blitzschnell hatte Araya ihr Kleid übergezogen und den Korb ergriffen. Gerade, als Murtagh und der neue Diener aneinander vorbeigingen und er dem Drachen Platz machte, trat Araya aus den Schatten. Murtagh hatte sie unwissentlich schon wieder gerettet. Vor was auch immer, aber sicher vor einer großen Peinlichkeit.

Doch als der Diene an Murtagh vorbeiging, starrte er den anderen Mann misstrauisch an. Er schien ihn zu kennen. Als Antwort darauf verneigte der andere sich und verließ schließlich den Hort. „Guten Morgen!“, rief Araya zu ihm hinüber, um ihn von dem Mann abzulenken. Sie ergriff den Korb an ihrer rechten Seite mit beiden Händen und näherte sich dem Drachenreiter. Allmählich wurde er wirklich schwer. Was hatte dieser komische Kerl da hineingetan?

Es funktionierte. Murtagh wandte sich von dem Besucher ab und blickte zu ihr. Araya rang sich ein Lächeln ab und versuchte zu verdrängen, in was für eine Situation er da gestolpert war. Dorn hatte es seinem Reiter gleichgetan und stieß nun ein Knurren in Richtung des Ausgangs aus. Dann schaute er neugierig – soweit sie das in seinen Augen ablesen konnte – zu ihr.

Sie wusste nicht, was die Neugier galt, dem Korb in ihrer Hand oder den Vorkommnissen gestern Nacht. Allerdings zweifelte Araya nicht, dass Murtagh Bescheid wusste. Soweit sie das bisher gesehen hatte, hatten die beiden keine Geheimnisse voreinander. Was sich Araya sehr beruhigend vorstellte. Immerhin war man nie wirklich allein oder einsam.

Ihre Vermutung bestätigte sich nur, als Murtagh auf Dorns Beobachtungen zu sprechen kam. „Dorn hat mir erzählt, du hättest in der Nach mit dem Fels gesprochen“, begann Murtagh. Araya verzog das Gesicht. Mit einem Felsen geredet? „Ich habe gebetet!“, erwiderte sie etwas zu aufbrausend, aber was sollte das denn für eine Beschreibung sein? Aber Murtagh lächelte nur.

„Ja, ich weiß. Aber ich habe leider wie immer nichts verstanden.“ Was ihr ganz recht war. Immerhin musste er nicht unbedingt wissen, dass sie für sein Heil betete. Er würde es ihr nur vorwerfen und sagen, er bräuchte keine Unterstützung von diesem »Unsinn«. Aber er erwartete anscheinend auch gar keine Antwort, denn Murtagh fuhr unbeirrt fort: „Dieser Diener eben …“

Araya verzog das Gesicht. Musste er das zur Sprache bringen? „Anscheinend wurde er mir neu zugeteilt“, antwortete sie hastig, um das Thema so schnell es ging zu beenden, doch Murtagh schien nicht gewillt, es fallenzulassen. „Nimm dich vor ihm in Acht. Er hat nicht den besten Ruf.“ Ja, das hatte sie auch schon in Erfahrung gebracht. Aber sie wollte nicht weiter über ihn reden.

„Was meinst du, wollen wir sehen, was ich heute zum Speisen bekommen habe?“, fragte sie lächelnd und hielt wie zur Unterstützung den Korb in die Höhe. Sie musste ihn allerdings fast sofort wieder sinken lassen, weil er zu schwer für sie war. Murtaghs skeptischer Blick glitt über sie, dann schien er sich entschieden zu haben. „Dann her damit.“ Er streckte die Hand aus und nahm ihr ihn ab. Dann sah er sie noch einmal ernst an, sagte einen Namen und lächelte.

Araya starrte ihn verwundert an. Wollte er ihr damit etwas sagen? Dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. So musste der Diener heißen, der gerade gegangen war. Sie nahm ihn mit einem Nicken zu Kenntnis, während Murtagh aus dem Korb allerlei Brot und Früchte herausholte. Genug für sie, aber er sah enttäuscht aus. „Was ist?“, fragte sie ihn. Er verzog das Gesicht.

„Kein Fleisch, kein Käse, keine Milch. Von was sollst du dich denn ernähren?“, fragte er missmutig. Obwohl es Araya durch den Vorfall nicht unbedingt bestens ging, musste sie doch lachen. „Also, für mich reicht es!“, verkündete sie und erntete dafür von Murtagh einen Blick, der wohl besagen sollte, dass sie wahrscheinlich verrückt geworden war.

Araya aß allein. Immerhin hatte Murtagh, wie er sagte, schon in seinem Quartier ein reichhaltiges – wie er nicht müde wurde zu betonten – Morgenmahl genossen. Und dass er ihr beim Essen zusah, störte sie auch nicht sonderlich. Was sollte daran schon schlimm sein. Neid konnte sie ja ausschließen, nachdem Murtagh sich so bemängelnd über ihr Essen geäußert hatte. Irgendwann wurde es dem Drachenreiter anscheinend zu langweilig, denn er ging zu dem zusammengekauerten Dorn und lehnte sich mit geschlossenen Augen an ihn.

Araya fragte sich erst, ob sie etwas falsch gemacht hatte, entschied dann aber, dass er sich ja auch anderweitig hätte beschäftigen können. Die große Tatenlosigkeit trat erst zwischen den Mahlzeiten ein. Die Zeit, in der die Langwierigkeit der Momente Araya erst richtig auffiel. Als sie fertig war, packte sie die Reste vorsichtshalber in den Korb zurück, den sie in die dunkle Ecke des Hortes stellte, damit man ihn ihr nicht noch wegnahm. Im Grunde legte sie Vorräte an, etwas, das ihr im Blut lag.

Als sie einen Blick auf ihr Schlaflager warf, fiel ihr auch wieder ein, dass sie immer noch auf dem erdigen Boden schlief. Sie lief zurück ins Licht und näherte sich Dorn und Murtagh. Das dieser sich an den Drachen gelehnt und die Augen geschlossen hatte, beugte sich Araya leicht herunter und fragte vorsichtig: „Murtagh?“ Sie erntete zwar keinerlei Reaktion – wenn man davon absah, dass Dorn ein Auge öffnete –, aber sie war sich fast sicher, dass er nicht schlief. Immerhin hatte er ein gemütliches Bett in seinem Gemach, das hatte sie selbst gesehen. Und wenn nicht, war sein Chaiselongue immer noch hundertmal bequemer als der steinige Boden hier.

„Ich wollte dich nach ein paar Decken fragen, damit ich sie als Lager verwenden kann.“ Erst rührte Murtagh sich nicht, und Araya fing schon ernsthaft an, an ihrer Theorie zu zweifeln, doch dann nickte er einmal langsam. Sie wartete auf eine weitere Reaktion, doch nach einer Weile gab sie es auf. Leicht beleidigt, dass er erst mit Dorn hier herunterkam und sich dann nicht um sie scherte, brachte sie ein wenig Entfernung zwischen sich und den Drachenreiter. Dorn hatte sein Auge bereits wieder geschlossen.

Mit einen stoßartigem Ausatmen stand sie mitten im Drachenhort und wusste nichts mit sich anzufangen. Sie wollte jedoch nicht die ganze Zeit stehen bleiben, bis sich der Herr wieder dazu herabließ, mit gemeinem Fußvolk zu reden. Daher setzte sie sich und kritzelte mit ihrem Finger in der Erde herum. Das war als Kind weitaus interessanter gewesen.

Mit einem leisen Seufzer ließ sie sich schließlich hintenüberfallen und starrte an die Decke. Wenn sie ihren Gedanken so freien Lauf lassen konnte, vermisste sie jedes Mal ihr Leben nahe Cyrianna. Weil sie an nichts Anderes denken konnte als an das, was sie verloren hatte. Womöglich für immer. Weil das Licht ihre Augen zum Tränen brachte, schloss sie sie und sah nunmehr ihre rotglühenden Augenlider.

Und es erinnerte sie.
 

Wieder konnte sie das Gras ihrer Heimat riechen, die Sonne auf ihrer Haut fühlen und den angenehm kühlen Wind über sich streichen spüren. Doch dieses Mal wurden die Eindrücke von einem jugendlichen Lachen begleitet. Als Araya die Augen aufschlug, konnte sie einen blonden, großgewachsenen und schlanken Jungen im Gras herumrennen sehen. Seine blauen Augen blitzten schalkhaft und warfen ihr einen schnellen Blick zu.

„Diese Klippe ist wirklich schön!“, rief er ihr zu und rannte zur Meerseite. Araya setzte sich auf. „Werde ich schon nicht“, lachte der Junge, ungefähr im dreizehnten Lebensjahr. Erst jetzt begriff sie, dass sie ihn gewarnt hatte, nicht von der Klippe zu fallen. „Ich wollte ja nur sagen!“, lachte sie schließlich mit ihm.

„Aber …“, zögerte er und sah sie aus den Augenwinkeln an, „wollten wir nicht eigentlich ins Dorf gehen? Die Händler sind doch jetzt wieder da! Es ist schon Mittag …“ Araya lächelte und erhob sich. „Gut, du hast Recht!“

Keine halbe Stunde später liefen sie durch die festgetretenen Straßen des in der Nähe gelegenen Dorfes. Der Junge strahlte übers ganze Gesicht, was auch Araya ein Lächeln entlockte. Sie war froh, dass es ihm so viel Spaß machte. „Danke, dass du mitgekommen bist“, schoss es plötzlich aus ihm heraus. Sie warf ihm einen unbestimmten Blick zu.

„Ich meine, allein darf ich ja noch nicht …“, dabei zog er eine Grimasse, die ihr ein freies Lachen entlockte, „ … und du hattest bestimmt auch was Besseres zu tun. Weißt du, Araya, du bist richtig cool und nett. Schade, dass dich keiner haben will, nur weil du so aussiehst. Aussehen ist doch nicht alles!“

Araya ging das Herz auf. Unwillkürlich nahm sie den Jungen in den Arm und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Er sträubte sich heftig. „Danke, Koda!“, lächelte Araya schließlich, doch ihr wurde nur ein böser Blick zuteil. „Lass mich los, ich bin doch kein Kind mehr!“ Lachend folgte Araya und sah ihn mit funkelnden Augen an. „Ich weiß, du bist schon ein großer Junge“, lachte sie und zog das „groß“ dramatisch in die Länge.

Sie wandte sich von ihm ab und ging ein Stück weiter, doch als sie bemerkte, dass der Junge ihr nicht folgte, drehte sie sich mit hinter dem Rücken verschränkten Händen zu ihm um und legte fragend den Kopf schief. Langsam näherte er sich ihr wieder und schließlich liefen sie wieder nebeneinander her.

Koda schmollte. Doch dass er beleidigt war, vergaß er schnell, als die ersten Stände der Händler auftauchten. Er packte sie an der Hand und rief: „Schau mal, da sind sie!“ Er zog sie hinter sich her und Araya musste in Laufschritt verfallen, um ihm zu folgen. Dann blieb er unmittelbar am ersten Stand stehen, an dem ein Händler lederne Armbänder verkaufte. Koda suchte sich ein schwarzes heraus und legte es sich prüfend ums Handgelenk.

„Sieh mal, das ist toll!“, rief er aus und schaute Araya fragend an. Als sie zustimmend nickte, kam gerade der Händler zurück. „Wie viel wollt Ihr dafür?“, fragte Araya höflich und deutete auf das Armband, das Koda in der Hand hielt. Der Mann schaute das Gewünschte prüfend an und nannte dann einen Preis in der gängigen Währung.

Koda zog einen sehr unerwachsenen Schmollmund. „Zu teuer“, antwortete er traurig. Der Händler musterte erst ihn, dann Araya. Sie sah ihn verwirrt an. „Nun“, antwortete er, „mit gewissen Diensten könnte ich den Preis vielleicht etwas drücken.“ Sein Blick wanderte abermals über Araya, und Koda, der aufgesehen hatte, sah ihn ebenfalls.

Er starrte den Händler wütend an und formte die Augen zu leichten Schlitzen, funkelte den Händler daraus an. „Mach sie nicht an!“, zischte er wütend, packte Arayas Hand, warf das Armband wieder auf den Stand und zog sie weg. „So toll ist es auch gar nicht!“, rief er dem Händler noch zu. Araya konnte ein Kopfschütteln nicht unterdrücken. Koda war immer so. Sehr loyal, was natürlich nichts Schlimmes war.

Ein paar Stände weiter fand Koda einen weiteren Händler mit Bändern. Auch diese hier waren aus Leder gefertigt, doch es wirkte schon ein wenig abgenutzt. Was seinen ganz eigenen Charme versprühte, das musste Araya schon zugeben. Koda bestätigte dies, als er die Armbänder als „total cool“ betitelte. Sie konnte diesem Wort nichts abgewinnen.

Als er sich abermals eines ausgesucht hatte, fragte diesmal er den Händler, wie viel es kosten sollte. Dieses Mal fiel die Summe zwar deutlich realistischer aus, doch Koda zog trotzdem ein Gesicht, als hätte er in eine saure Zitrone gebissen. „Was ist?“, fragte sie.

„Ich hab vor drei Tagen etwas für Essen ausgegeben. Ich konnte die Kohlsuppe nicht mehr sehen … und jetzt habe ich nicht genug Geld!“, plapperte er mit einem jammervollen Ton. Araya lächelte und langte sich in ihren linken Ärmel. Sie zog ein paar Münzen raus und legte sie Koda in die Hand, in der schon sein kläglicher Rest Wochengeld lag. Er sah sie mit großen Augen an.

„Das kann ich nicht annehmen! Das ist doch dein Geld! Ich werde einfach nach einem Vorschuss fragen“, lehnte er kopfschüttelnd ab, warf jedoch einen bedauernden Blick auf das Armband. „Ach was, ein großer Junge fragt seine Eltern nicht mehr nach Geld! Sieh es als Dankeschön für vorhin!“, antwortete Araya und schloss seine Hand um die Münzen.

Kaum hatte Koda das Armband bezahlt, nahm sie es ihm aus der Hand, hockte sich vor ihn und band es ihm um. Dann platzierte sie einen Kuss auf seine Stirn. „Ich bin froh, dass ich dich habe!“ Sie war gerade wieder aufgestanden, als sie jemanden von hinten rufen hörte. Ein weiterer blonder Junge kam auf sie zu und kam staubaufwirbelnd vor ihnen zu stehen. Als er sie bemerkte, verbeugte er sich leichte und begrüßte sie.

„Koda, mein Bruder hat mir was total Verrücktes erzählt! Komm, gehen wir zu uns.“ Er packte Koda an der Hand, doch der wehrte sich dagegen und warf einen Blick auf sie. „Geh ruhig“, antwortete sie auf die unausgesprochene Frage und Koda nickte. Er berührte mit Mittel- und Ringfinger seine Stirn und ging dann mit dem andern Jungen fort. Araya sah ihm lange nach, bis er verschwand.

Doch dann hörte sie eine Stimme über sich. „Araya?“
 

Sie öffnete die Augen und sah Murtagh über sich gebeugt stehen. Er sah nicht sehr erfreut darüber aus, dass sie hier auf dem Boden lag. Seine Miene war finster und angespannt; er sah sie an, als hätte sie ihn beleidigt oder sonst irgendwie verletzt. Sie konnte seinen finsteren Gesichtsausdruck nur irritiert erwidern.

„Ja?“, fragte sie. Was hatte er nur. Er hatte doch damit angefangen, sie zu ignorieren. Nahm er es jetzt persönlich, dass sie seinem Beispiel gefolgt war? Wie aus dem Nichts musste sie gähnen. Ihre Erziehung gebot ihr, ihren Mund mit der Hand zu verdecken, während Araya sich über ihren eigenen Körper wunderte. Sie war doch erst vor wenigen Stunden erwacht, wie konnte sie wieder müde sein?

Murtaghs Gesicht verzog sich nur noch mehr, als sie ihre Müdigkeit unfreiwillig ausdrückte, und er legte erzürnt die Stirn in Falten. „Könntest du wohl damit aufhören, Erinnerungen zu senden? Oder bist du so naiv und glaubst, dass Galbatorix davon nichts mitbekommt?“, fragte er verstimmt klingend. Araya konnte ihn nur wieder anstarren. Sie wusste nicht, was er meinte. Senden?

„Galbatorix hat einen sehr weitreichenden Geist, er wird alles mitangesehen haben. Du gibst ihm Macht über dich. Macht dir das Spaß?“, fragte Murtagh weiter und an der anschwellenden Lautstärke bemerkte sie, dass er immer wütender zu werden schien. „Was soll mir Spaß machen?“, fragte Araya und legte den Kopf schief. Sie begriff nicht und das frustrierte sie ungemein. Sie wollte Murtagh ein ebenbürtiger Gesprächspartner sein.

„Die Erinnerungen an diesen Jungen auszusenden! Hörst du mir zu?!“, brüllte er jetzt fast und Araya schreckte zusammen. Woher wusste er, was sie gedacht hatte, an was sie sich erinnert hatte? Und warum war er wütend auf sie? „I-Ich begreife nicht. Tut mir leid“, erwiderte sie verschüchtert. Sie wollte ihn ungern noch weiter reizen. Doch sie musste wieder gähnen. Womit sie sicher einen reichlich desinteressierten Eindruck machte. Was Murtagh weiter erzürnte.

Du sendest dieses Erinnerung an den Jungen aus“, wiederholte er, Wort für Wort einzeln betonend, als sei sie schwachsinnig oder ein Kind, das ihm nicht zuhören wollte. Sie schüttelte nur den Kopf und sah ihn mit geweiteten Augen an. „Aussenden? Mei-Meinst du, wie eine Nachricht über einen Boten senden?“ Vor lauter Verunsicherung fing Araya an zu stottern. Sie zog ihre Beine unauffällig näher an ihren Körper, doch Murtagh fiel es trotzdem auf.

„Hör mal, ich will dir nicht zu nahe treten, du kannst tun und lassen, was du willst. Aber du solltest damit-“ Er stoppte abrupt. Sie hatte sich nicht bewegt, jedenfalls nicht bewusst, allerdings schien sie der Störfaktor seiner Bekenntnisse zu sein, denn er starrte ihr in die Augen. „Merkst du es nicht?“, fragte er sie, jetzt deutlich ruhiger. Um das nicht zu verlieren, unterdrückte Araya den Impuls mehrmals zu blinzeln. Ihr fielen fast die Augen zu. Dennoch rang sie sich zu einem Kopfschütteln durch.

„Ich konnte alles mitansehen. Alles, an das du gedacht hast. Ich habe mit deinen Augen diesen Jungen Koda gesehen und deine Gefühle gespürt“, erklärte er ihr. Araya wurde bleich. „Du bist ein meinen Geist eingedrungen?!“, rief sie erschrocken aus und schien ihn damit an einem wunden Punkt zu treffen, denn er stieß sofort ein barsches „Natürlich nicht!“ aus, das sehr empört klang.

„Aber, wie-“, wollte Araya ihn fragen, doch er unterbrach sie. „Verstehst du nicht? Du hast mir das gesendet. Von dir aus. Aber anscheinend hast du es nicht bemerkt. Deshalb bist du so müde. Gedanken oder Erinnerungen so stark auszusenden, wie du es eben getan hast, kostet sehr viel Energie.“

Araya nickte. Sie verstand zwar immer noch nicht, warum sie das getan haben sollte, aber sie glaubte Murtagh, wenn er ihr sagte, dass es so war. Wem sonst? Er kannte sich mit solchen Dingen besser aus als sie. „Ich schätze mal, deine gefühlreichen Erinnerungen waren daran schuld. Du hast es einfach aus dir herausgelassen“, beruhigte er sie. Ihre Gefühle schienen sich auf ihrem Gesicht widerzuspiegeln. Abermals nickte Araya und konnte das schnelle Blinzeln nun nicht mehr unterdrücken. Sie könnte auf der Stelle einschlafen.

„Und was machen wir dagegen?“, fragte sie schläfrig und sah Murtagh fragend an. Der seufzte. „So etwas Unbewusstes abzustellen braucht seine Zeit. Aber wir üben daran. Anscheinend musst du in einigen Situationen beginnen, deinen Geist noch schärfer abzuschirmen, als du es bisher tust.“ Araya starrte ihn an. „Aber ich mache doch gar nichts!“, versicherte sie ihm. Sie hatte dieses Gerede von ihrem abgeschirmten Geist noch nie verstanden.

Murtagh öffnete fassungslos den Mund, schloss ihn dann jedoch sofort wieder und sah sie verdrießlich an. „Wirklich nicht!“, beteuerte Araya ihm, da sie dachte, er glaube ihr dies nicht. Doch wie auf Kommando nickte er. „So etwas nennt man bei uns wohl »Naturtalent«. Pech für Galbatorix. Dann musst du beginnen, deinen Geist in ähnlichen Situationen bewusst zu sperren. Denk einfach an etwas, das einer Mauer gleichkommt.“

Sie nickte. Das würde sie jetzt immer tun, sobald sie bemerkte, dass Erinnerungen sie einholten. Als sie wieder zu Murtagh sah, hatte sich sein Gesichtsausdruck gewandelt. Er sah sie auf eine Weise an, wie er sie noch nie angesehen hatte. „Sag mal …“, begann er, hielt kurz inne und sah zu Dorn, dann wandte er sich wieder ihr zu, „Wer war der Junge, den du da begleitet hast?“

Araya konnte seinen Tonfall nicht deuten, antwortete aber trotzdem. „Er heißt Koda“, sagte sie völlig ahnungslos, was Murtagh damit erreichen wollte, indem er nach ihm fragte. Doch er verengte nur seine Augen und zog ein wütendes Gesicht. „Das weiß ich auch; ich meinte, was er dir bedeutet. Wer ist er für dich?“ Verwirrt starrte sie ihm in die Augen. Was sollte Koda schon für sie sein? Sie verstand Murtagh einfach nicht. Ihr kam es so vor, als verwirre er sie die meiste Zeit, seit sie sich kennengelernt hatten.

Araya öffnete gerade den Mund, als Dorn ein guthörbares Schnauben ausstieß und Murtagh dabei missbilligend anschaute. „Was hat er denn?“, fragte Araya und schaute zwischen den beiden hin und her. Während Murtagh ihn nicht einmal eines Blickes würdigte, starrte der Drache seinen Reiter in Grund und Boden. Hatten die beiden Streit? Als Araya eine Augenbraue bei Murtagh wütend zucken sah, vermutete sie eher, dass sie gerade diskutierten, ohne sie mit einzubeziehen.

„Er ist beleidigt“, erklärte Murtagh schließlich mit einem recht genervten Gesichtsausdruck und funkelte sie dann böse an. „Und du lenkst vom Thema ab. Wer ist dieser Koda?“ Die letzten Worte Murtaghs vernahm Araya wie unter Wasser: Gedämpft, undeutlich und leicht verzerrt. Dann hörte sie, wie sich seine Stimme lauter anhörte, obwohl sie für sie immer leiser wurde. Letztendlich mischte sich Panik in sie.

Dann kamen die Kälte und das Wasser. Sie berührte die Eisfläche über sich und wusste, sie war eingeschlafen oder ohnmächtig. Der Albtraum hatte sie zurückgeholt.

Todeshauch

Nur eines diesmal: Wer herausfindet, was bei "obwohl ich ... obwohl ich ..." hinten ran kommt, kriegt 'nen Keks ^__^

Jetzt aber viel Spaß:

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Araya erwachte wieder, als Schmerz ihren ganzen Körper durchzuckte und erschütterte. Dann erst nahm sie die warmen, weichen Decken unter und über sich wahr. Das letzte, was sich ihr erschloss, war, dass sie nicht zitterte, sondern unsanft geschüttelt wurde. Erschrocken fuhr sie hoch und erwartete schon, in das Gesicht dieses seltsamen Mannes zu blicken, doch vor ihr befand sich ein ihr völlig fremdes Antlitz.

„Steh auf, steh auf!“, drängte der Knabe hektisch – nichts Anderes war er. Er war vielleicht elf oder zwölf Jahre alt. Benommen folgte Araya seiner Anweisung und erhob sich, während sie sich fragte, warum er hier war und wie er den Drachenhort überhaupt betreten konnte. Kaum stand sie jedoch auf ihren Beinen, packte der Junge mit erstaunlicher Kraft ihre Hand und zerrte sie in Richtung Ausgang. Bevor sie überhaupt darüber hatte nachdenken können, dass sich das Tor niemals öffnen würde, war es schon zur Seite geglitten.

„Mo-Moment mal, wo bringst du mich überhaupt hin?“, fragte Araya aufgebracht. Ein wenig schnürte ihr die Angst die Kehle zu, immerhin konnte es gut sein, dass sie wieder in die dunkle und feuchtkalte Zelle gesperrt wurde. Vielleicht war Murtagh ja fort. Doch die hastig gemurmelte Antwort des jungen Dieners beruhigte sie auch nicht wirklich. „Der König hat es erlaubt. Sie soll sich das ansehen. Spuk und Hexerei in diesem Schloss. Der König hat erlaubt, sie zu bringen.“

Er murmelte diese Worte nun ununterbrochen und wurde mit der Zeit deutlich hysterischer, was Araya darauf zurückführte, dass sie dem »Spuk« und der »Hexerei« immer näher kamen. Allerdings verursachte sein hastiges Flüstern auch Araya zunehmende Nervosität, sodass sie ihre Frage hitzig wiederholte: „Wo bringst du mich hin?!“ Stur blieb sie wie angewurzelt stehen und zwang den Jungen somit, ebenfalls kurz stehenzubleiben. Doch lange konnte Araya seiner Kraft nicht wiederstehen. Er verrichtete wohl harte körperliche Arbeiten im Schloss, wenn er in diesem Alter schon derart kräftig war.

Doch er schien Erbarmen mit ihr zu haben, denn er setzte zu einer, zwar nicht zufriedenstellenden, Erklärung an. Wenigstens hatte sie sein Murmeln unterbrochen. „Heute Morgen ist eine Dienerin schlagartig zusammengebrochen. Sie rührt sich nicht mehr. Das war bestimmt ein böser Zauber oder ein Fluch. Deswegen will niemand in ihre Nähe kommen, um ihr vielleicht zu helfen. Eine Magd wurde losgeschickt und der König hat gesagt, wir sollten dich dahinschicken“, erklärte er mit hastigen Worten und Araya musste sich konzentrieren, um ihn zu verstehen.

Wunderbar. Der König hatte also entschieden, dass die Gefangene ruhig mit einem bösen Zauber oder Fluch oder was auch immer belegt werden konnte. Und das für ein Mädchen, das sie noch nicht einmal kannte. Da setzte man sein Leben doch gleich doppelt gern aufs Spiel. Araya konnte einen sarkastischen Gesichtsausdruck nicht zurückhalten, wunderte sich im nächsten Atemzug jedoch, wie schnell Galbatorix seine Meinung geändert hatte. Immerhin schien sie bis jetzt immer in einem gewissen Maße wichtig für ihn gewesen zu sein.

Das schloss sie schon allein daraus, dass Murtagh sie von ihrer Zelle aus in den Drachenhort begleitet hatte und Galbatorix darauf eingegangen war, seinen fragwürdig treuen ersten Vasall als Freund auf sie anzusetzen. Sie bezweifelte, dass er Murtagh so leicht entbehren konnte, wenn die Varden ebenfalls einen Drachenreiter auf ihrer Seite hatten. Dementsprechend investierte Galbatorix eine Menge Ressourcen in sie. Und jetzt setzte er ihr Leben einer solch ungewissen Gefahr aus?

Dazu kam noch, dass sie helfen sollte. Wären Magier da nicht eher informiert? Sie hätten sicherlich eine bessere Chance auf Erfolg. Langsam schlich sich in Arayas Magen ein kaltes, Übelkeit erregendes Gefühl. Was, wenn damit ein Plan verfolgt wurde? Sie kam nicht mehr dazu, weiter nachzudenken, als der junge Diener sie um eine Ecke und durch einen Türrahmen zog. In einem Kreis hatte sich eine beträchtliche Menge der Dienerschaft versammelten und tuschelten besorgt miteinander.

Kaum hatten die ersten Araya erblickt, beugten sie sich zu ihren jeweiligen Nachbarn herüber und machten sie auf sie aufmerksam. So ging es im Kreise herum, bis alle das fremde Mädchen anstarrten. Der Junge vor ihr keuchte, so schnell war er mit seinen kurzen Beinen gegangen. Araya war sein beträchtliches Tempo nicht einmal aufgefallen. Dann öffnete er den Mund: „Hier ist sie.“

Der Diener ließ ihre kalte Hand los und trat hastig ein paar Schritte zur Seite. Das Mädchen, um das es ging, musste in der Mitte des Kreises liegen, dort, wo sich keiner traute näherzutreten. Nur zögerlich wagte Araya den ersten Schritt in Richtung der versammelten Menschen, die sie immer noch geschlossen ansahen. In der Stille hörte sie ihren Atem und ihren Herzschlag allzu deutlich. Sie wusste nicht, was es war, dass in ihr ein so ungutes Gefühl auslöste, doch Araya war sich sicher, dass sie eigentlich nicht hier sein wollte.

Einer der älteren Diener schien ihre Gefühle zu bemerken, denn er trat an sie heran und hielt sie an ihrem linken Oberarm an Ort und Stelle. Flucht war somit ausgeschlossen, wenn sie davon ausging, dass der Mann mindestens genauso kräftig war wie der Junge. Dabei traten ein paar Diener einige Schritte zur Seite, sodass sie den Blick auf das Gesicht des kranken Mädchens freigaben. Blonde Haare verteilten sich über den Boden, der Mund des Mädchens war grässlich verzehrt und weit aufgerissen, wie zum Todesschrei. Salihas Augen starrten blicklos an die Decke.

Araya riss sich mit einem Aufschrei von dem Mann los und stürzte zu ihrer Freundin. Die restlichen Menschen, die ihr im Weg standen, drängte sie einfach zur Seite. Mit einem eigenen kleinen Laut, der ihren Lippen entfuhr, fiel sie neben ihrer besten Freundin auf die Knie. Araya beugte sich über das reglose Mädchen und berührte sacht ihre Schultern. „Saliha?“, hauchte sie mehr, als dass sie sprach, „Saliha, wake up!“ Araya bemerkte selbst, dass ihre Stimme erstickt klang und fühlte die Tränen, die sich in ihren Augen sammelte.

Aber nein, das konnte doch nicht sein! Sie würde nicht weinen. Was würde Saliha sagen, wenn sie wieder aufwachte und sie weinen sah? Lachen würde sie. Darüber, dass Araya sich Sorgen gemacht hatte. Wie zur Bestätigung ließ Araya die Finger ihrer rechten Hand an den Hals ihrer Freundin gleiten. Sie suchte eine Stelle, an der sie Salihas Herz spüren konnte, fand sie aber nicht. Dann beugte sie sich vor und legte ihr Ohr an Salihas Brust. Sie hörte erdrückende Stille.

Saliha! It’s not funny! Wake up!!“ Arayas Herz hatte längst begriffen, was ihr Verstand weigerte zu glauben. Dass Saliha tot war. Und nie wieder aufwachen würde. Sie rüttelte an dem Mädchen, um es zu wecken, doch es folgte keine Reaktion. Es hatte keinen Sinn mehr. Die Tränen stürzten ihr aus den Augen, obwohl sie sich erst gestern geschworen hatte, stärker zu sein. Grob gruben sich ihre Nägel in die Schultern ihrer toten Freundin, als Araya in sich zusammensackte und schrie: „Come back!

Im verzweifelten Versuch, Saliha doch noch neues Leben einzuhauchen, schüttelte Araya die schmächtige Frauenleiche grob, sodass der Kopf mit den starren Augen von einer Seite zur anderen fiel. Ihre Nägel hatten Spuren auf der nackten Haut ihrer Schultern hinterlassen, doch die Wunden färbten sich weder rötlich, noch floss Blut. Wenn kein Blut aus einer Wunde floss, gab es keinerlei Hoffnung mehr.

Als Araya auf diesen Schock kurz innehielt, spürte sie Wärme hinter sich. Eigentlich war es ihr egal, wer noch hier war, doch als sie aus dem rechten Augenwinkel eine Hand sah, die nach ihr greifen wollte, zuckte sie zurück. Sie wollte bei Saliha bleiben! Mit einer schnellen und heftigen Bewegung schlug sie die Hand mit einiger Kraft fort. „Nein!“, schrie sie, stürzte sich nach vorne und klammerte sich mit ihren Armen an das tote Mädchen. Das einzige, was ihr außer ihren Erinnerungen von Saliha geblieben war.

Wäre Saliha noch am Leben, hätte sie sich gewiss beschwert, Araya halte sie so fest, dass es wehtue. Sie befürchtete sogar einen Moment, der Leiche alle Knochen zu brechen und Saliha zu verletzen. Doch dann kehrte die Gewissheit des Todes zurück und die Tränen flossen nur umso schneller aus ihren Augen. „Saliha … Come back to me! Don’t leave me! You can’t leave me after all without saying goodbye!! Do you hear me?!

Sie konnte sich kaum selbst verstehen, so unregelmäßig wurde ihre Atmung durch das Weinen. Ihre Kehle verschloss sich immer wieder unwillkürlich und raubte ihr so die Worte, die sie Saliha entgegenschrie. Stattdessen verließ ein Schluchzen ihre Lippen, doch Araya war sicher, ihre Freundin verstand sie auch so.

Wie aus dem Nichts griffen Hände nach ihren Armen. Araya schrie auf, doch das interessierte die beiden Männer nicht, die ihren Klammergriff gewaltsam von der Frauenleiche lösten und ihr dabei fast die Arme brachen. Dann wurde sie auf die Beine gezogen, und als sie anfing zu treten, kam ein Dritter dazu, um sie vollständig bewegungsunfähig zu machen. Der Knabe, der sie aus dem Hort geholt hatte, trat vor sie. Araya vernahm seine Stimme zwar nur undeutlich, dafür brannten die Worte aber umso heißer.

„Da du anscheinend auch nicht mehr helfen kannst, wirst du zurück in den Hort gebracht. Ich werde die Entsorgung der toten Dienerin veranlassen“, sprach er mit nüchterner Stimme und wandte sich dann ab. Erst gab er einem Mann etwas abseits einen Wink mit der Hand, dann warf er den drei Männern, die sie festhielten, einen Blick zu, woraufhin sie begannen, sich vom Schauplatz zu entfernen und Araya mitzunehmen.

„Nein!“, schrie sie wie von Sinnen und so laut es ihr ihre Tränen erlaubten. „Ich will nicht! Saliha!! Ich will bei Saliha bleiben!“ Sie schluchzte, als sie sah, wie der große Mann ihre beste Freundin grob und ungehobelt über seine Schulter warf und sich abwandte. Dann bogen die drei Männer geschlossen um eine Ecke und verwehrten ihr dadurch die Sicht. „Ihr dürft sie nicht wie Abfall wegwerfen!“, entrang sich ihr ein letzter Schrei, bevor Araya, mit dem Bild der toten Saliha zwischen Essensresten und allerlei anderem Unrat vor Augen, nur noch weinen konnte, ohne sich ihrer Umgebung bewusst zu werden.

Nur noch vereinzelt schluchzte das Mädchen in den Armen der drei Männer auf, doch die Tränen rannen ungehindert weiter. Sie hätte sie auch gar nicht aufhalten können. Zu viele waren da und tausende strömten nach. Araya kam es vor, als würden es immer mehr statt weniger. Saliha war immer gesund und lebendig gewesen. Ihr Geist schrie beinahe aufgrund dieser Ungerechtigkeit auf.

Dieses nahezu perfekte Mädchen war nur selten krank gewesen und war bestimmt nie dem Tode zu nahe gekommen. Warum musste also sie sterben? Warum nicht Araya selbst, die wesentlich häufiger als Kind mit hohem Fieber Bettruhe hatte einhalten müssen? Warum die blonde, schöne Saliha, die immer an ihrem Bett gesessen hatte, obwohl das andere Mädchen ihr geraten hatte zu gehen, um sich nicht anzustecken? Nein, es war die von beiden gestorben, die lachend auf einem kleinen Holzschemel gesessen hatte und ihrer Freundin sagte, sie werde erst sterben, wenn sie alt und grau war.

Wie konnte Saliha nur immer so gesund gewirkt haben, wenn sie sie sah, und doch so krank gewesen sein? Es wollte Araya nicht in den Kopf, dass ein unglückliches Schicksal ihre Freundin dahingerafft hatte. Doch bei diesem Gedanken stoppte sie. Unglückliches Schicksal? Das einzige Unglück, das Saliha hier, wo sie niemand besser kannte, hätte widerfahren können, war Galbatorix. Ein Galbatorix, der wusste, dass sie nicht so unwichtig war, wie er glaubte, sondern jemandem wertvoll war, von dem er selbst etwas erhalten wollte, der sich ihm aber verweigerte.

Der Diener hatte gesagt, sie sei ohne vorherige Anzeichen zusammengebrochen. Vielleicht war sie nicht aus Schwäche gefallen, sondern weil sie von einem Augenblick auf den anderen tot war. Araya war sich sicher, dass man mit Magie töten konnte, auch wenn Murtagh das nie erwähnt hatte. Immerhin bestände sonst kein Grund für Galbatorix, seinem Schützling ebenjene zu Gemüte zu führen, wenn man damit nicht kämpfen konnte. Und mit was man kämpfen kann, konnte man auch töten.

Nach einiger Zeit entrang sich ein tiefes Schluchzen ihrer vom Weinen bereits rauen Kehle. Es riss Araya aus ihrer Trance, brachte aber auch eine grausame Wahrheit mit sich. Sie selbst war schuld. Ohne sie wäre Saliha noch am Leben und würde einen relativ glücklichen Alltag hier im Schloss verbringen. Die Bekanntschaft mit ihr hatte ihr das Leben gekostet, das noch vor ihr gelegen hatte. Und Araya selbst wollte nicht mit dieser Schuld leben. Es wäre ihr nur Recht, jetzt sofort mit Saliha zu sterben. Oder ihr sogar durch ihren eigenen Tod das verlorene Leben zurückzugeben. Das Mädchen hatte nie eine Ahnung davon gehabt, in was es das verstrickt worden war.

Ein Gedanke durchflutete sie, als sie benommen feststellte, dass gerade der Felseneingang zum Drachenhort freigegeben wurde. Sie war die Letzte. Und bevor sie in das diffuse Licht des Hortes traten, hatte sie auch kurz geglaubt, allein zu sein. Bis sie Murtagh mit Dorn inmitten der Felsenwüste des Raumes sitzen sah, der sofort aufsprang, als er Araya mit den drei Männern sah.

Durch ihren Tränenschleier erkannte sie seinen entsetzten Gesichtsausdruck, als er sie so vollkommen wehrlos in den Armen der drei Diener sah. Bevor Araya wieder gegen die festen Griffe um ihre Arme und Beine ankämpfen konnte, wurde sie hastig hinuntergelassen, obwohl niemand ein Wort gesagt hatte. Die drei gestandenen und kräftigen Männer wichen eiligst zurück und drängten sich wie in Todesangst näher aneinander. Weil Araya ihren Blick auf Murtagh fixiert hatte, wusste sie, dass es nicht an ihm liegen konnte.

Erst durch Murtaghs leichte und sanfte Berührung an ihrer rechten Wange, die nass von ihrer Trauer zeugte, wurde sie wieder vollständig in die Gegenwart gezogen. Der Grund für die Angst der Diener war Dorn. Er hatte die Lefzen zurückgezogen und zeigte den Männern mit grausig geöffnetem Maul seine blanken Zähne, während ein kampflustiges Grollen durch den Hort hallte.

Doch es war ihr egal, was mit diesen Männern geschehen würde; ebenso, wie es ihr egal war, dass Dorn sich seit geraumer Zeit anscheinend ihr gegenüber stärker zurückhielt oder dass sie wieder vor Murtagh weinte, dieses Mal aus vollem Herzen. Sie sah nur immer wieder Salihas im Todeskampf erschrocken erstarrtes Gesicht vor sich, an dem allein sie schuld war. Zu guter Letzt waren ihr alle anderen sogar so gleichgültig, dass sie weder an die Folgen noch an die Interpretationsmöglichkeiten ihrer nächsten Handlung dachte.

Völlig aufgewühlt fühlte sie noch immer Murtaghs warme Hand an ihrer Wange, die stetig den neuen Tränenstrom aufzuhalten versuchte. Diese Wärme war es, die sie im Moment mehr brauchte als ihr eigenes Leben. Und so stürzte und klammerte sie sich an die Quelle und wollte sie nie mehr gehen lassen. Sie schlang Murtagh ohne Sinn und Verstand die Arme um den Hals und vergrub ihr nasses Gesicht an seiner Schulter.

Er zögerte keinen Augenblick; Murtagh legte vorsichtig seine Arme um Araya und zog sie näher an sich heran. Was ihr die Stärke und Kraft gab, sich wirklich vollends fallenzulassen. Während sie nicht einmal bemerkt hatte, dass die Diener den Hort fluchtartig verlassen hatten, begann sie zu weinen wie sie es noch nie in ihrem Leben getan hatte. Nicht einmal als kleines Mädchen hatte sie Gründe gehabt, so vollkommen in Tränen auszubrechen, dass es ihr selbst in den eigenen Ohren viel zu laut anmutete und sie so sehr schluchzte, dass sie immer wieder aufstoßen musste.

Es dauerte mehrere Minuten, bis das Schluchzen langsam verebbte und ihr Körper sich unfreiwillig beruhigte; sie hatte einfach keine Kraft mehr. Das Atmen fiel ihr schwerer als sie angenommen hätte, doch die Tränen rannen weiter ihre Wangen hinab. Araya glaubte nicht, jemals wieder mit ohne sie sein zu können. Doch mit dem ermattetem Gefühl, dass sich nun in ihr ausbreitete, begann auch Murtagh wieder aktiv zu werden. Er regte sich vorsichtig, verlagerte leicht sein Gewicht und legte ihr dann eine Hand auf den Kopf. Mit sanft kreisenden Bewegungen versuchte er wohl, sie weiter zu beruhigen und die salzigen Tropfen versiegen zu lassen.

„Erzählst du mir, was passiert ist?“, fragte der Drachenreiter, seine Stimme noch beruhigender und einfühlsamer als sie es normalerweise schon war. Als sie weder eine Antwort gab, noch irgendwie reagierte, versuchte er es erneut. „Araya? Haben diese Kerle dir irgendetwas getan? Ich schwöre dir, sie werden zur Rechenschaft gezogen werden!“ Sie spürte an seinen Bewegungen, dass er sich zu ihr herabbeugte, um sie besser zu sehen und zu hören, doch sie schüttelte nur den Kopf.

Was zugleich Antwort, als auch der Beginn ihrer ersten Worte war. „Keine weiteren Toten“, murmelte sie schwach und Arayas Schulter zuckten von den kleinen unterdrückten Schluchzern, die ihren Körper schüttelten, als sie das verhängnisvolle Wort aussprach. Durch Murtaghs Körper ging ein Ruck, als er ihre Worte verarbeitet hatte, dann fragte er: „Wer ist gestorben?“

Er klang ein wenig schuldbewusst, was Araya kurz verwirrte, doch dann glaubte sie, er fühle sich nur schlecht, sie darauf anzusprechen. Wieder konnte sie nur den Kopf schütteln, als ihr Körper anscheinend wieder genügend Kraft hatte, die Luft unregelmäßig aus ihren Lungen zu pressen. Murtagh wartete geduldig, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hatte, doch er kam nicht dazu, erneut etwas zu fragen, da Araya ihm zuvor kam.

Murderer“, flüsterte sie in seine Kleidung und sackte dann ein wenig in sich zusammen. Ihre Hände krallten sich in den weichen Stoff von Murtaghs Hemd, als sie sich ein wenig von ihm entfernte, um ihrer Stimme besseres Gehör zu verschaffen. Obwohl die Flüssigkeit ihre Wangen immer noch hinunterrann, holte sie so gut und tief Luft wie sie konnte und schrie dann mit ihrer verbleibenden Kraft: „Murderer!

Araya spürte Murtagh unter ihren Worte erstarren, dann packten sie Hände an den Oberarmen und entfernten sie ein wenig von dem warmen Körper vor ihr, sodass er ihr ins Gesicht schauen konnte. „Was bedeutet das?“, fragte er mit einer ungewohnten Dringlichkeit in der Stimme und sah ihr fest in die Augen, doch Araya konnte nur den Kopf schütteln. Worauf ein weiteres Schütteln folgte, jedoch erfasste dies ihren ganzen Körper. Murtagh hatte sie leicht gerüttelt.

„Araya, das ist kein Spiel. Was bedeutet das?“ Sie senkte den Blick und murmelte undeutlich: „Ich weiß es nicht.“ Daran, wie Murtagh empört die Luft durch seine Nase ausstieß, erkannte sie, dass er ihr nicht glaubte. „Du sagst doch keine Worte, dessen Bedeutung du nicht kennst!“, verlangte er zu wissen und drängte sie so zu einer Antwort.

„Nur in deiner Sprache nicht“, hielt Araya sich kurz, doch Murtagh verstand, was sie meinte. Daran, wie seine Hände sich leicht von ihren Oberarmen lösten, konnte sie erraten, dass er wohl gedankenversunken darüber nachdachte, wie er die Bedeutung ihrer Worte trotzdem erfahren konnte. „Beschreib es mir.“ Als ihn nur ein verständnisloser Blick traf, lächelte Murtagh sie erleichtert an und fügte hinzu: „Die Bedeutung des Wortes.“

Wahrscheinlich war er erleichtert, dass sie ihn angesehen hatte, und vielleicht war genau seine ehrliche Sorge um sie der Grund dafür, dass sie ihm antwortete und sich nicht in sich zurückzog. „Der Mann, der für Salihas Tod verantwortlich ist!“, zischte sie, ohne Murtagh dabei direkt anzusehen. Sie wollte sein Gesicht nicht sehen, wenn ihm klar wurde, wer gestorben war. Der Hass und die Wut, die nun in Araya aufbrandeten, schafften es sogar, ihre Tränen zurückzudrängen. Sie versiegten endlich.

Als die Flüssigkeit langsam trocknete, spannte sie auf ihren Wangen. Murtagh hatte nichts weiter gesagt. Doch dann ergriff er wieder das Wort: „Du meinst Mörder. Ist Saliha eines gewaltsamen Todes gestorben.“ Seine Stimme klang betroffen – vielleicht fühlte er mit ihr –, doch Araya wurde das Gefühl nicht los, dass seine erstickte Stimmlage auch eigene Gefühle preisgab. Während sie nickte, fragte sie Murtagh schon, ohne überhaupt darüber nachzudenken, das, was ihr in den Kopf schoss.

„Wie heißt das?“ Araya sah auf und in sein Gesicht. Er sah angeschlagener aus, als sie gedacht hätte. Murtagh hatte Saliha nie wirklich leiden können, es wunderte sie, so offensichtlich ehrliche Betroffenheit und Trauer zu erkennen. Und wieder diesen Ausdruck, den sie schon vor zwei Tagen nicht hatte deuten können. Wie immer sah er sie dabei an. „Mord“, antwortete der Drachenreiter schließlich.

Nun hatte sie einen Namen für das Geschehene. Sie senkte den Kopf und sah auf ihre eigenen Hände, die sich in den Saum ihres Kleides gegraben hatten. Araya versuchte, ruhig zu atmen, um sich zu sammeln, sich auf die Folgen dessen, was sie nun tun würde, vorzubereiten. „Murder – Mord. Murderer – Mörder.“ Dann nahm sie einen tiefen Atemzug – hoffentlich ihr letzter.

Araya warf den Kopf und den Nacken und ließ ihrer Wut freien Lauf: „Murderer! Mörder!!“ Sie holte wieder Luft, um das gesagte zu wiederholen, doch Murtagh Hand nahm ihr den Atem. Er verschloss ihr damit den Mund und warf sich regelrecht auf sie. Allein mit seinem Körpergewicht nagelte er sie an den Boden fest. „Bist du vollkommen verrückt geworden? Willst du dich umbringen oder warum schimpfst du Galbatorix einen Mörder?!“, rief Murtagh ihr aufgebracht ins Gesicht und sie meinte einen kurzen Augenblick, Angst in seinen Augen zu erkennen. Doch dann war der Ausdruck verschwunden und er starrte sie wütend an.

Doch ihre eigene Wut stand seiner in nichts nach und gab ihr Kraft. Mit aller Gewalt, die sie aufbringen konnte, bäumte sie sich unter ihm auf und schlug seine Hand von ihrem Mund. „Sie hat dir nichts getan. Sie war ein gutes Mädchen! Sie war nett zu mir, obwohl ich … obwohl ich …“ Araya bemerkte kaum, dass sie den Mund zu einem erneuten Schluchzer verzerrte. Erst, als Murtaghs Gewicht von ihr wich, entglitt ihr die aufgestaute Luft, die dieses Mal trocken ihre Kehle passierte. Vielleicht hatte sie einfach keine Tränen mehr. Hatte alle geweint, die ein Mensch in seinem Leben weinen konnte.

Gerade, als sie sich auf die Seite drehte, um sich wieder in eine sitzende Position zu begeben, durchbrach Murtagh die entstandene Stille mit vier einfachen Worten, die seinen Mund so schwerfällig verließen, als wolle er sie niemals aussprechen. Und als Araya ihren Kopf zu ihm herumwarf, sah sie genau diesen Gesichtsausdruck, den sie schon zuvor bemerkt hatte, wenn er sie ansah. Nun konnte sie ihm ein Gefühl zuordnen.

„Es ist meine Schuld.“

Einsamkeit

Pünktlich zum Wochenende gibt es das neue Kapitel. Und ich bin mit dem nächsten nicht annähernd so weit gekommen, wie ich wollte ... Irgendwie wurde es länger und länger. Aber na ja, dann eben noch ein Kapitel, dann kommt das epische Geschehen (wer Vermutungen hat: Ich bin gespannt, was ihr denkt ^__^).

Irgendwie scheine ich in letzter Zeit eine Schwäche für Ratespiele zu haben. Im nächsten Kapitel ist noch eines xDD

Ähm … wo war es denn nochmal? Ach ja, da! Dieses Mal ist es Murtagh, den ihr erraten sollt. Ein kleiner Tipp: Es geht wie bei Araya um sein Selbstbild. Ignoriert mich, wenn ich nerve. Die Textstelle ist folgende: „Ich dachte, ich …“ Ist ziemlich am Ende :D

Viel Spaß beim Raten und lesen. Auch diese Stelle wird aufgeklärt. Ich schreibe dann sicher, wann oder hebe es hervor ;)

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Sie starrte ihn an. Fassungslos. Ihr Kopf war leer. Selbst Trauer hatte keinen Platz mehr darin; sie wagte es nicht, zurückzukehren. Alles schien ihr durch die Finger zu gleiten, wenn sie versuchte, einen Gedanken zu fassen, wie Wasser, das sie mit ihren Händen nicht zu halten vermochte. Selbst Worte wollten ihr nicht in den Sinn kommen. Wenn schon keine Gefühle, dann doch wenigstens Worte! Doch Murtagh nahm ihr diese Entscheidung ab. Er füllte ihren leeren Geist mit etwas, dessen Grausamkeit sie sich nicht einmal hätte vorstellen können.

„Saliha musste sterben, weil sie deine Freundin war. Das hast du sicher auch schon in Erwägung gezogen. Aber was ich dir an jenem Morgen verschwieg, als du meine Wunden versorgt hast, war, dass ich außer unserem Aufenthalt im Freien auch eure Beziehung zueinander nicht vor dem König verborgen halten konnte. Es tut mir leid. Er erfuhr durch mich von ihrer Bedeutung für dich.“

Araya bemerkte, wie ihr Atem schneller wurde. Doch sie starrte Murtagh immer noch ungerührt an. Er hatte nicht ein einziges Mal ihren Blick gescheut, hatte ihr bis zum Ende und darüber hinaus in die Augen gesehen. Und nun, da sie diesen seltsamen Blick deuten konnte, den er ihr immer wieder zugeworfen hatte, war es nahezu lächerlich offensichtlich: Er hatte Schuldgefühle verbergen wollen. Weil er Saliha verraten und in den Tod geschickt hatte. Er hatte es verdammt nochmal gewusst!

In diesem Moment schrie ihr Geist laut auf. Als wäre eine Mauer in ihm zusammengebrochen, durchströmten Wut und Hass ihren Körper und mit den Gefühlen kehrten auch die Worte zurück. Araya begann unter dem Ansturm ihrer Gefühle zu zittern, doch als Murtagh sich bewegte, zuckte sie ohne ihr Zutun zurück. Was ihr nur recht war. Immer noch sahen sie sich in die Augen, doch an seinem Gesicht konnte sie keine Verwunderung ablesen, obwohl er ihre Gefühle sicher aus ihrer Miene lesen konnte.

Er hatte anscheinend mit ihrer Wut gerechnet. Er kalkulierte wohl alles immer bis ins kleinste Detail ein. Selbst seine Zurückweisung ihrerseits. Doch in ihren Gedanken war kaum Platz für solche Überlegungen und Verbitterung. Alles wurde von der Wut und den drei Worten, die immer wieder in ihrem Kopf widerhallten, erstickt: Er hat schuld!

Plötzlich hörte sie wieder Murtaghs Stimme, hörte die Worte, doch verstand sie nicht. So sehr sie sich auch bemüht hätte, ihr Geist funktionierte einfach nicht richtig. Ihre Sinne waren betäubt. Nicht, dass sie sich wirklich bemühte, ihn zu verstehen. „Hör zu, Araya. Ich bin mir sicher, Galbatorix wusste schon lange davon, dass Saliha deine Freundin war. Immerhin muss er ihren Geist durchsucht haben, wenn er sie in seinem Schloss leben lässt. Er hat nur darauf gewartet, es von mir zu erfahren. Um dich noch mehr zu verletzen. Hörst du?“ Murtaghs Stimme klang dringlich, beschwörend.

Doch als sie den Mund öffnete, antwortete sie nicht auf das, was er ihr gesagt hatte. Ihr schwebte Salihas glückliches Gesicht in der Heimat vor, wenn sie etwas zusammen unternommen hatten, und war es nur, aufs Meer hinauszusehen. Sie würde ihre Stimme und das Lachen dieses Mädchens nie wieder hören und sehen können. Und daran war er schuld. „Raus“, hauchte Araya mehr, als dass sie sprach, die Stimme heiser und rau vom vielen Weinen und Schreien. Sie hatte ihren Kopf zur Seite gewandt und schaute nun kurz zu Murtagh. Seine Pupillen waren überrascht geweitet.

„A-Araya?“, fragte er sichtlich schockiert, dass sie ihn aus dem Hort werfen wollte. Doch darauf ging sie nicht ein. Sie wurde lauter. „Raus! Du bist schuld!“, schrie sie ihm entgegen, schloss krampfhaft fest die Augen und krallte ihre Hände in die langen, schwarzen Haare. Zum Teil verdeckte Araya so ihre Ohren und hörte ihre eigene Stimme dadurch unnatürlich laut. Es konnte aber auch sein, dass sie tatsächlich so laut war. „Ohne dich wäre das nicht passiert. Verschwinde, ich will dich nicht mehr sehen. Mörder!!“

Ihre Augen waren trocken, doch trotzdem schluchzte sie. Weder hob sie den Kopf, noch öffnete sie die Augen. Die Dunkelheit war angenehm, spiegelte ihre Gefühle nur zugut wider. Leere. Erst als sie hörte, wie Murtagh sich erhob und an ihr vorbei zum Ausgang ging, öffnete sie die Augen und hob langsam den Kopf. Ausdruckslos sah sie ihm nach und erblickte noch einmal sein Gesicht. So hatte sie es noch nie gesehen. Nicht einmal, als er beim Verbinden seiner Wunden Schmerzen gelitten hatte. Es sah so viel gequälter aus.

Doch sie konnte sich nicht um ihn kümmern. Sich nicht mit seinem Leid, das sie selbst ihm zugefügt hatte, auseinandersetzen. Denn in ihr selbst wütete ein Schmerz, der ihr das Herz herauszureißen drohte und alles um sie herum ausblendete. Als sie endlich vollkommen begriff, dass Saliha tot, sie nun wirklich allein und von Murtagh verraten war, brach sich in ihr der Schmerz frei, der Menschen dazu brachte, ihrem Leben ein Ende zu setzen, nur damit er aufhörte. Doch das konnte sie nicht. Aus rein praktischen Gründen. Und, weil sie ein Versprechen gegeben hatte.

Es war lächerlich, daran festzuhalten, wenn Murtagh nicht mehr bei ihr war. Aber sie hatte immer daran geglaubt, dass gegebene Versprechen sich nicht änderten, nur weil es die Situation tat. Araya erhob sich schwerfällig, stolperte mehr, als dass sie lief, zu ihrem nun mit Decken ausgelegten Schlaflager und sank darauf nieder. Dann kugelte sie sich fest zusammen und vergrub ihr Gesicht in ihren eigenen Knien. Eigentlich hatte sie geglaubt, keine Kraft mehr zum Weinen zu haben, doch als sie endlich lag, fanden sie wieder ihren Weg über ihre Wangen. Dieses Mal leise, lautlos.

Ihre Gedanken begannen bald, hin- und herzuwandern. Von Saliha zu Murtagh und wieder zurück. Ausschlaggebend waren die Decken und Dorn. Er war in den Drachenhort zurückgekehrt und strafte sie mit anklagenden Blicken. Wahrscheinlich, weil sie Murtagh beschimpft hatte. Dass es auch dem Drachenreiter und damit seinem Drachen schlecht gehen könnte, kam ihr erst spät in der Nacht in den Sinn. Doch bis dahin sann Araya über die Decken nach, die die beiden ihr besorgt hatten, damit sie sich wohler fühlte, über die viele Zeit, die sie bereits mit Murtagh verbracht hatte, die er ihr opferte. Doch als sie tatsächlich nachzählte, kam sie auf nicht ganz zwei Wochen. Mit dem heutigen Tag.

Und als sie an heute dachte, wanderten ihre Gedanken zurück zu Saliha bis sie wieder eine Art Halt für Gedanken an Murtagh fand. Und ihr ständiger Begleiter war dieser Schmerz, der in ihr wütete, seit Murtagh gegangen war. Kurz verfluchte sie ihn dafür, dass er sie einfach allein gelassen hatte, doch dann erinnerte sie sich wieder, dass sie ihn vertrieben hatte. Und ihn an ihrem jetzigen Zustand keine Schuld traf. Und Schuld führte sie zurück zu Salihas Tod, an dem er ganz und gar nicht unschuldig war.

Schließlich war sie vom Weinen und Nachdenken so erschöpft, dass sie wie Tod in den Schlaf fiel. Doch selbst hier war ihr die Ruhe nicht vergönnt.
 

Es wurde kälter und die Luft blieb aus. Dann spürte Araya die mittlerweile schon fast vertraute Eisfläche über sich. Doch dieses Mal schien es ihr hier noch einsamer als zuvor zu sein. Und sie behielt recht: Es kam kein Fremder, der den Schnee beiseiteschob, um ihr Gesicht sehen zu können. Niemand kam und Araya wusste, sie würde ersticken und sterben …
 

Am nächsten Morgen saß Araya immer noch zitternd in einem schattigeren Teil des Horts und hatte sich dort zusammengekugelt. Nach diesem Traum, der dieses Mal so unbedeutend von seiner Routine abgewichen war, ihr damit aber ausschlaggebend klar gemacht hatte, dass sie auf sich gestellt sterben würde, war ihr erst richtig bewusst geworden, was sie Murtagh da gesagt hatte.

Ihr Verstand war immer noch von Trauer beherrscht, doch sie konnte wenigstens etwas objektiver darüber nachdenken. Wenn man beim Tod überhaupt objektiv bleiben konnte … Sie hatte erst nicht verstanden, warum ihre Worte Murtagh so verletzt haben sollten, doch dann war es ihr aufgegangen. Sie hatte ihn nicht nur mit Galbatorix, dem eigentlichen Mörder Salihas, gleichgesetzt, sondern ihn auch vollends von sich gestoßen.

Er war nicht wie der König. Das wusste sie. Er war weder grausam noch willkürlich. Murtagh war sanft und einigermaßen berechenbar, wenn auch nicht unbedingt für sie selbst. Und er war kein Mörder. Vielleicht hatte er schon getötet, doch sicher nie zum Spaß oder aus Eigennutz. Das glaubte sie nicht. Wenn er tötete, gab es keinen anderen Ausweg. Es war notwendig oder Selbstschutz. Aber diese Erkenntnisse kamen zu spät. Murtagh würde bestimmt nicht noch einmal herkommen. Sie würde hier allein sein, bis der König hatte, was er wollte. Und dann würde ihr Leben wie das von Saliha durch seine Hand enden.

Obwohl ihre Tränen gestern verbraucht gewesen waren, hatte ihr Körper die kurze Nacht wohl doch dazu genutzt, neue zu produzieren. Denn das salzige Nass rann ihr schon wieder die Wangen hinunter. Sie konnte gar nicht anders, der Schmerz in ihrer Brustgegend war so stark, dass er ihr unwillkürlich die Tränen in die Augen trieb. Sie würde sicher auch weinen, wenn ihr jemand einen Dolch ins Herz stoßen würde. Genauso hatte sie sich das immer vorgestellt.

Araya hörte nicht das Geräusch, das beim Öffnen der Pforte entstand, und sie vernahm auch nicht die zögerlichen Schritte, die die Treppe hinabgingen. Erst, als der Neuankömmling neben ihr stehen blieb, bemerkte Araya ihn. An der Wärme, die sein Körper ausstrahlte, sie sich wahrscheinlich aber nur einbildete. Ihr war immer noch ein wenig kalt.

Dass es sich bei ihrem Besucher nicht etwa um den seltsamen Diener handelte, begriff sie erst, als Murtagh zu reden begann. Und sie ihm dieses Mal auch zuhörte. „Entschuldige, dass ich noch einmal herkomme, aber ich dachte, du wärst hier vielleicht einsam.“ Araya konnte gar nicht anders, als aufzusehen. Er klang so unsicher, so schuldbewusst. Obwohl er nichts von beidem verdient hatte, das hatte sie dank ihrer pausenlos rasenden Gedanken und dem nächtlichen Albtraum begriffen.

Als sie Murtagh ins Gesicht sah, meinte sie, Erschöpfung darauf zu lesen. Vielleicht hatte auch er schlecht geschlafen. Bei ihr schien das jedenfalls offensichtlich zu sein, denn kaum trafen sich ihre Blicke, sog Murtagh erschrocken die Luft ein. Aber vielleicht war es nicht nur der Schlafmangel, den er in ihrem Gesicht sah, sondern auch ihre vollständige Wurzellosigkeit und ihre innere Ermattung. Sie wandte den Kopf ab und blickte ziellos vor sich hin.

Doch er ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. Araya kam es so vor, als hätte er sich die Worte, die er ihr nun sagte, lange zurechtgelegt, um nichts Falsches zu sagen. Vielleicht war er deshalb so erschöpft. Weil er wie sie die Nacht mit Gedanken zugebracht hatte. „Es tut mir leid, dass Saliha wegen mir verstorben ist. Es war meine Schuld, dass Galbatorix –“ Sie konnte nicht mehr ertragen. Er hatte sich ihre Worte wirklich zu Herzen genommen. Obwohl sie sie – wie er schon zuvor – in Wut gesagt hatte. Es war, als hätte er nur darauf gewartet, dass sie etwas so Grausames zu ihm sagte, um sich bestätigt zu fühlen.

Das konnte sie nicht so stehen lassen. Sie schüttelte heftig den Kopf, was Murtagh verstummen ließ, und starrte auf ihre Knie. „Nein, ich muss mich entschuldigen. Es tut mir leid, was ich zu dir gesagt habe. Ich weiß, dass du nichts dafür kannst, aber ich war wütend. Verzeih mir“, flüsterte sie mit ihrer immer noch rauen Stimme. Weinen und Schreien. Beides Dinge, die dem Körper nicht unbedingt gut taten. Es sei denn, es brachte seelische Erleichterung. Was bei Araya nicht der Fall gewesen war; bei keinem von beidem.

Als sie aufsah, verspürte sie einen Stich im Herzen. Sie hätte es wissen müssen – sie hatte bei ihm ja nicht anders reagiert –, doch dass Murtagh tatsächlich an ihren Worten zweifelte, verletzte sie trotzdem. Jetzt wusste sie wenigstens, wie er sich damals gefühlt hatte. Der junge Drachenreiter musterte sie nicht nur skeptisch, sondern auch zweifelnd. Er zog die Ehrlichkeit ihrer Worte in Frage. Doch nach einer Weile wandte er als Erster den Blick ab. Schuld. Er verspürte sie tatsächlich. Hatte er schon, bevor sie ihm diese Vorwürfe gemacht hatte. Und nun fühlte er sich bestätigt darin, dass er Schuld hatte. Durch sie.

Araya fühlte sich als schrecklicher Mensch, ihm solch eine Bürde allein auf die Schultern zu legen. Mit ein paar wütenden, unbedachten Worten. Sie erhob sich, doch sie wagte sich nicht, sich Murtagh zu nähern. Sie wusste, wie man sich in einer solche Situation fühlte. Sie bezweifelte, dass er Nähe zulassen würde, bis er sicher war, dass sie die Wahrheit sprach. Und es auch selbst glaubte und nicht mehr in Frage stellte.

„Murtagh?“ Araya wartete, bis er sich ihr halb zuwandte. Er hatte anscheinend Angst, Ablehnung in ihrem Blick zu sehen. Was verständlich war. Sie hatte ihn abgelehnt. Letzte Nacht. Weil ihre Freundin tot war. Bei diesem Gedanken und weil sie sich so schämte und schuldig fühlte, stiegen ihr Tränen in die Augen. Doch sie hielt sie zurück. „Du bist nicht er. Und du bist auch nicht sein Diener. Du bist wie ich ein Gefangener. Wie könnte ich dich fortstoßen.“ Es war die reine Wahrheit. Ihre Gedanken. Und Murtagh schien das zu spüren. Als er sich ihr zuwandte, konnte sie das Nass nicht mehr zurückhalten. Es hatte in den letzten Tagen zu freizügig geflossen, um sich jetzt einfach wieder einsperren zu lassen.

Murtagh trat ein paar Schritte näher an sie heran, sodass sie sich hätten berühren können. Doch er hob nicht die Hand, und auch Araya machte nicht den ersten Schritt. Zu frisch waren die Wunden auf beiden Seiten. Dennoch beruhigte schon Murtaghs Nähe Arayas unregelmäßige Atmung ein wenig. „Du hast wirklich eine gute Freundin verloren, oder?“, fragte er leise, sie konnte ihn über ihre Tränen kaum hören. Araya versuchte, sich mit den eigenen Händen die Wangen zu trocknen, die salzige Flüssigkeit zurückzuhalten, doch als sie an die Antwort dachte, die sie ihm geben würde, hatte es keinen Sinn: „Meine beste. Meine einzige.“

Murtagh sah sie mitfühlend an. Sie sah, wie er seine Hände beschäftigte – sie zuckten beinahe unkontrolliert und er wischte sie immer wieder an seiner Hose ab oder spielte mit ihnen herum – und schloss daraus, dass er sich unbeholfen fühlte. Auch, dass er ihr nicht direkt ins Gesicht sah, sprach dafür. Das hatte er schon getan, als er sie das erste Mal zum Weinen gebracht hatte. Er übernahm auf seine Weise Verantwortung dafür. „Ich wünschte, ich könnte es dir leichter machen. Dir helfen“, hauchte er wie für sich selbst, doch sie hatte ihn verstanden und nahm ihn beim Wort. Er hatte den ersten Schritt auf sie zugetan, Araya machte den zweiten.

Dieses Mal langsamer, um ihm die Chance zu geben, sich abzuwenden, näherte sie sich ihm und legte dem Drachenreiter leicht die Arme um den Hals. Als er sie nicht abwies und es geschehen ließ, verbarg sie ihr Gesicht in der Kuhle an seinem Hals, die den Übergang zur Schulter markierte. Araya öffnete den Mund, um besser Luft zu bekommen, denn Schluchzer schüttelten ihren Körper und ihre Atmung, als Murtagh sie tröstend in den Arm nahm. Dann gaben ihre Beine nach, doch anstatt unsanft sandigen Felsboden des Hortes zu fallen, hielt Murtagh sie fest und ging langsam mit ihr in die Knie.

Während er einen Arm von ihr löste, klammerte sich Araya regelrecht an ihn, da sie dachte, er wolle sie hier am Boden absetzen. Sie wollte nicht allein sein. Doch er ließ sie nicht los. Im Gegenteil, Murtagh setzte sich langsam auf die Erde und zog sie, nachdem er wohl ein Bein unter das andere geschlagen hatte, auf seinen Schoß. Langsam lockerte sie ihren wahrscheinlich schmerzhaften Griff um seine Schultern und ließ den Tränen, die er jetzt nur noch fühlen und nicht mehr sehen konnte, freien Lauf.

Kurze Zeit später spürte sie Murtaghs Hand über ihren Rücken streichen, um sie ein wenig zu beruhigen. Die zweite legte er ihr auf den Schopf. Doch diese tröstenden Bewegungen erinnerten Araya an Saliha, die immer versucht hatte, sie zu beschützen. Nicht nur vor allen Gefahren von außen, sondern auch stets vor sich selbst und ihren Tränen. Sie hatte es gehasst, wenn sie weinte, und es war nicht selten vorgekommen, dass Saliha ebenfalls zu weinen begonnen hatte. Was Araya wiederum so irritiert hatte, dass sie den Grund ihrer Trauer vergaß und über ihre beste Freundin lachte. Und dann war alles wieder sonnig geworden. Was jetzt nicht der Fall sein würde. Saliha würde nicht erscheinen und ihre Tränen trocknen. Nicht so, wie sie es bei ihrer ersten Begegnung getan hatte, als sie wie aus dem Nichts vor Araya gestanden hatte.

Über die anbahnenden Erinnerungen hatte sie Murtagh völlig aus ihren Gedanken ausgeschlossen. Erst, als seine Bewegungen innehielten, tauchte sie wieder ein wenig auf. Sie spürte Bilder ihrer Kindheit näher rücken, doch noch konnte sie sich auf ihren Freund konzentrieren. Verwundert entfernte sich Araya ein Stück von seinem Hals und sah zu ihm nach oben, ohne den Kopf zu heben. Murtagh trug ein nachdenkliches Gesicht zur Schau. Und er starrte sie dabei an.

Dann spürte sie plötzlich seine Hand an ihrer nassen Wange, die vergeblich versuchte, sie zu trocknen. Immer noch sah er fast entrückt aus, als wäre er gar nicht richtig hier und täte dies nur aus Reflex. Doch wenig später lächelte er sie an und brachte sein Gesicht nah neben ihres. Araya schloss die Augen, um ein Schluchzen zurückzuhalten und sich mehr auf die wärmende Nähe als auf seine augenscheinliche Abwesenheit zu konzentrieren. Murtagh senkte seinen Kopf noch ein wenig weiter, sodass seine Lippen fast ihre Wange und ihr Ohr berührten und sie seine geflüsterten Worte verstehen konnte. „Komm zu mir herein.“

Sie spürte, wie sich eine Barriere auflöste und verstand sofort, was Murtagh ihr da anbot. Er wollte sie in seinen Geist lassen, um ihr so besser helfen zu können. Er ließ ihr freien Zutritt zu dem, was sein Heiligtum war, wenn Araya das aus ihren Gesprächen richtig interpretiert hatte. Weitere Tränen rannen ihre Wangen hinab, doch dieses Mal nicht, weil sie traurig sondern gerührt war. Langsam, um ihn nicht zu erschrecken, da die Erinnerungsfetzen ihn sicher schon jetzt erreichten, glitt sie in sein Bewusstsein und ließ sich von ihm umfangen.

Es war seltsam. Niemand schien in ihren Geist eindringen zu können, doch sobald sie mit Murtaghs Gedanken verschmolz, schien sich auch die Mauer um ihren Geist aufzulösen und alles durchsickern zu lassen. Murtagh korrigierte sie in Gedanken. Er erklärte ihr völlig ohne Worte, dass er nur sehen konnte, was sie ihn sehen lassen wollte. Und da sie nichts zurückhielt, kam es ihr so vor, als würde die Mauer verschwinden.

Sehen lassen wollte. Plötzlich waren die Bilder von früher wieder in alter Schärfe und Klarheit vor ihren Augen. Und auch die Gefühle lebten von neuem auf.
 

Während das Lachen glücklicher Kinder zu ihr herüberschallte, hockte Araya auf dem sandigen Boden der kleinen Schule ihres Dorfes, in der einen Hand einen trockenen kleinen Ast des Baumes neben dem Gebäude, die andere auf das Knie an ihrer Brust gelegt. Sie trug nur ein einfaches Kleid; mehr konnten sich ihre Eltern nicht leisten.

Das siebenjährige Kind hob nach einem glücklichen Kreischen eines Mädchens kurz den Kopf, um zu sehen, was der Grund dafür war, doch als Araya sah, dass das Kind nur mit ein wenig Wasser bespritzt worden war, wandte sie ihren Blick wieder auf den Boden. Abermals versenkte sie das stumpfe Ende des Holzes ein wenig in der weichen Erde und zog ihn dann über den Boden. Langsam malte sie eine Schar Schmetterlinge vor sich. Araya zeichnete bereits den fünften.

Das war meistens ihre Beschäftigung während den Pausen, in denen sie die frische Luft genießen sollten. Nicht etwa, weil es Araya Spaß gemacht hätte. Die anderen Kinder wollten sie einfach nicht bei sich haben. Und sie verstand auch völlig, warum. Sie war nun einmal anders. Allerdings verstand das Mädchen nicht, was es dagegen tun sollte.

Ihre trübseligen Gedanken wurden unterbrochen, als ein Schatten auf ihre Zeichnungen fiel und ihr somit auch die Wärme der Sonnenstrahlen nahm. Araya hob nicht den Kopf. Bestimmt nur jemand, der bei einem Spiel gefangen werden musste. Oder sich verstecken sollte. Oder er wollte sie einfach nur anstarren, um sie zu ärgern. Das war alles schon vorgekommen.

„Du bist doch das seltsame Mädchen, das keiner mag, oder?“, fragte auf einmal eine helle Stimme. Verwundert hob Araya den Kopf. Sie blickte auf ein hübsches, blondes Mädchen, das sie freundlich ansah. Das Mädchen musste nicht lange raten, um zu wissen, wer sie war. Zumindest wusste sie, aus welcher Familie es stammte. Und warum es sie ansprach. Sie war erst neulich in die Schule gekommen, obwohl sie sicher schon so alt war wie Araya selbst. Aber ihre Eltern hatten sich erst jetzt dazu entschlossen – das war es jedenfalls, was ihr Vater ihr gesagt hatte.

Araya zog die Schultern zusammen und zog den Kopf ein. Dann senkte sie wieder den Blick und brachte nur ein Nicken zustande. Sie war es nicht gewohnt, angesprochen zu werden. Und wusste gar nicht, wie sie damit umgehen sollte. Nur mit ihrem vier Jahre jüngeren Bruder konnte sie unbeschwert spielen und lachen.

„Mein Name ist Saliha, und wie heißt du?“, fragte das fremde Mädchen einfach weiter, achtete gar nicht auf Arayas abweisende und unsichere Körpersprache. Saliha. Ja, genau so hieß das neue Mädchen, mit dem jeder befreundet sein wollte. Araya hatte es nicht einmal versucht. Langsam hob sie wieder den Kopf und schaute in die blauen, kugelrunden Augen der Blonden. „Saliha … Das ist ein schöner Name.“

Araya meinte es so, wie sie es sagte. Aber eigentlich hatte sie auch noch keine unschönen Namen gehört, sah man einmal von denen ihrer Lehrer ab. Die hatten alle so seltsame Namen, aber das sollte wohl so sein, oder? „Meiner ist Araya.“ Mittlerweile ruhte der Stock in ihrer Hand. Zu sehr beanspruchte Saliha ihre Aufmerksamkeit. Sie lächelte Araya an, dann lief sie ihm Halbkreis um ihre in den Sand gemalten Figuren herum und hockte sich mit einem fröhlichen Gesichtsausdruck neben das schwarzhaarige Mädchen.

Sie sah die Zeichnungen sehr konzentriert an. Araya warf einen Blick darauf und bemerkte zum wiederholten Male, dass sie einfach nicht zeichnen konnte. Obwohl sie schon sieben Jahre alt war, sahen ihre Zeichnungen immer noch wie diejenigen einer Dreijährigen aus. Aber sie hatte auf dem Hof ihrer Eltern auch anderes zu tun, als Zeichnen zu üben.

Sie öffnete gerade den Mund, um Saliha von ihrem Ratespiel zu erlösen, als diese den Mund zu einem langgezogenen „Oh!“ öffnete und gleich ausrief: „Sind die schön.“ Trotz aller Zweifel an dem Wahrheitsgehalt ihrer Aussage konnte Araya Saliha bei diesem verzückten Gesichtsausdruck doch nicht wirklich misstrauen. „Danke“, flüsterte sie leise und ein Lächeln verzog ihren Mund. Saliha wandte ihr Gesicht dem Mädchen zu und lächelte ebenfalls, als sie Arayas glückliche Miene sah. „Sag mal, wollen wir nicht Freunde sein?“

Araya entgleisten die Gesichtszüge. Völlig verblüfft und überrascht starrte sie das hübsche Mädchen neben sich an und konnte nur langsam nicken.
 

Murtagh war immer noch bei ihr. Er hatte ihr Trost gespendet, wenn die Bilder der Vergangenheit drohten, ihre Trauer und ihren Schmerz zurückzubringen. In diesen Augenblicken, die der Drachenreiter mit einer erstaunlichen Empathie erkannte, hüllte er sie in eine wohlige, wärmende Decke des Trostes und der Anteilnahme. Und des Gefühls, nicht allein zu sein. Dank dieser Gefühle hatten sogar die Tränen gestoppt. Sie waren einfach versiegt, doch trotzdem trennten sie nicht ihre Geister. Sie bezogen beide Kraft aus dieser Nähe. Murtaghs Geist war wie ein Kettenpanzer, der sie vor allen Gefahren und Verletzungen der Außenwelt schützte. Und plötzlich verstand sie: Auch er war einsam gewesen!
 

Ein Apfel flog durch die Luft und wurde von der Hand eines Jungen aufgefangen. Er senkte sie neben sein Gesicht und biss breit grinsend davon ab. Wütend drehte Araya sich zu ihm um. „Und, bezahlst du den auch?“, fragte sie angriffslustig und streckte fordernd die Hand aus. Doch der blonde Junge beachtete sie gar nicht. Stattdessen zog ihr ein anderer von hinten an den Haaren und stahl sich aus dem Korb, der in ihrer Armbeuge hing, eine Kartoffel. „Hey!“, rief Araya wütend und wollte nach ihn mit der Hand abfangen.

„Hört euch nur an, wie laut sie spricht!“, brüskierte sich eines der anwesenden Mädchen. Sie waren ungefähr in Arayas Alter – vierzehn Jahre alt –, doch sie hielten sich trotzdem für so viel besser. Sie hatte gerade ein paar geerntete Erträge bei einer Bekannten im Dorf vorbeibringen wollen, da diese sehr krank geworden war und somit nicht selbst kommen konnte. Ihre Mutter hatte Araya geschickt, weiß die Göttin, warum. Sie verfluchte sie gerade dafür.

Die drei Jungen, die sich gerade über sie lustig machten, indem sie ihr immer wieder Feldfrüchte aus dem Korb stahlen, und die vier Mädchen, die das anscheinend wahnsinnig amüsierte, kannte Araya schon seit ihrer Kindheit. Trotzdem waren sie nie müde geworden, ihr klarzumachen, dass sie sich für etwas Besseres hielten. Sie ballte die Fäuste, als ein weiterer Junge auf sie zukam, und nahm schützend den Korb vor den Körper, um ihn besser verteidigen zu können.

„Guckt, jetzt steht sie schon wie ein Junge da“, ertönte auch sogleich die Stimme des zweiten Mädchens. „Also mit dieser Haltung vertreibst du jeden Heiratskandidaten!“, rief die dritte. „Übst du schon dafür, falls mal jemand vor deiner Tür stehen sollte?“ Verärgert warf Araya den vier lachenden Mädchen einen Blick zu. Sie sollte so etwas schon gewohnt sein, doch richtig alltäglich wurde es nie. „Als ob das je geschehen würde!“, gackerte jetzt die vierte und Araya konnte gar nicht anders, als beschämt und verletzt auf den Boden zu schauen.

Was prompt ausgenutzt wurde. Der Junge, der sich eben noch frontal genähert hatte, wich zur Seite aus und langte nach einer Karotte. Araya sah ihn noch rechtzeitig kommen, um seine Hand fortzuschlagen. „Au!“, beklagte er sich, doch er erntete von ihr keinen mitleidigen Blick. Theatralisch begann er, seine Hand vor seinem Körper zu schütteln. Sie hatte sie nicht einmal fest getroffen.

„Also wirklich, du solltest lernen, dich ein wenig weiblicher zu geben!“, schaltete sich der Junge ein, der immer noch ihren Apfel verspeiste. „Bist ja so schon völlig reizlos!“ Wie auf ein geheimes Stichwort hin begannen auch die anderen beiden, zu lachen. „Ach, verschwindet doch endlich!“

So aufgebracht wie Araya war, bemerkte sie eines der Mädchen erst, als es schon zu spät war. Normalerweise trug sie ihren Geldbeutel in einem der Ärmel ihres Kleides – so taten es die meisten Leute –, aber heute hatte sie nicht mit Menschenmengen im Dorf gerechnet und deswegen ein bisschen weniger Vorsicht geübt. Blitzschnell hatte das Mädchen sich den ledernen Beutel geschnappt und rannte davon; die Erträge in dem Korb schienen keinen mehr zu kümmern, denn die Jungen rannten ihr hinterher.

Hastig stellte Araya den Korb an den Wegrand und eilte ihnen nach. Das war das Geld für die ganze Woche. Was sollte sie ihrem Vater sagen, wenn er fragte, wo es geblieben war? Sie konnte ihm kaum sagen, dass sie es geschafft hatte, es sich abnehmen zu lassen. „Hey, wartet! Das ist nicht mehr lustig!“, rief Araya den sieben Jugendlichen hinterher.

Einer der Jungen drehte sich um und rief zurück: „Stimmt, könnte lustiger sein!“ Und so gab er seinen beiden Freunden ein Zeichen. Sie drehten um und stellten sich hinter ihr auf, während er die Mädchen aufhielt. Als sie fertig waren, standen sie in einem Kreis um Araya. Sie ahnte, was auf sie zukommen würde.

Der mit dem Apfel hielt ihren Geldbeutel in der Hand und schwenkte ihn an dem Lederband, mit dem sie ihn befestigte, hin und her. „Was ist? Willst du ihn dir nicht holen?“, fragte er provokativ. Obwohl sie es besser wusste, ging sie zu ihm und streckte die Hand aus. Kurz bevor sie ihn erreichte, warf er den Beutel über ihren Kopf hinweg zu einem seiner Freunde.

Araya sah ihm hinterher. Auch, wenn das hier Zeitverschwendung war, es bestand eine geringe Chance, das Geld zurückzubekommen. Also hastete sie dem Beutel hinterher, doch sobald sie vor dem Knaben zum Stehen kam, warf er den Beutel weiter – dieses Mal zu einem Mädchen. So ging es eine Weile, Araya ging langsam der Atem aus. Vor allem, weil sie sich zusätzlich von den Mädchen noch Verbesserungsvorschläge ihrer Körperhaltung anhören musste.

Sie solle doch nicht so gekrümmt dastehen, meinten sie. Oder so hastig laufen, das zerstöre die Eleganz. Wobei die nächste sich natürlich nicht zurückhalten konnte und meinte, dass das bei ihr aber auch egal sei. Schließlich blieb Araya in der Mitte des Kreises stehen. „Es reicht, ihr hattet euren Spaß. Jetzt gebt mir meinen Geldbeutel wieder!“ Einer der Blonden schaute in den Beutel. Und grinste zufrieden.

„Ach, weißt du, ich glaube, wir kaufen uns was Schönes davon“, meinte er und holte aus. „Genau, wozu brauchst du schon eigenes Geld. Bei dir ist doch jegliche Liebesmüh verschenkt!“, fügte das zierlichste der Mädchen an. Dann flog ihr Geldbeutel durch die Luft zu dem Jungen, der mit der ganzen Blamage begonnen hatte. Doch gerade, als er ihn auffangen wollte, wurde er unsanft zur Seite gestoßen und eine weibliche Hand fing das lederne Stück auf. Eilig lief Saliha auf Araya zu, drückte ihr den Geldbeutel in die Hand und wandte sich mit wütend funkelnden Augen den Mädchen zu.

„Verschwindet. Oder muss ich das zweimal sagen?“ Eiligst verzogen sich die vier und ließen die Jungen allein zurück. Zwei von ihnen schlichen sich schon auf Zehenspitzen davon, da rief Saliha ihre Namen. Sie stoppten sofort. Erst jetzt erkannte Araya ihren Korb in Salihas Hand. Sie musste ihn am Wegesrand gesehen und mitgenommen haben.

„Ihr werdet den Schaden schön bezahlen. Und zwar von eurem eigenen Geld“, tadelte sie die drei, die mit betreten wirkender Miene den Boden musterten und sich nicht rührten. „Wird’s bald!“, herrschte ihre beste Freundin und wartete, bis die drei ihr ein paar Münzen in die Hand gedrückt hatten. Die gab sie Araya, zusammen mit dem Korb. „Das darfst du dir nicht immer gefallen lassen!“, meinte Saliha dabei. Araya sah sie missmutig an.

Ich bin nicht die Tochter des Bürgermeisters. Was soll ich schon machen?“, fragte sie gekränkt. Als würde ihr das Spaß machen. „Dich nicht drauf einlassen“, erklärte Saliha und hatte wahrscheinlich Recht. Hätte Araya sich nicht von den drei Jungen aufhalten lassen und wäre einfach weitergegangen, wäre wahrscheinlich gar nichts passiert. Aber sie hatten sie eben gerufen. Und so unhöflich war Araya dann doch nicht. Außerdem hatte sie nicht annähernd das autoritäre Auftreten ihrer Freundin. Das musste sie von ihrem Vater geerbt haben.

„Ich merke es mir“, antwortete sie schließlich.
 

Araya spürte, das trotz der vielen Emotionen, die sie mit diesen Erinnerungen verknüpfte, nichts davon nach außen trat. Das hatte sie Murtagh zu verdanken. Er schirmte das alles statt ihrer vor der Außenwelt ab, damit Galbatorix nichts davon bemerkte. Aber es fühlte sich seltsam an. Es war, als wären die innersten Gedanken von ihnen beiden hier zusammen und Murtaghs Mauer nur darum herum aufgespannt worden. Und doch reichte ihr Geist über diese Mauer hinweg und bildete einen Umriss um Murtaghs Barrikade. Sie rahmte in von allen Seiten ein, obwohl sie in seinem Geist war. Doch dieses Gedanken wurden durch einen anderen verdeckt.

Saliha hatte immer nur das Beste für sie gewollt. Und Araya hatte es ihr gedankt, indem sie sie umbrachte. Vielleicht nicht mit ihren eigenen Händen, und vielleicht nicht absichtlich, aber es war ihre Schuld. Murtagh versuchte zwar, ihr diese Schuld abzunehmen, als er sie spürte, doch sie wusste, es war wahr. Im Gegensatz zu ihm war sie wirklich verantwortlich. Auch für seinen Schmerz, denn sie hatte ihn fortgestoßen, obwohl das das Letzte war, was sie tun konnte.

Kurz machte sich ein beklemmendes Gefühl in ihrem Geist breit, als wolle er sie vor irgendetwas warnen, und ein leichter Kopfschmerz setzte ein, doch es war so plötzlich verschwunden, wie es gekommen war. Dann nahm Araya sich zusammen, um Murtagh die Frage zu stellen, die ihr schon im Kopf herumschwirrte, seit er den Hort wieder betreten hatte.

Warum bist du hergekommen? Nachdem ich das zu dir gesagt habe, dachte ich …, sie konnte nicht weiter fragen. Bilder von Murtaghs verletztem Gesichtsausdruck traten wieder zum Vorschein und Araya verstand nicht, wie er das einfach hatte verzeihen können. Doch so verstand Murtagh auch sofort, wovon sie sprach. Ich dachte mir, du bist vielleicht einsam, so ganz ohne Bezugsperson.

Es war so ein selbstloser Akt. Das hatte sie bei ihm schon einmal festgestellt. Als er ihr nicht die Schuld an seinen Wunden gegeben hatte. Ihr Blick wurde traurig, und das Gefühl durchflutete ihren Geist. Murtagh wollte es von ihr nehmen, doch sie ließ ihn nicht. Diese Bürde musste sie selbst tragen. Langsam drückte sie ihren Körper näher an Murtaghs und presste ihre Wange an seine. Ich habe zwar keine Familie mehr … aber ich bin nicht allein. Ich hab ja noch dich. Vielleicht war es selbstsüchtig, so etwas zu sagen, doch den Gedanken hatte sie schon gehabt, als sie ihn nach Salihas Tod im Drachenhort gesehen hatte. Es war die Wahrheit.

Gut, antwortete Murtagh und vermittelte ihr seine ehrliche Freude darüber, dass sie ihn mit diesen Augen sah. Ich dachte, ich … Sie begriff schnell, dass er nicht weitersprechen würde, doch sie spürte seine Erleichterung. Araya verstand zwar nicht, ob er so erleichtert war, weil sie ihm verziehen hatte, aber sie glaubte nicht wirklich daran. Aber sie war sicher, sie würde es verstehen, wenn sie Murtagh noch besser kennenlernen würde.

Wir sind nicht allein, Murtagh, begann Araya. Solange du bei mir bist.

Ablenkung

Araya erwachte in Murtaghs Armen. Nachdem sie gestern noch lange zusammengeblieben waren, hatte Murtagh spät abends beschlossen, dass er sie nicht alleinlassen würde und hatte hier genächtigt. Da Araya ihm jedoch nicht den harten Boden zumuten wollte, obwohl er versicherte, schon unbequemer geschlafen zu haben, hatten sie sich ihr Lager geteilt. So fror Araya auch nicht sehr, als sie aus ihrem Traum wie üblich erwachte.

Dorn hatte sich, als er endlich in den Drachenhort zurückkehrte – sie wurde das Gefühl nicht los, dass er absichtlich fortgeblieben war – neben ihr Lager gelegt und wachte ein wenig über die beiden. Als Araya ihm einen Blick zuwarf, bemerkte sie jedoch, dass auch der Drache dem Schlaf erlegen war. Durch die Bewegung in seinen Armen verstärkte Murtagh unbewusst seinen Griff und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sein Gesicht. Eigentlich wollte sie nur schauen, ob er erwacht war, doch dann kam Araya nicht umhin zu bemerken, wie friedlich sein Gesicht erschien. Wenn man bedachte, wie viele Schicksalsschläge er wohl hatte ertragen müssen, verwunderte es sie ein wenig, dass der sonst so ernste Ausdruck auf seinem Gesicht im Schlaf wich.

Sanfte Träume hatte auch sie gehabt. Wenn man bedachte, mit was ihr Geist sie sonst hätte heimsuchen können. Doch Araya bedauerte es, keine Erinnerungen von Saliha im Schlaf gesehen – so schmerzhaft sie auch sein mochten – oder wenigstens die letzten Erlebnisse wiedererlebt zu haben. Es wäre zwar weitaus verstörender gewesen als unter einer Eisschicht eingesperrt zu sein, an was sie sich erschreckenderweise langsam gewöhnte, doch sie hätte wenigstens an Saliha gedacht. Araya fühlte sich schrecklich bei dem Gedanken, dass ihre beste Freundin ihr scheinbar nicht einmal wichtig genug gewesen war, um nach ihrem Tod von ihr zu träumen. Aus dem gleichbleibenden Rhythmus ihrer Träume schloss sie sogar, dass ihre Psyche anscheinend einfach wie bisher weiterlebte.

Araya schloss die Augen, um die Tränen, die ihr bei der Erinnerung und diesen Gedanken in die Augen stiegen, einzusperren. Genug geweint. Sie verbot sich nicht zu trauern, denn das bewies, dass sie Salihas Tod wenigstens bedauerte, aber sie konnte es sich nicht leisten, Schwäche zu zeigen. Nicht vor Galbatorix.

Das Geräusch der Pforte ließ sie aufschrecken. Araya verdrehte sich ihren Hals, um zum großen Torbogen des Hortes zu schauen, doch lange konnte sie so nicht liegen. Vorsichtig versuchte sie, Murtaghs Arme zu lockern. Als sie genug Freiraum geschaffen hatte, um sich bewegen zu können, kroch sie an dem Drachenreiter herunter und entfernte sich schließlich von ihm. Leise, immer drauf bedacht, keine Geräusche zu verursachen, die ihn hätten aufwecken können, erhob sich Araya. Sie bezweifelte, dass er oft so friedlich und erholsam schlief.

Araya trat aus den Schatten. Genau in diesem Augenblick betrat der junge Diener den Hort und sie vernahm hinter sich das Knirschen von kleinen Steinen. Dorn musste erwacht sein und den Kopf gehoben haben. Sie wusste, der Drache konnte im Dunkeln hervorragend sehen und beobachtete den Mann mit scharfem Blick. Allein schon, um Gefahren von seinem Reiter fernzuhalten.

Der Neuankömmling schien von alledem nichts bemerkt zu haben, denn er setzte ein zugleich freundliches und triumphierendes Lächeln auf. Sie bemerkte, dass er abermals einen Korb mitbrachte, doch dieses Mal fiel der deutlich kleiner aus als noch vor ein paar Tagen. „Du bist ein unartiges Mädchen, weißt du das? Wo hast du nur den Korb gelassen, den ich dir brachte? Ich konnte leider keinen größeren finden“, verkündete er mit einer Stimme, die man verwendete, wenn mit kleinen Kindern gesprochen wurde, und kam weiter auf sie zu.

Araya holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Sie bemerkte, wie leicht die Wut und der Hass zurückkehrten und stellte sich ihre Gefühle wie ein tobendes Meer vor, zurückgehalten von einer dünnen Glasschicht, die schon einmal stärker gewesen war. Sie vermutete, dass sie sich erst wieder aufbauen musste, nachdem ein Schicksalsschlag sie zerbrochen hatte. „Euer Name ist Cohen, nicht wahr?“, erwiderte sie, ohne auf seinen Spott einzugehen, und hoffte gleichzeitig, durch ihre höfliche Anrede eine Distanz zwischen ihnen zu schaffen.

Der fröhliche Ausdruck auf seinem Gesicht verflüchtigte sich so schnell, wie er erschienen war, als er gewahr wurde, dass sie allein zu sein schien. Im Moment dankte sie Murtagh mit voller Inbrunst, dass er ihr den Namen des Dieners verraten hatte. Dieser schien darüber nämlich nicht sehr erfreut, denn anscheinend fürchtete er um seine Anonymität. Dann verdunkelte sich sein Gesicht plötzlich. „Dieser Unbrauchbare von Drachenreiter hat dir das verraten! Wagt es, davon Gebrauch zu machen und –“, zischte er, doch Araya unterbrach ihn unwirsch. „Und was?“, fragte sie kühner, als sie sich fühlte. Und ihr Mut schwand zusätzlich, als der Mann ihr einen aufgebrachten Blick zuwarf. Doch bevor sie wieder in ihr altes Schema zurückfallen konnte, erinnerte sie sich an das, was sie heute Morgen beschlossen hatte: Keine Schwäche mehr zu zeigen.

Sie hob den Kopf waagemutig an und schob das Kinn störrisch ein wenig nach vorne. „Ihr könnt mir nicht drohen!“, fuhr Araya beinahe angriffslustig fort und schaute ihn so überheblich, wie es ihr nur möglich war, an. Woraufhin Cohen einen weiteren, drohenden Schritt in ihre Richtung ging. Augenblicklich vernahm sie hinter sich das leise Rauschen von zerschnittener Luft. Sie wagte es nicht, einen Blick nach hinten zu werfen, weil sie dem Diener keinen unachtsamen Moment lassen wollte, doch Araya vermutete stark, dass Dorns Schweif in der Luft hin und her peitschte.

Sie erwartete einen Angriff, doch zu ihrer Verwunderung lächelte Cohen plötzlich und trat mehrere Schritte zurück, ohne sie aus den Augen zu lassen. Er öffnete den Mund: „Weißt du, ich werde dem einfach König alles erzählen, was hier vorgefallen ist. Jedes einzelne Detail. Deine Geheimnisse liegen offen, während deine Mauern einstürzen.“ Er trug ein siegessicheres Lächeln auf den Lippen.

Doch Araya fragte sich, was er Galbatorix eigentlich verraten wollte. Er wusste nichts von ihrem Alltag, und die wenigen Begegnungen, die sie hatten, würden eher ihn als sie selbst belasten. Hielt er sie für so dumm, allein bei der Erwähnung des Königs in Panik zu geraten? Oder um zu glauben, er wüsste etwas wirklich Wichtiges über sie? Sie antwortete ihm nicht, und der Diener interpretierte ihr Schweigen wohl als Starre, denn er wandte sich demonstrativ – als wolle er, dass sie ihn zurückhielt – zum Ausgang um und schlenderte darauf zu. Als weiterhin keine Reaktion folgte und die Stille hinter ihr Araya beunruhigte, blickte er noch einmal über die Schulter.

„Und wenn ich es mir recht überlege, erwähne ich vielleicht noch deine Beziehung zu diesem Drachenreiter.“ Araya öffnete den Mund, als Cohen sich lachend wieder dem Ausgang zuwenden wollte, doch beide wurden unterbrochen. Sie vernahm ein ohrenbetäubendes Brüllen, dass nicht nur in ihren Ohren schmerzte, sondern auch ihren Geist zum Erschüttern brachte, und bemerkte durch einen Luftzug über ihr, dass Dorn beschlossen hatte, dem ein Ende zu setzen. Er landete geschmeidig vor dem zu Stein erstarrten Diener und riss das Maul auf. Als Araya begriff, was er im Begriff war zu tun, versucht sie, den Drachen zu übertönen: „Dorn, hör auf!“

Dorn schien sie nicht zu hören, dafür aber Cohen, der ihn bisher nur in Todesangst angesehen hatte. Der Diener wich gerade noch rechtzeitig aus, um nicht zwischen Dorns Fängen zermalmt zu werden. Hastig trat Araya näher an das Tier heran, doch Dorn verhinderte mit seinem Schweif, dass sie Cohen auch nur nahe kam. „Dorn, lass ihn! Das hat doch keinen Sinn!“, rief sie, doch Araya befürchtete, dass Dorn genug Lärm verursachte, um sie nicht hören zu können. Verzweifelt versuchte sie, irgendwie in die Nähe des Drachen oder des Diener zu gelangen, doch er sah ihre Bewegungen voraus und hinderte sie geschickt am Vorankommen, während er weiterhin nach dem Diener biss.

Kurz warf Araya einen Blick zurück – bei dem Geräuschpegel konnte Murtagh unmöglich noch schlafen –, doch dann wandte sie sich wieder um, als sie einen menschlichen Schrei vernahm. Blut tropfte auf den Boden, als Cohen zurückstolperte und sich die rechte Schulter hielt. Der Arm fehlte. Ihr Grauen war so stark, dass Araya völlig vergaß, dass Dorns Schweif sie ebenso gut erschlagen könnte. Kopflos sprang sie über den muskelbewehrten Körperteil und lief zu dem sich vor Schmerzen krümmenden Diener.

Sie stellte sich vor ihm auf, hob abwehrend beide Hände Dorn entgegen und schrie so laut sie konnte: „Stopp! Du darfst ihn nicht töten.“ Dorn brachte seinen Kopf nahe an ihre Hände und für einen Moment fürchtete sie, er würde auch sie in seiner Raserei, Murtagh zu beschützen, angreifen, doch er atmete nur gegen ihre Handflächen und sah ihr in die Augen.

Er wird dich an den König verraten. Er hat den Tod verdient!, grollte ihr seine Stimme entgegen. Araya sah ihn verwundert an. Es ging hierbei um sie? Natürlich war ihr klar, dass Dorn nicht wissen konnte, dass Cohen rein gar nichts wusste, was er gegen sie verwenden könnte, doch bisher hatte sie ihn doch auch nicht interessiert. Arayas Gedanken stoppten, als Cohen hinter ihr ein ängstliches Geräusch hervorstieß. Um Dorn nicht zu lange aus den Augen zu lassen, drehte sie ihren Kopf nur minimal, um ihn ansehen zu können. Cohens Blick war noch weiter nach hinten gerichtet und somit zwang er auch sie, ihren Kopf weiter zu wenden.

Dort, an der Grenze zwischen dem Licht des Hortes und den Schatten, stand Murtagh. Seine Augen waren hart und kalt, soweit sie das von ihrer Position aus erkennen konnte, und Araya wusste auch, dass sie wieder dieselbe Brutalität in ihnen erkennen würde, die ihn schon einmal dazu gebracht hatte, drei Menschen umzubringen, hätte sie nur genauer hingesehen. Doch Cohen verhinderte dies, als er panisch hinter ihr hervorkam und versuchte, an Dorn vorbei den Ausgang zu erreichen. Ganz davon abgesehen, dass er viel zu viel Blut verloren hatte, war es Wahnsinn, an einem Drachen vorbei flüchten zu wollen, wenn dieser ihn mit Vergnügen töten wollte.

Dorn bleckte bereits die Fänge und schob angriffsbereit den Kopf vor, als Araya begriff, dass Murtagh nicht einschreiten würde, und der Diener kraftlos stolperte und fiel. Gerade, als Dorn den Menschen unter einer seiner Klauen begrub, durchströmte Araya die Wut über die von einem dummen Lügner ausgelöste grausame Kettenreaktion. „For god’s sake, let him go! Get off him!!“, schrie sie. Ihr Ärger ließ sie die Unkenntnisse der anderen in ihrer Sprache vergessen, vor allem, als Dorn richtig reagierte und den Diener losließ. Sie warf ihm einen Seitenblick zu und registrierte, dass er es nicht wagte, sich zu bewegen. Er hatte anscheinend aus seinen Fehlern gelernt, doch dieses Mal brachte es ihm einen schneidenden Befehl ein: „Beat it!

Obwohl er nicht verstand, was sie ihm sagte, brachte ihn schon allein Arayas Tonfall dazu, den Hort, so schnell es sein geschwächter Körper zuließ, zu verlassen. Sie sah, wie Murtagh Cohen nachblickte, kümmerte sich aber nicht darum, als Dorn das Wort ergriff. Er bedroht dich. Dieser einfache Mensch könnte dem König Informationen über dich geben, die er besser nicht wissen sollte. Der sachliche Tonfall des Drachen regte ihre Wut nur noch mehr an. Eigentlich konnte sie Dorn keinen Vorwurf machen, er hatte sie beschützen wollen, ohne zu wissen, dass Cohen gar nichts wusste. Und trotzdem …

No reason to kill somebody, even if he’d known something! And you …” Als Araya sich erinnerte, dass Murtagh trotz der offensichtlichen Raserei seines Drachens nicht eingeschritten war, auch als sie selbst es versucht hatte, wandte sie sich ihm stürmisch zu. „You didn’t even react!“, hielt sie ihm mit Empörung in der Stimme vor. Vollkommen außer Atem versuchte Araya, bei Murtagh allein mit ihrem Blick ein schlechtes Gewissen zu verursachen.

Allerdings schien das nicht der Fall zu sein, denn anstatt sich bei ihr zu entschuldigen, bildete sich ein Lächeln auf seinen Lippen. „Du weißt schon, dass wir kein Wort von dem verstehen, was du da sagst, ja?“, antwortete er neckend und erhielt dafür von Araya einen todbringenden Blick. Sie versuchte ihm klarzumachen, dass sein Handeln unrecht gewesen war, und er wagte es, sich über die Sprachbarriere zu retten?! Bevor sie ihm alles jedoch noch einmal in seiner Sprache vorwerfen konnte, redete Murtagh eilig weiter: „Aber du hast mich damit auf eine Idee gebracht!“

Mit ausholenden Schritten kam er auf sie zu und setzte dabei eine versöhnende Miene auf. Araya beruhigte sich etwas. Wenigstens war es ihr gelungen, ihre Wut zu vermitteln, wenn schon nicht den Inhalt ihrer Worte. Und sie war außerdem neugierig, auf welchen Gedanken sie Murtagh gebracht hatte. „Immer, wenn du wütend wirst, redest du dieses Nonsens …“, entrüstet öffnete sie den Mund, um Murtagh ihre Meinung über seine Bezeichnung ihrer Muttersprache zu vermitteln, doch er hob die Hand und fuhr fort. „Wir verstehen es nicht. Also ergibt es für uns auch keinen Sinn. Aber du könntest es mir beibringen.“

Das schien seine Idee zu sein. Als Araya sich die Worte noch einmal durch den Kopf gehen ließ, fragte sie: „Was?“ Murtaghs tiefer Seufzer lenkte ihren Blick auf sein Gesicht. „Deine seltsame Sprache, was sonst?“, stellte er die Gegenfrage. Araya starrte ihn verwundert an und ging aus Großzügigkeit über das »seltsam« in seinem Satz hinweg. „Du willst meine Sprache lernen? Ich dachte immer, du kannst sie nicht besonders gut leiden?“

„Weil ich sie nicht verstanden habe, damit hattest du schon Recht.“ Was Araya endgültig besänftigte. Denn sie hatte das Gefühl, dass Murtagh nicht oft zugab, dass andere, was ihn betraf, Recht gehabt hatten. Allerdings wusste sie nicht recht, ob sie diese Idee wirklich gut fand. Ihre Sprache war eine Art Rückzugsgebiet in einer Situation, in der sie das räumlich nicht umsetzen konnte. Niemand in diesem Schloss verstand mehr die Sprache Drakon-Ryuus. Die einzige, die diese Fähigkeit besessen hatte, war tot.

Murtagh schien zu spüren, dass sie mit Unbehagen über seine Bitte nachdachte. Eine Weile schwieg er auch und sah ihr zu, dann fügte er hinzu: „Ich würde mich darüber freuen.“ Genau in diesem Augenblick verschaffte sich ihr Hunger Gehör. Die Aufregung mit Dorn und Cohen hatte sie das Morgenmahl ganz vergessen lassen, doch ihr Körper forderte die Energie und der Appetit kehrte mit neuer Stärke zurück. Murtagh wandte sich unvermittelt ab.

Erschrocken schaute sie ihm nach und erkannte, dass er auf den Ausgang zuhielt. „Ich gehe etwas holen. In der Zwischenzeit kannst du ja darüber nachdenken.“ Bevor er in dem großen Torbogen verschwand, hob Murtagh zum Abschied die rechte Hand. Und obwohl sie wusste, dass er es nicht sehen würde, erwiderte sie die Geste. Eine Weile sah sie Murtagh gedankenverloren nach, während sie sich langsam auf dem Boden niederließ, doch als Dorn sich mit einem deutlichen Laut direkt neben ihr auf dem Boden niederließ, schreckte er sie aus ihren Gedanken auf.

Verwirrt warf sie dem Drachen einen Blick zu. Ihr kam wieder in den Sinn, dass er sie hatte beschützen wollen, und nun erschreckte er sie auf diese Weise. Aus Dorn wurde sie einfach nicht schlau. Aber es war vielleicht auch nicht die Aufgabe eines Menschen, das Gemüt der Drachen zu verstehen. Dafür waren sie viel zu geheimnisvolle Wesen. Araya wollte ihren Blick schon wieder auf den Ausgang des Horts richten, da bewegte Dorn seinen Kopf in ihre Richtung.

Warum zögerst du?, fragte er in einem ärgerlichen Tonfall. Jetzt verstand sie; es missfiel ihm, dass sie darüber nachdenken musste, ob sie Murtagh ihre Sprache lehren sollte. „Es ist ein kindischer Grund“, erwiderte sie schlicht. Dorn würde sicher verstehen, dass er es nicht fassen könnte, selbst, wenn sie es ihm erklärte. Dann fügte sie hinzu: „Danke, dass du mich beschützt hast.“ Augenblicklich wandte der Drache seinen Blick von ihr ab. Bilde dir ja nichts darauf ein. Murtagh hätte genauso Schaden genommen. Ob dieser Wurm Galbatorix etwas über ihn erzählt hätte oder ob ich ihn dich bedrohen ließe. Beides hätte ihn auf die eine oder andere Weise verletzt.

Sie entschloss sich, es so zu verstehen, dass beides nicht förderlich für sein Verhältnis zu dem König gewesen wäre. Wenn Galbatorix erführe, dass Murtagh ihm Details über sie verschwieg, würde er sie trennen und an seiner derzeitigen Ergebenheit zweifeln. Seufzend wandte sie sich wieder dem schwarzen Loch in der Mauer zu, das Murtagh verschlungen und auch wieder ausspeien würde. Sollte sie ihm nun Drakon-Ryuus Sprache lehren oder nicht?

Ja, sie hatte Vorbehalte, doch sie glaubte, dass es ihr sicher auch Freude bereiten würde, Murtagh ihre Heimatsprache beizubringen. Ihm einmal in ihrem Leben etwas beizubringen; nicht, um ihn unwissend zu erleben, sondern um ihm etwas Gutes zurückzugeben für alles, was er bereits für sie auf sich genommen hatte. Vielleicht war das hier die beste Möglichkeit, sich erkenntlich zu zeigen. Und sie könnte wieder frei und unbeschwert reden. Indem sie ihm alles erklärte, sprach sie selbst. Und sie vermisste den Klang der Worte.

Es war selbstsüchtig, aus solchen Gründen wie Sehnsucht nach ihrer Heimat zu entscheiden, aber sie konnte nicht anders. Als ihr klar wurde, was das Lehren zwangsläufig mit sich bringen würde, konnte sie gar nicht mehr ablehnen. Sie stellte sich vor, wie Murtagh ihre Sprache erlernen und sie sprechen würde, und tief in ihrem Inneren spürte Araya, dass es richtig war. Ein warmes Gefühl in ihrem Herzen brachte ihre Freude in ihr Bewusstsein. Verwundert über diesen plötzlichen Gefühlsrausch legte sie beide Hände oberhalb ihrer linken Brust auf die Stelle, an der sie ihren eigenen Herzschlag fühlen konnte.

In diesem Moment vernahm sie das Geräusch der sich öffnenden Pforte. Nicht einen Moment hatte Araya Zweifel daran, dass Murtagh zurückgekehrt war, und sprang euphorisch mit einem Lächeln im Gesicht auf die Füße. Dorn warf ihr einen verwunderten Blick zu, was sie ihm nicht einmal verübeln konnte, doch trotzdem ließ ihre gute Stimmung nicht nach.

Murtagh trat durch den Torbogen und balancierte ein großes Tablett mit einer Hand vor sich her, auf dem allerlei Köstlichkeiten verteilt waren. So, wie sie ihn kannte, war der Drachenreiter direkt in die Küche gegangen und hatte für sein Morgenmahl nur das Beste verlangt. Als das silberne Geschirr gefährlich schwankte, schritt Araya ein und nahm es ihm ohne zu zögern ab. Murtagh achtete viel zu sehr darauf, nicht über die kleinen, aber tückischen Steine zu stolpern. Araya selbst hatte mehr Erfahrung damit, empfindliche Ware sicher über unebenen Boden an ihren Bestimmungsort zu bringen.

Gerade hatte sie das silberne Meisterwerk auf den Boden gestellt, als Murtagh Teller, Schüsseln, Messer und Löffel aus einem braunen Stofftuch auswickelte. Sie ging zu ihm, um auch diese Sachen auf der Erde mangels eines Tisches zu arrangieren, als sie statt des Geschirrs das hellbraune Tuch in Händen hielt. Verwundert sah sie Murtagh, dann das Stoffbündeln in ihren Armen an. Als sie es an zwei Enden von sich fort hielt, erkannte sie ein Kleid darin.

„Ich dachte mir, du würdest dich über neue Kleidung freuen. Dein jetziges Kleid ist ja schon ziemlich abgetragen, nicht wahr?“ Sie brachte vor Überraschung nur ein Nicken zustande. „Durch die braune Farbe sieht man den Schmutz nicht sofort.“ Murtaghs Stimme wurde unsicherer, doch dazu hatte er überhaupt keinen Grund. Sie wusste, dass er es nicht beleidigend meinte. „Danke sehr“, antwortete Araya, der durch den Anblick des Kleides auch wieder die Decken einfielen, die vor zwei Tagen plötzlich dagewesen waren. „Vielen Dank.“

Er wollte sich gerade setzen, doch als er ihren wiederholten Dank vernahm, stockte er in seiner Bewegung. „Weswegen?“ Araya konnte ein Lächeln nicht verhindern. Sie hatte schon vorher festgestellt, dass Murtagh nie zu bemerken schien, welche Gefälligkeiten er ihr durch seine Taten leistete*. „Für die Decken“, antwortete sie daher schlicht. Es war ja keine schlechte Eigenschaft, Menschen Gutes zu tun, ohne zu bemerken, wie sehr man ihnen wirklich half. Das verstärkte nur das Gefühl der Aufrichtigkeit.

Doch Murtagh schien das anders zu sehen. Er verzog das Gesicht zu einer Miene, die Araya nur mit Mühe und Not als zerknirscht erkennen konnte. Anscheinend hatte sie einen wunden Punkt getroffen. „Dafür brauchst du dich nicht zu bedanken. Ich müsste mich eher bei dir entschuldigen.“ Ihr fragender Blick genügte, um ihn zu einer Erklärung aufzufordern. Er seufzte. „Ich hätte sofort daran denken sollen, dass du hier unten Unterlagen für dein Lager brauchst, immerhin bist du kein …“ Er brach abrupt, als schämte er sich für das, was er eben hatte sagen wollen. Räuspernd nahm er den Faden wieder auf. „Selbst im Kerker hattest du eine Art Bett. Ich habe das Gefühl, dass es dir dort besser ergangen ist.“

Araya traute ihren Ohren nicht. In dieser glatten, undurchdringlichen Dunkelheit, die ihr ihre Einsamkeit nur noch mehr verdeutlicht hatte, sollte es ihr besser ergangen sein als an diesen Ort, der für sie durch die Anwesenheit dieser beiden Wesen wenigstens teilweise ein Ort der Wärme geworden war? Wie konnte er nur auf solch einen Gedanken kommen? Um ihm das klarzumachen, erwiderte sie hastig: „Nein nein, selbst ohne Decken, hier ist es tausendmal besser als in dieser Zelle.“

Er lächelte sie beinahe dankbar an, und Araya war froh, dass sie ihm helfen konnte. Gerade öffnete sie den Mund, um ihm ihre Entscheidung bezüglich seiner Bitte mitzuteilen, da erhob er selbst unvermittelt die Stimme. „Wahrscheinlich war die absolute Dunkelheit deiner Zelle dafür verantwortlich, dass du dieses Gespür für den Geist anderer Menschen ausgebildet hast.“ Sie stockte. Wie kam er jetzt darauf? „Meinst du?“, fragte sie unsicher nach. Murtagh nickte zur Bestätigung und fuhr dann fort: „Weil du dich weder auf deine Augen noch auf deine Ohren verlassen konntest – dir also ein vollkommenes Unvermögen, dich in deiner Umgebung zu orientieren, aufgezwungen wurde –, musstest du andere Sinne verwenden, um deine Umwelt zu erschließen. Die Isolation hat deinen Körper wahrscheinlich dazu getrieben, diese Fähigkeiten auszubilden.“

Alles, was sie tun konnte, war, Murtagh zu versichern, dass sich das gesamte Konzept recht schlüssig anhörte. Sie hatte keine Ahnung davon, welche Auswirkungen beschriebenes Szenario auf ihren eigenen Körper gehabt hatte, mit Ausnahme der Berührungsängste und der Verzweiflung ob dieser undurchdringlichen Dunkelheit. Er schien zu spüren, dass sie an diese Zeit dachte, denn kaum hatten ihre Gedanken einen düstereren Pfad eingeschlagen, schlug Murtagh vor, mit dem Essen zu beginnen. Wie auf ein geheimes Zeichen tat auch ihr Magen lautstark seinen Hunger kund. Araya konnte gar nicht anders, als darüber zu lachen.

Murtagh hatte ihr zuliebe wieder Joghurt, Früchte, Milch und Haferflocken mitgebracht. Wieder so eine Aufmerksamkeit, von der er gar nicht wusste, wie viel es über ihn aussagte. Doch Araya entdeckte auch Brot und getrockneten Fisch sowie gepökeltes Fleisch. Sie entschloss sich dazu, beides zu versuchen und stellte fest, dass sie Fisch gern aß. In der Heimat hatten sie nie das Geld gehabt, sich etwas von den Meerestieren zu kaufen.

Zwischen zwei von Murtaghs Bissen erklärte sie ihm, dass sie sich freuen würde, ihm ein wenig ihre eigene Sprache näherzubringen. Er nahm vor Überraschung den Brocken im Mund zu schnell zu sich und hustete schwer, während er sich selbst auf die Brust klopfte. Araya fürchtete schon, er würde ersticken, als er sich endlich beruhigte. „Wirklich?“, brachte er schwer atmend und keuchend hervor. Als er ihr Nicken sah, grinste er und fragte: „Wann fangen wir an?“

Sie ließ sich von seiner Vorfreude anstecken. „Ich werde mir etwas zu morgen überlegen.“
 

Am nächsten Tag, nachdem sie gerade zu Mittag gegessen hatten, begannen sie mit dem Unterricht. Obwohl Murtagh den Beginn schon auf den nächsten Tag verschieben wollte, weil Araya über Kopfschmerzen geklagt hatte, war sie hartnäckig geblieben. Mittlerweile verspürte sie auch nur noch gelegentlich die Nachwehen. Sie verlagerte ihr Gewicht in eine angenehme Sitzposition und sah Murtagh an, bis er ihr seine Aufmerksamkeit schenkte. „Ich habe mir gedacht, wir beginnen mit Sätzen, die man auch oft im Alltag anwenden würde. Vielleicht bleiben sie dir so besser in Erinnerung.“ Sie warf ihm einen auffordernden Blick zu und überließ ihm das Wort.

Murtagh brauchte nicht lange, um zu verstehen, dass sie Initiative von ihm erwartete. Er dachte einen Moment nach, dann nannte er ihr einen Satz. „Wie wäre es mit … »Ich komme in friedlicher Absicht und möchte niemanden verletzen«?“ Sie konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Alltäglicher Satz? Was glaubte er, in welcher Situation er ihn würde anwenden können? Trotzdem, sie tat ihm den Gefallen. „I come in peaceful faith and do not want to harm anyone”, übersetzte sie langsam und gemächlich, Betonungen auf wichtige Merkmale der Aussprache setzend. „Fangen wir mit der ersten Hälfte an: »I come in peaceful faith«. Die Worte sind in derselben Reihenfolge angeordnet wie in eurer Sprache.“

Murtagh blickte eine Weile an die steinerne Decke, dann wandte er seinen Blick wieder ihr zu und nickte. „Willst du es einmal wiederholen? Es gehört schließlich nicht nur verstehen zu einer Sprache.“ Widerwillig verzog er das Gesicht. Er schien sich noch genau daran zu erinnern, was geschehen war, als er das erste Mal versucht hatte, ihre Sprache nachzuahmen. „Ich lache auch nicht!“, versprach Araya und hielt wie zum Schwur eine Hand – mit der Handfläche in Murtaghs Richtung – in die Höhe. Er schien beruhigt und versuchte, die erste Hälfte des für einen Anfänger ziemlich langen Satzes zu sprechen.

Wie versprochen verbot Araya sich, zu lachen, so seltsam Murtaghs Akzent auch war. Sie versuchte, ihn so freundlich und aufmunternd wie möglich zu korrigieren und ihn schließlich zu einem weiteren Versuch zu animieren, während sie seine Fortschritte außergewöhnlich deutlich lobte. Sie wusste, dass ihr Verfahren dem beim Umgang mit einem Kind glich, doch was gekränkten Stolz betraf, waren wohl alle Männer Kinder. Außerdem schien es Murtagh gutzutun. Er behielt die richtige Aussprache bei und feilte an den Worten, die ihm noch nicht gelingen wollte. Als er den Satzteil einigermaßen verständlich zustande brachte, wiederholte Araya den zweiten Teil und wollte mit der Übersetzung beginnen, doch er unterbrach sie.

„Darf ich es versuchen?“ Ermunternd nickte sie. „Natürlich.“ Den ersten Teil übersetzte er vollkommen richtig, schlussfolgerte sogar aus Erinnerungen, dass »do not« und »don’t« identische Bedeutungen hatten und eine Verneinung darstellten, doch die letzten paar Worte brachen ihm metaphorisch den Hals. „»Harm« müsste dann »niemanden« und »anyone« »verletzen« bedeuten, nicht?“

Sie lächelte und überlegte sich derweil, wie sie es ihm am besten erklären sollte. Sie hatte über ein halbes Jahr Zeit gehabt, seine Sprache zu lernen, und war selbst erst auf derlei grammatikalische Stolperfallen hereingefallen. „Leider nicht. Es ist genau andersherum.“ Wie sie erwartet hatte, nahm Murtagh das nicht einfach hin. Er wollte verstehen, warum. Wirklich neugierig und wissensdurstig hatte Araya ihn bis zu diesem Tag noch nie erlebt. „Ich denke … Tätigkeitswörter werden – anders als in deiner Sprache – nicht getrennt. Sie bleiben zusammen und bilden eine Gruppe. Wie … wie der Schuppenpanzer eines Drachen. Alles andere wird arrangiert.“

Nachdem der vollständige Satz, der Murtagh vielleicht bei passender Gelegenheit das Leben würde retten können, von ihm in einem schwer akzentuierten Sprachgebrauch gemeistert worden war, beschäftigten sie sich weiter mit einfacheren Sätzen. Sie brachte ihm bei, wie er seine Person vorstellte, über sich erzählte, den Namen und Gemütszustand seines Gegenübers in Erfahrung bringen konnte und sich wieder verabschiedete.
 

Den darauffolgenden Tag verbrachten sie vorwiegend damit, Murtaghs neue Sprachkenntnisse zu trainieren. Immer wieder fing Araya ein Gespräch mit ihm an, in dem sie jeweils andere Situationen nachstellte. Sie musste feststellen, dass der junge Drachenreiter sehr aufnahmefähig und lernbereit war, sodass es ihm nach ein paar Ansätzen nicht mehr allzu schwerfiel, Araya Ausführungen zu folgen und selbst zwar noch etwas stockend, aber verständlich zu reden.

Am Abend lehrte sie ihn noch ein paar neue, oft gebrauchte Worte, bevor Murtagh sich verabschiedete und sie sich von ihren andauernden Schmerzen hinter ihrer Stirn erholen konnte. Araya hatte sie ihm verschwiegen, aus Angst, er würde sie den gesamten Tag allein im Hort zurücklassen. Auch, wenn sie vermutete, dass Cohen keinen Fuß mehr in den Hort setzen würde, selbst wenn sein Leben davon abhänge, war sie sich doch nicht sicher, wozu die Rache Menschen treiben konnte. Sie zweifelte nicht daran, dass er ihr die Schuld an seinen Verletzungen gab.

Doch Murtagh zu unterrichten war anstrengend genug, um sie in einen ausreichend tiefen Schlaf zu versetzen, der selbst die Schmerzen in ihrem Schädel ausblendete. Allerdings kehrte dieser mit neuer Schärfe und Heftigkeit am nächsten Morgen zurück und wurde auch nicht durch Wasser oder das Morgenmahl abgemildert. Als Murtagh sie an diesem Tag besuchen kam, waren die Schmerzen so heftig geworden, dass sie sie nicht mehr verbergen konnte.

Als Murtagh sie erblickte, zeichnete sich sofort Besorgnis auf seinem Gesicht ab. Sie sah, wie er einen flüchtigen Blick auf Dorn warf, der schon den ganzen Morgen über bei ihr geblieben war – was Araya nicht ohne Verwunderung über sich hatte ergehen lassen –, und sich seine Miene sofort weiter verdunkelte. Der Drache hatte ihn wohl darüber in Kenntnis gesetzt, dass es ihr schon seit dem Morgen schlecht ging. Als er zu ihr kam, warf er Dorn flüchtig im Vorübergehen einen wütenden Blick zu, bevor er sich ihr voll und ganz widmete.

„Die Schmerzen sind schlimmer geworden“, stellte er mit einem Blick fest und sein Tonfall vermittelte ihr, dass es keinen Sinn hatte, es zu leugnen. Das hatte sie aber auch nicht erwartet. Langsam und vorsichtig nickte sie, doch die Bewegung brachte Araya dazu, durch die entstandenen Schmerzen zusammenzusinken. „Dorn erzählte mir, dir ginge es schon seit heute früh nicht gut. Seit wann spürst du sie schon?“, fragte er weiter, weil von ihr keine weitere Reaktion gefolgt war. Sie hatte viel zu viel Angst gehabt, durch erneute Bewegungen nochmals die Empfindungen zu steigern.

Gequält lächelte Araya. Ihr blieb wohl nichts Anderes übrig, als das ganze Ausmaß ihrer dieses Leids hinter ihrer Stirn zu enthüllen. „Seit vorgestern“, antwortete sie knapp und wappnete sich vor Murtaghs Reaktion, wenn er begreifen würde. Sie wusste schon jetzt, dass er es ihr nachtragen würde, dass sie ihm etwas verschwiegen hatte. „Ich meinte eigentlich, seit wann die Schmerzen heute –“ Er brach abrupt ab.

Araya sah vorsichtig zu ihm auf, als keine weiteren Worte folgten, und musste erkennen, dass er sie wütend anstarrte. Was nicht anders zu erwarten gewesen war. Murtaghs Gesicht wirkte wie versteinert, als er anscheinend seine Sprache wiederfand. „Du hast seit zwei Tagen ununterbrochen Kopfschmerzen und sagst mir nichts davon?“, knurrte er mit zusammengebissenen Zähnen. Seine Kiefermuskeln traten überdeutlich hervor. Wahrscheinlich musste er sich zurückhalten, sie nicht anzuschreien, was ihm höchstwahrscheinlich nur gelang, weil er ihr Unbehagen nicht noch verstärken wollte.

Sie versuchte, ihn beruhigend anzulächeln und zu fragen, ob er glaube, etwas stimme nicht mit ihr, aber sie wurde von einer heftigen Schmerzwelle unvorhergesehen unterbrochen. Sie wurde so stark, dass Araya gar nicht anders konnte, als die Hände in ihren Haaren zu vergraben, die Augen krampfhaft zu schließen und den Schmerz herauszuschreien. Ihr gesamtes Blickfeld war rot. Schließlich ebbte ihr Schrei zu einem leisen Wimmern ab, als die Pein endlich ein wenig nachließ. Und obwohl Murtagh nicht einmal den gesamten Satz gehört hatte, antwortete er ihr auf ihre Frage. „Nein, mit dir ist alles in Ordnung.“

Sie blickte angesichts seines nüchternen Tonfalls auf. Er starrte mit verbissenem Blick gegen die Decke des Hortes. Araya folgte dem langsam, doch sie konnte nichts entdecken. Ob das, was ihre Schmerzen verursachte, dort oben war? Aber sie konnte beim besten Willen nichts finden; selbst, als sie schon eine Weile konzentriert das Gestein ansah. Erst nach einer Weile wurde ihr klar, dass sie dort auch gar nichts hätte sehen können und Murtagh wahrscheinlich symbolisch durch die Steinwand geschaut hatte. Verzweifelt stellte Araya fest, dass das anhaltende, quälende Pochen in ihrem Kopf anscheinend schon ihren Verstand beeinflusste. Es machte sie konfus und verhinderte klare Gedanken.

„Gibt es etwas, womit ich dir helfen kann?“, fragte Murtagh unvermittelt. Sie sah ihn verwirrt an. Ihr helfen? Wie sollte er? Als er begriff, dass sie nicht verstand, wurde sein Blick weicher. Der junge Drachenreiter konnte sich wahrscheinlich vorstellen, wie sich die zwei ruhelosen Tage auf ihre Psyche ausgewirkt hatten. „Um die Schmerzen zu lindern. Ich weiß, du hast Kenntnisse über Heilkräuter.“

Eine kurze Zeit lang schwirrte Araya der Kopf, als sie sich zu erinnern versuchte, was bei Schmerzen am besten helfen würde. Dann kam es ihr unvermittelt in den Sinn. „Weide“, murmelte sie. An Murtaghs verständnislosem Blick konnte sie erkennen, dass er sie nicht verstanden hatte. Araya sog einen langen Atemzug durch die Nase ein, bevor sie lauter wiederholte: „Weidenrinde. Ungefähr …“, sie hielt sich ihre Hände als Maßvorgabe vor das Gesicht und verglich sie mit Murtaghs, „zwei Handvoll davon auf einen Liter Wasser. Du übergießt sie mit kochendem und lässt es dann –“

Araya musste abbrechen, als eine erneute Welle des zerreißenden Gefühls in ihrem Kopf aufwallte. „Sechs Stunden kalt ziehen“, keuchte sie erschöpft und den Tränen nahe. Aber sie wollte es ertragen. „Der Tee wird noch einmal kurz aufgekocht und dann kann man ihn trinken.“ Sie war froh, die Ausführungen beendet zu haben. Ihre Stimme hallte in ihrem Kopf wider und verursachte ein zusätzliches Stechen. Kaum hatte sie geendet, sprang Murtagh auf die Füße. „ich bin in fünf Minuten zurück!“, versicherte er ihr und hatte den Hort schneller verlassen, als Cohen vor ein paar Tagen geflüchtet war.

Kurz fragte Araya sich, ob er ihr nicht zugehört hatte. Wie wollte Murtagh einen Tee, der sechs Stunden ziehen musste, in fünf Minuten zustande bringen? Doch dann entschied sie, dass ihre Gedanken ihr viel zu zähflüssig anmuteten, um ein Urteil über sein Handeln fällen zu können. Erschöpft ließ sie sich auf dem Boden zusammensinken und schirmte ihr Gesicht mit ihren Beinen vor dem künstlichen Licht ab. Araya schloss die Augen, um sich ein wenig auszuruhen, doch sie bemerkte selbst, dass sie bisweilen vor Schmerz heftig zuckte. Hoffentlich würde Murtagh sich wirklich derart beeilen.

Araya vernahm es sofort, als Murtagh in den Hort zurückkehrte. Der verborgene, steinerne Eingang schlug mit einer nie gekannten Kraft und Geschwindigkeit in den für ihn eingelassenen Hohlraum. Ein unbeschreiblicher Lärm schallte durch die helle Höhle, der sie dazu brachte, die Hände auf beide Ohren zu pressen. Kaum war das ohrenbetäubende Geräusch abgeklungen, stand Murtagh vor ihr. Seinem Gesicht nach zu urteilen, hatte er sich wirklich beeilt. Es war vor Anstrengung leicht gerötet und Murtagh selbst war außer Atem. Als Araya sich langsam und vorsichtig aufsetzte, bemerkte sie eine tönerne Tasse und eine wunderhübsche Kanne in seinen Händen. Als spüre er ihre Blicke darauf, goss er eine wohlriechende Flüssigkeit in den Becher und reichte ihn ihr.

Araya roch rein aus Gewohnheit daran und stellte mit Erstaunen fest, dass es tatsächlich der Weidentee war. Aber es waren doch niemals sechs Stunden vergangen! Sie hob verwundert den Blick zu Murtagh und sah, dass er sie aufmerksam beobachtete. Schon ihm zuliebe trank sie die Tasse in wenigen Zügen leer, woraufhin der Drachenreiter ihr übereifrig gleich nachgoss. Trotz der Schmerzen in ihrem Kopf konnte Araya nicht anders, als zu lachen, was auch Murtaghs Stimmung ein wenig zu heben schien. Nach der dreifachen Dosis des Getränks – eigentlich sollte immer nur ein Glas getrunken werden – ließen die Schmerzen langsam nach und Araya konnte sich wieder einigermaßen konzentrieren.

Erst jetzt wurde ihr klar, dass Murtagh den Übergang der Ingredienzien der Weidenrinde in den Tee mit Magie beschleunigt haben musste. Sie war unendlich dankbar dafür, keine sechs Stunden ausharren zu müssen. Das war ihm nur möglich gewesen, weil er ein Drachenreiter war. Diese Menschen, die eine Verbindung zu einem Drachen eingingen, waren schon außergewöhnlich, das musste sie zugeben. Und außerordentlich mächtig …
 


 

* Das hört sich seltsamer an, als es klingen soll … Wenn euch was Besseres einfällt: Immer her damit >_> [böse ihr Synonyme-Billig-Wörterbuch anstarr] Ich brauche das von DUDEN!!!! Glaub, ich wünsch es mir zu Ostern xD

Ach so, und: Habt Nachsicht mit mir, wie ich die englische Sprache erkläre. Ich wollte nicht mit Worten wie Verben, Prädikat, Subjekt und Objekt um mich werfen. Die wären auch völlig fehl am Platz gewesen. Wem trotzdem ein Fehler auffällt, kann ihn mir gern melden :D

Vergangenheit

Zuallererst bedanke ich mich natürlich bei allen treuen Lesern für ... na ja, dafür, dass ihr lest natürlich :D

Und jetzt hier viel Spaß mit dem (ziemlich späten Kapitel [Abi-Stress -.-]):

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Ihre erste klare Feststellung an diesem Tag ließ sie auf ein Paradoxon stoßen. Wenn Drachenreiter so mächtig waren, warum gab es dann nur so wenige von ihnen? Mehr aus Reflex als aus tatsächlichen Beweggründen schaute sie Murtagh an. Er hatte, seit er den Drachenhort betreten hatte, kein Wort mehr gesprochen. Araya vermutete, er wollte ihr Zeit geben, über die Schmerzen hinwegzukommen, und sie mit eigenen Worten nicht wieder hervorrufen. Auch Dorn hielt sich bereits den ganzen Tag zurück, wenn es darum ging, ihr seine Meinung zu übermitteln.

Murtagh war zwar ein Drachenreiter – und daher sicher auch mächtig –, aber er war auch ein Gefangener. Im Grunde, so dachte sie, war er für den König nicht mehr als ein Sklave, der willenlos die Befehle seines Herren auszuführen hatte. Als er ihr das erste Mal von dem Drachenreiter der Widerstandgruppe erzählt hatte, war sie nicht umhingekommen zu bemerken, dass in seiner Erzählung durchaus das Gefühl mitschwang, dieser neue Drachenreiter berge Hoffnung in sich.

Hier stieß sie auf die Grenzen ihres politischen Verständnisses. Und sie zweifelte nicht daran, dass sich diese Hoffnung auf Politik und Macht stützte, denn für Araya war sie bar jeder Logik. „Du, Murtagh?“, eröffnete sie vorsichtig das Gespräch, um ihn um Rat zu fragen. Allerdings erhielt sie von ihm nur ein abwesendes Geräusch. Er schien mit seinen Gedanken so weit fort zu sein, dass er zwar registrierte, angesprochen zu werden, jedoch nicht von wem.

„Die Varden haben einen Drachenreiter“, fuhr sie unbeirrt fort. Er konnte sie nicht ewig ignorieren, ganz davon abgesehen, dass er sich, um dem Gespräch zu folgen, zwangsläufig auf sie konzentrieren musste. Doch sie erhielt wieder nur ein zustimmendes Geräusch. Sie seufzte. „Du bist ein Drachenreiter.“ Als wieder keine vielversprechende Antwort sondern ein abwesender Laut folgte, verlor sie die Geduld. Sie hatte keine Schmerzen mehr, er konnte sich also ruhig mit ihr unterhalten!

Araya beugte sich zu ihm vor und schlug ihn leicht auf den Oberarm. „Und Galbatorix doch auch, oder?“ Sie schien ihn endlich aus seiner Trance gerissen zu haben, immerhin sah er sie nun an. Allerdings verriet sein Blick nicht, ob er der Unterhaltung – die bisher eher einseitig verlaufen war – gefolgt war oder nicht. Allerdings verlor sich sein irritierter Blick, als er sich zu erinnern schien. „Worauf willst du hinaus?“, fragte er und wandte augenblicklich seinen Blick wieder ab. Araya konnte daraus nur erraten, dass er wusste, was sie ihn fragen wollte. Sie sah den Unwillen in seinem Blick. Trotzdem wollte sie fragen. Was blieb ihr sonst? Es gab niemanden, der ihr ihre Fragen beantworten konnte, außer dem Mann vor ihr.

„Warum greift Galbatorix die Varden nicht einfach an?“, sprach sie schließlich ihre Vermutung aus. Wenn man es logisch anging, war Galbatorix im Kräfteverhältnis eindeutig bevorteilt. Er hatte nicht nur seine eigene, laut Murtagh fast unbegrenzte Macht, sondern auch noch ihn selbst – einen Drachenreiter, der gar nicht anders konnte, als ihm bis in den Tod zu folgen. Die Varden dagegen hatte nur seinen Halbbruder. „Weil in einem Krieg der Drachenreiter der Varden und sein Drache unweigerlich sterben würden“, antwortete Murtagh ihr schließlich doch widerstrebend. Kurz fragte sie sich, ob zwei Drachenreiter zusammen nicht genug Macht darstellten, um ein ganzes Land zu beherrschen, doch dann fügte er hinzu: „Er ist mit dem letzten weiblichen Drachen verbunden.“

Sie konnte sich denken, wen Murtagh mit »er« meinte. „Eragon, dein Halbbruder.“ Sie erhielt keine Antwort, aber das war auch nicht nötig. Sie verstand auch so. Galbatorix brauchte Eragon lebend, weil sonst sein Drache sicher den Verstand verlieren würde. Das sah sie allein an der Bindung, die zwischen Murtagh und Dorn gespannt war. Diese zu verlieren, musste schmerzhaft sein. Und wenn Eragons Drache der letzte weibliche seiner Art war, konnte Galbatorix‘ Ziel nur darin bestehen, mit einer Generation von ihm abhängiger Drachenreiter seine Herrschaft zu festigen und zu stabilisieren. Die Freiheit eines Jungen bestimmte das Schicksal eines ganzen Landes.

Als sie eine Weile schwieg, sah Murtagh irritiert auf. „Was ist?“, fragte er. „Ich habe mich nur gefragt, was für ein Mensch er ist. Immerhin ist er dein Bruder“, antwortete Araya resigniert. Er würde ihr nie etwas über seine Vergangenheit erzählen. Das letzte Mal hatte er es getan, um sie zu besänftigen und ihr sein unangebrachtes Verhalten zu erklären. Aber sie zweifelte daran, dass Murtagh gerne von sich aus über sein früheres Leben sprach. Er sprach ja kaum über die Gegenwart mit ihr.

„Mein Leben hat mich an diesen Ort geführt, deshalb bevorzuge ich es, nicht darüber zu reden.“ Sie fühlte sich nur unnötig bestätigt. Araya brachte ein Nicken zustande, ohne allzu verletzt zu wirken. Allerdings weckte diese Haltung Murtaghs in ihr das Gefühl, dass er ihr entweder nicht genügend vertraute, um ihr seine gehütete Vergangenheit anzuvertrauen – ihr, der Galbatorix nichts hätte entreißen können –, oder dass er sich einfach ihr gegenüber nicht dazu überwinden konnte. Egal, welche der beiden Optionen zutraf, es zeigte, dass etwas in Murtagh sich ihr gegenüber zurückhielt.

„Aber …“, setzte er erneut an, sodass Araya aufsah und ein beinahe erleichtertes Lächeln auf seinen Zügen erkannte, „Ich könnte dir von der Zeit erzählen, in der ich mit Eragon gereist bin. Über meine verzweifelte Flucht vor Galbatorix, die mich letztendlich doch nur wieder zu ihm trieb.“ Als wäre eine schwere Last von ihren Schultern gefallen, konnte auch Araya sich eines befreiten Lächelns nicht erwehren. Sie hatte erlebt, wie ungern Murtagh über seine Kindheit sprach, und umso erstaunter war sie darüber, wie bereitwillig und beinahe freudig er ihr von seiner Zeit mit seinem Halbbruder erzählte.

Von dessen Rettung in einer Stadt namens Gil’ead über die Flucht durch die Wüste Hadarac, zu der er erst mit Engelszungen hatte überredet werden müssen, da er sich sicher gewesen war, dass sie verdursten würden. Schließlich von der Ankunft nahe des Beor-Gebirges, der Armee von Urgals – was auch immer diese Wesen waren – und der Ankunft in Farthen Dûr. Er erzählte, wie man ihn als Bedrohung eingestuft und eingesperrt hatte, bis er sich bei der großen Schlacht um Tronjheim hatte beweisen dürfen und Eragon dabei half, einen Schatten – ähnliches galt wie für die »Urgals« – zu töten. Schließlich berichtete er von dem Verrat zweier Magier, bekannt als »die Zwillinge«, und seiner Entführung. Murtagh erzählte ihr außerdem von Streit und Lachen mit seinem Halbbruder und von ihrem allabendlichen Kräftemessen im Schwertkampf, das meist als Unentschieden endete.

Araya brachte es nicht fertig, bei Murtaghs lebendigen Darstellungen nicht mit ihm zu lachen. Die Freude, die durch ihre Adern strömte, tat ihr gut und sie hatte das Gefühl, dass auch der junge Drachenreiter gelöster schien. Sie konnte nur vermuten, wie es für Murtagh war, sich nach einer Zeit allgegenwärtigen Misstrauens einer fast fremden Person anzuvertrauen. Doch durch diesen Akt des Glaubens versicherte er ihr nur, dass sie sich nach einer relativ kurzen Zeitspanne nahe genug standen, um sich auf den anderen in jeder Situation verlassen zu können. Und dieses Wissen gab nicht nur ihm Halt. Araya brauchte ihn mindestens genauso sehr.

„Manchmal dachte ich, er mache das ganze absichtlich, doch irgendwann begriff ich, dass er einfach unbeholfen war und nicht auf sich selbst achten konnte“, erzählte Murtagh ihr schließlich von den zahlreichen Situationen, in denen er seinen Bruder hatte retten müssen. Nicht nur aus seinen Worten, sondern auch aus seinem Tonfall sprach die damalige Skepsis, sodass Araya sich gut in die Geschehnisse einfühlen konnte. Allerdings stellte er nun vergangene Ereignisse dar und ließ somit auch seine positiven Gefühle für diesen unachtsamen Jungen, von ihm selbst unbemerkt, mit einfließen.

„Du magst ihn sehr, oder? Deinen Bruder“, füllte sie die Stille, die Murtaghs Denkpausen hervorriefen. Er sah ihr mit einer Ruhe und Gelassenheit in die Augen, die sie bis jetzt nur vereinzelt bei ihm erlebt hatte. Auch er musste sich ständig vor dem König in Acht nehmen und konnte somit selten Entspannung finden. Schließlich zuckte er mit den Achseln. „Ich durfte ihn nie als Bruder kennenlernen. Ich weiß nicht, wie es ist, sich um einen jüngeren Bruder zu kümmern und zu sorgen. Und jetzt bin ich hier: Galbatorix‘ Gefangener und sein Werkzeug.“ Araya verstand ihn wohl besser, als Murtagh es vermuten würde. Immerhin war auch sie von ihrem Bruder getrennt worden, gegen ihren Willen und von demselben Mann. Bevor Araya ihn jedoch darauf hinweisen konnte, dass Murtagh in der Tat kein Werkzeug war, sprach er weiter.

„Manchmal denke ich, wenn ich mich seiner dunklen Macht ergeben würde … Dann wäre vieles einfacher.“ Seine Stimme klang dunkel und auch Murtaghs Gesicht hatte sich sichtlich verfinstert. Sie konnte sehen, dass ihn diese Gedanken innerlich zerfraßen, dass sie eigentlich nur ein Ausdruck seiner Selbstzweifel waren. Sie selbst kannte sich mit Zweifeln an der eigenen Person gut aus. Doch sie wurde von einem Geräusch hinter sich abgelenkt, bevor sie antworten konnte. Den Mund schon geöffnet, drehte Araya ihren Kopf in die Richtung, aus der das schabende Geräusch gekommen war. Dorn hatte seinen Kopf gehoben und starrte seinen Reiter an.

Einen Moment lang wog Araya die Möglichkeit ab, dass selbst er nichts von diesen tiefsten Gedanken Murtaghs gewusst hatte, doch sein Blick wirkte nicht verwirrt, sondern verwundert. Er schien sich zu fragen, warum der Drachenreiter ihr dies erzählt hatte. Araya tat es ja ebenfalls. Doch dann wandelte sich der Blick in den Augen des Drachen und er wandte ihr selbst den Kopf zu. Antworte ihm, erklang seine Stimme, ungewöhnlich sanft und aufmunternd, und obwohl es ein Befehl gewesen war, fehlte ihm die Nachdrücklichkeit, mit der er sie sonst in Bewegung hielt.

Araya bereitete sich auf eine abweisende Antwort auf das vor, was sie ihm gleich antworten würde. Fest sah sie Murtagh in die Augen, der unruhig ihrem Blick auszuweichen versuchte. Anscheinend schämte er sich für seine Gedanken. Dafür, dass er es sich leichter machen wollte. So gut kannte Araya ihn schon, um zu wissen, dass er es nicht ertrug, sich selbst das Leben zu vereinfachen, wenn andere nicht die Möglichkeit dazu hatten. „So darfst du nicht denken!“, begann sie in einem strengeren Tonfall als gewollt. „Genau das will er doch. Aber glaube mir, wenn du in diesen Abgrund springst, gibt es nichts mehr, dass dich auffangen oder retten wird.“ Araya hatte es erwartet. In Murtaghs Gesicht schlich sich Skepsis. Aber sie würde in diesem Fall wohl auch nicht anders reagieren. Wenn ihr jemand eine Lehre über die Hölle vor dem Tod erteilen wollte, der selbst diese Erfahrung nicht durchgemacht hatte.

Aber Murtagh war nicht der Einzige, der solchen Gedanken verfallen war. Oft hatte sie gedacht, ob nicht alles besser werden würde, würde sie dem König nur das geben, was er wissen wollte. Doch dann war ihr in den Sinn gekommen, dass sie überhaupt nicht wusste, was er suchte, ganz abgesehen von dem Stolz, den jeder aus Drakon-Ryuu schon als Kind vermittelt bekam. Und dann war sie einer anderen Dunkelheit verfallen, heraufbeschworen von der sie umgebenden. Araya schloss die Augen und holte tief Luft. Sie wappnete sich innerlich auf das folgende. Dann öffnete sie langsam wieder ihre Augen, starrte erst auf den erdigen Boden des Hortes, entschied sich dann aber dazu, Murtagh dabei in die Augen zu sehen.

Noch einmal nahm sie einen tiefen Atemzug und blinzelte. „Ich wollte sterben.“ Araya hörte, wie Dorns Schädel zu ihr herumflog, doch sie schenkte dem Drachen keine weitere Beachtung; sie konnte die Veränderung in Murtaghs Gesicht wie im verlangsamten Tempo mitverfolgen. Zuvor hatte er sie noch angesehen, als wollte er nicht glauben, dass sie seine Gefühle nachvollziehen könne. Doch nach ihrer Enthüllung gab sein Gesicht völlig andere Emotionen wieder. Spontan zeigte sich seine Überraschung. Er riss die Augen auf und zog gleichzeitig die Augenbrauen nach oben. Sein Mund öffnete sich wie zu einer vorzeitigen Antwort, schloss sich aber genauso schnell wieder. Dann ging ein Ruck durch Murtaghs Körper und sie erkannte Schrecken darin.

Sie konnte nur vermuten, warum er erschrocken über dieses Detail ihrer Gefangenschaft sein sollte. Immerhin hatte er mehr erleiden müssen als sie selbst. Entweder, es verunsicherte ihn, dass sie heute genauso gut tot sein könnte und sie sich niemals getroffen hätten, oder er konnte sich nicht vorstellen, dass man je – oder speziell sie – so weit gehen konnte, das eigene Leben zu beenden. Denn genau das hatte in ihrem Tonfall unmissverständlich mitgeklungen. Die Aussage, sterben zu wollen, sagte nur aus, dass man an die seelische oder körperliche Belastungsgrenze gestoßen war. Doch Araya hatte weder in ihrer Körpersprache noch in ihrer Tonlage Platz für Zweifel daran gelassen, dass sie es tatsächlich versucht hatte.

„W-Was? Wie? Warum?“, stammelte Murtagh in unglaublicher Geschwindigkeit. Er schien selbst nicht zu wissen, was er zuerst erfahren wollte, also nahm Araya ihm diese Entscheidung ab. „E-Es war immer so dunkel.“ Sie selbst stockte im Satz. Dieses Thema nahm sie mehr mit, als sie es erwartet hatte. „Niemand sonst war da. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Ich sah immer nur sein Gesicht. Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten!“, rief sie schließlich, als sie die Gefühlsaufwallungen nicht mehr verbergen konnte. Nahezu gleichzeitig setzten die Kopfschmerzen in gedämpfter Stärke wieder ein.

Araya konnte Murtaghs entsetzten Augen nicht mehr standhalten. Er schien nicht glauben zu wollen, dass sie diesen Schritt tatsächlich getan hätte. Doch sie wusste noch genau, dass sie damals keinen anderen Ausweg gesehen hatte. „Ich hatte am gesamten Körper Brandwunden, die von den Heilern hier behandelt worden waren. Ich nahm mir selbst die Verbände ab und –“, unbewusst fuhr sie mit ihren Nägeln über ihre Arme, die Stellen, an denen sie die Wunden immer zuerst geöffnet und mit Erde verunreinigt hatte. Alles in der Hoffnung, an einer Infektion zu sterben. Doch sie hatte die Heilungsverfahren dieses Landes unterschätzt. Diese Männer hatten sie sogar soweit regeneriert, dass nicht einmal Narben zurückgeblieben waren.

„Als das nichts nützte, vergrub ich das Essen, das man mir brachte, und verweigerte die Wasseraufnahme. Doch als ich nicht einmal mehr stehen konnte, ergriffen sie Maßnahmen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich es aufgegeben und beschlossen, auf den Tod zu warten, bis er meinen Weg kreuzen möchte.“ Sie sah auf. Murtaghs Augen blickten sie sanft und verständnisvoll an. Araya könnte ihre Dankbarkeit dafür selbst dann nicht ausdrücken, fände sie je Worte dafür. „Kurze Zeit später kamst du.“ Ein leichtes Schimmern trat in seine Augen. Er hatte wohl begriffen, dass er es schließlich gewesen war, der ihr einen neuen Lebensinhalt und somit einen Grund zum Überleben gegeben hatte. Der sie endgültig dem Tod entrissen hatte.

„Mach so etwas nie wieder!“, verlangte er ernst und mit einem besorgten Unterton in der Stimme. Araya lachte, obwohl es zu dieser Situation nicht so recht passen wollte. Unwirsch fügte Murtagh hinzu: „Ich meine es ernst. Versprich es mir!“ Sie legte den Kopf schief. Der Drachenreiter schien doch noch mehr Befürchtungen über ihren seelischen Zustand zu haben, als sie angenommen hätte. „Dazu besteht kein Grund mehr. Ich habe schließlich schon ein Versprechen gegeben. Mutter sagte immer, auch Frauen hätten Ehre.“ Murtagh seufzte. Die Anekdote ihrer Mutter schien ihn nicht aufzumuntern. „Trotzdem“, erwiderte er und setzte dann leiser hinzu: „Bitte.“

„Ich verspreche es dir“, brachte sie ohne Zögern heraus. Das schien Murtagh schließlich vollständig zu überzeugen. „Wie geht es deinem Kopf?“, fragte er letztendlich, wahrscheinlich, um entschieden das Thema zu wechseln. Als sie antwortete, dass der Kopfschmerz in stark abgeschwächter Form vor nicht allzu langer Zeit zurückgekehrt war, hatte Murtagh die kleine Tasse schneller mit dem guttuenden Tee gefüllt und alles erwärmt, als Araya es je für möglich gehalten hätte. Lachend wollte sie gerade ablehnen und ihm erklären, dass sie eigentlich schon viel zu viel von dem Tee getrunken hatte, doch der Drachenreiter war nicht nur stur, sondern auch unerbittlich. Araya musste annehmen.

Kaum hatte sie das Trinken beendet und Murtagh für ihn anscheinend ausreichend versichert, der Schmerz sei sofort wieder verschwunden, ruckte dessen Kopf plötzlich in die Höhe. Der Drachenreiter warf einen wütenden Blick auf die Decke des Hortes, während Dorn fast augenblicklich nervös zu werden schien. Araya hatte nichts vernommen und konnte ihre Reaktionen dementsprechend nicht nachvollziehen, doch als Murtagh ihren verwirrten, umherwandernden und suchenden Blick sah, lächelte er wie zuvor. „Ich halte dir den Tee warm, falls die Schmerzen über Nacht zurückkehren“, erklärte er und erhob sich. Er wandte sich gerade dem Eingang zu, als Araya ihn zurückhielt.

„Warte! Wo willst du hin?“, rief sie ihm nach, da Murtaghs lange Schritte ihn schon ziemlich weit von ihr fortgetragen hatten. Er wandte sich ihr zu und antwortete nur: „Es ist schon spät. Morgen wird sicher ein ereignisreicher Tag. Du solltest schlafen und dich erholen.“ Verwunderung wallte in Araya ob der Tageszeit auf. War es wirklich schon Nacht? Sie konnte die Übergänge der Tage nur durch Murtaghs Kommen und Gehen bestimmen. Trotzdem spürte sie, dass er etwas vor ihr zurückhielt. „Murtagh, du selbst missbilligst es, wenn ich dir meine Probleme vorenthalte. Warum tust du dann dasselbe?“, fragte sie ihn letztendlich nur, um ihm seinen Widerspruch zu verdeutlichen, doch er reagierte anders, als sie erwartet hatte.

Anstatt zu lächeln und ihr zu sagen, dass es etwas Anderes sei oder gar zu lügen, antwortete er ihr freiheraus. Scheinbar wollte er Fehler vermeiden. „Galbatorix ruft mich. Ich wäre gern noch länger geblieben.“ Mit diesen Worten verschwand er endgültig schnellen Schrittes aus dem Hort. In diesem Moment wünschte Araya sich, sie hätte nicht nachgefragt. Kaum, dass er gegangen war, machte sie sich Sorgen. Wenn Galbatorix nun seine Gedanken erneut lesen wollte? Würde Murtagh dieses Mal erfolgreicher sein oder wieder bestraft werden? Sie konnte es nicht sagen, und das machte sie wahnsinnig. Doch sie versuchte, sich selbst gut zuzusprechen, auf Murtagh Fähigkeiten zu vertrauen und bei der Göttin zu hoffen. Vielleicht würde man ihr ja Gehör schenken.

Um Murtaghs Rat zu folgen und sich früh schlafen zu legen, erhob Araya sich langsam und schwerfällig. Sie hatte heute den gesamten Tag gesessen, Murtaghs Erzählungen gelauscht und ihm von ihr selbst erzählt. Araya war mehr Bewegung gewohnt. Sie spürte regelrecht, wie ihre Glieder von Tag zu Tag schwerer wurden, weil sie nicht genug herumlief. Allerdings war es auch nicht sehr motivierend, immer im Kreis zu laufen und dieselben eintönigen Wände zu betrachten. Sie hätte nie gedacht, dass sie sich einmal so nach der Natur sehnen würde. Selbst nach Regen.

Langsam machte Araya sich zu ihrem Schlaflager auf, als Dorn sich hinter ihr regte. Allerdings beschloss sie, den Drachen wohlweißlich zu ignorieren, um mit ihm keinen Streit zu beginnen. So sehr, wie er sich zurzeit ihr gegenüber zurückhielt, mussten seine Gefühle in ihm geradezu brodeln. Sie hatte sich ja schon vorhin gewundert, dass seine Stimme den sonst so befehlenden Ton ihr gegenüber abgelegt hatte. Sie bezweifelte, dass es ewig so weitergehen würde. Araya wusste nur zu gut, dass Drachen oft dazu neigten, Menschen wie Kinder zu behandeln, weil sie die Erinnerungen ihrer Vorfahren teilten.

Araya hatte sich eben auf den weichen Decken ihres Lagers niedergelassen, die Beine von sich gestreckt und die Hände hinter sich ihren Körper stützend, als sie sich nach Dorn umsah. Er war am Rande der tieferen Schatten stehengeblieben, das verdunkelte Licht ließ seine Schuppen seltsam stumpf aussehen. Er schien kurz zu wittern, dann wandte er ihr zielsicher seinen Kopf zu. Du schläfst bei mir!, verkündete er, ließ sich geräuschvoll an der Stelle nieder, wo er vor kurzem noch gestanden hatte und wandte den erwartungsvollen Blick nicht mehr von ihr ab.

Da war er wieder, der harsche Unterton in seiner Stimme, der keinen Widerspruch zuließ. Einen Augenblick versuchte Araya, sich zu behaupten, indem sie zu ihm zurückstarrte und sich demonstrativ nicht von der Stelle rührte, doch ein aggressives Knurren, bei dem der Drache kleine Rauchwolken aus seinen Nüstern emporsteigen ließ, rief ihr ihren Respekt vor diesen durchaus gefährlichen Tieren wieder ins Gedächtnis.

Seufzend erhob Araya sich möglichst laut, damit Dorn auch bemerkte, dass sie seinem Willen folgte, und nicht beschloss, andere Maßnahmen zu ergreifen. Sie raffte die vier Decken, die ihr Lager bildeten, zusammen und versuchte, sie unter ihren Armen zu verstauen, sodass sie noch sah, wo sie ihre Füße hinsetzte, und problemlos laufen konnte. Nachdem ihr dies gelungen war, begab sie sich langsam zu Dorn und ließ die Decken einfach fallen. Natürlich waren sie ihre Luxusgüter, doch sie wollte ihm zeigen, dass sie nicht damit einverstanden war, wie er sie herumkommandierte. Selbst, wenn sie dabei aussah wie ein trotziges Kind.

Dorn schnaubte nur unbeeindruckt und wandte schließlich seinen Blick ab. Allerdings wartete er, bis sie sich drei der Decken wieder als Unterlage zurechtgelegt und sich darauf niedergelassen hatte, bevor er seinen Kopf auf die Erde bettete. So lag Araya also Seite an Seite neben dem großen, roten Drachen und verstand den Sinn der Sache nicht. Aber wahrscheinlich musste sie das auch gar nicht. Obwohl es nicht allzu spät war, schlief Araya doch zügig ein. Die anhaltenden Kopfschmerzen hatten sie genügend erschöpft, und auch die Unterhaltungen mit Murtagh waren nicht leicht gewesen. Das unerträglichste war für sie allerdings, dass sie schon genau wusste, was sie träumen würde.
 

Das schabende Geräusch der Felswand oberhalb der Treppe ließ sie schließlich wieder aus den eisigen Gewässern auftauchen. Araya machte sich genügend Sorgen um Murtagh, um ihren Körper auf das kleinste Geräusch, das seine Ankunft ankündigen könnte, zu fixieren. Als sie vollständig in ihr Bewusstsein und ihren Körper zurückgekehrt war, wunderte Araya sich erst, warum ihr nicht so kalt wie gewöhnlich war. Es war zwar kühl, und sie zitterte, aber doch nicht unangenehm. Erst, als sie die Augen öffnete, erkannte sie den Grund.

Ein rotes Zelt war über ihren Kopf gespannt und färbte das wenige, durchdringende Licht rosarot. Verwirrt starrte Araya es an und fragte sich, wie es dorthin gekommen war, als das durchscheinende Gebilde plötzlich zur Seite geschoben wurde. Dahinter erschien Murtaghs lächelndes Gesicht. Als sie seine so fröhliche Stimmung erkannte, war ihr, als fielen all ihre Sorgen und Ängste um ihn von ihr ab. Ihm schien es immerhin gutzugehen, bestens, wenn man dem Funkeln in seinen Augen Glauben schenkte.

Araya setzte sich auf und Murtagh reichte ihr helfend eine Hand, während er ihr ein „Guten Morgen“ zukommen ließ. Ohne zu zögern nahm sie sein Angebot an, während sie seinen Gruß erwiderte, und wurde mit einem Ruck in den Stand befördert. Erst jetzt wurde ihr klar, dass sie die Nacht unter einer von Dorns Schwingen und nahe seinem schuppenlosen Bauch verbracht hatte, was in Araya das Gefühl auslöste, dass der junge und doch so große Drache sie vielleicht doch nicht so sehr ablehnte, wie sie immer gedacht hatte.

Lange konnte sie sich nicht mit dieser Erkenntnis auseinandersetzten, denn Murtagh übergab ihr ein kompaktes Bündel. Verwirrt starrte sie es an und erkannte Kleidung und Schuhe darin. „Zieh das an, ja?“, forderte Murtagh sie auf und zeigte bekräftigend in Richtung des Flusses. „Darunter ist auch Seife, du kannst dir also Zeit lassen und dich waschen. Ich hole inzwischen etwas Essbares. In der Dienerschaft hat sich der Vorfall von neulich herumgesprochen; niemand will mehr hierherkommen.“

Er lachte ausgelassen und ignorierte Arayas Fragen. Sie wollte ihn gerade zurückrufen, als er auch schon so schnell verschwunden wie er auftaucht war. Dorn war inzwischen ebenfalls erwacht – er musste wohl die Anwesenheit seines Reiters gespürt haben – und amüsierte sich über ihre vergeblichen Versuche, Murtagh dazu zu bewegen, ihr den Grund für die neue Kleidung und vor allem die Schuhe zu verraten. Für die Information, dass sich die Diener nicht mehr in den Drachenhort wagten, hatte er nur einen trockenen Kommentar übrig: Das ist auch gut so; beweist, dass sie nicht völlig ohne Verstand geboren wurden.

Ihn ignorierend – so, wie es Murtagh gerade mit ihr getan hatte – verschwand sie im Dunkel der Schatten beim Fluss und folgte somit in kürzester Zeit zum zweiten Mal Murtaghs Aufforderungen. Was für sie selbst nur bedeutete, dass sie ihm genügend vertraute, um zu wissen, dass er ihr keinen Schaden zufügen wollte. Wie der Drache darüber dachte, wollte sie gar nicht wissen; sie konnte es sich ohnehin denken. Einen Augenblick suchte sie zwischen der Kleidung noch nach dem versprochenen Stück Seife, dann zog sie sich eilig das braune Kleid über den Kopf, als sie es gefunden hatte. Araya wusch sich ausgiebig in dem ihr vertrauten, kalten Wasser und stieg erfrischt und ein wenig frierend wieder aus der sanften Strömung. Sie hatte es sich nicht nehmen lassen, auch ihr Haar zu säubern, das jetzt zwar nass, dafür aber wohlriechend war.

Schließlich wandte sie sich der von Murtagh gebrachten Kleider zu. Unterwäsche war keine dabei, und da Araya nicht gezwungen sein wollte, wieder in ihre alte zu steigen, entschloss sie sich, ohne auszukommen. Ihr war zwar nicht gerade wohl dabei, doch sie versuchte sich zuzusprechen, dass es ja niemand zu erfahren brauchte. Letztendlich stellte sich Arayas Entscheidung als genau richtig heraus, denn als sie die einzelnen Kleidungsstücke voneinander trennte, erkannte sie darin ein Hemd, ein Wams aus festem Leder, ähnlich wie Murtagh es immer trug, und zu ihrem großen Erstaunen auch eine lederne Hose. Für Araya war es eine neue Erfahrung, solche Kleidung anzulegen, da diese ja eigentlich für Männer bestimmt waren. Aber dank ihres Bruders, dem sie früher beim Ankleiden hatte helfen müssen, wenn ihre Mutter einmal keine Zeit hatte, wusste sie, wie sie das zu bewerkstelligen hatte.

Als sie fertig war und ihr feuchtes Haar aus dem Hemd zog, um es wieder über ihren Rücken fallen zu lassen, kehrte Murtagh zurück. Sie hörte es an dem mittlerweile bekannten Schaben des Felseneingangs. Gerade, als sie selbst die Schatten verließ, trat Murtagh aus dem runden Tor in den weitläufigen Hort. Sein Blick haftete sofort auf ihr. „Und? Passt es?“, fragte er sie, aber Araya selbst konnte es nicht sagen. Sie zuckte mit den Schultern und antwortete: „Ich weiß nicht so recht.“ Murtagh schien zu verstehen, denn er stoppte und ließ seinen Blick genauer über sie gleiten. Dann nickte er zufrieden. „Wie angegossen“, beschied er ihr.

Im künstlichen Licht des Hortes, das es ihr möglich machte, auch sich selbst zu betrachten, sah sie nun an sich herab. Es war in seltsames Gefühl, die eigenen Beine in Hosen zu sehen. Als Frau hatte sie anderes gelehrt bekommen. Ihre Mutter hatte ihr tunlichst mit Strafen gedroht, sollte sie sie jemals in Männersachen sehen. Sie hatte befürchtet, Arayas Zeit mit ihrem Vater könnte ihr sexuelles Selbstbild gefährden und sie irgendwann auf die Idee kommen lassen, sie wäre viel lieber ein Sohn. Dementsprechend verkörperte sie genau jetzt die albtraumhaften Vorstellungen ihrer Mutter. Araya fühlte sich wie ein kleines Kind, das jederzeit Strafe seiner Eltern zu erwarten hatte. Ihr war unwohl zumute.

Murtagh schien die Veränderung in ihrem Blick nicht zu entgehen. „Was ist?“, fragte er mit verwirrter Stimme. Ohne aufzusehen – zu sehr war Araya vom Anblick der Hosen fasziniert, als würden sie sich plötzlich in etwas Anderes verwandeln, starrte sie sie nur lange genug an – erwiderte sie benommen: „Ich habe noch nie in meinen Leben Hosen getragen.“ Auf seinen verständnisvoll klingenden Laut hin, blickte Araya schließlich doch auf. „Also, warum bringst du mir neue Kleidung?“, fragte sie ihn misstrauisch. Vor allem die Lederstiefel, die durchaus wertvoll wirkten, erweckten ihren Argwohn.

Murtaghs geschlagen klingendes Seufzen bestätigte nur ihren Verdacht. Langsam stellte der Drachenreiter den Korb ab, in dem sich wohl ihr Morgenmahl befand, und richtete seine volle Aufmerksamkeit auf sie. Vollkommen zusammenhangslos registrierte Araya, dass Dorn verschwunden war. Doch dann konzentrierte sie sich wieder auf den jungen Mann vor sich.

„Galbatorix will mich auf eine Mission schicken, und da du sonst wieder im Kerker gelandet wärest, habe ich ihn überredet –“, begann er, zu erklären, doch als Araya den Sinn seiner Worte erfasste, durchströmte sie solch eine Euphorie, dass sie ihn einfach unterbrechen musste, wollte sie nicht platzen. „Wir machen einen Ausflug?! Ich darf hier raus?“, rief sie freudig aus und wartete angespannt auf seine Antwort. Murtagh schwieg noch einen Augenblick, ihr nervöser Zustand schien ihn zu verwundern oder vielleicht war es auch ihre schnelle Auffassungsgabe, doch letztendlich nickte er langsam lächelnd.

Im nächsten Augenblick zuckte er erschrocken zusammen, bevor er sie mit einem Blick anstarrte, der absolute Verblüffung ausdrückte. Als Araya die Bestätigung für eine, wenn auch nur kurze, Weile außerhalb des Palastes erhalten hatte, konnte sie einen lauten Freudenschrei nicht mehr zurückhalten. Die auf einen Schlag freigesetzte Energie suchte sich ihren Weg nach draußen, und sie wusste sich nicht anders zu helfen, als euphorisch zu schreien und vor Glück zu springen und sich um ihre eigene Achse zu drehen; völlig ohne Sinn und Verstand. Für sie waren diese Augenblicke ein einziger Freudentaumel. Dann wurde sie gewahr, dass Murtagh sie anstarrte, was ihren Verstand wieder soweit abkühlte, dass sie sofort aufbrechen wollte.

„Gehen wir!“, keuchte sie, doch Murtagh reagierte anders, als sie erwartet hätte. Anstatt ihr zuzustimmen, lächelte er sie belustigt an. „Willst du nicht vorher vielleicht etwas essen?“ Demonstrativ hob er den Korb hoch. Ohne wirklich darüber nachzudenken, starrte Araya das leblose Ding in Grund und Boden. Schließlich verzögerte es nur den Aufbruch in eine relative Freiheit. Ihre Ungeduld schien Murtagh zu amüsieren, denn kaum hatte er ihren Blick gedeutet, lachte er laut auf. „Komm schon, setz dich“, forderte er sie auf und setzte sich seelenruhig auf den erdigen Boden und entleerte den geflochtenen Saboteur.

Das Essen war wie vorauszusehen war, ziemlich kurz. Araya wollte so schnell wie möglich an die frische Luft und schlang dazu ihr Essen beinahe hinunter. Murtagh hatte als nette Geste sowohl Joghurt als auch verschiedene Früchte und Haferflocken mitgebracht, doch Araya war viel zu fokussiert, um darauf zu achten. Sie hatte Glück, dass der junge Drachenreiter einem ähnliches nicht übel nahm. Sie war schon lange fertig, als Murtagh endlich sein Morgenmahl beendete. Wie vor einigen Tagen schon hatte sie ihn ungeduldig bei jedem Bissen beobachtet, doch dieses Mal half es ihm nicht, sich darüber zu beschweren. Sie wollte ihm zwar nicht den Appetit verderben – obwohl er so zwangsläufig auch schneller fertig geworden wäre –, doch Araya war sich sicher, jeder andere in ihrer Situation hätte ähnlich reagiert. Schließlich fand Murtagh ein Gutes an seiner Lage: Er amüsierte sich köstlich über ihre ihm bisher unbekannte Ungeduld.

Zu Arayas Erleichterung ließ er den Korb am Boden stehen, mit der Begründung, ein Diener würde ihn holen, wenn sie fort wären. Verständlich, denn dann hauste hier weder der rote Drache noch die seltsame Gefangene. Kaum hatte Murtagh das Signal zum Aufbruch gegeben, lief Araya hastig und in dem gemäßigtstem Tempo, das sie zustande brachte, die Treppen zum versteckten Portal hinauf. Sie war lange vor dem Drachenreiter da und legte ihre Hand auf den nackten, kalten Fels, als könne sie selbst Magie wirken und ihn so bewegen. Murtaghs Augen funkelten, als er sie so stehen sah. Araya trat zur Seite, um ihm Platz zu machen, doch als er gerade die Hand auf die kleine Vertiefung gelegt hatte, entfernte er sie wieder.

Irritiert sah sie ihn an und erkannte, dass auch Murtagh seinen Blick auf sie gerichtet hatte. Mehr aus Reflex denn aus wirklichem Kalkül legte sie den Kopf schief. Er schien noch kurz zu zögern, sich dann aber zu überwinden. „Araya, bevor wir gehen, muss ich dir etwas sagen.“ Murtagh wirkte stark verunsichert und um zu verhindern, dass er es sich anders überlegte, nickte sie, obwohl fraglich war, dass er es wirklich in dieser Dunkelheit sah. „Ich habe ihm erklärt, dass du dich durch den Aufenthalt in der Natur sicher mehr öffnen würdest und das Freiheitsgefühl förderlich für unsere Beziehung sei, um dich so besser … du weißt schon.“ Selbst durch die Dunkelheit spürte sie seinen besorgten Blick, der von seiner verunsicherten Stimme nur noch unterstrichen wurde. Dachte er etwa immer noch, solche Lappalien würden sie ihre Meinung ändern lassen? Sie lächelte ihn fröhlich und beruhigend an, als sie sagte: „Keine Angst, ich vertraue dir.“ Auch er schien es gesehen und verstanden zu haben, denn Murtagh atmete hörbar auf. Dann legte er mit neuer Bestimmtheit seine Hand auf die Kuhle und murmelte: „Also dann …“ Es folgten Worte der Alten Sprache, und der Fels öffnete den Blick auf den Thronsaal, in dem Galbatorix schon auf seinen Reiter und seine Gefangene wartete.

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Ausnahmsweise mal ein Nachtrag: Ich habe manchmal das Gefühl, dass ich in meinem Schreibstil ziemlich schwanke. Sollte euch das auffallen, dann sagt es mir bitte, nicht einfach hinnehmen. Ich kann dann versuchen, es auszubessern ;)
 

Freue mich, euch im nächsten Kapitel wieder begrüßen zu dürfen,

LG Mara

Gebunden

Es tut mir unendlich leid, dass es verflucht nochmal so lange gedauert hat, aber leider hatte ich während meiner freien Zeit den blödesten Einfall ever: One Piece anschauen. Und das Zeug suchtet, vor allem, wenn man über 200 Folgen vor sich hat -.-

Ich konnte mich einfach nicht überwinden, damit aufzuhören und weiterzuschreiben; ich bin schrecklich, ich weiß. Vor allem, weil ich auch noch so großspurig verkündet habe, dass ich jetzt massenhaft Zeit zum Schreiben habe >///<' (nie, nie wieder!!!)

Ich hoffe, ihr verzeiht mir und lest das hier trotzdem noch weiter. Zumindest eins kann ich euch versprechen: Ich schreibe ganz bestimmt an nichts Anderem, es sei denn, ich werde durch grobe Gewalt dazu gezwungen ;D Dieses Projekt wird nämlich mit höchster Priorität beendet ^-^ *ganz überzeugt nick*

Also, nach fast drei Monaten (zum Glück; hatte schon befürchtet, ein Vierteljahr schreiben zu müssen ^-^') viel Spaß mit dem neuen Kapitel:

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Arayas Körper versteifte sich augenblicklich ohne ihr Zutun. Viel zu viele unangenehme Begegnungen und schlechte Emotionen verband sie mit diesem Mann. Es war schon eine Weile her, seit sie ihn das letzte Mal in Person gesehen hatte, doch sowohl das qualvolle Abendmahl als auch Salihas durch ihn verursachter Tod waren ihr noch allzu gut in Erinnerung geblieben. Das Lächeln, das sein Gesicht zierte und ehrlich freundlich wirkte, verstärkte in ihr den Fluchtreflex nur noch. Sie wusste, dass von diesem Menschen niemals etwas Gutes ausgehen konnte.

Wie ein Vater, der seine lange verschollen geglaubte Tochter empfing, breitete Galbatorix großzügig seine Arme aus, begrüßte sie dagegen aber mit weit weniger höflichen Worten. „Endlich! Ich dachte, man hätte bereits jeder Bauerntochter beigebracht, dass man Könige nicht warten lässt.“ Sein Blick galt besonders ihr. Araya war klar, dass er auf ihre niedrige Abstammung anspielte, doch sie wusste nicht, ob er ihr mit seinen Worten absichtlich das Inferno Cyriannas vor Augen rief. Murtagh führte sie immer weiter auf den König zu, bis sie unmittelbar vor ihm zum Stehen kamen. Kaum waren sie angekommen, wandte er seine Aufmerksamkeit dem Drachenreiter zu.

„Deine Mission wird dich nach Belatona führen. Dort sollen einige Truppen dieses Varden-Packs gesichtet worden sein und ich möchte, dass du den dortigen Fürsten die Macht eines Königs in Erinnerung rufst. Weder du noch ich wollen sie auf dumme Gedanken bringen, nicht wahr?“ Ein grausamer Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, den Araya nur dahin deuten konnte, dass die herrschende Familie nicht mehr leben würde, sollten sie tatsächlich mit den Rebellen sympathisieren. Und dass Murtagh Strafe zu erwarten hatte, sollte es ihm nicht gelingen, die Fürsten von der Kooperation mit dem König zu überzeugen. Nachdem Murtagh seine Zustimmung mit einem Nicken kundgetan hatte – soweit man von Zustimmung sprechen konnte – wandte er sich wieder Araya zu.

Ein kalter Schauder schüttelte ihren Körper, als sie in seine kalten Augen sah. In Galbatorix‘ Gesicht zeichnete sich ein Schmunzeln ab, als wüsste er darum, und dieser Eindruck verstärkte das widerwillige Gefühl in ihrer Seele nur noch. Aus den Augenwinkeln bemerkte Araya, wie Murtagh ihr einen besorgten Blick zuwarf, doch sie konnte und wollte es nicht wagen, ihn ihrerseits zu beruhigen. Dafür hätte sie dieses Ungeheuer aus den Augen lassen müssen. „Murtagh hat darum gebeten, dich mitnehmen zu dürfen. Das stellt uns vor neue Herausforderungen.“ Erst verstand sie nicht, worauf er hinauswollte, doch sie musste gar nicht darüber nachdenken. Viel zu sehr suhlte Galbatorix sich in seiner für ihn unerschütterlichen Macht. „Murtagh selbst ist nicht in der Lage, von mir zu fliehen. Ich nahm ihm den Schwur ab, es niemals zu versuchen.“

Eine Bewegung zu ihrer Linken ließ sie zu besagtem Drachenreiter sehen. Murtagh hatte den Kopf gesenkt, sodass Schatten seine Augen verbargen. Araya konnte nur vermuten, was es für ihn bedeutete, derart an diesen Mann gefesselt zu sein. Doch als sie einen Blick in sein Gesicht erhaschte, erkannte sie die Wahrheit in seinem Blick. Er hatte anscheinend gehofft, dass sie dieses Detail niemals erfahren würde, denn es zeichneten sich Verlegenheit und Hoffnungslosigkeit in seiner Mimik ab. „Mir ist klar“, fuhr Galbatorix ungeachtet des Austausches zwischen den beiden fort, „dass ich dir nicht das Gleiche aufzwingen kann. Dennoch gilt es, deine Flucht zu verhindern.“

Erstaunt sah Araya auf. Glaubte der König wirklich, sie würde Murtagh hier allein mit ihm zurücklassen? Sie hatte ihm ein Versprechen gegeben. Und selbst wenn nicht: Er war ihr ein lieber Freund geworden und sie hatte nichts zu verlieren. Selbst, wenn es ihr Leben kosten würde, sie ließe ihn hier nicht allein zurück. Doch Galbatorix selbst schien das Verständnis für solche Gefühle zu fehlen.

„Die beste Möglichkeit, das zu bewerkstelligen, würde wohl sein, dich daran zu hindern, Murtagh zu entkommen“, stellte er schließlich klar, dann veränderte sich plötzlich sein Blick. Araya spürte einen Ruck durch sich selbst gehen und sah verunsichert zu Murtagh, der wohl dasselbe Gefühl verspürt hatte, denn er starrte den König nahezu panisch an. Als er den Blick seines Dieners bemerkte, entrang sich Galbatorix ein kaltes Lachen. „Hast du gedacht, ich lasse dieses Mädchen ohne Vorsichtsmaßnahmen durch das Imperium streifen?“ Er hob ihr die Hand entgegen, doch bevor Araya zurückweichen konnte, hielt er bereits ihr Kinn unbarmherzig in seinem Griff und hinderte sie so daran. „Dafür ist sie viel zu kostbar“, hauchte er und sah ihr mit einer Intensität in die Augen, die sie bisher bei noch keinem Menschen erlebt hatte. Sein Blick ließ kurz von ihr ab, doch die Erleichterung, die sie dabei empfand, verschwand sofort, als sie sah, dass er Murtagh aus den Augenwinkeln fixierte. Trotzdem konnte sie sich nicht vom Gesicht des Königs abwenden. „Und dass du sie mir ja unversehrt zurückbringst!“, befahl er mit einem scharfen Ton, dann ließ er sie los.

„Ihr seid nun aneinander gebunden, solange, bis jemand den Zauber aufhebt. Es wird euch nicht möglich sein, euch allzu weit voneinander zu entfernen.“ Mit einem beklemmenden Gefühl blickte Araya zu Murtagh. Sie war noch nie verzaubert gewesen, sah man einmal von dem Vorfall mit ihrer Stimme ab. Doch der junge Drachenreiter beruhigte ihren Geist nicht, sondern schürte ihre Angst nur noch weiter. Er versuchte es zu verbergen, doch Araya sah die Bestürzung und das Entsetzen in seinen Augen. Sie konnte den Blick nicht mehr von ihm abwenden, selbst, als der König sich wieder bewegte. Doch dieses Mal näherte er sich Murtagh. „Sieh mich an!“, befahl er ihm und er hob ohne Zögern den Kopf. Araya vermutete stark, dass er gar keine andere Wahl hatte, als zu gehorchen, doch die Gefühle waren aus seinen Augen verschwunden. Stattdessen zeichnete sich in ihnen eine Leere ab, bei der ihr graute.

Der König hob beide Arme und führte sie zu Murtaghs Schläfen. Araya erkannte sofort, was er im Begriff war zu tun, und zögerte nicht, dagegenzuhalten. Gerade, als Galbatorix‘ Finger auf Murtaghs Haut trafen, war auch sie mit ihrem Geist bei ihm und bat um Einlass. Murtaghs Blick schoss zu ihr und seine Augen zeugten von Angst, doch sie wandte sich nicht von den seinen ab und sah ihm fest und entschlossen entgegen. Dann öffnete sich sein Geist. Araya erkannte einen kurzen Augenblick Überraschung in Galbatorix‘ Miene, als er Murtaghs Geist so offen vor sich liegen sah, doch der Ausdruck verschwand in dem Augenblick namenloser Wut, als Araya selbst in die Gedanken des jungen Drachenreiters eindrang und ihn mit ihrem eigenen Geist schützte.

Dem König bot sich die gleiche, undurchdringliche Mauer zur Schau, die ihn ebenfalls daran hinderte, in den Geist seiner Gefangenen Einblick zu erhalten. Rasend vor Wut ließ er von seinem Diener ab. Araya fürchtete keine allzu harte Strafe, immerhin hatte er in seiner grenzenlosen Selbstüberschätzung vor wenigen Minuten noch zugegeben, sie selbst sei äußerst wertvoll für ihn. Trotzdem breitete sich wie schon zuvor ein Schauder der Angst in ihrem Körper aus, als Galbatorix sich ihr zuwandte. Seine mächtige Präsenz allein erschien ihr wie ein kalter, schwarzer Nebel, der sie einhüllte und erstickte, und seine Wut verstärkte in ihr diesen Eindruck noch. Sie konnte sich bildlich vorstellen, wie ihr Gesicht jetzt aussah: Der Ausdruck eines verschrecktes Rehes, das gerade dem tödlichen Pfeil eines Jägers entkommen war, zierte ihre Augen.

Galbatorix baute sich in seiner vollen Größe vor ihr auf, so nah, dass sein Schatten ihre Gestalt bedeckte. Sie sah, wie er mit sich rang, um seine Wut im Zaum zu halten, und das feurige und doch eiskalte Funkeln in seinen Augen. „Du warst das also damals“, zischte seine Stimme mehr als sie sprach und erinnerte sie damit an eine Schlange kurz vor dem Angriff. Eine, die tödliches Gift mit sich trug.

„Vor fünf Tagen war Murtagh bei dir. Ich habe genau verspürt, dass ihr eure Gedanken miteinander geteilt habt, doch trotzdem konnte ich über den Geist dieses Nichtsnutzes nicht in den deinigen eindringen!“, er betonte einige Worte so eindringlich, dass er seine Wut nicht einmal mit einer erhobenen Stimme besser hätte zum Ausdruck bringen können; sie fuhren tief in ihren Körper und bildeten einen eiskalten Klumpen in ihrem Magen, der ihr Übelkeit verursachte.

Vor sechs Tagen war Saliha gestorben; vor fünf hatte sie sich wieder mit Murtagh versöhnt. Sie erinnerte sich an den kurzen Stich, den sie zwischen den sich anbahnenden Erinnerungen bemerkt hatte, und konnte ihn jetzt endlich zuordnen. Schon damals hatte sie Murtagh unwissend abgeschirmt und so verhindert, dass Galbatorix teil an diesem Ereignis hatte. Diese Erkenntnis flößte ihr etwas Mut ein, schmolz damit ein kleines Stück dieses Gefühls in ihrem Bauch und gab ihr ein wenig Kraft, sich zu behaupten. „Ich fürchte, deine sogenannte Macht ist nicht halb so groß, wie du vielleicht denkst!“

Der Ausdruck in den Augen des Königs veränderte sich ebenso schnell, wie er zuvor wütend geworden war. Mit nie gekannter Furcht wurde Araya der Mordlust gewahr, die kalt in den Augen des Mannes brannte und sich nur schwer zurückhalten konnte. Doch sie würde es sich nicht nehmen lassen, ihr wehzutun. Und obwohl sie das wusste, konnte sie nichts Anderes tun, als bewegungslos vor Galbatorix zu stehen und ihm starr in die Augen zu sehen.

Schneller als dass sie es hätte wahrnehmen können, holte er mit seiner rechten Hand aus und ließ sie mit gewaltiger Kraft auf ihre linke Wange niederfahren. Ihr Kopf wurde nach rechts geworfen, und Araya spürte, wie sie sich in die Wange biss und das Blut ihren linken Mundwinkel herunterlief. Der jähe Schmerz, der durch ihren Körper zuckte, vertrieb die vorher so lähmende Angst und weckte Instinkte in ihr, von denen sie noch nicht einmal gewusst hatte, dass sie sie besaß. Mit starren Augen und stechendem Ausdruck hob sie dem König unversehens den Blick empor. Sie vermochte nicht zu sagen, woher diese Gedanken kamen, doch plötzlich wusste sie genauso selbstverständlich, dass er kein Recht hatte, sie zu schlagen, dass sie ihm ebenbürtig und nicht unterlegen war, wie sie wusste, dass sie sich das nächste Mal wehren würde. Wenn nötig solange, bis einer von ihnen starb.

Galbatorix mochte von ihren Gedanken nichts ahnen, doch er bemerkte die Veränderung in ihr – nicht zuletzt, weil sie ihm ohne Furcht auch ihre Art die Stirn bot –, und für einen kurzen Augenblick meinte sie, Angst in seinen Augen zu sehen. Doch als nichts weiter geschah, verschwand die Ahnung wieder und ein siegessicheres Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. Araya jedoch wich nicht zurück.

Murtagh beobachtete die Situation, die letztendlich nur wenige Sekunden andauerte, mit wanderndem Blick und ebenso erschrocken wie besorgt, doch schließlich blieben seine Augen an ihr haften; das spürte sie an dem Kribbeln, das durch ihren Körper zog. „Ihr verschwendet Zeit“, verkündete Galbatorix schließlich mit derselben sanften Stimme, mit der er sie begrüßt hatte, als sie diesen Raum betreten hatten. „Geht endlich!“

Murtagh kam dem Befehl sofort nach, doch Araya wusste nur zu gut, was er dem König vermutlich alles hatte schwören müssen – ein weiteres Beispiel hatte sie gerade erfahren – und das war fraglos, jedem seiner Befehle Folge zu leisten. Er ging zu Araya und ergriff ihr Handgelenk, und mit dieser Berührung waren auch diese unbekannten Gefühle verstreut und ließen sie wieder frei. Wie aus einem Traum erwachend, wandte sie Murtagh langsam ihr Gesicht zu und sah ihn an. Der Drachenreiter zog bestimmt an ihrem Arm, zog sie ein kurzes Stück hinter sich her und holte sie so wieder vollständig zu sich zurück.

Obwohl sie ihm nun selbstständig folgte, ließ er ihre Hand nicht los, selbst, als sie den Thronsaal verlassen hatten und durch die menschenleeren Gänge des Schlosses gingen. Erst durch ein Straucheln ihrerseits verlangsamte Murtagh seinen Schritt, sodass sie neben ihm laufen konnte. Vorsichtig musterte sie ihn aus den Augenwinkeln. Die Stille zwischen ihnen war ihr unbehaglich, vor allem, da ihre Gemüter zuvor noch voller Freude und Glück gewesen waren … zumindest galt das für Araya.

„Ist alles in Ordnung?“, sprach sie ihn schließlich unsicher an. Augenblicklich blieb Murtagh auf dem Gang stehen und schaute starr nach vorne. Betreten senkte Araya den Kopf. Es war also nichts in Ordnung. Noch bevor sie erneut ansetzen konnte, um die seltsame Stimmung zwischen ihnen zu brechen, spürte sie eine behandschuhte Hand an ihrem Kinn, die ihren Kopf sanft nach oben führte. Erst dachte Araya, Murtagh wolle sei dazu bringen, ihm in die Augen zu schauen, doch schließlich wandte er ihren Kopf ein Stück nach rechts, sodass er sich ihre Wange ansehen konnte.

„Das hättest du nicht tun sollen“, seufzte er schließlich und fuhr sachte mit der anderen Hand an ihrem Kinn entlang. Als er die Finger wieder fortnahm, erkannte sie ihr Blut darauf. „Du wusstest, was geschehen würde, wenn du ihn derart gegen dich aufbringst.“ Bei diesen Worten setzte sich ihr Starrsinn durch, den ihre Mutter mit allen Mitteln hatte vertreiben wollen. Natürlich hatte er auf eine gewisse Weise Recht; sie hatte gewusst, dass sie mit Folgen zu rechnen hatte, aber …

„Was redest du da? Das eben war ein Sieg“, erwiderte sie mit fast kindlich-trotziger Stimme. Es ärgerte sie ein wenig, dass Murtagh ihr Verhalten einfach als gedankenlose Dummheit abtat. Doch der bittere Zug, der um seinen Mund Gestalt annahm, besänftigte sie wieder ein wenig. „Ich sehe es nicht gerade als Sieg, geschlagen zu werden“, entgegnete er schließlich stur und wandte den Blick ab. Obwohl er die Augen abgewandt hatte, konnte sie dennoch die Niedergeschlagenheit in ihnen sehen.

Araya akzeptierte, dass er sich Sorgen um sie machte, doch sie konnte ihn nicht mit diesen Gefühlen allein lassen, die das Gespräch mit Galbatorix offensichtlich in ihm hervorgerufen hatte. „Er hat mir damit Recht gegeben. Und das bedeutet, er hat Angst.“ Ihre Worte schienen ihm klarzumachen, dass es ihm nicht gelungen war, sich zu verbergen, denn er wandte ihr schnaubend den Rücken zu. „Galbatorix ist nicht so unbezwingbar, wie du ihn immer darstellst!“, setzte sie mit Nachdruck hinterher und lief um ihn herum, sodass sie vor Murtagh stand und ihn auf eine sanftere Weise als er vorhin zwang, ihr in die Augen zu sehen.

Einen Seufzen entwich dem Drachenreiter und er hob langsam wieder den Kopf. „Ich hoffe es“, murmelte er so leise, dass sie es kaum verstand, und lief dann an ihr vorbei den Gang weiter hinunter. Araya folgte ihm, ohne zu protestieren. Dieses Treffen mit dem König hatte ihn verstört; da musste sie nur an den entsetzten Ausdruck in seinem Gesicht denken, als er eröffnet hatte, ihre Flucht verhindern zu wollen.

Sie fragte sich, was ihn an diesem Zauber so aus der Bahn geworfen hatte. War es, dass sie nun aneinander gefesselt waren und das gewiss einige Unannehmlichkeiten mit sich bringen würde, oder hatte der Drachenreiter ihr schon wieder etwas verschwiegen. Vielleicht etwas, das ihm Hoffnung gegeben hatte und nun zunichte gemacht worden war?

Araya starrte auf Murtaghs Rücken, der sich Stück für Stück weiter von ihr entfernte, während sie darüber nachdachte. Er hatte seinen Schritt wieder beschleunigt und schlug schon fast fluchtartig die richtigen Wege in den unzähligen Gängen ein. Er wollte sie wohl meiden, um weitere unangenehme Gespräche zu vermeiden; und Araya konnte sich nicht einmal selbst glaubhaft versichern, ihn nicht beständig darauf anzusprechen.

Die Entscheidung, ihm seinen Freiraum zu lassen oder zu ihm aufzuholen und ihn mit ihren Vermutungen zu konfrontieren, wurde ihr schlagartig abgenommen, als ein heftiger Ruck durch ihr Inneres ging, an ihrem Herzen zog und es so kurz ins Stolpern brachte. Sie wurde nach vorne gezogen, wodurch sie stolperte und auf den Granitboden fiel. Murtagh war sofort stehengeblieben, als ihr Körper ihr den Dienst verweigert hatte, doch Araya konnte ihn kaum beachten. Sie rang nach Luft, ihre Brust schmerzte und sie hustete, weil sie befürchtete, zu ersticken, während sie ihre Hand auf ihr Herz presste.

Erst, als Murtagh ihr behutsam eine Hand auf den gekrümmten Rücken legte, beruhigte sie sich langsam wieder. „Ganz ruhig. Das war Galbatorix‘ Zauber“, erklärte er ihr mit besänftigender Stimmlage und bewegte seine Hand dabei auf und ab. Natürlich, sie hatte immerhin gerade in diesem Augenblick darüber nachgedacht. Doch sie hatte nicht damit gerechnet, dass es solche Auswirkungen haben würde. Nur schwerfällig kam Araya wieder auf die Beine; sie spürte immer noch den Schock über ihr plötzlich stockendes Herz. Sie löste ihre Hand von ihrer Brust und sah Murtagh ins Gesicht, der versuchte, zu lächeln. Doch sie sah die Sorge in seinem Blick.

„Ein ziemlich heftiger Schlag in die Magengegend, nicht wahr?“, bemühte sich der Drachenreiter zu scherzen, und Araya konnte nur mühsam verhindern, dass das Entsetzen, das ihren Körper übernahm, sich auch in ihrer Mimik widerspiegelte. Zögerlich nickte sie, woraufhin Murtagh ihre Hand nahm und sie langsam in Richtung Hof zog. Sie erkannte jetzt, wo sie waren.

Sie hatte den Druck, den Murtagh als »Schlag« bezeichnet hatte, deutlich an ihrem Herzen verspürt – und sie war sich sicher, zwischen ihrem Brustkorb und ihrem Bauch unterscheiden zu können. Dennoch musste der Drachenreiter ihrer Meinung nach nicht wissen, dass sie anscheinend an verschiedenen Punkten ihrer Körper verbunden waren. Wie er schon sagte, verspürte der Drachenreiter den Schmerz im Magen, Araya selbst traf es wohl an einer viel unangenehmeren Stelle. Doch Murtagh schien zu glauben, dass sie denselben unerwarteten und heftigen Schmerz wie er verspürt und ihn einfach nur schlechter vertragen hatte. Und das war gut so …

„Wie genau reisen wir eigentlich nach …“, begann Araya immer noch etwas atemlos zu fragen, doch sie stockte, da ihr der Name der Stadt entfallen war. Murtagh warf ihr noch einen prüfenden Blick zu, bevor er ihr ohne Umschweife antwortete: „Wir reiten nach Belatona.“ Obwohl sie ein zustimmendes Geräusch machte, schwand doch ihre Hoffnung, sich einmal etwas weiter von Urû‘baen zu entfernen. Betrübt dachte sie an die Reittiere in Drakon-Ryuu … Belatona konnte nicht allzu weit entfernt sein.

Sie erreichten schließlich denselben Hof, den sie besucht hatten, als Araya das erste Mal Shruikan getroffen hatte. Dort wartete Dorn auf sie und begrüßte seinen Reiter mit einem tiefen Brummen, das aus seiner Kehle aufstieg und in seinem Körper vibrierte. „Auf Dorn“, setzte Murtagh schließlich nach, indem er auf den Drachen deutete. Ihre Augen weiteten sich. Das war unmöglich. Sie konnte doch nicht auf ihm reiten! Murtagh war … nun, sie wusste nicht genau, was er für Dorn war, aber immerhin war er mit ihm verbunden. Sie dagegen …

Sie wollte gerade den Mund öffnen, um zu protestieren, als er ihr unbeabsichtigt das Wort abschnitt. „Komm her, du kannst mir mit dem Sattel helfen.“ Er bewegte seine Hand in einer auffordernden Geste und sie lief zu ihm und nahm ihm das Gebilde aus Leder ab, das er unter den Arm trug. Schließlich faltete er es auseinander und warf den Sattel über Dorns Rücken, dort, wo der Hals in den Oberkörper überging und die Stacheln eine kleine Lücke bildeten. Während Murtagh mehrmals um den Drachen herumging, um verschieden lange und breite Riemen um Dorns Bauch und Brust zu binden, stand Araya erstarrt vor dem Drachen, der sie unentwegt anstarrte.

„Es wäre mir eine Ehre, mit dir fliegen zu dürfen, Drache Dorn“, brachte sie schließlich so leise heraus, dass es fast unter den metallischen Geräuschen der zusammenschlagenden Schnallen an den Gurten unterging. Der Drache hätte sie jetzt auch genauso gut in ein Häufchen Asche verbrennen können – unbedeutender konnte sie sich im Moment nicht fühlen. Doch es war nicht Dorn, der ihr schließlich antwortete.

„Das geht schon in Ordnung“, rief Murtagh und veranlasste sie damit, zu ihm zu sehen. Er strich sich gerade mit einer Hand das Haar aus der Stirn, in der anderen hielt er ein kleines Bündel Kleidung. Das Geräusch von Leder auf Schuppen ließ sie schließlich wieder zu Dorn blicken, der nur schnaubte, als sein Reiter ihr die Erlaubnis gab, auf seinem Rücken zu reisen. Er streckte sich wie eine Katze, sodass die Riemen ein wenig über seine rubinroten Schuppen schabten, als würden sie so eine bequemere Position für den Drachen einnehmen. Als er anscheinend zufrieden war, blickte er Murtagh ungeduldig an.

Der Drachenreiter erwiderte den Blick seines Drachen, doch dann griff er in das Bündel und holte etwas daraus hervor. „Hier, steck dein Haar darunter. Es ist besser, wenn man nicht gleich sieht, dass du eine Frau bist.“ Er reichte ihr eine Mütze und Araya folgte, ohne nach genaueren Gründen zu fragen. Sie drehte ihr Haar mit der Hand provisorisch ein und zog die Mütze von hinten darüber. Zweifellos sah es jetzt so aus, als hätte sie kurze Haare wie ein Junge. Ohne Vorwarnung wurde ihr etwas von Murtagh über den Kopf gezogen, woraufhin sie erst verwundert erstarrte, dann jedoch mithalf. Sie packte es am Kragen und zog es sich endgültig über die Mütze auf ihren Hals. Erleichtert atmete sie aus, als ihr Gesicht nicht mehr von Stoff bedeckt wurde.

Bei einem näheren Blick auf das, was sie jetzt vor dem seichten Wind, der im Hof wehte, schützte, erkannte sie einen Mantel. Er reichte beinahe bis zum Boden und hatte eigentlich nur die Gestalt einer Decke, die man dank einer Aussparung für den Kopf besser überziehen konnte. „Oben wird es ziemlich kalt werden. Ich dachte mir, das sei besser, als uns mit einem Zauber warmhalten zu müssen“, erklärte Murtagh sein Verhalten und ging dann schließlich zurück zu Dorn.

Du machst dir vielleicht Gedanken um ihre Gesundheit!, spottete der Drache und entblößte seine scharfen Fänge. Araya blieb augenblicklich stehen, da sie es als Drohgebärde auffasste, beruhigte sich jedoch wieder, als Murtagh mürrisch etwas von Lachen murmelte. Mit viel Fantasie und gutem Willen könnte man tatsächlich ein Grinsen in dieser Gebärde erkennen, stellte sie fest und trat schließlich neben die beiden. Murtagh warf ihr noch einen kurzen Blick zu, bevor er mit viel Kraft, den letzten Gurt – es sollte wohl eine Art Halteriemen für die Beine sein – festzog und Dorn daraufhin kurz zuckte. Der Gurt baumelte jetzt genau vor seinem Vorderlauf.

„Ducke dich ein wenig, dann kann ich Araya besser auf deinen Rücken heben!“, befahl Murtagh Dorn, der dem recht widerwillig nachkam, doch sie vermutete, dass er seinen Reiter einfach nicht noch weiter reizen wollte. Die vorhergehende Aktion war eigentlich vollkommen unnötig gewesen, doch Murtagh hatte wohl ein Ventil für seine Frustration gebraucht. Und sie glaubte, dass Dorn das verstand und es deshalb hinnahm.

Verunsichert beobachtete Araya, wie Murtagh schließlich hinter sie trat und sie mit seinem Körper noch etwas enger an den Drachen trieb, wollte sie nicht mit ihm zusammenstoßen. Als er es für nah genug empfand, umfasste er ihre Taille und hob sie mit beiden Armen hoch, während er ihr befahl, die Beine anzuziehen. Ohne große Schwierigkeiten kam sie dem nach, bis ihre Waden ihre Oberschenkel berührten. Auf diese Weise waren ihre Beine jetzt beinahe über Dorn. „Halt dich am Sattel fest und schwing ein Bein darüber. Und pass auf die Stacheln auf!“, instruierte er sie weiter und Araya schloss mit zittrigen Händen ihre Finger um eine lederne Schlaufe direkt vor ihr. Dann streckte sie ihr rechtes Bein aus und führte es über Dorns Rücken. Unversehens ließ Murtagh sie los und sie saß in einem Sattel, der auf dem Rücken eines Drachen befestigt war.

Sie konnte immer noch nicht fassen, in solch eine Situation geraten zu sein. Murtagh stieg nicht, wie von ihr erwartet, unverzüglich vor oder hinter ihr auf – obwohl Araya vor ihr viel lieber gewesen wäre –, sondern platzierte ihre Füße erst links und dann rechts in am Reitsitz befestigte Steigbügel, bevor er ihre Beine zusätzlich mit den Riemen, die er vorhin noch gekürzt hatte, darin festschnallte.

„Aber … willst du nicht lieber auf dem vorderen Teil des Sattels sitzen?“, vergewisserte sie sich, als Araya begriff, was Murtagh tat. Er schnallte sie hier am Sattel fest, damit sie nicht von Dorn während des Fluges stürzen konnte. Das lederne Gebilde bot zwar genügend Platz für zwei Personen, jedoch nur eine solche Halterungsvorrichtung. „Du könntest doch fallen!“ Murtagh ließ sich nicht beirren und zog an ihrem rechten Bein die letzten Gurten fest.

„Meine Beine sind kräftig genug, um mich mit den Waden auf Dorns Rücken zu halten; selbst, wenn er kopfüber fliegen sollte. Und außerdem“, mit einem kräftigen Ruck zog er den letzten Riemen an seinen angestammten Platz und ließ von ihrem Bein ab, „würde Dorn mich notfalls auch aus der Luft auffangen. Mach dir keine Sorgen.“ Als der Drache spürte, dass sein Reiter mit den Vorbereitungen fertig war, erhob er sich aus der zu Boden geneigten Position und trat ungeduldig von einem Bein auf das andere, während Murtagh noch einige Satteltaschen an den Gurten befestigte, sodass das Gewicht gleichmäßig auf den Seiten verteilt war*. Araya war diese schaukelnden Bewegungen nicht gewohnt – die Reittiere Drakon-Ryuus hatten nicht die Angewohnheit, nur zwei Beine zu belasten – und fühlte sich etwas unwohl, als ihr Gewicht erst nach hinten verlagert wurde, dann nach vorn und schließlich wieder in die Ausgangsposition.

Dorn wandte seinen Kopf ein wenig zu ihr, sodass sie in eines seiner vor Schalk blitzenden Augen sehen konnte. Manchmal hasste sie den guten Geruchssinn vieler Tieren, der ihnen erlaubte, menschliche Stimmungen untrüglich zu erkennen. Im Gegensatz zu dir. Kein Drache mit Verstand und Stolz würde ein Weib wie dich aus der Luft fangen!, ergänzte er Murtaghs Satz in seiner gewohnten, fast unausstehlichen Art und spreizte die Flügel weit aus, nachdem Murtagh hinter ihr aufgesessen hatte.

„Na, wenn ich dir nicht irgendwann einmal das Gegenteil beweise!“, murmelte sie fast lautlos in ihrem Verdruss, dass Dorn sie wohl noch immer nicht recht leiden konnte und sich nach wie vor einen Spaß daraus machte, sie zu verunsichern und sich über sie lustig zu machen. Ihre Worte verhallten jedoch in dem Getöse, das um sie herum losbrach, als Dorn sich unversehens vom Boden abstieß und begann, mit seinen Flügeln zu schlagen. Der dabei entstehende Wind wirbelte beinahe ihre Mütze hinfort, doch Araya wollte die am Sattel befestigte Schlaufe vor ihr nicht loslassen. Immerhin wäre es sicher gefährlicher, gegen einen von Dorns Stacheln zu fallen als offen als Mädchen erkannt zu werden.

Schließlich hielt Murtagh sie mit einer Hand fest, während er mit der anderen um sie herumgriff und sich ebenfalls am Sattel festhielt. Obwohl er sich notfalls wohl nur mit seinen Beinen auf Dorns Rücken halten konnte, wollte er das Schicksal anscheinend nicht herausfordern. Der Drache stieg mit kreisenden Bewegungen immer weiter in den Himmel. Das Geräusch der Flügel, die die Luft zerschnitten, drückte in Arayas Ohren, ebenso wie der schnelle Höhenanstieg.

Angespannt schluckte sie, um den Schmerz zu vertreiben und warf einen prüfenden Blick nach unten. Urû‘baen wirkte immer noch majestätisch groß, obwohl sie schon eine beachtliche Höhe erreicht hatten. Gleichermaßen wunderte sich Araya, wie hoch Dorn noch steigen wollte, denn er flog immer noch in einer aufwärtsgerichteten Spirale um den Palast, sodass er sich wie in einem Strudel drehte. Sie konnte der Göttin im Moment nur dafür danken, dass sie sich nicht vor großen Höhen fürchtete. Sonst wäre sie hier oben verrückt geworden vor Angst.

Schließlich riss Araya ihren Blick vom Boden los und sah stattdessen in den Himmel. Als sie gerade glaubte, die Wolken tatsächlich berühren zu können, drehte Dorn ab und verlagerte sein Gewicht in einen Gleitflug. Mit weit ausgebreiteten Flügeln, die ein flaches V bildeten, verharrte er beinahe an Ort und Stelle. Sie hob eine Hand, um in die weich anmutenden Massen über ihr einzutauchen, da bewegte Dorn sich plötzlich abermals und flog eine enge Linkskurve, die ihr einen schnellen Schrei entlockte.

Obwohl sie am Sattel festgebunden war, schlang sich auf einmal Murtaghs Arm – der, der die Mütze gehalten hatte – um ihre Mitte und hielt sie beruhigend fest an Ort und Stelle. Der Drache unter ihnen schlug einige Male mit den Flügeln und setzte dann dazu an, über die Landschaft zu gleiten. Dorn kam unter ihr beinahe völlig zum Stillstand, nur einige Male schlug er mit seinen Schwingen, um keine Höhe zu verlieren und die Geschwindigkeit, mit der sie flogen, zu halten*2.

„Geht es wieder?“, fragte Murtagh hinter ihr. Araya drehte sich, so gut es ging, zu ihm um und nickte. Langsam ließen ihre verkrampften Finger die Schlaufe des Sattels los. „Ja“, antwortete sie etwas verspätet. „Das schlimmste hast du hinter dir. Wir bleiben jetzt hier oben bis zur Landung. Du kannst dich also ruhig etwas entspannen und den Flug genießen.“ Murtagh nahm den Arm von ihrer Taille, was in Araya wieder einen Anflug von Angst weckte. Sofort schloss sie zumindest eine Hand wieder um den sicheren Griff.

Sie beschloss, Murtaghs Rat zu befolgen, und sah sich von Dorns Rücken aus um. Sie flogen immer noch über Urû‘baen hinweg, und das erste Mal sah sie das ganze Ausmaß der Stadt. Auf einem etwas höhergelegenen Hügel thronte geradezu das alte, aber ehrwürdige Schloss Galbatorix‘ und zeugte von dem Reichtum, der hier möglich war. Darum aufgereiht, den abschüssigen Berghang bedeckend und durch eine niedrige, blendend weiße Mauer vom Bürgertum abgeschirmt, drängten sich Villen dicht an dicht, sodass man das Gefühl hatte, auf ein riesiges zusammensetzbares Bild zu schauen – die Zäune um die meist seltsam geformten Grundstücke sahen aus wie gezahnte Ränder.

Das Bürgerviertel reichte bis zur hohen, von der Witterung beschädigten und ergrauten Stadtmauer. Die Dächer waren zwar nicht so eben bedeckt wie im offensichtlichem Adelsviertel, doch man sah einigen von ihnen den Wohlstand an, den ihnen ihr Handwerk einbrachte. Eng an den Außenrand des Schutzwalles gedrängt, wohnten die Armen, die sich nur ein Haus aus verwittertem Holz aufbauen konnten, weil ihnen entweder die Mittel oder das Können gefehlt hatten, um sich feste Behausungen zu schaffen oder sogar in der Stadt selbst Fuß zu fassen.

Als Dorn Urû‘baen mit ein paar Flügelschlägen hinter sich ließ, konnte sie das weite, grüne Land vor sich sehen, durchzogen von einem Fluss, an dem sich kleine Dörfer scharten – einfache Bauern und Viehzüchter; und es erinnerte sie fast schmerzhaft an Cyrianna und ihr Zuhause. Murtagh schien ihrem Blick gefolgt zu sein, denn als ihre Augen an dem glitzerndem Wasser hängen blieben, erklärte er: „Das ist der letzte Ausläufer des Ramr.“

Araya riss ihren Blick von den träge dahinfließenden Massen los und wandte sich wieder zu Murtagh um. „Er sieht friedlich aus. Genauso wie die Dörfer.“ Sein Gesicht verfinsterte sich unvorhergesehen und er schaute ebenfalls auf die kleinen Dörfer nieder. „Das täuscht. Zu dieser Jahreszeit fließt der Fluss recht träge dahin, doch im Sommer und Herbst, wenn die Schmelzen richtig einsetzen, ist er ein reißendes Ungeheuer und ohne Brücken kaum zu überqueren.“

„Klingt, als hättest du Erfahrung darin“, erwiderte sie unbekümmert, doch sie fragte sich, ob ihn die Erinnerung an den Fluss so verbittert stimmte, oder ob er damit auf etwas Anderes anspielte. Vielleicht meinte er ebenfalls die Dörfer, die ruhig an dem unbeständigen Fluss lagen. Wenn Murtagh und ihr eigenes Volk so unter Galbatorix‘ Gewalt zu leiden hatten, wie fühlten sich dann die Bürger mit solch einem König? Es herrschte Krieg; das war immer auch eine Zerreißprobe für die Bevölkerung und deren Glauben in die Macht ihres Staates. Und oftmals litten die zurückgebliebenen Familien mehr, als die an der Front kämpfenden Soldaten. Für Araya war Galbatorix ein Tyrann, doch sie wusste nicht, wie es in den Köpfen der Menschen Alagaësias aussah.

Murtagh berührte sie behutsam am Arm, als sie eine Weile nachdenklich auf die vorbeiziehende Landschaft vor sich gestarrt hatte. „Ich wollte dich nicht bekümmern“, setzte er bedauernd nach und sah sie zurückhaltend an. Allein um seinetwillen brachte sie ein Lächeln zustande. „Das hast du nicht“, besänftigte sie ihn; und gleich darauf konnte sie dabei zusehen, wie Erleichterung in Murtaghs Gesicht trat. Das war ihr die kleine Unwahrheit wert. Auch er sollte einmal das kleine Bisschen Freiheit genießen, dass sie im Moment teilten.

„Aber …“, setzte sie schließlich doch nach und sah unsicher aus den Augenwinkeln auf Dorns Hinterkopf. Murtagh machte ein fragendes Geräusch, anscheinend, um sie nicht unnötig zu unterbrechen, doch sie zögerte trotzdem noch eine Weile. Letztendlich brachte sie es mit einem Seufzen hinter sich. „Wir fliegen zwar noch nicht lange, doch … Wann werden wir in Belatona ankommen?“, beendete sie ihre begonnene Frage. Ihr war nicht besonders wohl so hoch über dem Boden. Die Höhe selbst bereitete ihr zwar keine Angst, allerdings stellte sie es sich nicht allzu angenehm vor, einige Tage auf Dorn zu bleiben.

Murtagh schien zu wissen, woran sie dabei dachte, denn er sah sie einigermaßen mitleidsvoll an. „Wir werden erst am späten Abend dort ankommen“, erwiderte er, wollte sie aber sogleich ablenken, indem er in eine der Satteltaschen griff und etwas hervorholte. „Ist zwar nicht die beste Lösung, aber du könntest dir die Zeit mit essen vertreiben.“ Kaum hatte er die Lebensmittel, die er mitgenommen hatte, ausgepackt – etwas Gebäck wie Kekse und kleine Törtchen, außerdem einiges Obst, das sicher verdürbe, wenn es nicht gegessen würde, und tatsächlich auch ein paar Fladen –, begann ihr Magen unmissverständlich klarzumachen, dass er Essen für eine hervorragende Idee hielt.

Als Murtagh begann zu lachen, wurde Arayas Gesicht brennend heiß. „Ich dachte mir schon, dass du Hunger bekommen würdest, als du heute Morgen kein richtiges Morgenmahl zu dir nahmst. Außerdem müssen wir ja auch einigermaßen bei Kräften bleiben.“ Mit diesen Worten griff er nochmals in eine der Taschen, nachdem er ihr den hölzernen Behälter gegeben hatte, der in ein wunderschönes Tischtuch eingewickelt und in unterschiedlich große Fächer unterteilt war.

Unbewusst folgte ihr Blick seiner Hand, um zu sehen, was er noch so hervorzauberte, als ihr ein Glanz unter der Satteltasche auffiel. Murtagh holte zwei Wasserschläuche hervor, doch ihr Blick war von dem Edelstein gefesselt, der an einer Art Griff befestigt unter dem Leder hervorschaute. „Was ist das?“, fragte sie, noch bevor Murtagh auch nur versuchen konnte, ihr den Schlauch zu übergeben, und deutete so gut es ihr möglich war auf die Satteltasche hinter Murtagh. Leider saßen sie ziemlich dicht beieinander, sodass sie sie zwar sehr gut sehen, aber nur schwer ihren Arm weit genug drehen konnte, um eindeutig eine Richtung zu bestimmen und dabei nicht gleichzeitig Murtagh zu treffen.

Der Drachenreiter schien jedoch sofort zu wissen, was ihre Aufmerksamkeit gefangen hatte. Er griff hinter sich und zog ein Schwert in einer blutroten Scheide unter den Taschen hervor. Der Glanz entpuppte sich als ebenfalls roter Edelstein. Sie musste nicht erst fragen, um zu wissen, dass es Murtagh gehörte. Diese Scheide hatte beinahe die gleiche Farbe wie Dorns Schuppen. Sie war nur um einige Nuancen heller. „Das ist Zar’roc.“ Sie erinnerte sich daran, dass er ihr gegenüber von dem Schwert seines Vaters erzählt hatte. Das erst sein Bruder besaß und welches er ihm nach einen Kampf abnahm. Dem er die Narbe auf seinem Rücken verdankte.

„Ich hätte nicht gedacht, dass du es nach allem, was damit verbunden sein muss, nutzt“, gestand sie und musterte das Schwert nun mit anderen Augen. Daran klebte Blut; doch auch, wenn man das von den meisten behaupten konnte … An diesem Schwert klebte auch Murtaghs Blut – das Blut seines Besitzers. Auf seinem Gesicht breitete sich ein höhnisches Lächeln aus. „In Ermangelung anderer Alternativen: Ja.“

Araya gab ein nachdenkliches Geräusch von sich, dann griff sie mit einer Hand nach der Scheide des Schwertes und nahm es zu sich nach vorne auf den Schoß. Murtaghs Hand folgte der Klinge ein Stück weit, doch dann ließ er sie gewähren und sah ihr über die Schulter. Doch als sie es zwei Handbreit aus der Scheide zog und die Klinge, die tiefrot – beinahe wie angetrocknetes Blut – schimmerte, berühren wollte, langte er um sie herum und hielt ihre Hand fest. „Nicht! Zar’roc bringt den Menschen nichts als Kummer.“ Mit diesen Worten löste er ihre Finger sanft von dem Schwert, schob die Klinge zurück und nahm es ihr ab. Beinahe hastig verstaute er es außerhalb ihrer Reichweite. Als hätte er Angst davor, ihr könnte allein durch die Berührung mit diesem unheilversprechenden Schwert etwas zustoßen.

Seine Verhalten als nicht änderbar hinnehmend – vielleicht war es sogar Aberglaube, obwohl dieser Gedanke Murtagh sicher nicht gefallen würde –, widmete sie sich wieder den Köstlichkeiten, die er in weiser Voraussicht mitgenommen hatte. Sie flogen mittlerweile sicher schon eine Stunde, wenn nicht mehr, und das karge Mahl am Morgen machte sich langsam aber sicher bemerkbar. Obwohl Murtagh im Gegensatz zu ihr einiges mehr gegessen hatte, aß auch er. Sie musste lächeln, als sie an seine stoische Ruhe dachte, obwohl sie im Drachenhort wie auf heißen Kohlen gesessen hatte.

Nachdem beide gesättigt waren, war kaum noch etwas von dem Essen übrig. Der Drachenreiter bemerkte das mit einigem Erstaunen, doch die frische Luft weckte in Araya Lebensgeister, die in den geschlossenen Räumen des Schlosses geschlafen hatten; und diese weckten ihren Appetit. Schließlich ging sie dazu über, sich die Zeit zu vertreiben, indem sie sich mit dem Terrain Alagaësias vertraut machte. Mit großem Interesse musterte sie den Boden, die Flüsse, Seen und Berge.

Als Murtagh auch langweilig zu werden schien, begann er, ihr über besondere Orte des Kontinents zu erzählen, sobald sie in Sicht kamen. Dorn flog weiterhin gemächlich dahin und unterbrach sie nicht ein einziges Mal. Die Ruhe von dem Drachen verwunderte Araya zwar, aber vielleicht war er ebenfalls glücklich über diesen Ausflug und hielt seine ironische Natur deswegen zurück. Nachdem sie Murtagh eine Weile gelauscht hatte, wandte sie ihren Blick wieder in die Richtung, in die sie flogen und sah ein langes, glitzerndes Band am Horizont. Sie erkannte sofort, dass es Wasser war, doch sie erwartete einen Fluss oder ähnliches zu sehen. Als sie zwei Stunden später noch näher kamen, erkannte sie schließlich, was es war.

„Ein See! Ein riesiger See!“, rief sie aus. Das Wasser bedeckte den gesamten Horizont und funkelte einladend im hellen Sonnenlicht. Es war ein wunderbarer Anblick von so hoch oben und er entlockte Araya ein fröhliches Lachen. Murtagh sah ebenfalls nach vorn und erkannte, was sie gesichtet hatte. „Das ist der Leona-See. Er ist mit Abstand der größte in ganz Alagaësia“, erklärte er in gewohnter Manier wie auch die anderen Auffälligkeiten der Landschaft. „Er ist wunderschön“, hauchte Araya und konnte ihre Augen nicht davon losreißen. Das Wasser war sicher von der Sonne erwärmt, und es war Ewigkeiten her, dass sie an einem See gewesen war.

Ein Seufzen hinter ihr ließ sie aufhorchen, und dann änderte Dorn plötzlich seinen Kurs. Anstatt ein einem sehr flachen Winkel auf den See zuzufliegen, sodass sie erst sehr weit im Süden tatsächlich über ihm sein würden, hielt der Drache nun auf direktem Wege darauf zu. „Dann können wir uns auch gleich neuen Proviant in Dras-Leona besorgen, während du dir den See ansiehst“, sagte Murtagh resigniert, doch das konnte Arayas Freude nicht trüben.
 


 

*Eine kleine Anmerkung: Man denkt sich ja, so ein Drachenreiter würde sein Haus (oder Schloss) niemals ohne sein Schwert verlassen … Denkste -.-

Mitten im Schreiben vom Start fällt mir mal so auf: Ups, Araya ist das Schwert an Murtaghs Hüfte gar nicht aufgefallen … also ist da auch keins o.O

Naja, denke ich mir, dann hat er es eben unter die Satteltaschen gepackt, da fällt’s halt nicht so auf …

Jaaaa, wenn man Satteltaschen am Sattel mitgenommen hätte xD
 

*2Stellt euch Dorn mal vor: Meine sehr geehrten Damen und Herren. Wir haben nun unsere Reiseflughöhe von 1000 Metern erreicht und begeben uns in Richtung unseres Reiseziels Belatona mit einem kleinen Zwischenstopp in Dras-Leona, um Proviant aufzutanken. Wir reisen mit einer Geschwindigkeit von circa fünfzig Kilometern pro Stunde. Es weht ein stetiger Wind von Südosten her und die Temperaturen betragen um die fünf Grad Celsius. Es ist Ihnen nun gestattet, mitgebrachte Speisen zu verzehren und die Aussicht zu genießen. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt und würden es begrüßen, wenn Sie auch das nächste Mal wieder mit Air Dorn fliegen würden. Guten Tag.

Ich hab schon verrückte Ideen, oder? xD

Dras-Leona

Mein Gott, dieses Kapitel war Arbeit -.-

Die komplette erste Word-Seite zog sich - glaube ich - über drei Stunden hin, weil ich zwei ganze Absätze bestimmt dreimal geschrieben habe ... Es wollte einfach nicht klingen und ich musste auch erstmal ins Schreiben finden und Lust entwickeln - und nach dieser verflixten ersten Seite lief es auf einmal xD

Und dann hatte ich keine Zeit mehr und musste wieder reinfinden ... Es war schon fast ein Krampf, aber nach der anfänglichen Blockade ging es einigermaßen :)

Ich hoffe, man merkt es dem Text nicht so sehr an, wie ich befürchte, und wünsche euch viel Spaß mit dem neusten Kapitel :D
 

PS: Irgendwie scheine ich es immer wieder zu schaffen, meine Kommi-Schreiber zu vergraulen ^^'' Kann mir jemand sagen, woran das liegt o.O Ich kann mich bessern, immer freiheraus damit =)

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Eine Stunde später setzte Dorn unversehens zur Landung an. Er senkte den Körper ein wenig nach vorne und glitt so ohne viel Energieaufwand dem Boden entgegen. Allerdings brauchte er eine Weile, bevor er in dem dichten Wald, über dem sie flogen, eine passende Lichtung gefunden hatte, in der er landen konnte, ohne zu riskieren, sich die Schwingen zu verletzen. Noch bevor der Drache ganz den Boden berührte, sprang Murtagh aus dem Sattel und begann, ihr linkes Bein von den Riemen zu befreien, die sie auf Dorn hielten.

Er hatte es vom Sattel gelöst, als sie gerade gelandet waren und ein kräftiger Ruck durch Arayas gesamten Körper ging. Mit schnellen Schritten umrundete Murtagh Dorn und machte sich nun an ihrem anderen Bein zu schaffen. Während sie ihm untätig dabei zusah, kam Araya sich allmählich wie ein Kind vor, das zur Sicherheit in einem Karren festgebunden worden war und die Riemen nicht anrühren durfte. „Kann ich irgendetwas helfen?“, fragte sie daher, woraufhin Murtagh kurz innehielt. Dann fuhr er damit fort, die Lederriemen zu öffnen.

„In einer der linken Satteltaschen müsste Geld sein.“ Sie nahm das als Aufforderung, danach zu suchen und drehte sich langsam zu den Taschen um. Sie löste eine der drei und zog sie zu sich auf den Schoß. Mit einigen schnellen Handgriffen öffnete sie die Schlaufe, die die Tasche geschlossen hielt, und warf einen Blick hinein, konnte jedoch nur Kleidung erkennen, die Murtagh wohl für den Fall mitgenommen hatte, dass sie länger in Belatona bleiben mussten. Sie befestigte die Tasche wieder an dem ledernden Sattel und zog die zweite zu sich.

Schließlich fand Araya ein kleines Ledersäckchen, das ihrer Erfahrung nach durchaus dazu geeignet gewesen wäre, Münzgeld zu transportieren. Prüfend schüttelte sie es, um sich zu vergewissern, und vernahm tatsächlich das helle Klirren von Metall, das in dem Leder aufeinanderschlug. Vorsichtig schwang sie ihr rechtes Bein über Dorns Rücken und ließ sich langsam gen Boden gleiten, nachdem sie die Tasche ebenfalls wieder an ihren ursprünglichen Platz zurückgelegt hatte. Erleichtert stieß sie die Luft aus, als ihre Füße den erdigen Boden berührten, verspürte aber sogleich einen gewissen Schmerz in ihren Beinen. Sie war es einfach nicht gewohnt, Stunden auf einem Reittier zu verbringen – selbst, wenn ein Drache nicht gerade als solches bezeichnet werden konnte.

„Geht es?“ Murtagh trat mit einem verständnisvollen Blick zu ihr, einen Bogen um die Brust geschlungen und den Köcher mit Pfeilen auf dem Rücken. Sie wunderte sich einen Moment, warum er nicht Zar’roc mitnahm, doch dann erinnerte Araya sich, dass sie in eine Handelsstadt gehen würden. Sie kannte sich mit den Gebräuchen Alagaësias nicht aus, doch sie hielt es durchaus für möglich, dass Waffen, die nicht für die Jagd zu gebrauchen waren, in der Stadt nicht geduldet wurden. „Ich werde es wohl überleben“, antwortete sie lächelnd und ging einen Schritt auf Murtagh zu.

Mit einem lauten, berstenden Geräusch ging dabei ein Ast unter ihrem Gewicht zu Bruch und ließ sie erschrocken innehalten. Es war, als hätte ihr jemand einen Eimer kaltes Wasser übergeschüttet; sie erstarrte vollkommen. Langsam senkte sich ihr Augenmerk auf den kleinen Zweig zu ihren Füßen, dann schoss ihr Blick zu ihrer Umgebung; aus den Augenwinkeln sah sie, wie Murtagh seinen Kopf zu Dorn umwandte. Bäume. Nichts als Bäume! Sie hatte völlig verdrängt, dass sie in einem Wald zur Landung angesetzt hatten. „Du bleibst besser hier. Wenn ich Glück habe, erkennt niemand in mir den Drachenreiter des Imperiums.“

Nervös sah Araya sich um, schaute von einem Baum zum anderen, konnte jedoch nichts ausmachen. Im Wald schien sich nichts zu verbergen, doch der erste Blick konnte täuschen, das hatten wohl schon zu viele Menschen erfahren, die sich leichtsinnig in solchen Gefilden aufgehalten hatten. Murtagh wandte ihr wieder seinen Blick zu und fuhr fort: „Wir schlagen uns durch das Dickicht bis zum Leona-See und trennen uns dort.“

„Denkst du wirklich, dass das eine gute Idee ist?“, vergewisserte sie sich nervös und mit einem unsicheren Lächeln, das ihre Gefühle mehr schlecht als recht verbarg. Sie wandte ihm ihre Aufmerksamkeit nur zögernd zu, da sie es kaum ertrug, die Bäume um sich herum nicht im Blick zu haben. Sie konnte nicht glauben, dass Murtagh Dorn allein in einem Wald zurücklassen wollte. War er sich so sicher, dass dem Drachen nichts zustoßen würde?

Der Drachenreiter schien verwirrt, als er antwortete: „Natürlich. Warum nicht?“ Im Gegensatz zu ihr machte er sich anscheinend überhaupt keine Sorgen um Dorn und war die Ruhe selbst. Das brachte Araya ziemlich aus dem Konzept. Sie hatte noch nie einen Menschen getroffen, der fragte, warum man in Wäldern vorsichtiger sein sollte. Es verunsicherte sie bis zu einem gewissen Maße. „Ja, aber … Ist das denn nicht gefährlich?“, hakte sie sicherheitshalber nach und erhielt dafür einen spöttischen Blick von Dorn. Beruhige dich wieder. Du stinkst fürchterlich! Murtagh wird schon gut auf dich Acht geben, keine Sorge. Du bist ja nicht lange von ihm getrennt, lachte – jedenfalls glaubte sie das – Dorn über ihre für ihn kindische Angst und auch Murtagh schien ihre Beunruhigung nicht zu verstehen. Allerdings reagierte er sehr viel höflicher darauf: „Ich bin nicht weit weg, wenn ich die Stadt betrete. Es würde nur unnötige Fragen verursachen, wenn ich dich mitnehmen würde, deshalb –“

Erst jetzt erkannte sie, dass die beiden sie vollkommen falsch verstanden hatten. Sie glaubten, sie hätte Angst um ihre eigene Sicherheit, wenn Murtagh sie allein vor der Stadtmauer zurücklassen wollte. Und als sie es endlich begriffen hatte, zögerte sie auch nicht und unterbrach Murtagh, bevor er noch versuchte, sie davon zu überzeugen, dass es vollkommen ungefährlich war, vor der Stadtmauer auf ihn zu warten. „Es geht mir doch um Dorn“, rief sie schließlich aus.

Murtagh verstummte sofort und öffnete wohl gerade den Mund, um seine Verwirrung kundzutun, als Dorn ihm zuvorkam. Er knurrte beinahe beleidigt und sein Schweif peitschte wie so oft, wenn er sich ärgerte, über den Boden. Um mich brauchst du dir erst recht keine Sorgen zu machen, dummes Ding. Araya wollte protestieren, brachte aber nur ein „Aber –“ heraus, als der Drache sie sofort wieder unterbrach. Ich bin nicht so schwach und zerbrechlich, wie es die Menschen sind. Einen Drachen wie mich würden wohl die wenigsten Geschöpfe herausfordern. Also hüte deine Zunge!

„Aber in Wäldern gibt es Tiere, die sogar Drachen gefährlich werden könnten!“, beharrte Araya und ratterte den Satz so schnell herunter, dass er schon fast nicht mehr zu verstehen war, Dorn sie aber auch nicht unterbrechen konnte. Es folgte Stille auf ihre Worte, was Araya dazu nötigte, weiterzureden. „Es gibt viele Lebewesen in Wäldern, die nicht nur auf Menschen, sondern auch auf größere Tiere und Geschöpfe Jagd machen können. Deswegen wird uns auch schon als Kind eingebläut, niemals ohne angemessene Begleitung Baumgruppen zu nahe zu kommen. Selbst eine Gruppe aus fünf ausgewachsenen Männern kann gegen manche dieser Tiere nicht bestehen.“

Als sie Murtaghs Blick streifte, sah Araya die Ungläubigkeit in seinen Augen. Schon beinahe weinerlich fügte sie mit geballten Fäusten hinzu: „Das ist die Wahrheit!“ Ein beruhigendes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Ich glaube dir ja. Es ist für mich nur beinahe unbegreiflich, dass eure Wälder tatsächlich so gefährlich sein sollen“, versuchte er, sie zu besänftigen und hob abwehrend beide Hände mit den Handflächen zu ihr. „Ich kann dir versichern, in Alagaësia gibt es in dieser Gegend ausschließlich Tiere, die überwiegend menschenscheu und ganz und gar ungefährlich für Drachen sind. Du brauchst dir also gar keine Gedanken um Dorn zu machen; der verspeist sie höchstens noch zum Mittag.“

Noch etwas skeptisch argwöhnte Araya kurz, dass Murtagh sie nur um ihretwillen beruhigen wollte, um ihr die Angst vor diesem Ort zu nehmen, doch sie verwarf den Gedanken schnell wieder. Soweit vertraute sie ihm, um zu glauben, dass er sie in solchen Situationen nicht einmal für ihr eigenes Wohl belügen würde. Trotzdem war die Frage schneller über ihre Lippen gekommen, als sie es hätte verhindern können. „Wirklich?“

„Wirklich“, antwortete Murtagh mit fester Stimme und schaute auffordernd zu Dorn. Anscheinend erwartete er eine Entschuldigung von dem Drachen. Ja, wirklich, äffte dieser seinen Reiter jedoch nur nach und fügte noch hinzu: Als würden wir dich anlügen. Araya hatte einen Moment lang das Gefühl, als hätte er etwas anderes sagen wollen und es sich doch noch anders überlegt, trotzdem beruhigte sie die Tatsache, dass selbst er dieser Meinung war.

„Gut, dann lass uns zum Leona-See gehen. Du hattest dich doch so darauf gefreut, oder?“, erinnerte Murtagh sie wieder an ihr eigentliches Vorhaben und streckte ihr seine linke Hand entgegen. Mit einem erleichterten Lachen ging Araya auf ihn zu und ergriff die ihr dargebotene Hand, woraufhin Murtagh ohne zu zögern einen Weg durch das Dickicht einschlug. Mit einer fließenden Bewegung brachte sie ihre linke Hand vor seinen Körper und öffnete ihre geschlossene Faust, in der sich immer noch das Ledersäckchen mit dem Geld befand. Murtagh nahm es ihr ab und wandte seinen Blick dann wieder nach vorn.

Eine Zeit lang liefen sie schweigend nebeneinander her, ihre Hand immer noch in seiner, doch dann kam Araya wieder in den Sinn, mit welcher Begründung Murtagh Dorn zurückgelassen hatte. Mit etwas Glück, hatte er gesagt, würde er nicht als Reiter erkannt werden. Wurde er nicht schon allein von seiner Bedeutung für den König davor beschützt, Dieben oder Mördern zum Opfer zu fallen. Sie zweifelte nicht daran, dass er sich gegebenenfalls auch selbst verteidigen könnte, doch ihr war auch klar, dass Murtagh eigentlich zur gehobenen Schicht gehörte. Und wenn sich ein Adliger einmal in das Bürger- und Armenviertel verirrte, war ein Überfall fast unvermeidlich – das war selbst bei ihnen so.

Außerdem wäre es unlogisch, einen Drachen deswegen zurückzulassen. Diener oder Sänften, Kutschen – all das wäre ja noch denkbar gewesen –, aber Dorn war an sich ja schon eine einzige große Abschreckung; niemand mit genug gesundem Menschenverstand würde sich jemandem nähern, der einen solch gewaltigen Beschützer bei sich hatte. Und ein Blick auf Murtagh verriet ihr außerdem, dass er sich mehr als unwohl dabei fühlte, Dorn nicht in seiner Nähe zu haben.

„Warum wolltest du Dorn zurücklassen? Dir geht es dabei nicht gut, das sehe ich doch“, überwandte sie sich schließlich, ihn darauf anzusprechen, und entzog ihm ihre Hand. Manchmal befürchtete Araya, Murtagh mit ihren Fragen und vielleicht auch mit ihrer Anwesenheit zu nerven, doch bis auf einmal hatte er das nie durchscheinen lassen. Sie wusste nicht, ob es an ihrer eigenen Ungeduld lag, dass Murtagh ihr so ausgeglichen und geduldig erschien, oder ob er es tatsächlich war. Ihr Vater hatte stoische Ruhe besessen, um ihr ihre Fragen beantworten zu können. Und als Kind war sie entscheidend weniger zurückhaltend damit gewesen, ihre Gedanken auszusprechen …

„Ich wollte nicht als Reiter erkannt werden. Und wer hat sonst schon großartig einen Drachen bei sich?“, wiederholte er und schmunzelte bei seiner Gegenfrage. Es gab nur drei Menschen auf der Welt, die mit einem Drachen reisten, das wusste Araya bereits, doch das war es nicht, was sie eigentlich hatte wissen wollen. „Das weiß ich. Aber warum?“, erwiderte sie und erhielt eine vollkommen unbefriedigende Reaktion von ihm. Murtagh warf ihr einen schelmischen Blick zu: „Das ist deine Lieblingsfrage, nicht wahr?“

„Ist sie. Du lenkst vom Thema ab“, warf sie ihm vor und benutzte so die gleiche Taktik wie er, als er vor einer Woche mehr über Koda erfahren wollte. Allerdings war sie damals ohnmächtig geworden. Diese Chance hatte der Mann vor ihr wohl nicht. Jedoch fand Murtagh einen ebenso eleganten wie ungewollten Weg, sich aus der Frage herauszuwinden: Er blieb mit dem Stoff seines Oberteils an einem der vielen stachelbewehrten Sträucher hängen*.

Murtagh fluchte verhalten und versuchte, den Stoff aus den Fängen des Gewächses zu befreien, während Araya ihm verwundert dabei zusah. War das Zufall oder Absicht gewesen? Doch als er nach ein paar Sekunden des vergeblichen Ziehen und Zerrens immer noch nicht frei war, gab sie es auf, ihm zu unterstellen, sich so aus der Affäre ziehen zu wollen. Während sie zuvor noch seine Geduld ihr gegenüber bewundert hatte, musste sie nun erkennen, dass auch der Drachenreiter nur ein Mensch war. In seiner Eile, möglichst schnell wieder von dem Strauch loszukommen, verfing er sich nur umso mehr darin und hatte bald wohl eine produktivere Idee gefunden.

Mit einem nahezu zornigen Ausdruck in den Augen, hob er seine linke Hand – auf der sich, wie sie wusste, seine Gedwëy Ignasia befand – und schien damit auf den Strauch zu deuten. Araya ahnte mehr, was er im Begriff war, zu tun, als dass sie es wusste, aber die unschuldigste Partei dieser Auseinandersetzung war wohl eindeutig dieses Fleckchen Grün. „Murtagh!“, rief sie mit ungewollt scharfer Stimme, bevor er tatsächlich Magie anwenden konnte, um sich entweder aus dem Strauch zu winden oder diesen sogar zu zerstören. Tatsächlich hielt er inne und warf ihr aus den Augenwinkeln einen Blick zu.

„Was ist?“, fragte er, als hätte dieser eine Strauch ihn seine letzten Nerven gekostet. Daran war sie selbst sicher auch nicht ganz unschuldig, aber das überging Araya bewusst. Beschwichtigend und bedächtig redete sie auf den Drachenreiter ein: „Ich habe Urû‘baen gesehen. Du solltest dich wirklich über jedes Grün freuen, dass du siehst.“ Sie wollte noch etwas hinzufügen, wurde aber von Murtagh mürrisch daran gehindert: „Nicht, wenn es so anhänglich ist.“

Ein tiefer Seufzer entwich ihr, dann trat sie näher zu ihm und schob seine Hände beiseite. „Lass mich mal.“ Konzentriert versuchte sie, die Fäden seines Hemdes von den Stacheln zu lösen, was einiges an Geduld abverlangen würde, wenn sie einen genaueren Blick darauf warf. Murtaghs heftiges Gezerre hatte die Sache nicht verbessert. Hinzu kam, dass der Drachenreiter sich einfach nicht gedulden konnte und ihr immer wieder mit seinen eigenen Händen helfen wollte. Er behinderte sie dabei jedoch eher.

„H-Halt still. Beweg dich nicht!“, befahl Araya ihm schließlich stockend, als sie es nicht mehr ertrug. Durch seine zusätzlichen Hände sah sie nicht einmal mehr, was sie mit ihren eigenen tat. Kurzzeitig behielt Murtagh seine Finger tatsächlich bei sich – aber nicht lange genug, um ihr die Zeit zu geben, sich wieder voll und ganz ihrer Arbeit zu widmen. Anscheinend war sie ihm seiner Meinung nach zu langsam.

Sie bewegte ihre Hände, die den Stoff in ihrer Mitte hielten, einmal ruckartig und löste Murtaghs Finger so für einen kurzen Moment mit Gewalt. Doch auch das hielt nicht lange vor, und als er abermals versuchte, ihr zu Hilfe zu kommen, hielt sie sich nicht mehr zurück. „Murtagh, halt endlich still!“, ließ sie ihrem Ärger freien Lauf, löste eine Hand von dem gefangenen Stoff und schlug ihm auf die Finger. Dieser kleine Ausbruch und der kurze Schmerz schienen ihn endlich geduldiger zu machen. „Du machst alles nur unnötig kompliziert.“

Diese paar Minuten, die er sich nun keinen Millimeter mehr bewegte, reichten ihr, um die Fäden des Baumwollgewebes aus den Stacheln des Strauches zu lösen und sie wieder in ihre ursprüngliche Position zurückzuziehen. Das Oberteil hatte an der Stelle nun zwar ein eher unebenes Bild, allerdings würden die Fäden nicht so bald wieder irgendwo hängen bleiben. Als sie den Stoff losließ, seufzte sie einmal und verkündete schließlich: „Ich bin fertig. Du darfst dich wieder bewegen.“

Missmutig und mit einem murrenden Geräusch entfernte sich der Drachenreiter ein Stück von dem Strauch – als hätte er Angst, die Äste könnten es sich noch einmal anders überlegen – und begutachtete sein Oberteil. Dann brachte er schließlich ein leises, verdrießliches „Danke“ heraus. Araya lächelte, als ihr ein Einfall kam.

„Du kannst mir danken, indem du meine Frage beantwortest.“ Das war ihm gegenüber zwar nicht gerade fair, aber wenn Murtagh so ein verschlossener Charakter war, dann musste sie ihn eben zwingen, ihr ein wenig mehr als bisher zu vertrauen. Er sollte langsam lernen, dass er mit ihr über fast alles reden konnte. Schließlich waren sie Freunde geworden.

Einen Augenblick verzog er das Gesicht, dann antwortete er: „Du willst wissen, warum ich nicht erkannt werden will? Weil ich nicht besonders beliebt bin!“ Mit einem tadelnden Gesichtsausdruck stemmte Araya ihre Fäuste in die Seiten. Er wusste genauso gut wie sie, dass das keine zufriedenstellende Antwort war. Ihr anklagender Blick schien zu wirken, denn er stieß einen kurzen Fluch aus und funkelte sie wütend an.

„Das Volk hält mich für einen »Diener des Königs«; das ist es, was sie tagtäglich in mir sehen. Ich bin einer der Faktoren, die die Herrschaft Galbatorix‘ stärken und erhalten. Allerdings leiden die Menschen unter seiner Tyrannei und dem Krieg, den er gegen die Varden und die Elfen führt. Dementsprechend sympathisieren weite Teile der Bevölkerung mit den Freiheitskämpfern und darunter leidet selbstverständlich auch meine Beliebtheit“, erklärte er ihr schließlich und bestätigte so unwissend Arayas frühere Vermutung. Sie hatte sich nicht vorstellen können, dass ein Mann, der so grausam zu ihrem Volk gewesen war – zu Menschen, die ihm weder geschadet noch ihn gekannt hatten –, zu seiner eigenen Bevölkerung ein innigeres Verhältnis hatte. Leider hatte sie Recht behalten.

Und leider war Murtagh dazu verpflichtet, diese Herrschaft weiter aufrechtzuerhalten. Während sie weiter den Wald durchquerten, wünschte Araya, sie könnte sich diese Beengtheit vorstellen, die er empfinden musste. Und selbst wenn ihr das nie gelingen würde: So, wie Murtagh litt, hätte sie ihm gern all die Schwüre und Verpflichtungen abgenommen. Was würde es ihr schaden, jemandem zu dienen, den sie hasste? Sie hatte nur noch ihn, um den es sich für sie zu kämpfen lohnte; weil er sie aus der Dunkelheit geholt hatte, obwohl er selbst fast darin versank. Aber nicht einmal das konnte sie für ihn tun.

Der Gedanke an ihre Machtlosigkeit trieb ihr die Tränen in die Augen, doch sie unterdrückte sie. Murtagh würde sich verantwortlich fühlen, und das wollte sie nicht. Ihr war nun auch klar, warum er das Schwert seines Vaters zurückgelassen und nur einen Bogen und ein paar Pfeile mitgenommen hatte. Er wollte für eventuelle Angriffe gewappnet sein – Überfälle, die sich auf ein reisendes Paar bezogen und nicht darauf, dass er ein Drachenreiter war –, aber Zar’roc wies ihn schon allein als solcher aus. Das Schwert war, genauso wie Dorn, ein eindeutiges Erkennungsmerkmal.

Über all diese Gedanken bemerkte sie gar nicht, dass sie den Wald verließen und auf die weite und offene Landschaft des Leona-Sees und der Stadt direkt an seinen Ufern traten. Erst das plötzlich ohne jedes Hindernis einfallende Licht ließ sie erwachen und aufblicken, und ihr Blick wurde sofort von der gigantischen glitzernden Fläche des Sees eingefangen. Gedankenverloren ließ sie ihren Blick über das leuchtende Wasser wandern und entdeckte bald die Stadtmauern von Dras-Leona, die sich schon fast an den See schmiegten.

Für eine Stadt, die an einem solch wunderbaren See lag, war Dras-Leona erschreckend dunkel und einschüchternd. Vor allem die riesige Kuppel, die selbst über die Mauern hinweg deutlich zu sehen war und wahrscheinlich zu eine Kathedrale oder ähnlichem gehörte, überschattete die Schönheit, die sonst aufgrund der Architektur vielleicht geherrscht hätte; dass die Stadt größtenteils aus dunklem Gestein und verblichenem Holz aufgebaut worden war, verbesserte ihr Gesamtbild auch nicht.

Murtagh schien die Atmosphäre Dras-Leonas weniger auszumachen, denn sein Blick war gleichgültig, als er ihn über die Mauern und die alles beherrschende Kuppel gleiten ließ. Ohne zu zögern, setzte er seinen Weg fort, als sie aus dem Wald getreten waren und zwang Araya, ebenfalls nachzufolgen, wollte sie die Auswirkungen von Galbatorix‘ Zauber nicht noch einmal spüren. Nur mit Widerwillen kam sie der eigentlichen Stadt näher, doch sie versuchte, sich mit dem wunderbaren Anblick des Leona-Sees abzulenken und zu beruhigen.

Zu ihrer Freude gelang ihr das sogar gewissermaßen, jedenfalls bis das Stadttor groß und schwarz vor ihr aufragte und seinen Schatten auf sie warf. Als sie durch die Pforte sah, erblickte sie nur Scharen von Marktständen, an denen sich allerdings im Vergleich nur wenige Menschen tummelten. Die meisten, die sie sah, waren in Lumpen gekleidet, viele wirkten ihrer Meinung nach sogar krank, und einige trugen um ihren Hals etwas, das für Araya nach einer grotesken Version eines Halsbandes für Menschen aussah. Tatsächlich entdeckte sie nahe diesen speziellen Leuten in meist feine Stoffe gehüllte Personen, die sich von ein paar Männern einen Weg durch die eh dürftigen Massen bahnen ließen. Es schien ihnen zuwider zu sein, mit ihnen in Berührung zu kommen.

In ihren Augen schien Dras-Leona vielleicht eine bekannte Handelsstadt zu sein – darauf ließ schon allein die Anzahl der Stände schließen –, aber trotzdem wurde sie von Krankheit und Leid geplagt. Die Händler, die wirklich an ihren Geschäften in dieser Stadt verdienten, arbeiteten vielleicht hier, doch es war sicher kein Platz, an dem sie sich niederließen. Als Murtagh neben ihr stoßartig die Luft ausatmete, lenkte er ihre Aufmerksamkeit auf sich. „Es hat sich überhaupt nichts verändert“, murmelte er beinahe lautlos, dann wandte er sich ab, ergriff sanft aber bestimmt ihren Oberarm und führte sie so etwas vom Stadttor fort, näher an den See heran.

„Du hältst dich besser vom Stadttor fern; das ist wahrscheinlich sicherer. Das Händlerviertel befindet sich gleich dahinter, es sollte also nahe genug sein, dass uns Unannehmlichkeiten erspart bleiben. Du wartest hier und verhältst dich so unauffällig wie möglich. Ich bin bald zurück“, erklärte Murtagh ihr hastig, als wäre er nervös und wolle die Stadt und deren Umgebung so schnell wie möglich verlassen. Als er, ohne eine Antwort von ihr abzuwarten, einfach ging, fühlte sich Araya in diesem Eindruck nur bestärkt. Irgendetwas schien ihm Sorgen zu machen – Sorgen, die er nicht mit ihr teilen wollte.

Resigniert musste sie sich wohl eingestehen, dass es dabei wahrscheinlich um sie ging und er sie nicht belasten wollte. Vielleicht aber wollte der Drachenreiter sich auch nicht dadurch weiter beunruhigen, dass er seine Ängste allzu realistisch werden ließ, indem er sie aussprach. Sie sah ihm nach, wie er mit großen Schritten zum Tor zurückging, von den dort postierten Soldaten angesprochen wurde und schließlich Einlass bekam. Dann verschwand er aus ihrem Sichtfeld.

Die finsteren Gedanken entschlossen abschüttelnd, wandte sich Araya entschieden den Ufern des Leona-Sees zu. Auch, wenn es ihr unangenehm war, die dunkle Stadt im Rücken zu haben, war das immer noch besser, als sie die gesamte Zeit, bis Murtagh zurückkam, anstarren zu müssen und die beinahe greifbare bedrohliche Atmosphäre allzu nah an sich heranzulassen. Vorsichtig tastete sie sich die Böschung hinunter, darauf bedacht, nicht doch noch auszurutschen und schließlich in den See zu fallen.

Das Wasser des Sees leckte beinahe verführerisch und für Araya eindeutig einladend an den Ufern. Die Wellen waren nicht besonders hoch und auch der Wind war sanftmütig, wodurch sie sich nicht vor wechselnder Brandung zu fürchten brauchte und beruhigt den kleinen Wogen eine Weile zusehen konnte. Sie setzte sich ins Gras des soeben überwundenen Abhangs und lauschte dem leisen Plätschern. Die Luft war zwar nicht so klar, wie sie am Meer gewesen wäre, doch trotzdem fühlte sie nahezu den Unterschied der von Wasser gewaschenen Luft. Das Atmen viel ihr leichter – was aber auch an der geringen Höhe liegen könnte – und ihre lang verloren geglaubte Lebensfreude kehrte langsam wieder zurück.

Der Ritt auf Dorn und die Landschaft Alagaësias hatten ihr bereits gezeigt, was sie so sehr in ihrem Gefängnis vermisst hatte. Nicht nur, als sie ihm Kerker gewesen war, sondern auch noch im Drachenhort des Schlosses. Ihr hatte der Himmel über dem Kopf gefehlt, die echten, warmen Strahlen der Sonne und ein stetiges Geräusch von brandendem Wasser, das sie seit ihrer Kindheit immer gekannt und nie gemisst hatte.

Nachdem sie eine Weile mit offenen Augen in den blauen Himmel gestarrt und den Wolken nachgesehen hatte, erhob sich Araya langsam wieder. Es fiel ihr ein wenig schwerer, als sie gedacht hatte, immerhin musste sie aufpassen, nicht gleich wieder vorne über zu fallen oder sogar vom Gras abzugleiten, doch dann stand sie wieder mit beiden Beinen fest auf dem Boden und näherte sich dem Wasser des Sees. Es umspülte bereits ihre Stiefel, als sie sich auf die Fersen niederließ und eine Hand nach dem kühlen, aber doch nicht kalten Nass ausstreckte und sie hineintauchte.

Das Wasser perlte ein wenig auf ihrer Haut und kühlte sie gleichzeitig. Es war allein schon der Anblick dieser Idylle der Natur, der ihr das Herz leichter werden ließ, doch sie war sich sicher, richtig frei würde sie sich erst fühlen, wenn sie beinahe schwerelos durch die Fluten hier schwimmen könnte. Murtagh hatte ihr zwar geraten, nicht aufzufallen, doch sie glaubte kaum, dass ein Mensch in solch einem riesigen See viel Aufsehen erregen würde – außerdem sehnte sie sich so sehr nach diesem Stückchen Freiheit, dass sie es beinahe schmerzte.

Um sich zu vergewissern, dass der Leona-See auch wirklich aus Süßwasser bestand – in ihrer Heimat gab es einige Salzwasserseen; man vermutete, dass sie früher einmal zum Meer gehört hatten und durch einen Erdrutsch schließlich ihres Zuganges beraubt worden waren –, führte sie zwei ihrer Finger, die mit dem klaren Seewasser benetzt waren, zu ihren Lippen und befeuchtete sie damit. Prüfend fuhr sie schließlich mit ihrer Zunge über diese und stellte schon beinahe entzückt fest, dass es tatsächlich köstlich reines und klares Süßwasser war.

In Salzwasser zu schwimmen, wäre um einiges schwieriger gewesen, weil das Salz auf der Haut und den Haaren Krusten bildete, wenn das Wasser verdunstete. Und das trocknete die Haut furchtbar aus – ganz davon abgesehen, dass es einfach ein schreckliches Gefühl war. Sie hätte sich irgendwo Wasser suchen müssen, um das Salz abzuspülen, was Murtagh sicher Umstände bereitet hätte. Und das wollte sie um keinen Preis. Aber da der See vor ihr nicht besonders salzhaltig war, stand ihrem Vorhaben nichts im Wege.

Eilig zog Araya sich die Mütze vom Kopf, die Murtagh ihr gegeben hatte, damit sie keiner als Frau erkannte, und legte sie in sicherer Entfernung vom Wasser ins trockene Gras. Ihr Haar, nicht mehr vom Stoff zurückgehalten, löste sich aus dem behelfsmäßigen und nicht befestigten Knoten, den sie benutzt hatte, um es zu kürzen, und fiel ihr nun wieder frei über den Rücken. Dann zog sie sich den Mantel über den Kopf und löste die Weste. Schlussendlich zog sie auch ihre Stiefel aus, die ebenfalls unnötig viel Gewicht beim Schwimmen gewesen wären.

Nur noch in Hemd und Hose gekleidet, watete sie langsam in den See hinein, um sich an die kühleren Temperaturen zu gewöhnen. Der nahende Sommer war wohl noch nicht lange fortgeschritten oder er fiel immer so kühl in diesem Land aus; jedenfalls war das Wasser nicht besonders warm, was sie leicht Schaudern ließ. Ungeachtet dessen war Araya nicht bereit aufzugeben und lief stur weiter ins Wasser, bis es ihre Taille umspielte. Noch einmal tief Atem holend, stieß sie sich schließlich vom Grund ab und warf sich nach vorne, um endlich schwimmend voranzukommen und weiter in den See vorzudringen.

Japsend fühlte sie die Kälte, als das Wasser plötzlich ihren ganzen Körper umfing und schauderte abermals, doch sie hatte sich schnell daran gewöhnt. Es war seltsam, dass es einem nach einer Weile immer so vorkam, als würde das Wasser wärmer werden, obwohl es dieselbe Temperatur beibehielt. Gemächlich schwamm sie weiter auf den See hinaus und fühlte das Nass an ihren Wangen vorbeifließen. Araya warf einen Blick zurück und entdeckte das Ufer in nicht allzu weiter Entfernung, wo auch ihre abgelegten Kleidungsstücke auf ihre Rückkehr warteten. Prüfend richtete sie sich auf und tastete nachdem Grund, fand ihn aber schon nicht mehr.

Sie ließ sich einige Male absichtlich fallen, um auch wirklich sicherzugehen, dass der Boden des Sees nicht unmittelbar unter ihr war, dann schloss sie die Augen und tauchte schließlich vollständig unter und entfloh somit auch den Blicken jedes möglichen Beobachters. Sie war erst erstaunt, wie weit sie sich sinken lassen konnte, doch nach ein paar Metern öffnete sie schließlich die Augen und schwamm unter der Wasseroberfläche noch ein Stück weiter in den See hinein, während sie ihren Blick unter sich gleiten ließ.

Erst dadurch bemerkte Araya, wie tief der Leona-See wirklich war. Sie wusste, dass bereits nach einigen hundert Metern der Lichteinfall durch das Wasser stark abnahm. Das hing natürlich auch mit der Klarheit des Wassers zusammen, doch obwohl der See anscheinend sogar zwei Städte beherbergte, war er unnatürlich rein – was in dieser Situation nur noch beeindruckender war. Mit einer gewissen Tiefe wurde es immer finsterer um die Lebewesen herum, die dort lebten, und der Grund dieses Sees war dunkel. Genauer gesagt konnte sie ihn nicht einmal mehr ausmachen, so tief schien das Wasser hier zu sein.

Sie suchte mit den Augen nach Flecken des Grundes, die vielleicht hervorstachen, weil sie Hügel bildeten, doch auch während sie weiterschwamm, konnte Araya nichts entdecken. Jedoch musste sie die Suche nach einiger Zeit auch abbrechen, da ihr die Luft ausging und sie nicht allzu schnell wieder an die Oberfläche wollte. Sie konnte nicht genau abschätzen, wie tief genau sie getaucht war und wollte kein Risiko eingehen, vielleicht krank zu werden, nur weil sie zu schnell auftauchte. Das war schon genügend Seefahrern geschehen, als dass sie diesen Fehler wiederholen wollte.

Trotzdem brauchte sie nicht lange, um an die Oberfläche zurückzukehren und sie mit einem gierigen Atemzug zu durchbrechen. Sie trieb eine Weile umher, während sie wieder zu Atem kam und sorglos die beinahe gerade Fläche des Wassers betrachtete; so lange, bis plötzlich ein Schatten auf sie fiel. Sofort hielt sie in sämtlichen Bewegungen inne und wandte sich langsam zu der Silhouette um, die von der Sonne auf sie reflektiert wurde. Als sie die hochaufragenden Berge des pechschwarzen Granitfelsen sah, der sie stark an die bedrohliche und schwarze Atmosphäre Dras-Leonas erinnerte, erschrak sie bei seinem unerwarteten Anblick so sehr, dass sie selbst das Wassertreten vergaß und mit einem kleinen Aufschrei unterging.

Hastig schwamm sie zurück zur Oberfläche, konnte aber selbst dann nicht die Augen von diesem schwarzen Ungetüm nehmen, als ihr das Wasser aus ihren Haaren über das Gesicht und in die Augen lief, und ihren Blick langsam trübte. Sie wagte nicht einmal, ihre Lider auch nur für eine Sekunde zu schließen. Der Anblick des dunklen Granitfelsens, der beinahe senkrecht in den Himmel ragte, jagte ihr mit seinen steilen Klippen und scharfen Kanten und Spalten eine furchtbare Angst ein, die es ihr nicht erlaubte, ihn aus den Augen zu lassen. Sie wusste nicht warum, aber alle Instinkte in ihrem Körper schrien, diesem Koloss so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen – es war furchteinflößend.

Mit starrem Blick begann Araya, langsam rückwärts zu schwimmen, als befürchte sie, der Granit könnte plötzlich umstürzen oder sie angreifen, wenn sie ihm nicht ihre Aufmerksamkeit schenkte, solange sie noch in seiner Nähe war. Sie war noch immer nicht weit vom Ufer entfernt – der Boden des Sees schien ziemlich steil abzufallen –, doch es kam ihr trotzdem wie eine Ewigkeit vor, bis sie wieder sicheren Boden unter den Füßen spürte. Obwohl die Strecke weder besonders weit noch anstrengend gewesen war – es herrschte immerhin wie zuvor kaum Wellengang –, war sie vollkommen außer Atem, als sie mit ein paar Schritten soweit das Wasser verließ, dass es nur noch ihre Hüften umspülte.

Kühn, zumindest fühlte es sich so für sie an, schloss sie kurz die Augen und atmete einmal tief ein und stieß die Luft langsam und gleichmäßig wieder aus; alles in dem Versuch, sich wieder etwas zu beruhigen. Selbst wenn dieses Gebilde aus schwarzem Granit und Fels unheimlich anmutete und Dras-Leona sicher diese düstere Atmosphäre in Architektur und Gesinnung widerspiegelte, war der Fels doch tot und konnte ihr nichts zuleide tun. Ihre Angst war völlig unbegründet und zutiefst abergläubisch. Das hoffte sie zumindest.

Länger konnte sie darüber jedoch nicht nachdenken, denn sie hörte eine gereizte, wütend klingende Stimme hinter sich, die sie sehr gut kannte. „Araya?“, rief Murtagh drohend zu ihr ins Wasser und brachte sie so dazu, schuldbewusst zusammenzufahren. Er hatte sie also erwischt. Ein nervöses Lachen verließ ihre Lippen, dann drehte sie sich langsam zu ihm um; ebenso langsam, wie sie von den Granitfelsen weggeschwommen war. Sie versuchte sich an einem Lächeln, um ihn vielleicht milder zu stimmen, doch sie befürchtete, dass sich ihre Schuldgefühle klar auf ihrem Gesicht abzeichneten und ihr Gesichtsausdruck deshalb eher einer Grimasse gleichkam.

Mit funkelnden Augen und ungeduldiger Miene stand der Drachenreiter noch vor der Böschung am Ufer des Leona-Sees und stemmte eine Hand in seine Seite. Die andere hielt wohl die Vorräte und Waren, die er den Händlern abgekauft hatte. Anscheinend hatte ihn wenigstens keiner erkannt. Er sah noch genauso aus wie zuvor – mit dem Unterschied, dass er nun wirklich wütend war …

„Hallo, Murtagh“, versuchte sie ihn sorglos anzusprechen, doch es war eher das Eingeständnis ihrer Schuld und klang alles andere als selbstsicher. Sie musste sich wohl mit seiner Wut auseinandersetzen, immerhin hatte er auch allen Grund, zornig auf sie zu sein. Er hatte ihr eine klare Anweisung gegeben, die vermutlich sogar zu ihrer eigenen Sicherheit gewesen war, und sie hatte sie rigoros ignoriert.

„Hallo“, antwortete er trocken auf ihren Gruß, dann fragte er mit stechendem Blick: „Nennst du das etwa unauffällig?“ Sie brauchte ihm darauf nicht zu antworten und er erwartete auch keine Erwiderung, das wusste sie nur zu gut. Mittlerweile erkannte sie rhetorische Fragen seinerseits ziemlich gut. Seufzend machte Araya sich daran, zurück ans Ufer zu gehen, stieg mit einiger Mühe aufgrund ihrer mit Wasser vollgesogenen und damit um einiges schwereren Bekleidung aus dem See, las ihre abgelegten Kleidungsstücke auf und kletterte die Uferböschung hinauf.

Ihr Oberteil klebte schon fast unangenehm an ihrer Haut, ebenso wie ihre Hose und ihr wurde sofort unangenehm kalt. Sie hatte sich an die Temperaturen im Wasser gewöhnt und der leichte Wind kühlte sie aus. Unachtsam ließ sie die Kleidung in ihren Armen auf das Gras fallen, sobald sie in geringem Abstand vor Murtagh stand. Doch als sie ihm ins Gesicht sah, erkannte sie eine auffallende Röte in ihm und fragte sich ängstlich, ob er wirklich so sehr wütend auf sie war. Er räusperte sich und murmelte dann ein paar Worte, die sie nicht verstand, deren Auswirkungen ihr aber sofort klar wurden.

Ein warmer Luftzug wehte um sie herum und trocknete in wenigen Sekunden ihre Kleidung und ihr Haar. Sofort wurde Araya um einiges wärmer und sie rieb sich schnell über die Arme, um die Auswirkungen der Schauder zu vertreiben, die sich deutlich gezeigt hatten. So zornig konnte er nicht sein, wenn er sich sogar jetzt um ihre Gesundheit sorgte. Trotzdem machte er seinem Missfallen Luft. „Hast du überhaupt eine Ahnung, was dir alles hätte passieren können, wenn du die Aufmerksamkeit der falschen Sorte Männer erregst?“, fuhr er sie grob an, dann beugte er sich nach unten und griff nach der Mütze um sie ihr entgegenzuhalten. Um ihn nicht noch mehr gegen sie aufzubringen, folgte sie seiner Aufforderung und steckte ihr Haar wieder darunter.

„Du hast doch gesehen, wie es in Dras-Leona zugeht! Und das war nur ein kleiner Teil der Gesetzlosigkeit in dieser Stadt. Menschenhändler und Sklavenfänger gehen hier ein und aus und verkaufen unvorsichtige Reisende zu hohen Preisen an die adlige Gesellschaftsschicht. Und ungeschützte Frauen sind ein leichter Fang, für den es sogar ordentlich Zaster gibt, wenn sie noch in einem annehmbaren Alter sind!“ Murtagh wurde nicht wirklich laut, doch er erhob seine Stimme zu einem vorwurfsvollen Ton, den Araya jedoch nicht wirklich nachvollziehen konnte. Wer würde sie schon kaufen wollen?

„Du bist wütend auf mich“, stellte sie letztendlich klar, in der Hoffnung, ihn so vielleicht ein wenig zu beruhigen, indem sie ihm vor Augen führte, dass sie durchaus verstanden hatte, wie er sich gerade fühlte. Allerdings trat nicht ganz der gewünschte Effekt ein. „Natürlich! Ich sage dir etwas und du ignorierst es völlig gedankenlos, ohne die Konsequenzen oder Gefahren deiner Handlung einschätzen zu können. Das hier ist nicht deine Heimat, Araya!“, schalt er sie wie ein kleines Kind, das nicht wusste, seine Kräfte und Möglichkeiten einzuschätzen. Und das war sie in diesem Land; allerdings vergaß sie das oft hinter dem Wunsch, Murtagh eine ebenbürtige Freundin zu sein. Aber dass dies hier nicht ihr Land war, der Boden und die Erde, die ihr vertraut waren und auf denen sie geboren worden war, das würde sie nie vergessen.

„Ich weiß.“ Das schien zu genügen, um Murtagh zu beruhigen. Er stieß einen tiefen Seufzer aus, als er sich zu erinnern schien, dass er sie in seiner Wut an eine Tatsache erinnert hatte, die weder besonders glückliche Erinnerungen beherbergte, noch wirklich ihre Schuld war. Sie war immerhin nicht freiwillig in einem ihr vollkommen fremden Land. „Zieh dir den Rest deiner Kleidung bitte wieder an“, begann er nach einiger Zeit der Stille schließlich mit sanfter Stimme. „Wir gehen dann zu Dorn zurück und fliegen weiter nach Belatona.“

Araya nickte und hob bereitwillig die Weste und den Mantel auf, während sie mit den Füßen in die Stiefel zurückstieg. Als sie fertig war, schlug Murtagh denselben Weg zurück ein, den sie gekommen waren und kamen ohne weitere Unterbrechungen – er blieb zu ihrer großen Erleichterung nicht noch einmal an einem der Sträucher hängen; dieser hätte das nämlich ganz sicher nicht überlebt – bei Dorn an. Er hatte sich bequem zusammengerollt und ließ sich die Sonne auf die Schuppen scheinen, doch als er Murtagh entdeckte, erhob er sich flink wie eine Katze und schien es gar nicht mehr erwarten zu können, wieder zu fliegen.

Araya verdrängte diesen kleinen Streit zwischen ihnen so gut es ging, immerhin war nicht viel geschehen und sie sah auch weiterhin keinen Grund zur Sorge, dass Menschenhändler sie hätten entführen und verkaufen können. Trotzdem schien Dorn die immer noch etwas angespannte Stimmung zu spüren und sah, entgegen ihrer Erwartung, sie an, als er fragte: Was ist vorgefallen? Da keine Antwort von ihr kam, stellte er dieselbe Frage anscheinend Murtagh, der allerdings nur den Kopf schüttelte und begann, Pfeil und Bogen, den Proviant und das Geld wieder in den Satteltaschen zu verstauen.

Beleidigt, dass er vollkommen ignoriert wurde, wandte er Araya wieder seinen Kopf zu und fixierte sie aus seinen Raubtier-Augen. Was hast du angestellt?, fragte er mittlerweile grollend und duckte den Kopf Richtung Boden. Seufzend entschied sie sich, ihm zu antworten. Dorn würde nicht locker lassen, bis er eine zufriedenstellende Antwort bekommen hatte. Oder das, was eine solche für einen Drachen war. „Ich habe Murtagh unbeabsichtigt Sorgen bereitet.“ Ein Brummen verließ sein leicht geöffnetes Maul, dann schien er mit Murtagh zu reden, denn dessen Kopf ruckte plötzlich hoch. Er hatte gerade die Riemen am Bauch des Drachen kontrolliert.

„Was? Warum?!“, fragte er Dorn empört. Sie war sich nicht sicher, ob er absichtlich laut sprach oder es einfach nicht bemerkte. Er schien wieder mit Murtagh zu reden und als der sich nicht bewegte – scheinbar verlangte er etwas von ihm –, schlug er spielerisch mit dem Schweif nach ihm. Murtagh wich ihm mühelos aus, wobei Araya nicht die geringsten Zweifel hatte, dass er genau wusste, wohin der Drache zielte. Sie glaubte kaum, dass er das Risiko eingehen würde, Murtagh tatsächlich zu treffen. Allerdings bemerkte sie erst jetzt, dass der Drachenreiter nun näher bei ihr stand.

Verwirrt warf sie Dorn einen Blick zu, der den aber nur schnaubend kommentierte, wobei wieder eine kleine Rauchwolke aus seinen Nüstern aufstieg. Das schien bei Drachen normal zu sein, wenn sie etwas stärker ausatmeten. Als Murtagh offenbar immer noch nicht nach Dorns Zufriedenheit handelte, wurde er von dem Drachen mithilfe eines kräftigen Stoßes mit dem Kopf noch zwei Schritte näher zu ihr hin gedrängt. Er grummelte, schien sich dann aber doch dem Willen seines Freundes zu beugen. „Tut mir leid, dass ich so ausfallend geworden bin“, murrte er schließlich mit abgewandtem Blick.

Arayas Blick schoss zu Dorn. Darum war es ihm gegangen? Dass Murtagh sich dafür entschuldigte, sie angefahren zu haben. Sie bezweifelte stark, dass der Drachenreiter ihm in der Kürze der Zeit irgendwie die gesamte Geschichte erklären konnte, und trotzdem schien dem Drachen daran gelegen gewesen zu sein, dass die Sache aus der Welt geschafft wurde. Dankbar lächelte sie Dorn an, bevor sie wieder Murtagh betrachtete. Er sah verlegen aus; das urteilte sie daran, dass seine Nase wieder diesen dezenten Rotschimmer aufwies. „Danke“, antwortete sie ehrlich und ließ es somit auf sich beruhen.

Selbst er, der sich erst geweigert und gesträubt hatte, dem Willen seines Drachen nachzugeben, sah erleichtert aus, nachdem sie seine Entschuldigung angenommen hatte. Wahrscheinlich hatte Dorn die Schuldgefühle Murtagh gespürt, als sie Dorn geantwortet hatte. Anders konnte sie es sich kaum erklären, dass er für sie Partei ergriffen hatte. Das war immerhin selten genug der Fall.

„Gut, dann steige auf. Ich will noch heute Abend in Belatona ankommen“, setzte Murtagh schlussendlich dazu an, ihren kleinen Ausflug fortzusetzen und deutete ihr, zu ihm zu kommen. Araya folgte bereitwillig und wurde auf dieselbe Prozedur auf Dorn hinaufgehoben und im Sattel festgebunden wie schon zuvor. Mit dem Unterschied, dass Dorn sich dieses Mal nicht beschwerte, als er sich niederkauern musste, damit man sie auf ihn heben konnte. Dann setzte er abermals zum Fliegen an, was zur Folge hatte, dass Araya sich wieder krampfhaft an ihrem einzigen Fixpunkt – dem Sattel – festhielt und die Augen schloss. Sie hätte sonst Angst gehabt, sie flögen gegen einen der Bäume um sie herum.

Als das Blätterrascheln um sie herum abklang, wusste sie, dass der Wind, der durch Dorns Flügelschläge hervorgerufen wurde, die Kronen nicht mehr erreichte und sie somit außer Gefahr waren. Der Drache stieg immer noch gen Himmel, allerdings konnte sie von hier aus wieder den See und dieses seltsame Granitgebirge erkennen. Wieder lief ein Schauder über ihren Rücken. Sie hoffte, sie würde ihn nie wieder sehen müssen.
 


 

*Ich habe lange überlegt, ob ich die folgende Szene tatsächlich schreibe, weil sie mir ein wenig … seltsam vorkam, aber das hat sich hier geradezu angeboten. Schreibt mir doch, wie ihr sie fandet :D Ich habe irgendwie das Gefühl, dass es hier einen argen Stilbruch gibt >///<‘

Belatona

Hallo :D Dieses Kapitel zog sich auch ganz schön hin und das kleine (oder große o.O) Ding hier ist Schuld, dass ihr Kaptel 13 erst so spät zu sehen bekommen habt ^^'' Als kleine Motivation oder Herausforderung, gebe ich jedem, der herausfindet, für was die Fürsten Araya halten, ein "GUT GELESEN!" in die Kommentar-Antwort :) Was heißt, dass ihr sehr gut aufgepasst habt xD
 

Dann wünsche ich euch jetzt viel Spaß mit dem neuen Kapitel und hoffe, ihr verzeiht mir die vielen, vielen Sternchen, die es im Laufe dieser FF schon gegeben hat -.-

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Die Sonne war bereits seit einer Weile untergegangen, als sich Belatona endlich am Horizont abzeichnete. Araya hatte bemerkt, dass Dorn etwas schneller als zuvor flog – vermutlich, um die verlorene Zeit wieder einzuholen –, doch es brachte wenig. Der Anblick des Sonnenunterganges über dem See war ihr diese Verspätung allerdings wert gewesen; die zusätzliche Höhe hatte ihn nur noch schöner werden lassen.

Belatona selbst war eine eher kleine Stadt. Sie hätte sogar eher als ein großes Dorf gegolten, wäre sie nicht von den schützenden Mauern um sich herum umgeben gewesen. Solche Schutzwälle galten als universelles Statussymbol einer eigenständigen Stadt und das war wahrscheinlich auch der einzige Grund, warum sie als solche galt – die hiesige Fürstenfamilie hatte allem Anschein nach genügend Tribut eingenommen, um sie auf eigene Kosten errichten lassen zu können.

Dorn steuerte zielsicher sofort auf die kleine, aber imposante Burg auf der Spitze eines steilen Hügels zu, die ohne jeden Zweifel als Residenz der herrschenden Fürsten diente. Dabei überflogen sie auch für einen kurzen Zeitraum die am Fuße des Hügels gelegenen Behausungen des gemeinen, arbeitenden Volkes, doch es war bereits so dunkel geworden, dass Araya nur Schemen von Häusern und Straßen erkennen konnte.

Innerhalb weniger Sekunden hatten sie die Bauten hinter sich gelassen und sie konzentrierte sich wieder vollends auf die Festung, die den nördlichsten Punkt der Stadt bildete. Sie war nicht sehr reich oder aufwändig verziert, soweit sie das in der Dunkelheit der Nacht überhaupt erkennen konnte. Die Herrscher von Belatona schienen nicht besonders wohlhabend zu sein – im Vergleich zum Schloss von Urû‘baen war diese Burg hier beinahe heruntergekommen, doch sie zweifelte keine Sekunde daran, dass man offensichtlich versucht hatte, gewisse Ähnlichkeiten zu ebenjenem aufzubauen.

Als der Drache unter ihr schließlich erneut zur Landung ansetzte, richtete sich Arayas Blick auf den Boden des Burghofes, in dem sich zwei Personen aufhielten. Erst vermutete sie das Fürstenpaar, das sie – oder besser Murtagh – empfangen wollte, doch dann stellte sie fest, dass sie dafür viel zu weit voneinander entfernt standen. Ständen die Herrscher der Burg so weit auseinander, würde das den Eindruck eines Zwistes vermitteln, was keinesfalls in ihrem Interesse hätte sein können.

Dorn setzte mit einem vernehmlichen Laut mit allen vier Beinen auf dem sandigen Boden des Hofes auf und legte seine Schwingen an. Murtagh, der sich nicht von schützenden Lederriemen zu befreien hatte, sprang sofort aus dem Sattel und ging ein paar Schritte in Richtung der beiden Menschen, wobei er neben Dorns riesigem Schädel zum Stehen kam. Araya nahm das als Aufforderung, sich selbst vom Sattel loszumachen und begann mit ihrem linken Bein.

Nach einigen Momenten hatte sie den letzten Riemen um ihre Beine gelöst, ergriff mit beiden Händen die Schlaufe am vorderen Teil des Sattels und ließ sich langsam an Dorns Flanke hinab. Ihre Beine schmerzten, doch sie war froh, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Und Murtagh insgesamt drei Mal dabei beobachten zu können, wie er ihre Beine am Sattel befestigt oder von ihm befreit hatte.

Langsam bewegte sie sich auf Murtagh zu, blieb jedoch hinter ihm in einer gewissen Sicherheit stehen, als sie bemerkte, dass sich eine der Gestalten langsam auf sie zubewegte. Anscheinend hatte sie gewartet, bis beide Reiter von dem Drachen gestiegen waren, weil er sich nicht sicher gewesen war, wer von ihnen Murtagh war. Als der Schemen näherkam und dabei in das diffuse Licht der wenigen hellen Kerzen trat, erkannte sie in ihm einen älteren Mann, der nicht besonders wohlhabend, aber sicher nicht schäbig gekleidet war.

Er hatte mittlerweile ausmachen können, wer von ihnen der Drachenreiter war, und verbeugte sich tief vor Murtagh. Araya warf er nur einen irritierten und leicht verärgerten Blick zu. Unwillkürlich zog sie etwas die Schultern hoch, senkte den Kopf und trat näher an Murtaghs Rücken heran. Der Mann schüchterte sie mit seiner missbilligenden Ausstrahlung ein.

„Guten Abend, die Herrschaften“, setzte er schließlich an und Araya war erstaunt, wie gepflegt er sich ausdrückte. Nicht, dass er ihr wie ein Bauer erschienen war, aber so, wie er sprach, erinnerte er sie an die Diener in Galbatorix‘ Schloss. „Ich muss sie leider davon unterrichten, dass die hohen Herrschaften bereits zu nächtigen pflegen. Als bis zu dieser späten Stunde noch keine Anzeichen der Ankunft des erwarteten Drachenreiters zu finden waren, befahl mir unser edler Fürst Bradburn, Euch an seiner Statt zu empfangen und für Euer Wohlergehen in seiner Residenz zu sorgen. Allerdings wurde mit keiner Silbe erwähnt, dass Ihr gedachtet, einen Gast mitzubringen.“

Nun verstand sie. Dieser seltsame Mann war also tatsächlich ein Diener, der in dieser Burg angestellt war. Angesichts der Aufgabe, die ihm sein Herr überbracht hatte, allerdings sicher kein gewöhnlicher. Wahrscheinlich hatte sie mit ihrer Ankunft auf dieser Burg seinen gesamten Plan zunichte gemacht, den er sich zurechtgelegt hatte, um Murtagh zu empfangen. Bei diesem Gedanken errötete sie unweigerlich vor Scham; es war Gott sei Dank dunkel genug, dass es keiner sah.

Unsicher wanderte ihr Blick zu Murtagh, doch er machte keinerlei Anstalten, sich zu rechtfertigen oder zu erklären, warum sie so unvorhergesehen in seiner Begleitung hierhergekommen war. Als er auch nach einer längeren Stille keine Antwort bekam, schien der Diener es hinzunehmen. „Nun gut“, setzte er trocken fort und befahl dem zweiten Mann auf dem Hof mit einer Geste, näherzutreten. Er gehorchte sofort und schloss zu ihnen auf, bis er ungefähr fünf Schritte hinter dem alten Mann zum Stehen kam.

„Assir wird sich Eures Reitdrachens annehmen. Seid versichert, dass er sich unverzüglich um ihn kümmern wird; er ist sehr erfahren in der Pflege von fremden Tieren. Er wird ihn absatteln, Euer Reittier tränken und genügend Futter bereitstellen, damit es sich von der langen und beschwerlichen Reise erholen kann. Derweil bitte ich Euch, mir in die Burg zu folgen. Ich werde Euch Eure Gemächer zeigen.“ Mit einer weiteren Geste winkte der Diener Assir heran, während er sich schon abwandte und in Richtung Tor ging.

Araya war entsetzt, dass er von einem Drachen wie Dorn anscheinend nicht besser dachte als von einem ausgefallenen, aber dennoch dummen Pferd, welches nur zum Reiten und Anschauen taugte. Und mindestens ebenso verblüfft war sie, dass Murtagh und vor allem der sonst so stolze Drache diese Prozedur einfach hinnahmen und sie über sich ergehen ließen. Das war auch der Grund, warum sie sich zurückhielt, die beiden Männer auf ihren Fehler aufmerksam zu machen. Wenn Murtagh es nicht versuchte, zog er entweder einen Vorteil daraus oder es war schlicht und ergreifend sinnlos. Der zweite Gedanke, der sie davon abhielt, war, dass sie sowieso schon ungebetener Gast hier war. Die Dienerschaft zu belehren und zu verärgern wäre wohl das Letzte, was ihr hier weiterhelfen würde.

Als sie das riesige Tor passierten, erwartete Araya fast denselben Prunk, der ihr in Galbatorix‘ Schloss begegnet war … Allerdings wurde sie in dieser Hinsicht enttäuscht. Die Burg sah nicht nur von außen recht schlicht und einfach aus – immer im Vergleich zum Königsschloss in Urû’baen, versteht sich – sondern war auch im Inneren dem Stil treu geblieben. Sie hatte erwartet, dass Adlige in einem solch großen Land wie Alagaësia wohlhabender wären; dass sie kein Vergleich zu den gehobenen Häusern in ihrer Heimat wären.

Doch es gab kaum Unterschiede: Die schiere Größe und die edlen Gesteine und Stoffe, die verarbeitet worden waren, raubten Araya, der einfachen Bauerstochter, den Atem. Sie fühlte sich genauso eingeschüchtert, wie sie es gewesen war, als ihr Vater sie gegen den Willen ihrer Mutter mit in die gelegenste Handelsstadt genommen und ihr die Residenzen der reichen Händler gezeigt hatte. Galbatorix’ Schloss hatte sie nicht nur eingeschüchtert – es hatte ihr furchtbare Angst gemacht.

Dementsprechend wohler fühlte sie sich in diesem Haus, auch wenn es ihr immer noch unangenehm war, es zu betreten und hier als unangemeldeter Gast zu verweilen. Araya wurde aus ihren Gedanken und Erinnerungen gerissen, als Murtagh das Wort an den Diener vor ihnen richtete. „Unsere Räumlichkeiten sollten nicht mehr als zehn Meter voneinander entfernt sein. Und ich wünsche eine relative Nähe zum Speisesaal und allen anderen wichtigen Orten, die ich in Augenschein nehmen soll“, verlangte er von dem Diener, während er sich bereits wachsam umschaute, und brachte den alten Mann damit in arge Bedrängnis; wenn Araya seinen Gesichtsausdruck richtig deutete …

„A-Aber Herr … Mein Gebieter sagte mir, ich solle Eure Gemächer in der Nähe der Familienräume einrichten. Und es war nie die Rede davon gewesen, dass Ihr einen Gast mit Euch bringt. Ich könnte nötigenfalls noch ein zweites Gemach für die Dame herrichten, allerdings …“ Er verstummte, als Murtagh unwillig seinen Blick auf ihn richtete. Auf eine gewisse Art und Weise tat der Alte ihr Leid. Er konnte nichts für die Befehle, die er bekommen hatte, bevor die Fürstenfamilie zu Bett gegangen war. Und er fürchtete sicher eine Bestrafung, wenn die »Hohen Herrschaften«, wie er sie genannt hatte, nicht alles zu ihrer Zufriedenheit vorfinden würden. Und dazu gehörte zweifelsohne, dass der eingetroffene Drachenreiter dort nächtigte, wo sie es für richtig befunden hatten.

„Was?!“, fragte Murtagh eindeutig genervt. Seine Tonlage brachte den Diener dazu, zusammenzufahren. So gebieterisch er Dorn und dem Stallknecht gegenüber eben noch gewesen war, so unterwürfig und demütig war er in Murtaghs Anwesenheit. „Leider liegen die Familienräumlichkeiten nicht annähernd bei den Speisesälen“, gab er schließlich zu Bedenken und wartete geduldig auf Murtaghs Antwort, während sein Blick Arayas streifte.

Sie seufzte leise. Für sie alle war es ein langer Tag gewesen, da war sie sich sicher. Murtagh und sie hatten den ganzen Weg von Urû‘baen bis hierher zurückgelegt und hatten jetzt eigentlich nur in ein Bett fallen wollen, da wurden sie mit dem steifen Denken der Aristokratie konfrontiert. Und der alte Diener vor ihnen hatte sicher den gesamten Tag damit verbracht, eines der Gemächer nahe der Fürsten vorzubereiten und auf die Ankunft des Drachenreiters zu warten – ein ewiges Abwarten und Zittern. Kein Wunder, dass sie alle gereizt waren.

Trotzdem kein Grund, sie förmlich mit Blicken aufzuspießen. Araya gab ja zu, dass all diese Unannehmlichkeiten wahrscheinlich nur ihretwegen überhaupt zur Diskussion standen, trotzdem wollte sie das genauso wenig wie ihr Gegenüber oder Murtagh! Was war das Problem dieses Dieners? Murtagh schien seine Überlegungen ob der letzten Äußerung des Dieners abgeschlossen zu haben, denn mit einem Schnauben verkündete er herrisch: „Das ist mir egal. Mir ist es vollkommen gleichgültig, was Fürst Bradburn dir aufgetragen hat. Wo ich nächtige, entscheide immer noch ich selbst; das gleiche gilt für jedwede Begleitung meinerseits. Befolge einfach nur die Befehle, die du empfangen hast!“

Der alte Mann knickte ein. Murtagh war ihm gegenüber eine Autorität und er war nicht dazu befugt, sich dieser zu widersetzen – im Grunde hätte Murtagh auch den hiesigen Fürsten Anweisungen geben können. Das glaubte jedenfalls Araya – immerhin wurde er hierher gesandt, um die Loyalität der Familie Bradburns dem König gegenüber zu überprüfen und gegebenenfalls Maßnahmen einzuleiten.

Eilig ging der Alte voraus und führte sie vor den Speisesaal – ob er sich selbst orientieren oder Murtagh verdeutlichen wollte, dass er seinen Befehlen gehorchte, war ihr schleierhaft. Dann schlug er einen Haken in einen der Gänge links des großen Torflügels. Nach fünf Abzweigungen bog er wieder links herum ab und folgte dem Gang zwei Abzweigungen lang, woraufhin er nach rechts hin einen neuen Abschnitt des Flures betrat. Abrupt blieb er vor einer Tür unweit der Gabelung stehen.

Er öffnete sie weit und vollzog eine einladende Geste mit der Hand hinein. „Euer Raum, Mylady.“ Zögernd trat sie vor. Araya wunderte sich, dass er sie so formal ansprach, obwohl er sie offensichtlich für schmückendes Beiwerk hielt – es war nämlich das erste Mal, dass er überhaupt mit ihr sprach und dabei sah er sie nicht einmal an. Als wäre es ihm unangenehm, in ihrer Nähe zu sein. Sie verstand nicht, wieso er sich in ihrer Gegenwart unwohl fühlen sollte, doch sie wollte auch nicht in einem der Räume dieser Burg verschwinden, ohne zu wissen, wo Murtagh untergebracht werden würde. Beim Gedanken, ihn nicht wiederzufinden oder hier alleingelassen zu werden, wurde ihr ganz klamm ums Herz.

Hilfesuchend richtete sie ihren Blick auf ihn. Zum Speisesaal zurückzufinden würde nicht das Problem sein, weil sie sich den Weg hierher eingeprägt hatte, und es war kindisch, anzunehmen, dass sie sich dort nicht wiederfinden würden, doch das konnte ihre Angst auch nicht unterdrücken. Murtagh schien es ähnlich zu gehen, denn als er ihren Blick sah, griff er nach ihrer Hand und zog sie wieder von der Tür fort. Doch anstatt sie wie im Wald festzuhalten, ließ er sie sofort wieder los, als er sich dem Diener zuwandte.

„Sie soll wissen, wo mein Gemach sein wird. Zeige es mir!“, befahl er und nickte mit dem Kopf in Richtung des Flures, in dem sie standen. Er verzweigte sich erst in einiger Entfernung wieder und schien als Sackgasse zu enden, dem Licht nach zu urteilen. Mit einem verdrießlichen Blick in den Augen schloss der alte Mann die Tür heftig und ging den Gang weiter hinab. Araya zuckte bei dem Geräusch unwillkürlich zusammen. Wie sich herausstellen sollte, war Murtaghs Raum keine sechs Türen von ihrem entfernt auf der gegenüberliegenden Seite. Bedingt erleichtert, weil sie nun wusste, dass der Drachenreiter nicht allzu weit von ihr entfernt und sie nicht ganz allein in dieser Burg sein würde, lächelte sie Murtagh zu, als er schließlich an dem Diener vorbei sein Gemach betrat und ihr noch einmal einen beruhigenden Blick schenkte, bevor die Tür geschlossen wurde.

Sofort drehte sich der Mann um und lief zurück zu ihrem Raum. Nur zögerlich konnte sich Araya von Murtaghs Tür losreißen, als befürchte sie, sie würde doch noch verschwinden, wenn sie sie aus den Augen ließe. Doch ihr blieb wohl kaum etwas Anderes übrig, als langsam dem Diener zu folgen. Als dieser bemerkte, dass sie einige Schritte hinter ihm zurückblieb, drehte er sich offen ungeduldig um. „Komm endlich!“ Aufgeschreckt durch diesen plötzlich barschen Ausruf, beeilte sie sich aufzuholen und an ihm vorbei in ihr Gemach zu schlüpfen, dessen Tür von ihm aufgehalten wurde.

Anfangs flogen Arayas Augen kurz umher, um in aller Kürze einen ersten Eindruck von ihrem Zimmer zu bekommen, doch als auch danach immer noch kein Geräusch angekündigt hatte, dass die Tür geschlossen worden war, drehte sie sich verwirrt um. Der alte Mann stand immer noch im Türrahmen und musterte sie unverhohlen abgeneigt.

„Weißt du, Frauen wie dich brauchen wir hier nicht. Du lenkst nur alle ab: Den Drachenreiter, die junge Dienerschaft, die Soldaten, vielleicht sogar den jungen Herrn.“ Während er das sagte, glitt sein Blick über ihre Beine, die immer noch in den Lederhosen steckten, dann über ihren freiliegenden Nacken. „Sei einfach nicht, was du nun einmal aus Veranlagung zu sein scheinst“, fügte er noch abweisend hinzu, bevor er sich abwandte und die Tür hinter sich schloss.

Verwirrt und auch etwas eingeschüchtert ließ Araya ihren Blick ebenfalls über ihre Gestalt wandern. Sie war sich sicher, dass dieser alte Diener noch nie eine Frau in Männerhosen gesehen hatte; und mit augenscheinlich kurzen Haaren noch dazu. Vielleicht war es das, was ihm widersagte. Das würde allerdings nicht erklären, warum er gleich ihre ganze Natur so infrage stellte. Seufzend nahm sie sich endlich die Mütze vom Kopf und ließ ihr Haar ihren Rücken hinunterfallen. Dann sah sie sich noch einmal genauer in ihrem Zimmer um und stellte fest, dass es zwar ungewohnt geräumig, aber herrlich schlicht gehalten war. Sie hatte sich gerade auf dem hohen und weichen Bett niedergelassen, da klopfte es zwei Mal an der Tür.

Nur schwerfällig gelang es Araya, sich wieder zu erheben, zur Tür zu gehen und diese schließlich zu öffnen. Am liebsten wäre sie einfach liegen geblieben und wäre eingeschlafen, obwohl sie natürlich genau wusste, was sie in ihren Träumen erwarten würde. Sie machte sich nicht die Hoffnungen, dass ein solcher Ortswechsel etwas an ihrem Unterbewusstsein ändern würde.

Als sie das Schloss schließlich entriegelt und den Türgriff heruntergedrückt hatte, empfing sie ein warmes Gesicht. Die Frau war in etwa so alt wie ihre Mutter es gewesen war, als Galbatorix ihr Dorf überfallen hatte; allerdings war ihr Gesicht so viel runder und weicher als das ihrer eigenen Mutter. „Guten Abend“, begrüßte die offensichtliche Küchenaushilfe – sie trug eine schmutzige Schürze und roch nach Essen – sie mit einer kleinen Verbeugung und lächelte sie an. Dass es bereits spät in der Nacht war, schien sie nicht zu stören.

Erst auf den zweiten Blick erkannte Araya das eiserne Tablett in ihren Händen. Anscheinend hatte man veranlasst, dass ihnen noch zu dieser Zeit eine Kleinigkeit zu Essen gebracht wurde, damit sie sich nicht hungrig zur Ruhe legen musste. Das war wirklich eine nette, kleine Aufmerksamkeit, doch Araya wünschte in diesem Augenblick, jemand hätte diese Idee einfach vergessen. Sie war unendlich müde.

Nach einer kleinen Weile verstand Araya, worauf die Frau so geduldig wartete. Mit einer gemurmelten Entschuldigung trat sie zur Seite und aus der Tür heraus, damit die andere Frau das Zimmer betreten konnte, während sie ebenfalls mit einem „Guten Abend“ antwortete. Die Küchenhilfe stellte das Tablett auf den massivhölzernen Tisch und verabschiedete sich so schnell es ging wieder mit einer kleinen Verbeugung, als sie die Tür schon verlassen hatte. Araya war ihr dankbar dafür – vermutlich wollte sie auch so schnell wie möglich zurück in ihr Bett, aus dem man sie aufgescheucht hatte.

Es kostete sie einige Überwindung, noch etwas zu sich zu nehmen, da sie eigentlich einfach nur in das herrlich weiche Bett fallen wollte, doch Araya tröstete sich damit, dass sie als Gast wahrscheinlich bis in die Mittagsstunden hinein würde schlafen können – und sie so auch nicht vom nagenden Gefühl von Hunger frühzeitig geweckt werden würde. Also aß sie eiligst das Brot mit dem beigelegten Käse und trank die noch warme Milch aus einem Zinnbecher. Sie machte sich nicht die Mühe, wieder alles ordentlich auf das Tablett zu stellen und es so zu arrangieren, dass die Diener keine Schwierigkeiten hatten, es sicher abzutransportieren. Ohne sich zu waschen oder sich umzuziehen ließ sie sich auf das warme Daunen- und Federbett fallen und wickelte in einem letzten Akt die Decke um ihren Körper. Sie hatte es vorher lediglich noch geschafft, die schweren Stiefel von ihren Füßen zu streifen, dann glitt sie beinahe sofort in den Schlaf über.
 

Ihr Körper vibrierte in einem unsteten Rhythmus. Nach einer kleinen Weile fühlte es sich sogar eher wie ein kräftiges, aber nicht schmerzhaftes Zittern an; als wäre ihr kalt, aber doch wieder nicht. Inzwischen war ihr dieses Gefühl so vertraut geworden, dass Araya es selbst noch im tiefsten Halbschlaf ihres Körpers als den Versuch einer anderen Person erkannte, sie zu wecken.

„-ra!“, hörte sie undeutlich, als sie langsam aus ihrem tiefen, ihrer Meinung nach wohlverdienten und zu kurzen Schlaf erwachte. „Araya!“ Jemand rief ihren Namen. Und die Stimme hörte sich so an, als täte sie dies schon seit einer geraumen Zeit und verliere langsam die Geduld. Blinzelnd öffnete sie ein Auge, nur um es mit einem protestierenden Laut sofort wieder zu schließen, als ihr helle Sonnenstrahlen ins Gesicht schienen.

„Araya, wach auf!“ Es war wohl Murtagh, der versuchte, sie nach Leibeskräften zu wecken. Und im Moment, überlegte sie, könnte sie ihn für dieses Vorhaben hassen. Vor allem, als sie den banalen Grund für die allzu frühe Störung erfuhr, ohne auch nur ein weiteres Lebenszeichen von sich gegeben zu haben. „Fürst Bradburn und seine Familie wollen schon seit einer halben Stunde mit dem Dejeuner* im Speisesaal beginnen. Sie warten auf uns!“

Araya brachte nur ein unwilliges Brummen zustande; auch wenn sie sich gerade wie ein kleines, verzogenes Gör anhörte: Es war ihr egal. Störrisch zog sie sich die dicke Decke über den Kopf und murmelte zwischen zusammengepressten Lippen: „Lass mich schlafen.“ Als sie als Antwort nur Schweigen seitens Murtagh empfing, fügte sie hinzu: „Ich verzichte auf das Privileg. Komm mittags wieder, bitte!“ Jetzt hörte sich ihre Stimme schon weniger wie die eines kleinen Kindes an, sondern klang vielmehr nach wirklicher Verzweiflung.

Murtagh seufzte gut hörbar. Anscheinend wusste er genau, wie sie sich fühlte. Hoffnungsvoll lüpfte Araya die Decke ein wenig, um ihn mit einem Auge vorsichtig betrachten zu können. Vielleicht würde er nachgeben … Doch der Drachenreiter zeigte ihr nur ein bedauerndes Lächeln. „Ich wünschte, das wäre verhandelbar, aber sie wollen mich danach gleich zum Militärbezirk führen. Er ist zu weit entfernt, als dass du einfach hierbleiben könntest. Und es wird wohl eine Weile in Anspruch nehmen, also solltest du vorher etwas essen.“

Eigentlich schon überredet, schob Araya ihre Unterlippe ein wenig vor – ohne, dass er es sehen konnte, natürlich. Das war gemein! Er hatte wieder einmal nur an sie gedacht, anstatt einfach ganz eigensinnig zu handeln. Wie konnte sie da noch ablehnen? Ob er das wusste? Ein ergebenes Seufzen ausstoßend schob sie die Decke schließlich vollständig von ihrem Körper und zwang sich, trotz der Müdigkeit aufzustehen.

Es dauerte nur einen Augenblick bis Araya bemerkte, dass sie die letzte Nacht in ihrer Reisekleidung geschlafen hatte. Das Leder spannte unangenehm an ihrer Haut und fühlte sich klamm an. Als sie ihren Blick kritisch an ihrem Körper hinabwandern ließ, stellte sie bereits nach dem ersten Gesamteindruck fest, dass sie sich wohl nach anderer Kleidung umsehen sollte. Trotzdem versuchten ihre Hände, die größten Schäden und Falten am Gewebe auszubessern, widerstrebte es ihr doch, Kleidung bereits nach dem ersten Tragen zu wechseln.

Doch auch das verbesserte den Gesamteindruck nicht. Ihr braunes Hemd war verlegen und wies überall Falten auf – ganz davon abgesehen, dass es durch die schweißtreibende Reise und ihr kleines Bad im See nicht gerade geschont worden war. Der Lederhose ging es auch nicht viel besser … Sie musste wohl einsehen, dass ihre Bemühungen vollkommen überflüssig waren. „Du hättest nicht zufällig –“, begann sie an Murtagh gewandt, als sie sich schließlich dazu aufraffen konnte, ihren Blick von sich selbst zu nehmen und ihn wieder anzusehen, stockte jedoch, als sie sah, dass der Drachenreiter bereits an ein neues Bündel gedacht hatte und es ihr wortlos, jedoch mit einem Lächeln entgegenhielt.

Etwas hastig nahm sie es ihm ab und entfaltete den Stoff. Als sie ein Hemd erkannte, wusste Araya schon, was sich noch darin verbarg. Ihre Befürchtungen wurden bestätigt, als sie tatsächlich noch eine Hose fand. Der Gedanke, darin zum Morgenmahl im Speisesaal der Fürsten zu erscheinen – vollkommen unpassend für eine Frau gekleidet und somit den sicher missbilligenden Blicken der hohen Gesellschaft ausgeliefert –, trieb ihr die reine Schamesröte ins Gesicht.

Sie versuchte sofort, sie zu vertreiben, immerhin war es Murtagh gegenüber, der an sie gedacht und ihr deswegen neue Kleidung besorgt hatte, alles andere als gerecht. Er konnte wenig für ihr Bild, wie eine Frau zu sein und sich zu benehmen hatte. Wie so oft konnte sie ihr Unbehagen aber nicht vor ihm verbergen.

„Stimmt etwas nicht?“, fragte Murtagh besorgt und sah ihr dabei unverwandt ins Gesicht. Das sicher trotz ihrer Bemühungen immer noch gerötet war, da war sie sich sicher. „Es ist nur …“, zögerte sie, ihren Gedanken auch wirklich auszusprechen, doch ein Blick in seine Augen verriet ihr, dass er sich wirklich sorgte. Ihn in seiner völlig unbegründeten Sorge allein zu lassen, wäre grausam gewesen. „Ist es in Ordnung, solche Kleider als Frau beim Speisen zu tragen? Die Fürsten sind hohe Herrschaften, oder nicht?“, vollendete Araya schließlich ihren Gedanken und Unsicherheit schlich sich in ihre Stimme.

Murtagh jedoch zuckte nur mit den Schultern. „Ich habe eh nichts Anderes für dich dabei.“ Kaum hatte er den Satz beendet, veränderte sich jedoch plötzlich sein Gesichtsausdruck. Kurz drückte sich Erstaunen darauf aus, das konnte Araya erkennen, aber dann wurde sein Gesicht verständnisvoll und hart zugleich. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen. „Du brauchst dir deswegen keine Sorgen zu machen …“, seufzte er schließlich und lächelte sie beruhigend an. Irgendwie schaffte er es tatsächlich, sie damit aufzumuntern – und wenn es nur daran lag, dass Araya sich verstanden fühlte. Denn das hatte er, da war sie sicher.

„Aber du solltest besser noch schnell ein Bad nehmen, bevor es kalt wird. Bevor ich hierherkam, habe ich eine der Dienerinnen gebeten, dir eines einzulassen“, wechselte er das Thema, während er durch den Raum ging und eine versteckte Tür öffnete. Einen Augenblick wunderte sie sich, wie er sie so zielsicher finden konnte, doch dann kam ihr in den Sinn, dass dies vielleicht eine der Spielereien reicher Leute war.

Mit einem Blick in den nun enthüllten, riesigen Raum machte sie einen Behälter aus, der offensichtlich aus Eisen, wenn nicht sogar Stahl gefertigt worden war und in dem sich herrlich dampfendes Wasser befand. Die Aussicht auf ein warmes Bad freute sie, allerdings kam Araya nicht umhin sich zu fragen, ob die Diener das Wasser Eimer für Eimer erhitzt hier herauftragen mussten.

Erst, als Murtagh sie rief, bemerkte sie, dass er das Badezimmer betreten hatte und auf sie wartete. Mit kurzen Worten und präzisen Erklärungen machte er sie mit den Mechanismen des Raumes vertraut – wo sie was fand, dass sie an der unauffällige Schnur neben der Tür ziehen sollte, um dem Personal Bescheid zu geben, dass sie fertig war und zu ihrem Unbehagen auch, wo sie hier Unterwäsche vorfinden sollte. Dann verabschiedete er sich mit den Worten, er werde in ihrem Zimmer warten.

Einen kurzen Moment sah Araya sich noch unsicher um, nahm all die graziösen und fein herausgearbeiteten Details der Verzierungen des teuren Marmors in sich auf und damit auch all die Annehmlichkeiten und die Kosten, die diese Aufmachung sicher verschlungen hatte. Mit einem letzten Blick zur Tür – sie glaubte nicht, dass Murtagh sie anlügen und heimlich hereinsehen würde, aber sicher war sicher – begann sie schließlich, sich umständlich zu entkleiden. Umständlich, weil sie sich noch nie aus Männerkleidung befreit hatte und die Schnüre, die ihr Hemd zusammenhielten, sich in der Nacht selbst durch das Wams hindurch verwirrt hatten.

Nach einiger Zeit des erfolglosen Versuches, das Durcheinander zu entwirren, fand sie schließlich den entscheidenden Knoten und konnte es ablegen. Es folgte als letztes die Hose, die sich recht gefügig zeigte, da sie bereitwillig von ihren Beinen glitt. Nun vollkommen nackt und durch das Tageslicht erhellt, das durch die deckenhohen Fenster schien, sah Araya seit Wochen und Monaten ihre Haut wieder in natürlichem Licht. Sie wollte eigentlich gar nicht hinsehen. Selbst im Drachenhort hatte sie sich blass gefunden, nun war sie beinahe weiß! Die Monate in der Dunkelheit hatten ihr ihre hart erkämpfte leichte Bräune genommen, die sie durch die viele Zeit auf den Feldern und in der Stadt erlangt hatte, und Araya hatte schon damals in Galbatorix‘ Schloss die Vermutung gehabt, dass sie nie wieder wirklich Farbe annehmen würde.

Um sich nicht weiter ansehen zu müssen, beeilte sie sich und stieg in die Wanne mit angenehm heißem Wasser. Der erste Schreck und der damit verbundene Schmerz, der ihren Körper durchfuhr, als sie die tatsächliche Temperatur wahrgenommen hatte, verebbte schnell und wich einem angenehmen Seufzen und dem Gefühl, aus ihrem Innersten heraus gewärmt zu werden. Warmes Wasser war bei ihnen zu Hause eher eine Seltenheit als eine Regel, immerhin verbrauchten warme Bäder Unmengen an Feuerholz. Im Winter, wenn es zu kalt war, um in Flüssen oder Seen zu baden, füllten sie Wasser in Ledersäcke und ließen sie neben dem wärmenden Kochfeuer liegen, bis das Wasser eine annehmbare Temperatur hatte – heiß wurde es davon jedoch bei Weitem nicht.

Als ihr jedoch wieder einfiel, dass Murtagh ja auf sie wartete, riss sich Araya von der Faszination des heißen Bades los und widmete sich der Aufgabe, sich zu reinigen. Sie griff nach einem der Kernseifenstücke, das neben der Wanne lag und roch daran. Ein Duft von Rosen stieg ihr in die Nase und biss sie, wodurch sie kurz nieste. Hastig legte sie es zurück und griff nach einem anderen. Dieses war geruchlos, also würde sie es in Erinnerung behalten; ihre Neugierde trieb sie jedoch dazu, auch an den anderen Stücken zu riechen.

Die nächste Seife roch nach etwas, das Araya nicht weiter spezifizieren konnte, allerdings missfiel ihr auch dieser Geruch zutiefst. Als sie jedoch das letzte Stück ergriff und die Luft einsog, erkannte sie einen lang vermissten Duft. Anscheinend hatte sich jemand die Mühe gemacht und der Kernseife den Geruch von frisch gemähtem Gras und Wildblumen beigemischt. Es erinnerte sie sofort an ihre Heimat – die Erde und die Pflanzen rochen wohl überall gleich.

Um sich nicht weiter aufzuhalten, tauchte Araya die Seife ins Wasser und fuhr mit ihr über ihren Körper. Nachdem sie die Reste des Schaumes nach gründlichem Reiben abgespült hatte, schäumte sie vorsichtig ihre Hände ein und begann, auch ihre Haare zu waschen. Bei der Länge musste sie mehrmals mit dem Kernseifenstück nachhelfen bis sich aller Dreck aus ihnen löste. Für Araya jedoch roch es jetzt überall nach Heimat. Nachdem sie auch den Schaum aus ihrem Haar gespült hatte und ein paar Mal in der Wanne untergetaucht war – immer darauf bedacht, dass das Wasser nicht über den Rand spülte –, entstieg sie ihr schließlich wehmütig.

Sie wäre gerne solange im Wasser geblieben, wie es noch angenehm warm war, aber Murtagh hatte sie ja schon nach ihrem Erwachen zur Eile angetrieben. Sie griff sich eines der Handtücher und wickelte es sich um den Körper, bevor sie ein zweites holte und gründlich ihre Haare abtrocknete. Dann suchte sie den von Murtagh erwähnten Schrank, in dem ebenfalls andere Utensilien untergebracht sein sollten und hoffte, einen Kamm oder eine Bürste zu finden.

Sie fand eine Bürste mit abgerundeten Stahlzinken und Wildschweinborsten. Solche waren nicht gerade in jedermanns Besitz, deswegen zögerte Araya einen kurzen Augenblick, doch sie fand mit den Augen auch keinen normalen Kamm oder ähnliches. Sie entwirrte und glättete ihre Haare, die immer noch feucht waren, und hoffte, sie würden schnell genug trocknen, sonst müsste sie sie abwechselnd mit dem Handtuch frottieren und dann wieder kämmen. Aber das müsste sie entscheiden, wenn sie fertig angekleidet war.

Rasch trocknete sie ihren Körper ab und suchte dann nach der Kommode, in der die Unterwäsche verstaut sein sollte. Sie nahm ein Höschen und ein Hemd heraus und zog sich beides über, bevor sie schließlich die Hose und das Hemd anlegte und noch einmal prüfend über ihre Haare fuhr. Sie waren zwar immer noch etwas feucht, allerdings entschied sich Araya schließlich dagegen, sie noch einmal mit einem Handtuch zu bearbeiten. Vielleicht könnte sie Murtagh bitten, sie zu trocknen, aber die Luft sollte das auch selbst regeln.

Ohne weiter zu zögern, öffnete sie die Tür zu ihrem Zimmer und zog beim Verlassen des Bades noch drei Mal an der Schnur, die direkt daneben angebracht war. Kaum ertönte das Geräusch der sich öffnenden Tür, blickte Murtagh in ihre Richtung. Er hatte es sich auf einem nahegelegenen Stuhl bequem gemacht, während er auf sie gewartet hatte. Sie schloss die Tür wieder hinter sich und beobachtete Murtagh dabei, wie er sich erhob. „Fertig?“, fragte er geduldig und ließ seinen Blick an ihr herabgleiten.

Sie lächelte und antwortete: „Ja, da bin ich wieder.“ Auf diese eher ungewöhnliche Antwort ihrerseits lächelte Murtagh nur und öffnete schließlich die Tür, die auf den Flur hinausführte, um sie ihr aufzuhalten. Bereitwillig nahm Araya sein Angebot an, musste sich jedoch etwas an ihm vorbeidrängen, da er ziemlich weit im Türrahmen stand. Als sie ihm gerade am nächsten war, streckte er die Hand aus und berührte eine Strähne ihres Haares und rieb sie zwischen seinen beiden Fingern. „Sie sind noch feucht“, stellte er ruhig fest, doch Araya fühlte sich dennoch genötigt, darauf zu antworten. „Ja, aber der Wind wird sie schon für mich trocknen.“

Als sie sich wieder in Bewegung setzte und endgültig an ihm vorbeiging, strich ein warmer Wind über ihr Gesicht und Araya war sofort klar, dass Murtagh ihre Haare magisch getrocknet hatte. Mittlerweile hatte sie genug von der Magie in diesem Land gesehen und erfahren, um zu erkennen, wann zumindest Murtagh seine einsetzte. „Danke“, murmelte sie etwas unbehaglich, da er ihr schon wieder einen Gefallen getan hatte, um den sie nicht gebeten hatte und der eigentlich ziemlich unnötig gewesen war.

Trotzdem war es eine nette Geste, allerdings befürchtete sie, dass sie das niemals alles zurückzahlen könnte. Nicht, dass sie glaubte, Murtagh würde das jemals verlangen, allerdings war ihr nicht wohl dabei, dass sie jemandem so viel schuldete. Als sie sich gerade von ihm getrennt hatte, hielt Murtagh sie plötzlich auf, indem er ihr Handgelenk festhielt. „Warte mal!“, erklärte er und trat näher an sie heran. Verwirrt beobachtete sie ihn dabei und wusste nicht, was sie mit der Situation anfangen sollte, da er immer noch ihr Handgelenk umschlossen hielt und sich nun vorbeugte.

Sie versuchte zurückzuweichen, allerdings hielt Murtagh sie davon ab, indem er sie einfach wieder näher zog. Es war ihr immer noch ein wenig unheimlich, wie viel stärker er selbst als die Jungen aus ihrem Dorf zu sein schien. Als er weiter näher kam, schlich sich ein wenig Angst in ihr Denken. So etwas hatte Murtagh noch nie zuvor getan und sie wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte, geschweige denn, was er überhaupt vorhatte. Als er jedoch nur seine Nase in ihrem Haar vergrub und tief einatmete, stieß sie erleichtert die Luft aus, die sie, ohne es zu wissen, angehalten hatte.

„Du riechst nach Gras und Blumen“, stellte er lächelnd fest und entließ sie aus seinem Griff. Araya errötete leicht aufgrund der Nähe, die immer noch zwischen ihnen bestand, brachte es jedoch fertig, sich mit einer Hand das Haar hinter ihre Ohren zu stecken und so unbefangen wie möglich zu fragen: „Und?“ Er klang amüsiert, als sich sein Lächeln zu einem Grinsen ausweitete. „Ich dachte nur, dass dieser Geruch sehr zu dir passt.“

Obwohl sie genau fühlen konnte, wie ihre Wangen wieder vor Scham, aber auch Freude erröteten, und wusste, dass sich ihre Stimme schwach anhören würde, entschloss sie sich doch, ihm zu antworten: „Er erinnerte mich an Zuhause. Daher: Ich danke dir!“

„Gern geschehen“, erwiderte Murtagh mit viel festerer und sichererer Stimme und wandte sich dann um, um den Gang hinunterlaufen. Mit einer kleinen Verzögerung folgte Araya ihm und hielt etwas Abstand. Sie hatte sich wieder an die Worte des Dieners erinnert und nun, wo sie einigermaßen wach war – jedenfalls für den Moment, wie sie fürchtete –, versuchte sie, sich einen Reim auf sein Verhalten gestern Abend zu machen. Hatte sie etwas getan, um ihn dermaßen zu verärgern? Das konnte nicht nur an der Tatsache liegen, dass sie hier ohne Ankündigung aufgetaucht war …

Sie dachte darüber nach, bis sie das Geräusch einer sich öffnenden Tür vernahm und langsam aufsah. Araya hatte gar nicht bemerkt, wie schnell sie den Speisesaal erreicht hatten, doch Murtagh sagte dazu nichts, obwohl er ihr einen fragenden Blick zuwarf. Ablehnend schüttelte sie den Kopf. Sie würde ihn nicht damit belasten, dass sie anscheinend schon wieder nicht mit den Dienern auskam.

„Ah!“, wurden sie von einer weiblichen Stimme empfangen, aus der Fröhlichkeit und unterdrückte Ungeduld sprach. „Habt Ihr erledigt, was so wichtig war, werter Drachenreiter?“ Zögernd sah Araya auf, konnte jedoch nichts erkennen, da Murtagh genau vor ihr stand. Sie schlussfolgerte daraus, dass auch die Frau sie nicht sah und er ihr verschwiegen hatte, dass er sie habe wecken wollen. „Sicher“, antwortete der Drachenreiter mit einer Stimme, die sie bei ihm bis jetzt nur in Anwesenheit Galbatorix‘ gehört hatte. Es war gezwungene Höflichkeit.

Dann streckte er ohne Vorwarnung den Arm zu ihr nach hinten aus, legte seine rechte Hand auf ihren Rücken und schob sie nach vorne neben sich selbst. Nun konnte Araya die Frau, die gesprochen hatte, auch sehen und wusste ohne weitere Erklärungen, dass sie die Fürstin war. Das verrieten ihr die ausnahmslos teuren und neuwertigen Stoffe. Dafür, dass Belatona sehr klein war, schien die Familie doch wohlhabend genug zu sein, verschwenderisch mit Kleidung umzugehen. Als auch sie ihr Augenmerk auf Araya richtete, zeigte sich Verwirrung auf ihrem Gesicht, das von dunkelblonden Strähnen umrahmt war.

Zu ihrer Linken am Kopfende des Tisches saß zweifelsohne ihr Mann und ihr gegenüber ein Junge. Sie war sich sicher, dass er jünger war als sie selbst, doch dunkel erinnerte sich Araya auch, dass der Diener etwas von einem »jungen Herrn« gesagt hatte; er war wohl ihr Sohn. Seine Haarfarbe war eine Mischung aus denen seiner Eltern: Das dunkle Blond seiner Mutter und die schwarzen Haare seines Vaters hatten sich in ihm zu einem hellen Braun vereint, in dem einzelne Strähnen heller aus der Gesamtmasse herausstachen.

Sie alle sahen sie an. „Das ist Araya, sie hat mich freundlicherweise hierher begleitet. Ich muss darauf bestehen, dass sie zu jeder Zeit in meiner relativen Nähe bleibt. Das schließt ein, dass ich beschlossen habe, sie heute mit in den Militärbezirk zu nehmen.“ Es dauerte nur einen Moment, bis sich Entsetzen im Gesicht der Fürstin ausbreitete. Ihr Mann hingegen schien dieser Idee nicht abgeneigt zu sein, denn er musterte sie wie sein Sohn aufmerksam. Das fand Araya fast noch unheimlicher, als den Zorn der Dame des Hauses auf sich zu ziehen.

„Mit zu den Soldaten?!“, echauffierte sie sich mit erhobener Stimme, während sie ihren Blick abschätzig über Arayas Kleidung gleiten ließ. Sie hatte es bereits vermutet, als Murtagh ihr die Männerkleidung gegeben hatte, doch in den Augen der Fürstin sah sie das Entsetzen angesichts ihrer Kleidung nun sehr deutlich. Und obwohl er ihr gesagt hatte, sie solle sich keine Sorgen darüber machen, bewegte sich ihr Körper wie vorhin in ihrem Zimmer von allein, um vermeintliche Fehler des Stoffes auszubessern, und senkte dabei ergeben den Blick.

Trotzdem konnte sie nicht umhin, durch ihre Wimpern hindurch leicht nach oben zu sehen, um auch weiterhin die Mimik der Fürstenfamilie auffangen und gegebenenfalls schnell darauf reagieren zu können. Daher sah sie auch, wie die Frau ihrem Mann einen hilfesuchenden Blick zuwarf und dabei bemerkte, dass dieser immer noch zu Araya hinüberstarrte. Mit einer heftigen Handbewegung gegen seinen Arm machte sie ihren Anspruch auf Aufmerksamkeit deutlich und zischte verhalten: „Hört Ihr wohl auf, dieses Weib anzustarren!“ Allerdings schien sie nicht darauf zu warten, dass ihr Mann der Aufforderung Folge leistete, denn sie wandte sich wieder Murtagh und ihr zu.

„Warum lasst Ihr sie sich nicht einfach in ihrem Zimmer ein wenig ausruhen? Gestern Nacht muss zweifelsohne anstrengend für dieses zierliche Ding gewesen sein“, versuchte sie, Murtagh dazu zu überreden, von seinem Vorhaben abzulassen, und als sich die Miene des Drachenreiters verhärtete, riss sich Araya von ihrer Kleidung los und hob den Kopf. „Die Reise war anstrengend, Herrin, aber ich versichere, dass ich dennoch keine Last sein werde. Ich danke Euch für Eure Anteilnahme.“ Als sie sich so verbeugte, wie es ihr einmal ihre Mutter beigebracht hatte, lachte die Fürstin.

„Oh, ich rede keinesfalls von der Reise hierher, wie du sicher wissen magst!“ Ihre Stimme nahm einen aggressiven Ton an, doch schnell hatte sie sich wieder gefangen, nachdem ihr Mann sich verhalten geräuspert hatte. Unsicher richtete sie sich wieder auf und blickte kurz verwirrt zu Murtagh, nur um zu sehen, dass er ebenso ratlos wie sie zu sein schien, was die Fürstin damit andeuten wollte. Allerdings schien das Thema ihrem Mann unangenehm geworden zu sein, denn obwohl er bis jetzt eisern geschwiegen hatte, setzte er sich nun über seine Frau hinweg.

„Ich hätte nichts dagegen, sie dabei zu haben. Außerdem, lass unsere Gäste doch nicht ewig an der Türe stehen. Komm, Mädchen. Setz dich zu uns und iss etwas“, richtete er freundlich das Wort an sie und unterstützte sein Vorhaben mit einer einladenden Geste seiner Hand. Araya hörte ein leises Seufzen von Murtagh, dessen Miene sich sofort entspannte. Anscheinend hätte er sich auch nur ungern mit der Fürstin gestritten, doch durch das Einschreiten ihres Mannes war ihm diese Entscheidung erspart geblieben.

„Nun trau dich doch!“, wiederholte Fürst Bradburn noch einmal mit Nachdruck und deutete auf den Platz neben seinem Sohn. Seine Frau schien zwar wenig begeistert zu sein, doch Araya vermutete, es war ihr lieber, sie saß neben seinem Sohn als neben ihr selbst. Im Folgeschluss blieb Murtagh nichts Anderes übrig, als sich neben der säuerlichen Frau niederzulassen.

Vorsichtig und darauf bedacht, nicht allzu unangenehme Geräusche beim Zurückziehen des Stuhles zu verursachen, zwängte sich Araya in die kleine, entstandene Lücke und ließ sich auf der Sitzgelegenheit nieder. Immer noch ein wenig von dem Streit der beiden verunsichert, ließ sie ihren Blick über all die Köstlichkeiten wandern, die aufgetischt worden waren. Im Gegensatz zu Murtagh, der ihr Brot, Haferflocken, Milch und Früchte gebracht hatte, war auf dieser Speisetafel auch ein großer Schweinebraten vertreten und andere Unmengen an Fleisch und Käse. Es sah eher danach aus, als würden sie zu Mittag essen und nicht erst die erste Mahlzeit des Tages zu sich nehmen.

Der Fürst schien ihre Zurückhaltung bemerkt zu haben und erhob abermals seine Stimme: „Nimm dir, was immer dir beliebt. Wir haben genug zu essen für alle!“ Araya stieß auf diese Aufforderung hin einen kleinen Seufzer aus, ehe sie ihre Hände aus ihrem Schoß löste und sich vorsichtig ein Stück Brot nahm und ein paar Trauben von der einzigen Schale mit Früchten auf dem Tisch. Nur unterschwellig vernahm sie noch das abweisende Schnauben der Fürstin, die damit wohl auf die Gastgeberfreundlichkeit ihres Mannes abzielte. Langsam und so gesittet Araya jemals gelernt hatte, zu essen, aß sie die Trauben zusammen mit dem Brot und stillte somit den ersten Hunger ihres Magens.

Ein Blick auf die andere Seite des Tisches verriet ihr, dass Murtagh ebenfalls zugegriffen und sich ein wenig Fleisch mit Bratensoße genommen hatte. Ermutigt, dass sie es ebenfalls schaffen sollte, sich etwas davon zu nehmen, ohne sich vollkommen zu blamieren, streckte sie die Hand nach einem weiteren Stück Brot aus, legte es sich neben den Teller und musste sich dann etwas erheben, um auch an den Braten zu kommen. Nur zögerlich nahm sie die seltsam aussehende Gabel in die eine und das riesige Messer in die andere Hand und wusste nun erst einmal nicht wirklich weiter. War es in Ordnung, einfach irgendwo zu schneiden? Sie wollte den anderen ja auch nicht die besten Stücke des Schweines wegnehmen …

Sie verharrte einige Moment in dieser Position, während sie versuchte, darüber nachzudenken, und bemerkte, dass ihre Gedanken langsam schwerfälliger wurden. Das Essen ließ die altbekannte Müdigkeit zurückkehren, von der sie schon gehofft hatte, sie wäre sie vielleicht losgeworden. Ihre Augenlider wurden schwerer, aber das half ihr nicht bei ihrem Dilemma mit dem Fleisch. Ihr kam es wie eine Ewigkeit vor, die sie dort stand und einfach nur ratlos das ganze Schwein anstarrte, doch tatsächlich waren es wohl nur einige Augenblicke, denn Bradburn holte sie zurück in die Gegenwart.

„Arawin, sei so nett und hilf ihr ein wenig“, befahl er mit ruhiger, sanfter Stimme und Araya wunderte sich einen kurzen Moment lang, mit wem er eigentlich sprach, als neben ihr auch schon die Stimme des Fürstensohnes erklang. „Natürlich, Vater.“ Der Junge erhob sich ebenfalls von seinem Platz, nahm ihr das Besteck aus der Hand und löste mit ein paar wenigen Schnitten ein Stück aus dem Braten und legte es auf ihren Teller. Dann griff er nach der Soße und gab eine kleine Kelle darüber, bevor er alles wieder an seinen Platz stellte und sich setzte.

Araya murmelte einen Dank, als auch sie sich wieder niederließ und aufgrund ihrer Hilflosigkeit errötete. Was musste sie sich auch immer so anstellen? Doch trotzdem konnte selbst ihre erneute Verlegenheit ihre Müdigkeit nicht zurückdrängen. Einigermaßen lustlos, obwohl immer noch hungrig genug, um den Teller zu leeren, begann sie mit dem bereitgelegten Besteck kleinere Stücke aus dem Fleisch herauszuschneiden und sie, getränkt mit köstlicher Soße, zu ihrem Mund zu führen. Dass der Fürstensohn sie hatte bedienen müssen als wäre sie die wichtigste Person in diesem Raum war ihr immer noch so unangenehm, dass sie es nicht wagte, den Blick auch nur einen Millimeter von ihrem Teller zu heben.

Der Gedanke brachte sie allerdings dazu, sich zu wundern, ob keine Diener hier gewesen waren, die ihr hätten zur Hand gehen können. Es mussten doch welche im Raum sein, um dem Fürstenpaar Getränke oder ähnliches zu servieren und den Tisch nach dem Essen abzuräumen oder waren das nur ihre Vorstellungen? Der Gedanke an die Diener erinnerte sie auch wieder daran, dass irgendjemand wohl gerade die Wanne in ihrem Badezimmer vom Wasser befreite und irgendwie hatte sie ein schlechtes Gewissen, es nicht selbst erledigt zu haben. Und wenn sie an ihr Bad dachte, musste sie auch sofort an ihr Gemach denken und an das himmlische Bett darin.

Denn obwohl sie so wenig Zeit in den weichen Federn verbracht hatte, spürte Araya den Unterschied zum harten Boden des Drachenhortes sofort. Trotz der bleiernen Müdigkeit, die stetig etwas mehr von ihr Besitz ergriff, fühlte sich ihr Körper seltsam erholt. Im tiefsten Inneren liebte sie dieses Bett.

Ohne es wirklich zu bemerken, schlossen sich langsam ihre Augen und obwohl sie dagegen ankämpfte, konnte sie es nicht verhindern, dass ihr Kopf ab und an nach vorne nickte. Erst das schallende Lachen des Fürsten schreckte sie so sehr auf, dass sie für einen kurzen Moment hellwach war. „Seht sie euch an! Sie schläft ja fast im Sitzen ein“, lachte er immer noch laut heraus und Araya richtete sich augenblicklich gerade auf und richtete ihren Blick auf Bradburn. Der wiederum wandte sich jetzt Murtagh zu und sie folgte unweigerlich seinem Blick, um dem besorgten von Murtagh zu begegnen.

Das reichte, um sie zu motivieren, sich zusammenzureißen. Er musste sich keine Sorgen machen; sie war nur ein wenig übermüdet. Murtagh hatte weiß Gott genug Angelegenheiten, um die er sich selbst kümmern musste – die meisten Probleme wegen seiner Gefangenschaft bei Galbatorix. „Sagt, mein lieber Drachenreiter, ist sie von so fehlbarer Ausdauer oder habt Ihr sie dermaßen überfordert?“, fragte er breit grinsend und mit schelmischer Stimme, die ihm von Murtagh jedoch nur einen warnenden Blick einbrachte. „Verstehe, verstehe. Ihr mögt lieber nicht darüber sprechen, was?“, lachte Bradburn immer noch und Araya sah zwischen den beiden hin und her. Neben ihr ertönte ein kleines, zurückgehaltenes Kichern und sie fing außerdem den abgestoßenen Blick seiner Frau auf.

Endlich hatte der Fürst sich wieder beruhigt und erhob sich. „Nun denn, nun denn“, verkündete er und sah Murtagh erwartungsvoll an, „Wollen wir dann zur Tat schreiten, ehrenwerter Drachenreiter?“ Mit einem mehr als genervten Seufzen – so viel konnte Araya sagen – ergriff der Angesprochene schließlich seine Serviette, die neben seinem Teller lag, wischte sich kurz über Mund und Finger und erhob sich schließlich, indem er sie auf das Porzellan fallen ließ.

Eilig griff sich Araya das verbliebene Stück Brot, wischte damit die letzten Reste der Soße auf, schlang es eilig herunter und ahmte den Drachenreiter dann nach. Allerdings entschloss sie sich, die Serviette lieber neben das Geschirr zu legen. Als sie aufstand, erhob sich auch der Junge neben ihr, was sie erschreckte, doch dann bemerkte sie, dass er nur darauf wartete, dass sie sich entfernte. Ein paar Abschiedsworte murmelnd wandte sie sich von den beiden verbliebenden Personen ab und sah nun ein paar Diener aus einer Wandnische erscheinen, die sich daran machten, das Mahl abzuräumen. Doch viel mehr konnte sie nicht sehen, denn sobald sie den Speisesaal verlassen hatte, wurde die Tür geschlossen und ihr Blick somit ausgesperrt.

„Dann brechen wir auf zu neuen Taten, nicht wahr?“, fragte Bradburn beinahe fröhlich und legte ihr unbefangen einen Arm um die Schultern. Araya erschrak aufgrund dieser vertraulichen Handlung und suchte den Blickkontakt zu Murtagh, doch der Drachenreiter weigerte sich, ihn zu erwidern. Als sich der Fürst in Bewegung setzte, blieb ihr nichts anderes übrig, als mit ihm Seite an Seite zu gehen und es über sich ergehen zu lassen, obwohl sich langsam altbekannter Schmerz in ihr aufbaute, der von der Berührung herrührte, und dem sie nur entgegenhalten konnte, indem sie ihre Hände vor sich verschränkte und ihre Fingernägel in ihre Hand bohrte. Sie hatte gehofft, ihn bereits losgeworden zu sein …
 

*Nur ein etwas anderes Wort für »Frühstück« oder eben »Morgenmahl«; weil ich das erste Wort zu neumodisch finde und das zweite mir dank Wiederholung langsam auf die Nerven geht xD Verbessert mich, wenn ihr anderer Meinung seid … Das Wort stammt übrigens aus meinem neuen Duden Synonymwörterbuch *~*



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Von: abgemeldet
2013-05-15T08:25:34+00:00 15.05.2013 10:25
Hey :)

Da ich vor kurzem selbst wieder in die Eragon-Materie eingestiegen bin, habe ich mich nach fanfics in diesem fandom umgesehen. Bei deiner Geschichte habe ich angefangen, also bekommst du auch gleich ein review.

Erst einmal finde ich den Namen deiner Protagonistin super. Er hat einen schönen Klang, und was mich am meisten freut: Sie ist offenbar nicht Aryas Tochter. Davor hatte ich mich ein wenig gefürchtet, als ich mir deine Charakterbeschreibungen angesehen habe. Obwohl Augen- und Haarfarbe ja eigentlich übereinstimmen würden. Vielleicht klärt sich das ja noch in den folgenden Kapiteln.

Was mich an ihr ein wenig irritiert, ist, dass sie so leichtfertig ihren Vorteil verspielt. Sie "lernt" die Sprache Alagaësias, kann sie aber nicht sprechen - und fragt Murtagh, oder wer auch immer ihre Zelle betritt, in eben jener Sprache nach dessen Identität. Zu aller erst die Sache, dass sie plötzlich doch der Sprache mächtig ist, und an zweiter Stelle: Warum fragt sie ihn überhaupt? Wäre es nicht ein wenig voteilhafter für Araya, wenn sie dieses kleine Geheimnis für sich behalten würde?

Ein paar Kleinigkeiten sind mir während des Lesens aufgefallen. Du verwendest gerne redundante Kontruktionen, wie etwa Langsam und schleichend beruhigte sich ihre Atmung. Auch in dem Satz Die Luft zu atmen war schwer, da sie von Rauch geschwängert war und zum Husten anregte klappt meiner Ansicht nach etwas nicht ganz; "zum Husten anregen" klingt so harmlos.
Abgesehen davon möchte ich dir meine Achtung aussprechen, da du großteils wirklich auf Grammatik achtest, und ich das insgesamt als sehr angenehm empfinde.

Das war's dann einmal von meiner Seite. Ich hoffe, du nimmst mir meine Kritteleien nicht allzu übel :/

E.
Antwort von:  Lawlya
15.05.2013 12:36
Ach was, ich freue mich über fast jede Krittelei, die ich kriegen kann ;D
Danke dir sehr für dein Review =)! Und um dich gleich mal im Voraus zu beruhigen: Araya ist auf keinen Fall Aryas Tochter ... Um ehrlich zu sein, musste erst eine sehr gute Freundin darauf hinweisen, dass es da nur einen Buchstaben Unterschied gibt ^^'' Mir hat der Name aber viel zu gut gefallen, als dass ich ihn deswegen aufgegeben hätte ^^ Sie ist durch und durch Mensch :D

Warum Araya die Sprache Alagaesias sprechen kann, wird noch in späteren Kapiteln geklärt; und ich hoffe, diese Erklärung stößt dich nicht zu sehr vor den Kopf >.> Nun, sie hat zu Galbatorix ja gar kein Wort gesagt und Araya bemerkt natürlich, dass es eben nicht der König ist, der dieses Mal ihre Zelle betreten hat - und anderen regulären "Besuch" hatte sie nie. Aber ich sehe natürlich deine Kritik darin und muss sagen, dass ich auf die Frage, warum Araya auf einmal in dieser Sprache spricht (nicht, warum sie sie überhaupt sprechen kann ;D), keine andere Antwort weiß als: Menschen machen nun mal manchmal im Affekt dumme Sachen xD

Ich hoffe, du empfindest es so, dass mein Stil mit der Zeit besser wird >.> Ich schreibe an der FF nun schon ein paar Jahre in sehr unregelmäßigen Abständen und stolpere manchmal selbst noch über den Anfang. Aber bevor ich mit dem Überschreiben oder ähnlichem beginne, will ich sie eigentlich zu Ende bringen (was ehrlich gesagt noch ewig dauern kann, sorry u_u).
"Großteils" ... Höre ich da ein Zögern? Wenn du was findest, dann sag es mir ruhig - über Rechtschreib-, Grammatik- und Stilverbesserungen freue ich mich immer =) Aber so sehr ist die deutsche Grammatik ja auch nicht (ich weiß, bei manchen FFs überdenkt man eine solche Aussage nochmal xD).

Also, wie gesagt: Lass dir deine Krittelei nicht nehmen ^^

LG Mara
Von:  sami52
2011-05-30T12:25:23+00:00 30.05.2011 14:25
Hallo ein kleines udn kurzes Kommentar meinerseits:) ich find die deine FF wirklich gut geschrieben ich würde mich sehr freuen bald ein weiteres Kapitel lesen zu können. Ich mag deinen Streibstil sehr gerne.

LG Sami
Von:  Sopschild
2010-12-15T19:47:30+00:00 15.12.2010 20:47
Auch wieder ein dehr spannendes Kapitel

Eine Frage:
Ist Araya eigentlich ein Mensch, eine Elfe oder etwas völlig anderes?
Elfe halte ich für realistisch, da Brom Eragon mal erzählte, das die Elfe von jenseits des Meeres nach Alagaesia kamen...naja genauso wie die Menschen, aber ich denke du wirst uns alle (also deine Leser) noch überraschen.

Aber pass bitte auf, das Araya nicht zu sehr Mary Sue wird^^

Achja, gibt es in dem Land, in dem Araya lebte Drachen?
Sie kann ja so gut mit Drachen umgehen und du sagtest was von gefährlichen magischen Tieren und das mit dem lesen glaub ich ihr irgendwie nicht, da Drachen in allgemeinen nur als Reittiere dargestellt wurden, also wenn die keine Erfahrung mit Drachen hätte, wäre sie doch sicher vor Schock gestorben als Dorn mit ihr geredet hat...also wäre ich...denke ich

ist aber nur eine von meinen Theorien, ignorier mich wenn ich nerve xD

lg Sopschild
Von:  Sopschild
2010-12-15T19:36:25+00:00 15.12.2010 20:36
Hey^^
Ich bin so am glubbschen, nach den Eragon-Ff's und was sprint mich da an?
Richtig dein Ff^^ (Unartiges Ding einfach fremde Leute anfallen xD)

Ich finde die Idee sehr gut, über das unbekannte Land jenseits des Meeres zu schreiben.
Eine Anmerkung hätte ich vllt. noch, das Land muss ja sehr weit entfernt gewesen sein (Drachen können nicht hin fliegen) also war es mit hoher warscheinlichkeit eine seeeehr lange Reise, wäre es dann nicht unrealistisch wenn die Leute sofort alles in brannt stecken...also ich hätte die Leute erst einmal ausgebeutet (so krass das jetzt auch klingt, aber man ist erschöpft und braucht was für die Rückreise)
Aber wenn man an Galbatorix "Zombi-Soldaten" denkt...naja weiß nicht

auf jeden Fall eine sehr spannende Einleitung in die Story bin gespannt wie es weiter geht^^

lg Sopschild


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