Der Wächter des Drachen von Xanderle (Fortsetzung von "Drachenherz" und "Die Söhne des Drachen") ================================================================================ Kapitel 15: Mein Gott Walter! ----------------------------- >> So, diesmal hat es wirklich etwas gedauert. Leider hatte mein Laptop mich im Stich gelassen und mit ihm auch fast ein Drittel des Kapitels. Aber dann konnten wir die Daten doch noch retten! ^^ Danke für Eure Geduld! Ach ja, gebt meinen Beta-Feen bitte keine Schuld an den Fehlern, die ihr finden werdet. Ich war zu ungeduldig und hab hochgeladen ohne auf die Korrektur zu warten. Ach so, und schaut mal in der Charaktergalerie nach. Estel_69 hat ein tolles Gruppenbild gemacht. Die ganze Sippschaft! ^^« Am nächsten Morgen erwachte Prinzessin Aya von den ersten, zarten Sonnenstrahlen, die sich in den Goldfäden eines ziemlich alten Handschuhs verfangen hatten. Selbst das Wissen, etwas höchst Albernes zu tun, hielt die junge Dame nicht davon ab dieses kostbare Accessoire inniglich an sich zu drücken. Nachdem dieser elementar wichtige Punkt der Tagesordnung abgehakt war, sprang sie aus dem Bett und rief nach ihrer Zofe. „Lyra?“ Ohne auf das Mädchen zu warten, lief Aya zu ihrer Kleiderkammer und öffnete schwungvoll die Doppeltür. Mal sehen ... „Lyra?“ Die Gerufene erschien, während sie noch gähnend den Gürtel ihres Kimonos schloss. „Ja, Prinzessin?“ Ihre Stimme klang verschlafen. „Oh.“ Aya drehte sich um und biss sich schuldbewusst auf die Unterlippe. „Wie ... wie spät ist es denn?“ „Ich glaube viertel vor fünf, Hoheit.“ „Oh nein! Tut mir leid! Ich hatte gar nicht auf die Uhr gesehen.“ „Schon gut. Ist ja nicht schlimm.“ „Doch! Ich hab Dich geweckt. Aber ich bin so ...“ Lyra hatte zwar eine halbe Stunde ihres wohlverdienten Schlafs eingebüßt, aber nun entfuhr ihr ein Kichern. „Ich weiß, was wir machen!“, sagte sie. „Ich lasse eine große Kanne Tee bringen und dann durchstöbern wir Eure Garderobe.“ Aya nickte kläglich, zuckte mit den Schultern und zog das Mädchen in eine spontane Umarmung.  „Morgen lass ich Dich dafür länger schlafen.“ „Unsinn, Prinzessin. Hauptsache, Ihr strahlt wieder!“ Zehn Minuten später, durch Tee und Hörnchen ausreichend gestärkt, wurde Samt, Chiffon und Seide in allen denkbaren Formen und Farben begutachtet und ... für unzureichend befunden. „Nein. In diesem sehe ich immer so blass aus.“ „Hm. Also kein Grün“, murmelte Lyra. „Etwas Violettes vielleicht?“ „Ich weiss nicht.“ „Warum? In Violett seht Ihr aus wie ein Porzellan-Püppchen.“ Wollte man heute wirklich aussehen wie ein Porzellan-Püppchen? „Ich weiss nicht.“ „Orange?“ „Ich weiss nicht.“ „Prinzessin, irgendetwas solltest Ihr aber schon anziehen.“ „Ja.“ Aya sank auf einen Sessel. „Ich ... Er wird heute ... Wir werden ...“ „Ich weiss, ja! Ich habe Fräulein Seri extra gebeten, mir einen Platz auf dem Balkon freizuhalten. Ich bin ja schon so aufgeregt!“ „Ach Du meine Güte!“, hauchte Aya. „Ich glaube, mir wird komisch.“  „Nein, nein! Das sind nur die Nerven, sagt meine Mama immer. Wir müssen nur dafür sorgen, dass dem Hauptmann schön die Augen aus dem Kopf fallen, wenn er Euch heute sieht! Na ja, angesehen hat er Euch ja IMMER, aber jeder dachte, dass er das tun muss. So als Kage. Und jetzt ... das ist alles so aufregend! Oh, ich weiss welches Kleid!“ Sie verschwand wieselflink zwischen unzähligen Kleiderstangen. „Nichts zu Protziges“, rief Aya ihr matt hinterher. Wenn sie weiterhin so entscheidungsfreudig blieb, könnte sie sich gleich ein Bettlaken umhängen. „Aber nein! Es ist ganz schlicht. Aber ich weiss noch, wie alle ganz entzückt waren, als wir es auf der Gartenparty der Wus trugen“, referierte Lyra voll zöflicher Solidarität. „Das Kammermädchen der Comtesse war ganz grün vor Neid, weil ihre Herrin selbst aufgetakelt wie eine Fregatte nur halb so hübsch war, wie Ihr. Und den ganzen Tag hab ich Komplimente wegen Eurer Frisur bekommen“, schwatze sie weiter. Zofen haben eben ihre ganz eigene Berufs-Ehre. „Ihr wart mit Abstand die hübscheste Dame auf dem Fest! Nicht, dass Ihr das nicht immer ... Ah, da ist es ja!“ Das leise Rascheln kostbarer Seide war zu hören. „Da werden dem Hauptmann ganz bestimmt die Gäule durchgehn!“ Strahlend hielt Lyra ihre Beute in die Höhe. Der Schnitt des traditionellen Kimonos war elegant und klar. Aya erinnerte sich, dass die elfenbeinfarbene Seide einen ganz wundervollen Fall hatte, der jeder Bewegung schmeichelte. Der einzige Schmuck, neben dem exquisiten Schimmer des Stoffs, waren der breite Gürtel, die Kragenkante und die aufgeschlagenen Säume der Ärmel. Hier waren winzige Phönixe in allen denkbaren, strahlenden Violett- und Rottönen auf einen gloriosen, orange-flammenden Hintergrund gestickt. Bei der leisesten Bewegung, sah es aus, als flatterten hunderte dieser wundervollen Geschöpfe auf einmal auf. „Lyra!“, hauchte Aya. „Das ist es! Warum habe ich daran nur nicht mehr gedacht?“ „Weil Ihr Euch nie Gedanken um Kleidung macht, Hoheit. Na ja ... außer heute. Darum bin ich so gern Eure Zofe. Ihr seid fast wie ein kleines Anzieh-Püppchen. Also ... Äh ...“ Lyra hielt zögernd inne. In ihrer Euphorie war sie eindeutig zu weit gegangen. Doch die Prinzessin lachte nur. „Ja. Und Du machst das ganz wunderbar. Ich fühle mich immer bestens ausstaffiert. Es ist nie zu übertrieben und nie zu wenig.“ „Wirklich?“ Lyra blinzelte gerührt. Dann erinnerte sie sich an den straff gesteckten Zeitplan. „So! Nun aber husch, husch! Wir müssen noch baden und dann ist Euer Haar dran. Ich hoffe, wir bekommen es noch trocken.“ Sie bekamen es trocken. Trocken, glänzend wie Onyx und fabelhaft in Form gebracht. „Fertig, Prinzessin. Gefällt es Euch?“ Aya nickte. „Sehr schön! Nur ...“ Sie drehte ihr Gesicht vor dem Spiegel hin und her. „Bin ich immer so bleich?“ „Bleich?“ Lyra schnalzte mit der Zunge. „Ich bin sehr stolz auf Euren Porzellan-Teint.“ „Vielleicht sollten wir etwas Wangenrot ...?“ „WAS?“, rief das Kammermädchen. „Ich fang aber doch nicht an, Euch anzumalen!“ „Aber ...“ „Hoheit, dem Hauptmann würde es bestimmt nicht gefallen, wenn Ihr plötzlich so ausseht, als seid Ihr in einen Tuschekasten gefallen.“ „Nur ein bisschen.“ „Nein!“, sagte Lyra rigoros. „Na gut“, seufzte Ihre Hoheit und gab nach. Lyra HATTE sie ja wundervoll zurechtgemacht. Allerdings hegte Aya die Befürchtung, dass es heute noch Augenblicke geben würde, in denen selbst jungfräulicher Kalk gegen ihre Gesichtsfarbe so wirken würde, als hätte er eine vierwöchige Sommerfrische hinter sich. Das Kribbeln in ihrer Magengegend nahm um mindestens zwei Stufen zu. Als es klopfte, schoss es von dort aus bis in die hintersten Winkel ihres Körpers. Lyra schlug Hände vor den Mund, machte ein paar kleine Hüpfer und rannte zur Tür. „Moment!“ Aya sprang auf. „Ich ... Agni! Ich bin noch überhaupt nicht so weit!“ Sie beugte sich zum Spiegel, kniff sich mehrmals in die Wangen und grub kräftig die Zähne in die Unterlippe. „Was tut Ihr denn?“, wisperte Lyra. „Ich versuche, etwas Farbe ins Gesicht zu bekommen.“ „Indem Ihr Euch ZWICKT?“ „Die ... die Hofdamen machen das auch so. Glaube ich.“ „Lasst das sein!“, flüsterte Lyra. „Ihr werdet ganz fleckig.“ „FLECKIG?“, quietschte Aya und drehte sich panisch zum Spiegel. Es klopfte erneut. Ein wenig energischer, als zuvor. „Äh ... GLEICH!“ „Haben wir Puder hier?“ „Puder? Was für Puder?“ „Wegen der Flecken!“, drängte Aya. „Nein. Wir haben kein Puder. Wir brauchen nie Puder. Und Ihr seht auch so ganz wundervoll aus! Ihr braucht kein Puder.“ „Aber Du hast gesagt, ich bin fleckig!“ „Ich sagte, Ihr WERDET fleckig, wenn Ihr nicht aufhört.“ „Oh Agni!“ Mit weichen Knien sank Aya auf ihren Stuhl. „Prinzessin!“ Lyra eilte zu ihrer Herrin und umfasste deren eiskalten Hände. „Warum macht Ihr Euch denn Sorgen? Dem Hauptmann würdet Ihr selbst dann gefallen, wenn wir Euch in einen Reis-Sack gesteckt hätten. Da bin ich ganz, ganz sicher!“ „Ist alles in Ordnung?“, erklang eine sehr bekannte, sehr tiefe Stimme durch die Haupttür. „Oh Agni!“ „ABER SICHER!“, rief Lyra laut und tätschelte Ayas Hand. „ALLES BESTENS!“ „So nervös war ich nicht einmal vor meinem Ersten Auftritt.“ „Na ja. Das Tanzen und Musizieren kann man ja auch alles üben. Habt Ihr gestern Abend mit Hauptmann Nezu denn kein bisschen ... geübt?“ „Ich ... Doch.“ „Ooooh!“, quietschte die Zofe. „Hab ich´s doch gewusst. Ist er wirklich so stark wie er aussieht?“ Aya blickte auf und nickte schwach. „OOOooooooOOh!“ „Ist wirklich alles in Ordnung?“ „JA! BIN SCHON AUF DEM WEG! So, Prinzessin, jetzt muss ich die Tür aber öffnen.“ „Ja. Gut. Ich ... bin soweit.“ Im Vorzimmer wurde leise Gesprochen. Das Anliegen, das vorgetragen wurde war schließlich äußerst delikat. Lyra kam zurück, erfüllt von der Wichtigkeit ihrer Aufgabe. „Hoheit“, begann sie würdevoll. „Hauptmann Nezu bittet um die Ehre, Euch auf einen Spaziergang begleiten zu dürfen.“ „Wirklich?“, fragte man scheinbar gefasst. „Dann richte dem Hauptmann bitte aus, dass ich dieser Bitte sehr gerne entspreche.“ Wie sich beim Öffnen der Tür herausstellte, war Aya nicht die einzige, die sich sorgfältig herausgeputzt hatte. Der Hauptmann, überaus fesch in perfekt sitzender Galauniform, war vom Scheitel bis zur Sohle ein Muster an militärischer Eleganz und Akkuresse. Der Blick der Prinzessin legte die Vermutung nahe, dass die Mühe sich gelohnt hatte. Nicht, dass Takeru dies bemerkt hätte. Er war viel zu sehr damit beschäftigt die Wunder der ... Natur zu ... äh ... bewundern. Er räusperte sich.  Sie knetete ihren Fächer. „Guten Morgen.“ „Guten Morgen, Hauptmann.“ „Ich dachte, bei diesem Wetter wäre Euch vielleicht ein kleiner Spaziergang genehm.“ In der Tat! Selbst wenn es dem Himmel gefallen hätte Heerscharen von Kröten gen Erde zu senden, wäre Ihrer Hoheit ein kleiner Spaziergang genehm gewesen. „Was für eine zauberhafte Idee.“ Mit einer leichten Verbeugung bot der Hauptmann seinen Arm. Aya hakte sich anmutig unter und liess ihre Fingerspitzen leicht auf den Aufschlägen seiner Jacke ruhen. Eigentlich war es ein Ding der Unmöglichkeit, diese federleichte Berührung durch die vielen Stoffschichten zu spüren. Aber eben nur eigentlich. Der Tag wurde mit einem Mal schwüler. Doch das war nur die erste der Hürden, die Takeru Nezu heute noch zu meistern hätte. Neben ihr zu gehen, anstatt drei Schritte hinter ihr, war eine überaus ungewohnte Erfahrung. Der Hauptmann kämpfte unentwegt gegen den Drang, langsamer zu werden, um sich zurückfallen zu lassen. Zudem hatte er das ständige Bedürfnis, sich umzusehen. Auch Konversation war etwas, das in ihrer bisherigen Beziehung eine mehr als untergeordnete Rolle gespielt hatte. Himmel!  Worüber unterhielt man sich denn so? Im Allgemeinen? Ein kurzer, verstohlener Blick nach rechts half auch nicht weiter, denn die Prinzessin schritt nur zufrieden schweigend neben ihm einher. Was also? Wetter? Weltpolitik? Die Situation der Sandleute? Das bevorstehende Erntefest? Mit Han hätte er die Nachteile diskutiert, in einer von Dornenhecken umschlossenen Sackgasse umher zu schlendern. Oder wie überdurchschnittlich der diesjährige Jahrgang an Rekruten abschliessen würde. Oder ... „Mögt Ihr eigentlich Kunst, Hauptmann?“ KUNST? „Bildende ... Kunst?“ „Ja. Zum Beispiel. Was seht Ihr Euch gerne an?“ Dich! „Nun,“ Räuspern „Ich halte Zu-Lins Werke für sehr ausdrucksstark.“ „Ja. Das sind sie. Und so kraftvoll, nicht wahr? Seine Formen sind so ursprünglich.“ „Das ... sind sie.“ Cretin! Aya lächelte und Takerus IQ erreichte ein wahres Rekord-Tief. „Wie steht es mit Musik?“ „Äh ... Pans Lieder des Windes höre ich besonders gerne.“  „Ja. Ich weiß.“ Sie wusste. Natürlich wusste sie! Siebenundzwanzig erhabene Gottheiten, inklusive himmlischer Helfershelfer klatschten dem Hauptmann mit den flachen Händen vor die Stirn. DESWEGEN spielte sie dieses Stück jedes Jahr an seinem gottverdammten Geburtstag in ihren Gum Jo-Stunden.  Er war ja so ein ... Trottel! Idiot! Idiot, Idiot! Siebenundzwanzig Überwesen lachten sich ins Fäustchen, ins Allmächtige. „Und sonst? Was für Stücke mögt Ihr noch?“ „Alles aus der Zue Epoche. Hyazinth & Pollux beispielsweise. Besonders wenn Ihr sie spielt. Oder singt. Ihr habt ...“ Na sicher! Ihr etwas zu sagen, dass sie schon hundert Mal gehört hatte, war eine hervorragende Idee! Fast ebenso einfallslos wie vorhersehbar. „Ja? Was habe ich?“ „Nichts. Ihr ... habt das schon dutzende Male gehört.“ „Was habe ich schon dutzende Male gehört, Hauptmann?“ „Wie ... bemerkenswert Eure Stimme ist.“ „Ja. Aber bisher ich wusste nicht, ob sie Euch gefällt.“ „Doch“, gab er schließlich rau zu. „Sehr.“ Durften Augen so groß sein? So golden? So tief? Takeru spürte eine Ader an seinem Hals pochen. Aya errötete und sah fort. Sie hatte schon wieder dieses Kribbeln auf den Lippen. Doch leider platzen Fenster und Balkone des Palastes fast aus den Nähten und somit bliebe es wohl kaum unbemerkt, wenn sie den Hauptmann kurzerhand in die Büsche zerrte. Sie blickte nach vorn. Oh, Agni, wie weit war es denn noch, bis zu dieser Steinskulptur?  Sie wollte ihn küssen! JETZT! Auf der Stelle! Sie biss sich auf die Lippe und Hauptmann Nezu sog scharf die Luft ein. „Womit beschäftigt Ihr Euch in Eurer Freizeit am liebsten?“, rang sie sich ab, um die Zeit bis zum steinernen Sichtschutz zu überbrücken. „Freizeit?“ Der Tonfall legte seine mangelnde Vertrautheit mit diesem Konzept dar. „Ja. Das sind die wenigen Augenblicke, in denen Ihr weder die Verantwortung für mich, noch für irgendwelche Rekruten tragen müsst.“ Da! Es waren nur noch ein paar Schritte, bis zur Statue des Zentaurs.  „Meistens bewege ich Are.“ „Ja. Ihr reitet viel nicht wahr?“ „Nun, sie muss schliesslich schnell und wendig bleiben.“ Erneut traf ein tiefer Blick aus goldglänzenden Augen den Hauptmann wie der Blitz aus heiterem Himmel. Was ..? Hatte er schon wieder etwas falsches gesagt? Warum sah sie ihn unentwegt so an?  Dann war der Moment vorbei. Aya senkte die Lider und seufzte.  Es klang beinahe frustriert. So ging es fort. Die Unterhaltung plätscherte dahin, während man sich langsam aber sicher der großen Sonnenuhr näherte. Von Zeit zu Zeit sah die Prinzessin erwartungsvoll zu ihm auf, nur um dann - keine sechs Schritte weiter - unruhig den verlorenen Gesprächsfaden wieder aufzunehmen. Aya gab es auf. Scheinbar gehörte es zu den unumstößlichen Grundsätzen des Hauptmanns, auf gestohlene Küsse zu verzichten, ehe gewisse offizielle Angelegenheiten nicht geklärt wären. Nun ja ... bis zur Sonnenuhr war es ja nicht mehr weit. Bei diesem jähen Gedanken wurde ihr heiß, kalt und wieder einmal kribbelig. Sie wusste genau, was in den nächsten paar Minuten geschehen würde. Ihrer Aufregung tat dies jedoch keinen Abbruch. Im Gegenteil. Ihre Herz stampfte unter diesem Gemisch aus Vorfreude, Verwirrung und purem Verliebtsein wie eine durchgehenden Herde Wasserbüffel. Und wieder ein Balkon „Hm. Sieht so aus, als wisse unser universal belesener Besserwisser doch nicht alles über den Palast.“ Lee Tatzu lehnte entspannt an der Brüstung des Balkons der privaten Gemächer seiner Eltern und spähte in die Gartenanlage hinab. „Was meinst Du?“, wollte Kiram wissen. „Eigentlich dachte ich, unsere Killer-Queen wüsste, dass diese Skulpturen den Blick auf den Irrgarten versperren. Man munkelt sogar, sie wurden extra so platziert. Wäre ja auch etwas gemein, wenn angehende Brautpaare nicht wenigstens alle zwanzig Meter mal ein bisschen schnäbeln dürften.“ „Lee?“ Es wurde an seinem Hosenbein gezupft. „Hebst Du mich hoch, bitte?“ „Na klar, Knöpfchen.“ Er bückte sich und nahm Zerfa auf den Arm. „Hey, und ich?“, rief Jem. „Wie, und Du? Du willst das sehen?“, grinste Lee. „Irgendwann knutschen sie bestimmt rum.“ „Ja. Na ja.“ Der Junge zuckte mit den Schultern. „Schon klar. Aber da kann man nix machen. Gucken will ich trotzdem.“ Schließlich handelte es sich bei einem der Observationsobjekte um sein großes Vorbild. „Fein.“ Doch bevor Lee reagieren konnte, wurde Jem schon hochgehoben. Er staunte nicht schlecht, als er auf den Schultern des Kronprinzen landete. „Oh Mann!“, hauchte er. „Lee, das ist Dein Bruder!“ „Wurde nie bewiesen“, warf Kiram beiläufig ein. „AU!“ Der Prinz zog den Kopf ein, als seine Mutter ihm einen Klaps verpasste. „Möchtest Du diese Aussage vielleicht zurücknehmen?“, zischte sie empört. „Äh ... möchten vielleicht nicht, aber ... AU!“ „Liegt es im Bereich des Möglichen, dass ihr alle einfach nur still seid?“, knirschte Zuko. „Es gibt durchaus Menschen, die Interesse am Geschehen haben.“ Zum Glück ahnte Aya nichts von der drohenden Familien-Krise. Sie war viel zu sehr damit beschäftigt, einigermaßen gerade, koordinierte Schritte zu machen. Jetzt, nach all der Zeit, all den sehnsuchtskranken Nächten, all den heimlichen Tränen, stand sie letztendlich mit ihm an der alten Sonnenuhr, dem Mittelpunkt der Lustgärten und wusste nicht, wohin sie den Blick wenden sollte. „Prinzessin?“ „Ja?“ Ihre Augen zuckten kurz zu grimmigen Gesichtszügen und sofort wieder zurück. Der Hauptmann sah aus, als stünde die Schlacht seines Lebens bevor. So war es auch kein Wunder, dass er sich zunächst ausgiebig räusperte. „Prinzessin, ich ...“  Er fasste nach ihren Händen und machte eben Anstalten, ein Knie zu beugen, als sie ihn aufhielt.  „Nein. Wartet!“ Takeru erstarrte. „Was?“ „Kein Kniefall, bitte.“ „Wie bitte?“ „Ich möchte nicht, dass Ihr hinkniet.“ „Aber ... ich dachte, Ihr wäret einverstanden ...“ Aya blinzelte. Einverstanden? Er dachte, sie wäre EINVERSTANDEN? Sein Blick zeigte eine Mischung aus Ratlosigkeit und Missfallen. Extremem Missfallen. „Das bin ich ja“, sagte Aya schnell. „Ich möchte nur nicht, dass Ihr vor mir auf die Knie fallt.“ „Bitte?“ „Ich möchte, dass Ihr mir dabei in die Augen schaut.“ „Das verstößt gegen das Protokoll!“, stiess Takeru aus. „Ich weiss.“ „Ganz und gar gegen das Protokoll!“ „Es ist doch nur ein Kniefall.“ „Eben!“, knirschte er und wollte sich eine Etage tiefer einrichten. Er wurde wieder aufgehalten. Im Bedarfsfall konnten eben auch Prinzessinnen stur sein. „Takeru!“ „Was?“, fragte er und rang um Geduld. „Die Leute ...“ „Sind mir egal. Ebenso wie das Protokoll, irgendwelche Traditionen oder alberne Dienstvorschriften“, erwiderte Aya, die stets Folgsame, ruhig. „Aber Ihr werdet nicht vor mir knien wie ein Bittsteller. Ich möchte, dass Ihr mir in die Augen seht, wenn ... Ihr die Frage stellt. Solltet Ihr dazu unbedingt in den Staub kauern müssen, bitte sehr! Aber dann werde ich das auch tun!“ „Aya ...“ Sie blickte auf und beraubte ihn somit jeglicher logischer Argumente. „Wolltet ... Ihr mich nicht etwas fragen, Hauptmann?“ Er nickte. Ein wenig schroff zwar, aber immerhin. Er blickte auf ihrer beider Hände hinab. „Prinzessin“, begann er erneut. „Wollt Ihr ... mir die unendliche Ehre erweisen, meine Frau zu werden?“ „Ja!", sagte sie leise. "Ja, das will ich. Und die Ehre, Hauptmann, ist ganz meinerseits. Ebenso wie die Freude.“ Zunächst geschah gar nichts. Sie starrten sich nur in die Augen. Dann kam Bewegung in die Sache. Der unvermittelte, fast brüske Kuss entsprach, wenn auch nicht dem exakten Protokoll, so doch den hochgesteckten Erwartungen des zahlreichen Publikums. Die Erwartungen der Prinzessin wurden gar noch übertroffen. Allerdings währte der leidenschaftliche Liebesbeweis für ihren Geschmack viel zu kurz. Für den des Publikums auch. Aber der Hauptmann war eben Soldat und nicht für die Bühne geboren. Schwer atmend kramte er eine Feuerlilie hervor, die - wie konnte es anders sein - trotz enger Westentasche und einer noch engeren Umarmung noch immer makellos und frisch war. „Würdet Ihr diesen Beweis meiner Wertschätzung annehmen?“ Aya nahm die zarte Blüte, hielt sie sich unter die Nase und lächelte. „Und ...“ Wie durch Zauberhand erschien ein goldenes Satinband in seiner Hand. „Dies. Als Symbol für den Bund den wir schliessen. Werden! Den wir schliessen werden!“ Die Prinzessin hob ihre Rechte, schmiegte sie an seine Wange, stellte sich auf die Zehenspitzen und gab ihm die eindeutigste und zärtlichste Antwort, die man nur bekommen konnte. Der Palast schien sich nach außen zu wölben und wieder zusammenzuziehen, so viele Menschen seufzten zeitgleich verzückt auf. Unten im Irrgarten beendete Aya widerstrebend den Kuss. In der Annahme, dass in Kürze weitere folgen würden, hakte sie sich bei ihrem - nun offiziell Verlobten - unter, um noch ein wenig zu flanieren. Allerdings wurde die nächste Steinstaue passiert, ohne dass etwas passierte. Passiert schon mal. Bei Skulptur Nummer zwei wurde Aya unruhig. Lag es vielleicht im Bereich des Möglichen, dass der Hauptmann hier eine Art Bildungslücke aufwies? Wie dem auch sei, seine legendären Instinkte ließen ihn Agni sei Dank nicht im Stich. „Stimmt etwas nicht?“, fragte er stirnrunzelnd. „Ehrlich gesagt ...“ „Ja?“ „Wisst Ihr eigentlich, wer diese Stauen errichten ließ?“ „Wenn ich mich recht erinnere war es Lord Kanaru“, erwiderte Takeru, etwas irritiert. „Und wisst Ihr auch ... warum?“ Nun ja, teilweise waren die Skulpturen zwar etwas groß geraten, aber ihr Zweck schien ihm eigentlich recht offensichtlich. „Dekoration?“ „Ja“, meinte Aya und lächelte kaum merklich. „Das auch. Außerdem wollte er einen Sichtschutz errichten. Wegen des ... Labyrinths. Damit man vom Palast aus nicht den gesamten Irrgarten einsehen kann.“ „Sichtschutz?“, echote der Hauptmann dumpf. Dank seiner legendär schnellen Auffassungsgabe wurden ihm sofort sämtliche Möglichkeiten dieser baulichen Maßnahme klar. Er drehte sich in die Richtung, aus der sie kamen. „Liegt dort hinten nicht Euer Taschentuch?“, fragte er scheinbar unverfänglich. „Mein ... Tatsächlich? Ja, ich glaube, Ihr habt Recht. So ein Jammer. Dabei ist es mein Lieblingstuch.“ „Dann sollten wir wohl zurück gehen und es holen.“ „Was für eine gute Idee.“ „Hm. Ich glaube, der Hauptmann wurde eben auf die architektonische Besonderheit unseres Irrgartens aufmerksam gemacht.“ „Ja, Onkel. Und wie immer setzt er das Gelernte ohne zu zögern um.“ „Wie wahr“, kicherte Iroh. „Auf einmal ist er gar nicht mehr so brav. Aber anscheinend hat jemand vergessen, Aya zu sagen, dass es EINEN Punkt im Palast gibt, von dem aus man jede Ecke des Labyrinths einsehen kann.“ „Nun ja, man sollte nie alle Staatsgeheimnisse ausplaudern.“ Zuko hob seine Braue und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Ja. Und es ist doch schön, bestätigt zu sehen, dass der Hauptmann auch auf anderen Gebieten eine wahre Koryphäe ist. Läuft das Kind etwa Schlangenlinie?“ „Onkel!“ „Na ja. Ein bisschen taumelig sieht sie schon aus“, räumte Jin ein. Um besser sehen zu können, hatte sie sich auf die Zehenspitzen gestellt und spähte neugierig über die Brüstung der Dachterrasse.“ „Da! Jetzt hat sie sich wieder gefangen“, murmelte Seine Lordschaft. „Mhm. Schätzungsweise bis zur nächsten Statue.“ „Kiram!“ „Was denn? Ich kann doch nichts dafür, wenn unser Meister Gargoyle so ran geht. Wie viele Skulpturen sind das da unten denn noch?“ „Zirka fünfundsiebzig Prozent mehr als eigentlich gedacht, jetzt wo die beiden fast den ganzen Weg zurück und dann wieder her laufen“, spekulierte Lu Ten.  „Es wäre mir wirklich lieber, wenn ich die Ehre meiner Schwester nicht gegen einen Kleiderschrank verteidigen müsste, der in weniger als einer Minute garniertes Schaschlik aus mir macht“, murrte Kiram. „Ha!“, machte Lee. „Wusst ich´s doch! ICH halte mindestens zwei Minuten durch.“ „Hört, hört!“, warf Lu Ten milde ein. „Zwei Minuten. Welch legendäre Ausdauer.“ „Also ... Hier kann man doch nichts sagen, ohne ... Papa! Tu was!“ „Was denn? Zwei Minuten sind nun mal nicht lange.“ Niha kicherte nur leise und summte ihrem Baby etwas vor. Am Ende des kleinen Spaziergangs wurden die Brautleute nach alter Sitte vom Fürstenpaar höchstpersönlich in Empfang genommen.  Doch neben Mylord und Mylady stand noch eine dritte Person. Yuna Nezu war gerade noch rechtzeitig angekommen, um diesem historischen Ereignis beizuwohnen. Ein erfreutes Lächeln glitt über die Züge des Hauptmanns, als er sie entdeckte. „Mutter?“ Yuna war viel zu aufgewühlt, um irgendetwas sagen zu können. So zog sie ihren Sohn in eine feste Umarmung. Der Prinzessin erging es nicht viel anders. „Jin, Du strangulierst das Kind noch.“ „Sei still, Zuko! Du hast eben keine Ahnung von Mutterliebe!“, erwiderte Jin tränenerstickt. „Und Du ignorierst die Etikette, Kobold. Unsere Tochter hat uns etwas zu sagen.“ „Ja.“ Mylady schniefte ein wenig. „Richtig.“ Drei erwartungsvolle Augenpaare richteten sich auf Prinzessin Aya, die plötzlich einen unerklärlichen Kloss im Hals spürte. „Vater, Mutter. Und natürlich auch Frau Nezu ... Ich ... ich freue mich, euch mitteilen zu können, dass ich ... dass wir ... also, dass Hauptmann Nezu und ich ein Verlöbnis eingegangen sind.“ Ihr Blick traf den ihres Vaters. Seine Lordschaft nickte, lächelte leise, und streckte die Arme aus. „Meinen Glückwunsch, Flämmchen“, murmelte er an ihren Scheitel. „Danke, Papa! Danke, dass Du das gemacht hast!“ „Ich? Hab ich was gemacht?“ Er wurde so fest umklammert, dass weniger starke Halsmuskeln längst Bedenken angemeldet hätten. „Ohne Dich wäre er fortgegangen“, wisperte Aya. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Wenn ich eines gelernt habe, dann, dass manche Dinge geschehen müssen. Egal, was passiert. Und dies hier scheint mir eines dieser Dinge zu sein. FALLS Deine Mutter Deinen Verlobten nicht ertränkt. Kobold“, fuhr er wieder lauter fort. „Du durchweichst da eine sehr teure Uniform. Eine Uniform, die ICH bezahlt habe, wenn mir diese Bemerkung erlaubt ist.“ „Du bist so ein Geizkragen, Zuko!“ „Ja. Aber es handelt sich immerhin um Steuergelder. Und der Kage den Du gerade leichtfertig erstickst ist so ziemlich das exklusivste Exemplar, das wir vorzuweisen haben. So was bekommt man heutzutage gar nicht mehr.“ Am Abend dieses Tages Um den erfreulichen Anlass zu krönen hatte man zu einem Ball geladen. Recht kurzfristig zwar, aber die meisten Gäste hätten Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um beiwohnen zu können. So summte der Sonnensaal schon vor dem offiziellen Beginn der Veranstaltung vor angeregten, heiteren Gesprächen. Fächer in allen Formen und Farben flatterten anmutig durch die Luft und man versicherte sich hinter vorgehaltener Hand, man hätte Zukos älteste Tochter noch nie strahlender erlebt.  Der Gast, der von allen mit großer Spannung erwartet wurde, war der ehrenwerte Takeru Nezu. Bis jetzt glänzte er durch Abwesenheit. Doch man war zuversichtlich, dass er zur Eröffnung des Balls erscheinen würde und zwar beim sechsten Glockenschlag der großen Uhr. Schliesslich war der Mann für seine Pünktlichkeit berühmt.  „Taku, wenn Du nicht still hältst ramm ich Dir die Nadel dieses Ordens in die Brust!“ „Für Blutflecken habe ich keine Zeit.“ „Eben! Also hör auf mir auf die Finger zu schielen. Ich WEISS wie so ein verdammter Orden zu baumeln hat. Denn ob Du´s glaubst oder nicht, ich hab selbst vier.“ „Der zweite Phönix hängt nicht gerade“, knirschte Hauptmann Nezu mit Blick in den Spiegel. „Ich hol bestimmt keine Wasserwaage. Vielleicht stehst Du ja schief.“ „Han!“ „Herrgottnochmal! Ich kann so nicht arbeiten! Kein Wunder brauchen Deine Adjutanten schon nach drei Monaten ihren Jahresurlaub.“ „Gib mir das Ding!“ „Bitte sehr!“ „So! Hier! Wo ist das Problem?“ Nachdem er den Orden mit nur einem Handgriff akkurat platziert hatte, funkelte Takeru seinen Freund an. „Das Problem? Kann ich Dir schlecht nicht ins Gesicht sagen, da es leider zwei Meter groß ist und direkt vor mir steht!“, säuselte Han. „Ich hab von Anfang an gesagt, ich BRAUCHE keine Hilfe beim Ankleiden!“ „Es ist aber Tradition, dass der voraussichtliche Trauzeuge dem vertrottelten Bräutigam zur Hand geht. Und jetzt sag mir nicht, dass Du auch nur EINEN Menschen außer mir kennst, der die dazu notwendige Courage aufbringt.“ „Hör auf, an meinem Waffengürtel herum zu zerren! Er sitzt perfekt!“ „Gnä, gnä, gnä!“ „Han ...“ „Wenn Du nicht die Klappe hältst, verpass ich Dir ein Schönheitspflaster.“ „Es sind nur noch fünf Minuten!“ Hauptmann Nezu klang selten genervt. Jetzt allerdings schon. „Reicht für ein Schönheitspflaster allemal. Ich wüsste da auch eine sehr diskrete Stelle.“ „Gib mir endlich die Handschuhe.“ „Handschuhe? Ich dachte, die hast Du.“ „HAN!“ „Witz! Es war ein Witz! Herrgott, Taku, wenn Du so rumbrüllst könnte man glatt sein Kind verlieren. Eine Schwangerschaft vorausgesetzt.“ Exakt fünf Minuten später war Hauptmann Nezu die Ruhe in Person. Äußerlich. Er stand vor der mächtigen Doppelflügeltür, dem Haupteingang zum Sonnensaal, und wartete darauf angekündigt zu werden.  Das war etwas, das er ganz und gar nicht gewohnt war. Und es war etwas, das er ganz und gar nicht leiden konnte! Das Wort Kage bedeutete nicht umsonst Schatten. Am liebsten hätte er sich durch eine der unzähligen Terrassentüren in den Ballsaal gemogelt. Doch so, wie die Dinge lagen, bleib ihm nichts anderes übrig, als die Litanei des Zeremonienmeisters über sich ergehen zu lassen. Als dieser endlich mit der Aufzählung der Titel fertig war, atmete Takeru ein letztes Mal tief durch und betrat den Sonnensaal. Er musste feststellen, dass er die unzähligen, neugierigen Augenpaare, die nun auf ihm ruhten - oh Wunder - auch nicht besonders leiden konnte! Allerdings gab es ETWAS, das er sehr wohl leiden konnte. Und das befand sich in diesem verdammt großen, verdammt überfüllten Ballsaal und wartete auf ihn. Also Augen zu und durch! Als Takeru durch die Menschenmenge schritt, teilte sie sich derart synchron, dass man meinen könnte, die Gäste hätten eine komplizierte Choreographie einstudiert. Am Ende der freigewordenen, schmalen Gasse stand eine junge Dame und lächelte dem Hauptmann erwartungsfroh entgegen. Seine formvollendete Verbeugung wurde mit einem ebensolchen Neigen des Kopfes quittiert. Mylord gab den Musikern ein Zeichen, weiter zu spielen. Als das kleine, illustre Orchester einen Dreiviertel-Takt anstimmte, löste dies sehr unterschiedliche Reaktionen aus. Vor allem bei einer Gruppe älterer Hofdamen. „Oh. Ist das ein Walzer?“, zwitscherte Baroness Fuminaga, ihres Zeichens ehemalige Tanzlehrerin des gesamten fürstlichen Nachwuchses. „Ja“, bestätigte Mia Ling, ihres Zeichens Anstandsdame Prinzessin Ayas. „In der Tat ein Walzer.“ „Der kommt wohl nicht mehr aus der Mode.“ „Nein. Wohl nicht mehr. Genauso wie Hosen für Frauen. Aber der Walzer ist das bei Weitem kleinere Übel, wenn Ihr mich fragt!“ Die umstehenden Kolleginnen sahen die Situation etwas weniger entspannt. „Ach Du MEINE Güte! Er wird doch nicht ...? Sie TANZT den Walzer doch gar nicht!“, flüsterte die Gattin des Ministers für Verkehrswesen, aufgeschreckt. Und sie war beileibe nicht die Einzige, die das Szenario mit Bangen verfolgte. Wer mit den Gewohnheiten der ältesten Tochter des Feuerlords auch nur im Entferntesten vertraut war, hielt erschrocken die Luft an. Nein, wie KONNTE er nur? Von allen Menschen hätte Hauptmann Nezu es wahrlich am besten wissen müssen. Sonst kannte er doch auch jede Marotte seines Schützlings. Warum forderte ausgerechnet ER die Prinzessin zu einem Walzer auf? Sie tanzte diesen Tanz nicht. Sie hatte nur ein einziges Mal Walzer getanzt. Auf dem Fest zu ihrem sechzehnten Geburtstag, auf dem all diese schrecklichen Dinge geschehen waren. Seither war jede Aufforderung, egal ob von einem gekrönten Haupt oder nicht, sanft aber bestimmt abgelehnt worden. Jede! Nicht einmal König Nuro aus dem Erdkönigreich hatte sie dazu überreden können. „Oh mein Gott. Gleich kriegt der arme Junge einen Korb“, jammerte eine Herzogin hinter vorgehaltener Hand, während der Hauptmann sein unerhörtes Anliegen mittels einer artigen Verbeugung vorbrachte. „So? Warten wir´s ab“, äußerte Mia Ling gelassen. „Ja“, kicherte Baroness Fuminaga. „Gleich werden ein paar Leute ihr rotes Wunder erleben.“ In der Tat. Statt einer sanften Abfuhr bekam der Hauptmann ein schelmisches Lächeln geschenkt, dem ein kleiner Knicks folgte. Dann legte Prinzessin Aya ihre zarten Finger in seine kräftige Hand und liess sich auf die Tanzfläche führen. „Sieh an! Ich wusste bis heute nicht, dass Ihr ein Anhänger des Walters seid, Hauptmann.“ Agni. Es stellte ihre Welt auf den Kopf, wenn dieses kaum merkliche Lächeln über sein Gesicht glitt. Allerdings machte das nicht das Geringste. Denn so ... war sie mindestens genauso schön. „Hach, ist es nicht einfach herrlich? Ich LIEBE den Walzer!“, rief die Baroness enthusiastisch. „So? Das ist ja was ganz Neues“, murmelte Gräfin Ling. „Ist es nicht! Nicht, wenn diese Beiden ihn tanzen. Das hab ich damals schon gesagt! So ein reizendes Paar!“ „Ja“, gab Mia nun leise zu. „Das habt Ihr. Und ICH hab dem Mädchen eingeredet, sie soll ...“ „Sie soll was?“ „Ich riet ihr, ihn sich aus dem Kopf zu schlagen.“ „Wen? Den Hauptmann?“ „Ja.“ „Das war ja wohl ziemlich dumm. Er ist ein recht schwerer Brocken. Sowas schlägt man sich nicht einfach so aus dem Kopf.“ „Ja. JETZT weiss ich das auch. Ich hoffe, sie wird mir verzeihen.“ „Natürlich wird sie das. War noch nie nachtragend, das Kind.“ Mia nickte. Doch im Innersten spürte sie Wehmut und ein schlechtes Gewissen.  „Nein, also ... dieser Mensch besitzt wirklich eine ungeahnte Eleganz!“ Später am Abend, beschloss die Gräfin, ihr schlechtes Gewissen zu erleichtern. Zögernd näherte sie sich der Prinzessin. „Hoheit?“ „Gräfin Ling!“ Ein erfreutes Lächeln begleitete die Worte. „Ich hatte noch keine Gelegenheit, Euch zu Eurer Verlobung zu gratulieren. Ich wünsche Euch und dem Hauptmann alles erdenkliche Glück!“ „Vielen Dank!“ „Ihr ... Ob ich wohl einen Moment mit Euch sprechen könnte?“ „Natürlich“, sagte Aya und steuerte eine ungestörte Ecke an. „Was liegt Euch auf dem Herzen?“, wollte sie wissen. „Mein Verhalten!“ „Euer Verhalten? Was ist damit?“ „Ich meine mein früheres Verhalten, Prinzessin.“ Mia sah zu Boden. „Ich ... wollte nie, dass Ihr unglücklich werdet!“ „Aber das weiss ich doch!“ Aya nahm die Hände der älteren Dame in ihre. „Und ich bin auch gar nicht unglücklich!“ „Aber Ihr WART es.“ „Vielleicht. Ein wenig. Doch es war nicht Eure Schuld.“ „Ihr seid zu gütig Hoheit. Aber weiss noch zu gut, was ich zu Euch sagte. Wenn ich Euch nicht dazu geraten hätte, Eure Gefühle für den Hauptmann zu verleugnen ...“ „Hätte sich vermutlich nichts geändert.“ Verwirrt sah die Gräfin Aya in die Augen. „Was meint Ihr?“ „Nun, ich bezweifle, dass ich den Mut aufgebracht hätte, mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Und mit Hauptmann Nezu wahrscheinlich am allerwenigsten. Und WENN ich es getan hätte ... er wäre schneller verschwunden, als mir lieb gewesen wäre. In diesem Punkt hattet Ihr Recht!“ „Es ist nett von Euch, mich trösten zu wollen. Doch Ihr könnt nicht wissen, wie er reagiert hätte.“ „Oh doch. Das weiss ich. Denn ich habe es getan. Vor einigen Tagen habe ich ihn mit ... mit meinen Gefühlen konfrontiert.“ Kurz schimmerte Traurigkeit in Ayas Augen. “Und ich kann Euch versichern, ohne das Einschreiten meines Vaters wäre Hauptmann Nezu jetzt nicht mehr hier.“ „Was? Aber ...“ „Er hat genauso reagiert, wie Ihr es damals vorhergesagt hattet. Er wollte den Dienst quittieren. Ihr seht also, wenn Ihr an etwas Schuld seid, dann am guten Ausgang dieser Geschichte. Damals hätte mein Vater vielleicht nicht gewusst, was dahinter steckt, und den Hauptmann ziehen lassen.“ „Dann ... seid Ihr mir nicht böse?“ „Nein, Lady Ling. Ihr habt mich vielleicht vor großem Kummer bewahrt. Wenn ich etwas bin, dann dankbar.“ „Prinzessin!“ Gerührt drückte die Gräfin Aya an sich. „Ich danke Euch! Ich wollte nur, dass Ihr wisst, wie leid mir mein damaliges Verhalten tut. Ich sah nur den Standesunterschied. Aber am Charakter des Hauptmanns gab es nie auch nur den geringsten Zweifel. Ihr hingegen habt Euer Herz die Wahl treffen lassen. Und das ...hätte keine bessere sein können.“ „Mia!“ Aya fasste nach den Händen ihrer altgedienten Freundin. „Ihr wisst gar nicht, wie viel es mir bedeutet, das aus Eurem Mund zu hören!“ Zur gleichen Zeit, in der nördlichsten Provinz der Feuernation Weit, sehr weitab der Verlustigungen einer inoffiziellen Verlobungsfeier befand man sich in der Endphase eines viertelstündigen Tobsuchtsanfalls. Die Scherben auf dem glänzenden Marmorboden waren die stummen, unbeteiligten Zeugen der vergangenen zehn Minuten. „Diese schwarzhaarige Hexe!“, kreischte Kaori, Gräfin von Ren, aufgebracht. „Widerliche Drachenbrut mit ihrem Gesäusel und ihrer falschen Unschuld.“ „Kaori ...“ „Wahrscheinlich geifert er ihr schon all die Jahre hinterher, wie einer rolligen Katze.“ Der überforderte Gefährte der Gräfin versuchte heroisch, ihre Tirade zu überhören. Hochverrat ist schliesslich kein Pappenstiel. „Aber ich werde ihnen die Tour gewaltig verpfeffern! Die verblödete, kalbsäugige Kuh wird schon sehen, was sie davon hat, sich mit einem Schlammwühler einzulassen.“ „Kaori. So solltest Du nicht sprechen!“ Kaori wirbelte herum und fixierte ungnädig ihren neuen Liebhaber. Igeru Miseru war zwar nur ein Emporkömmling, doch er war reich. Sehr reich. Dieser Reichtum in Verbindung mit einer bedauernswerten Dummheit und Lenkbarkeit, machte ihn für sie nahezu unersetzlich. „Willst Du mir etwa in den Rücken fallen?“, zischte sie. „N .. nein. Nicht doch! A ... aber Du sprichst von der Tochter des Feuerlords!“ „Feuerlord? Was weißt Du schon vom Feuerlord?“, keifte seine launenhafte Eroberung jetzt. „DU bist doch aus diesem Provinzkaff hier nie herausgekommen!“ „Also ... das war jetzt nicht nett!“ „Weißt Du, was nicht nett ist? Diese intrigante, kleine Schlampe, die Zuko in die Welt gesetzt hat. Ich wette, sie hat ihre honigsüßen Netzte schon vor Jahren nach Takeru Nezu ausgeworfen. Und ICH? Ich werde ihretwegen einfach so abserviert!“ „Abserviert? Was meinst Du? Ich ... ich dachte, seit dem schmerzhaften Verlust Deines Mannes hättest Du keinen ... niemanden mehr ...“ Kaoris Augen verengten sich kurz. Verdammt! Jetzt musste sie auch noch diesen Trottel besänftigen. „Liebling!“, murmelte sie reuig. „Natürlich nicht! Verzeih mir! Aber ... dieses Mädchen ...“ Wie durch Zauberhand hingen plötzlich dicke, perlenförmige Tränen an ihren kunstvoll gebogenen Wimpern. „Nachdem mein armer Reki von uns gegangen war, hat sie mir das Leben zur Hölle gemacht! Sie ...“ Igeru sah sich genötigt, seine brandneue, schluchzende Maitresse ein wenig hilflos in die Arme zu schliessen. „Na, na. Ist ja gut!“ „Nein! Nein ist es nicht! Es wird erst wieder gut sein, wenn die Ehre dieses Schlammwühlers genau DA landet, wo er selbst herkommt. Im Dreck!“ „Ich dachte, es ist die Prinzessin, die Du nicht magst.“ „Beide! Sie sollen beide bezahlen!“ „Aber ...“ „Wirst Du das für mich tun? Ja oder Nein?“ „Ich? Aber wie soll ich das denn anstellen, meine Lotusblüte?“ „Wie?“ Kaori lachte hart. „Nichts leichter als das. Ich kenne da einen Schnüffler ... Ein etwas unangenehmes Individuum, aber er findet auf jeder noch so weissen Weste einen Fleck. Sollte unser sauberer Herr Hauptmann in seiner Vergangenheit auch nur einmal gehustet haben, ohne die Hand vor den Mund zu nehmen, dann wird Bo Lung es herausfinden! Doch leider ... sind seine Dienste nicht ganz billig. Und ich ...“ Schneeweiße Zähne gruben sich in die verlockende Fülle einer blutroten, schmollenden Unterlippe und lenkten Igeru von seinem Versuch logischen Denkens ab. „Meinst Du, Du könntest ..?“ „Also ... ich könnte doch ...“ „Ja? Liebling?“, hauchte Kaori kaum hörbar. „Ich lass diesen Mann, diesen Bo, sofort herholen!“ „Igeru! Du bist der Beste!“ „Ja. Äh. Sollten ... wollen wir nicht nach oben gehen?“ Hoffnungsvoll ergriff Igeru die Hände seiner Angebeteten. „Oh! EIGENTLICH schrecklich gern!“ Kaori schnalzte bedauernd mit der Zunge. „Nur habe ich leider noch eine Besprechung mit dem Gärtner. Der dumme Kerl weiss einfach nicht, wo ich die Rosenbüsche haben will!“ Dafür wusste er, wohin Kaori Ren gewisse andere Dinge haben wollte. Er war zwar kein besonders versierter Liebhaber, aber ausdauernd und willig genug, um Kaori für gewisse Unzulänglichkeiten ihres neuen, reichen Galans zu entschädigen. Und bevor sie eine Runde mit DIESEM Trottel hinlegte, wollte sie wenigstens noch ein bisschen Spass haben. „Ich brauche nur ein, zwei Stunden, mein Wackelbär, dann bin ich ganz ... Dein.“ „Beeil Dich!“ DARAUF konnte er Gift nehmen! Obwohl ... NOCH war er zu nützlich. Nach ihrem Rachefeldzug wäre sie ihm jedoch gerne behilflich. Vorausgesetzt sie stand bis dahin im Testament. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)