Das Dämmern der Morgenröte von Seremia (Die Anfänge des Bundes der Morgenröte) ================================================================================ Kapitel 2: Eine schwermütige Vergangenheit ------------------------------------------ „Das ist zu gütig von Ihnen, Miss, jedoch…“ „Nein, ich bestehe darauf, bitte..." sie trat bei Seite, mit ausgestreckter Hand der offenen Tür zugewiesen "...tritt ein! Unser Gästezimmer ist gemütlich und bereits gewärmt. Außerdem ist es bereits zu dunkel um sich um diese Uhrzeit in den Gassen Nevassas herumzutreiben." Leicht besorgt nahm sie ihre vorherige Stellung wieder ein. Die Frau trat dann ein wenig aus der Tür heraus und blickte sich um. Ihr ansehliches Haus war von dichten, hohen Tannen umgeben, die in dem Dunkel der Nacht aussahen wie zottelige, schwarze Monster. Die kühle Herbstbrise wehte durch die vielen Arme der Riesen und ließ sie rauschen. Eine unangenehme Stille machte sich breit. "Die Banditen suchen sich jeden erdenklich günstigen Zeitpunkt aus in der die Besatzungstruppen nicht in den Nebengassen patrouillieren, um ihre Opfer ausbeuten zu können.“ Sie schauderte. Nach einer Pause fing sie wieder an. Dabei schlich sich ein verführerisches Schmunzeln wieder auf ihre Züge. „Und wir wollen ja nicht, dass das mit dir passiert, Hübscher!“ sprach sie und zwinkerte ihm dann zu. Die noble Frau, die am Eingang ihres wohlhabenden Hauses stand, schien sich einen Narren an den jungen Mann vor sich gefressen zu haben und versuchte ihn davon zu überzeugen, bei ihr zu bleiben. Vielleicht bekommt sie ja eine Chance, ihn näher kennen zu lernen… Von ihrem Erscheinen schien sie eine Frau mittleren Alters zu sein. Ihr dunkelbraunes Haar war in einer Hochsteckfrisur zusammengebunden, eine silberne Nadel gespickt mit Edelsteinen schmückte es. Das Gesicht war gepflegt und geschminkt, Rouge zierte ihre Wangen und ihre Wimpern waren getuscht. Eitel bekleidet mit einem edlen Pelzmantel und dunkelroten Seidenhandschuhen stand sie am Eingang des großen Hauses und bewarf ihn nur mit Werbesignalen. Ihm jedoch schien es nicht aufgefallen zu sein oder er zeigte sich unwissend. Im hellen Schein der Abendlaterne konnte man den jungen Mann gut erkennen. Seine leicht blasse Hautfarbe stand im Kontrast zum Dunkeln um ihn herum, ebenso wie seine gelb-blonden Haare leuchtete sie im Laternenschein. Sie fielen ihm an einer Seite ins Gesicht und an der Seite leicht herunter. Hinten war der obere Teil seiner Haare in einen Halbzopf zusammengebunden, der Rest seiner Haare hing ihm unter dem kleinen Pferdeschwanz etwas mehr als schulterlang den Rücken runter. Man musste sagen, dass er im Ganzen ein gut aussehender,hübscher junger Mann war. Seine Statur war hoch gewachsen und im Vergleich zu einem Mann mit normalen Maßen gesehen, vergleichsweise zierlich. Sein Gesicht war mit sanften Charakterzügen gezeichnet und er hatte ein schmales Kinn, ein wenig feminin konnte man denken. Man konnte darauf deuten, dass er im ungefähren Alter von zwanzig Jahren stand. Seine dunkelblauen Augen von der Frau abgewandt, wusste er nicht, was er auf ihre Anfrage erwidern sollte. Es wäre unhöflich gewesen, ein solch freundliches Angebot abzulehnen, doch fühlte er sich wohl, wenn er dennoch akzeptierte? Einmal ist ihm diese Situation bereits vorgefallen und diese Dame hatte alles daran gesetzt, sich ihm zu nähern. Es war eine äußerst unangenehme Situation, um es mild auszudrücken. Es ist wahr, es war gefährlich um diese Uhrzeit noch in den Gassen herumzulaufen. ‚Doch wird es wahrscheinlich nur gefährlicher um meine Unschuld ergehen, wenn ich mich länger in ihrer Umgebung befinde’ dachte er sich, halb mit Scherzhaftigkeit wie blanker Erkenntnis. Ihm passierte das recht oft, dass die Frauen ihn zu sich nach Hause einladen möchten. Sie boten ihm Spirituosen an, womöglich um seine Gedanken zu vernebeln. Doch er lehnte Alkoholisches stets ab. Er entschied sich: „Ich danke Ihnen vielmals für Speis und Trank, doch wird es nun Zeit für mich zu gehen. Und sorgen Sie sich nicht um mich, es wird mir nichts zustoßen.“ „Gut, wenn du meinst…“ schnappte die Dame leicht auf, fast unbemerkt, bevor sie ihre vorherige Haltung wieder einnahm „Komm zu mir, wenn du etwas brauchst, Süßer… Apropos, du hast doch auch einen Namen, nicht?“ ‚Nachdem sie mich eigenhändig auf die Namen „Hübscher“, oder „Süßer“ getauft hat, ist sie nun doch zu diesem vernünftigen Entschluss gekommen, nach meinem Wahren zu fragen,’ ließ er sich erleichtert durch den Kopf gehen, mit der Hoffnung, endlich diese schaudernden Kosenamen von sich abwenden zu können. „Leonard, Miss“ „Oh, was für ein edler Name!“ Nun musterte sie Leonard von Kopf bis Fuß und legte dabei ihre Hand an den Mund. Nachdenklich setzte sie wieder an zu reden, jedoch leiser als zuvor. „Hmm, jetzt wo ich darüber nachdenke kannte ich ebenfalls einen Leonard, Sohn einer Freundin von mir, der mit ihr in einem Vorstadtgebiets Nevassas wohnte. Ein hübscher kleiner Adelssohn..." Sie hielt kurz inne. "Und wenn ich dich so ansehe, sieht er dir sehr ähnlich...“ Es erschien als überkam sie eine Traurigkeit, bevor sich die Augen der Dame langsam weiteten. Kann es sein…“ entgegnete die Frau ihm, doch bevor sie erneut ansetzen konnte, unterbrach er sie. „Nein, Miss, das mag ein Zufall sein, doch ich bin nicht von solch hohen Kreisen. Wenn ihr mich entschuldigt, es ist bereits spät. Ich vermag euch nicht länger zu stören. Einen erholsamen Abend wünsche ich euch.“ Sobald er sich zum Abschied leicht verbeugt hatte, wandte er sich von ihr ab und lief mit schnellem Schritt eine willkürliche Gasse hinunter, die er vor sich erstrecken sah. Überrascht von seiner raschen Reaktion hob sie noch einmal die Hand, doch hielt sie sich zurück. Sie respektierte seine Entscheidung gehen zu wollen. "Vielleicht war ich ein wenig zu aufdringlich..." dachte sie sich enttäuscht. Seinen Blick in die Ferne gerichtet, sah er nicht mehr die dunklen Gassen vor sich. Er schüttelte seinen Kopf. Nicht noch einmal möchte er an seine Herkunft erinnert werden. An diese Bilder der Vergangenheit. Und an den einen Tag, an dem sich sein ganzes Leben auf einen Schlag änderte… Es war eine wundervolle Sommernacht, die Leonard mit seiner Verwandtschaft bei einem typischen Familientreffen verbrachte, wie sie einmal im Jahr abwechselnd bei den verschiedenen Anwesen veranstalten wurden. Diesmal war der Treffpunkt die Villa seines Onkels, an einem wundervollen und abgeschiedenen kleinen See. Seine Familie war nicht sonderlich groß, dachte er. Hier einige Cousins und Cousinen, Tanten da und Onkel hier. Doch er selbst hatte keine Geschwister. Die Villa war prachtvoll mit Verzierungen, Malereien und Reliefs an den Wänden geschmückt und die Fenster des Speisesaals mit den langen Gardinen waren dreimal so hoch wie er selbst. Ein Kronleuchter hing über dem langen Tisch und die Kerzen darauf ließen das Kristallglas in alle Farben schimmern. Mittlerweile befanden sich nur noch seine Erwachsenen Verwandten im Haus. Die Kinder spielten im Vollmondschein auf einem mit Fackeln beleuchteten Wiesenplatz. Deren Ball flog rauf und runter, gelegentlich befleckte er den großen Mond. Das Lachen der Kinder wie der Erwachsenen erfüllte die ruhige Nacht. Es war eine angenehme Atmosphäre in der Luft, als alle deren gemeinsame Zeit zusammen genossen. Leonard entschied sich, von den Treppen der Veranda aus den Kindern einfach nur zuzusehen. Er hatte kein sehr gutes Verhältnis zu den meisten seiner Cousins und Cousinen, da sie ihn oft hänselten und für deren kindischen Unfug missbrauchten. Es war ihm einfach nur zu dumm. Er willigte nie ein, Jemandem aus seiner Verwandtschaft eine Nadel auf den Stuhl zu setzen oder einen Eimer voll Wasser auf die Tür zu stellen, da er das für sinnlos hielt. Die Kinder sahen ihn deshalb als einen Spielverderber an und luden ihn nicht mehr zum Spielen ein. Nicht, dass er das nicht wollte, er war einfach ein anständiges Kind gewesen, das nie viel von miesen Streichen hielt. All das fand er einfach nur irrelevant. Leise Schritte näherten sich ihm von hinten, als sie auf einmal verstummten und er eine Gestalt aus seinem Augenwinkel neben sich erkannte. „Na, Leonard, wieder am Nachdenken?“ Er würde diese Stimme aus tausenden wiedererkennen. Es war sein Lieblingscousin, William, mit einem Bogen in der einen Hand, die andere locker in der Hosentasche seines Traininganzuges steckend. Nachdem Leonard zu ihm aufschaute, wandte er seinen Kopf wieder den Kindern zu, legte ihn in beide seiner Hände zurück und seufzte. „Warum nur bin ich so anders als die Anderen? Warum kann ich nicht auch so froh sein wie sie, was ist so falsch an mir?“ fragte er leise, mit einer Spur Enttäuschung in seiner Stimme. Die Kinder lachten vergnügt, als der Kleinste unter ihnen den Ball aus den Büschen holen musste. Sein Cousin William setzte sich neben ihn und blickte zum silbern leuchtenden Vollmond hinauf. Heute schien er besonders groß zu sein. „Dass man anders ist, muss nicht bedeuten, dass man schlechter ist als die anderen, falls du das denkst. Man denkt nur auf seine eigene Weise. Du bist anders, ja, aber du vertrittst einfach eine eigene Meinung zu deren Schabernack als deine kleinen Verwandten.“ Leonard musste leicht in sich hineinlachen. „Wir sind zwar Verwandte, aber ich bezweifle, dass sie sich aus freien Stücken mit mir anfreunden wollen" erwiderte er daraufhin. Neben ihn hörte er William einen leichten Seufzer ausstoßen. „Leonard, du erinnerst mich an mich selbst zu meiner Zeit als ich auch so alt war wie du. In der Schule trieben unsere Klassenkameraden ständig einen Unfug mit den Lehrern. Ich hielt es einfach nur für dumm. Doch um Freunde zu finden muss man sich nicht unbedingt ändern. Man muss nur welche finden, die so denken wie einer selbst. Welche, die dich so akzeptieren, wie du bist. Wenn sie das nicht tun, dann sind es meiner Meinung nach keine wirklichen Freunde“ Er wandte seinen Kopf zu Leonard, der weiterhin ernst und nachdenklich nach vorne blickte. Dann schlich sich ein Schmunzeln auf Williams Gesicht. "Doch das Leben muss nicht immer ernst sein, man muss sich auch offen für diesen und jenen Spaß geben, weißt du? Manchmal tut es einfach gut, sich auch mal absurden Sachen hinzugeben.“ Daraufhin schaute Leonard zu ihm auf. „Hast du…“ setzte er an, ein wenig ungläubisch. „Ja, aber nur einmal, es war ein harmloser Streich.“ Er lachte an den Erinnerungen leicht auf. Leonard konnte bei dieser Aussage nur wieder seufzen. 'Sie sind alle so unbeschwert, was so was betrifft. Ich wünschte, ich wäre es auch.’ William hatte eine gewisse Ähnlichkeit mit seinem Onkel, nicht nur in der Persönlichkeit, sondern auch im Aussehen. Er hatte glatte, schwunglose hellblonde Haare, dessen Pony gerade über seinen Augen endend geschnitten war und an seinen Schultern abgrenzend ebenfalls gerade stand. William war schon recht groß für seine fünfzehn Jahre, bemerkte er. Hellbraune Augen zeigten ihm Verständnis, als er ihm ein Lächeln gab und seine Hand auf Leonards Schulter legte. „Du bist einfach ein wenig erwachsener als die Anderen, dass du das ganze Herumalbern für nicht nötig empfindest, deswegen aber mache ich dir keine Vorwürfe. Jeder ist, wie er ist.“ Nach diesen Worten fühlte sich Leonard viel leichter. Und gerade deswegen mochte er William am liebsten. Er war der Einzige, der ihn verstand. Leicht lächelte er zu sich selbst. Dann schweifte sein Blick auf den Bogen, den sein Cousin in der anderen Hand hielt. „Sag mal...William?" fragte er leise. Die gesagte Person wandte seinen Blick zurück auf ihn, bevor Leonard weitersprach. "Kannst du mir paar Schüsse mit deinem Bogen zeigen?“ fragte er ihn, auf einmal große Begeisterung aufbringend. Er war schon immer fasziniert von den Fähigkeiten seines Cousins als Bogenschütze. Irgendwann mal wollte er auch so sein wie William. „Klar kann ich das!“ entgegnete er ihm aufgemuntert durch seine Frage. Niemanden schien seine Aktivität zu interessieren, außer Leonard. Deswegen war auch Leonard Williams Lieblingscousin. „Haha, ich kann verstehen, dass es für dich noch ein wenig zu schwer ist. Die Bogenstärke ist zu groß!“ lachte William auf, als der kleine Leonard sich an einem Schuss auf die Zielscheibe vor sich versuchte, aber kläglich scheiterte und der Pfeil, bevor er das Ziel erreichte, in den Boden sank. Schmunzelnd stand er neben seinem kleinen Freund, als er ihn üben sah. Dann fiel ihm etwas ein. „Warte einen Augenblick Leonard“ und mit diesen Worten verschwand er in das Haus um etwas zu holen. Verwundert über seine schnelle Reaktion fragte Leonard sich, was er vorhatte. Abgesehen dessen zog er weiterhin angestrengt an der Sehne des Bogens, um seine Fähigkeiten zu verbessern. Nicht allzu lange dauerte es und William kam wieder. Er hielt einen in einem purpurnen Satin-Tuch umwickelten, langen Gegenstand in seinen Armen und schritt damit heiter auf Leonard zu. Neugierig, was er da versteckt hielt, überlegte er sich was das sei konnte. Er hatte eine kleine Vorahnung. „Was ist das?“ fragte er schließlich, bevor er es von William langsam vor sein Gesicht gestreckt bekam. „Es ist für dich!“ Und er reichte es dem kleinen Leonard vorsichtig rüber. Als er den Gegenstand von dem Tuch auswickelte, weiteten sich seine Augen und wandte sie ungläubig seinem Cousin zu. „Das ist wirklich für mich?“ brachte er mit Erstaunen heraus. „Ja, für dich. Das war mein erster Trainingsbogen, als ich so alt war wie du hab ich ebenfalls angefangen mit dem Bogen zu trainieren.“ Lächelnd schaute er Leonard dabei zu, wie er den schimmernden Bogen in seinen Händen bewunderte. Er war aus einem besonders biegbaren, rötlichen Holz gefertigt. Die stählenden Enden, die den Strang hielten, waren glänzend poliert und in bester Verfassung. Er hatte nicht einen Kratzer… William musste besonders gut auf ihn aufgepasst haben, bemerkte Leonard. Erstmals sprachlos über das unerwartete Geschenk öffnete er seinen Mund, um etwas zu sagen, doch es kam erstmals nichts dabei raus. „Ich weiß wirklich nicht…es ist echt…Danke sehr!“ war das einzige, was er letztendlich nach dem Stammeln herausbrachte. Ein breites, kindliches Lächeln zierte sein Gesicht, eines, das man sehr selten in seinen Zügen sah. Es freute William, ihn so fröhlich zu sehen. Mit großer Motivation versuchte er sich wieder an sein Ziel vor sich. Den Köcher an seinen Rücken angebracht, holte er mit der rechten Hand daraus einen Pfeil und legte ihn, wie es ihn William vorhin beigebracht hatte, an. Konzentriert auf die Zielscheibe vor sich versuchte er das Freudenzittern zu unterdrücken und peilte den roten Punkt in der Mitte an. So fest er kann zog er an dem Strang, Pfeil fest anliegend Dann schoss ab. Mit einer unübersichtlichen Geschwindigkeit sauste der Pfeil durch die Luft…und an der Zielscheibe vorbei in Richtung der Hecken. 'Upps!...' dachte er sich dabei und blickte verdutzt in die Büsche vor sich. Unerwartet erfüllte ein schmerzvoller Laut den Bereich der Hecken, gefolgt von einem lauten Rascheln, bevor ein anderer laut aufschrie: „Sie haben uns entdeckt!“ Gleich daraufhin sprangen drei bewaffnete Männer aus jeder Richtung aus den Büschen auf sie zu. Leonard, wie zur Salzsäule erstarrt, begriff nicht, was vor sich ging. Was war das für ein Geräusch? Hatte er etwa…jemanden getötet? Er war vollkommen verwirrt. Was machten diese Männer hier? Und wie lange waren sie schon in den Büschen versteckt? Noch eben hatte er harmlos mit dem Bogen trainiert und dann... Auf einmal wandelte sich alles. Es ging alles viel zu schnell… „Leonard, lauf!“ Schrie William ihn zu. Das weckte ihn aus seiner Trance und ohne darüber nachzudenken tat er, wie ihm befohlen wurde. Doch wohin? 'Ich weiß!' Er musste zu Williams Vater und ihm bescheid sagen, dass Banditen aufgetaucht sind. Als Schwertkämpfer ist er der Einzige neben William, der dem Umgang mit einer Waffe vertraut ist und helfen kann. „Bleibt ja stehen wo ihr seid, oder mein Pfeil spießt euch den Schädel auf!“ drohte William den Banditen, wenn sie es wägen einen Schritt nach vorne zu setzen und wechselte die Spitze hastig zu jeden von ihnen. Er war von ihnen umzingelt und wusste, dass er damit nur Zeit schinden würde. „Du mit welcher Armee?“ lachte der kräftig gebaute Bandit auf, den Griff um sein Schwert festigend. Seine Augen blitzten leicht auf, als er neben den Jungen blickte. Dann sah er wieder auf William zurück und grinste. 'Wieso grinst er?...Moment!' „Das Spiel ist aus, Kleiner!“ schrie ein weiterer Bandit hinter ihm und hob sein Schwert in die Luft. Kurz blitzte es im Fackelschein, bevor es mit einem Hieb hörbar die Luft schnitt. Ein lauter Schrei erfüllte die lauwarme Vollmondnacht. „Onkel Georg!“ schrie Leonard so laut er kann, und stand leicht außer Atem an der großen Tür der Veranda. Das fröhliche Gelächter und die Unterhaltungen ebbten davon, als seine Verwandtschaft die sonst so ruhige Stimme Leonards als Schrei vernahm. Die gesagte Person im Speisesaal stand auf und wandte sich ihm zu. „Was ist los, Leonard? Ist etwas passiert?“ fragte er besorgt. „Banditen greifen an!“ Mit einem Stahlschwert in der Hand lieferte sich Georg einen erbitterten Kampf mit den Banditen. Die vorher so ruhige Atmosphäre wurde mit dem Klingen von Schwerthieben wie Kampfschreien erfüllt. Er alleine würde sie nicht aufhalten können… „Lauft weg! Ich kümmere mich um diese Kerle! Bringt euch in Sicherheit!“ brachte er noch heraus, bevor er einen weiteren Hieb des Gegners blockte und zu parieren versuchte. Zögernd stand seine Frau noch am Hintereingang des Speisesaals. Was, wenn ihr Mann es nicht schaffen wird? Ihre Beine zitterten, doch ihr gelang es nicht, sich in Bewegung zu setzen. Auch die Kinder waren zu sehr geschockt und waren in einer Starre gefangen. Sie begriffen nicht, was vor sich ging. Leonard war im Zwiespalt, ob er seinem Onkel Georg helfen sollte, indem er den attackierenden Banditen mit einem Pfeil aus seinem Bogen abschieße. Doch konnte er es nicht riskieren ihn zu treffen. "Was soll ich nur tun?" ging es ihm verzweifelt durch den Kopf, als er das Szenario betrachtete. Plötzlich ertönte hinter ihm aus den Hecken der Abgrenzung ein weiteres, leises Rascheln, als Leonard die andern sofort warnte: „Passt auf, hinter euch!“ schrie er auf, doch es war zu spät. Ein weiterer Mitstreiter der Banditen ist aus dem Busch auf seine Tante zugesprungen. Mit einer Keule schlug er auf den Kopf der Frau ein, als sie zu Boden zusammensackte, weitere Banditen packten die Kinder mit einem groben Griff und banden jeden von ihnen fest. Sie schrieen vor Angst, der Kleinste unter ihnen weinte bitterlich mit lautem Schluchzen. Mit seinem Schwert schlug er neben ihnen auf den Boden und blickte sie verhasst an. „Haltet die Klappe, oder ich verpasse euren gepflegten Visagen einige farbige Tönungen!“ schrie er die Kinder an, denen vor Angst sofort im totalen Schock seiner Drohung der Atem stockte. Leonard stand in einem dunklen Teil des Gartens neben einer Hecke und beobachtete das Geschehen, der einzige Gedanke durch seinen Kopf schwirrend: Was sollte er nur tun? Er hatte eine Waffe in seinen Händen und konnte nicht einmal einen seiner Familie retten, doch... ‚William!’ Er erinnerte sich, wo sie sich zuletzt befanden und rannte zurück zum Hinterhof des Hauses zu den Zielscheiben. Die Banditen waren mit dem Kampf an der Wiese und den anderen seiner Familie beschäftigt. ‚Mit ihm haben wir vielleicht eine Chance… Ich komme gleich zurück um euch zu helfen, bitte haltet durch!’ dachte er, unwillig seinen letzten Funken Hoffnung diesen Kampf zu überstehen, aufzugeben. Daraufhin rannte er so schnell ihn seine Füße tragen konnten. Er konnte nicht glauben, was da passierte. Es war alles wie ein Alptraum, ein schrecklicher Alptraum… Vor einigen Minuten war alles noch so friedlich gewesen. Das vergnügte Lachen der Kinder wurde durch das grauenerfüllte Schreien ersetzt. Die Unterhaltungen der Älteren sind dem Klingen der Schwerter seines Onkels erliegen. Seine ruhigen Gedanken wie Atemzüge wichen dem hektischen Herzrasen und Keuchen, als er zu dem Zielscheibenplatz rannte. „William! William, da sind noch m-“ Leonard blieb abrupt stehen. Da lag Jemand im Gras. Langsam näherte er sich ihm. 'Was?....Wer...Nein. Das kann nicht sein…’ Länger verharrte er im Stehen, als er die Person betrachtete. Seine Augen weiteten sich langsam im Schock, als die Erkenntnis einschlug. Da lag William. Auf den sonst mit Tau benetztem Gras überflutete Blut den Boden. Seine Klamotten waren vollkommen mit der roten Flüssigkeit voll gesogen. Er konnte es nicht glauben. ‚Das alles ist ein Traum, nicht? Ich werde gleich aufwachen und…’ Langsam lief er weiter auf seinen reglosen Körper zu und legte eine Hand auf seinen aufgeschlitzten Oberkörper. Die Wunde war tief und verlief quer bis zu seinem Hals hin. Seine Halsschlagader wurde aufgeschnitten. Als er realisierte, dass sich alles so real anfühlte, bemerkte er nun endlich, dass all dies kein Traum war. Ein krabbelndes, stechendes Gefühl stieg ihm in die Magengegend, als er fühlte wie sein Blut vor Schock nach unten sank. Schnell drehte er sich von seinem toten Körper weg. Er musste brechen. Auf einmal erfüllten weitere Schreie das Anwesen. 'Georg!…' Es schien als sei Georg ebenfalls etwas zugestoßen. Was sollte er tun? Er war nicht stark genug, um ihnen zu helfen. Doch er könnte seine Familie nicht einfach so im Stich lassen! Aber sich den Banditen zu stellen wäre reinster Selbstmord. Mord…sie würden getötet werden… Leonard hatte Angst. Er wird auch getötet werden wenn er jetzt nicht fliehen würde. Er musste sich entscheiden. Leben, oder Tod. Ein letztes Mal wandte er seinen Blick zu William und betrachtete seine reglose Form. Mit seinen Augen weit aufgerissen lag er da, seine Hand schien noch nach etwas greifen zu wollen als sie nun in der Pfütze seines Blutes lag. Das Gesicht war leichenblass. Sein Mund war noch leicht geöffnet als schien es, dass er noch ein letztes Wort ausrufen wollte. ‚Lauf…’ Diesen Anblick konnte er nicht länger ertragen, als er das Verlangen hatte sich ein weiteres Mal zu übergeben und versuchte aufzustehen. Die Beine zitterten und sein ganzer Körper war wie Gummi. Er richtete sich nun ganz auf und setzte an zum Rennen. Er musste weg von hier, egal wohin, nur weg… Leonard konnte nichts für sie tun, er war zu schwach. Und nie wieder würde er seine Familie wieder sehen. ‚William…’ Er fing an zu rennen, wohin, wusste er nicht, aber selbst nach so langer Zeit schien er nicht ganz über diesen Tag hinweg gekommen zu sein. Er wird ihn wahrscheinlich nie vergessen. Das Einzige, was er nun vor sich sah, waren die ganzen Hecken und Büsche aus seiner Vergangenheit, die aus dem Grundstück der Villa führten… Nachdem er realisierte, was er eigentlich tat, haltete er seine Schritte, bis er wieder langsam lief und sein Atem ging schneller als er sich fragte, wie lange er gerannt war. Und wohin. Leonard schaute sich um. In dem Viertel, in dem er sich gerade befand, waren die meisten der Häuser halb zerstört und heruntergekommen. Eine Ratte nagte an den Knochen eines toten Tieres, die Augen einer Katze blitzen in einer Seitengasse auf, als beobachteten sie jeden seiner Schritte ins Genaueste. Leise loderten die Flammen der Fackeln an den Wänden, die die dunklen Gassen Nevassas spärlich beleuchteten. Es gefiel ihm hier nicht. Leonard wusste nicht einmal, wo genau er sich in Nevassa befand. Seine derzeitige Unterkunft befand sich auf der anderen Seite über der Brücke in dem etwas belebteren Gebiet. Seitdem er nun eine feste Arbeit als Verkäufer hatte, konnte er sich nun eine gemäßigte Wohnung in der Mittelklasse leisten. Wasser jedoch musste er jeden Morgen von dem kleinen Fluss, der die Stadt durchzog, entnehmen, wenn er sich waschen wollte. Er dachte über seine Situation nach. 'Das Schicksal hat es wohl gut mit mir gemeint...' Im Vergleich zu dem, was er vor drei Jahren in dem Krieg zwischen Crimea und Daein hatte, ist dies ein Luxus. Er schüttelte sachte den Kopf, an diese Zeit mochte er sich nicht erinnern… Es war die Zeit, an der ein Jeder um das nackte Überleben kämpfte und die Essensrationen knapp waren. Plünderungen waren die Folge und viele lieferten sich ständig einen erbitterten Kampf. Auch er musste kämpfen, um sein Hab und Gut zu verteidigen, denn die Plünderer waren überall. Man konnte Niemandem mehr trauen. Es war ein schreckliches Gefühl vor einem zu stehen und nicht zu wissen, ob er einen gleich anfiel oder umbrachte. Das ganze Land war ein Schlachtfeld. Doch seit der Besatzung der Truppen aus Begnion begannen die Menschen sich gegen den gemeinsamen Feind zusammenzurotten und gaben sich die Chance, einander zu vertrauen. ‚Ein Paradox, wenn man bedenkt, dass sie unser Volk sowohl geschwächt, als auch gestärkt haben…’ dachte sich Leonard, als er sich auf dem Weg zu seiner Unterkunft machte. Unwillkürlich musste er nach oben blicken. ‚Die Sterne dieser Nacht sind besonders klar…’ merkte er, als er sie betrachtete. Ein friedliches Gefühl durchdrang ihn, als er das glitzernde Meer vor sich sah. Plötzlich blitzte eine große Sternschnuppe vorbei und zerschnitt die Milchstraße mit seiner Intensität. Leonard erschrak leicht, bevor er sich daran machte, sich einen Wunsch auszudenken. Dann hielt er inne. ‚Das ist doch absurd, eine Sternschnuppe kann keine Wünsche erfüllen…’ war sein nächster Gedanke. Doch dann kamen die Erinnerungen seiner Vergangenheit hoch. Genauso wie die Worte Williams an jenem Tag: „Das Leben muss nicht immer ernst sein, man muss sich auch offen für diesen und jenen Spaß geben. Manchmal tut es einfach gut, sich auch mal absurden Sachen hinzugeben.“ Unbemerkt zog sich ein sanftes Lächeln über seine Lippen. ‚Diese Schwermut…ich wünsche sie endlich überwinden zu können’ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)