Ta Sho von Turbofreak (erste Schritte) ================================================================================ Kapitel 6: Dilemma ------------------ Nach einer längeren Babypause kommt die Kreativität auch bei mir zurück! Ich wage es, diese FF weiter zu tippen. Viel Spaß beim Lesen April kam seufzend zurück in die Küche Ramrods. Am liebsten hätte sie drauf los geheult, aber das war nicht anzuraten, wenn immer noch Colt und auch Saber mit am Tisch saßen. Der Schotte hatte sich zwar schon wieder in die Tageszeitung vertieft, aber zumindest Colt schenkte ihr einen fragenden Blick. Und auch Alessandro sah mit fragenden Augen zu der Gestalt in der Tür. „Prinzessin, seit wann treibt dir unser Reifenschänder die Zornesröte ins Gesicht?“, dabei stellte Colt wie beiläufig seine Kaffeetasse wieder auf dem Tisch vor sich ab. Ihm war längst schon aufgefallen, dass irgendwo der Wurm drin war. Er wusste nur noch nicht, ob es ein Holzwurm war oder so ein kleiner fieser Wurm, der sich mit Vorliebe aus Äpfeln raus schlängelte. Er wusste noch von ihrer Reise in die Vergangenheit, welche Schwierigkeiten April und Fireball gehabt hatten. Eigentlich hatte er gedacht, das hätte sich wieder geändert. Aber nach der Versetzung war etwas wirklich Schräges passiert. Fireball und April waren nicht mehr zusammen zu sehen. Und das war für Colts Begriffe wirklich bizarr. Alex zog die Augenbrauen zusammen. Er verkniff sich in letzter Sekunde den Kommentar, dass Fireball auch anderes als Reifen schänden würde. Es passte nicht hier her und wie er die beiden Freunde von April und Fireball kannte, würden die ihm postwendend dafür eine auf den Deckel geben. So gut konnte Alex gar nicht kochen um das wieder gut zu machen. Er blinzelte Colt und Saber an. Die beiden hatten entweder überhaupt keine Ahnung oder aber sie verschlossen die Augen davor. April zuckte auf Colts Worte hin kaum merklich zusammen. Lediglich ihre zusammen gekniffenen Augen verrieten sie einwandfrei. Und das war ihr auch bewusst. Colt war ein Fährtenleser und er konnte noch so oft einen auf plumper Klotz machen, der Cowboy war in manchen Belangen hypersensibel. Wie sollte sie nun also reagieren? Sie war dem Rennfahrer nachgegangen, das war Fakt. Und sie kam offenbar mit einer ziemlich gesunden Gesichtsfarbe wieder zu Ramrod zurück. Wenn sie nicht aufpasste, zählte Colt eins und eins schneller zusammen, als ihr das lieb war. Weswegen könnte sie also sauer auf Fireball sein? Sie konnte Colt und den anderen beiden schlecht die Wahrheit präsentieren. Sie musste sich also schnell etwas einfallen lassen. April nahm ihren Haarreifen ab und steckte ihn erneut ins Haar, ihren Pony pustete sie schnell zurecht. Dann antwortete sie auf Colts Frage: „Der ist und bleibt ein Kindskopf, wenn du verstehst, was ich meine.“ April war stolz auf sich. Sie hatte nicht gelogen und doch nichts gesagt. Fireball färbte vielleicht doch mittlerweile auf sie ab. Und da war es wieder. Das schlechte Gefühl, gemischt mit diesem Herzrasen, wenn sie an ihn dachte. Wer auch immer behauptete, der Himmel hinge voller Geigen, wenn man verliebt war, der verschwieg, dass diese Geigen dann maximal die traurigsten Klassiker der Musik spielten. Zumindest ihr ging es so. Colt grinste verschmitzt: „Was hat er angestellt, unser fliegender Münchhausen?“ Der Cowboy ahnte, wie nah er mit dieser Annahme an der Wahrheit war. Fireball passte sie zwar immer ab, wenn sie landeten, aber an der Art, wie er mit ihnen allen die Zeit verbrachte, hatte sich erheblich was geändert. Colt wusste, was in der Base manchmal los war, die war immerhin die einzige Einheit, die fix auf Yuma stationiert war und bei Bedarf den Planeten verteidigen musste. Er und Saber hatten mit Alessandro schon das ein oder andere Gespräch mit diesem Inhalt geführt und er gab an, dass in so einer Flugstaffel öfters mal die Hölle los war. Fireball jedoch hörte man diesbezüglich nie etwas Vergleichbares sagen. Und, was noch viel wichtiger war, der Umgang mit April hatte sich dramatisch verändert. Ob sie sich zerstritten hatten? Colt drehte am Henkel seiner Tasse und tauschte mit Saber und Alessandro einen kurzen Blick aus. Alessandro nickte kaum merklich, als würde er Colt seine Vermutungen bestätigen wollen, Saber jedoch deutete ein Kopfschütteln an. Er sollte sich wohl nicht dauernd in anderer Leute Angelegenheiten einmischen oder etwas rein interpretieren. „Der hat sich den Red Fury ausgeborgt. Ohne zu fragen und total eingesaut. Der steht vor Dreck“, versuchte April ihrem Zorn eine verständliche Richtung zu geben. Sie war sich nicht sicher, ob es funktionierte, deswegen zog April die Flucht vor. Abgesehen davon fühlte sie sich mies. Deswegen stieß sie sich vom Türrahmen ab und ging mit der Erklärung: „Er kann nichts so zurück bringen, wie er es genommen hat. Unverbesserlich einfach.“ Kaum schloss sich die automatische Tür hinter April, riss Colt die Augen ungläubig auf und sah zu Alex und Saber: „Okay…“, begann er gedehnt: „Das war jetzt was genau?“ Er wurde nicht mehr schlau aus April. Sie hatte gerade mehr als deutlich gemacht, dass sie stinksauer auf Fireball war. Die Blondine hatte Fireball kein einziges Mal beim Namen genannt. Dauernd nur er und der. Was zur Hölle war da am Vorabend passiert? Er hatte doch nur einen Tequila gehabt, der konnte ihm doch schlecht das Gedächtnis löschen. Alex wollte gerade ansetzen es Colt diplomatischer zu erklären, da kam ihm Saber zuvor. Er stand auf und während er das Frühstücksgeschirr in die Spülmaschine schlichtete, erklärte er: „Es geht uns zwar nichts an, aber vielleicht mag April das neue Mädchen an Fireballs Seite nicht.“ Saber hatte in den letzten Monaten das Gespräch mit Fireball nicht vergessen. Es war gut möglich, dass April doch eine gewisse Eifersucht dem Mädchen gegenüber hegte, in das sich Fireball verliebt hatte. Colt wurde schlagartig alles klar. Daher wehte der Wind also! Deswegen trafen sich Fireball und April nicht mehr privat. Der Cowboy stieß sich den Hut aus der Stirn und sah zu Saber hinüber. Prompt verdunkelte sich dabei allerdings das Licht, das ihm gerade noch aufgegangen war. Es stellten sich ihm im Wesentlichen zwei Fragen: Wer war Fireballs Freundin? Und wieso wusste Saber etwas davon und er nicht? Höchst verdächtig. Noch dazu, weil Saber es ziemlich selbstsicher und bewusst verlautbart hatte. Der Säbelschwinger mutmaßte nicht, er wusste es. Da war sich Colt ziemlich sicher. Folglich hatte Saber diese Information aus sicherer Quelle. Und es musste demnach – weil offensichtlich – jemand sein, den April nicht mochte. Sonst hätte Saber diese Vermutung nicht ausgesprochen. Der Cowboy arbeitete gerade eine ganze Liste an Feststellungen und Fragen in seinem Kopf ab, sein Sitznachbar dagegen kämpfte gerade einen Blutrausch hinunter. Für Alex bedeutete Sabers Vermutung nämlich nur eines. Die Bestätigung für seine Vermutungen. Der Hobbyrennfahrer hatte mehr als ein Eisen im Feuer. Und die arme April wurde hingehalten! Wären Saber und Colt gerade nicht anwesend, Alex wäre in den Hangar gegangen und hätte jemandem Verstand eingeprügelt. So aber beschränkte er sich auf ein verächtliches Schnauben. Er hätte dem Hallodri gestern noch ein oder zwei Töne mehr posaunen müssen. Er würde später zu April gehen und sie trösten. Sie war mehr als nur bemitleidenswert. Sie hatte die denkbar schlechteste Karte gezogen. Sie war ausgenutzt worden und als wäre das nicht schon schlimm genug, war sie in den Fremdgeher auch noch verliebt. Der Rennfahrer wurde Alex immer unsympathischer. Alex starrte auf sein Brötchen. Ihm verging der Appetit bei dem Gedanken daran, dass April wieder weinte. „Woher weißt du Schlauberger das eigentlich schon wieder?“, Colt konnte mit dieser Frage einfach nicht hinterm Berg halten. Er hatte immer gedacht, er wäre Fireballs bester Freund und nun teilte er ihm so etwas nicht mit. Colt verstand das nicht. Der kleine Flieger war sonst nicht der Typ, der über so etwas mit Saber sprach. Woher also wusste Saber wirklich, dass Fireball eine Freundin hatte? Es ging ihm einfach nicht in den Kopf. Saber schloss die Spülmaschine und lehnte sich gegen die Arbeitsfläche. Er blickte auf seine zwei Freunde. Ein alter und ein neuer Freund saßen dort am Tisch. Saber war nicht der Mensch, der vorschnell urteilte, aber auch nicht derjenige, der einen fremden Menschen schon nach zwei Tagen als Freund bezeichnete. Mit Alessandro hatte er schon einige Monate zugebracht, teilweise unter sehr beengten Umständen. Das hatte das Kennenlernen extrem beschleunigt. Saber hatte schnell gemerkt, dass Alex äußerst loyal war. Fast schon wie ein Familienhund, der für Herrchen, Familie und Hof alles gab. Er wusste, dass Alex keine Familie im traditionellen Sinne hatte, aber da war er mit Colt und April in guter Gesellschaft. Er hatte seine neue Familie auf Ramrod ebenfalls gefunden, blieb aber auch mit seiner alten Einheit verbunden. Er besuchte, so wie Fireball, bei jeder Landung auf Yuma seine Freunde. Saber blickte zu Colt. Die kleine Spürnase steckte ja wirklich überall seinen Riechkolben hinein. Auch und vor allem ungefragt. Der Schotte überlegte, ob er hier so offen sprechen konnte. Er ärgerte sich über sich selbst, denn er hatte Fireball versprochen, es vertraulich zu behandeln und trotzdem war ihm nun etwas über ihr Gespräch rausgerutscht. Colt war deswegen schon schnüffelnd auf der Spur und auch Alessandro schien sehr interessiert an der Geschichte zu sein. Dem Schotten blieb also nichts anderes übrig, als es zu sagen, wenn er nicht wollte, dass Colt gleich bei Fireball im Büro stand und dem vorwarf, dass sie als Freunde schon mehr Vertrauen zueinander brauchten. Er setzte sich also wieder an den Tisch und begann: „Ihr wisst, dass ich mich manchmal mit Fireball treffe, wenn wir hier sind. Wir besprechen einiges. Zum Beispiel, wie es in seiner Einheit läuft und manchmal auch, was er in seiner Freizeit so macht. Ich hab schnell gemerkt, dass er selten aus der Einheit rauskommt und Zeit hat. Naja, bei einem seiner spärlichen Ausflüge in die Welt außerhalb des Oberkommandos dürfte es Fireball schwer erwischt haben. Allerdings macht er sich nicht zu viele Hoffnungen, er zweifelt viel mehr daran, dass jemals eine Frau mit ihm dauerhaft zusammen sein will. Ich kenne den aktuellen Stand der Dinge nicht“, warf Saber sofort hinterher, denn er wusste tatsächlich nicht, ob sich Fireball ein Herz gefasst hatte und diese Frau ausgeführt hatte: „aber nachdem er mit April immer sehr gut befreundet war, nehme ich an, er hat auch ihr davon erzählt. Vielleicht hat sie das Mädchen auch schon getroffen, das unserem Superflieger den Kopf verdreht hat.“ Alex hatte sichtlich Mühe, nicht gleich aufzuspringen oder einen Tobsuchtsanfall zu bekommen. Er hielt sich immer wieder krampfhaft vor Augen, dass es nicht seine Probleme waren, er der Neue an Bord war und sich nicht einmischen durfte, aber dafür war es schon seit Wochen zu spät. Er hatte sich bereits eingemischt, als er April in der Nacht die Tränen von den Wimpern geküsst hatte und ihr Geborgenheit gegeben hatte. Wie viele Male hatte er ihr seither den Rat gegeben, diese Affäre zu beenden? Es hatte nie gefruchtet und nun würde Alessandro mitansehen müssen, wie der hübschen Navigatorin das Herz vollends gebrochen wurde. Dem Italiener wurde ganz anders bei dem Gedanken. Er spürte, wie er seine Hände zu Fäusten ballte und damit am liebsten ein Loch in die Wand geschlagen hätte. Aber er musste sich ruhig verhalten. Er konnte hier nicht aufstehen und den beiden Freunden sagen, was er wusste und was es wirklich war. Denn dann hätte er ihnen gleichzeitig auch sagen müssen, dass sie blutige Anfänger waren und ganz bestimmt keine guten Freunde. Und das wollte der Pilot nicht tun, einerseits, weil Colt und Saber bestimmt gute Freunde waren und andererseits, weil ihm ein solches Urteil nicht zu stand. Colt zog indes eine Schnute und ließ sich Sabers Worte durch den Kopf gehen. Das war ja allerhand. Und wenn er es sich genauer überlegte, so könnte das ruppige Verhalten, das April gerade an den Tag gelegt hatte durchaus als Eifersucht zu betiteln sein. Der Cowboy wusste wie es um Aprils Gefühle bestellt war. Nicht erst seit ihrem Abstecher in die Vergangenheit, da hatte er lediglich die Bestätigung seiner Vermutung bekommen. Lange schon war ihm aufgefallen, dass sich April zu dem Hobbyrennfahrer hingezogen fühlte. Nie hatte sie die Chance ergriffen, es ihm zumindest zu sagen und nun war eine andere Frau schneller gewesen. April hatte schon so manches Mal erfolgreich verhindert, dass ein anderes Mädchen Fireball zu nahe kam, das beste Beispiel dafür war die Geschichte mit Claudia Firenza gewesen, aber nun war April außerhalb des Aktionsradius des Rennfahrers. Sie hatte nicht mehr eingreifen können und ein anderes Mädel hatte die Nasenlänge Vorsprung gehabt. Colt schmunzelte, obwohl es ihm auch leid für April tat: „Hat er sich glatt eine gesucht, die ihm nachts das Bett vorwärmt.“ Saber atmete genervt aus. Was an seinen Worten hatte Colt nun wieder nicht verstanden? Er hatte doch mit keinem Wort erwähnt, dass er sie zu sich ins Bett nahm oder hatte er sich etwa so unklar ausgedrückt? Saber fuhr sich durch die Haare und korrigierte Colt noch einmal mit Nachdruck: „Wie gesagt, ich kenne den aktuellen Stand der Dinge nicht. Aber soweit mir bekannt ist, ist er mit ihr noch nicht einmal ausgegangen, weil er seines Erachtens zu unpünktlich ist und keine auf ihn warten würde.“ „Und wie lange ist das her? Drei Monate, vier oder hat er dir das erst vor vier Wochen gesagt?“, wollte Colt wissen. Klar, Fireball war in manchen Belangen nicht einmal annähernd halb so schnell wie hinter dem Steuer, aber selbst der kleine Hitzkopf würde es in einem halben Jahr schaffen, sich ein Mädel anzulachen. Vor allem dann, wenn er sie unbedingt haben wollte. Colt wollte einfach nur sicher gehen, wie glaubwürdig und vertrauenswürdig diese Auskunft überhaupt noch war. Das war ein einleuchtendes Argument. Saber nickte daraufhin und gab nähere Auskunft: „Das ist schon wieder gute vier Monate her, als wir darüber gesprochen haben. Seither hat Fireball nichts mehr erwähnt. Und ich muss auch sagen, ich hab ihn nicht mehr darauf angesprochen, er hat ziemlich was um die Ohren.“ Colt nickte zufrieden und verschränkte die Arme vor der Brust. Damit war für ihn der Fall klar. Er stupste sich den Hut aus der Stirn und fasste zusammen: „Und jetzt noch mal für die Blitzmerker unter uns zusammengefasst. Fireball hat sich eine Frau angelacht und so wie ich den Kurzen einschätze auch erfolgreich bezirzt. Und April kann sie nicht leiden.“ Der Säbelschwinger verdrehte die Augen. Genau dasselbe hatte er doch schon im ersten Satz gesagt, wieso hatte er trotzdem so weit ausholen müssen? Mit Colt war das manchmal schon richtig harte Arbeit, ruhig und besonnen zu bleiben. Da war es mit Alex schon einfacher. Saber warf einen Blick auf den Italiener, der bisher ziemlich schweigsam reagiert hatte. Für den musste dieses Schauspiel doch grad wieder nur die Bestätigung dafür sein, dass sie alle einen an der Waffel hatten. Ob sich Alex das ein oder andere Mal vielleicht auch zu seiner alten Einheit zurück wünschte, so wie Fireball? Saber wusste es zwar nicht, hoffte aber, dass dem nicht so war. Er hatte den Italiener lieb gewonnen und sah einen Freund in ihm. Nun saß er also hier. Schweigend. Seit gefühlten zwanzig Minuten. Skeptisch sah er sich um, das Glas in der Hand haltend. Eines fiel ihm dabei schnell auf. Überall standen Kisten, teilweise sogar noch verschlossen. Alles in allem wirkte die Wohnung nicht zuletzt wegen der Umzugskartons kalt und lieblos. Es fanden sich keine persönlichen Gegenstände, keine Dekoration. An der Steckdose in der Küche hing das Ladekabel für das Telefon, die aufgeschlagene Tageszeitung noch auf dem Frühstückstisch, zusammen mit einer Kaffeetasse. Wohlfüllen sah Martins Erachten anders aus. Fireball war pünktlich zu Feierabend vor ihm gestanden, hatte sein Wort also gehalten. Zuvor waren sie sich aus dem Weg gegangen. Martin hatte keine Lust auf eine weitere schräge Begegnung mit seinem Captain gehabt und Fireball war wieder einmal jedem aus dem Weg gegangen. An diesem Tag war es auch den anderen Piloten seltsam vorgekommen. Endlich brach Martin das Schweigen, sein Captain hatte neuerdings ein Schweigegelübde abgelegt. Der Wuschelkopf hantierte in der Küche am Essen herum und biss sich immer wieder auf die Lippen. Noch nicht einmal in seinen eigenen vier Wänden konnte er den Mund aufmachen. „Bist du auf der Flucht?“, Martins Stimme klang wie schon am Morgen gereizt und unbarmherzig. Der Brasilianer hatte sich dazu herbei gelassen und dem Wuschelkopf noch eine Chance gegeben. Aber der schien sie nicht zu nützen. Fragend sah sich Fireball nach Martin um. Seit er Martin abgeholt hatte, suchte er nach den richtigen Worten, doch fand er sie nicht. Er war schrecklich angespannt, schon den ganzen Tag. Fireball wusste nicht, ob Martin jemandem etwas erzählt hatte, ob er bei Commander Eagle gewesen war. Vor allem aber wusste er nicht, ob April und er überhaupt noch etwas hatten, wofür sie bestraft werden konnten. Nach ihrem Streit am Morgen hatte er auch um Ramrod einen großen Bogen gemacht. Am Nachmittag, als er sich endlich soweit gehabt hätte, mit April noch einmal in Ruhe zu sprechen, hatte Ramrod bereits wieder den Befehl zum Abflug erhalten. Fireball hatte zwar geahnt, dass er nicht viel Zeit hatte, um sich mit der Blondine auszusprechen, aber er hätte auch nicht in dem aufgebrachten Zustand mit ihr reden können. „Die Kisten. Hast du schon wieder angefangen zu packen?“, nun stand Martin auf und begann in der Wohnung herum zu gehen. Der Brasilianer drang absichtlich in sensible Bereiche ein, er hoffte, Fireball damit aus der Reserve zu locken. Martin verschwand mit dem Glas in der Hand aus der Küche. Er sah kurz ins Wohnzimmer, ins Badezimmer, aber im Schlafzimmer hielt er sich am längsten auf. Martin machte zwar nur einen Schritt in das Zimmer, aber trotzdem war er in den sensibelsten Bereich einer Wohnung eingedrungen. Er fühlte sich seltsam dabei. Martin konnte sich kaum vorstellen, dass hier in den letzten Monaten Vertrautheit und Zärtlichkeiten ausgetauscht worden waren. Aber es hatte den gewünschten Effekt. Gleich darauf erschien auch Fireball in der Tür zum Schlafzimmer: „Okay, du bist immer noch sauer“, räumte er ein. Der Rennfahrer konnte die Spannung fühlen. Ein falsches Wort und Martin würde ihm den Hals umdrehen. Als er Martin in seinem Schlafzimmer sah, fühlte er sich, als hätte Martin ihn überführt. Aber das Gefühl war überflüssig. Martin wusste doch schon längst Bescheid. Nur in diesem Augenblick meinte er, es wäre noch viel schlimmer. Beinahe so, als hätte Martin April eben noch aus dem Schlafzimmer huschen gesehen und sie quasi erwischt. Fireball bemerkte, dass ihm eine Gänsehaut über den Rücken lief und er stellte fest, dass ihm auch an den Armen die Haare zu Berge standen. Schnell verschränkte er deswegen die Arme hinter dem Rücken und versuchte, Martin irgendwie aus dem Schlafzimmer zu kriegen: „Ich hatte noch keine Zeit die Kisten auszupacken. Alles, was ich brauche, steht schon irgendwo.“ Martin verdrehte die Augen und schüttelte missbilligend den Kopf. Wenn Fireball so weitermachte, würde er gleich wieder aus der Tür raus stürmen. Wollte er ihn für blöd verkaufen? Der Brasilianer deutete auf das Zimmer: „Hast du noch eine andere Wohnung und benützt diese hier nur, wenn April da ist?! Hier kann man doch nicht von Leben sprechen. Ehrlich man, hier würd ich vielleicht mal eine Nacht meinen Rausch ausschlafen, aber auf Dauer würd ich es in diesen vier Wänden nicht aushalten. Wenn man sich das hier so ansieht, dann drängt sich mir nur ein Verdacht auf. Du weißt, dass du nicht lange der Captain der Air Strike Base bleibst. Weil du es gar nicht willst!“ Dabei war Martin immer lauter geworden. Er war maßlos enttäuscht, denn tatsächlich kam es dem Brasilianer so vor, dass Fireball nie auf Dauer in der Base bleiben wollte. Es machte ihn wütend. Der kleine Furz hatte von Anfang an damit gerechnet, das Oberkommando sehr bald wieder zu verlassen. Er hatte keinerlei Anstrengungen unternommen um Fuß zu fassen und Wurzeln zu schlagen. „Alles ist grad im Umbruch“, Fireball war immer noch in der Verteidigungshaltung, das allerdings äußerst schwach. Sein Blick war auf den Boden gerichtet, denn er wusste nicht, wie er Martin besänftigen konnte. Es würde nur mit der Wahrheit gehen, aber wie sollte er das machen? Fireball wusste nicht, in welche Worte er die Tatsachen verpacken sollte. Bei manchen Angelegenheiten verlor der Hitzkopf mächtig an Fahrt. Ging es um April, würde er am liebsten den Rückwärtsgang einlegen und die Flucht ergreifen. So, wie Martin es letztendlich bemerkt hatte. Nun lehnte sich Fireball mit der Schulter gegen den Türrahmen und sah zu Martin auf: „Ich wurde rein gezwängt. In die Wohnung und… in ein Erbe, das freiwillig keiner antreten würde. Es macht keinen Spaß. Auf Ramrod hab ich mich wohlgefühlt. Ich war bei Freunden und“ Sofort fiel ihm Martin wieder ins Wort. Da konnte er einfach nicht ruhig bleiben, verdammt, er war Brasilianer und gerade eben der noch schlimmere Hitzkopf als Fireball. Mit ziemlich viel Schwung stellte er sein Glas auf der Kommode ab und fuhr den Japaner an: „Würdest du etwas dafür tun, hättest du in der Base auch Freunde. Die kommen nämlich nicht von nichts! Und verdammt, du bist alt genug um dich mit aufgezwungenen Situationen abzufinden. Andere würden sich alle zehn Finger ablecken, wenn sie den Posten bekommen würden, den du nicht haben willst. Ich versteh dich nicht, absolut nicht! Du bist einerseits für dein Alter so derart überreif und andererseits ein so kleines unbeholfenes Kind.“ Das war eine klare Ansage. Und verdienter Anschiss, den Fireball kassiert hatte. Diese herbe Kritik musste er erst mal einstecken. Aber dem jungen Hitzkopf war klar, dass Martin zu Recht sauer war. Und nun musste Fireball zusehen, wie er damit klar kam und wie er Martin wieder besänftigen konnte. Er war voll und ganz in der Bringschuld. Eines war ihm klar, er wollte nicht hier im Schlafzimmer weiterreden. Nicht mehr mit Martin in dem einzigen Zimmer stehen, in dem April und er ihre eigene kleine heile Welt gehabt hatten. Demonstrativ drehte er sich um und ging ins Wohnzimmer: „Wenn du dich mit deinem Bier ins Wohnzimmer setzt, bringe ich das Essen und dann bekommst du Antworten“, er sah Martin fest in die Augen: „Alle.“ „Ich will keine Ausflüchte mehr hören! Die hab ich die letzten Monate oft genug gehört“, Martin nahm das Glas wieder in die Hand und folgte dem Japaner. Das tat er allerdings nicht, ohne dem Schlafzimmer noch einen prüfenden Blick zu widmen. Wenn diese vier Wände sprechen könnten, was würden sie dem Brasilianer wohl erzählen? Würden sie ihm beschreiben, wie groß die Sehnsucht nach dem anderen war oder dass nur das körperliche Verlangen im Vordergrund stand? Martin schüttelte den Kopf. Das sollte ihn nichts angehen. Wichtiger war, dem Schwerenöter mit den kindlichen Allüren so auf den Zahn zu fühlen, dass er ihn endlich verstand. Fireball brachte das Essen an den Tisch. Bevor er sich setzte, musterte er Martin noch eingehend. War hier der Sohn auch wie der Vater? Der Sohn von Emilio Rubario hatte augenscheinlich viel von seinem Vater, Fireball konnte sich noch allzu lebhaft an den Brasilianer vor zwanzig Jahren erinnern. Zum Teil, weil er ihn selbst kennen gelernt hatte, zum anderen aber auch, weil die Erinnerungen von seinem eigenen Vater öfter hochkamen, als ihm lieb war. Den Hitzkopf teilten sich Vater und Sohn auch bei den Rubarios, allerdings auf eine andere Art und Weise. Vielleicht war das der Grund, weshalb Fireball sich gut mit Martin vertrug. Bis zu einem gewissen Grad zumindest. „Um eines klar zu stellen, Martin“, begann der Wuschelkopf schließlich, nachdem er sich gesetzt hatte: „Du bist ein Freund für mich. Und ich bin dir mehr als dankbar, dass du mir in der Base zur Seite stehst.“ Er machte eine Pause, um Martins Reaktion darauf zu sehen. Aber mehr als ein verärgertes Kopfnicken erhielt der Rennfahrer nicht. Offenbar war Martin nicht sonderlich begeistert von solchen Einstiegen. Oder hatte er etwa das Gefühl, Fireball würde ihn trotzdem nicht als Freund ansehen? Um dem Brasilianer einen Beweis zu liefern, war es Zeit, die Katze aus dem Sack zu lassen. Er hätte es längst machen sollen, aber wie in manchen anderen Bereichen auch, hatte Fireball mit seiner neu entdeckten Vernunft lieber kein Sterbenswörtchen darüber verloren. Wäre er gleich offen gewesen, hätte es Martin gereicht, wenn er ihm gestanden hätte, dass er sich in April verliebt hatte. Der Brasilianer hätte es verstanden. So allerdings musste er ausholen, weiter in der Geschichte zurück gehen als ihm lieb war und auch die letzten Monate in der Base Revue passieren lassen und verständlich machen. Bei dem Gedanken verging ihm schlagartig der Appetit. Lustlos, vor allem aber zerknirscht, schob er den Teller von sich: „Das ganze Theater hat mit der letzten Mission auf Ramrod angefangen.“ „Ahja, diese Mission, von der angeblich nicht mal Eagle weiß, was genau passiert ist. Man munkelt, ihr hättet einfach mal fünf Monate Urlaub gemacht“, Martin nahm dieses Gerücht in keiner Weise ernst, aber tatsächlich wusste niemand genau, was geschehen war. Die wildesten Geschichten kursierten diesbezüglich, aber letztendlich waren alle froh, dass Ramrod wieder aufgetaucht war. Fireball nickte: „Urlaub wäre schön gewesen. Aber um diese Mission geht’s gerade nicht. Zumindest nicht vordergründig. Ich will damit nur sagen, dass uns diese Odyssee noch fester zusammen geschweißt hat. Und April und ich…“, der junge Captain wurde leiser: „wir haben entdeckt, dass wir mehr füreinander empfinden als Freundschaft. Es ist nicht so, dass wir nicht wüssten, dass es verboten ist. Ich steck da in einem echten Dilemma. Seit ich versetzt worden bin, rede ich mir ein, dass wir weiterhin nur Freunde sind. Aber jedes Mal, wenn wir uns wieder gesehen haben… Und mittlerweile… Naja…“ Sein Redefluss erstarb in einem betrübten Seufzer. Es gab nichts mehr, nicht einmal mehr eine Freundschaft. Deswegen wechselte er das Thema und sprach über das andere Übel, das ihm nachts den Schlaf raubte: „Die Zeiten hier in der Base sind auch kein Zuckerschlecken. Nicht, weil meine Mannschaft am Anfang gedacht hat, ich hätte nur meinen Dad beerbt. Das glauben auch gefühlte 95 Prozent aller anderen.“ Auch für Martin wurde das Abendessen immer mehr zur Nebensache, immer wieder sah er zu Fireball auf, musterte ihn und versuchte zumindest ansatzweise zu verstehen, was der junge Spund von sich gab. Aber bei seinem letzten Satz war er endgültig ausgestiegen. Und er war nach wie vor sauer auf Fireball. So miese Arbeitstage hatte er selten gehabt und sie wurden leider auch nach Feierabend nicht besser. Kein Wunder, bei so einem Captain. Er ließ die Gabel auf den Teller sinken und versuchte, Licht in sein Dunkel zu bringen: „Warum wohl? Du hast ihn beerbt. Für alle wirkt es, als würdest du nichts, aber auch gar nichts, für den Job hier tun.“ „Du müsstest es besser wissen“, brachte Fireball hervor. Das war der nächste Tiefschlag für den Captain. Sogar seine einzige Stütze in der Base dachte, er würde nichts machen. Das war der mit Abstand schlimmste Tag seit langem. Gut, er kam nicht an den Tag ran, an dem sein Vater gestorben war und er gleich mit, aber der war ganz nahe dran. Fireball lehnte sich in die Kissen zurück, streckte die Beine aus und hielt sich die Hände vors Gesicht. Das war nur noch grausam. Wieder stieß er die Luft heftig aus und sank noch tiefer in die Couch. Unter seinen Händen murmelte er: „Der Name ist verflucht. Und dabei weiß ich noch nicht mal, was ich in meinem letzten Leben so fürchterliches getan habe. Man könnte meinen, ich hab den Krieg zwischen Menschen und Outridern angezettelt.“ Martin schüttelte den Kopf. Wenn er so weiter machte, würde er gleich jemanden in eine tiefe Depression stürzen. Dennoch war der Brasilianer nicht gewillt, dem kleinen Hikari aufmunternde Worte zu schenken. Martin nahm einen Schluck von seinem Getränk und warf einen weiteren prüfenden Blick auf seinen Captain. Er hatte alle Zeit der Welt, denn seiner Alessa hatte er schon zu Mittag gesagt, dass es spät werden konnte. Und so wie es schien, würde er die Zeit auch brauchen. Martin merkte mit einem Mal, dass hier wesentlich mehr schwelte, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Stan dürfte mit seinem dämlichen Test etwas an die Oberfläche gebracht haben, was der junge Captain nie wirklich verdaut hatte. Das waren einige Baustellen, die vermutlich auch gereicht hätten, wenn eine nach der anderen zum Problem wurde. Endlich lenkte Martin mit dieser Erkenntnis ein. Allerdings auf seine Weise: „Eins nach dem anderen, du Könner. Du sagst doch selbst, dass dein Vater dich nicht berührt, weil du ihn nicht kennst. Weshalb jetzt also doch?“ Fireball spreizte die Finger und lugte dazwischen zu Martin hinüber. Dank der Hände, die immer noch vor seinem Gesicht verweilten, konnte der Brasilianer den Gesichtsausdruck nicht sehen. Ihm saß ein dicker Kloß im Hals, weil genau das das Thema war, worüber er noch weniger sprechen wollte, als über April. Er konnte noch nicht einmal mit April über das Erlebte sprechen, wie sollte er es dann Martin erzählen? Der würde ihn in die Klapse einweisen lassen. Fireball setzte sich wieder aufrecht hin, sah Martin dabei geradewegs in die Augen und versuchte, glaubhaft zu sein: „Ist schwer, mit einer Mutter aufzuwachsen, die die Wiedergeburt ihres Mannes in einem sieht. Aber Martin, noch schwerer ist es, ein Mädchen zu mögen, mit dem man nicht zusammen sein darf. Es ist nicht nur das Verbotene. Viel schlimmer ist es für mich, wochenlang nichts von ihr zu hören. Die Arbeit auf Ramrod ist gefährlich.“ Nun nickte Martin. Das verstand er schon eher als diese kryptischen Floskeln. Die Geschichte mit der Wiedergeburt wollte ihm zwar nicht so recht in den Kopf, aber er ließ jedem seinen Glauben. Damit würde er sich irgendwann mal befassen, viel wichtiger war jetzt das andere Desaster in Form einer umwerfenden Blondine. Martin konnte nicht verleugnen, dass die Tochter von Commander Eagle Charme besaß. Sie war sehr reizvoll, nicht nur weil sie klug war. Kein Püppchen, wie sie Stan haufenweise anschleppte. Seine Alessa war auch ein solches Exemplar. Nur mit dem winzigen Unterschied, dass sie nicht im Oberkommando arbeitete. Martin musterte Fireball wieder. Ein Teenager saß neben ihm. Ein Teenager, der krampfhaft vernünftig und erwachsen sein wollte. „Das nennt sich Fernbeziehung, Babyboy“, das war für Martin eine Selbstverständlichkeit. Er hatte sehr aufmerksam zugehört, zwischen den Zeilen gelesen, wie es ihm Alessa seit seinem ersten Aufeinandertreffen mit Fireball immer wieder geraten hatte. Martin war darin zwar nicht im Entferntesten so geübt wie seine Freundin, aber das ein oder andere hatte er doch heraushören können. Mit fester Stimme erklärte Martin seinen Standpunkt diesbezüglich: „Wenn es denn eine Beziehung wäre. Gefühlte tausend Mal hab ich dir seit deinem Dienstantritt hier gepredigt, welche Konsequenzen auf die Tat stehen, aber gehört hast du mich kein einziges Mal, wie’s scheint. Scheiße man“, begann er sich abermals aufzuregen: „du hast mich die verdammten Regeln immer und immer wieder zitieren lassen, in dem Wissen, dass du sie jedes Mal wieder brechen wirst, wenn sie dir über den Weg läuft. Es wird ja kaum der Reiz des Verbotenen sein, denn dann hätten’s Cheryl oder Mandy auch leicht getan.“ Fireball war während Martins Standpauke aufgestanden, er befand sich dann doch lieber außer Reichweite des Brasilianers, wenn er sich zu sehr aufregte. Und dass sich Martin bei einem Wutausbruch ebenso schlecht beherrschen konnte, wie er selbst, wusste Fireball spätestens seit diesem Morgen. Er stand im Türrahmen und ließ die Schultern hängen. Der Captain war nicht stolz darauf, wie es der Brasilianer letztlich erfahren hatte. Ach was! Er war nicht stolz darauf, wie das alles überhaupt lief! Mit Müh und Not hatte er die Air Strike Base so halbwegs unter Kontrolle gebracht, hatte sich dank einer Gnadenfrist gerade noch so seinen Job sichern können und verbrachte seit Monaten viel zu viel Zeit im Büro. Selten kam er vor Sonnenuntergang raus. Wenn April in Yuma war, nahm er sich die Arbeit mit nachhause, nur um Zeit in ihrer Nähe verbringen zu können. Genau das allerdings hatte Ärger zwischen ihnen herauf beschworen. Seine Politik, einfach nur Freunde zu bleiben, hatte dafür einen guten Nährboden geliefert, seine Unfähigkeit, nach ihrem Liebesspiel April an sich heran lassen zu können, war ein perfekter Dünger gewesen. Fireball hatte April niemals mit seiner Arbeit und erst recht nicht mit seinen schlechten Träumen und Gefühlen belasten wollen. Stundenlange Gespräche mit Alessandro dürften bei April schließlich zu der Erkenntnis geführt haben, dass sie lediglich ein Zeitvertreib oder ein Ventil für den Druckabbau war. Genau dagegen konnte Fireball aber nicht mehr argumentieren, April würde ihm keinen Glauben mehr schenken. Entmutigt klopfte er mit den Knöcheln gegen den Türrahmen. Die Verteidigung bestand im Augenblick lediglich aus zugeben und erklären. Deswegen gab er wieder Auskunft: „Wenn es dich beruhigt, bei jeder deiner Ausführungen über Regeln wäre ich am liebsten in einem Erdloch verschwunden. Wie nahe du jedes Mal bei der Realität warst, ich hätte darauf gewettet, dass du es bereits wusstest. Aber jetzt weißt du es. Und ich stehe immer noch vor dem selben Dilemma, vor dem ich seit der ersten Nacht stehe. Es lassen und unglücklich werden, kündigen und das Gefühl haben, mein Schicksal nicht erfüllt zu haben oder es so lassen, wie es ist und wissen, dass ich April jedes Mal das Herz breche und alle meine Freunde hintergehe. Ich finde keine dieser Optionen wirklich prickelnd.“ „Ahja, du brichst ihr also lieber das Herz und verrätst deine Freunde. Das darf ja wohl einfach nicht wahr sein! Kannst du nachts überhaupt noch ruhig schlafen?!“, Martin fuhr in die Höhe. Es war durchaus logisch, was sein Captain ihm da versuchte zu erklären. Aber es entbehrte sich ihm jeder Logik. Der Brasilianer war nie vor einem solchen Problem gestanden, hatte sich nie für eine Option entscheiden müssen. Wieder lauter, weil ihn das Ausmaß des Desasters aufregte und weil er langsam zu verstehen begann, was in weiterer Folge auch auf die Air Strike Base zukommen würde, fuhr er den Japaner wieder an: „Du bist noch nicht mal so viel, dass du mit deinen besten Freunden darüber sprichst. Was willst du Colt oder Saber sagen, wenn sie dich danach fragen? …Ach nein, warte! Ich weiß es. Du sagst ihnen das, was du mir gesagt hast! Ich bin ja auch einer ‚deiner Freunde‘!“ Martins letzte Worte wurden abschätzig. Verletzter Stolz und enttäuschtes Vertrauen hatten wieder Überhand gewonnen. Beinahe hätte er sogar die Faust auf den Tisch geschlagen, aber davon konnte er sich gerade noch abhalten. Es hatte nicht viel Sinn, seine Enttäuschung noch mit schepperndem Geschirr zu untermalen. Fireball streckte die Hände aus und zeigte auf Martin: „Hör zu, ich hab mich nicht getraut. Du hast es immer auf das Schärfste verurteilt. Und jetzt tust du es auch. Wie hätte ich dir nach einer Gardinenpredigt sagen sollen, dass ich mit April schlafe, wenn ich sofort damit hätte rechnen müssen, dass du es meldest?“ „Wie kommst du darauf?!“, völlig entsetzt hielt Martin inne. Er hätte doch nie ein Sterbenswörtchen zu Commander Eagle oder sonst jemandem gesagt. Weshalb also dachte Fireball so etwas? Nun zog Fireball eine Augenbraue nach oben, während er die Arme vor der Brust verschränkte. Wenn die Situation nicht so bitter gewesen wäre, hätte sich ein Schmunzeln auf Fireballs Lippen gebildet. Er erklärte dem Brasilianer: „Du hast mir nur ungefähr fünfzig Mal gesagt, dass kein Regelverstoß toleriert wird. Schon gar nicht von dir“, er machte eine Pause, holte tief Luft und fasste zusammen: „Fakt ist, ich hab’s vergeigt. In jeder erdenklichen Hinsicht.“ Martin riss entsetzt die Augen auf. Hatte er das wirklich jemals gesagt? Nie im Leben! Er kam auf den Japaner zu, das wollte er sofort klargestellt wissen: „So hab ich das niemals gesagt! Es darf einfach nur nicht sein. Babyboy, es hat einen verdammt guten Grund, wieso das KOK das nicht will. Schau dir dein Desaster doch mal an. Wie willst du denn im Kampf das Beste für alle Beteiligten rausholen, wenn deine Freundin mit Ramrod im Getümmel mitmischt?“, dem Brasilianer fielen noch tausende andere Gründe ein, weshalb es richtig war, Beziehungen unter Kollegen nicht zu tolerieren. Als er Fireballs offene Haltung bemerkte, die ihm eindeutig verriet, dass der Hitzkopf zu Widerworten ansetzen wollte, fiel er ihm ins Wort: „Du kannst dir dein Aber sparen. Jeder weiß, dass du eher sie als fünf deiner Angestellten retten würdest, wenn es hart auf hart kommt.“ „Wenn es hart auf hart kommt“, wiederholte Fireball Martins Worte wohlwissentlich: „dann ist Saber für April verantwortlich und ich für mein Selbstmordkommando.“ In diesem Moment war es für den Rennfahrer sonnenklar, doch er selbst wusste, dass einem das Herz gerade in schwierigen Situationen oftmals im Weg stand. Er könnte es Martin nicht schwören, dass er sich in einem Kampf um Leben und Tod eher für seine Crew entscheiden würde. Deswegen senkte der Japaner kurz den Blick. Martins Schimpftriaden musste er über sich ergehen lassen, er hatte es nicht anders nach den letzten Monaten verdient. Aber zumindest das Thema sollte er doch wechseln dürfen: „Okay, mein persönliches Dilemma weitet sich gerade aus. Marty, je mehr du auf diesen scheiß Regeln rumreitest, die ich selbst in den letzten Monaten bis zur Vergasung gelesen hab, desto sicherer bin ich mir, dass ich meinen Job verliere. Mein engster Vertrauter liest mir ohne es zu wissen jedes Mal die Leviten und zählt mir die schlimmsten Konsequenzen auf. Ja klar hab ich da Schiss, Mann!“ „Ist schon scheiße, wenn man zu seinen Gefühlen nicht stehen kann, was?“, patzig reagierte Marty auf Fireballs versteckte Entschuldigung und Bitte. Klar doch, er war Fireballs engster Vertrauter! Sonst noch Probleme?! Martin wollte nicht wissen, wie wenig ein Bekannter erst wusste, wenn Fireball ihm schon kaum was erzählte und ihn als engsten Vertrauten bezeichnete. Prompt rieb er das dem jungen Spund auch unter die Nase: „Du gehörst doch in ein buddhistisches Schweigekloster eingewiesen. Du sagst, ich wär dein Vertrauter, tatsächlich erzählst du mir aber nichts von Bedeutung. Mann“, Martin schnaubte und drängte sich an dem Japaner vorbei ins Vorhaus. Er hatte genug von dem Theater. „Da möchte ich gar nicht wissen, was du alles Weltbewegendes deinen Freunden Colt und Saber erzählst, oder gar deiner Freundin. April. Weiß die überhaupt etwas von dir?!“ Noch ein Tiefschlag. Martin war verdammt gut im Austeilen. Der Brasilianer kannte jede seiner Schwachstellen und die schlachtete er gerade nur allzu genüsslich aus. Fireball kam es vor, als würde Martin ihn bei lebendigem Leibe häuten. Immerhin wusste er, wie es sich anfühlte, bei lebendigem Leib zu verbrennen. Das hier war für den Japaner vergleichbar. Wenn auch in einem grausamen Ausmaß unerträglicher. Bei dem Kamikazemanöver hatte er wenigstens gewusst, dass es bald vorbei war. Wie lange Martin ihn noch quälen würde, war fraglich. Fireball schlug die Augen nieder und versuchte wieder sachlich zu sein: „Wir drehen uns im Kreis. Ja, ich bin ein mieser Freund und Kumpel. Ich bin auch kein herausragender Captain. Beim Konfliktmanagement in der Schule hab ich gefehlt und das Rückgrat sucht man bei mir vergeblich“, zählte Fireball doch mehr sarkastisch auf. So kamen sie nicht weiter. Mit hochgezogenen Augenbrauen und einem fragenden Gesichtsausdruck sah Martin daraufhin zu ihm hinüber. Konnte ihn das heute noch umstimmen? Der Brasilianer schüttelte energisch seinen Kopf. Ne, er hatte die Schnauze gestrichen voll, noch ein Wort von dem Stöpsel da drüben und Alessa durfte ihn demnächst im Knast besuchen gehen. Martin beugte sich zu seinen Schuhen hinab. Während er hinein schlüpfte, ließ er Fireball wissen: „Ich sag dir eins, kurzer Stoppel. Tu was. Verändere deine Situation, vor allem aber verändere deine Einstellung. So kann’s nicht bleiben. Wenn du endlich weißt, was du willst, kannst du es mir gerne sagen. Dann finden wir auch einen Weg. Nur so, wie es jetzt ist, kannst du auf mich nicht mehr zählen“, Martin richtete sich auf und sah Fireball bedrohlich an: „Ich arbeite mit niemandem zusammen, der mir wichtige Informationen vorenthält und ich bin niemandes Freund, der mir nichts anvertraut.“ Ohne sich zu verabschieden verschwand Martin und zog die Tür hinter sich fest ins Schloss. Fireball stand wie angewurzelt da. Martins Ansage war klar und deutlich gewesen, seine Worte nur allzu deutlich. Blieb alles beim Alten, würde er in Zukunft nicht mehr auf den loyalen Brasilianer zählen können. Doch das einzige, was Fireball noch mehr erschrocken hatte, war die Bezeichnung gewesen. An Tagen wie diesem fraß das ‚Kurzer‘ ein Loch in sein Herz. Erst am späten Abend hatte sich Fireball soweit gehabt, aus seiner Starre auszubrechen. Zuerst hatte er zu seinem Telefon gegriffen, hatte Aprils Nummer gewählt. Doch sein Anruf war unbeantwortet geblieben. Verständlich nach dem letzten Treffen. Fireball warf das Telefon auf die Couch hinüber und seufzte. Sie war noch nicht mal richtig weg, da vermisste er sie schon wieder unendlich. Der Pilot holte sich eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich neben einen der Umzugskartons. Er nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche und riss den noch verschlossenen Karton auf. Fest entschlossen, etwas zu ändern, begann er kurz nach Mitternacht mit dem einzigen, das er sofort ändern konnte. Er griff nach dem ersten Gegenstand in der Kiste und holte ihn heraus. Es war der erste Schritt, aus dieser Wohnung ein Zuhause zu machen. Fireball holte mit den Gegenständen lieb gewordene Erinnerungen in seine Wohnung, die ihm das Gefühl einer vertrauten Umgebung gaben. Als er ein Familienfoto ins Wohnzimmer stellte, murmelte er: „Willkommen zuhause, Captain Hikari.“ Als ihr Telefon klingelte, sah April nur kurz auf das Display, dann drückte sie das Telefonat weg und ließ es in ihrer Tasche verschwinden. Nein, sie hatte keine Lust, mit ihm zu reden. Es führte ohnehin zu nichts. Lediglich zu Kummer. Und April bezweifelte, dass ihr Kummer noch größer werden konnte. Sie lächelte in die Runde und erklärte: „Werbeanruf.“ „Wohl eher ein Werbeanruf für gutes Putzmittel, das schonend zum Lack ist“, schmunzelte Colt. Er hatte einen Blick auf das Display erhaschen können, außerdem kannte er die Melodie von Aprils Telefon, wenn ein gewisser Rennfahrer sich bei ihr meldete. Sie war offensichtlich immer noch sauer auf ihn. Bis zu ihrem Aufbruch an diesem Tag hatte April sich nicht mehr herbeigelassen, mit Fireball noch einmal zu sprechen und Gott wusste, Colt hatte wirklich versucht, sie dazu zu bewegen. Sabers Ausführungen vom Vormittag hingen dem Cowboy noch sehr präsent im Oberstübchen. Er glaubte endlich, sich einen Reim auf Aprils Verhalten machen zu können. Allerdings fand er es überzogen. Irgendwann mal, soviel stand fest, würde er April in einer stillen Minute zur Seite nehmen und mit ihr darüber sprechen. Nur eben nicht jetzt. Nicht neben Saber und Alex. Da versuchte er es lieber noch einmal mit ein wenig Humor: „Nun lass ihn doch nicht so schmoren, April. Nur wegen dem blöden Auto. Ehrlich, man könnte meinen, er hat deinen Wagen zu Schrott gefahren.“ April verzog das Gesicht und konterte: „Meinen Wagen würde ich dem Getriebeschänder niemals leihen. Du siehst doch, wie er seine eigenen Sachen behandelt.“ Damit wollte April schon wieder nichts mehr davon hören. Ihre Augen schimmerten traurig. Wie er seine Sachen behandelte, wusste April nur zu gut. Er behandelte die Blondine auch nicht gut. Er nutzte sie aus, brauchte sie nur, um mal einen Tapetenwechsel zu haben. Aber das wollte sie die anderen nicht sehen lassen. Sie hatte niemandem von ihrer Beziehung zu Fireball erzählt, Alex hatte es nur durch Zufall herausgefunden, also konnte sie nun auch schlecht jemandem hier erzählen, weshalb sie ihn nicht sprechen wollte. Auch Saber mischte sich in die aufkeimende Diskussion ein. Allerdings wie immer vermittelnd. Er schenkte Colt einen tadelnden Blick und versicherte April in einem ruhigen Tonfall: „Fireball hätte den Red Fury waschen sollen, bevor er ihn zurück gebracht hat, da stimme ich dir zu. Beim nächsten Mal weiß er es sicher besser, wenn du es ihm sagst.“ „Aber nicht mehr heute“, wiederholte April noch einmal ruhig. Oh man, ihre Jungs mal wieder. So gut sie es meinten, so daneben konnte es manchmal auch gehen. Aber da war sie vielleicht auch wieder selbst schuld, immerhin hatte sie den dreien an diesem Vormittag vorgegaukelt, dass sie wegen seines Wagens sauer war. Das hatte sie nun wieder davon. Zumindest aber war es wesentlich besser, deswegen kluge Ratschläge von ihren Jungs zu hören, als wegen der anderen Sache. Stan traute sich kaum, ins Büro zu gehen und zu fragen, aber dieses Mal war die undankbare Aufgabe an ihm hängen geblieben. Sonst war es ihm ziemlich egal, zum Captain ins Büro zu marschieren und Meldung zu machen, nur heute wollte er es nicht. Wer wusste, was mit ihm passierte, wenn er nur „Guten Morgen“ sagte? Stanley hatte zwar nichts von dem Streit gestern gehört, aber gespürt hatte er dafür umso mehr. Martin war den gesamten Tag unausstehlich gewesen und hatte alles und jeden angeschnauzt. Da hätte man schon meinen können, er hätte sich mit Alessa gezofft, wenn man es nicht besser gewusst hätte. Und vom Captain war kein Pieps mehr gekommen. Stan stand im Türrahmen und schluckte. Wieso hatte er nicht Oliver hoch geschickt? Ach ja, da war was. Er hatte beim Knobeln verloren, deswegen stand er anstelle des Kroaten nun hier. Stan strich sich die blonde Mähne aus der Stirn. Ach, was konnte der kleine Captain schon machen? Schreien hatten sie ihm immerhin schon abgewöhnt und Flüche kannte der Kleine bestimmt nicht solche, die Stan kannte. Entgegenfliegen würde ihm schon auch nichts, da vertraute der Schwede auf die stabile Bauweise des Oberkommandos. Also, dann mal auf in die Schlacht. Stan klopfte, stieß gleich darauf die Tür auf und räusperte sich: „Ähm… Captain?“ Fireball nickte Stan zu, dabei legte er den Hörer wieder auf das Telefon. Sie würde auch mit der Büronummer nicht abheben und mit ihm reden. Er murrte: „Was ist?“ Oh Mist, wieso hatte er nicht gehört, dass Fireball telefonierte? Stan wollte schon fast wieder hinaus stolpern. Allerdings war es dafür schon längst zu spät. Der Captain hatte ihn schon gesehen, und zu allem Überfluss auch schon angesprochen. Also noch mal schnell einen Kaugummi in den Mund gestopft und erklärt: „Entschuldige, dass ich störe, Babyboy. Es geht um Martin.“ Nun horchte Fireball auf. Er setzte sich aufrecht hin und sah Stan fragend an: „Was ist mit ihm?“ Ja, eine gewisse Ungeduld war seinen Worten eigen gewesen. Aber er hatte momentan keine Lust und vor allem nicht die Nerven, jedem alles aus der Nase ziehen zu müssen. Deswegen hatte er sich auch kurz gehalten und wartete nun auf eine schnelle Antwort. Stanley stand inzwischen vor seinem Captain. Da war doch etwas durcheinander gekommen. Es schmeckte Stan nicht wirklich, denn er wusste nicht, was da durcheinander gewirbelt worden war. Er hatte sich doch gerade erst an den Krawallstöpsel hier gewöhnt! Die letzten beiden Tage dürfte mächtig was schief gegangen sein, weshalb sonst müsste er nun hier stehen und erklären: „Ich weiß nicht. Er ist noch nicht da. Ich dachte, du…“ Mehr brachte Stan nicht hervor. Er wusste schließlich nicht, was wirklich passiert war. Von einem freien Tag bis hin zum Rauswurf konnte da alles für Martin drin gewesen sein. Also stand der blonde Schwede vor dem Schreibtisch und blickte gespannt auf den Captain hinab. Hoffentlich blühte ihm nicht das selbe Schicksal. „Hat er sich nicht gemeldet?“, fragte Fireball weiter. Seine Verwunderung, aber auch seine Sorge wurden indes immer größer. Martin war ein guter Freund. Und er war ein pünktlicher wie korrekter Kollege. Dass er ohne Mitteilung fehlte, sah ihm nicht ähnlich. Stan schüttelte den Kopf: „Nö, hat er nicht. Deswegen dachte ich, du weißt vielleicht, was mit ihm ist.“ Ehrlich war nicht immer gut, diese Erfahrung hatte Stan bereits mehrmals gemacht. Trotzdem hielt es ihn nicht davon ab, es immer noch zu sein. Er war schließlich auch hier um zu erfahren, wo Martin steckte, was hätte er also davon gehabt, Fireball anzulügen? Jetzt allerdings fieberte er der Antwort entgegen. Da war der Rennfahrer auch schon beinahe bei der Tür draußen. Als er von Stan keine wirklich gute Auskunft bekam, nahmen die Sorgen überhand. Bevor er weg war, wandte er sich zu Stanley um und gab den eindeutigen Befehl: „Ich geh Martin suchen. Ihr macht solange euren Bürokram und verhaltet euch ruhig. Hast du mich verstanden?“, eigentlich war es Fireball völlig egal, ob Stan ihn verstanden hatte. Schnellen Schrittes eilte der Japaner davon und ließ seinen Angestellten alleine im Büro zurück. Kopfschüttelnd sah Stan seinem Captain hinterher. Also, was war da nur kaputt gegangen? Er arbeitete in einem Irrenhaus, soviel stand fest. Martin war an diesem Morgen gar nicht erst aufgetaucht, hatte niemandem gesagt, weshalb und Babyboy da trat schneller die Flucht an, als Stan sich zu klopfen getraut hatte. Das war kein normaler Tag, bestimmt nicht. Stan sondierte die Lage in Ruhe. Er war alleine hier im Büro seines Vorgesetzten. Eigentlich, wenn er ein fieser Kerl war, konnte er jetzt machen, was immer er wollte. Sollte er den unbeaufsichtigten Moment für sich nützen und unverschämt werden? Stan könnte sich die Personalbeurteilungen zu Gemüte führen oder mal ein wenig Persönliches in Erfahrung bringen. Leise schloss Stan die Tür, die Fireball natürlich in der Eile nicht zugezogen hatte und grinste in sich hinein. Er hatte gerade eine Eingebung gehabt. Babyboy hatte telefoniert, als er reingeplatzt war. Stan hob die Augenbrauen ein paar Mal schnell hintereinander. Das Telefon hatte doch bestimmt eine Wahlwiederholungstaste. Mal sehen, wer sich da blicken ließ. Der schwedische Pilot beugte sich über den Tisch und drückte die gesuchte Taste. Er war wirklich gespannt, wen der Captain da hatte anrufen wollen. Während das Telefon die Verbindung aufbaute, wechselte Stanley die Ansicht. Er ging auf die andere Seite des Schreibtisches. Hm, die Nummer kannte er nicht. Und plötzlich erschein ein hübsches Gesicht auf dem Bildschirm, das losschimpfte: „Ich hab jetzt keine Zeit, Fireball. Nerv mich…“, ihre Stimme erstarb und April blickte verwundert auf ihr Gegenüber. Das war definitiv nicht Fireball. Dem Schweden blieb die Spucke weg. Oh la la, das Blondchen war übellaunig. War vielleicht gar nicht so schlecht, dass sie beim Versuch von seinem Captain nicht abgenommen hatte. Sonst hätte sein Boss noch schlechtere Laune gehabt. Allerdings stand nun Stan vor dem Problem. Was erzählte er der hübschen Navigatorin bloß, weshalb er hier am anderen Ende war? Er lächelte zunächst unschuldig: „Entschuldigung. Ich hab grad was beim Babyboy aufm Schreibtisch gesucht. Hab wohl die Wahlwiederholungstaste beim Ramschen erwischt. Sorry noch mal.“ „Schon okay“, erwiderte April skeptisch. Ganz glauben wollte sie diese Geschichte zwar nicht, aber sie wollte auch nicht weiter nachfragen. Aber eines wollte sie dann doch wissen: „Und du ramscht in seinem Büro rum, weil…? Wo ist er denn überhaupt?“ „Der sucht Marty“, kam die ehrliche Antwort von Stanley. Der Schwede grinste und begann mit April zu plaudern: „Die zwei keifen sich momentan an wie ein altes Ehepaar. Ganz grausam.“ April schwieg einen Augenblick lang. Weshalb erzählte der Pilot ihr das? Gab es einen Grund für dessen Plauderlaune? Die Blondine legte die Stirn in Falten. Im Augenblick saß sie in ihrem Zimmer, eigentlich hatte sie sich nach dem Frühstück fertig machen wollen. Aber sie war neugierig. Und außerdem hatte sie noch etwas Zeit. Ramrod war nämlich im All auf Reisen. Sie nahm sich die paar Minuten, vielleicht erfuhr sie ja von Stan, was den Japaner eigentlich ritt. April erkannte Fireball seit seiner Versetzung nicht wieder. Da der Schwede gesprächig war, versuchte sie etwas mehr in Erfahrung zu bringen. Ihr weiblicher Charme half ihr dabei, denn Stan sprang auf solche Tricks an. Während des Gespräches kamen allerhand Details ans Licht und April bekam annähernd eine Idee von Fireballs Job. Er selbst hatte ihr nie davon erzählt. Stan empfand das Gespräch ebenfalls als sehr angenehm, erstens vertrieb es ihm die Zeit wesentlich netter als Arbeit und zweitens war April schön anzusehen. Bevor April auflegte, bat der Schwede noch: „Könntest du Babyboy nicht mal auf die Zehen steigen?“ April zog eine Augenbraue nach oben: „Inwiefern?“ „Der Kerl hält mich seit Monaten mit der Anmeldung für die Militärflugwettbewerbe hin. Mach du ihm mal Beine bitte“, mittlerweile wurde Stan diesbezüglich leicht nervös, denn die Bewerbe fanden bald statt und da er nicht wusste, ob er teilnehmen würde, trainierte er auch nur halbherzig. Er wusste, dass die Freunde von Ramrod immer noch großen Einfluss auf ihren Captain hatten, wollte er es über diese Tour versuchen. Zu Stans Freude nickte April: „Kann ich machen“, ihr Blick und auch ihre Stimme wurden wärmer: „Turbo braucht manchmal einen Tritt in den Allerwertesten.“ Damit verblieben Stan und April vorläufig. Von diesem Telefonat hatten beide etwas gehabt. Stan hatte sich jemanden auf seine Seite gezogen, der ihm half, endlich seine Anmeldung für die Flugbewerbe zu bekommen und April hatte etwas über Fireballs Arbeit gehört. Als die Verbindung beendet war, grinste der blonde Pilot auf den schwarzen Bildschirm und zog Kaugummi aus seiner Hosentasche. April hatte schon was. Ein junges Mädel, aber bestimmt nicht dumm. Sie reizte ihn irgendwie. Bei ihm zuhause war niemand, ans Mobiltelefon ging er auch nicht und an den üblichen Orten war er auch nicht. Fireball stand vor dem Jeep des Oberkommandos und holte tief Luft. Wo zur Hölle war Martin nur? Es war nicht seine Art, einfach nicht zur Arbeit zu kommen, das passte eher zum Captain. Aber wo sollte er noch suchen? Realistisch betrachtet hatte er nur noch eine Wahl. Einerseits hoffte er, dass er Martin dort fand, auf der anderen Seite wollte er ihn dort allerdings nicht finden. Denn dann wäre dem Brasilianer etwas zugestoßen. Fireball fuhr ins Krankenhaus. An der Information fragte er sich durch und hatte schließlich so etwas wie Glück. Fireball fand Martin in der Notaufnahme. Von der Sorge beflügelt rannte er die Gänge entlang und hoffte nur, dass ihm nicht zu viel fehlte. Als er Martin an der Aufnahme stehend vorfand, fiel ihm eine Felswand vom Herzen. Martin ernsthaft verletzt wäre das Letzte gewesen, was er noch hätte gebrauchen können. Alle Regeln in Bezug auf Benehmen und Erziehung vergessend, platzte er in das Gespräch und tippte Martin auf die Schulter: „Warum zum Teufel gehst du nicht an dein Telefon? Ich hab dich überall gesucht, verdammt.“ Unbeeindruckt wischte Martin die Hand von der Schulter. Er hatte gerade Wichtigeres zu tun, als sich um seinen kurzgeratenen Captain zu kümmern. Martin ließ sich beim Ausfüllen des Formulars noch von der netten Krankenschwester, die ganz klar einen Faible für Männer in Uniform hatte, helfen. Erst nachdem er alle Formalitäten erledigt hatte, warf er Fireball einen Blick zu. Er hatte immer noch keinen Bock auf den Teenie. Martin fühlte sich für so etwas zu alt, er brauchte außerdem seine Nerven gerade für etwas anderes. Ohne Fireball etwas zu erwidern oder zu sagen, ging er an ihm vorbei und verschwand in einem Krankenzimmer. Geplättet und alarmiert blieb Fireball neben der Aufnahme stehen. Von Martins Art war er sogar mal sprachlos. Da stand er also, er kam sich vor, als würden alle Menschen in der Notaufnahme ihn anstarren, das war extrem unangenehm für den Japaner. Jetzt glaubte er erst recht, das Ganze mit Martin gehörig gegen die Wand gefahren zu haben. Mehr oder minder geduldig wartete er vor dem Krankenzimmer, bis sich die Tür wieder öffnete und sie den Brasilianer frei gab. Fireball sprach ihn an: „Was zur Hölle ist passiert?“ Wieder bekam er lediglich einen kurzen Blick zugeworfen. Martin rauschte beinahe wortlos an ihm vorbei: „Kann dir doch egal sein!“ Um mit Martins Laufschritt mithalten zu können, musste der kleine Captain schon beinahe laufen. Er verfluchte diese kurzen Füße hin und wieder. Vor allem dann, wenn jemand wie Martin oder – Gott bewahre! – Oliver so ein Tempo vorlegte. Das kam schon Ausdauertraining gleich. Endlich auf dem Parkplatz angekommen, blieb Martin stehen. Er suchte nach seinen Wagenschlüsseln. Das war Fireballs Chance, noch einmal mit dem Brasilianer ins Gespräch zu kommen: „Okay, ich versuch’s langsam und ruhig. Stan war um kurz nach acht bei mir im Büro und hat gesagt, du wärst nicht zur Arbeit gekommen. Ich hab alles nach dir abtelefoniert, war bei dir zuhause, aber gefunden hab ich dich erst hier. Marty, wieso find ich dich in der Notaufnahme?“ „Hab meinen Vater hergebracht“, das war Martins knappe Antwort, während er die Wagentür öffnete und einstieg. Als er den Motor startete, ließ er das Fenster runter und knurrte dann doch noch: „Jetzt siehst du mal, wie scheiße das ist, wenn man einem dauernd hinterher laufen muss.“ Mit diesen Worten fuhr Martin los. Er hatte gerade keine Nerven für eine Diskussion mit Fireball. Der Brasilianer hatte letzte Nacht kaum bis gar nicht geschlafen, auch Alessa hatte mal wieder darunter leiden dürfen. Und an diesem Morgen, gerade als er verschlafen beim Frühstückstisch gesessen war, war der Anruf von seiner Mutter gekommen. Er solle seinen Vater bitte schnell ins Krankenhaus begleiten. Schlagartig war Martin da hellwach gewesen. Er hatte Alessa zur Arbeit geschickt und ihr versichert, sich bei ihr zu melden, sobald er wusste, was mit seinem Vater war. Dann war er selbst außer Haus gestürmt und hatte seinen Dad ins Krankenhaus gebracht. Martin hatte keine Zeit gehabt, großartig darüber nachzudenken, in der Arbeit anzurufen. Im Krankenhaus war er abgelenkt gewesen, weil er sich Sorgen um Emilio gemacht hatte. Doch als Fireball live und in Farbe vor im aufgetaucht war, waren mit einem Schlag auch das Theater und die Zwickmühle wieder vor ihm gestanden. Martin war immer noch sauer auf Fireball. Da mochte er zehn Mal sein Captain sein, den Respekt hatte er sich nicht mehr verdient. Für Martin fing Fireball wieder bei null an. Er musste ihm erst beweisen, dass er Vertrauen wert war. Da wäre ihm Martin beinahe über die Zehen gefahren! Der Japaner sprang zur Seite und sah dem anderen Piloten verdattert hinterher. Das war ja mal ein extra toller Tag. Nachdem Martin schnell Land gewonnen hatte und Fireball immer noch nicht recht viel schlauer geworden war, entschloss er sich, Milo einen Krankenbesuch abzustatten und danach wieder ins Oberkommando zurückzufahren. Zumindest hatte Fireball gedacht, danach gleich wieder zum Oberkommando zurück zu fahren. Nach einem kurzen Gespräch mit Martins Vater schlug eine neue Welle über dem Kopf des Japaners zusammen. Immer wieder hatte er während der Unterhaltung die Erinnerungen seines Vaters in sich unterdrücken müssen und sich auf Emilio und sein derzeitiges Problem konzentrieren. Doch kaum hatte er sich vom angeschlagenen Brasilianer verabschiedet und das Krankenzimmer verlassen, spürte er, wie sich in ihm etwas zusammenbraute und er es nicht kontrollieren konnte. Fireball tippte kurzerhand eine Nachricht an Martin und dieses Mal auch an Stan, dass er noch einen Termin hatte und erst später ins Oberkommando zurückkommen würde. Ehe sich der Wuschelkopf versah, fand er sich ganz in der Nähe seines Arbeitsplatzes wieder. Wie ferngesteuert war er zum Kriegerdenkmal gefahren und stand vor der großen Tafel mit all den Namen der Helden, die bei der ersten Schlacht ihr Leben gelassen hatten. Auch der Name seines Vaters stand dort oben, sein Name. Mit einer unvorstellbaren Wucht brachen allerhand Erinnerungen über ihn herein. Fireball sah sich in einem Moment mit seiner Mutter streiten, weil er zum Oberkommando gehen wollte, im nächsten sah er, wie sich sein Vater von Ai verabschiedete und zum Manöver aufbrach. Viele dieser schrägen Erinnerungsfetzen stiegen in seinem Bewusstsein empor, ließen seinen Puls in die Höhe schnellen und sein Herz rasen. Wild hob und senkte sich sein Brustkorb. Er fühlte sich, als würde es ihn innerlich zerfetzen. Es schien, als hausten in seiner Brust zwei Seelen, aber da war kein Platz! Fireball stand vor einer ähnlichen Misere wie vor ihrer verrückten Reise in die Vergangenheit, nun allerdings war es wesentlich schlimmer für ihn zu ertragen. Er hörte nicht nur die Worte seiner Mutter, dass er die Wiedergeburt seines Vaters sein sollte, er spürte auch dessen übermächtige Präsenz. Beinahe so, als würde das Bewusstsein seines Vaters sein eigenes versuchen zu verdrängen. Fireball keuchte, allerhand schrecklicher Gefühle stiegen in ihm auf. Er platzte gleich! Es war ihm egal, ob ihn jemand sehen würde. Wütend schrie er das Denkmal an: „Hättest du bei dieser verfluchten Schlacht vernünftig gehandelt, dann wäre jetzt alles anders! Deinetwegen muss ich diesen Namen tragen, alle Welt misst mich an deinen Taten und niemand gesteht mir das Recht zu, einfach nur zu sein wie ich bin“, seine Augen füllten sich mit Tränen, denn aus dem Captain wurde mit einem Schlag wieder das einsame Kind von damals. Vor sich sah er die Szene, wie sein Vater ihm in der Base ein Freund gewesen war: „Ich hasse dich! Du hättest mir ein Vater sein sollen, meinetwegen auch ein Freund, aber stattdessen bist du lieber mit einem Affenzahn in den Tod geflogen. Dein Erbe ist schlimmer zu ertragen, als es ein immer noch andauernder Krieg mit den Outridern sein kann. Warum tust du mir das an? Warum hast du das Ai angetan? Sieh dir doch nur an, was aus mir geworden ist. Ich krieg nichts auf die Reihe!“ Von seinen eigenen Gefühlen erschrocken und auch angewidert, wischte sich der Japaner mit dem Hemdärmel über die Augen, ehe er auf das Denkmal hinab funkelte. Er warf seinem Vater leise vor: „Du hast dich nicht von mir verabschiedet. Alles, was du mir gelassen hast, ist das hier. Dieses Chaos in meinem Kopf, in meinem Herzen. Ich will und ich kann nicht du sein.“ Wie lange er tatsächlich geflucht, geschluchzt und mit sich selbst gehadert hatte, wusste Fireball nicht. Bestimmt hatten ihn die Menschen, die ihn von der Ferne gesehen hatten, für verrückt erklärt, aber er fühlte sich zumindest etwas besser. Es hatte gut getan, einmal wirklich auszusprechen, was so schwer auf der Seele lag. Auch wenn es dabei lediglich um seinen Vater ging, so hatte er doch nie darüber gesprochen. Fireball hatte es nicht einmal April wirklich erzählt, niemandem. Über den Dienst unter seinem Vater hatte er auf Ramrod nie ein Wort verloren, es war immer nur ‚nett‘ oder ‚anstrengend‘ gewesen, aber Vorfälle, die ihn und seinen Vater betroffen hatten, hatte er für sich behalten. Bis sich seine innere Zerrissenheit und der Kampf in seiner Brust wieder legten, setzte sich Fireball auf eine Parkbank in der Nähe des Denkmals. Von Weitem betrachtet sah der große Granitblock friedlich aus, die milde Herbstsonne strahlte ihn an und der Wind wehte goldgelbe Blätter um den Sockel. Frieden. Fireball fragte sich, wann er endlich Frieden mit sich und seiner Geschichte schließen konnte. Obwohl er selbst erlebt hatte, wie die Seele seines Vaters in seinen Körper gewandert war, wollte er es nicht wahrhaben, wehrte er sich gegen diesen Eindringling. Er wollte diesen Fakt nicht akzeptieren. Fireball streckte die Beine aus und stemmte sie fest in den Boden. Er brauchte eine Erdung, sichere Wurzeln, auf denen er wachsen konnte, wie ein Baum, damit er auch in stürmischen Zeiten sicheren Stand hatte. Momentan war er eher wie eine Feder im Wind des Schicksals, die von einer Böe nach der anderen erwischt wurde und nirgends bleiben konnte. Der Rennfahrer sah von dem Hügel aus zum Oberkommando hinunter. Von hier aus konnte er die geöffneten Hangartüren der Air Strike Base 1 sehen. Diese Einheit von wahnwitzigen Piloten, die ein eingeschworener Haufen war. Es war schwer gewesen, in diesen Kreis aufgenommen zu werden. Sogar jetzt noch, wo ihn endlich alle als Captain akzeptierten und ihn als einen von ihnen betrachteten, fühlte er sich dort nicht richtig angekommen. Vielleicht lag es daran, weil er nicht ehrlich mit ihnen sein konnte. „Sag mal, bist du von Alessa heute nicht runtergekommen oder was war los?“, schief grinsend klopfte Stanley dem geistig abwesenden Martin auf die Schulter. Stan steckte seine Sonnenbrille in die Hemdtasche seines Shirts und schnalzte mit der Zunge. Martin sah auf, er hatte nicht verstanden, was der blonde Schwede da zum Besten gegeben hatte. Hätte der ihm nicht auf die Schulter geklopft, hätte er ihn völlig ignoriert. Martin war mit dem Kopf nicht bei der Sache. Er machte sich Sorgen um seinen Vater, obwohl man ihm im Krankenhaus versichert hatte, dass es keine tiefe und schwere Wunde war, die sich Emilio da beim Holzhacken zugezogen hatte. Dennoch hatten sie ihn zur Beobachtung dort behalten. Die Nachricht von Fireball hatte er bis dato noch nicht einmal gelesen, er hatte auch so gemerkt, dass der Dreikäsehoch noch nicht wieder hier war. Stan wiederum gönnte sich einen neuen Kaugummi. Er hielt auch Martin die offene Packung hin, er sollte sich bedienen. Mit einem Nicken in Richtung der Büroräumlichkeiten stellte er fest: „Ihr beide tauscht euch heute ab. Zuerst bist du abgängig und kaum tauchst du hier auf, ist Babyboy plötzlich weg. Ich hab die Vermutung, dass ihm bei der Suche nach dir etwas – oder besser – jemand dazwischen gekommen ist.“ Zwischenzeitlich konnte man sich in dieser Einheit schon fragen, ob alle irgendwo dagegen gelaufen waren. Oder lag es an den Abgasen, die die Jets mitunter verursachten? Stan versuchte lediglich herauszufinden, wieso es in der besten Einheit des Oberkommandos offenbar schon wieder Zank gab. Das allerdings auf seine eigene Weise. Er hatte bemerkt, dass Martin und der Captain gestritten haben mussten. Leider wusste niemand weshalb und deswegen war es auch schwer, für Frieden in der Einheit zu sorgen, wenn man den Grund für das Zerwürfnis nicht kannte. Fireball glänzte gerade wieder durch Abwesenheit, deswegen musste nun Martin zum Aushorchen herhalten. Doch Martin spielte nicht mit. Er fügte sich nicht in die Rolle des Informanten, die ihm Stanley da so unauffällig hatte zuschanzen wollen. Murrend schüttelte er den Kopf und ließ Stan kurz angebunden wissen: „Bin doch nicht sein Babysitter!“ Das klang Stand zu sehr danach, als hätte Martin seine Feststellung als persönliche Anfeindung aufgefasst. Das wiederum kränkte den Schweden beinahe und nun wurde auch die breit grinsende Frohnatur ärgerlich. Stan packte den Kaugummi wieder weg, wechselte das Standbein und ließ Martin wissen, was er von dessen Tonfall hielt: „Du kannst deine Kleine daheim so ankeifen. Meinetwegen auch Babyboy, der braucht’s ohnehin. Aber mich brauchst du nicht so anzupflaumen, ich hab dich doch nur was gefragt“, lange hielt Stans Verärgerung allerdings nicht. Im nächsten Augenblick zog er Martin schon wieder auf: „Du solltest dringend mal wieder was gegen deinen Hormonstau unternehmen. Ist ja fürchterlich hier.“ Martin biss die Zähne fest aufeinander. Das war heute einfach nicht sein Tag. Er wollte Stans dämliche Sprüche einfach nicht mehr hören, das war doch lächerlich: „Halt deinen Schnabel.“ „Oh ja, ich merke“, stellte Stan trocken fest: „Deine Holde lässt dich wirklich nicht mehr ran.“ Ja, er war provokant und manchmal ein echter Kameradensack, aber irgendwie musste man den Brasilianer doch gesprächiger bekommen. Martin drehte sich weg. Es war ohnehin bald Feierabend. Dann konnte ihm der blonde Frechdachs den Buckel runter rutschen. Fireball war Stan sicherlich dabei behilflich und würde ihm erklären, wie es funktionierte. Diese Reaktion stachelte Stan nur noch mehr an. Irgendwie musste man doch mehr als ein „Mrpft!“ aus Martin herausbekommen. Der Schwede stellte sich ihm in den Weg und wollte wieder wissen: „Der kleine Popel wird sie dir doch nicht etwa ausgespannt haben!“ War zwar in den Wind geraten, aber durchaus möglich. Stan hatte schnell mitbekommen, dass ihr neuer Captain bei den Mädels einen besonderen Stand genoss. Ob er das Kindchengesicht bewusst oder unbewusst einsetzte, war Stan einerlei. „Okay, Stan. Zisch ab!“, Fireball war in diesem Moment neben Martin getreten. Er hatte das Gespräch einige Zeit lang von einem Jet in der Nähe aus verfolgt. Nun hatte er sich entschieden, einzugreifen. Stan bemerkte manchmal nicht, wann er Grenzen überschritt. Fireball würde ihm nun eine deutlich aufzeigen. Martin hatte keinen besonders guten Tag hinter sich, der Japaner ebenfalls nicht, und Stan kam mit blödsinnigen Verschwörungstheorien an, die sich in Windeseile zu hartnäckigen Gerüchten entwickeln konnten. Da Martin des Diskutierens müde geworden war, schritt an diesem Punkt Fireball ein. Im scharfen Tonfall machte er Stan begreiflich: „Geh nachhause und überleg dir in Ruhe, was du grade für nen Mist verzapft hast.“ Überrascht sah Stan zu Martin hinüber, danach auf den kleineren Fireball hinab. Er zog eine verächtliche Grimasse und ließ den Captain wissen: „Ich hab grad mit Marty geredet. Nicht mit dir, also schieb ab, Babyboy.“ Fireball hielt kurz den Atem an. War das die nächste Katastrophe? Das durfte doch einfach nicht wahr sein. Er hatte nicht die Nerven, wieder mit Stan auszudiskutieren, wer Boss und wer Angestellter war. Das wollte er kurz und bündig geklärt haben: „JETZT rede aber ich mit dir und ich habe gesagt, dass du nachhause gehen sollst. Ich will dich nicht mehr sehen und hören will ich erst recht nichts mehr. Marsch!“ Sein Tonfall wurde indes immer schärfer und bestimmter. Stan allerdings war sich sicher, dass es nur ein Bluff war. Der junge Captain war ein Lämmchen, der konnte gar nicht so wild sein, wie er jetzt tat. Dazu war er einfach viel zu lieb, wie die Frauen sagen würden. Diese Ansicht vertrat auch Stan, deshalb ignorierte er den Befehl und stieß Martin noch mal an: „Wollen wir bei einem Bier darüber reden, armer alter Mann?“ Fireball sah zu Martin hinüber. Wie fiel dessen Reaktion aus? Vorhin hatte er das Gefühl gehabt, Martin wollte nichts von Stan hören. Dieses Gefühl bestätigte sich auch prompt, allerdings war der Brasilianer an diesem Tag nicht imstande, Stan abzuschütteln. Deswegen grollte jetzt auch eine Stimme durch den Hanger: „Bist du schwerhörig, Mann?! RAUS HIER!“ Kaltschnäuzig konterte Stan: „Oder was, Giftzwerg?“ Er hatte es herausgefordert. Da musste Stan jetzt auch mit den Konsequenzen umgehen können. Fireball war für Stans Geschmack plötzlich groß geworden und verdammt überzeugend in seiner Wortwahl: „Das willst du gar nicht herausfinden. Denn ich schwöre dir, wenn ich mich noch einmal wiederholen muss, warst du die längste Zeit hier!“ Der Hangar war mucksmäuschenstill geworden. Vorbei war es mit dem Geplänkel der Kollegen, die sich auf den Feierabend freuten, vom emsigen Treiben war auch nichts mehr zu hören. Der Befehlshaber war ausgebrochen. Oder besser hervorgebrochen, wie Stan schluckend feststellte. Das Versprechen, ihn zu kündigen, war zwar nicht ausgesprochen worden, aber Stan hatte es schnell verstanden. Da war er lieber schnell weg. Sein Instinkt sagte ihm, dass er Fireball dazu nicht herausfordern sollte, er würde es nicht nur bei einer Drohung belassen. Leise wünschte Stan noch einen schönen Abend und verschwand aus dem Hangar. Martin stand wie angewurzelt neben dem Japaner und musste sich sortieren. Er linste Stanley hinterher und nickte schließlich anerkennend. Dem Brasilianer hatte das nicht schlecht gefallen. Fireball hatte diese Angelegenheit wie ein Captain gelöst. Es war ein Schritt in die richtige Richtung, so würde sich der kleine Japaner das Vertrauen wieder bei ihm verdienen. Er ließ Fireball leise wissen, während er selbst den Heimweg antrat: „Das war ein erster Schritt in die richtige Richtung. Aber glaub nicht, dass das schon reicht, um mich wieder auf deiner Seite zu wissen.“ Fast unbeteiligt zuckte Ramrods ehemaliger Pilot mit den Schultern: „Er geht mir manchmal tierisch auf den Keks.“ Martin wandte sich noch einmal kurz um: „Bis morgen, Captain.“ Am Blick des Brasilianers erkannte Fireball, dass er noch eine Chance erhalten hatte. Er würde sie nützen, ein Freund wie Martin war zu kostbar, um ihn kampflos gehen zu lassen. Während der Brasilianer zu seiner Freundin nachhause ging, schlug Fireball den zum Büro ein. Er musste noch aufarbeiten, was er an diesem Tag vertrödelt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)