Spieluhr von Scarlette ================================================================================ Kapitel 1: Nächtliche Besucher ------------------------------ Ein kleiner schmaler Streifen aus Licht spiegelte sich auf dem dunklen Holzboden. Er zog sich über den ganzen Boden bis hinein in das Zimmer eines kleinen Mädchens, das verzweifelt mit seinen Träumen kämpfte und sich schweißgebadet im Bett hin und her rollte. Eine Tür öffnete sich langsam. Ein Furcht einflößendes Knarren hallte durch den langen Flur. Als das Mädchen das Geräusch vernahm, zuckte es zusammen und verschränkte schützend die Arme. Ihr Körper zitterte. Eisige Kälte durchzog wie ein Blitz das alte Gemäuer. Jedes Mal wenn das Mädchen ausatmete um nach Luft zu schnappen bildete sich weißer Rauch. Der Lichtstrahl am Boden vergrößerte sich zusehends mit jeden Millimeter den sich die Tür weiter öffnete. Nun reichte er bis hin zu dem Bett des Kindes und fiel genau auf dessen geschlossene Augen. Sekunden später war die Kleine wach. Sie presste ihre Augen zusammen. Öffnete sie dann aber langsam und sah sich um. Vorsichtig nahm sie eine aufrechtere Haltung an. Alles in ihrem Zimmer sah aus wie immer. Mondlicht fiel durch das Fenster und erhellte den kleinen Raum. Sie beobachtete den kleinen Strahl der langsam immer dünner und kleiner wurde. Wieder hallte das Knarren, das sie zuvor im Traum vernommen hatte, durch den Flur bis hin in ihr Zimmerchen. Die Augen des kleinen Kindes strahlten Kälte, Trauer und Angst aus. Ein eiskalter Wind wehte aus dem Flur in jenes Kämmerchen. Gänsehaut bildete sich am Körper des Mädchen, als sie mit dem Fuß den Boden berührte. Barfuss und nur mit einem dünnen weißen Nachtgewand bekleidet tapste das Kind dem Lichtstrahl nach bis hin zur Tür, die in den Flur führte. Sie stand einen Spalt offen wie jeden Abend. Denn für gewöhnlich ließ die Mutter der Kleinen im Flur ein Licht an, damit das Mädchen schlafen konnte. Hier im Dunkeln hatte sie Angst. Langsam streckte sie ihr zitterndes Händchen aus und drückte zaghaft gegen die Tür. Jene öffnete sich langsam, aber geräuschlos. Nun stand die Kleine im Flur. Ihre großen rosa Äuglein folgten dem Lichtstrahl am Boden. Bis hin zum Arbeitszimmer des Vaters. Durch die angelehnte Tür schien Licht. Ängstlich ging das Kind los. Ihre Schritte gen Ziel immer langsamer werden, denn ein ungutes Gefühl machte sich langsam in ihr breit. Niemals zuvor war ihr Vater noch so spät in seinem Arbeitszimmer gewesen. Tausend Gedanken schossen dem Kind durch den Kopf. Würde sie wirklich ihr Vater im Arbeitszimmer erwarten? Was wollte er dort noch, es war doch weit nach Mitternacht? Oder würde der Mann in schwarz dort sein? Der Mann der sie, seid einigen Nächten, in ihren Träumen verfolgte? Als sie die Tür erreicht hatte, vernahm sie leise Stimmen. Hörte jemanden weinen. Sie trat näher heran und blinzelte durch den Türspalt. Vor dem entzündeten großen, offenen Kamin stand ihre Mutter. Sie verdeckte mit ihren Händen ihr Gesicht. Dem jungen Mädchen war jene Haltung nur allzu gut bekannt. Die Haltung ihrer Mutter wenn sie weinte, sie hatte sie schon so oft weinen sehen. Die Mutter der Kleinen war eine wunderschöne Frau mit langen, lockigen roten Haaren, dunkelroten Augen, die so viel Liebe ausstrahlten und einem bezaubernden Lächeln. Aus der Ecke des Zimmers vernahm das Mädchen die Stimme ihres Vaters: “Nyu ist nicht mehr sicher. Wir müssen etwas tun.” Als das Mädchen seinen Namen vernahm stockte es und hielt den Atem an. “Aber was haben wir für eine Wahl? Wir können nirgends mit ihr hin?” erklang die zaghafte Stimme ihrer Mutter. Zittrig aber dennoch honigsüß wie eh und je. Nyu atmete wieder aus, nahm all ihren Mut zusammen und öffnete die Tür. Als sie den Raum betrat blickten sie ihre Eltern entsetzt an. Ihre Mutter wischte sich die Tränen ab und kam sofort zu ihr hin. Sie hob das durchfroren Kind auf ihren Arm und sagte mit ihrer führsorglichen Mutterstimme: “Was ist denn los mein Mäuschen? Wieso schläfst du nicht?” Nyu merkte wie ihre Augen immer nasser wurden und wie sich eine Träne ihren Weg nach unter über ihre kleine Wange suchte. “Ich bin wach geworden und hab Licht gesehen.” “Warum bist du denn wach geworden?” fragte sofort die umsorgte Stimme ihrer Mutter. Das Mädchen wisch deren Blick aus und flüsterte leise: “Weiß nicht mehr.” Sie erzählte weder von der bitteren Kälte, die sie hier überall spürte, erwähnte auch nicht ihren immer wieder kommenden Alptraum. Nicht einmal das sie vom Licht der Eltern wach geworden war gab sie zu. Die rothaarige Frau beschloss sofort mit ihrer Tochter mitzugehen, schließlich musste sich diese ja wieder schlafen legen. Sekunden später war sie nun schon auf dem Weg zu dem Kämmerchen ihres Kindes. Sie setzte das Mädchen auf vorsichtig auf ihrem Bettchen ab. Jene krabbelte unter ihre Decke und legte sich hin. Marien gab ihrer kleinen Nyu noch einen Kuss auf die Stirn, doch kurz bevor sie das Zimmer verlassen hatte fragte die kleine traurig, aber dennoch ernst: “Wieso leben wir eigentlich hier und warum darf ich nie mit ins Dorf zu den anderen Leuten?” Die Frau drehte sich um und sagte: “Das verstehst du noch nicht, mein Mäuschen, wenn du älter bist werde ich dir alles erklären. Aber du bist noch zu jung.” Mit diesen Worten verlies sie das Zimmer. “Wir werden dich finden. Wir werden dich kriegen. Du kannst dich nicht verstecken.” Leise Stimmen die der Wind in Nyus Zimmer trug oder doch nur das Rauschen der Blätter draußen? Was auch immer es war, es lies dem Mädchen keine Ruhe. Sie kletterte wieder aus ihrem Bett und ging zum Fenster. Wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte konnte sie gerade so über die dunkle, kalte Fensterbank sehen. Die Zweige der Bäume warfen beängstigende Schatten auf den Boden in ihrem Zimmer und die Erde draußen. Kein Stern war zu sehen. Doch hinter den Bäumen vor ihrem Zimmer stand der weiß, silberne Vollmond. Nyu betrachtete die Umgebung sehr genau, fand jedoch niemanden, der etwas gesagt haben könnte. Wenn jemand dort gewesen wäre hätte sie ihn wahrgenommen, da war sich das Mädchen sicher. Sie hatte nämlich gute Augen und merkte jede kleinste Bewegung. Wie auch in jenem Moment als sie sich vom Fenster abgewandt hatte. Sie glaubte etwas aus dem Augenwinkel gesehen zu haben und entschloss sich, sich doch noch einmal dem Fenster zuzuwenden. Diesmal traute sie ihren Augen kaum. Auf den Baumkronen saßen kleine schwarze Viecher. Nie zuvor hatte Nyu solch ein Lebewesen gesehen. Da war sie sich sicher. Je länger sie hinsah desto mehr füllten sich die Kronen. Es kamen immer mehr dieser Wesen angeflogen. Sie sahen so aus wie Fledermäuse und doch wusste sie das es keine waren. Es wirkte fast so als würden jene nur aus dunklem Rauch bestehen. Aber Rauch kann doch nicht leben, geschweige denn feste Formen annehmen oder? Nyu rieb sich die Augen. Nur wenige Sekunden und doch waren die Bäume leer, als sie wieder hinaus sah. Das Mädchen ging Kopf schüttelnd zurück zu ihrem Bett und huschte unter die Decke. Mit den Viechern war auch die Kälte verschwunden und kein Wind wehte mehr durchs Zimmer. Ängstlich kniff Nyu die Augen zusammen und schlief ein. Kapitel 2: Die Spieluhr ----------------------- Am nächsten Morgen stand Marien schon früh in der Küche und bereitete das Frühstück für ihre Lieben. Die ganze Nacht hatte sie kein Auge zugemacht. Denn auch sie hatte die Rauchwesen gesehen. Doch im Gegensatz zu ihrer Tochter wusste sie genau was diese Wesen waren. Reine Dunkelheit die Gestalt angenommen hatte. Man nannte sie Schatten. Sie waren Boten der Dunkelreiter. Marien stellte gerade eine riesen Portion Waffeln auf den Tisch, als Nyu den Raum betrat und sie begrüßte. Die Augen des kleinen Mädchens hatten einen natürlich kindlichen Ausdruck. Sie sah ihre Mutter mit diesem einen besonderen Blick an, der nur von einem Kind sein konnte. Jede Mutter kennt diesen treuen, lieben Kinderblick. Doch für Marien war es etwas ganz besonderes jenen Blick zu sehen. Er gab ihr die Hoffnung das Nyu später wenigstens einigermaßen normal werden würde, beziehungsweise normal war. Doch als sie dem Mädchen zusah wie es den restlichen Tisch deckte und ihren Vater rief, merkte sie wieder wie unnatürlich Erwachsen sich ihr kleines Mädchen doch verhielt. Nyu konnte alles im Haushalt erledigen, was Marien auch machte. Auch wollte das Mädchen weder Spielsachen noch spielte sie generell. Wenn man sie einen Moment allein lies wurde sie ruhig, schien in eine Art Trance zu verfallen und starrte regungslos in die Umgebung. Dabei war Nyu gerade mal sechs Jahre alt zumindest nahmen ihre Eltern das an. Als endlich alle am Tisch saßen frühstückte die Familie. Es herrschte eine ungewohnte Stille am Tisch. Um jene zu durchbrechen sah Marien zu ihrer Tochter und fragte: “Sollen wir heute Nachmittag in den Wald gehen und einen schönen Blumenstrauß für die Küche suchen gehen.” Nyu kaute hastig, schluckte und nickte dann. Nachdem sie gegessen hatte stand sie auf, stellte ihren Teller auf die Küche und verlies den Raum. Vor der großen Treppe blieb sie wie angewurzelt stehen. Das Gemäuer in dem die Familie wohnte war ein verlassenes Herrenhaus. Also etwas zwischen Villa und Schloss, so hatte man der kleinen zumindest diesen Begriff zu erklären versucht. Im Erdgeschoss befand sich ein riesiger Ballsaal, zwei Badezimmer, die Küche und ein Speisesaal von gigantischem Ausmaß. Im ersten Stock war Nyus Zimmer, das Schlafzimmer der Eltern, das Arbeitszimmer des Vaters und eine Bibliothek. Die Möbel in jenem Haus schienen noch aus der Zeit zu sein als das Herrenhaus prachtvoll und ansehnlich war. Jetzt war es überwuchert von Efeu und stand einsam und verlassen mitten im tiefsten Wald. Bis zum nächsten Dorf mussten man einen halben Tag reiten. Niemand kannte mehr jenes Haus. Von all dem wusste Nyu jedoch nichts. Sie hatte noch nie andere Menschen gesehen, geschweige denn ein Dorf. Sie durfte das Haus nur mit ihrer Mutter oder ihrem Vater verlassen. Doch selbst dann entfernten sie sich nicht sehr weit. Der zweite und letzte Stock des Hauses war Sperrzone. Das Mädchen hatte strengstens untersagt bekommen ihn jemals zu betreten. Nie zuvor hatte Nyu es auch nur versucht den zweiten Stock zu erreichen. Doch heute hatte sie das Gefühl das sie etwas nach oben ziehen würde. Dann vernahm sie eine Melodie. Nyu spitzte die Ohren und horchte. Sie folgte der Melodie bis zur Treppe, die in den verbotenen Stock führte. Dort hielt sie kurz inne. Hin und her gerissen stand sie vor der Treppe. Die Melodie klang wie die einer Spieluhr. Sie zog Nyu in eine Art Bann. Nach kurzem zögern machte sie den ersten Schritt nach oben und ging dann Stufe für Stufe immer weiter. Sie schaffte es einfach nicht sich dagegen zu wehren, die Neugierde in ihr war einfach zu groß. Oben angekommen riss Nyu entsetzt die Augen auf und sah sich um. Es sah einfach furchtbar aus. Hier oben war alles grau und trist. Von den Wänden hingen zerfetzte Wandteppiche . Bilderrahmen und Möbel lagen zerstört quer im ganzen Flur. Außerdem war an den Wänden rote Spuren. Bei näherem Betrachten erkannte Nyu das es sich um Blut handelte. Es war über die Wände nach unten bis auf den Holzboden gelaufen, wo es ebenfalls Spuren hinterlassen hatte. Keine weitere Sekunde wollte das Mädchen hier verbringen, doch dann wehte ihr ein Windzug entgegen und eine Tür am Ende des Flures hatte sich geöffnet. Der Wind kam aus jenem Zimmer, er musste die Tür geöffnet haben. Wieder erklang eine Melodie. Sie kam aus jenem Zimmer. Mit weit aufgerissenen Augen stand die Kleine regungslos im Flur. Wollte schreien, doch ihre Stimme schien verklungen zu sein. Doch dann drang wieder diese Melodie an ihr Ohr. Zog sie zurück und deren Bann und brachte das Mädchen dazu sich der nun offenen Tür zu nähern. Wie in Trance betrat sie den Raum. Nun stand sie mitten in einem verwüsteten Kinderzimmer. Alles war voller Blutspritzer und Kampfspuren. Auf dem Boden lagen zertrümmerte Spielzeuge und in einer Ecke des Zimmers stand ein Bett. Von jenem kam die Melodie. Das Mädchen näherte sich trotz aufsteigendem flauem Gefühl im Magen dem Bettchen. Auf dem Laken des Bettes waren ebenfalls Blutspuren, darunter ein blutiger Handabdruck. Der Abdruck war klein. Er musste von einem Kind stammen. Um sicherzugehen legte Nyu ihre Hand auf den Abdruck. Er war genauso groß wie ihre Hand, musste also von einem kleinen Mädchen stammen. Nyu hielt inne und schaute wie in Trance auf den Abdruck. “Was machst du hier? Verschwinde schnell! Sonst finden sie uns!!” riss eine Stimme sie aus ihrer Erstarrung. Die Stimme kam hinter ihr aus dem Zimmer, langsam drehte sich das Mädchen um. In der Türschwelle stand ein Mädchen. Sie schien so alt wie Nyu zu sein. Doch um sie herum schimmerte ein seltsames Licht. Nyu wusste nicht warum aber ihr erster Gedanke war, das Mädchen sei tot. Das Mädchen strahlte Kälte aus, trotzdem fühlte Nyu sich irgendwie mit ihr verbunden. Ihre Augen sahen die Lebende gefühllos an. Sie zwinkerte weder mit den Wimpern, noch verzog sie eine Miene. “Wer bist du?” fragte Nyu. Obwohl sie Angst hatte, glaubte sie nicht das ihr jenes Kind etwas antun würde. “Du musst den Raum verlassen. Sonst töten sie dich auch.” sagte das Mädchen. Ihre Stimme kam Nyu verwand vor. Sie kannte sie aus ihren Träumen. “Wer sollte mich denn töten wollen?” Das Mädchen schreckte auf und sah sich hektisch um. In ihrem Gesicht stand Panik. Ängstlich schrie sie: “Sie sind hier. Sie werden uns finden. Du hast sie hergelockt!!” Dann schloss sie die Augen und verschwand. Löste sich einfach auf. Nyu traute ihren Augen nicht. Hatte sie sich das Mädchen nur eingebildet? Egal sie wollte nur noch hier weg. Sie hatte gerade ein paar Schritte Richtung Tür gemacht als wieder diese Melodie ertönte. Nyu drehte sich ein letztes mal um und sah eine Spieluhr auf dem, jetzt weißen, Laken liegen. Von dem ganzen Blut und dem Handabdruck war nichts mehr zu sehen. Nyu schnappte die Spieluhr und verlies dann schnellst möglich den Raum. Erst an der Treppe, als es hinter ihr laut knallte, hielt sie inne und sah zurück. Die Tür des Zimmers war zugefallen. Nyu rannte die Treppe nach unten in ihr Zimmer. Dort setzte sie sich auf ihr Bett und betrachtete die Spieluhr. Sie war klein und golden. Verziert war sie mit seltsamen Zeichen, die Nyu unbekannt waren. Auf der Unterseite der Uhr war eine Gravur. Nyu wische den Staub ab und versuchte sie zu lesen. “Verlorene Seelen in Dunkelheit langsam sterben.” las sie die Inschrift leise vor. Für ihr Alter konnte sie schon sehr gut lesen, weshalb sie sicher war sich nicht verlesen zu haben und dennoch verstand sie nicht war es damit auf sich hatte. Wollte es auch nicht wissen. Sie öffnete die Spieluhr und die wunderschöne Melodie erklang. Noch war Nyu zu jung um sich über die vergangenen Ereignisse Gedanken zu machen. Sie behielt die Spieluhr und lebte weiter als wäre nie etwas geschehen und doch wollte das Schicksal es damit nicht beruhen lassen… Mit der Spieluhr war auch ein neuer Alptraum in Nyus leben aufgetaucht. Sie hatte von dem kleinen Mädchen geträumt, das ihr im dritten Stock begegnet war. Um den Alptraum loszuwerden hatte sie die Spieluhr, bereits nach zwei Tagen, in einer Schublade eingeschlossen und jene nie wieder geöffnet. Tatsächlich war damit auch der Alptraum verschwunden und doch hatte Nyu noch immer einzelne Bilder vor Augen. Schreckliche Bilder. Bilder eines blutigen Kampfes. Seit jenem Tag an dem sie die Spieluhr fand, hatte sich einiges in ihrem Leben verändert, noch seltener wie zuvor all die Jahre schon hörte man das Lachen des Mädchens. Auch fiel es immer häufiger in seine Angst einregenden Trancezustände. Ihre Eltern machten sich zusehends Sorgen um ihr Kind, doch jenes verlor nicht ein Wort über das was sie oben im verbotenen Stock gesehen hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)