Licht und Dunkelheit von Diracdet (Teil 6 des Detektiv Conan-Noir Crossovers) ================================================================================ Kapitel 1: Diagnosen -------------------- Guten Morgen an alle Lesenden, Zu allererst ein herzliches Dankeschön an all die Kommentatoren, die samt und sonders von dieser plötzlichen Entwicklung sehr überrascht sind... und es wohl auch noch ne Weile weiter sind... ;p hier nun das erste Kapitel nach dem Prolog zu dieser FF. Dieses und die folgenden Kaps werden wohl noch relativ... nüchtern sein, ich hoffe wenigstens mit dem Ende dieses Kapitels einen ersten kleinen Spannungsbogen zu erzeugen, aber ein wenig müsst ihr euch ansonsten wohl noch gedulden... *seufz* Ach ja, die letzte FF, 'Götter, Engel, Dämonen und das Meer', endete ja mit einem Ultimatum. Wie es diesbezüglich in diesem Moment steht, wird auch erst später verraten. ;] Daher wünsche ich viel Spaß beim Lesen und bis bald. LG, Diracdet ______________________________________________________________________ Kapitel 1: Diagnosen Der kalte Hauch, der Ran und auch dem Gespann aus Arzt und Schwester eine Gänsehaut einjagte, schien von einem Wind getragen auf alle Anderen im Krankenzimmer übertragen worden zu sein. Augenblicklich starrten den kleinen Jungen von allen Seiten die entsetzten, halbwegs verstehenden Augen an. „Wer... bin ich?“ Diese Frage wurde von dem Windstoß förmlich gepeitscht, durchdrang überall Kleidung wie auch Haut und durchfuhr die Körper wie ein Schlag. „C-C-Conan?“ Ran wusste nicht, ob ihr versuchtes Wort überhaupt jeglichen Ton enthielt, zu heftig schien der Kloß in ihrem Hals, der ihr fast die Luft zum Atmen abzupressen schien. Leichte Ansätze von Tränen konnte Sonoko in ihren Augenwinkeln erkennen, drückte ihren Arm noch fester, dass Ran nicht plötzlich versuchte, auf Conan zu zu stürmen. Was diese nämlich nicht bemerkte, wie der Arzt etwas näher trat, vor das Bett, den Rücken zu Conan gewandt und sie vom Blick auf ihn abhielt. Weit ausufernd schienen seine Arme die Anwesenden zu sich zu ziehen und unter leichtem Vorbeugen fing er leise und ruhig an. „Bitte, bleiben Sie ruhig und warten Sie einen Moment, bis ich Conan die Situation erklärt habe. Kein Wort, oder verlassen Sie bitte das Krankenzimmer, ist das klar? Wenn es das ist, was ich vermute, dann dürfte jede überstürzte Handlung...“ „Aber... aber... er...!“ Ran wurde wirklich nur vom kräftigen Händedruck ihrer Freundin festgehalten, stand flehentlich vor dem Doktor. Durch seine großen Brillengläser blieben seine Augen jedoch unempfindlich für die zitternden Blicke der Oberschülerin, wohl weißlich aus einer gewissen Erfahrung heraus. „Wissen Sie... Fräulein Mori...“ Seine dunkle Stimme flößte ihr eine ungewisse Vorsicht ein, vielleicht wollte er diese auch. „...wie das ist... bei retrograder Amnesie? Wenn man aufwacht, ohne zu wissen, wo man ist... wie man dort hinkommt... umringt von lauter unbekannten Personen... hilflos...? Ich glaube, es gibt nur einen Zustand, der diesem annähernd ähnlich ist, eine... Entführung.“ Die provozierte Reaktion, nicht nur beim Mädchen, auch bei den Umstehenden, trat ein; unwillkürlich entstand ein gewisser Abstand zwischen dem Mediziner und den Anderen. „Also... bitte, machen Sie ihm keine Angst mit irgendwelchen unnötigen... Aktionen. Es ist vielleicht... nicht so schlimm, sonst würde ich Sie nämlich sofort des Zimmers verweisen.“ Ein kurzer prüfender Blick bestätigte ihm, dass keiner weiter zu widersprechen wagte und so wandte er sich erneut um zu dem kleinen Jungen, der tatsächlich nur sich leicht umschauend, ohne etwas zu sagen, aufrecht im Bett regte. Wie wohl zu befürchten, schien ihn die ganze unbekannte Umgebung, die vielen Leute im Raum, die ihm nichts zu sagen vermochten, und nicht zuletzt seine eigene Unfähigkeit, sich selbst in dieses Bild einzuordnen, zunehmend zu beängstigten. Scheinbar wollte ihm keiner etwas tun; zumindest hielten sie alle Abstand, bis auf... die Krankenschwester, welche langsam auf ihn zu trat. Im Augenwinkel erblickte er sie noch, wie die etwas blasse, zirka dreißig jährige Frau in weiß, die Hände offen und beruhigend vor sich haltend und die Lippen zu einem sanften Lächeln verzogen, sich ihm näherte. Vom plötzlichen Schrecken getrieben, wandte er sich blitzartig zu ihr um, wollte aufschreien als ihm ein furchtbarer Schnitt durch den Kopf fuhr. Der Schrei folgte trotzdem, nur war er auf einen unglaublichen Schmerz zurück zu führen, nicht auf Angst. „Aaahhhh, mein Kopf!“, dröhnte es allen noch eine ganze Weile durch die Ohren, während die Schwester den letzten Schritt zum Krankenbett ruckartig überbrückte, um den kleinen Jungen zu beruhigen. Dieser wollte sich am liebsten mit den Fingernägeln in seine Stirn bohren, um den wie ein Stich mit einer Schere durch seinen Schädel führenden Nervenreiz zu betäuben. Aber dicker Stoff hinderte ihn. Sofort erkannte Conan die Bandagenmaterialien, die seine Stirn, sowie auch einen Teil seiner Haare in dieser Kopfhöhe abdeckten und nur für die Ohren platz ließen. Vorsichtig tastete er mit den Fingern den rauhen, netzartigen Stoff ab, der sich in seiner Stärke erstaunlich gleichmäßig anfühlte, abgesehen von der einen Sicherheitsnadel schräg oberhalb seines rechten Ohres, die den ganzen Stoff zusammen halten sollte. An diesem Punkt blieb seine rechte Hand stehen, musterte das metallene Objekt, während sein Blick von der Verwunderung immer mehr in ein entsetztes Staunen überging. „Du... hattest einen Unfall, mein Kleiner.“ Die ruhige, besorgte, fast mütterliche Stimme der Frau neben ihm, die er eben noch lauthals verscheuchen wollte, schien nun sein Flehen nach einem Ende der Schmerzen zu erhören. Sie nahm mit jeweils einem Arm einen der seinigen und beförderte sie, souverän, aber dennoch ohne ihn zu zwingen nach unten. Seine Gedanken hörten auf zu rasen, verharrten bei ihr und scheinbar war das auch die beste Kur für den kurzen Anfall in seinem Gehirn. Die Anwesenden standen weiter nahezu stumm da, beließen es bei leisestem Flüsterton, um ja nicht doch noch vom Arzt des Zimmers verwiesen zu werden. Sonoko hielt unentwegt die Hand ihrer Freundin, tastete unwillkürlich, mit dem Zeigefinger dieser an die Innenseite von Rans Handgelenk, fühlte den Puls. Eigentlich in dieser Position ein Ding der Unmöglichkeit... aber nicht in dieser Situation. Das Blut in ihren Adern pulsierte heftig. Den Schockmoment, als Conan sie nicht erkannte, hatte sie überstanden, nur schien es als musste ihr Herz nun die verlorene Pumpzeit in Überstunden nachholen. 'Und dabei hattest du doch die ganze Nacht schon nicht geschlafen, Ran!' „Es geht ihm gut.“, flüsterte sie ihr direkt ins Ohr, wartete, bis Ran sich langsam ihr zu wandte „Das ist... für den Moment doch... das Wichtigste. Er hätte... Ran?“ Leere stand in den Augen der Oberschülerin. Tief, sehr tief in ihrem Inneren war kurzzeitig etwas entwurzelt wurden; etwas, was ihr das Gefühl beibrachte, es fehlte etwas. Etwas unersetzliches. Ein Licht, das nun dunkel war. „Du... du hattest doch auch... schon mal... dein Gedächtnis...“ Ein stummes Nicken unterbrach den Gedanken, forderte Sonoko zur Ruhe. Ran formulierte etwas mit ihren Lippen, was ihre Freundin nur als ein lautloses 'deshalb...' interpretieren konnte, dann wandte sich Ran auch schon wieder ab. Sonoko spürte, wie die Hand, die sie festhielt, leicht zitterte, sah zum kleinen Jungen, und erschrak. Dieselben leeren Augen, die sie eben bei ihrer Freundin sah, waren nun auch beim Grundschüler zu erblicken... 'Natürlich.' Nun musste auch Sonoko an sich halten, wollte ihre Freundin nicht einfach dem Moment allein überlassen, auch wenn dieser nun auch sie erfasste. Es war mehr als einfach nur dieser Gedanke, dass eine ihr wichtige Person das Gedächtnis verloren zu haben schien. Es war die Tatsache..., dass er es war. Conan Edogawa... Shinichi Kudo. Der kleine und doch hell leuchtende Stern an Rans Firmament. Die Konstante. Der, der erhaben mit allen Widrigkeiten zurecht zu kommen schien, über all das Gute und Schlechte in der Welt sich ein Urteil gebildet hatte in seinen jungen Jahren. Der gerade ihr... den Halt gab, diese souveräne... Stütze. Ausgerechnet er... der scheinbar selbst in diesem Kindskörper noch sich alles zutraute und dem immer noch der Erfolg recht gab. Diesen Jungen nun... hilflos zu sehen, unfähig gerade diese Einstellung, die ihn immer so stark erscheinen ließ, zu demonstrieren. Es war, als falle sie wie ein schlechtes Stück Schauspielkunst in der Gunst der Zuschauer durch, eine Maske fiel ab und aus dem strahlenden Stern wurde ein kleines Teelicht, dass beim nächsten Windstoß ausgehen würde. Ran war eine der Zuschauer vor der Bühne und der größte Fan der Figur auf dieser und stand im Moment vor dem Scherbenhaufen dieser Vorstellung, die doch eigentlich so real in ihren Augen wirkte. Er war weg, wie tot fast, obwohl er da vor ihr... wohlauf, musste man Sonoko wohl zustimmen, saß und ihr auch in die Augen sah. So war doch ihr Weltbild enorm ins Wanken geraten, was nun auch Sonoko ganz genau verstand. 'Wie konntest du nur jemals glauben, dass ich mich in dir und Shinichi geirrt hätte, Ran?' Seufzend drückte sie die Hand ihrer Freundin noch fester, versuchte ein beschwichtigendes Lächeln und formte die Worte 'Vertrau mir!'. Das eine Wort hätte er eigentlich erwarten müssen und doch hallte es in dem nun wieder etwas leereren Kopf Conans lange nach. „U-Unfall?“ Was sollte er auch anderes glauben, woher die Verletzungen kamen, waren bereits seine nächsten Gedanken. Er lag in einem Krankenhaus, hatte einen Verband um den Kopf und furchtbare Schmerzen. Opfer einer Gewalttat oder Unfall waren wohl die einzigen Alternativen. Und schon verwirrte er sich selbst. Wieso war Unfall dabei eigentlich erst sein zweiter Gedanke, nach Gewalttat? „Ja...“, begann die Schwester, lenkte seine Gedanken wieder weg von sich. Ihr Lächeln wurde etwas breiter, ohne die offenkundige Sorge darin vermissen zu lassen. „Du bist von einer großen Treppe gestürzt. Dabei bist du mehrfach mit dem Kopf auf die harten Kanten gestoßen, hast dir einige Platzwunden zu gezogen. Deshalb der Verband.“ Sie stubste mit dem linken Zeigefinger sacht gegen seine Stirn, so dass er einen Millimeter zurück knickte. „Das hätte wirklich schlimm... schlimmer enden können.“ Man konnte sehen, dass sie eine kleine Träne unterdrückte. Sie war ausgebildete medizinisch-technische Assistentin, an viele Krankheiten und die Patienten hinter diesen Krankheiten gewöhnt, aber bei kleinen Kindern, die mit solch einem... vielleicht das Leben beeinflussenden Bild vor ihre Augen kamen, war bei ihr einfach auch eine Grenze des Erträglichen erreicht. Und gleich werde sie es aussprechen müssen, ihm sagen, wer er ist... oder besser, wer er war. „Was hatten Sie eigentlich dort zu suchen gehabt?“, zischte Inspektor Takagi leise Kogoro von der Seite zu. „Sie waren doch nicht ohne Grund im Schloss von Herrn Kunieda.“ Eine leichte Verärgerung, gepaart mit ehrlicher Neugier des Polizisten, der von der Nachricht erst über mehrere Ecken erfuhr und von Kommissar Megure herbeordert wurde, um nach Conan zu fragen und... naja, eben genau diese Frage zu stellen, waren deutlich zu vernehmen. Der Blick des Meisterdetektivs jedoch schien diese Intention von Takagis Anwesenheit genau vorauszuahnen und konterte lediglich mit einem müden, herablassenden ausatmen. „Als ob ich Ihnen eine Erklärung schulde.“, murmelte er stetig in seinen Schnauzer. 'Na toll! Spielball zwischen ihm und dem Chef wollte ich eigentlich nicht sein...' Seufzend nahm er einen zweiten Anlauf. „Sie waren dort wegen dem verschwundenen Herrn Tashija, nicht wahr?“ „Ich war geschäftlich da und insofern ist das Geschäftsgeheimnis.“ 'Immer stur geradeaus gucken, Kogoro, immer nur weg von Takagi.', fügte er noch raunend in Gedanken hinzu. Der Inspektor musste sich schon sehr zusammen reißen, um die Lautstärkegrenzen, die der Arzt den Gästen verordnet hatte, einzuhalten. „Verdammt, Mori, das haben wir doch schon vor einer Woche untersucht, da ist niemand mehr!“ „Dann haben Sie eben nicht gründlich genug gesucht.“ „Waah, was wenn er einfach gegangen ist?“ „Aus solchen Lebensbedingungen, als Künstler? Undenkbar, dann hätte er wenigstens noch ne Nachricht hinterlassen.“ 'Ich gebs auf!' Betrübt ließ er den Kopf sinken, versuchte sich zu sammeln und die eigentlich bemitleidenswerte Person des Raumes wieder zum Mittelpunkt seiner Gedanken werden zu lassen. „Conan.“ „Hm?“ Der Junge hatte sich nach dem kleinen Fingerzeig der Schwester wieder sehr intensiv seiner Stoffbinden gewidmet. Das Wort, dem er irgendwie keine Bedeutung beimessen konnte, hatte ihn erst wieder aufmerksam gemacht. Sie lächelte immer noch, aber noch ein wenig trauriger im Blick. „Du hast gefragt, wer du bist.“ Sein Gesicht schien sich kurzzeitig, unbemerkt für die Meisten, zu verfinstern. „Du weißt es nicht, vermutlich... wegen dem Sturz...“ Ihre Augen fixierten seine eingewickelte Stirn, er folgte kurz ihrem Blick. Sein Innerstes verkrampfte sich. Er hatte diesen Gedanken ja eben schon gefasst, wurde aber von seinen Schmerzrezeptoren nach allen Regeln der Kunst für den Versuch es zu verstehen ausgeknockt. „I-Ich habe... mein Gedächtnis...“ Er konnte den Satz nicht beenden, musste es auch nicht. Sie nickte nur angestrengt, worauf sein getroffener Blick den Kontakt zu ihr abbrach und nach vorne fiel. „Retrograde... Amnesie.“, kam es in die plötzliche Stille hinein von einer souveränen, dunklen Stimme vor ihm. Conan konnte nur langsam seinen Kopf erheben und auf das Bettende starren, an dem sich der Kopf des Arztes befand. Dieser hatte sich hingekniet und die Arme auf das abschließende Gitter der Bettkante gedrückt, auf denen wiederum sein Haupt ruhte. Sie waren halt, für einen Unfall eines Kindes, in ein Kinderkrankenhaus gefahren worden und der Arzt, wie auch die Schwester waren speziell dafür ausgebildet, sich mit Kindern zu unterhalten. Er bildete sich durchaus ein wenig was darauf ein, abschätzen zu können, wie er mit einem kleinen Jungen vor sich umzugehen hatte, der unter Amnesie litt. Nicht zuletzt, dank eines zentralen kleinen Hinweises neben diesem Patienten. „Retrograd? Also... rückwirkend?“ „Ja... rückwirkend vergisst man durch eine physische Schädigung des Gehirns – wie dein Teppensturz – alles, was man einmal... wusste, zumindest spezielleres.“ „Spezielleres?“ Rans Hand krampfte sich nun noch stärker an Sonokos fest. Das war es, was sie befürchtete. Nun klang er nicht mehr wie Conan, der verstand, wenn man ihm erzählte, er klang einfach... wie ein Kind. „Du heißt Conan, das wollte dir die Schwester damit eben sagen.“ Auch er legte dieses Lächeln auf, das ihm bei ihr so gespielt vorkam. Beim Arzt jedoch wirkte es... überzeugender, echter, ernst gemeint. „Co-nan? Das ist aber ein komischer Name.“ Eine Augenbraue bewegte sich beim Arzt hoch, die meisten Anderen im Raum schien diese Bemerkung überhaupt nicht zu verwundern. Teils aus dem Wissen oder der Vermutung heraus, 'dass du ihn dir selbst spontan überlegt hast, wobei man wohl nur bedingt von überlegen dabei reden kann...', die Übrigen aus der Überzeugung heraus, 'ja es ist schon ein merkwürdiger Name, den sich deine Eltern da ausgesucht haben...'. Aber was keiner so sah im Moment, nur in den Augen durchschimmerte, war... Abneigung. Er mochte diesen Namen nicht, er stieß ihm innerlich auf. Jemand oder etwas vor seinem geistigen Auge schien ihn plötzlich von oben herab zu belächeln, ihn abwertig zu Boden zu drücken. Dunkelheit, wie sie ihn in seiner Traumata-Phase heimsuchte, schien zurück zu kehren. Ausgehend von diesem einen Wort, umzingelte es ein kleines Licht und zerquetschte es gnadenlos. Er hasste den Namen Conan. Das alles war eine kurze Reaktion in seinem Gedächtnis, aber... er konnte sie nicht zuordnen. Mochte er selbst einfach nur seinen komischen Namen nicht? Vielleicht, für den Moment blieb ihm nichts, als sich damit zu arrangieren. Er war im Augenblick der letzte, der sagen konnte, dass es falsch war, ihn so zu benennen. Außerdem, es gab noch etwas, sachliches, was ihn an diesem Namen störte. Und zumindest das konnte er anbringen. So hob er langsam seine Stimme. „Ich... ich meine, wir sind hier doch in Tokio?“ Die Frage ließ nun wieder alle zusammen zucken. Auch Dr. Asunaja schien von dieser Aussage sehr überrascht, fuhr etwas hoch, fühlte sich plötzlich wie im falschen Film. „Wie... wie kommst du darauf, dass wir in Tokio sind? Ich meine, die Sprache, die du sprichst, ja, aber das ist doch nur beschränkt auf ein Land und...“, doch Conan wies einfach mit seinem rechten Arm hinaus zum Fenster, an dem bis eben zwei der Anwesenden etwas abseits standen und nun Platz für die unsichtbare Verlängerung des Zeigefingers machten. „Na... das da... ist doch nicht der Eiffelturm in neuer Farbe, oder?“ Mitten vor dem Fenster bahnte sich der Anblick des Tokyo Towers an, übertraf das Bild der Skyline aus diesem sehr hoch gelegenen Krankenhauszimmer bei weitem. Einer leichten Verwunderung über die schnelle Erkenntnis folgte ein erfreutes Lächeln in mehreren Augenpaaren. „Sie haben Recht, Herr Doktor. Es ist definitiv retrograde Amnesie... mit sogar guten Heilungschancen.“ Mit einem Mal wanderten alle Blicke zu dem kleinen Mädchen, das sich hinter Professor Agasa versteckte. Ai schien die ersten Schrecken überwunden zu haben, auch wenn immer noch ein leichtes Zittern in ihren Augenwinkeln wütete. Der Angesprochene nickte etwas verwirrt, und drehte sich dann etwas um, um sowohl Conan als auch einige der Anderen im Blick zu haben. 'Noch so ein merkwürdiges Kind! Ist ja wirklich eine illustre Gemeinschaft...' „Äh... ja, meine Kleine, du hast recht. Allgemeinwissen bleibt meistens erhalten in diesen Fällen, weil die damit verbundenen Erkenntnisse im Laufe auch eines noch sehr jungen Lebens bereits sehr stark entwickelte Synopsen im Gehirn ausbilden. Alles andere... geht aber auch nicht direkt verloren. Das Gehirn kann man nicht einfach... löschen, wie das gerne im Fernsehen oder Kino gezeigt wird. In einem Fall wie diesem ist es eher so, als sei das Gehirn heruntergefahren wie ein Computer. Alles noch da, aber unerreichbar für den Anwender, der du in diesem Fall bist, Conan. Insbesondere natürlich... erlernte und geübte Talente.“ Sonoko beobachtete Rans Blick, der nach und nach besser wurde. Seit Ais Mund die Worte 'gute Heilungschancen' verließen, hörte sie sehr aufmerksam zu. Und dieser Satz eben brachte ihr Herz erneut zum Rasen, aber sie durchströmte auch ein Momentum von Glücksgefühlen, Erleichterung machte sich breit. Er war... immer noch... Conan... Shinichi. Irgendwo da drinne. „Talente?“ Kogoro war es, der das Gespräch wieder aufnahm, das Dr. Asunaja eben gewissermaßen abbrach. Dieser sah zunächst ein wenig verdutzt zum Detektiv auf, räusperte sich dann kurz und erklärte selbstsicher. „Nun, es ist bei Kindern in seinem Alter eigentlich unüblich, aber... um es kurz zu sagen, man lernt eigentlich in jedem Alter auf die gleiche Weise. Das Gehirn verarbeitet wiederholt gewisse Regeln, die man lernen will, verwendet sie in leicht abgeänderter oder identischer Form und muss dafür Verbindungen von Nervenzellen erzeugen. Benutzt man diese Verbindungen häufiger, ist das wie Muskeltraining, die Leitungen zur Übertragung werden stärker, stabiler. Und solche entwickelten Talente, wie eben die Sprache und die Allgemeinbildung, aber eben auch andere erlernte Fähigkeiten und Fertigkeiten, werden gewissermaßen bei retrograder Amnesie ins Unterbewusstsein gerückt. Oder, nein, das war nicht ganz richtig, sie beschränken sich zunächst aufs Unterbewusstsein trifft es eher.“ Er schien in seinen Ausführungen zu schwelgen und bemerkte erst jetzt, dass die Anderen ihm nicht mehr wirklich folgten. Er drückte sich von der Bettkante hoch und lächelte den Grundschüler freundlich an. „Du siehst die Dinge vielleicht besser, wenn du erstmal wieder richtig guckst.“ Er wies mit seinen Augen Conan's Blick ganz nach rechts, auf das kleine Tischchen neben seinem Bett, auf dem zwei Dinge lagen, ein dickes Taschenbuch und eine große, im Gestell schwarz gehaltene Brille. Zögerlich sah der Junge nochmal zum Arzt, der ihn freudig ermunterte, nahm dann langsam die Brille an sich, bewegte sie eine Weile hin und her zwischen den Fingern, sah nochmal auf, faltete die Bügel auseinander und setzte sie sich schließlich gezielt auf die Nase. Der ganze Vorgang nahm vielleicht eine Minute in Anspruch und kam den Anderen auch urig lange vor. 'Merkwürdig. So viel anders sehe ich gar nicht...' Der Schmerz in Conans Kopf hatte sich soweit gelegt, dass er wieder klar denken konnte, wenn er ihn nicht überanstrengte. Nur gab es dabei ein Problem. Mit scheinbar jeder neuen Informationen wurde es in seinem Kopf verworrener... irgendwie passte alles nicht so recht. „Wir wissen eigentlich gar nicht mehr richtig, was wir tun, wenn wir in unserer Muttersprache sprechen. Wir haben sie so in uns aufgesogen, dass sie in unserem Unterbewusstsein verankert ist und wir uns da fast mehr bedienen im Gespräch als in unserem Bewusstsein. Zumindest so lange wir nicht eine gewisse Gesprächsebene verlassen...“ „Sie meinen die Umgangssprache.“, stellte Conan kurz nachdenkend fest. „Genau! Wenn man versucht auf anderem Niveau zu reden, ob nun Fachgespräche oder Slang welcher Art auch immer, oder eben eine Fremdsprache, dann wird es schwieriger und man redet... bewusster. So lange bis...“ Nun zögerte er, wartete auf die Antwort des Jungen. Er wusste genau, was für ein schlaues Bürschchen da vor ihm saß. „...bis man auch diese andere Sprache so weit erlernt hat, dass sie im Unterbewusstsein verankert ist?“ „Bingo, sehr gut, Conan. Und genauso ist es auch mit den erworbenen Talenten, wie... Klavier spielen. Wer professionell spielen kann und retrograde Amnesie hatte, kann sehr schnell wieder Klavierspielen erlernen, weil er es im Prinzip in seinem Gehirn eingeprägt hat. Es muss nur reaktiviert werden. Also... nur... ist vielleicht übertrieben, aber... es ist weit von unmöglich oder unrealistisch entfernt. Im Gegenteil, es ist sogar sehr möglich, dass du dich bald wieder an alles erinnern kannst, mein Kleiner.“ Das Leuchten in Rans Augen nahm kein Ende und auch Sonoko schien nun die Hand ihrer Freundin loslassen zu können. Ein tiefer Seufzer entrang sich beiden. 'Na siehst du, Ran. Es wird nicht so schlimm sein, wie du befürchtet hattest.' „Moment mal, ich bin ja nicht ganz blöd.“, fuhr Kogoro in die kurze Freudenstimmung. „Conan sieht den ganzen Tag nur fern und quatscht allen Leuten dazwischen! Meinen Sie, dieser Westentaschen-Detektiv-Möchtegern hätte irgendwelche hochentwickelten Talente? In seinem Alter?“ 'Natürlich!', schienen ihm einige böse Minen entgegen zu funkeln, so dass er es fast schon wieder bereute, die Frage gestellt zu haben. Der Mediziner aber wirkte belustigt vom Schauspiel und holte einen seiner Notizkugelschreiber aus der Mantelbrusttasche. „Ich hätte sonst wohl selbst danach gefragt, aber danke, dass Sie mich bereits bestätigt haben, Herr Mori. Ja, scheinbar ist Conan ein sehr... guter Denker für sein Alter. Wie Sie sagten, ein Möchtegern-Detektiv? Den Tokyo Tower zu erkennen ist Allgemeinbildung. Das aber als Argument zu bringen, um den Namen Conan zu hinterfragen, obwohl es der eigene ist und er über diese Informationen eben nicht verfügt, das ist... wirklich beeindruckend schon.“ Damit erachtete er diesen Punkt als beendet und warf ohne Vorwarnung den Kuli zu Conan. Der schrak kurz hoch und fischte ihn dann doch sicher mit der rechten Hand aus der Luft. „Man weiß allerdings nie, ob die motorischen Fähigkeiten noch völlig normal sind. Deshalb der kurze Test auf Reaktion und Beweglichkeit der Arme. Den hast du bestanden. Jetzt nimm bitte mal das Buch, das dort noch liegt.“ Conan fuhr erneut herum, betrachtete das kleine Buch, dessen Cover in einem dunklen, matten Braunton gehalten wurde. „Beschreib das Bild mit deinen eigenen Worten!“ Nun wirkte es wirklich bald wie ein kleiner Test für Grundschulkinder, den der 'Lehrer' Asunaja da durchführte. Conan glitt über die Oberfläche, betrachtete jeden Winkel der einen Seite, bevor er monoton, fast melancholisch, anfing. „Es scheint eine Art metallische Wand zu zeigen, karoförmig grob strukturiert. Darin eine unscheinbare Tür, daneben eine Leiter, über dieser... ein Mann, von hinten, nackt. Er versucht verzweifelt hoch zu klettern, was ihm aber nicht möglich scheint...“ „Der Ausbruch ist unmöglich. Das ist auch die Quintessenz des Buches. Du hast den Titel und den Autor gar nicht genannt.“ Alle standen erstaunt drum herum, beobachteten, wie der Arzt eine Information nach der anderen aus Conan heraus kitzelte. „George Orwell... 1984... ist das nicht ein etwas ungewöhnliches Buch... für mich?“ „Findest du es denn ungewöhnlich? Du siehst an deinen Händen... und vermutlich auch an dem kleinen Mädchen, dass so etwas wie deine Freundin sein kann...“ Unwillkürlich spürte er einen dunklen Schatten in seinem Rücken, brach ab, wandte sich um, fand aber nur Ran, die immer noch sich über Conans mögliche Genesung freute. 'Was... sollte das denn...' Er schien beunruhigt, fing sich aber schnell. „Äh, wo war ich... also du bist Grundschüler, erste Klasse, um genau zu sein, das kannst du erahnen. Und du vermutest richtig, ich fand das Buch auch komisch für ein so kleines Kind. Aber wie du es vielleicht mittlerweile selbst gemerkt hast, steckt in dir eine Menge, was man nicht erwarten würde. Deshalb war das Buch für mich ja auch ein guter Hinweis. Du bist wirklich ein schlauer Junge und scheinst dich tatsächlich schon für so etwas zu interessieren.“ Conan schaute unsicher zwischen Buch und Arzt hin und her, blätterte dann ein wenig im 350 Seiten umfassenden Werk. „Du hast es... am Samstag in der Stadt gekauft, Conan.“, begann Ran zögerlich, als er scheinbar kein anderes Interesse mehr verfolgte, als das Buch zu überfliegen. „Du nahmst es überall mithin seitdem, hast es gar nicht mehr aus der Hand gelegt, sogar jetzt zu dem Schloss, wo der Unfall passierte...“ Ruckartig klappte er das Buch lautstark zu, etwas schien ihm aufzustoßen. 'Was sollte das denn?', ging es ihm durch den Kopf. Erneut sah er das Bild von dem ausgelöschten Licht vor sich, diesmal aber war es nicht das Wort Conan, das ihn so frösteln ließ, es war ein Wort, das er in diesem Buch las. Er fühlte, wie eine Merkwürdigkeit in diesem Zustand der Nächsten folgte. Etwas stimmte ganz und gar nicht. Er brauchte ein paar Klarheiten. Und sie, diese junge Frau, schien dabei eine besondere Rolle zu spielen. „Sie... äh... du... bist du etwa meine große Schwester?“ Engelszungen eines Kindes, die kein Wässerchen trüben konnten, durchdrangen die Luft und führten bei allen, die den Jungen nun schon eine Weile kannten, einen eisigen Schauer, über den Rücken verteilt, herbei. So war er einfach nicht. „Ja, könnte man so sagen.“, antwortete Kogoro für seine Tochter, die offenbar mit der Frage zu tun hatte und diese Antwort auch nicht mochte. „Paps!“, zischte es grimmig von der Seite und sie konnte nicht umhin, dass sich auf ihrem Gesicht leichte Farbe zeigte. „Was hast du denn, das kommt der Wahrheit doch am nächsten und das Ganze jetzt zu erklären, ich weiß nicht...“ „A-ber, aber, wenn Sie nicht mit meine Schwester und Sie nicht mein Vater sind... sind dann meine Eltern gar nicht hier?“ Die Frage saß tief bei den meisten Beteiligten. Die Antwort lautete ja, aber, ein siebenjähriges Kind, allein und nun ohne Gedächtnis; konnte man ihm das so einfach ins Gesicht sagen? Unter dem Aspekt... sie waren ja nicht tot oder so, sondern auf Reisen im Ausland, so der offizielle Tenor, sie waren einfach nicht da für ihren Sohn... konnte man so etwas sagen? Aber auch dafür schien Kogoro relativ wenig Feingefühl zu besitzen. „Die sind halt nicht da, und zur Zeit wohnst du bei mir und meiner Tochter Ran, mit der du eben gesprochen hast. Wenn ich mich vorstellen darf, Kogoro Mori, der größte Meisterdetektiv, den Japan je gesehen hat. Hahahah!“ Selbst Conan, den die erste Aussage gelinde gesagt, schockte, konnte nicht die leichte Fratze auf seinem Gesicht verhindern. 'Das... soll mein Erziehungsberchtigter sein... oje.' „Und... ihr Anderen seid... dann alles nur... Bekannte.“ Der Arzt nickte stellvertretend für die Gruppe, die gebannt den Patienten anstarrte. Er hielt auch kurz die Arme hoch, zum Zeichen, dass sich jetzt nicht alle einzeln vorzustellen brauchten. „Ich denke doch, wir haben noch genug Zeit, die Bekanntmachung zu vollziehen und auch, dass du alles um dich herum wieder kennen lernen wirst. Aber, bei einem so talentierten Jungen, da glaube ich, können wir dich schon bald dazu bringen, mit ein paar Erinnerungen dein Gedächtnis wieder aufzufrischen.“ Er lächelte, erhob sich gerade, als ihn Takagi zurück hielt. „Sagen Sie, Herr Doktor, wäre es dann nicht auch hilfreich, wenn er nochmal ins Schloss fährt? Immerhin hat er dort theoretisch die letzten Erinnerungen gehabt. Das sollte ihm doch am ehesten...“ Der schüttelte bedenklich zunächst den Kopf, lenkte dann aber ein. „Nun ja, Sie meinen wohl damit möglichst bald? Ich würde ihn zumindest noch ein wenig untersuchen, aber im Prinzip, wenn Sie noch eine Stunde oder so warten wollen, hätte ich nichts dagegen, sofern noch eine Schwester mitkommt. Nur sicherheitshalber; es scheint alles in Ordnung. „Ich würds trotzdem lassen, wenn ich an Ihrer Stelle wär, Inspektor.“ Alle drehten sich erstaunt zum Fenster, an dem immer noch Heiji Hattori und Kazuha Toyama standen und relativ unbeteiligt das Geschehen verfolgten. Zumindest Kazuha fühlte sich hier als die für Conan entfernteste 'Bekannte'. „Wie... wie meinst du das, Heiji?“, erkundigte sich der Polizist verwirrt. Die Tonlage gefiel weder ihm noch den anderen so wirklich. Heiji lehnte gelassen am Fenster, die Arme vor der Brust verschränkt, fixierte unter seiner Baseballkappe die Mitte des Raumes. „Ich will Se nich unnötig beunruhigen... und dich erst recht nich, Kleiner...“ Sein Blick wanderte zu dem Jungen und Conan erkannte den Ernst in den Augen dieses jungen Mannes mit Akzent. „... aber ich fürchte, dieser Treppensturz..., das war kein Unfall... das war ein Mordversuch.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)