Der Wächter des Drachen von Xanderle (Fortsetzung von "Drachenherz" und "Die Söhne des Drachen") ================================================================================ Kapitel 5: Neun Leben hat die Katz ---------------------------------- Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende. Demokrit Feuerpalast, achtzehn Jahre zuvor Im ganzen, riesigen Feuerpalast gab es kaum einen Menschen, der den Feuerlord tiefer verehrte als Takeru Nezu es tat. Aus dem kleinen, dürren Dieb war ein schlaksiger Junge mit viel zu langen Armen und Beinen geworden. An diesem Nachmittag half er, wie fast jeden Tag nach der Schule, Meister Seku im Stall. Er mistete aus, wendete Stroh, schleppte eimerweise frisches Wasser. Als Lohn für die Mühe durfte er schliesslich seine heissgeliebten Hirsch-Zebras striegeln. Meister Seku hatte ihm anvertraut, dass Seine Lordschaft sich erst kürzlich sehr lobend über deren glänzendes Fell geäussert hatte. „Tadellos gepflegt, hat er gesagt, Junge! Hast ein gutes Händchen für die Tiere. Vielleicht frag ich mal, ob wir Dich nächstes Jahr als Lehrling unterkriegen, hm?“ Vor lauter Stolz war Takeru ein paar Zentimeter größer geworden. Für heute war seine Arbeit hier getan. Schnell säuberte er die Bürsten und Kämme, räumte sie weg und vergewisserte sich, dass alle Gatter sicher verschlossen waren. Die Nezus bewohnten eine kleine Wohnung im untersten Stockwerk der Außenmauer des Palastes. Statt den kürzesten Weg dorthin einzuschlagen, nahm der Junge einen Umweg durch die Gärten. So oft er konnte, drückte er sich hier herum. Natürlich spazierte er nicht offen umher, auch wenn er die Erlaubnis dazu besass. Aber er wollte nicht stören. Alles was er wollte, war ab und an einen Blick auf die Familie des Feuerlords zu erhaschen. Den Grund kannte er selbst nicht. Er wusste nur, dass es ihn immer wieder hierherzog, um die lachenden Kinder und die liebevolle Lady zu belauschen. Er fühlte sich dann innen ganz warm. Im Schatten des großen Kirschbaums spielte heute nur Prinzessin Aya. Mutterseelenallein. Wie seltsam. Sie war erst fünf und blieb sonst nie unbeaufsichtigt. Von dem Kindermädchen fehlte jede Spur und Mylady war Mittwochs den ganzen Tag in der Weberei. Aya bürstete ihren ingwerfarbenen Kater und sang ein Lied. Takeru kroch hinter der Hecke noch ein wenig näher heran, denn es war ein sehr schönes Lied, und die zarte Kinderstimme war erstaunlich klar. „So, Ratte. Jetzt bist Du der glänzeligste Kater überhaupt!“ Sie streichelte über kupferfarbenes Fell. So kleine Hände ... „Nein! Nicht mit der Biene spielen!“, mahnte das Mädchen streng. Ihre Augen weiteten sich besorgt. Takeru hielt die Luft an. So goldene Augen ... „RATTE! NEIN!“ Der Junge hinter der Hecke sprang auf die Beine, während der Kater, fasziniert von dem vielstimmigen Summen, nach dem Nest schlug und wütendes, giftiges Unheil entfesselte. Empört fauchend schoss er davon, worauf sich die erzürnten Insekten ein neues Opfer suchten. Der erste Stich traf einen weißen Arm. „AU!“ Takeru stürzte aus seinem Versteck, riss die Decke auf der Aya gespielt hatte unter ihr hervor und wedelte die Angreifer fort. Leidvolle Erfahrung aus dem Stall sagte ihm, dass sie dadurch leider noch aggressiver werden würden. Schnell drückte er das erschrockene Kind auf den Boden, bedeckte es mit dem Spielteppich und warf sich selbst über das zappelnde Bündel. So kam es, dass der zweite Stich statt eines weißen Armes einen braunen traf. Ebenso wie der dritte, vierte und fünfte. Die Stiche einundzwanzig bis neunundvierzig zielten auf seinen Rücken. Fünfzig bis achtundsechzig die Beine. Unter ihm schrie die Prinzessin gellend nach ihren Eltern. Aya hatte Panik! Erst hatte ein fieser Bienenfalter sie gestochen, dann hatte ein schmutziger, nach Mist riechender Junge sie angegriffen, auf den Boden geworfen und in ihre Decke gewickelt. Als sie sich strampelnd gewehrt hatte, warf er sich auch noch auf sie. Sie bekam nicht genug Luft! „PAPAAAAA!“ Sie brauchte die Luft aber. Ziemlich dringend sogar! „MA... ma ... !“ Endlich hörte der Junge auf sie festzuhalten und nach unten zu drücken. Er lag jetzt ganz still. Aya stemmte sich mit aller Kraft gegen sein Gewicht. Vergeblich. „Papa?“, keuchte sie. Da waren komische Lichter vor ihren Augen. „Hilf mir ... Papa!“ „AYA!!!“ Kurz bevor Aya das Bewusstsein verlor, wurde der Körper Takeru Nezus, dem dreizehnjährigen Sohn einer Weberin Ihrer Ladyschaft, hochgehoben und der schützende Teppich fortgerissen. „AYA!?“ „PAPA!“ Das Mädchen klammerte sich schluchzend an den Hals ihres Vaters. „Der Junge ...“ „EINEN ARZT!!!“, brüllte der Feuerlord, dass es seiner Tochter in den Ohren klingelte. „Setz Dich da hin, Flämmchen!“ Die Prinzessin wurde energisch auf ihrem Hosenboden geparkt. Ihr Vater beugte sich über den Strolch, der sie so erschreckt hatte. „Er war gemein zu mir!“, flüsterte sie. „Takeru?“ Eine kräftige Ohrfeige traf hart die braunen Wangen. „Wach auf!“ „Nicht hauen!“, schrie Aya entsetzt. Der Junge hatte sie schliesslich nur ein bisschen erschrecken wollen, oder? „TAKERU?“ Klatsch, klatsch. „Nicht hauen, Papa!“ heulte das Kind und hängte sich an Zukos Arm „Maus, ich KANN jetzt nicht!“ Das klang sehr ungeduldig. „Du tust dem Jungen weh!“ „Nein, tu ich nicht! WO BLEIBT DER VERDAMMTE ARZT??“ Aya hielt sich die Ohren zu. Wenn ihr Papa so brüllte, wackelte fast der Baum. Die Mediziner zählten insgesamt siebenundneunzig Stiche. Zumindest war das die Anzahl der gefundenen Stachel. Da es keine Stelle am Körper des Jungen gab, die nicht geschwollen war, waren sie der einzige Hinweis auf die mutmaßliche Menge Gift. Es war eine Dosis, die schon für einen Erwachsenen äußerst gefährlich gewesen wäre. Bei einem Dreizehnjährigen wagten die Ärzte keine Prognose. Seine Lordschaft bestand jedoch nachdrücklich und lautstark darauf, alles menschenmögliche zu versuchen. Am Ende stellte sich heraus: Takeru Nezu war zäh! Er machte dem Namen, den seine Eltern ihm gegeben hatten alle Ehre. Er kämpfte und überlebte. Takeru. Der Krieger. Von diesem Tag an fehlte es ihm an nichts mehr. Es wurde ein kleines Vermögen auf seinen Namen überschrieben, dass selbst bis ans Ende eines sehr, sehr langen Lebens einen wohlhabenden Mann aus ihm machen würde. Zudem kam er in den Genuss der besten Ausbildung, die die Feuernation zu bieten hatte. An der elitären Militärakademie des Feuerpalastes studierte Takeru neben den akademischen Fächern wie Sprachen, Geschichte, Geistes- und Naturwissenschaften auch alle bekannten Kampftechniken, wurde in Diplomatie und militärischer Taktik unterwiesen. Philosophie und Meditationstechniken, beides freiwillige Fächer, wurden ebenso in sein Programm übernommen wie das tägliche Gleichgewichtstraining. Einem erfolgreichen Absolventen der Feuerakademie standen alle Wege offen. Doch es gab nur einen, der den kleinen Dieb aus Ba Sing Se reizte. Ein Jahr später Hier, im marmornen Inneren des Palastes, wo jeder Schritt zehnfach widerhallte, war Takeru noch nie gewesen. Beklommen folgte er dem Gardisten die gewundenen Gänge entlang. Seit heute Morgen grübelte er darüber nach, weshalb Seine Durchlaucht ihn zu sehen wünschte. Er konnte sich nicht daran erinnern, etwas angestellt zu haben. Doch Unwissenheit schützt vor Strafe nicht, wie er sehr wohl wusste. Als sich die große Doppeltür öffnete, schluckte er trocken. Stumm bedeutete der Wächter ihm einzutreten. Also fasste Takeru all seinen Mut zusammen, ballte entschlossen die Fäuste und betrat das kühle Arbeitszimmer des Feuerlords. Als er auch nur einen Blick auf die Stiefelspitzen seines Herrschers erhaschte, verneigte er sich tief und sank auf die Knie. „Takeru. Wie geht es Dir?“ „Mir, Herr?“ „Ja.“ Es wäre bestimmt vergebene Liebesmüh, darüber zu grübeln, weshalb es Zuko den Erneuerer interessieren sollte, wie es Kadett Nezu ging. „Gut, Euer Lordschaft!“ „Das freut mich. Du darfst Dich erheben.“ Takeru beeilte sich, der Aufforderung nachzukommen, hielt jedoch den Blick gesenkt. „Deine Lehrer haben mir den halbjährlichen Bericht geschickt. Du scheinst überall die allerbesten Fortschritte zu machen. Aber ... offen gesagt habe ich dennoch ein kleines Problem.“ „Ein Problem?“ Jetzt hob der Junge doch die Augen. Flehend, betroffen. „Ich ... ich kann mich noch mehr anstrengen!“ „Nun, das glaube ich kaum.“, sagte Zuko milde erstaunt. Der blutjunge Kadett vergass völlig, dass man seinem Fürsten nicht widersprach. „Doch! Wirklich! Ich verspreche es!“, stiess er aus. „Du bist bereits in allen Bereichen Klassenbester.“ „Aber ...“ „Das ist der Grund für diese beiden Briefe hier.“ Zuko hielt zwei überaus wichtig aussehende Dokumente in die Höhe. „In diesem steht, dass Professor Dima Dich gerne als einen seiner Studenten hätte. Er lobt besonders Deine schnelle Auffassungsgabe und Dein Kombinationsvermögen.“ Er legte das Schreiben auf den Tisch. „Und in diesem hier drängt mich Dein Kampfmeister, Dich zum Kanjio ausbilden zu lassen. Aus ungefähr denselben Gründen. Die Entscheidung, Takeru, ist keine leichte. Sie bestimmt über Deinen zukünftigen Lebensweg. Ich habe daher beschlossen, sie Dir zu überlassen. Du hast eine Woche Zeit, Dir zu überlegen, was Du tun möchtest.“ Ein Kanjio? Er hatte tatsächlich die Wahl, ein Mitglied der königlichen Garde zu werden? „Überlegen? Ich ... das muss ich nicht, Mylord.“ „Nein?“ „Als Kanjio wäre es mir möglich, Eure Familie zu schützen?“ Ein Lächeln der Vorahnung huschte über Zukos Gesicht. `Möglich´ ... diese Formulierung sagte ihm alles, was er wissen musste. „Ja. Aber bist Du Dir bewusst, dass es kaum eine härtere Ausbildung gibt, als die zur Palastwache?“ Nun, EINE Ausbildung gab es, die noch härter war, und genau diese war das Ziel, welches Takeru Nezu anstrebte. Doch zuerst musste er ein Kanjio werden. „Ja.“, sagte er daher. „Takeru,“, setzte Seine Lordschaft an. „Ich weiss, Du bist der Meinung mir etwas zu schulden, doch ich kann Dir versichern, dass Du meine vergleichsweise geringe Tat mehr als wettgemacht hast, indem Du meine Tochter gerettet hast. Du hast Dein Leben riskiert. Keiner erwartet von Dir, mehr zu tun.“ „Aber ... ich will es.“ „Bist Du sicher?“ „Ja, Herr.“ Zuko forschte in den eisgrauen Augen des Jungen nach der Wahrheit. „Gut. Dann soll es so sein. Solltest Du es Dir anders überlegen, zögere nicht es zu sagen.“ Takeru nickte, jedoch nur der Form halber. Es sich anders überlegen? In diesem Leben bestimmt nicht! Gerade war er einen weiteren Schritt in Richtung seines größten Traumes gegangen. Vielleicht konnte er ja doch eines Tages einen kleinen Teil seiner Schuld abbauen, sich von ein paar Monaten Hölle loskaufen. Er würde ein Kanjio werden. Ein Bollwerk gegen die Feinde Seiner Lordschaft. Und danach wäre es ihm möglich, das letzte seiner Ziele in Angriff zu nehmen. Vielleicht würde er als würdig empfunden, Kage zu werden. Vielleicht ... wenn er sich nur genug anstrengte! Feuerpalast, Gegenwart „Wenn Ihr Euch ein bisschen anstrengt, dann schafft Ihr es vielleicht noch, mich ins Schwitzen zu bringen.“, spottete Lee trotz seiner Atemlosigkeit. „Ihr schlagt mittlerweile zu wie ein Mädchen!“ „Achtet lieber auf Eure Deckung, Hoheit!“ „Ha! Die ist tadellos, meine Deck ...“ Mit einem einzigen zischenden, zielgerichteten Schwung eines hölzernen Kampfstabes wurde der hoheitlichen Großspurigkeit ein Ende bereitet. „Ist sie nicht.“, sagte Hauptmann Nezu gelassen und streckte eine Hand aus, um dem Prinzen aufzuhelfen. Die Hilfe wurde dankbar angenommen und ... schamlos ausgenutzt. Der am Boden liegende stemmte die Füsse gegen die Brust des Hauptmanns und zog. Dummer Plan. Aber EINMAL hätte es doch klappen können, oder? „Verdammt!“ „Habt Ihr genug gespielt?“ „Gespielt? Mindestens ein Dutzend blaue Flecken werd ich kriegen.“ „Ich zählte drei bis vier.“ „Pah! Ich wette, Lu Ten kassiert keine Blessuren.“ „Kaum.“, stimmte Takeru zu. „Er nimmt die Sache ernster.“ „Ja, ja. Lu nimmt alles ernst. Aber tut meinem Stolz einen Gefallen und erzählt mir nicht, er hätte mittlerweile einen Weg gefunden, Euch zu knacken.“ „Nein.“ „Gut! Ich dachte schon, ich lasse nach.“ „Nicht wirklich. Lediglich Eure Deckung ...“ „Ja. Die Deckung. Ich weiss. Dabei war ich in letzter Zeit so oft mit Decken beschäftigt, dass ich mit dem Zählen schon nicht mehr hinterher komm.“ Als der Hauptmann nur seine übliche, steinerne Mine zeigte, verdrehte Lee die Augen. „Oh, bloss nicht lachen, Master Gargoyle, was?“ „Wann soll ich das nächste Training anberaumen, Hoheit? Morgen?“ „Wollt Ihr mich jetzt jeden Tag verdreschen? So geht man nicht mit einem werdenden Vater um.“ „Meine Gratulation noch hierzu, an Euch und Eure Gattin.“ „Danke! Ich werd´s ausrichten.“ Unwillkürlich glitt ein strahlendes Lächeln über Lees Gesicht. „Wartet erst mal ab, bis der Wonneproppen da ist. Das gibt ein Baby ...!“ „Da bin ich fast sicher.“ Während Lee seine eher kleinen Schrammen sachgemäss verarzten und bemitleiden liess (Niha hatte ihm nur kopfschüttelnd einen nassen Lappen in die Hand gedrückt und gemeint, sie könnten gerne tauschen, wenn er dafür den letzten Monat der Schwangerschaft für sie übernähme), sah man Lord Zuko zu ungewohnter Zeit an ungewohntem Ort. Jin erspähte ihn gerade noch rechtzeitig, um hastig ein großes Tuch über ihren Schreibtisch zu werfen. „Was ... tust Du denn hier, oh Vielbeschäftigter?“ „Will ich wissen, was unter diesem Schal ist?“ „Nein!“ „Gut. Ich habe nachgedacht.“ „Wirklich?“ „Jin!“ „Entschuldige. Über Aya?“ „Ja.“ „Ich auch.“ „Zu welchem Schluss bist Du gekommen?“ „Zu einem sehr weiblichen, fürchte ich.“ „Der wäre?“ „Sie ist verliebt. Sich derart vehement gegen die Liebe auszusprechen, deutet meistens darauf hin, dass genau das im Spiel ist.“ „Wirklich eine sehr weibliche Sichtweise.“ „So? Zu welchem Schluss bist Du gekommen?“ „Liebe.“ „Bitte?“ „Sie ist dasjenige unsrer Kinder mit dem fürsorglichsten Wesen. Ich hatte immer angenommen, sie wartet nur auf den Richtigen. Aber anzudeuten, das es den Richtigen nicht gibt, sieht ihr so gar nicht ähnlich. Es sei denn, es gibt ihn durchaus und sie sieht keine mögliche Zukunft mit ihm.“ „Hm. DIESE Sichtweise ist natürlich viel männlicher! Hältst Du es für möglich, dass es sich um einen verheirateten Mann handelt?“ „Niemals!“ „Aber ...“ Sie zuckte mit den Schultern. „Jin, sie ist Deine Tochter! Die Ehe ist ihr heilig. Der Mann einer anderen würde sie niemals interessieren. Ich denke, ihr Herz gehört entweder jemandem, von dem sie denkt, dass er ihre Gefühle nicht erwidert, oder sie glaubt, derjenige sei für uns nicht akzeptabel.“ „Oh, ich weiss!“ Sofort ging Jins Phantasie mit ihr durch. „Ein Strassenräuber vielleicht?“ „Jin!“ „Was denn? Da soll es richtige Ehrenmänner geben.“, klärte sie ihn eifrig auf. „Natürlich! Sie sind die Crème de la Crème. Wahre Helden.“, stimmte Zuko trocken zu. „Nur wurde Aya niemals überfallen.“ „Stimmt leider.“, gab Mylady zu. „Aber bestimmt HÄTTE sie sich dann verliebt. Hals über Kopf! In einen dieser verwegenen, strammen Kerle! Einer mit Maske und Akzent.“ „Kobold!“ Sie musste kichern. „Ich liebe es, wenn Du mich ansiehst, als wüsstest Du nicht, an wessen Verstand Du zu zweifeln hast.“ „Im Ernstfall natürlich an meinem, mein Herz.“ „Du bist eben der beste Ehemann, den man sich wünschen kann.“ „Wie schön, dass Du das erkennst.“ Dafür bekam er einen zarten Kuss. „Weisst Du noch?“, murmelte Jin, während sie sich an ihn lehnte. „Kurz vor ihrem sechzehnten Geburtstag hatten wir schon mal angenommen, sie sei verliebt. Du warst ganz aus dem Häuschen, weil wir dachten es wäre ...“ „Takeru!“, stiess Zuko hervor. „Aber natürlich! Du bist brillant!“ „Brilliant? Wieso? Das Ganze hatte sich doch als Irrtum herausgestellt.“ „Das DACHTEN wir.“ „Wie, das dachten wir? Nach seiner Verwundung war Aya doch vollkommen anders zu ihm. Sie hat ihn danach kaum mehr beachtet.“ „Ja, mein Herz. Aber mal ehrlich: Dieses Kind von uns ist weder oberflächlich noch wankelmütig. Narben, ob vorhanden oder nicht, interessieren sie nicht im Geringsten. Warum zum Teufel hätten sich ihre Gefühle also ändern sollen?“ „Weil ...“ „Sie sich ...“ „Gar nicht geändert haben.“ Zuko nickte. „Das würde ja heissen, Aya war all die Jahre in Hauptmann Nezu verliebt.“, hauchte Jin. „Wir sind Rabeneltern!“ „Nein, Kobold, Raben sind in Wahrheit ganz exzellente Eltern.“ „Mein Mäuschen ist seit sieben Jahren unglücklich verliebt.“, jammerte die Feuerlady, völlig unbeeindruckt von der fundierten, zoologischen Bildung ihres Gatten. „Bleibt noch die Frage, warum sie das die ganze Zeit über so geheim gehalten hat“, murmelte Zuko nachdenklich. Die Frage war recht simpel. Die Lösung weniger. Seit sie die Wahrheit über ihr Gefühlschaos erkannt hatte, lebte Aya der Welt eine Lüge vor. Es gab Tage, an denen sie sich gar nicht so unglücklich fühlte. Tage, an denen die Liebe und das Lachen ihrer Familie sie den Kummer fast vergessen liess. Doch unausweichlich folgte auch diesen Tagen eine Nacht. Unvermeidliche, verhasste Nacht. Wenn niemand mehr da war. Wenn sie allein in ihren Gemächern war. Wo sich die Mauern nicht mehr aufrecht erhalten liessen. Wo aus den dunklen Schatten und Ritzen Einsamkeit auf die junge Frau zu kroch. Einsamkeit, Verzweiflung und Sehnsucht. Die Gefährten ihrer Träume. Dass es Aya gelungen war, an den wachsamen, liebevollen Augen ihrer Eltern vorbei ihr Herz auf ewige Zeit hinaus zu verlieren, sprach Bände über ihre phänomenale Selbstbeherrschung und Wohlerzogenheit. Egal, ob ein vierstündiger Empfang sie unsäglich langweilte, eine Unterrichtsstunde in zeremoniellem Fächertanz sie anödete, Kopfschmerzen sie quälten oder sie vor Kummer weder aus noch ein wusste, stets zeigte sie eine anmutige Fassade ausgeglichener Gelassenheit und Würde. Der Grund für dieses Verhalten lag weit zurück. Feuerpalast, sieben Jahre zuvor Zu ihrem sechzehnten Geburtstag wurde die Prinzessin von einer wohlmeinenden Seele mit etwas konfrontiert, das das Leben der jungen Dame nachhaltig beeinflussen sollte. An diesem Abend, an dem ihre Geburtstagsfeier in eine Katastrophe gemündet hatte, brachte Lady Jin, begleitet von Mia Ling, einer älteren Hofdame, das aufgewühlte Mädchen auf seine Gemächer. Vor einer halben Stunde war Aya nur knapp dem Angriff einiger radikaler Eiferer entkommen. Seit Jahren versuchten sie alles, um den Feuerlord und seine Friedenspolitik zu vernichten. Und es war allgemein bekannt, dass Zuko II nur eine Schwachstelle hatte. Seine Familie. „So, Schatz. Zieh schnell die Sachen aus!“ Etliche Schichten blutbesudelter Seide wurde so rasch als möglich entfernt. „Mia? Bitte einen warmen Waschlappen!“ Umsichtig wusch Jin das halb getrocknete Blut von der milchweißen Haut ihrer Tochter, bis sie wieder makellos und unbefleckt war. Dann wurde die hochgewachsene Gestalt schnell in einen warmen, trockenen Kimono gehüllt. „Setz Dich hin!“ Noch immer am ganzen Leibe zitternd, gehorchte das Mädchen. „Mia? Wasser.“ Sofort wurde Mylady ein Glas kühles, frisches Wasser gereicht. „Trink das.“  Aya trank, während ihre Mutter ihr zärtlich das Haar aus dem Gesicht strich. „Geht´s besser?“ Die Prinzessin nickte mechanisch. „Mäuschen!“ Jin, mittlerweile auf der Armlehne des Sessels sitzend, drückte den Kopf ihrer Tochter fest an ihre Schulter. „Jetzt ist alles gut. Du bist in Sicherheit!“ Alles gut. War wirklich alles gut? Aya erwachte aus ihrem tranceartigen Zustand. Da war soviel Blut gewesen. Bäche davon. Seen. Bis an ihre Haut war es gedrungen, das Blut. SEIN Blut. Es KONNTE nicht alles gut sein! „Wie ... wie geht es ihm?“, flüsterte sie. „Takeru?“, fragte Jin. „Ich weiss nicht. Ich war so in Sorge um Dich, dass ich nicht ...“ „Bitte sieh nach, ob es ihm gut geht!“ „Ich denke, Du solltest erst mal versuchen zu schlafen. Dr. Yiu wird Dir ein leichtes Beruhigungsmittel mischen.“ „Bitte, Mama!“ Aya krallte die Finger in den kostbaren Ärmel ihrer Mutter. „Ja. Ist gut. Mia ...?“ „Nein! Du sollst selbst gehen. Wer weiss, ob Lady Ling die Auskunft überhaupt erhält.“ Die goldenen Augen des Mädchens schwammen in Tränen. „Ist gut, Schatz. Ich geh. Aber Du musst Dich beruhigen.“ „Ja ...“ Jin küsste noch einmal die Schläfe ihres Kindes, drückte ihre Wange dagegen und stand dann auf, um den Wunsch der Prinzessin nachzukommen. Nachdem die Feuerlady den Raum verlassen hatte, kauerte ihre Tochter wie ein Häufchen Elend am Rand des grossen Sessels. „Möchtet Ihr noch ein Glas Wasser, Hoheit?“ „Nein.“, flüsterte Aya. „Nein, ich brauche nichts.“ Nichts, ausser der Gewissheit, dass es ihm gut ging ... „Prinzessin ...“ „Ja?“ „Haltet Ihr Euer Betragen wirklich für ... angebracht?“ Erstaunen holte Aya aus ihrer Lethargie. „Mein Betragen?“ „Nun ... ja. Es liegt mir fern, Euch zu kritisieren ...“ „Ich habe das Gefühl, das tut Ihr bereits.“ „Verzeiht. Ich hätte nichts sagen sollen.“ „Was hättet Ihr nicht sagen sollen, Lady Ling?“ „Nichts!“ Aya straffte sich. „Ich will es wissen. Inwiefern verhalte ich mich unangebracht?“ „Nun ... Eure Gefühle für den Hauptmann.“ „WAS?“ die Prinzessin wurde noch blasser, als sie es ohnehin schon war. „Gefühle? Ich weiss nicht, wovon Ihr sprecht.“ „Es braucht Euch nicht unangenehm zu sein, Hoheit. Takeru Nezu ist ein überaus gut aussehender, schneidiger Offizier, der die Herzen aller jungen Damen höher schlagen lässt. Eure Reaktion ist nur natürlich.“ „Wie ... wie könnt Ihr ...? Ich bin nicht `alle junge Damen´! Und ich zeige auch keine Reaktionen!“ Mia Ling wurde bewusst, einen großen Fehler begangen zu haben. Offensichtlich hatte sie die Tochter des Fürstenpaares völlig überrumpelt. Das arme Kind war sich seiner Gefühle gar nicht bewusst gewesen, hatte im Dunkeln getappt. Oh, diese ahnungslose Jugend! „Beruhigt euch doch, Prinzessin! Ich wollte nicht ...“ Inzwischen war Aya aufgesprungen und stand an einem der großen Fenster. „Ist es so offensichtlich?“, hauchte sie, während sie in die Nacht starrte. „Wie bitte?“ „Ist es offensichtlich? Habe ich mich lächerlich gemacht?“ „Lächerlich? Aber nein, Ihr ...“ „Aber Ihr habt es bemerkt!“, stiess die junge Frau hervor. „Agni ... Ich habe mich lächerlich gemacht!“ „Nein! Nein, Kindchen, habt Ihr nicht. Ich kenne Euch eben zu gut.“ „Haben meine Eltern etwas bemerkt?“ „Nun ... vielleicht. Ich weiss nicht. Ich glaube, es ist ihnen bewusst, dass Ihr sehr an Eurem Kage hängt.“ „Oh je! Oh je ... was mach ich denn jetzt?“ „Was Ihr macht? Gar nichts, Hoheit. Ihr lasst Euch einfach nichts anmerken. Zeigt eine Fassade gelassener Heiterkeit, und niemand wird merken, dass Ihr Gefühle für einen unpassenden Mann entwickelt habt.“ „Unpassend?“ Aya drehte sich um. „Weshalb sollte Hauptmann Nezu unpassend sein?“, fragte sie trotzig. „Aber Prinzessin, er ist nur ein Mitglied der Leibgarde." „Er ist mehr als das. Er ist ein Kage! Und ... außerdem tapfer, aufrichtig, ehrenhaft und ... und ... edel. Daran ist nichts auszusetzen!“ „Ihr seit eine königliche Prinzessin!“ „Und? Meine Mutter ist eine Weberin. Meine Eltern halten nichts von Standesdünkel. Ich bin sicher, wenn ich...“ „Und der Hauptmann selbst?“, warf Mia leise ein. „Was?“ „Denkt Ihr auch an ihn? Wollt Ihr ihn derart kompromittieren? Wie soll er damit umgehen, solltet Ihr ihm Avancen machen? Es stünde ihm wohl schlecht zu Gesicht, darauf einzugehen. Ebenso wenig könnte er Euch durch eine Zurückweisung vor den Kopf stossen. Er würde sich in einer unmöglichen Zwickmühle wieder finden. Wollt Ihr sein Ehrgefühl wirklich auf diese Probe stellen?“ „Zwickmühle? Aber ... mein Wohl liegt ihm am Herzen. Das weiss ich!“ „Kindchen“, sagte Mia sanft. „Ihr seit sein Schützling. Und außerdem die Tochter seines Herrschers. Natürlich liegt ihm Euer Wohl am Herzen. Es ist seine Pflicht als Untertan und als Euer Leibwächter. Wenn Ihr die Situation falsch interpretiert, macht Ihr seine Lage unmöglich.“ Falsch interpretiert? Interpretierte sie alles nur falsch? Seine Sorge um sie? Seine Zuvorkommenheit? „Seine Loyalität Eurem Vater gegenüber zwänge ihn womöglich sogar, seinen Dienst zu quittieren“, mahnte die Hofdame leise. Den Dienst quittieren? Nein, alles, nur das nicht! „Ich werde mir nichts mehr anmerken lassen“, flüsterte Aya. „Gut!“ Die ältere Dame tätschelte begütigend ihre Hand „Der Hauptmann ist zweifelsohne ein tadelloser Mann. Doch ich bin sicher, sein Anstand und sein Pflichtgefühl verböten ihm jegliche überschwängliche Empfindung Euch gegenüber. Als Leibwächter hat er emotionalen Abstand zu wahren.“ Agni! Sie hatte alles falsch verstanden, sie ... Welches `alles´ überhaupt? Der Hauptmann war einfach nur zuvorkommend, aufmerksam und verständnisvoll gewesen. Nicht mehr, und nicht weniger. Er sah in ihr vermutlich nur ein dummes, schutzbedürftiges Kind. Hatte er ihre Gefühle bemerkt? War es ihm womöglich schon peinlich gewesen? Das Wissen, dass sein Anblick ihr Herz seit einiger Zeit so zum rasen brachte? Dass seine Stimme genügte, sie in luftige Höhen zu befördern? Wie töricht diese Empfindungen gewesen waren, wurde ihr erst jetzt bewusst. Ebenso die Tiefe ihrer Neigung ... `Bitte! Bitte, lass nicht zu, dass er es gemerkt hat! Bitte ...!´ Der Anblick der aufgewühlten Prinzessin, die verzweifelt die Hände rang, liess Mia noch einen letzten Trost anbringen. „Glaubt mir, Hoheit, in Eurem Alter ist eine neue Liebe schnell gefunden. Mit der Zeit wird diese Schwärmerei vergehen. Ihr werdet Euch rückblickend über Euch selbst wundern, und die Sache belächeln.“ Doch drei Dinge wusste Prinzessin Aya von diesem schicksalhaften Abend an mit absoluter Gewissheit: Erstens: Sie liebte Takeru Nezu. Zweitens: Sie würde niemals damit aufhören. Und drittens: Er durfte es unter keinen Umständen erfahren! So fest sie konnte schloss sie ihre Liebe in einen Kokon ein. Verborgen vor der Welt. Sie liess nicht zu, dass etwas davon nach aussen drang. Weder in Gegenwart des Mannes, dem sie galt, noch in Gegenwart ihrer Eltern, die sich ohnehin nur wieder Sorgen gemacht hätten. Doch Kokons haben nicht nur die Eigenschaft, Dinge zu schützen, sie lassen sie auch wachsen. Und so wuchs ihre Liebe. Von Tag zu Tag. Von Jahr zu Jahr. Eingehüllt in ihr schützendes, enges Zuhause begann sie zu schmerzen und zu pochen. Aya lernte, überschwängliche Emotionen hinter einer Maske aus graziösem Gleichmut und unantastbarer Würde zu verbergen. Die goldene Prinzessin. Unerschütterlich, ungerührt, unerreichbar. Mit einem Herzen, das kein Mann zu erobern vermochte. Sie war freundlich. Doch sie war es zu jedermann. Sie war geduldig, doch sie war es zu jedermann. Sie war einfühlsam. Doch sie war es gegenüber jedermann. Und sie war traurig. Doch das ... wusste keine Menschenseele. Nicht einmal ihre über alles geliebte Familie. Die Menschen begannen, über ihr Herz aus Gold zu sprechen: Großzügig, warm, verständnisvoll und doch so kalt und stolz der Liebe trotzend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)