Wider Willen und Plan von Sean (Pokémon-Geschichte mit eigenen Charakteren.) ================================================================================ Kapitel 2: Schwalboss --------------------- Mikko versuchte den Abend über, möglichst wenig an den vergangenen Nachmittag zu denken. Dass sein kleiner Bruder Oskari, gerade sechs Jahre alt, ein Flemmli-Stofftier mit sich herum trug machte ihm das auch nicht eben leichter. Seine Eltern, die beide auf der Beerdigung gewesen waren, wirkten ebenso bedrückt. Aber sie hatten Wiesenflurs Helden auch genauso verehrt wie alle anderen. „Is’ so schad um den Jung’.“, meinte sein Vater nicht zum ersten Mal, „Hab’ ihn mal getroffen. Höflicher junger Mann, Eljas.“ Seine Mutter bürstete durch das glänzende Fell des Enecos auf ihrem Schoß. Seit ungefähr einer Stunde. Und seufzte. Oskari verstand das alles nicht ganz, aber Mikko wusste, warum Flemmli sein Lieblings-Pokémon war. Es war Eljas’ erstes Pokémon gewesen, das wussten alle Kinder in der Stadt, vor allem die, die selbst Pokémon-Trainer werden wollten. Mikko ging früh schlafen, hauptsächlich um nicht weiter nachdenken zu müssen. Wirklich gut klappte das nicht, vor allem weil ihn früh am nächsten Morgen der laute Schrei eines Vogel-Pokémons aus dem Schlaf riss. Der Moment in dem ihn das Schwalboss im Wald angegriffen hatte stand ihm wieder lebhaft vor Augen und er wollte gerade die zwei Taubogas ihrer Nachbarn verfluchen, als der Schrei erneut ertöhnte, und irgendwie klang es nicht wie ein Tauboga. Mit vom Schlaf verwuschelten Haaren richtete er sich auf und zog den Vorhang seines Schlafzimmerfensters zur Seite. Und prallte erschrocken zurück. Direkt vor seinem Fenster auf einem der Strommasten hatte es sich ein ihm verdächtig bekannt vorkommendes Vogel-Pokémon gemütlich gemacht und holte um – Mikko warf einen Blick auf die Uhr – fünf Uhr in der Früh die halbe Nachbarschaft aus dem Bett. Er stöhnte innerlich auf. Womit hatte er so was eigentlich verdient? Die Versuchung, Unwissen vorzutäuschen und sich wieder im Bett zu verkriechen war groß, aber er hörte schon seine Eltern auf dem Flur und das Miauen eines nervösen Snobilikats, das Nachwuchs erwartete, war ein beinahe so penetranter Wecker wie das Schwalboss draußen. Schließlich raffte er sich doch auf, die warme Bettdecke zurück zu lassen; sich schnell etwas wärmeres anziehend hastete er los um dann draußen Schadensbegrenzung zu betreiben. Seine Eltern warfen ihm zwar fragende Blicke zu, waren aber vorerst mit ihren eigenen Pokémon beschäftigt. Darauf achtend nicht über zwei sich balgende Enecos zu stolpern verließ er das Haus; das Schwalboss hatte seinen Wachtposten auf dem Strommast verlassen und kreiste nun über ihrem Haus in der Luft. Wenn er das richtig erkannte handelte es sich in der Tat um dasselbe Pokémon, die Spitzen seiner Schwungfedern waren immer noch etwas angesengt. Wenn sich dieses Schwalboss als so anhänglich wie Eljas' Lohgock herausstellte, hatte er ein Problem. Er schluckte, unentschlossen was genau er nun tun sollte. „Was...“, er holte tief Luft, „Was machst du hier?“, rief er dem Pokémon entgegen. Ein Fehler, und zwar ein großer, denn nun schoss das Schwalboss vom Himmel auf ihn zu. Mikko hob die Arme in einem sinnlosen Verteidigungsversuch, doch der Vogel bremste kurz vor ihm mit kräftigen Flügelschlägen ab, und landete, still, als sei gar nichts gewesen. So weit so gut. Oder auch nicht. Denn was das Pokémon nun von ihm wollte, dahingehend hatte er immer noch keinen blassen Schimmer. „Warum bist du nicht mehr im Pokémon-Center?“, hakte er nach, „Du siehst nicht wirklich fit aus...“ Diese Aussage beantwortete das Schwalboss mit einem empörten Ausruf, ganz als sei jeder Zweifel an seiner Stärke unbegründet, lächerlich und geradezu anmaßend. Mikko war wenig überzeugt. „Du solltest dich ausruhen.“, befand er, „Und dann... du bist doch wild... oder hast du einen Trainer?“, darauf erhielt er keine Antwort, nur einen ihm nichts sagenden sturen Blick. „Das mit gestern...“, begann er, aber irgendwie sah er nicht ganz ein, sich zu entschuldigen, schließlich war er es gewesen, der zuerst angegriffen worden war. Er zuckte mit den Schultern. „Mikko?“, er drehte sich um; sein Vater war ihm gefolgt, ebenso wie ein winziges Mauzi, das um seine Beine strich. „Weißt du, wo Schwalboss herkommt?“ Mikko hätte diese Frage gerne mit einem entschiedenen 'nein' beantwortet, aber so ganz hätte das wohl nicht der Wahrheit entsprochen. „Ich weiß nicht.“, war sein schwacher Versuch, „Irgendwie... ja.“, murmelte er. Sein Vater nickte und hob das kleine Katzen-Pokémon zu seinen Füßen hoch. „Also kümmerst dich darum.“, stellte er fest. Nur kam das für Mikko aber überhaupt nicht in Frage. „Aber es ist doch nicht mein Pokémon! Ich war nur zufällig im Wald als... also, als es mich angegriffen hat. Und dann ist dieses Lohgock aufgetaucht und sie haben gekämpft, und ich hab Schwalboss ins Pokémon-Center gebracht, aber das war's. Ich weiß nicht, warum es hier ist!“, er klang selbst für seinen eigenen Gescmack etwas zu dramatisch. „Aber nu isses nu mal hier, und es friert einem gleich die Zehen ab. Also schlag ich vor, du holst deine Jacke und bringst's wieder ins Center, hm?“, dann sah er auf, an Mikko vorbei in Richtung Straße. „Oh. Hast noch mehr Gesellschaft, wie's scheint.“ Er hatte so eine Vorahnung was genau ihm das Gesellschaft leisten wollte, und tatsächlich: er hatte sich kaum umgedreht, als er auch schon das inzwischen bekannte, tiefe Gurren des Lohgoks vernahm. Er konnte einen Seufzer nicht unterdrücken. Sein Blick wanderte von Lohgock zurück zu Schwalboss. „Okay. Komm.“, meinte er schließlich, denn sein Vater hatte Recht, das Pokémon gehörte ins Pokémon-Center, wo man es endgültig gesund pflegen konnte. Der große Vogel schüttelte zwar etwas widerwillig den Kopf, folgte Mikko dann aber ums Haus herum; niemand war davon mehr überrascht als Mikko selbst, denn welchen Grund hatte das Pokémon schon, auf ihn zu hören? Vorne erwartete ihn sein Vater mit Schal und Jacke. „Scheint doch 'n lieber Kerl zu sein.“, befand er mit einem Nicken in Richtung Schwalboss. Mikko zuckte mit den Schultern und schlüpfte in seine Winterjacke. „Weiß nicht so wirklich.“, antwortete er unwillig und machte sich auf den Weg, nachdem er sich vergewissert hatte, dass seine Pokémon-Gefolgschaft noch da war. Wie das aussehen musste, dachte er, Lohgock und Schwalboss folgten ihm wie zwei zu groß geratene Hündchen. Er war ganz froh, dass der Weg zum Center nicht weit war – Wiesenflur war eben eine recht kleine Stadt – denn Schwalboss sah mit der Zeit nicht eben besser aus, lediglich seine Sturheit trieb es weiter, so viel war offensichtlich. Ein weiterer kleiner Gefallen den ihm das Schicksal tat war, dass so früh am Morgen noch kaum jemand unterwegs war, der ihn und seine merkwürdige Begleitung hätte sehen können, das war immerhin etwas. Er gähnte und fuhr sich mit den Fingern durch die wilde schwarze Bettfrisur, aber da war nicht viel zu machen, seine Haare sahen ja selbst nach Bürstenbearbeitung noch wie ein Wischmob aus (sagte zumindest seine Mutter). Trotzdem sah er wohl noch besser aus als Schwalboss. Vor dem Center fütterte Schwester Joy eben einen kleinen Schwarm Schwalbinis, doch diese Arbet verlor augenblicklich an Priorität, als sie Schwalboss entdeckte. „Da ist es ja!“, rief sie mit einer Mischung aus Freude und Sorge und die Schwalbinis flatterten zeternd auseinander. Schwester Joys strenger Blick landete auf Mikko. „Ich dachte, es sei nicht dein Pokémon.“, merkte sie kritisch an während sie sich dem verletzten Pokémon widmete und es ins Innere des Centers brachte. Mikko folgte ihr, Lohgock dicht auf den Fersen. „Ist es nicht.“, erkärte er mit fester Stimme und es war Zufall, dass Schwalboss gerade in diesem Moment protestierend kreischte, „Es ist heute morgen bei mir zu Hause aufgetaucht...“ Aber wie schon beim letzten Mal war der Schwester auch dieses Mal die Pflege des Pokémons weit wichtiger als seine Erklärungen und er wurde ignoriert, was vielleicht auch ganz gut so war. Er folgte ihr zwar ins Behandlungszimmer, blieb aber still während sie ein heilendes Spray auftrug. Lohgock machte einen gurrenden Laut, der Mikko beruhigend vorkam. Unwillkürlich lächelte er, als er das Feuer-Pokémon ansah. „Weißt du, warum Schwalboss mir folgt...?“, fragte er leise, nicht wirklich eine Antwort erwartend. Eljas' Pokémon sah erst zu Schwalboss hinüber, dann zurück zu Mikko. Und nickte. Mikkos Augen weiteten sich überrascht. „Aber... hatte Eljas denn ein Schwalboss?“ Sofort bereute er es, den Trainer erwähnt zu haben, denn der Ausdruck von Trauer der sofort in Lohgocks Gesicht trat war zu deutlich, um übersehen zu werden. Schwach schüttelte es den Kopf. „Lohgock, Loooh.“, machte es, doch Mikko hatte keine Ahnung, was es ihm sagen wollte. Dann deutete es auf Mikko, wie schon gestern im Wald. „Loh!“ „Was soll mit mir sein...?“ Doch Lohgock blieb ihm die Antwort schuldig, denn in diesem Moment hatte Schwester Joy die Behandlung beendet und wandte sich an Mikko. „Du solltest wirklich besser auf dein Pokémon acht geben.“, sagte sie, „Am besten du bleibst ein bisschen hier, sonst macht es sich am Ende wieder auf die Suche nach dir.“, und mit einem missbilligenden Blick ließ sie ihn mit den zwei Pokémon allein. Schicksalsergeben ließ er sich auf dem Stuhl neben Schwalboss' Krankenbett nieder und musterte das nun schlafende Pokémon. Es hatte schon etwas erhabenes, selbst jetzt wo es erschöpft schlief, gab er innerlich zu. Die dunkelblauen Federn sahen schon besser aus und der scharfe Schnabel und nicht zuletzt die Krallen wiesen es als ausgezeichneten Kämpfer aus. Vorsichtig streckte er die Hand aus und strich über die dunklen Federn von Schwaboss' angelegtem Flügel. „Und was soll ich mit ihm machen?“, griff er sein Gespräch mit Lohgock, wenn man es denn als solches bezeichnen konnte, wieder auf, „Ich weiß gar nicht, was ich mit so einem Pokémon anfangen soll...“ Lohgock machte eine ruckartige Bewegung mit den Armen, wie eine Reihe von Schlägen. „Kämpfen?“, ein entschiedenes Nicken seitens Lohgock. „Ich bin kein Trainer, und ich will auch keiner sein.“, diesen Satz hatte er schon so oft gesagt, dass er sich wie eine leere Formel anfühlte. „Loh. Looohgock.“, widersprach das Feuer-Pokémon mit fester Stimme. Großartig. Wie kam er eigentlich in solche Situationen? „Tut mir leid. Aber da müsst ihr euch schon jemand anderen suchen.“ Das schien Wirkung zu zeigen, denn Lohgock sagte nichts mehr, sondern verließ das Zimmer. Nun, das war eins; blieb noch die Sache mit Schwalboss, dann war die Angelegenheit geklärt. Aber erst mal blieb ihm wohl nichts anderes übrig als zu warten, bis Schwalboss aufwachte. Er hatte gedankenlos vor sich hingedöst, als ihn Schwalboss' inzwischen vertraute laute Stimme aus seinen inhaltlosen Tagträumen riss. Er schreckte hoch; von draußen fiel kein Licht mehr ins Zimmer, dafür war unter der Tür zum Flur ein schmaler Lichtstreifen zu sehen. Hatte er etwa den ganzen Tag hier gesessen!? Er streckte sich und seine protestierenden Muskeln bestätigten den Verdacht. Die digitale Uhr zeigte ihm an, dass es kurz nach fünf war. Schwalboss sah entscheidend besser aus und betrachtete ihn aus wachen, aufmerksamen Augen. „Es geht dir besser, ja?“, er war ehrlich erleichtert, „Dann magst du doch sicher zurück in den Wald, nicht? Ich meine, jetzt wo du wieder gesund bist...“ Das Pokémon schüttelte mit dem Kopf und schlug zwei mal vehement mit den Flügeln. Ein klares 'nein'. „Aber...“, wie sollte er ihm das nur begreiflich machen?, „Warum ich!?“, entfuhr es ihm schließlich mit all der angesammelten Frustration der letzten zwei Tage. Darauf hatte Schwalboss wohl auch keine Antwort, oder sein Ausruf war einfach keine solche wert. „Ich mein doch nur... wenn du einen Trainer willst, die würden Schlange stehen für dich! Nehm ich an.“ Bevor Schwalboss darauf reagieren konnte öffnete sich erneut die Tür und ein Mikko wohl bekanntes Feuer-Pokémon betrat das Zimmer. Lohgock sagte nichts, hielt Mikko lediglich eine zur Faust geballte Pranke entgegen. Als der Junge es bloß fragend ansah griff Lohgock ungeduldig nach seinem Arm und ließ aus der zuvor geballten Faust ein kleines rundes Objekt in seine Hand fallen. Es war ein Pokéball, wenn auch ein ziemlich lädierter, verkratzt von offensichtlich regem Gebrauch. Mikko war sich nicht sicher, was genau Lohgock ihm damit sagen wollte. Wessen Pokéball war das, und wo hatte das Pokémon ihn aufgetrieben? „Lohgock...“, begann er, doch in diesem Moment ließ es einen letzten Ruf erklingen, bevor es ohne Widerstand in eben jenen Pokéball zurück kehrte, den Mikko in der Hand hielt. Seine Augen weiteten sich, denn niemand außer dem Trainer eines Pokémons sollte es in seinen Ball zurück rufen, und mit diese Erkenntnis machte ihm ein für alle mal klar, was Lohgock von ihm wollte. Und vielleicht auch, was Schwalboss wollte. Aber das konnte er ihnen nicht geben... oder? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)