Nachtlektüre von Sitamun (OS-Sammlung zu I/S) ================================================================================ Kapitel 1: Nachtlektüre ----------------------- Genre: Shounen-Ai, Lemon, Drama, Humor Summary: Für jede Nacht gibt es ein neues Buch zu lesen, jede Nacht ein neues bisschen Spannung, das dem Leben das gewisse Extra gibt. Eigentlich liest Senri nicht gerne, zieht es auch vor, die Nacht anderweitig zu verbringen, bis sein Zimmernachbar ihm ein Buch vorschlägt, das ihn nur zu neugierig macht. [Anm. d. V.: Der erste jämmerliche Versuch, ein wenig Humor einzubauen, das Genre, das ich für gewöhnlich am meisten meide. Deswegen ist der Schluss ziemlich gewöhnungsbedürftig >_>] - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Es war falsch. Fürchterlich falsch. Dieser Moment durfte nicht sein, hätte nie sein dürfen, weil es für ihn nie hätte einen Grund geben dürfen, der seine Existenz legitimierte. Es wiederholte sich immer wieder in seinem unnatürlich auffassungsfähigen Gehirn, das zu verstehen doch nicht in der Lage war. Beinahe fühlte er sich wie ein kleines Kind, das begriff, dass seine Eltern ihm die Erfüllung des momentan doch so wichtigen Wunsches verwehrten. Nur hörte der Augenblick des Begreifens nicht auf. Für ihn kam nicht die Erkenntnis, in der das Kind dann laut zu weinen anfing. Es war ihm nicht zu verstehen gestattet, dass der Moment doch war. Dass er trotz dieser unglaublichen Falschheit die geschlossene Tür anstarrte und noch immer glaubte, den kalten Wind auf seiner Haut zu spüren, den ihr Zuknallen verursacht hatte. Er war allein. Gänsehaut überzog ihn. Da waren so viele Beweise, unleugbare, die ihm das Gegenteil dessen bewiesen, was er nicht glauben wollte. Bewegungslos verharrte sein Blick schon für Minuten auf der dunklen Tür vor ihm. Keine sonstige Reaktion von ihm (und tief in den Bereichen seines Denkens, die sich nicht mit dem scheinbar Unbegreifbaren beschäftigten, wunderte es ihn nicht wirklich. Es war noch nicht alt, in den Jahren seiner Rasse gemessen ein fast volljähriger junger Mann, doch alt genug, als dass ihm Minuten etwas ausmachen würden). Irgendwo im Haus tickte eine Uhr, bloßes Hintergrundgeräusch, und sein Herzschlag hatte sich vollkommen mit dem Takt der Sekunden synchronisiert. Die Zeit verschmolz mit ihm, während er weiterhin ohne jedes Verstehen blieb. Erst als die Zeit selbst aus ihrem ewigen Takt fiel, nicht mehr mit seinem ruhigen Herzschlag übereinstimmte, die volle und neue Stunde mit einem lauteren, leicht verzögertem Geräusch ankündigte, begann er seine Gedanken wieder zu ordnen, zu verstehen, wie diese Fehler ins Leben gerufen wurde. Wer konnte nur so schreckliches begangen haben? Ohne sich auch nur einen Millimeter zu bewegen oder seinen Puls zu beschleunigen dachte er zurück an den Anbeginn dieser heutigen Nacht. Eine freie Nacht ohne Arbeit, weder für die Schule noch für die, die er während des elenden Tages ausführte. Wenn er gewollt hätte, hätte er sein Bett diese Nacht über nicht mehr verlassen müssen. Ihn drängten weder Tatendrang noch der Hunger und sein Bett war so verführerisch bequem. Für den Moment war er alleine in dem Zimmer, der andere war nicht hier, wenn auch definitiv in der Nähe. Er würde also auch nicht mit einem freundlichen und umsorgenden Lachen mit undefinierbaren Hintergedanken aus dem Bett geworfen werden. Wenn es ihm danach gelüstete, könnte er wieder einschlafen, die Nacht so wie den nächsten Tag verschlafen, wie er es mit dem letzten getan hatte. Doch Entscheidungen zu treffen war nie eine seiner Stärken gewesen und so blieb er bloß liegen, die Augen weiterhin geschlossen und nichts denkend, sich der Entscheidung auf seine persönliche Weise entziehend. Diese heutige Nacht bot ihm keinerlei Schätze, keine süßen Träume, die er allesamt im wachen Zustand erleben durfte. Ein Traum weniger – was war das schon? Nichts, was er in einer anderen freien Nacht wie der heutigen nicht auch erleben konnte. Er hörte die Schritte des anderen, der in diesem Zimmer wohnte und dessen Bett sicherlich schon vor Anbruch der Nacht leer gewesen war. Das kam öfters vor und es verwunderte ihn schon längst nicht mehr. Es gefiel ihm nicht, alleine aufzuwachen, obwohl er das in seinem eigenen Bett genau genommen Nacht für Nacht tat, aber er hatte gelernt, es hinzunehmen. Sich darüber aufzuregen hieß nur Ärger, den er sich eigentlich auch sparen konnte. Für so etwas banales Energie oder gar Emotionen zu verschwenden wurde dem alten Sprichwort, Perlen vor die Säue zu werfen, ziemlich gerecht. Die Schritte kamen näher, so anders als all die anderen, die er im Haus zu hören vermochte, ein besonderer Rhythmus, ein besonderer Klang, den er nicht in Worte fassen konnte, egal, wie lange er nach den richtigen suchte. (Er hatte das einmal in mehreren Wochen der langweiligen Unterrichtsstunden getan und war jede Nacht aufs Neue gescheitert, hatte es letzten Endes also dabei belassen und so hingenommen, dass die Besonderheit des anderen für ihn nicht in Worte fassbar war.) Aber das machte auch nichts. Worte brauchte man nur, um mit anderen zu kommunizieren. Für sich selbst waren Bilder und Gefühle gut genug und für wen als ihn selbst war diese Überlegung überhaupt gedacht? Die Schritte erstarben für einen Moment, als die Person vor der Tür stehen blieb, warum auch immer mit dem Eintreten zögerte. Doch dann hörte er das Rascheln von Papier. Eine Seite wurde umgeblättert, das Magazin aber nicht zugeschlagen. Er nahm an, dass der andere wohl zu sehr in den Worten vertieft war, als dass er auch nur einen weiteren Strang seiner Gedanken von ihnen losreißen wollte, der nötig war, um ohne aufzublicken die Tür zu öffnen. Wortlos, wenn auch mit einem hauchzarten Seufzen betrat er das nach wie vor abgedunkelte Zimmer, obwohl draußen die Nacht bereits längst herein getreten war. Bis hierhin war er sich sicher: Da war nichts Falsches. Das war alles normal, so wie es sein sollte. Nichts ungewöhnliches, was diese arbeitsfreie Nacht doch zu einer so stressreichen machen konnte. Er hatte die Augen nicht geöffnet, geschlossen gehalten als schliefe er wahrhaftig noch, aber der andere erkannte problemlos, dass er nicht mehr am Schlafen war. „Willst du nicht mal langsam aufstehen, Shiki? Wir haben schon fast Mitternacht.“ „ … keine gute Zeit zum Aufstehen …“ „Warum nicht?“ „Einfach so.“ Wenn er einfach liegen blieb, weder einschlief noch aufstand, löste sich das Problem, was er tun sollte, von ganz allein. Was er tun wollte, stand von vorneherein nie zur Debatte. „Willst du die ganze Nacht im Bett liegen bleiben?“ Da war kein Vorwurf in seiner Stimme, weder direkte noch indirekte Missbilligung, nur eine ehrlich gemeinte Frage. Das war richtig, völlig fehlerlos. So war der andere eben. „Warum sollte ich das wollen?“ Die Nacht so wie den vorangegangen Tag im Bett zu verbringen war kein Verlangen von ihm. „Du tust es doch.“ „Tue ich das?“ „Shiki.“ Ein schwacher Vorwurf, aber auch dieser war normal. Er stellte manchmal halt solche völlig unbedeutenden Gegenfragen, was in den meisten Fällen jedoch ein eindeutiges Zeichen dafür war, dass er nicht zuhörte und einfach nur monoton die Worte des Gesprächspartners als Frage formulierte. Dafür brauchte man nicht bewusst zuhören. Doch bei ihm, dessen Blick er nun auf sich spüren konnte, ohne es zu sehen, tat er dies eigentlich nie. Das gerade eben war zwar genauso unbewusst gewesen, doch er hatte jedem einzelnen Wort genau zugehört und das wusste der andere auch. Ein bisschen ärgern, fast mit neckischen Absichten. Er gehörte zu den allnächtlichen Unterhaltungen, die sie wann und wo auch immer führten. Mindestens ein Wort pro Nacht, das diesem Schema entsprach und gab es nur dieses eine, dann war es geschwängert von den tiefen Emotionen der Freundschaft, die die neckenden Bemerkungen erst erlaubte. „Noch mal: Willst du die ganze Nacht über im Bett bleiben?“ Der andere wiederholte die Frage ohne eine Spur der Ungeduld, nahm es einfach hin. „Ich weiß nicht, was ich will.“ Darauf folgte Schweigen – hatte er eine andere Antwort erwartet? Oder war sie ihm genauso gleich wie die vorherige? Hätte er den anderen sehen können, nur einen kurzen Blick in seine grünen Augen werfen können, dann hätte er gewusst, was in ihm vorging, doch seine eigenen Augen blieben geschlossen. Nur Dunkelheit. „Rima wartet unten auf dich.“ Guter Versuch. „Tut sie nicht.“ „Woher willst du das wissen?“ „Ich kann sie nirgends im Haus hören und außerdem kann ich deiner Stimme anhören, wenn du lügst …“ Er sprach leise, als wäre er wahrhaftig noch verschlafen und hätte es bitternötig, noch im Bett zu weilen. Rima, eine gute Freundin, mitunter auch seine beste, wenn er solchen Begriffen wie „gute“ oder gar „beste Freunde“ irgendeine größere Bedeutung zumessen würde, wartete wirklich nicht auf ihn. Arbeitsfrei hieß für gewöhnlich, sie die Nacht über, wenn überhaupt, nur zufällig zu sehen. Das störte weder sie noch ihn. Und selbst wenn sie gewartet hätte, dann nicht bis Mitternacht; so viel Geduld konnte sie nicht einmal für ihn aufbringen. „An meiner Stimme? Willst du etwa sagen, dass du mich so oft hast lügen hören?“ Jeder von ihnen, der er in diesem Haus lebte und diese Schule besuchte, log mit seiner bloßen Anwesenheit. Lügen gehörte zum Alltag. Oder Allnacht. „Ich hab dich so oft die Wahrheit sprechen hören.“ Aber diese Aussage schloss die andere nicht aus. „Und wie klingt meine Stimme, wenn ich lüge?“ Doch es war dasselbe Prinzip, mit dem er die Schritte des anderen von allen anderen unterschied. Dieser Klang war nicht in Worte fassbar. Er zögerte mit der Antwort, suchte in wenigen Minuten nach den Worten, die er in Wochen nicht hatte finden können. „Ich kann es dir nicht sagen.“ „Warum nicht?“ „Es gibt nicht die richtigen Worte.“ Die Antwort war knapp, von seiner persönlichen Scham durchzogen und er zog die Decke bis an seine Nase. Der andere kicherte nur, als er dieses Verhalten beobachtete, sagte nichts weiter als ein belustigtes „Verstehe“. Auch das war noch alles in Ordnung, nichts falsches. Der andere hatte diese Äußerung der besonderen Aufmerksamkeit, die er ihm schenkte, mit einem Lächeln hingenommen. Es war gut so. Das Schweigen, das folgte, war ebenfalls nichts Ungewohntes. Keinen von ihnen beiden verlangte es danach, jeden ruhigen Augenblick mit sinnlosem Gebrabbel zu füllen. So etwas war überflüssig. Während er mit geschlossenen Augen einfach weiter da lag, blätterte der andere weiterhin in seinem Magazin, las, sah sich die entsprechenden Bilder zu dem Artikel an. Natürlich könnte er fragen, was der andere las, aber es interessierte ihn nicht wirklich – für seinen Geschmack las der andere bei Weitem zu viel und sich die Namen all der Bücher und Texte zu merken war viel zu viel Arbeit. „Aber …“, fing er nach einiger Zeit an, „wird das nicht langweilig? Einfach nur liegen zu bleiben?“ „Und wird es nicht langweilig, Abend auf Abend ein Buch zu lesen?“ So spannendes bot das Leben nicht und wenn doch, er besaß noch genug an Lebensjahren vor sich, um Versäumtes aufzuholen. Die Zeit war kein Feind des Vampirs. „Wenn es immer nur dasselbe Buch wäre, würde es wirklich schnell langweilig werden“, antwortete er zustimmend, das Lächeln in seiner Stimme deutlich hörbar. Die Aussage erschien im einleuchtend, dennoch wollte er nicht weiter darüber nachdenken. Er langweilte sich nicht, selbst wenn er wirklich nur liegen bleiben würde. Er nahm es so hin, brummte ein „Mmh“ und drehte sich auf den Bauch. Der andere kicherte erneut, wohl wissend, dass diese Diskussion ein Sieg für ihn war, sagte aber nichts weiter dazu. Wieder übernahm das Schweigen den Raum und entgegen seiner Entscheidung fühlte er sich wieder ein wenig müde, döste fast ein, während er im Hintergrund weiterhin das Blättern von Papier hören konnte. Dieses Mal aber währte es nicht lange und schon bald erstarben die Geräusche – hatte er das Magazin bereits ausgelesen? Mehr unterbewusst als alles andere, verborgen unter der Schicht unwirklicher Schwärze, dachte er an die Möglichkeiten dessen, was jetzt geschehen könnte, welch anderen Geräusche er jetzt hören könnte. Schritte? Ein Stift, der trotz ordentlicher Führung über das Papier kratzte? Ein Lachen? Das Öffnen des Fensters? Nichts? Alles war möglich. Doch als es dann geschah, beinahe lautlose Schritte erklangen, war es ihm bereits egal, die irreale Finsternis vor seinen Augen lullte ihn immer mehr ein, war noch eine Spur dunkler geworden. Die Schritte wurden minimal lauter, als sie ihm näher kamen, vor seinem Bett stehen blieben. Die Gewichtsverlagerung auf der Matratze kümmerte ihn nicht, blieb einfach weiter in diesem Zustand unnatürlicher Dunkelheit. Schlaf war so etwas wunderbar Angenehmes … Erst die Stimme vermochte ihn aus seinem seichten Schlaf herausholen: „Ist es für dich wirklich nicht langweilig, stundenlang einfach nichts zu tun?“ „Was ist daran so ungewöhnlich?“ Er öffnete den Mund zum Sprechen kaum und seine Worte waren vom Kissen gedämpft. „Keine vernünftige Person hält so etwas lange aus. Die Zeit verstreicht dann so fürchterlich langsam.“ Ja, das hatte er schon mal gehört; andere hatten sich bereits ebenfalls über seine Angewohnheit, nichts tuend die Zeit zu verbringen, beschwert. Welch Verschwendung, sagten sie dann immer. „Ich merke nicht, wie die Zeit verstreicht.“ „Wie viel Uhr ist es denn gerade?“ Woher sollte er das wissen? „Viertel nach zwölf?“ Das was geraten. „Es ist bereits halb eins.“ Der andere kicherte: „Du scheinst die Zeit wirklich nicht zu bemerken.“ Nein. Auch bis hierher war nichts falsch. Das Gesprächsthema war neu, hatte der andere seine Gewohnheiten doch bisher noch nie hinterfragt, aber das war in Ordnung. Die Atmosphäre zwischen ihnen war angenehm, die Nähe nicht selten. Alles, was den anderen zur Flucht getrieben hatte, war erst danach geschehen, in der halben Stunde, die den Stand seiner Erinnerung von der wirklichen Zeit trennte. Er spürte eine Hand auf seinem Gesicht, wie sie die Haare von seiner Wange in seinen Nacken strich. Die schwache Berührung kalter Finger auf seiner gewärmten Haut ließ ihn erschaudern, doch seine Augen blieben geschlossen. „Ichijou-san …“ Genüsslich, fast einem Schnurren gleich murmelte er den Namen des anderen Vampirs, dessen kühle Finger noch immer durch sein Haar strichen. Doch Ichijou antwortete nicht, fuhr mit seiner Bewegung fort als wäre sie völlig selbstverständlich. Erneut veränderte sich der Druck auf der Matratze, war jetzt auf beiden Seiten seines Körpers zu spüren; er sah nicht nach, was genau Ichijou tat. Er war nicht mehr müde, würde nicht mehr einschlafen können. Geduldig wartete er auf das, was geschehen würde. Die kalten Finger auf seiner Wange wurden von viel wärmeren, nahezu heißen Atem ersetzt. Gänsehaut überzog ihn und er öffnete die Augen, sah blondes Haar in den Augenwinkeln – warum war Ichijou ihm plötzlich so nah? Er bewegte sich nicht. „Shiki …“ Noch mehr heißer Atem auf seinem Gesicht und seine Haut begann zu brennen. Der andere kam näher, strich mit seiner Nase über die Haut, die zuvor schon sein Atem berührte. „Denkst du nicht, du könntest Spannendes in einer Nacht wie dieser erleben? Vielleicht stößt du in dem Buch dieser Nacht auf unglaubliche Mysterien, unmögliche Wunder, grausame Verbrechen, süßeste Liebe oder …“ Er unterbrach sich für einen Augenblick, berührte mit den Lippen sein Ohr, strich zärtlich darüber, bevor er mit seiner Zunge die Bewegung wiederholte. Erschrocken holte Senri Luft, sein Mund stand offen und sein Herz überschlug sich. Aber er tat nichts dagegen. „Oder“, fuhr er fort“, „auf knisternde Erotik.“ Mit einem geschickten Handgriff zog er die Decke von dem Körper unter sich, so dass der nackte Rücken nun völlig frei lag. „Wäre es nicht fürchterlich spannend, so etwas zu erleben? Zu spüren, wie die Worte sich in deinen Gedanken beflügeln und dein Herz zum Rasen bringen?“ Sein Mund wanderte von seinem Ohr über seinen Kiefer zu seinem Nacken, seine rechte Hand suchte nach der seinen, verschränkte die Finger mit ihr und drückte sie neben seinem Gesicht in eines der Kissen. Senri sah, wie seine eigene Hand zitterte. Vor Aufregung. Vor Neugier auf das, was noch mit ihm passieren würde. Vor Erwartung, weil er bereits Bilder in seinem Kopf sah, deren Erfüllung er herbeisehnte. Welches Buch hatte Ichijou ihm da nur in die Hand gedrückt? „Würdest du das der stetigen Langeweile nicht vorziehen?“ Er spürte jede einzelne Bewegung der Lippen auf seiner Haut, konnte jedes einzelne Wort ausmachen. Seine Nackenhaare stellten sich auf, eine weitere Gänsehaut überzog seinen Körper und sein Herz schlug schneller als er es von sich gewöhnt war. Erotik war für ihn kein Fremdwort, Erregung verspürte ein Vampir ein jedes Mal beim Akt des Blutsaugens und Sex war dagegen nur ein Vergnügen, dessen Grenzen leicht zu erreichen waren. Das hier aber war nichts davon. Der Mund küsste seinen Nacken weiter, biss hinein ohne die Haut zu verletzen, zog feuchte Spuren mit seiner Zunge. „Sag schon, Shiki.“ Die Liebkosungen hörten auf und statt ihrer spürte der nun den gesamten Körper des anderen auf ihm liegen; das Gewicht machte ihm nicht das Geringste. Erneut streifte der heiße Atem sein Gesicht. Er zögerte nicht lange mit seiner Antwort: „Wenn du mir diese Geschichten vorliest, höre ich sie mir gerne an.“ Innerhalb einer Sekunde hatte er den anderen Körper ein wenig hoch gedrückt um sich unter ihm drehen zu können und zog ihn danach wieder an sich heran. „Senri …“ Der Atem vermischte sich mit dem seinen, ward eins, ebenso wie ihr Blick. „Lies weiter, Takuma.“ Der andere lachte leise. „Aber gerne doch.“ Diese Nähe, diese Blicke, diese Berührungen waren nicht mehr normal, waren völlig neu. So etwas hatte es vorher zwischen ihnen noch nicht gegeben. Es hatte sich für ihn so angefühlt, als hätte die Luft um sie angefangen zu brennen, in ihnen selbst ein unnatürlich heißes Feuer gepflanzt. Sie beide hatten es mit Freuden aufgenommen, es weiter angestachelt, auf dass es noch heißer brennen würde. Es war neu, ja, aber nicht falsch. Die Berührungen dieser Nacht waren lediglich das Resultat ihrer vorherigen Nähe. Aber sie waren nicht falsch. Es fühlte sich alles so bezaubernd an. Und erst die Küsse – oh, was waren sie göttlich. Nach seinen Worten ließ Takuma ihnen auch gleich Taten folgen, griff erneut zu dem Buch und las weiter von der knisternden Erotik mit aufreizenden Berührungen, brennend heißen Zungenspielen und gierigen Liebkosungen der Körperteile, die den Augen sonst verwehrt blieben. Ständig und ohne Zurückhaltung berührten sie sich, taten, was sie nie zuvor miteinander getan hatten und es war ein vorzüglicher Mitternachtsschmaus. Doch dann, als sie einander in die Augen starrten, ein kleiner Moment der Pause um zu realisieren, welch göttlicher Akt hier geschah, sich nur mit ihren Blicken gegenseitig verschlangen, voller Unverständnis darüber, dass sie dieses Buch noch nicht zuvor zu lesen angefangen hatten, war das Feuer plötzlich nur noch Eis. Takumas Augen, deren betörendes Grün ihn gerade noch mühelos in Ketten legte, wandten sich ab, die angenehme Wärme des anderen Körpers verschwand und präsentierte seine schwitzende Haut der Nacht. Er fühlte sich, als wäre er gnadenlos gegen eine Wand gelaufen. Fünf Mal hintereinander. Sein Kopf brauchte fürchterlich lange um zu verstehen, was geschah, warum der andere sich plötzlich wieder anzog, nur um zu dem Schluss zu gelangen, dass er nicht verstehen konnte. Mühsam rappelte er sich auf, wäre der Nase nach auf den Boden gefallen, wenn der andere ihn nicht aufgefangen und aufgerichtet hätte, ihn danach aber sofort wieder losließ. „Takuma, was …?!“, fing er an, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Takuma antwortete ihm weder noch sah er ihn an. „Takuma!“ Wieder keine Reaktion … Deshalb las er nicht gerne. Er blieb stehen, versuchte nicht mehr, die Aufmerksamkeit des anderen auf sich zu ziehen, beobachtete ihn stillschweigend, als sein Puls fiel, sich auf das dramatische Ende dieses Buches vorbereitend. Dabei war der Anfang so viel versprechend gewesen … der Schluss hingegen war grauenhaft; er wollte ihn nicht lesen. Sich davon zu distanzieren hieß dem Schmerz zu entkommen. Kein letztes Wort, als die Tür geöffnet und zugeschlagen wurde. Doch selbst wenn das Ende schrecklich war – wie war es dazu gekommen? Warum? Er verstand einfach nicht, was auf einmal falsch gewesen war, was den anderen vertrieben hatte. Er hörte dessen eilende Schritte, wie sie mit jedem einzelnen leiser wurden und schließlich vollends erstarben. Wo war er hin? Und wieso? Kein einziges Wort über seinen Verleib. War der Akt an sich falsch? Aber er hatte doch angefangen. Egal, wie sehr er darüber nachte, er verstand es nicht und mit jeder Sekunde, die verstrich, holte die Zeit seinen Herzschlag wieder ein. Der Schweiß glitzerte im schwachen Licht noch auf seiner Haut, doch es wirkte für ihn, als schliefe er ihm Stehen. Die Nacht war bereits vorbei, schon längst, die Sonne schien ins Zimmer durch die offenen Vorhänger, aber Senri schlief nicht. Die Lust darauf war ihm gehörig vergangen – er wollte nicht einmal mehr in seinem immer noch unordentlichen Bett liegen. Nichts tuend saß er einfach nur am Fenster und sah hinaus; seine Augen schmerzten wegen des grellen Lichts. Es war bereits später Mittag, als die Tür sich öffnete und wieder schloss. Vorsichtig, nahezu sanft, ein völliger Gegensatz zu dem schnellen Öffnen und Schließen Stunden zuvor. „Du bist ja noch wach, Senri.“ Senri? Also war das Ereignis der Nacht nicht völlig bedeutungslos gewesen. „Ich kann nicht schlafen.“ Der andere schmunzelte: „Seltsam – wo du doch die ganze Nacht und den heutigen Tag hattest durchschlafen wollen.“ Nein, gewollt hatte er das nicht. Was er wollte, hatte nie wirklich zur Debatte gestanden. Es ging einzig und allein um das Sollen. „Ich war abgelenkt“, antwortete Senri darauf nur knapp und spielte in Gedanken damit, es dabei zu belassen, nicht nachzufragen. Doch die Erinnerung an den Moment eisiger Kälte ließ ihn diesen Plan wieder über den Haufen werfen. Er wollte eine Antwort haben, nicht umsonst in der Sonne gewartet haben. „Wo warst du, Takuma?“ Er wandte den Blick vom Fenster ab – welch Erlösung – und blickte mit schmerzenden Augen zu dem Vampir mit der Büchervorliebe. „Warum bist du gegangen?“ „Warum bist du geblieben?“ „Ich war nackt.“ „Und das hat dich aufgehalten?“ Er kicherte. „Ach Senri, mein Lieber …“ Er kam näher, küsste zärtlich seinen Mund. Das war nicht das gierige Verlangen der Nacht. Das war eine Entschuldigung. Für eine Sekunde lang überlegte er, sich dieser ach so zarten Berührung zu entziehen, ihm deutlich zu machen, wie wenig er von seinem Abgang hielt. Die Sekunde verstrich und noch immer hingen seine Lippen an den anderen. „Wo warst du, Takuma?“, wiederholte er seine Frage in Momenten, in denen sein Mund frei war, nicht nach der Berührung des anderen suchte, und als Takuma den Kuss nicht mehr erwiderte, scheinbar antworten wollte, verwöhnte er den Hals des anderen mit ebenso sanften Küssen wie Stunden zuvor. Sein Geruch stieg ihm in die Nase, weckte die Erregung, die so plötzlich abgeklungen war als wäre nie etwas gewesen, was nicht hätte sein dürfen. „Du hast mich abgelenkt“, sagte er schließlich zögernd. „Wovon?“ Ein weiterer Kuss. „Von meiner eigentlichen Aufgabe.“ „Und die wäre?“ Ein zarter Biss. „Kaname zu helfen.“ „Du hast Kaname-sama vergessen?“ Der die Haut durchstach. Blut lief über die weiße Haut. Wie hypnotisiert hing Senris Blick an dem Tropfen, wie er über den Hals hinunterlief, das Schlüsselbein erreichte. Als er unter dem offenen Hemdkragen völlig zu verschwinden drohte, leckte er ihn auf, verfolgte seine Spur zurück bis zur Austrittswunde, die er mit einem hauchzarten Kuss bedeckte, obwohl sie bereits längst verheilt war. Er sah auf, blickte in das Gesicht, dessen Wangen angerötet war und dessen Blick dem seinen auswich. Mehrere Sekunden lang verharrten sie so in dieser Position und Senri konnte die Scham des anderen nahezu aus der Luft ergreifen. Er spürte die Hitze, die der andere ausstrahlte, an seinem ganzen Körper. Und dann, nachdem die Sekunden vergangen waren, lachte er los. Laut und völlig unpassend, so wie er nie tat. Dieser Augenblick erschien ihm unwirklicher als jeder zuvor. „Hör auf zu lachen, Senri!“ Doch es schien, als lachte er nur mehr und es erstarb nur für einen kurzen Augenblick, in dem der andere seine Würde wieder herzustellen versuchte und seinen Mund mit einem Kuss blockierte. „Hatte ich dich nicht auch abgelenkt?“, flüsterte Takuma, seine Stimme tief und rau und allein der Klang jagte Senri einen Schauer über den Rücken. Dennoch konnte er sich das Grinsen nicht verkneifen: „Ja, vom Schlafen. Aber ob das zählt …“ Takuma wirkte ein wenig genervt, doch nur für einen Augenblick. Als Senri ihn ebenso zärtlich küsste wie er ihn vorhin, die Entschuldigung damit wortlos und doch so wirkungsvoll aussprach, war seine negative Stimmung dahin, ließ sich in dem Kuss ertrinken. Genoss das Gefühl, das er viel zu lange nicht mehr hatte spüren können. „Takuma …“ Ein Kuss. „Mmh?“ Ein ach so zarter. „Liest du weiter?“ Der andere kicherte erneut, küsste ihn erneut. Verlangender. „Gerne doch.“ Kapitel 2: Nachtmahl -------------------- Genre: Shounen-Ai, Lemon, Yaoi Summary: Senri langweilt sich so fürchterlich, weiß nicht, was er dagegen tun soll und würde sich am liebsten in Luft auflösen, um nicht mehr zu sein, sich nicht mehr langweilen zu müssen, als eine simple Berührung, eine Bewegung, die diese Bezeichnung nicht verdient, ihn aus diesem Zustand erweckt. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Seit Stunden schon war ihm schrecklich langweilig. Er saß einfach nur, starrte an die Decke und sein Nacken war schon steif, tat weh, seine Augen trocken, weil ihm selbst zum Blinzeln die Lust fehlte, um ihn herum alles einfach zu einem Wesen verschmolzen und er fragte sich, warum ihm dieses Glück nicht auch gewährt wurde. Es war weder kalt noch warm und dennoch war in ihm ein so undefinierbares Gefühl, ungelöste Spannung, die ihn unruhig stimmte, doch von tödlicher Langeweile bedeckt und lebendig vergraben war. Wäre er nicht so unendlich lustlos, hätte er versucht herauszufinden, was da tief in ihm auf den Tod wartete. Aber so, wie er jetzt war, konnte es ihn nicht weniger interessieren. Er stierte einfach weiter auf einen Punkt, den er vor Stunden erst gebar und bewegte sich nicht. Mit Verwunderung hörte er seinen eigenen Herzschlag – woher nahm sein Herz die Motivation sein Blut weiter zu pumpen? Zu leben? Hätte er bewusst für seinen Puls sorgen müssen, hätte er schon längst zu schlagen aufgehört. Wäre das Atmen kein Instinkt, nicht so automatisch, müsste er darüber nachdenken, hätte er es definitiv gelassen. Er wusste nicht, was ihm die Langeweile vertreiben konnte, zu was er sich hätte aufrappeln können. Er saß nur da, gaffte. Was tun? Was tun? Mit jedem weiteren überflüssigen Herzschlag hatte er weniger Lust darauf, einfach nichts zu tun, wollte sich am liebsten einfach aus- und in die Ecke stellen, verstauben, bis das Leben spannender wurde. Nicht mehr denken, das Bewusstsein abstellen, bis es wieder von Nöten war. Wäre das nicht ein fürchterlich schöner Traum? Er seufzte verärgert. Die Hand, die gerade noch seinen Kopf gestützt hatte, fiel genervt auf seinen Oberschenkel; die Finger hingen erst in der Luft, ruhten dann auf der Innenseite desselben. Die Berührung des Arms auf seiner Haut war nichts, natürlich wie immer, doch seine Hand … Wie ein Blitz, plötzlich und unerwartet, durchtrennte ein Gefühl seine geistige Umnachtung, zwang ihn zu dem, was er seit Stunden nicht tat, nicht tun brauchte, weil seine Augen ebenso unmenschlich waren wie der ganze Rest seines Körpers: Er blinzelte. Für einen unendlichen Schlag lang setzte sein Herz aus und – oh, was genoss er diese Unendlichkeit. Dann war sie vorbei und sein Herz schlug weiter. Wieder blinzelte er. Dieses Gefühl war noch immer da, obwohl der Moment schon längst vorbei war, er sich kein bisschen weiter bewegt hatte. Und wieder schloss und öffnete er seine Augen. Was war da? Sein Blick gewann an Schärfe zurück, die Umgebung war nicht mehr noch nur eins, verwandelte sich zurück in Ecken und Kanten, lebte wieder. Wind wehte durchs Zimmer, brachte irgendwo in seinen Augenwinkeln einen Vorhang zum Tanzen, eine digitale Uhr leuchtete ihm hell Ziffern entgegen, Möbel umgaben ihn, gaben dem Raum Komfort. Das Gefühl blieb und die innere Unruhe, die gerade noch undefinierbar blieb, unerkennbar durch die kilometerdicke Schicht Langeweile, verfestigte es. Nur ganz kurz zuckte er mit den Fingern – es war nicht einmal eine richtige Bewegung, doch mehr als genug. Wieder dasselbe Prinzip wie gerade. Erst nichts, dann dieses neue Gefühl. Und ein Bild. Ein Name. „Takuma.“ Nein, eigentlich sollte er diesen Namen nicht so nennen. Nicht in dieser Art, nicht mit diesem Klang, nicht mit diesem Gedanken dahinter. „Ja, Shiki?“ Aber den anderen störte es nicht. Eine ganz normale Frage, als hätte er nur seinen Namen gehört, nicht realisiert, wer ihn sagte. Und vor allen Dingen wie. „Nein, nichts …“ Ja … was war denn eigentlich? Wieder blinzelte er, wandte die Augen von dem Punkt ab, der eigentlich gar nicht war und starrte auf seine Hand hinunter. Seine Hand. Mehr nicht. Seine Hand, die auf seinem Bein lag. Und doch. Ganz bewusst, geradezu neugierig, wenn auch weiterhin ein wenig gelangweilt, strich er mit seinen Fingern in einer ganzen vollständigen Bewegung, eine, die diesen Namen auch verdient, über seinen Oberschenkel. Erst außen, dann oben und dann nur ganz federleicht auf der Innenseite vom Knie bis zum Anfang seiner Boxershorts. Das Gefühl ließ ihn nicht los, erlebte in dieser kurzen Zeit nahezu einen Höhepunkt und das Bild in seinem Kopf gewann unendlich mehr Farben, mehr Einzelheiten, die er sonst noch nie bewusst vorher wahrgenommen hatte. Erneut kam der Name über seine Lippen, nur geflüstert, nur gehaucht, und er konnte seinen eigenen heißen Atem auf seinen Lippen spüren. „Mmmh?“ Der andere hörte den rauen Klang nicht, blickte nicht auf, zog das brummende Geräusch nur fürchterlich lang, blätterte in sein Buch um. Nur kurz sah er von seiner Hand zu dem anderen auf seinem eigenen Bett, ihm direkt zugewandt, wenn er denn nur aufsehen würde. Dann lag seine Aufmerksamkeit wieder bei der Hand. Gegen seine Kissen gelehnt rutschte er weiter an ihnen herunter, lag fast auf seinem Bett, begaffte sein Bein wie zuvor den Punkt, der gar nicht war. Er wiederholte die Prozedur, eine erneute Bewegung der Hand vom Knie zur Shorts und von der Shorts übers Knie zurück zur Shorts, dieses Mal ein wenig weiter als ihr Saum, drängte sie weiter, nur um mehr zu fühlen. Das Gefühl wurde intensiver, das Verlangen, den Namen zu sagen, drängender, das Bild immer deutlicher. Er schloss die Augen und er sah blonde Haare direkt über ihm, wie sie die Augen des anderen ein wenig verdunkelten, spürte, wie er zwischen seinen Beinen saß, die Hitze, die sein Körper ausstrahlte und er auf seinem eigenen nackten spüren konnte, wie sein Herz so viel schneller schlug als in der Zeit fürchterlicher Langeweile. Ja. Jetzt konnte er sich denken, woher die Unruhe kam. Das war nicht das erste Mal, dass er seinen Geist nicht beruhigen konnte, weil jemand anders ihn beherrschte. Doch der beachtete ihn im Moment nicht, las lieber und überließ ihn seinen Gedanken. Dabei war es doch nichts Neues. Und das Gefühl … Ungeduldig, aber doch quälend langsam setzte er die Bewegung fort. Von der Naht seiner Shorts aufwärts an dem vorbei, wo das Gefühl am dringlichsten schien und er biss sich auf die Lippe, um zu verhindern, den schönsten Namen erneut zu sagen, über seine Brust bis hin zu seinem Hals. „Mmh …“ Er seufzte nur, als das Bild vor seinen geschlossenen Augen sich hinunterbeugte, den Mund leicht geöffnet und ihn auf den seinen drückte. Ebenso hauchzart wie seine eigene Berührung und, Gott, was war dieser Kuss himmlisch. Verstärkte das Gefühl nur und er wollte so viel mehr als er hatte. Doch wie sollte er nur mehr bekommen? Erneut seufzte er vor sich hin. Unzufrieden. Gierig. Beinahe unbeherrscht griff er mit einer Hand in seine Haare, zog dran, fast schon schmerzhaft, kniff die Augen zusammen. Was tun? Ein unkontrollierter Laut des Ärgers, fast schon an der Grenze zu einem Stöhnen, entkam ihm und völlig von seiner Wut getrieben krallten sich die Finger seiner anderen Hand in das Gummiband seiner Shorts. Nein, das war nicht gut, schlecht bis zur Definition von grauenhaft. Drängend, drückend, unbeherrscht, als das Bild vor seinen geschlossenen Augen mit quälend berauschender Tortur heiße Küsse auf seine Brust senkte, jeden freien Quadratzentimeter verwöhnte und wieder lag ihm der Name auf der Zunge, den er nicht aussprechen mochte. Es war nicht genug. Er wollte so viel mehr, das Bild Kraft seiner Gedanken zur Wirklichkeit werden lassen, doch sobald er seine Augen öffnen würde, wäre das Bild weg und das war das letzte, was er wollte. Er brauchte dieses Bild, dringender als alles andere. Nichts glaubte er auf dieser Welt existent zu wissen, dass ihn in diesem Moment hätte ablenken können. Das Bild vor seinen Augen erreichte den Bund seiner Shorts, küsste die Hand, jeden einzelnen Finger, löste sie alle nacheinander, um dorthin zu gelangen, wo er ihn haben wollte. Dringend. Jetzt. Doch die Illusion hielt nur seine Hand fest, die sie aus ihrem Klammergriff gelöst hatte und küsste die Handinnenfläche. Ein süßer Kuss. Anders als die davor. Aber auch davon wollte er mehr. „Takuma …“ „Ja, Shiki?“ Derselbe Klang wie vorher, nur eine Antwort auf seinen Namen, der so auch dieses Mal nicht hätte erklingen können. Er schien keinen Gedanken daran zu verschwenden, dass irgendetwas anders war als die Normalität es vorschrieb. Doch etwas war anders. Definitiv und unübersehbar. Er fühlte es, deutlicher als je zuvor und die bloße Unruhe aus Zeiten der Langeweile – nachdem ihn jenes Gefühl dort herausriss, kam es ihm wie Ewigkeiten vor – wuchs an zu einer anderen Emotion, so schrecklich gut passend in diese Situation. Wieder antwortete er nicht, war es doch nur ein unglaubliches Verlangen, den Namen zu sagen, ihm sein Verlangen nach Erlösung, mitzuteilen; der andere hingegen schien jetzt zum ersten Mal in dieser Nacht an dem interessiert zu sein, was er wollte. Er sah nicht, ob er aufblickte, das Buch weglegte oder ob er ihm überhaupt keine weitere Aufmerksamkeit schenkte als diese eine Gegenfrage: „Was ist, Shiki?“ Weder fordernd noch verlangend, einfach nur ein Ton, der unbedingt eine Antwort verdiente. Doch wie um alles in der Welt sollte er ihm sagen, dass er von absoluter und purer Langeweile mit tödlicher Tendenz plötzlich gierig und nahezu versessen auf den Gedanken vor, berührt zu werden? Von ihm. Nur von ihm. Weder Schweigen noch Ehrlichkeit waren gut. „Nichts.“ Gepresst, rau, tief, hauchend. Lügen war nicht gut, aber im Augenblick die beste Alternative. Vermutlich hätte er sich die Mühe auch sparen können. Er klang für sich selbst viel zu verräterisch. Doch was sollte er auch tun? Es war so ein außerordentlich starkes Empfinden, das sich seiner Kontrolle entzog, nun, da er es erweckt hatte. „Nichts klingt anders“, war die Antwort in demselben sachlichen Ton und er wagte es zu raten, dass die grünen Augen, in seiner Illusion auf seinen Brustkorb gerichtet, während der Mund am Rand der Shorts entlang küsste und gelegentlich mit den Zähnen daran zog, um ein Stück Haut weiter zu entblößen, noch immer auf das Buch gerichtet waren. Er hatte nicht seine volle Aufmerksamkeit, wie er es eigentlich haben wollte, wie er es dringend brauchte. Doch wie sollte sich das ändern? Die Hand in seinem Haar löste sich, strich neben dem Körper vor seinen geschlossenen Augen vorbei, erstarrte auf der Innenseite seines Oberschenkels. In seinem Körper begann die Spannung sich zu stauen, nur ein wenig, als er den anderen Körper über ihn sah, viel, als der weiche Mund begann, an seiner Boxershorts zu ziehen, und er wimmerte innerlich nach Erlösung. Es war noch nicht dramatisch, nicht unerträglich, aber es wäre so schön … Während er an seinem Körper hinab strich, berührte er nicht das absolute Zentrum seiner Lust, wagte es nicht vor den Augen des anderen, doch allein der Gedanke, dass es hätte passieren können, dass es seine Hand hätte sein können, ließ ihn den Namen, der ihm so glatt von der Zunge rollte, erneut sagen. Stöhnend. „Nichts klingt auf jeden Fall anders.“ Er konnte nicht mehr zwischen belustigt und nachdenklich unterscheiden, sein eigener Herzschlag, der nun in seinen Ohren dröhnte, überdeckte diese kleinen Feinheiten und verlieh der Stimme, die ihm jetzt Aufmerksamkeit schenkte, eine ganz besondere Aussagekraft. Das letzte bisschen seines Verstandes wagte zu raten, dass er das Buch nun weggelegt und aufgeblickt hatte, nun zu ihm sah, der er wie schrecklichen Qualen ausgesetzt auf seinem Bett lag, die Augen zusammengekniffen hatte als könnte er die Schmerzen kaum ertragen, beide Hände an einer für diesen Eindruck unpassenden Stelle. „Und nichts sieht auch anders aus.“ Er kam näher, was er nur daran erkannte, dass die Stimme lauter wurde, und jeder Schritt, der Bild und Wirklichkeit mehr miteinander verschmolz, weckte größeres Verlangen in ihm, es auch wirklich so zu sehen. Doch wie lange würde das dauern? Würde er es überhaupt für ihn tun? Ihm die Gefühle schenken, die er sich bis jetzt nur einbildete? Verdammt, wie sollte er nachdenken, wenn der andere ihn jetzt so prüfend ansah, herauszufinden versuchte, was geschah, was es mit ihm zu tun hatte? Seine Gedanken lagen flach. Langsam atmete er tief durch, völlig gegensätzlich zu seiner eigentlichen Verfassung. Geduld war nicht etwas, dass er jetzt haben wollte geschweige denn haben konnte. Doch der mit dem schönsten Namen zeigte keinerlei Andeutung, sich ihm noch weiter zu nähern. „Was ist, Shiki?“, wiederholte er jetzt sehr viel drängender – war da Wut? Sorge? Ungeduld? Er versuchte es erst gar nicht, darüber nachzudenken, er würde ja doch nicht zu einem Ergebnis kommen. Nur eins wusste er sicher: „Nichts“ war keine passende Antwort. „Ich – “ Doch damit der andere tat, nach was es ihm verlangte, müsste er sicherlich nachhelfen und nebenbei wahrscheinlich noch riskieren, dass er zu dieser Art von Abhilfe kein bisschen bereit war. Konnte er das ertragen? Die Illusion ignorierte jetzt die Boxershorts vollkommen und begann Küsse auf dem dünnen Stoff zu verteilen. Wie gut er sie dennoch auf seiner Haut fühlen konnte – er begann zu brennen. „Ta- … ich –“ Jedes bittende Wort wäre wie eine Opfergabe an ihn, sein Stolz in mundgerechten Stücken mit Früchten und Blüten geschmückt, aber es war doch so fürchterlich dringend. „Ta-Takuma, ich … du musst …“ Die Worte waren gepresst und ihm war sonderbar warm, heiß, sein Herz raste, bedrückt von dem Wissen, was es zu tun galt für seine Erlösung „Ich muss?“, fragte er, stand so nahe bei ihm ohne das Bett zu berühren. Nein, der Anfang war verkehrt. So würde das nichts werden. Der Griff seiner Hand wurde noch stärker und seine ach so kurzen und doch so scharfen Fingernägel zerkratzen die Haut, durchbrachen sie, brachten sie zum Bluten. Die Illusion begann über den Stoff zu lecken. „Ja … du musst ... bitte …“ Es war viel zu leise, als dass er das letzte Wort hätte hören können, nur ein Zischen durch seine zusammengepressten Zähne. Er konnte doch nicht laut um so etwas bitten. „Ich muss was?”, hakte er nach, unverständlich gegenüber seinem Leiden und beinahe wirkte es absichtlich. Wie konnte er nur so unwissend sein? Ein hauchzarter Biss, heißer Atem – er stöhnte den Namen wieder. „Takuma!“ „Was ist, Shiki?“ Er kam näher; er spürte, wie die Matratze nachgab und er schien an seinem Bein die Nähe des anderen zu spüren – bildete er sich das nur ein? Was tun? Was tun? Eine fürsorgliche Hand griff nach der seinen, löste sie aus ihrem Klammergriff, Finger für Finger, ebenso wie die Illusion zuvor. Ungewollt und fast schon gezwungen schlug er bei der wirklichen Berührung die Augen auf. Die Täuschung verschwand sofort und übrig blieb nur das Original, seine Hand, mit seinem eigenen Blut betropft, haltend. Seine Zunge glitt darüber, leckte es genießerisch ab. Der lustvolle Schein, der seine nun offenen Augen verschleierte, ließ ihn in den grünen Augen des anderen so viel mehr erkennen. „Dein Blut ist so viel süßer als sonst“, murmelte er gedankenverloren und er konnte spüren, wie die Unterlippe bei diesen Worten zitterte. Er hörte, wie er weiter an der Haut roch, dort, wo das Blut gewesen war. Wollte er mehr? Gefangen von dem Blick, der nicht einmal direkt an seinem hing, richtete er sich auf, spürte dabei die Enge seiner Shorts, als sie sich ein wenig mehr als gewöhnlich spannte. Bedächtig, viel langsamer als er sich selbst an Geduld zuschrieb, näherte er sich seinem Handgelenk, kam dabei dem Gesicht des anderen so unendlich nah, riss die Haut über den Adern auf und brachte es an den leicht geöffneten Mund des anderen. Es würde nicht viel Blut fließen, aber genug, um in ihm ein ähnliches Gefühl, die vampirische Lust, zu wecken, ihm zu zeigen, was er tun musste. Er würde es nicht in Worte fassen können, zu sehr hing er an seinem Stolz und seiner Würde, die bereits mit diesem Akt der unterschwelligen Bewusstseinseinschleichung, nur um sich vor diesen wenigen Worten zu schützen, fürchterlich litten. Der mit dem schönsten Namen saugte nicht, leckte das Blut nur ab und ein wohliges Geräusch entstand in seiner Kehle. „So süß …“, wiederholte er und küsste auf die verheilte Haut des Handgelenks, wagte es nicht, sie ein weiteres Mal zu durchbrechen. Stattdessen küsste er weiter, immer ein Stückchen mehr den Arm hinauf und er selbst konnte nicht anders als den anderen anzustarren, unfähig zu begreifen, dass die Illusion wirklich wurde und er genau das bekam, nach dem er gierte. Doch das Gefühl dabei war mit nichts zu vergleichen. Das vorher noch so aufdringliche Trugbild war nichts neben diesen relativ zaghaften Küssen. Er sah das Gold glänzen ohne die Augen geschlossen zu haben. Er roch es sogar, so unbeschreiblich intensiv. Die Küsse erreichten seine Schulter, seinen Hals, und mit bestimmtem Griff zog Senri ihn mit sich auf das Bett hinunter. Ohne die Berührung zu unterbrechen, platzierte der andere eines seiner Beine zwischen den seinen. Oh, allein der Gedanke! „Takuma …“ Beinahe zu fest vergrub er seine Hände in dem ach so weichen Haar. „Ist es das, was ist?“, fragte Takuma und er konnte das Grinsen nahezu sehen. „Soll ich dir Erlösung verschaffen?“ Welch göttliche Vorstellung! Der verführerische Klang war fast schon zu viel – völlig gedankenlos und nur gesteuert von bloßer Lust hob er die Hüfte an, rieb nicht, aber drückte sie dennoch so fest wie möglich an das Bein zwischen den seinen. Der Name blieb ihm in der Kehle stecken und sein erleichtertes Seufzen ging unter im Mund des anderen. „Ist es das, was ich tun muss?“ Ein neckender Tonfall, der ihn ahnen ließ, dass sein Stolz sich dennoch weiter verabschieden würde. Der Griff im schönsten Gold wurde noch fester, doch Takuma ließ sich nichts anmerken, küsste ihn weiter, forschender, öffnete seinen Mund ungeduldig, erkundete mit seiner Zunge, was eh sein war. Senri gab sich diesem überirdischem Genuss hin – ihn so zu spüren, während sein Herz so raste, es so pulsierte in seinem Unterleib, war der Himmel in seinen Armen. Takuma weigerte sich nicht, seinen Wunsch zu erfüllen, ihm die ersehnte Erlösung zu gewähren und für ihn selbst gäbe es keinen Moment, der berauschender sein könnte. „Ja!“, antwortete er, sobald er sprechen konnte, klang aber bei Weitem nicht so fest und bestimmt, wie er wollte, errötete, brannte vor Lust und Scham gleichermaßen. Die Lippen verließen seinen Mund, wanderten gleich der Illusion seinen Hals zurück zu seinem Brustkorb. „Ja, Takuma … du musst –“ Erschrocken holte er Luft, als Takuma, während seine Lippen sanft über sein Schlüsselbein glitten, dasselbe mit seinen Händen an seinen Oberschenkeln tat. Dieselbe Bewegung, die er selbst ganz zu Anfang gemacht hatte: Auf der Außenseite seiner Schenkel vom Knie beginnend, die Finger minimal unter den Saum seiner Shorts gleiten lassend, dann auf der Oberseite wieder hinauf und schlussendlich vom Knie zurück auf der ach so empfindlichen Innenseite. Und je näher er dem Saum kam, desto schneller ging sein Atem vor Erwartung dessen, was kommen würde. Er kniff die Augen zusammen, wartete fürchterlich ungeduldig auf das, was nicht kam. Die eine Hand entfernte sich ganz, die andere erstarrte kurz vor dem Ort der größten Gier. „Senri, sieh mich an.“ Doch wie sollte er? „Senri, jetzt!“ Ganz langsam verschwand auch die zweite Hand, bis er schlagartig seine Augen öffnete, das schönste Grün direkt vor ihnen – wann hatte er aufgehört, seine Halsbeuge zu küssen? „Soll ich wirklich?“ Neckte er ihn jetzt oder war das ernst gemeinter Zweifel? Ungläubig, aber noch immer mit rasendem Herzen sah Senri ihn an. Warum tat er nicht? Warum fragte er? „Du musst!“ Seine Stimme klang kein bisschen fester, mehr ein Hauchen, Seufzen, Stöhnen – er bekam für seinen Geschmack viel zu wenig des verboten guten Gefühls durch den Gott über ihn. „Soll ich wirklich?“, wiederholte er die Frage, dieses Mal ein wenig anders betonend, auf seinem Gesicht nun ein schalkhaftes Grinsen und er sah mit der Antwort wieder ein Stückchen seines Stolzes dahinschwinden. Da war kein ernst gemeinter Zweifel. Dieses Grinsen verriet, dass Takuma nicht besser hätte wissen können, was – oder viel mehr wen – er wollte: Niemand anderen außer ihn. Er schien genau Bescheid zu wissen, hatte Senri womöglich beobachtet, als er sich aus dem Gefängnis seiner Langeweile befreite. Nahezu provokativ schob sich seine Hand so weit unter dem Saum wie er konnte ohne ihm das zu geben, was er offensichtlich so dringend wollte. Nur von ihm allein. Beinahe entnervt durch Takumas Spielereien, wo er doch anderes so viel dringender benötigte, stöhnte er auf. „Ja! Ja, verdammt! Du sollst wirklich!“ Der andere lächelte, als Senri das sagte, was sein Stolz noch hergab und zuließ und nichts von dem Lächeln erinnerte den Würdelosen an das übliche glückliche Strahlen. Dieses Lächeln war wie eine vollkommen andere Seite Takumas. Wie zur Belohnung dafür, dass er dennoch aussprach, ließ Takuma wie seine Kopie in Senris Kopf seine Hand über den Stoff der Shorts gleiten und da war er schon wieder, dieser schöne Name … „Ich gebe dir, nach dem du so dringend von mir verlangst, süßer Senri.“ Was hatte er auf diese erlösenden Worte doch gewartet. Sein Blick, gefüllt von Lust und Dankbarkeit, hing an dem goldenen Haar, das sich an seiner Brust hinunterbewegte, auf seine Haut fiel und ihn sanft kitzelte. Herrlich, unvergleichlich, göttlich. Die Lippen, in ihrer unbestrittenen Perfektion heiße Küsse auf seiner Haut verteilend, verharrten auf der Höhe seines Bauchnabels, während die schlanken Finger an seinen Seiten den Weg weiter nach unten fanden – sein Atem wurde schneller, sein Herz klopfte noch lauter, dröhnte in seinem Kopf und seinem Unterleib. Problemlos griffen sie unter das Gummiband, hielten es fest und zogen es quälend langsam über seine Hüfte, der Druck und die schwache Reibung eine unnatürlich wundervolle Freude. Er zog die Shorts weiter hinunter, bis zu seinen Knöcheln – wie er das schaffte, ohne den Kontakt auch nur für Sekunden zu unterbrechen? Keine Ahnung. War egal. Jetzt zählten nur noch die Küsse, die immer tiefer wanderten, die nun nackte Haut erkundeten, feuchte Spuren auf ihr zogen und die schönsten Gefühle weckten. Wie ein Rausch. „Takuma!“ Der Name glich einem Zwang, der Sucht nach Perfektion, der verbotenen Frucht, von der kein Mensch je kosten durfte, wollte er im Paradies bleiben. Was war er froh, kein Mensch zu sein, wenn er mit einem Bissen das hier hätte aufgeben und den Gott verlassen müssen. „Sag ihn noch mal.“ Die Spielereien mit seiner Zunge wurden forscher, blieben dennoch so unbeschreiblich schön, einer Aufforderung gleich, nein, vielmehr einem Befehl, der seine Worte unterstrich. Sag ihn. Eine Berührung. Sag ihn! „Takuma!“ Ein leises Lachen, heißer Atem brannte auf seiner Haut. Ein Feuer, das er nicht löschen konnte. Und gar nicht erst wollte – der andere brannte doch auch. Er spürte dessen schnellen Atem, hörte irgendwo hinter seinem eigenen rasenden Herzen den erhöhten Puls des anderen. Senri selbst tat nichts, was dafür der Grund hätte sein können, doch so ein kleines Spiel zweier Körper hatte niemals nur einen Effekt auf eine Person. Es konnte ihn einfach nicht unberührt lassen, dass er nun letztendlich soweit hinuntergerutscht war, dass ihn nur wenige Zentimeter seinem absoluten Lustzentrum trennten. „Und jetzt“, fing die Stimme, so süß wie Gift (und wie außerordentlich wirksam es doch war – sein Verstand hatte sich bereits nach ihrem ersten Erklingen verabschiedet), wieder an zu reden, hauchte ihren lodernden Atem auf die Spitze seines Geschlechts und Senri hielt vor Spannung den Atem an, schloss die Augen. Das, was jetzt kommen würde, kommen müsste, war zu gut um wahr zu sein. „Und jetzt will ich, dass du ihn schreist.“ Der arrogante Ton warf ihn für einen Augenblick aus dem Konzept; voll Verwunderung öffnete er seine Augen wieder, sah in das Gesicht Takumas. Der Blick verhangen und glänzend zugleich vor Zärtlichkeit, Lust, Verlangen, Gier – so viel, so vieles undeutbar. Doch mehr vor allem anderen war da zuckersüße Sehnsucht. Aber der Augenblick war gerade mal genug, um all dies zu erkennen, bevor es vor seinen Augen wieder schwarz wurde. Das war beabsichtigt!, war sein letzter Gedanke, bevor er nur noch den einen Namen kannte, sein Leben nur noch aus ihm bestand, aus dem heißen Mund, der ihn ganz umschloss, aus der Zunge, die über ihn strich, ihn ableckte und ihm genau das entlockte, was Takuma hören wollte: Nur seinen Namen, immer lauter, schrie sein unfassbares Glück, die Befriedigung seines ungestillten Verlangens hinaus und mit jedem Mal, bei dem er gehorsam dem Befehl nachkam, wurden die Bewegungen der bezaubernden Zunge ein wenig langsamer, nervenaufreibender, was ihn so viel ungeduldiger machte. Doch immer, wenn er das tat, Senri als Antwort seine Hände in die Schultern des Göttlichen krallte, erlöste er ihn und gab ihn ein größeres Stück der unendlich süßen Frucht. Er spielte sein Spiel mit ihm und er wusste genau, dass nur er gewinnen konnte. „Takuma!“ Vor seinen geschlossenen Augen sprühten die Funken in den grellsten Farben, all die Lust, die unendliche Begierde nach dem Wesen über ihn auf einen Punkt konzentriert, ein Dröhnen, ein Pochen, ein Schlagen, so köstlich, dass es beinahe unerträglich war. Und immer und immer wieder der schönste Name auf seinen trockenen Lippen, bis nach Ewigkeiten süßester Folter er sich der endgültigen Erlösung näherte und letztendlich in der angenehm heißen Mundhöhle des anderen kam, nur ein einziges Wort, das seine Gedanken beherrschte … Es war nahezu unnatürlich hell in dem Zimmer, das für gewöhnlich um diese Tageszeit aufs Äußerste verdunkelt war. Seit Stunden schon schien die Sonne durchs Fenster, aber keiner hatte es für nötig befunden, aufzustehen und die Vorhänge vorzuziehen. Es war zu angenehm, zu heiß, zu intim, die Luft zu sehr am Knistern als dass man es hätte wagen können aufzustehen. Der Moment innigsten Körperkontakts war zu schön, als ihn durch Kleinigkeiten zu vernichten. Wäre es wichtig, würde er sich ruhig zu dieser einen Kleinigkeit aufrichten, doch wichtig war nur der, in dessen Armen er lag. Und die Frage in seinem Kopf, die mit der Zeit, immer ein bisschen mehr, deutlicher wurde. „Takuma“, murmelte er an seinem Hals, den berauschend süßen Duft seiner Haut einatmend, vermischt mit seinem eigenen, der am ganzen Körper des anderen klebte. Sein (erster) Orgasmus zu Beginn der Nacht war nur der Auftakt von so viel mehr gewesen – die Erinnerung war wie das Gefühl beim Ausbruch aus dem Gefängnis seiner Langeweile. Ein Bild. Ein Name. Wie verführerisch schwach sein Gott doch aussah, als er sich unter seiner Hand bog, nach seiner Berührung lechzte, seinen Namen stöhnte. „Mmh?“ Er strich abwesend durch die unordentlichen roten Haare. „Was ist?“ Die Frage kam ihm bekannt vor. „Woher wusstest du, was ich …“ Er ließ den Gedanken unbeendet. „Was du wolltest?“ Beinahe kicherte er. „Ach, Senri. Wenn du meinen Namen stöhnst und dich dabei so berührst, spricht das eine eindeutige Sprache.“ Ein Kuss aufs Haar. So liebend. „Und erst dein Blut … es schrie geradezu.“ „Nach was?“ Er spürte, wie Takuma den Kopf in seine Richtung drehte und neugierig schaute er auf, suchte den Blick des anderen. Schon wieder dieses schalkhafte Lächeln und in seinen Augen ein undefinierbares Funkeln: „Willst du das wirklich wissen?“ „Würde ich sonst fragen?“ Gemächlich griff Takuma daraufhin nach Senris Hand auf seiner Brust, durchbrach mit seinen Zähnen ein minimales Stück der Haut, leckte die Tropfen funkelnder Rubine ab. Er seufzte tief. „Dasselbe, was es jetzt immer noch schreit.“ Ohne jegliche Vorwarnung lag er plötzlich auf ihm, spürte seinen ganzen Körper überall an seinem. Sein Mund war an seinem Ohr, goldenes Haar fiel auf seine Wange und er erschauerte, als die Lippen sein Ohr hauchzart, dem Streicheln einer Feder gleich, berührten. Die Worte jedoch passten nicht im Geringsten dazu. „Es schreit: Komm zu mir, Takuma. Komm mit mir, Takuma. Berühre und begehre mich, Takuma. Liebe mich, Takuma …“ Er pausierte ein Weilchen, entfernte seinen Mund von seinem Ohr und küsste ihn überraschend gierig, ohne Zurückhaltung. Dann sprach er weiter. „Und wenn du mich liebst, dann nimm mich, Takuma. Mach mich dein, Takuma. Lass mich nie vergessen, Takuma. Ich will dich, Takuma!“ Fast hätte Senri lachen müssen. Das traf so ziemlich genau das, was er wollte. Er schlang die Arme um den Hals des anderen, zog ihn ein wenig hinunter und hauchte ihm den süßesten Kuss auf den leicht geöffneten Mund. „Dann tu’s.“ Kapitel 3: Machtlos ------------------- Genre: Shounen-Ai, ein eigenwilliger Hauch von Romantik Summary: Er fühlt sich wie ein kleines Kind, wenn er den anderen nicht einfach gehen lassen will, nach seinen Händen greift, obwohl er weiß, dass das natürlich nichts bringt, einfach nicht genug ist. Er will kein Kind sein und das einzige, das ihm dagegen zu tun einfällt, versetzt ihn in eine bisher unbekannte Unruhe. [Anm. d. V.: Mann, ist der Os kurz im Vergleich mit den anderen ûu.] - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Natürlich stand es weit außerhalb seines Wirkungsbereiches, ihn von irgendetwas abzuhalten. Ein Griff an den Händen war nicht dauerhaft und der jetzt noch nicht einmal fest. Er konnte sich ihm problemlos entziehen, gehen und verschwinden, vielleicht sogar nicht mehr zurückkommen. Obwohl er das selbstverständlich nicht tun würde. Aber gehen, zumindest für diesen Abend, musste er definitiv. Einen solchen Auftrag schlug man nicht einfach aus, verweigerte ihn nicht oder fragte an anderer Stelle nach Hilfe. Zumal es für diesen einen besonderen Fall ein „an anderer Stelle“ nicht einmal gab. Übrig blieb nur zu gehorchen, ein paar Stunden oder die ganze Nacht, möglicherweise noch den darauf folgenden Tag, abwesend zu sein. Normalerweise war es nicht schlimm, doch in diesem Moment war es außerordentlich grauenhaft, warum auch immer. Der andere, der auf seine Hände starrte, die seine eigene festhielt, verstand es nicht. Der fragende Ausdruck in seinen Augen wurde immer deutlicher. Er, Senri, wollte nicht, dass sein Takuma jetzt ging. Doch er sagte nichts. Schweigend und völlig ohne Blickkontakt versuchte er ihm irgendwie verständlich zu machen, für den Moment an seiner Seite zu bleiben, zu der er so oder so zurückkehren würde. Er fühlte sich fürchterlich kindisch, aber er konnte einfach nicht loslassen. Er versuchte zu verstehen, nahezu verzweifelt, was er definitiv nicht verstehen konnte; einen Instinkt versuchte man nicht zu verstehen. Naturgegeben, von Anfang an vorhanden. Denn so kam ihm der Griff nach dem anderen vor, all den anderen vampirischen Instinkten gleich. Er hielt an ihm fest, sah ihn aber dennoch nicht an. Fast war es ihm peinlich, den Blick zu heben. „Shiki, was ist?“ Genüsslich, als wäre es der süßeste Tropfen Blut ließ er sich den Namen auf der Zunge zergehen, bevor er die eigentliche Frage stellte. Die Worte wirkten unglaublich belanglos verglichen mit dem Klang seines Namens. Eine Gänsehaut schlich sich über seine Arme und sein Blick suchte sich eine noch entferntere Ecke. Takuma – ein Name, den er ihm gegenüber noch nie ausgesprochen hatte – wartete nicht einmal eine Antwort ab, sondern griff mit seinen eigenen Händen nach den seinen, hielt sie zwischen ihren Körpern fest. Seine Hände waren wärmer als seine, derselbe liebevolle Druck, den man auch in seinem ewigen Lächeln sehen konnte. Wenn man es denn sehen konnte. „Shiki“, und schon wieder hatte seine Stimme diesen besonderen Klang. „Ich bin noch vor Mitternacht zurück. Du wirst nicht lange alleine sein. Dein Cousin hat versprochen, mir ein wenig freie Zeit zu gönnen.“ Den seltsamen Beigeschmack, den die Bezeichnung „Cousin“ noch immer hinterließ, überging er gekonnt, achtete nur auf das Gefühl ihrer verschlungenen Hände. Aber selbst wenn Takuma vor Mitternacht zurück wäre – bis dahin waren es noch über vier Stunden und triste Herbsttage oder –nächte zögen sich immer so unglaublich fürchterlich. Er wagte es gar nicht daran zu denken, wie sehr es ihn langweilen würde, das Warten und das Nichtstun. So fürchterlich langweilig. „Hörst du, Shiki? Ich bin bald zurück.“ Schon wieder sein Name. „Du wirst kaum merken, dass ich weg bin.“ Doch wie konnte dies wahr sein, wenn er sich bereits jetzt so fürchterlich gegen den bloßen Gedanken der Abwesenheit Takumas sträubte? Wie erst sollte es dann sein, wenn er wirklich nicht mehr hier war? Ein ganz leichtes, ganz leises Schnauben entglitt ihm, nur minimal verzogen sich seine Mundwinkel, aber Takuma bemerkte es trotzdem. Er lachte gönnerhaft, nur ein wenig und Senri war es noch eine Spur peinlicher, fühlte die Hitze in sich aufsteigen, wusste, dass der andere sich auch fühlten konnte – selbstverständlich. Wie sollte er nicht? Selbst als Mensch wäre er dazu in der Lage gewesen und das machte die Sache nur noch schlimmer. Wenn er doch nur gewusst hätte, warum er so reagierte. „Du überlebst das schon, mein Lieber. Ich beeil mich auch.“ Und wie zur Unterstützung seiner Worte löste er eine Hand von seinen, legte sie unter sein Kinn und drückte sein Gesicht ein wenig hoch, um ihm besser in die Augen sehen zu können. Senris Blick ging um wenige Zentimeter an seinem vorbei. „Versprochen“, meinte Takuma mit dem liebsten und glaubwürdigsten Lächeln auf den Lippen, das er wohl zustande bringen konnte. Senri fühlte sich wie ein Kleinkind, dass ohne seine Mutter nicht schlafen wollte. Die Vorstellung gefiel ihm nicht, aber er konnte sie auch nicht vertreiben und immer mehr veränderte sich seine Spiegelung in den grünen Augen, wurde jünger, bis sie schließlich bei einem Kind im süßen Alter von fünf Jahren stehen blieb. Das kleine Kind sah ihn an, schien traurig und nicht wirklich von dem überzeugt, was der andere ihm versprach. Fehlte nur noch der Schmollmund. Das Bild gefiel ihm nicht, machte seinen Stolz nieder, trat immer weiter auf ihm herum, während er bereits auf dem Boden lag. Es schauderte ihn, beinahe schon vor Ekel, weil er sich so unterwürfig verhielt und noch nicht einmal wusste, warum. Fast schon aus purem Trotz befreite er seine Hände, korrigierte seinen Blick um wenige Zentimeter, der nun direkt an dem Takumas hing. Der kleine Junge seines Spiegelbilds in den grünen Augen wirkte plötzlich entschlossen, stur, nahezu aufmüpfig. Alterte er vielleicht sogar wieder? Nur ein klein wenig? Die freien Hände legte er auf die Schultern des anderen, der ihn nur überrascht ansah – er konnte in ihm die Frage, was er tun würde, deutlich im Gesicht ablesen. Das Bild des Kindes ließ ihn nicht los, nagte unaufhörlich an seinem Stolz. Senri biss sich auf die Lippe. Er war kein Kind. Alles andere als ein Kind, dem ein paar Stunden Einsamkeit noch etwas ausmachten. Takuma kam wieder. Kein Grund, sich so zu benehmen. Definitiv nicht. Langsam verstärkte er seinen Griff auf den Schultern, ohne ihn zu fest werden zu lassen. Es tat nicht weh. Kein Kind. Kein kleiner Fünfjähriger, den der Gedanke der Einsamkeit in die Verzweiflung trieb. Nein. Warum auch immer er so reagierte, er würde sich nicht so verhalten, sich nicht weiter auf dieses kindliche Niveau herabziehen. Schluss. Entschlossen neigte er sich nach vorne, in ihrem Eifer schneller als seine Gedanken es eigentlich geplant hatten und keine Sekunde später berührten seine Lippen die des anderen. Takuma war überrascht, aber er entzog sich nicht. Ein zarter, aber fester Kuss. Kurz. Sie trennten sich schon wieder, als Takuma endlich zu verstehen schien, was Senri da eigentlich getan hatte. Eine Sekunde verstrich. Eine Ewigkeit. Das Gefühl wirkte nach, erfüllte ihn. Und … etwas fehlte noch. Das war nicht genug. Aber wie viel mehr konnte er sich erlauben? Wie würde er reagieren? Diese Frage, nein, allein diese eine letzte Wort derselben, löste in seinen Gedanken wieder diesen Trotz aus, weckte ihn stärker als zuvor; das Bild des Jungen wurde immer unerträglicher anzusehen. Ihre Gesichter hatten sich nicht voneinander entfernt und ungeduldig wagte er es, die Berührung zu wiederholen. Kürzer, süßer als zuvor. Aber sie war da. Und der Junge weg. Und er wollte mehr. Doch er wiederholte sie nicht noch einmal, wartete einfach. „Beeil dich.“ Bitte. Er ließ Takuma los, der daraufhin nur lächelte, nickte und ging. Ein Ausdruck in den Augen, den Senri nicht deuten konnte. Das Bild des Jungen war weg; übrig blieb nur er selbst mit dem ach so laut klopfenden Herzen und einem Kribbeln aus dem Lippen, dessen Grund ihm unverständlich blieb. Er starrte auf die Tür, durch die Takuma verschwunden war. Vier Stunden bis Mitternacht. Vier lange und einsame Stunden … Es schüttelte ihn bei der Vorstellung wieder genau so zu reagieren wie er es gerade getan hatte. Wieder zu dem kleinen, unschuldigen Jungen zu werden, der sich nach der Nähe sehnte … so sehr wollte er seinem Stolz nicht weiter zusetzen. War es nicht schon genug zu wissen, wie unterwürfig ihn dieser eine Vampir werden lassen konnte, ohne es überhaupt darauf anzulegen? Wie sähe es dann aus, wenn er es absichtlich versuchen würde …? Und dass er, obwohl er es dem Jungen in der Vorstellung vorwarf, es trotzdem verabscheute, dem anderen nicht nahe sein zu können? Ob er nun wütend sein sollte auf sich selbst? Er versuchte es, und doch konnte er sich nicht weiter dagegen wehren. Es war mehr als nur offensichtlich gewesen, was er wollte und nun nicht mehr haben konnte, jetzt aber umso mehr wollte. Seufzend wandte er sich von der Tür ab – sie würde weder abhauen oder sich so schnell wieder öffnen noch die Zeit schneller verstreichen lassen, wenn er sie nur anstarren würde. Vielleicht konnte er die Zeit sinnvoller gebrauchen, vielleicht sich ein wenig ablenken, damit der begehrte Zeitpunkt der Rückkehr schneller kam. Nur womit? Wenn er den Blick schweifen ließ, sah er so viel, was nicht sein war und ihn an den anderen erinnerte. Sein eigener Kram machte nur einen Viertel der ganzen Zimmerausstattung aus, doch genau das war einer der bedeutendsten Punkte, warum er sich hier so wohl fühlte, der Raum einen gewissen Flair, eine besondere Anziehungskraft auf ihn hatte. Vermischt mit dem guten und ach so süßen Geruch ihrer beiden Körper … genüsslich schloss er für einen Moment die Augen, dann öffnete er sie schwer ausatmend wieder. Hier stehen zu bleiben brachte nichts. Er brauchte etwas, dass er tun konnte. Mal sehen, welches Buch Takuma zuletzt gelesen hatte. Und während dessen konnte er sich ja Gedanken darüber machen, was sein würde, Takuma nun von ihm dachte, wenn die nächsten vier Stunden vorbei waren. Nein, Korrektur. Die nächsten drei Stunden und 58 Minuten. Mit einem schwachen Lächeln schlug er die erste Seite auf. Kapitel 4: Eiskaffee -------------------- Genre: Shounen-Ai, Romantik Summary: Es war so ein schöner Tag, durch und durch, geplant bis ins kleinste Detail und jedes einzelne von ihnen hatte Takuma auch umsetzen wollen. Es war jedoch nicht eingeplant gewesen, auf eine kleine Fantruppe des geliebten Models zu treffen, die an demselben ein besonderes Interesse haben. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Natürlich war es in gewissen Maßen seine eigene Schuld, immerhin hatte er ja die ach so glorreiche Idee gehabt, überhaupt seinen Shiki zu begleiten, ein einziges Mal – zumindest für den Anfang, irgendein Argument brauchte er ja, um Shiki zu überzeugen – hinter die Kulissen zu blicken. Das hübsche und bemalet Gesicht zu sehen, bevor es schön verpackt aufs Papier kam, war ein kleiner Traum, den er sich endlich zu erfüllen gedachte. Deswegen hatte er diesen Tag bestens vorbereitet, alles geplant, was es zu planen galt: Die Managerin angerufen und den Abholdienst gechancelt, den er mit seinem eigenen Fahrdienst ersetzen wollte und absolute Pünktlichkeit garantierte. Ein strahlendes Lächeln und überzeugendster Charme, der selbst durchs Telefon seine volle Wirkung tat, war alles, was er brauchte und die Frau fraß ihm aus der Hand. Alles war bestens. Und Kaname, der ach so liebe Hausvorstand, erlöste ihn für den einen Tag von jeglicher Arbeit und gönnte ihm den Spaß. Warum auch immer er in so einer großzügigen Laune war, Takuma nahm es so hin und freute sich seit knapp einer Woche auf diesen einen Tag. Shiki hatte nichts dagegen gesagt, als er von ihm bereits gegen 12 Uhr zum Auto gezerrt wurde, das Strahlen der Sonne von den finsteren Wolken verdeckt, in Takumas Gesicht jedoch voller Vorfreude auf das Glück, das der Tag versprach, erblühend. Ein Tag mit Shiki. Ein Tag mit seinem Shiki. Ganz allein. Nur sie beide. Ein Tag mit Shiki. Ein ganzer Tag mit seinem Shiki. Die Worte hatten sich immer wiederholt in einem kindischen, wirklich überglücklichen Singsang seit Tagen, seit Stunden, ununterbrochen. Man sah es ihm an, doch während alle anderen genervt davon wirkten, hatte Shiki selbst es einfach nur hingenommen und war genauso oft an seiner Seite. Ob er sich ebenso freute? Dem Guten sah man ja nichts an, wenn nicht genau hinsah und er fühlte sich unwohl dabei, seinem dringendsten Wunsch nachzukommen und Shiki einfach stundenlang anzustarren. Dieser selbst hatte nichts dagegen, das war ihm klar, aber all die anderen … er konnte sich doch nicht so ablenken lassen. Nicht als Vizehausvorstand. Doch heute, heute galt seine ganze, ungeteilte Aufmerksamkeit nur seinem Shiki. Der Unterricht war früh beendet worden und so hatte er Shiki und sich selbst direkt ins Bett geschickt, um wenigstens etwas Schlaf für den Tag zu haben. Wie er es genossen hatte, dass Shiki mit einem schwachen Lächeln sofort gehorcht und sich schlafen gelegt hatte. Er wusste, wenn er das einem anderen Vampir der Night Class gesagt hätte, hätte er sich vermutlich Jammereien und Beschwerden anhören dürfen. Und dann am Morgen … er hatte gelesen, als Shiki aufgestanden war, ihm diesen wunderbar verschlafenen Blick geschenkt hatte, wortlos die Frage stellend, warum der Wecker jetzt bereits klingelte und dann – das stumme Verständnis, als das strahlendste Lächeln Antwort genug gewesen war. Was war es für ein köstlicher Genuss, welch unbekannte Delikatesse, als Shiki aus seinem Bett krabbelte – und das wortwörtlich – und duschen ging. Welch Geruch wehte zu ihm herüber und er vergaß das ach so spannende Buch bei der Vorstellung, dass seine Nase den ganzen Tag von ihm umschmeichelt sein würde. Bis zu dem Zeitpunkt war seine Idee noch mehr als nur glorreich, sie war die ganze Welt. Alles drehte sich um diesem einen Tag und Shiki. Bezaubernd. Dann fuhren sie los, von Shiki kein Wort der Beschwerde über die relativ frühe Stunde und sie hielten in der Innenstadt, überfüllt wie an jedem anderen gewöhnlichen Tag und der Trubel war genau das, was ihre traute Zweisamkeit nur noch unterstrich. Zu weit in der Masse. Niemand unter vielen. Nur für sich. Wunderschön, nicht? Wie der glücklichste Mensch auf Erden sorgte er für sie beide, suchte passende Wege durch die Menschen ohne jemals den Kontakt zwischen ihnen zu unterbrechen. Ein ganzer Tag mit seinem Shiki. Sie durchforsteten ein Laden nach dem anderen, hin und wieder um eine Kleinigkeit in der Hand reicher denselben wieder verlassend. Ein schöner Tag, hinreißend durch die dunklen Wolken, den Tag frühzeitig in die geliebte Nacht verwandelnd. Wirklich wunderschön. Takuma liebte es. Und ihn. Das war klar und unausweichlich, eine unumstößliche Tatsache, derer er sich nicht schämte. Darum war sein Leben gewickelt, immer wieder neu danach ausgerichtet, der Mittelpunkt blieb immer der gleiche, der ihn nun durch eine dunkle Sonnenbrille ansah, die er ihm aufgesetzt hatte. Die Brille selbst war totaler Horror, eine Modesünde, wie sie im Buche stand, doch Shiki stand sie trotzdem, wurde zum neuen Trend. Ein Model in seiner Blüte, durch und durch. „Du hast einen schlechten Geschmack, Ichijou-san“, sagte Shiki da nur und blickte in den Spiegel, der bei dem Brillenständer dabei war. Unter den roten Haaren sah er eine Augenbraue, die sich zweifelnd hochzog und nicht recht glauben konnte, dass er ihm ausgerechnet diese Brille aufgesetzt hatte. „Ach was“, hatte er geantwortet und mit Genuss die Brille von dem schönen Gesicht gezogen, mit den Fingern die weiche und glatte Haut gestreift. Die bezaubernsten Augen, die darunter hervorkamen, sagten ihm, dass sein Geschmack alles andere als schlecht war, egal, wie skeptisch ihr Ausdruck sein mochte. Es war der Inbegriff puren Glücks, mit dem geliebten Vampir durch die Stadt zu wandern. Er hatte nur Augen für ihn und Shiki selbst blickte so oft zu ihm herüber und hinauf, ein Blick durch lange Wimpern hindurch, der seinen blauen Augen einen gewissen Glanz verlieh. Nur für ihn. Von seinem Shiki nur für ihn. Mit einem Lächeln dazu. Kein Lachen, weil es einfach nicht seine Art war, aber das würde er schon noch bekommen. Der kleine Vorfall mit der Brille war bereits über anderthalb Stunden her und der Zeitpunkt, an dem sie abgeholt werden sollten, damit sie zum Shooting fahren konnten, kam immer näher. Shiki hatte vorgeschlagen, dass sie sich vielleicht noch ein Kaltgetränk holen sollten, etwas, in dem sich eine Bluttablette ganz gut machte, weil es ziemlich an den Nerven zog, einen ganzen Tag wach zu sein, wenn die letzten Tabletten schon mehrere Tage zurück lagen. Takuma hatte zugestimmt, wollte er doch, dass Shiki bei bester Laune war, wenn er arbeiten musste und dieses Mal sogar extra für ihn vor der Kamera posierte. Mitunter. Zumindest in seiner Vorstellung schenkte er ihm solch ungeahnt heiße Blicke und wie genoss er es! Doch gerade, als er nach einer Hand mit schlanken Fingern greifen wollte, war die seine bereits in derselben und zog ihn genauso zielsicher durch die Menge, wie er es selbst zuvor getan hatte. Natürlich sagte er nichts dazu, nahm hin und suchte die Läden ab, ohne den Blick von den roten Haaren abzuwenden, um herauszufinden, zu welchem Laden es ihn zog. Doch der in Betracht gezogene Kiosk wurde links liegen gelassen und Takuma lachte über seine Fehleinschätzung. Sein Shiki war wohl selbst für ihn noch ein Rätsel. Derselbe drehte sich um, als er sein Lachen hörte, doch Takuma winkte bloß ab, sei nicht so wichtig, und legte den Arm, an dem Shiki ihn zuvor durch die Menschen gezogen hatte, um dessen Schultern. Wie zuvor auch schon sagte das Model nichts dazu, sondern ging einfach weiter, ließ sich näher an den Blonden heranziehen und steuerte gezielt auf ein kleines Café zu, nichts bedeutendes, nichts besonders auffälliges, aber doch genau seinem Geschmack entsprechend. Die Innenausstattung und das Design wirkten gemütlich, aber nicht wirklich viel versprechend, warme Farben sorgten für eine wunderbar erträgliche Stimmung, nahezu vertraut bei dem finsteren Wetter draußen. Und das schienen sich genug andere auch gedacht zu haben, so dass das kleine Café mit Laufkundschaft, ein Coffee-to-go und wieder weg, überfüllt war. Die wenigen Tische waren allesamt besetzt und Geplauder erfüllte den Raum. Takuma gefiel es hier. Kein großer Luxus oder desgleichen, der vielleicht seinem sonstigen Lebensstil entsprach – in bescheidenen und stilvollen Maßen verstand sich –, sondern einfach nur völlige Normalität. Perfekt und mit bezauberndem Charme, genauso wie der bisherige Tag. Allerdings … wollte Shiki nicht ein Kaltgetränk holen? Für die Bluttablette? Der Kleinere bemerkte den fragenden Blick und ein fast schon herausforderndes Funkeln trat in die sonst so emotionsarmen Augen. „Die Tablette noch nie in Eiskaffee getrunken?“ Fast schon misstrauisch schüttelte er den Kopf. Wie um alles in der Welt sollte man auf solche Ideen kommen? Doch Shikis Gesichtsausdruck stellte eher die Frage, wie man auf diese Frage nicht kommen konnte. Spielerisch stieß er ihm sanft mit den Ellbogen in die Seite, an die Takuma ihn immer noch gedrückt hielt: „Dann zeig ich dir mal, wie dieses olle Ding richtig genießbar wird. Warte hier auf mich.“ Und schon hatte Shiki sich mit einer flüssigen und zugleich doch so zögernden Bewegung von ihm gelöst und sich auf in Richtung Theke gemacht um ihre Getränke zu bestellen. Und genau jetzt war er wieder bei dem Punkt angelegt, warum er sich für diese glorreiche Idee selbst die Schuld zuschob, ein so fürchterlich negativer Begriff für einen so schönen Tag. Shiki war gegangen, stand in der Reihe bereits ziemlich weit vorne, auf seinem Gesicht keinerlei Spur von Ungeduld, obwohl die Frau hinter der Theke entweder eine absolute Anfängerin war oder einfach nur einen schlechten Tag hatte. Vielleicht war die Schlange deswegen so lang und es lag gar nicht an dem Café selbst … nichtsdestotrotz war Takuma seit ein paar Minuten etwas anderes aufgefallen, der zuvor noch von derselben Geduld erfüllt war. Eine kleine Truppe von vielleicht drei, vier Leutchen, jungen Männern, aber dennoch nur Menschen, wenn auch welche, die seinen Shiki aufs Genauste musterten und über ihn sprachen. Er hörte sie trotz der Entfernung und Lautstärke darüber diskutieren, ob es wirklich der Shiki Senri sei, das heiße Coverbild, obwohl vollständig in Klamotten eingehüllt, eines … eines Schwulenmagazins!? Takuma glaubte definitiv nicht richtig zu hören. Shiki, sein kleiner Liebling, posierte für ein Schwulenmagazin? Reichte es nicht, wenn er den bezaubernden Anblick des Models mit den hungrigen Augen der Frauenwelt teilen musste? Musste sein eigenes Geschlecht jetzt auch noch dazu gehören? Doch es erklärte immerhin auch die Blicke der anderen Männer, so intim, begehrend, fast wortwörtlich schon ausziehend. Und es gefiel Takuma nicht. Tief in seinem Inneren, in seinem Bauch anfangend, war da Wut. Eifersucht. Aggressivität eher weniger, weil es nicht seine Art war, unschuldige Menschen einfach anzugreifen, aber dennoch … vielleicht könnte er sich vergessen, wenn er noch die wahren Gedanken hinter den Blicken kannte, die er jetzt nur erahnen konnte. Die Männer der kleinen Gruppe bemerkten seine Blicke und er sah das Verständnis. Sie wussten genau, dass das begehrte Model ganz vorne in der Schlange in seinen Armen in das Café gekommen war. Vielleicht hegten sie Hoffnungen …?! Fast schon verzweifelt wandte er den Blick zurück zu Shiki, der in seiner unendlichen Geduld jetzt seine Bestellung aufhab, ein einziges Mal zu der neugierigen Gruppe schaute, obwohl er sie definitiv hören konnte. Und natürlich konnte man ihm nicht im Geringsten ansehen, was er davon hielt, ob ein mögliches Interesse an ihnen bestand. Ja, Interesse. An Menschen. An Männern. Ein Punkt, der Takuma reichlich wenig störte; sein Shiki war auch ein Mann – und was für einer! Doch er war seiner! Eine Stimme unterbrach seine Gedanken, höflich, das dazu gehörende Erscheinungsbild eher durchschnittlich, doch an Selbstvertrauen mangelte es ihm definitiv nicht: „Entschuldigung, du bist doch gerade mit Shiki Senri rein gekommen, nicht?“ Die selbstverständliche Annahme, die Gleichsetzung der beiden ärgerte ihn, das ach so vertraute „Du“ störte ihn fürchterlich. Für eine Sekunde überlegte er, mit nein zu antworten, doch die Lüge wäre zu offensichtlich gewesen. Stattdessen antwortete er knapp und unterkühlt: „Ja.“ Das große Ego des anderen schien nicht wirklich davon abgeschreckt zu werden, wirkte eher genauso aufgeblasen wie vorher, von der vampirischen Ausstrahlung nach außen hin kein bisschen eingeschüchtert. Diese erste Frage nur ein offensichtlicher Fakt, um dieses Gespräch zu beginnen. Ein schleimiges Grinsen. „Kennst du ihn gut?“ Gut? „Ich mein, so richtig gut?“ Worauf wollte er hinaus? Vielleicht ein wenig eingebildet, vielleicht gemeiner als der andere es überhaupt verdiente, sagte er: „ Ja, natürlich!“, als wäre es eine fürchterliche Beleidigung, irgendetwas anderes anzunehmen. Er verdrängte die Erinnerung an seine Fehleinschätzung von Shikis Entscheidung, was den Laden betraf. So etwas Außergewöhnliches hatte er ihm einfach nicht zugetraut, hatte den Vampir an sich schon für besonders genug gehalten. „Hat er eine Freundin?“ Völlig ungeniert, direkt, der Tonfall drängender als zuvor und Takuma fühlt sich noch genervter von ihm, auch nur den Gedanken zu hegen, sich an seinen Shiki ranzumachen, während er direkt dabei stand. „So ein gut aussehender junger Mann … in keinem einzigen Artikel steht etwas über sein Liebesleben – vielleicht weißt du ja etwas als guter Freund von ihm …“ Takuma wandte die Augen von ihm ab und Shiki zu, der gerade zu zahlen gedachte. Seine Gedanken wanderten zu Rima … nur um sie von ihm fern zu halten, wäre die Antwort „Ja, hat er. Und sie ist fürchterlich eifersüchtig!“ es wert? Oder wäre das mit der Eifersucht zu dick aufgetrauen? Zumal er nicht einmal wusste, ob Rima überhaupt eifersüchtig war. Vielleicht zeigte sie in solchen Situationen auch völliges Desinteresse. Möglich wär’s. Aber andersrum gesehen wusste er auch nicht, ob ein Ja überhaupt ausreichend war, um sie von Shiki zu vertreiben oder war da sehr viel mehr von Nöten? Wenn er das noch nur wüsste! Ein Seitenblick, weiterhin ungerecht kalt, blieb einfach nicht genug, um den anderen mit dem großen Ego einzuschätzen. War er nur so, weil er nicht genau wusste, ob Shiki eine Freundin hatte? Aber warum fragte er nach einer Freundin, wenn das Model auf einem Schwulenmagazin abgebildet war? Shiki steckte sein Geld weg, kam auf ihn zu, gemächlich; das Funkeln von vorhin, das schlagartig erlosch, als er den aufdringlichen Typen neben ihm sah und statt dessen ein völlig anderes Gefühl in den schönsten Augen zu erkennen war, dem seinen gar nicht mal so unähnlich. Ihm kam ihm eine Idee. Die beste des Tages. Glich den ganzen Schulgedanken von gerade wieder aus. Die Frage, ob Takuma ihn gut kannte, nein, „so richtig“ gut, sollte nur hinterfragen, ob er um dessen Vorliebe in sexueller Hinsicht wusste … was er im Nachhinein eigentlich mit „Nein“ hätte beantworten müssen. Eigentlich. In seiner kleinen Welt brauchte er solche Gewissheit nicht. Für Vampire war so etwas völlig egal, nur von Bedeutung an menschlichen Maßstäben gemessen. Die Frage nach der Freundin nur beabsichtigend, den Grund, sich keine Hoffnungen machen zu können, zu verringern. Immerhin hatte er ja selbst gesagt, dass nichts sicher war, Shiki hatte sich dazu einfach noch nie geäußert. Warum war ihm jetzt gleich. Shiki war besonders, war außergewöhnlich. Und seins. All jene bösen Gedanken schienen vergessen und mit einem seiner freundlichsten Lächeln, dem größten Strahlen wandte er sich dem anderen zu, wartete noch einen Augenblick, in dem Shiki ihm nahe genug kommen konnte, damit selbst ein schwächliches menschliches Gehör ihn verstehen konnte, und sagte: „Nein, er hat keine Freundin …“ Ließ das letzte Wort absichtlich unbetont, ein Flohlocken in der Stimme, als könnte diese Tatsache keine Schönere sein. Es war gemein, aber er hoffte, der andere würde es falsch verstehen, sich Hoffnungen machen, damit er sie jetzt zerstören konnte. Jeder Vampir war wohl irgendwo ein Monster. Sein freundlichstes Lächeln wurde zu einem herausforderndem Grinsen, mit dem er zurück zu Shiki blickte, der nun direkt vor ihm stand und die anderen abschätzend ansah, sofern sein gefühlskarger Charakter Fremden gegenüber dies zuließ. Eine quälend sanfte Bewegung, mit der er seine Hand zu dem schönen Gesicht hob, gerade nur ein Hauch von Druck, den er auf die Wange ausübte, nicht einmal eine wirkliche Berührung, doch genug, damit das Gesicht sich drehte und zu ihm aufschaute. „ … aber einen Freund“, vollendete er seinen Satz und ohne auch nur einen Augenblick des Zögerns beugte er sich hinunter. Seins. Ganz allein seins. Kein hauchzarter Kuss, sanft wie eines Falters Flügel, wie der erste in seinen zuckersüßen Vorstellungen immer aussah. Keine wortlose Frage, kein noch so minimales Stocken, um die Situation einzuschätzen, stumm um Erlaubnis für das Wagnis zu bitten. Statt all diesem eine selbstverständliche, ungeahnt intime Berührung, knisternd erotisch, obwohl völlig überraschend. Eine vollständige Einheit, kein Kampf um die Oberhand. Sein kleiner Shiki gab sich ihm gänzlich hin, schmolz unter seinen Lippen dahin und ihm selbst erging es nicht anders. Widerwillig und langsam, ohne es wirklich unterbrechen zu wollen, löste er sich in ihm, ein letzter heißer Blick für den Geliebten, bevor er zu den anderen schaute, denen er diese vielleicht ein wenig zu direkte Antwort gegeben hatte. Endlich schien er dem übergroßen Selbstbewusstsein einen deutlichen Riss zugefügt zu haben und es freute ihn unendlich. Der kleine Rest der Truppe schien auch mehr als nur enttäuscht zu sein. „Ach so. Verstehe.“, und als letztes Wort eine knappe Verabschiedung, bevor er zu den anderen zurückkehrte. Takuma und Shiki gingen an ihnen vorbei, dabei jeweils zwei kleine Tabletten in die Becher werfend, als wäre das Geschehene das natürlichste auf der Welt. Doch sein Herz, sein erhöhter Puls erzählten eine ganz andere Geschichte. „Ichijou-san“, fing Shiki an, der langsam durch die Menschenmassen ging, die sich nach wie vor in der Innenstadt herumtrieben, völlig ohne zu zögern an dem Getränk in seiner Hand nippte; es folgte keinerlei Beschwerde über den faden Geschmack der Tablette. „Worum ging es?“ „Hast du nicht zugehört?“ Die Antwort war ausweichend und alles andere als ausreichend. „Doch, schon … aber warum hast du das gerade getan?“ Wieder trödelte er mit der Antwort. Takuma schielte zu Shiki herunter, konnte aus seinem Gesicht nicht lesen, was er von dem Ereignis gerade hielt. Was wollte er schon sagen? Vorsichtig roch er an dem Getränk, der Geruch von Eiskaffee stieg ihm in die Nase, stark, aromatisch, völlig unberührt von den ungewöhnlichen Zusatzstoffen. Bedächtig trank er sogar einen Schluck, auf seiner Zunge jedoch nichts anderes als der Geschmack des Kaffees. Und trotzdem dieselbe Wirkung: Den Blutdurst zügelnd, unterdrückend ohne wirklich Befriedigung zu verschaffen. Mit einem Lächeln nahm er einen weiteren großen Schluck. Wirklich außergewöhnlich. Er selbst wäre nie auf die Idee gekommen, wäre fest in dem Glauben verfahren geblieben, die Tabletten wirkten nur vollständig mit Wasser. Sein Shiki, sein Senri war wirklich außer- und ungewöhnlich, das hatte er heute Morgen noch nicht so sicher sagen können. Und eben das gab ihm die Antwort auf seine Frage. Wie zuvor legte er seinen Arm um Shikis Schulter, drückte ihn ganz fest an sich und küsste ihn aufs Haar, auf die Schläfe, auf die Wange, auf die Mundwinkel, zu einem schüchternen Lächeln verzogen. Es bestätigte ihn nur. „Weil es doch stimmt, nicht wahr, Senri?“ Der schönste und süßeste Ausdruck in den Augen, als er diese Worte hörte, ein Strahlen, außerordentlich glücklich, ein Gefühl, das er bei seinem geliebten, geliebten Senri noch nie gesehen hatte. Nickend stimmte dieser zu, griff mit seiner linken Hand hinter Takumas Kopf um ihn zu sich herunter zu ziehen, ihm beim Gehen ein ebenso knisternder Kuss zu geben, wie der erste war. Doch dieser hier war zart und liebevoll zugleich, auffordernd und verlangend, die geöffneten Lippen und der heiße Atem eine kleine Vorprobe dessen gebend, was sie erleben könnten. Takuma erwiderte den Kuss, Senri genau das spürend lassend, was er für ihn empfand. Es war egal, dass sie mitten in der Stadt waren. Sie waren niemand unter all diesen Menschen. Er liebte diesen Tag, unendlich. Und er hatte noch den ganzen restlichen Tag vor sich. Ein ganzer Tag mit seinem Senri. Ja, er liebte diesen Tag. Und seinen Senri noch so viel mehr. Kapitel 5: Genuss ----------------- Genre: Shounen-Ai, Romantik, Humor Summary:: Es ist nicht mehr als ein kleines Missverständnis, aber doch mehr als ausreichend, um ihn abzulenken, sich ständig und immer wieder Gedanken darum zu machen, warum sein Freund so etwas sagte, wie er nur konnte, was er ihm tat. War es wirklich so schlimm, bei einem Gespräch einzuschlafen, und dafür dann so eine harte Strafe zu bekommen? Aber wenn es so schlimm ist - warum sieht er ihn dann imer auf diese eine besondere Art an? - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Mit jedem einzelnen Wimpernschlag verliert die Welt ein wenig mehr Farbe, ihre Konturen verblassen und alles beginnt zu verschwimmen. Er blinzelt nicht oft und je länger er seinen Blick auf einen Punkt gerichtet hält – und für mehr schafft er es auch gar nicht, irgendwelche Motivation aufzubringen; seine Umgebung hatte in diesem Moment nicht viel von großem Interesse für ihn –, desto unschärfer wird alles. Dunkle Bereiche vergrößern sich, verschlingen den Rest und irgendwann bliebe nichts mehr übrig, wenn seine Augen bis dahin nicht zu trocken geworden wären und zu schmerzen begonnen hätten, ließe er das Zwinkern gänzlich sein. Einmal Blinzeln, ein bisschen weniger Farbe, ein Flimmern an den Rändern seines Sichtfeldes und dann wird es wieder dunkler. Ein Gähnen drückt sich die ganze Zeit von unten herauf. Der Drang, ein wenig mehr Sauerstoff aufzunehmen, kämpft sich seine Luftröhre hinauf, hängt im Rachen fest und kommt doch nicht ganz hinauf. Gäbe er dem nach, könnte er es sicherlich überhaupt nicht mehr lassen und er gähnte und gähnte und gähnte und gähnte und gähnte … Aber er weiß, er kann jetzt nicht schlafen. Noch nicht. Ein wenig muss er noch durchhalten. Aber dann. Sehr bald. Wenn der andere ihm gegenüber endlich mit Reden fertig ist. Und das dauert bestimmt nicht mehr lang. Gleich. Sicherlich. Der Drang zu gähnen wird wieder stärker, doch er unterdrückt es immer noch. Nicht mehr lang. Immerhin kann er das dem anderen doch nicht antun und einfach, während er ihm etwas erzählt, einschlafen. Dabei wäre es toll, so toll, jetzt einfach die Augen zu schließen, an nichts mehr zu denken und einfach einzuschlaf …. Ohne Punkt und Komma. Einfach weiter. Immer weiter. Und dann noch das und jenes natürlich absolut nicht zu vergessen – nein, wie könnte er nur? Das war doch immerhin das bedeutendste und vor allen Dingen noch wichtigste Ereignis des gestrigen Tages. Ohne dieses eine hätte dieses nicht geschehen können und oh, natürlich! Das Ende! Das Ende war natürlich die absolute Krone! Die Spitze des Eisbergs! Das I-Tüpfelchen! Das Sahnehäubchen der süßesten Torte! Und so schnell findet er sicherlich keinen Schluss seiner kleinen Rede. Da gibt es so viel zu erzählen. Nicht nur das, was er erzählen will, nein, auch das, was er unbedingt erzählen muss. Und das nicht nur einfach irgendjemanden, sondern nur ihm. Dieser eine muss unbedingt alles wissen, was er erfahren hat und ihm widerfahren ist. Der andere sieht müde aus, das ist ihm gleich zu Anfang aufgefallen, doch sicherlich nicht müde genug, als dass er ihm nicht mehr bis zum Ende zuhören kann. So viel ist das doch gar nicht. Nur die Ereignisse eines einzigen Tages. Oder zwei. In dieser Kurzform, in der er sie verfasst, dürfte es der andere gerade noch lang genug aushalten können. Da ist er sich sicher. Er holt zum neuen Luft um wieder von vorn zu beginnen, um zu erzählen von dem, was danach geschah, denn es gibt noch genug, dass es zu erwähnen gilt. Der gestrige Tag mag abgeschlossen sein, aber heute steht ja auch noch aus. Heute ist nicht so ereignisreich wie gestern gewesen, aber doch mehr als nur erzählenswert. Doch bevor noch das erste Molekül der eingeatmeten Luft seinen Mund verlässt, blickt er zu dem hinunter, dem er all dies erzählen will, und er stockt. Die Atmung des anderen ist zu ruhig, ist zu gleichmäßig, das Flackern der Augenlider ist nicht mehr, die Augäpfel bewegen sich unter den geschlossenen Lidern. Er schläft. Empört und wie ein kleines Kind bläst er die Luft aus seinen Wangen. Wie kann er nur? Er gibt sich so viel Mühe, seine Erzählung spannend und lebhaft zu gestalten und er? Er schläft ein. „Shiki! Hey, Shiki! Wach auf!“ Er rüttelt ihn schwach, genug um ihn aus seinem leichten Schlaf zu reißen. Auf relativ sanfte Weise. Wie konnte er nur einschlafen? Nein, er ist nicht wirklich wütend oder sauer – er weiß doch, dass Shiki kaum schlief in letzter Zeit und das noch weniger als er selbst, da der Jüngere sich bisher einfach geweigert hatte zu Bett zugehen, bevor er selber nicht zumindest in ihrem gemeinsamen Zimmer war. Wäre an sich nicht weiter schlimm, wenn Shikis Tagesjob nicht noch dazu käme, der ihm noch die normale Schlafenszeit raubte. Kein Wunder, dass der arme Junge nun so müde ist. „Ach, Ichijou-san, lass mich …“ Das ist kein Reden, das ist nur ein Nuscheln, leicht unverständlich mit starken Tendenzen zu überhaupt nicht mehr verständlich. Der Mund nicht mal richtig auf, die Augen flattern, nie wirklich länger auf als den Bruchteil einer Sekunde. Wohl wollend und liebevoll lächelt Takuma auf ihn herunter. Wie konnte man nach einem solch süßen Anblick noch wütend sein? „Ich erzähle dir hier lang und breit von meinem Tag und was machst du? Du schläfst ein!“ Seine gespielt aufgebrachten Worte kommen nur langsam an und mit jedem weiteren Blinzeln kann Takuma sehen, wie Shiki mit sich ringt, zu verstehen, was er ihm sagte. Für einen Vampir mit überdurchschnittlichen Denkfähigkeiten und –kapazitäten dauert der Verstehensprozess ziemlich lange und beinahe hätte er darüber gekichert. Aber vermutlich, selbst wenn er es getan hätte – Shiki hätte es nicht mitbekommen. „Ichijou-san, ich bin … “, und der Rest geht unter in einem herzhaften Gähnen Ist sein Tonfall einfach nur müde oder entschuldigend? Takuma nimmt es hin mit einem schwachen Grinsen und beschließt, sein kleines Spielchen weiterzuführen. „Als Freund mag ich dir das vielleicht nicht übel nehmen, aber dafür, dass du deinem Vizehausvorstand nicht zugehört hast, gibt es zwei Monate Pockyverbot!“ Ob die Strafe vielleicht ein wenig zu hart ist? Für den kleinen, müden Shiki sicherlich schon, denn dieses eine letzte Wort lässt ihn aufschrecken, wohl das einzige, was durch die dumpfe Schicht des Schlafes durchzudringen vermag. Und schon wieder hätte er beinahe darüber lachen können. „Was?“ Vermutlich soll es überrascht und empört klingen, doch es ist viel mehr nur ein Hauch dessen, doch sein Gesichtsausdruck selbst ist ein Bild der Götter. Diese Mischung aus Übermüdung, Schock, Sprachlosigkeit, schlechten Gewissen und auch ein wenig Verletztheit in diesem einen schönen Gesicht, dessen Augen von diesem undurchschaubaren Blau in den Augenwinkeln vom Gähnen tränen, ist einfach nur der reinste Gaumenschmaus für ihn. „Was? Pockyverbot?“ Wirklich das einzige Wort, das erfolgreich zu ihm durchdrang und sich dauerhaft dort verankerte. „Natürlich. Wenn du deinem Vizevorstand nicht zu hörst, dann bleibt mir wohl keine andere Möglichkeit, als genau dort durchzugreifen, dass dich am meisten trifft und dich über dein Verhalten nachdenken lässt.“ Takuma bringt es mit einer ernsten Stimme und einem durchaus strengen Gesichtsausdruck vor, wirkt belehrend und tadelnd auf den anderen und mit jedem weiteren seiner Worte kann er genau erkennen, wie die Betroffenheit und das schlechte Gewissen in dem göttlichen Bild die Oberhand gewinnen. Er wartet einen Augenblick, sieht, wie Shiki mit sich ringt um endlich die richtigen Worte zu finden. „Aber … aber wieso?“ Er wirkt so verletzt. Die Tränen in den Augenwinkeln scheinen weniger vom letzten herzhaften Gähnen zu kommen als von seinen Gefühlen, die seine Worte so trafen. Der Anblick stimmt ihn für einen Augenblick nachdenklich. Ist er einen Schritt zu weit gegangen? Hat Shiki seine Worte zu ernst genommen? Dann beschließt er, es nicht weiter zu riskieren – wie könnte er es wirklich auch nur in Gedanken ernsthaft in Erwägung ziehen, seinen Shiki wütend auf ihn zu machen? Mit einem Lächeln, das für sich selbst spricht, winkt Takuma ab. „Ach, Shiki …“, und er sagt es extra voll von Verständnis, sanft und beschwichtigend, „nie im Leben würde ich dir Pockyverbot erteilen. Ich weiß doch, wie müde du bist und wie viel du in letzten Tagen wach geblieben bist.“ Für ihn. Nur für Takuma. „Es wird Zeit, dass du endlich mal ausschlafen kannst. Ab ins Bett mit dir, mein Lieber.“ Er stützt seinen Lieben ein wenig, obwohl er durch den kleinen Schock bereits wach genug scheint, seinen Weg ins Bett alleine problemlos zu finden ohne die Gefahr, auf dem halben Weg einzuschlafen. Seine Augen haben nun einen undefinierbaren Ausdruck, völlig undeutbar in jeder Weise und Takuma rätselt für einen Augenblick darüber, was ihm durch den Kopf gehen kann. Ist er wütend über sein Verhalten, dass er ihm diesen kleinen Streich spielte? Nein, Shiki kann ihm nicht ernsthaft wütend sein. Der Ausdruck vergeht und Shiki wirkt einfach nur noch unendlich müde. In ihrem gemeinsamen Zimmer angekommen knöpft er dem Kleineren die Schuluniform auf, erst die Jacke, dann die Weste, streicht erstere bedächtig von den Schultern und wirft sie unbedacht auf das Bett hinter ihm, verfährt mit der Weste genauso und fingert gekonnt an dem Knoten der Krawatte, bevor er sie soweit gelockert hatte, dass er sie langsam abziehen kann. Gedankenlos landet sie ebenfalls auf dem Bett. Umso bedächtiger allerdings wendet er sich den einzelnen Knöpfen des Hemdes zu, ebenso wie den Manschettenknöpfen. Mit jedem einzelnen wird ein wenig mehr der blassen Haut darunter frei gegeben, in der Dunkelheit bildet die elfenbeinfarbene Haut ein ebenso deutlichen Kontrast zu dem schwarzen Hemd als am Tage. Takuma schluckt. Shiki, in seinem stehenden Halbschlaf, stöhnt leise auf, als er mit seinen Händen unter das Hemd wandert und es so von seinen Schultern zieht, dabei einen Schritt näher tritt als vielleicht notwendig. Er schluckt wieder. Und es wundert ihn nicht im Geringsten. Er weiß, warum er seinem Shiki nicht wütend sein kann, selbst wenn er bereits nach dem Hallo eingeschlafen wäre, nach der ersten Sekunde der nicht mal ernst gemeinten Empörung wäre dort wieder dieses eine, andere Gefühl für ihn … Einem, dem er nie entkommen kann und er weiß, er wäre des Wahnsinns, wenn er es auch nur in seinen Träumen versuchen würde. Nie im Leben würde er … Shiki lehnt sich an ihn, seinen Kopf gegen seine Schultern, als er nach einigen Augenblicken immer noch so nah bei ihm steht und sein Herz stolpert bei einem Schlag. „Mmmmh …“, kommt nur über seine Lippen und obwohl er so müde ist, seine Stimme bei diesem einen Laut sogar fast schon bricht, klingt es zufrieden. Takuma schüttelt den Kopf, erinnert sich wieder an sein eigentliches Vorhaben: Shiki ins Bett bringen, das sollte er jetzt auch umsetzen. Aber ob das auch funktionieren kann und wird? Seine eigenen Gedanken sind bereits nicht mehr die keuschesten und Shiki wirkt selbst im halbschlafenden Zustand nicht abgeneigt, sich ihm hinzugeben. Vorsichtig drückt er ihn ein wenig weg von ihm, damit er wieder von alleine steht (nein, es tut ihm nicht weh, den Körperkontakt zu unterbrechen, ist viel mehr gefesselt und geknebelt von dem Gedanken, was er nun tun wird) und kniet sich vor ihm hin nieder, um einfacher seine Hose öffnen und sie ihm dann ausziehen zu können. Und direkt vor seiner Nase ist … Was bei so einer einfachen Handlung doch alles passieren konnte. Nur ein kleines Streifen, ein kleiner Hauch von einer Berührung, ein warmer Atemstoß – solche Kleinigkeiten reichten aus, um die heutige Nacht zu einer wirklich außergewöhnlichen zu machen. Doch was hat er davon, wenn Shiki kaum noch in der Lage war, sich aufrecht zu halten? Mit einem weiteren Kopfschütteln versucht er seine Gedanken zu kontrollieren und Shiki so schnell wie möglich ins Bett legen zu können, damit er ins Bad gehen kann. Für eine kalte Dusche. Eine sehr kalte. Und mindestens eine. Seit jenem Vorfall geht die Zeit natürlich weiter. Ganz normal. Wie gehabt. Schneller als sonst. Quälend fürchterlich langsam. Ohne Ende. Ohne Grenze. Und dann auf einmal doch in einem besonderen Augenblick den endgültige Schluss versprechend. Das übliche halt, wie das Leben vergeht. Die Tage fangen an, die Sonne geht auf oder nicht, es regnet oder nicht, die Tage enden und es wird Nacht. Alle 24 Stunden dasselbe Spiel. Und seit seine Gedanken in die vielleicht ein wenig verkehrte Richtung abgedriftet sind, wie sie es seit dem so oft und immer und immer wieder tun, fällt sein Blick immer öfters unbewusst auf den einen, den er sofort und beinahe ein wenig peinlich berührt wieder abwendet, wenn er merkt, dass der andere ihn auch ansieht. In seinen Augen wieder dieser eine undefinierbare Ausdruck. Und das passiert meistens in schätzungsweise 99 Prozent aller Fälle. Sieht er ihn an, blickt er auch zu ihm zurück. Als wären sie miteinander verbunden, ihre Blicke durch ein unsichtbares Band verbunden, das sie unweigerlich dazu zwingt, aufzusehen, tut es der andere auch. Takuma gefällt dieser Gedanke. Es bringt ihm sogar zum Lächeln, sogar immer öfter, wenn er nur mit Shiki allein ist, ihm irgendetwas erzählt, die Stimmung dabei noch so gelassen ist, Blickkontakt überhaupt nicht von Nöten wäre, und ihre Augen doch immer wieder wie durch Magie zueinander finden. Seit jenem Tag wirkt der Kleine selbst bei solch wirklich banalen Gesprächen über das Wetter aufmerksamer als sonst, als erzählte er ihm nicht, wie praktisch der Regen doch nach einer langen Sonnenzeit wäre, damit die Blumen wieder in prächtigen Farben erblühen konnten, sondern, dass ein Widerstand gegen den Vampirsenat zum jetzigen Augenblick vielleicht noch erfolgreicher sein konnte als jemals zuvor durch seine geschwächte Position, besonders hervorgerufen durch das aufrührerische Verhalten des hauseigenen Reinblüters. Aber über so etwas redet er nicht mit Shiki. Und deswegen ist es umso verwunderlicher, dass er, egal, wie es um seine Stimmung bestellt ist, nie noch aufmerksamer sein konnte. Jedes Mal, wenn ihm das aufs Neue auffällt, meldet sich sein schlechtes Gewissen zu Wort, erinnert ihn daran, dass Shiki in seinem übermüdeten Zustand seinen Scherz vielleicht zu ernst genommen hatte. Kann das sein? Unwahrscheinlich ist es nicht, wenn er sein Verhalten mit dem davor verglich. Doch Shiki selbst sagt nie etwas dazu, wenn Takuma das Gespräch in die entsprechende Richtung zu lenken versucht. Vielleicht bildet er sich das nur ein, er ist sich nicht sicher. Er vergisst es nicht, aber geht nicht weiter darauf ein, wenn er mal wieder von den Ereignissen seines Tages erzählt, während Shiki willig zuhört und ihn anschaut, wenn er es auch tut. Aber das ist nicht das einzige, was Takuma auffällt. Wenn er da sitzt und erzählt, Shiki ihm gegenüber oder, wenn sie in ihrem Zimmer sind, auf seinem Bett liegt, dann tut derselbe nichts anderes als einfach nur dort zu sein. Er isst nichts, wie er es für gewöhnlich zu tun pflegt, seine geliebten Pockys hat er seit geraumer Zeit nicht mehr in dessen Händen gesehen. Nicht mal während des Unterrichts, wenn die kleine Rima ihm etwas anbietet. Entweder tut er nahezu penetrant so, als würde er sie nicht hören, so dass sie sich bereits mehr als einmal beleidigt abwandte, oder er meint schlicht, er wolle sie jetzt nicht. Die Ablehnung seiner Lieblingsnascherei überrascht mit der Zeit so ziemlich jedes Mitglied der Night Class. Shiki Senri ohne Pockys ist wie Aidou ohne Ärger von Kaname-sama. Beides geht einfach nicht ohne. Und so passierte es anfänglich, dass manche ihrer Mitschüler besorgt zu ihm kamen und ihm von ihren Beobachtungen erzählten. Shiki esse keine Pockys mehr, ist er krank? Geht es ihm nicht? Aber wenn ja, warum geht er dann noch immer regelmäßig zu seinen täglichen Modeljobs? Verschweigt er seine Krankheit etwa? Spielte er den Starken? Der verehrte Vizehausvorstand und Zimmerkollege möge sich doch bitte darum kümmern. Man wolle ja nicht, dass es einen von ihnen schlecht ging. Beinahe bringt ihn die Sorge der anderen um den einen zum Lachen. Eine kleine Veränderung am Gesamtbild und sie kommen an, als stünde die ganze Welt Kopf. Ihre Bitten häuften sich sogar, als der erste Monat vollständig verstrichen war und Shiki noch immer völlig pockylos dastand. Es ist in der Tat besorgniserregend, aber Takuma weiß nicht, was er dagegen tun soll; er sieht ihn an und mit diesem ersten Blick sieht er, dass dem Jungen überhaupt nichts fehlt. Alles in Ordnung. Wüsste er es nicht besser, würde er sogar zu behaupten wagen, alles sei in bester Ordnung. Doch das wäre ja offensichtlich eine Lüge. Es vergeht noch einmal zwei Wochen lang dasselbe Spiel. Der Tag bricht an und endet, die Sonne geht immer weniger auf und umso mehr Regenwolken zieren statt ihrer den Himmel, aber im Prinzip bleibt es dasselbe und nichts passiert. Nichts bis auf dieses eine und dieses Eine ist die zugegebenermaßen wirklich verspätete Erkenntnis darüber, warum sein kleiner Shiki, der in der Zwischenzeit seinen Gedanken doch so viel nährreichen Boden für die unanständigsten und schamlosesten Vorstellungen gab – ein göttlicher Anblick nach dem anderen, der sein Herz zum Fliegen und Flattern bringt –, seine geliebten Pockys seit jenem Tag nicht mehr angerührt hat. Das Wissen darum, dass Shiki seinen kleinen Scherz ein wenig zu ernst und ihm übel nahm, betrübt die zuckersüßen bis heißen Fantasien und er weiß sich nicht anders zu helfen, als bei jedem Mal erneut aufzuseufzen, wenn er sieht, dass Rima es nicht einmal mehr versucht, Shiki auch nur einen Pocky anzudrehen und es ihn noch nicht einmal kümmert. Und dann ein erneutes Seufzen, wenn er von einem kleinen Auftrag, den Kaname-sama ihm auftrug, zurückkehrt und er von ihr erfahren muss, dass er nicht einmal welche annimmt, wenn er einen Pocky hätte genießen können ohne Gefahr zu laufen, dass Takuma es jemals erfahren würde. Das scheint für Shiki von keinerlei Interesse zu sein und er hält seine „Strafe“, die nicht einmal eine ist, konsequent durch. Allein bei dem Gedanken geht es ihm nicht mehr gut, seinem Freund so etwas angetan zu haben und jetzt sind bereits über dreiviertel der Strafe bereits um. Anderthalb Wochen verbleiben und Shiki hat nicht einen einzigen Pocky angerührt. So erst kann er das doch gar nicht genommen haben … Eine Woche steht noch aus und sie sind beide in ihrem Zimmer, der Morgen naht in einigen Stunden. Takuma sitzt auf seinem Bett, liest ein Buch und neben ihm eine Schachtel Pockys, nach der er gelegentlich greift; eine versteckte Aufforderung an den anderen, sich nun endlich auch von diesem lächerlichen Verbot zu lösen und wieder normal zu sein. Doch nichts. Shiki sitzt einfach nur auf dem Boden an das Bett gelehnt, auf dem er selbst sitzt, hat die Augen geschlossen, schweigt und tut nicht mehr als zu atmen. Es scheint nicht, als wäre ihm langweilig, vielleicht ein wenig müde, doch der Kampf, nicht einzuschlafen, sieht er eindeutig den zusammengezogenen Augenbrauen an. Die kleine Falte zwischen ihnen, die nicht sein sollte. Als wollte er jenen Fehler – und er nennt es nur so, weil Shiki es so zu betrachten scheint – um jeden Preis vermeiden. Das sieht er sich noch einige Minuten lang an, dann gibt er seufzend auf, legt das Buch weg, schwingt die Beine über den Bettrand und setzt sich direkt neben Shiki, bleibt aber auf dem Bett. Von hier oben kann er ihn doch viel besser beobachten. Sanft drückt er mit einem Zeigefinger zwischen die Augenbrauen (sein Blick nimmt wie jedes Mal jedes einzelne Detail des schönen Gesichtes auf, jetzt wohl gemerkt hauptsächlich die wohl geformten Augenbrauen: jedes einzelne Haar sitzt in bester Form und hat denselben rötlich schimmernden Farbton wie das Haupthaar) und versucht die Falte zwischen ihnen zu glätten, hält den Finger solange dort, bis sie es tut, das Gesicht entspannter wirkt. „An was denkst du, Shiki?“, fragt Takuma, nachdem er seinen Finger über das Gesicht wandern lässt, es genießt, das es sich in die Richtung dreht, in der seine Finger zuletzt die weiche Haut berührt hatten, als könnte es so die Berührung wiederholen. Dass so etwas ausreichte, um seinem geistigen Augen eine ganz besondere Vorstellung seines rothaarigen Lieblings zu geben, so unterwürfig, die Stimme nahezu nur ein Hauch und ein Klang, der ihm mehr als nur eine Gänsehaut beschert – jetzt hat er ein wirklich schlechtes Gewissen, dass er so etwas genießt, während Shiki unter Pockyentzug litt und leidet. Wie ungerecht er doch ist. „An dich“, antwortet der Kleine ehrlich. „Und an was genau?“ „An einen Tag vor knapp zwei Monaten.“ „Was war genau? Was hab ich getan?“ Als ob er das nicht selbst genau weiß. „Du … hast geredet …“ Er lacht leise, das ist nichts Ungewöhnliches. Aber Recht hat er. „Und?“ „Ich schlief ein.“ „Ja?“ „Du hast mich wieder geweckt.“ „Und dann?“ Das ist ja wirklich süß. „Warst du wütend.“ „Ernsthaft?“ „Solltest du das nicht besser wissen?“ „Könntest du mich nicht auch falsch verstanden haben?“ Welch interessantes kleines Spiel. Lächelnd erhebt er sich in einer flüssigen Bewegung vom Bett und kniet sich direkt vor Shiki über dessen eines ausgestrecktes Bein, stützt auf das angewinkelte seinen rechten Arm, mit dessen Hand er unter Shikis Kinn greift. Wieder dieses eine Bild verführerischster Unterworfenheit, das am Rand seines Bewusstseins kitzelt und nach Erfüllung schreit, als der andere die Augen öffnet und ihn fragend anschaut. Die Nähe überrascht ihn nicht, scheint viel mehr willkommen zu sein und der undefinierbare Ausdruck vergeht ein wenig unter anderen Gefühlen. „Ist das wahrscheinlich?“ „Du warst müde und vielleicht hast du meine Worte nicht mehr ganz so gut verstanden, wie normalerweise.“ Aber dennoch war es so knuffig, ihm dabei zuzusehen, wie er zu verstehen versuchte, was es in seinem Zustand zu verstehen gar nicht möglich war. „Meinst du?“ Dieser zweifelnde (und nun wirklich unterwürfige) Tonfall – wie süß. „Ja, meine ich.“ Und wie zum Beweis greift er nach der Pockyschachtel um einen einzigen hinauszuziehen, den er dem anderen vor den Mund hält. Ein skeptischer und ungläubiger Blick ist die Antwort und Takuma kann nur darüber lachen. „Wie ich damals schon sagte: Ich käme nie auf die Idee, dir Pockyverbot zu erteilen.“ „Aber sagtest du nicht, du würdest es mir übel nehmen?“ Schon wieder ist die eine kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen vorhanden. Und schon wieder muss Takuma über seinen Freund lachen. „Nein, natürlich nicht – wie könnte ich?“ „Was sagtest du dann?“ „Dass ich es dir als Freund eben nicht übel nehmen könnte, aber selbst wenn ich es so gesagt hätte – nichts davon war ernst gemeint.“ Ist es überzeugend genug? „Aber wenn du mir nicht glaubst …“, fängt Takuma an und führt den Pocky von Shikis Mund zu seinem, „ … dann kann ich es mir natürlich auch schmecken lassen.“ Mit einer schnellen Bewegung – schneller, als er sich imstande fühlt – greift er nach dem Handgelenk des anderen, bevor dieses auch nur die halbe Strecke bis zu dem anderen Mund überbrücken kann. Er hat ihn falsch verstanden. Gut, dass kann passieren. Dann hat er also mehr als anderthalb Monate umsonst auf Pockys verzichtet. Umsonst. Das Wort streicht durch seinen Kopf und findet keine Ruhe. Der Geruch der Schokolade umschmeichelt seine Nase und er vergisst es, führt die Hand wieder zurück und beißt in die Schokolade herein, genießt es, wie sie auf seiner Zunge vergeht. Welch Wohlgeschmack! Hin und wieder schaut er auf und er ist sich sicher, er täte alles, was Takuma verlangte. Alles. Er isst die kleine Nascherei auf, bis er mit den Lippen Ichijou-sans Hand berührt, der während dessen nichts anderes tat, als ihm mit diesem einen besonderen Blick anzusehen, den er bereits öfters bei ihm entdeckt hat. Der diese eine besondere Botschaft aussendet. Der darum bittet, Genüsse empfinden zu dürfen und ihn selbst empfinden zu lassen, die sie bisher nur erahnen konnten. „Ich glaube dir“, antwortet Senri und schaut ihn durchdringend an, erwidert diesen einen Blick aus grünen Flammen, beugt sich nach vorne. Er hat ihn also missverstanden. Beinahe könnte er darüber lachen. Aber es gibt etwas, was nicht deutlicher sein könnte. Das hatte er selbst damals in seinem völlig übermüdeten Zustand verstanden hatte. Da ist etwas zwischen ihnen, dass nur sie beide sich gegenseitig geben konnten und ihn was ein Pockyverbot von über anderthalb Monaten gerne wieder vergessen ließ. Jetzt zählt nur etwas anderes. Verlangen nach diesem unendlichen Genuss. Kapitel 6: Leid --------------- Genre: Shounen-Ai, Drama, Darkfic Summeray:: Es gibt nur die eine Wahrheit; es ist etwas passiert, das ihn nie wieder anderes glauben lassen wird. Und das er jemals andere glaubte, bringt ihm zum Lachen. Über sich selbst. Und ausgelacht zu werden ist noch das Mindeste, was er verdiente. Er war so ein gottverdammter Vollidiot, unfähig, seine eigene Scheiße auszubaden. Und das würde er bitter bereuen. [Direkte und für manch einen vielleicht offensive Sprachwahl] - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Sollte er darüber lachen, dass es ihn so beschäftigte? Er sollte. Es war nämlich wirklich lächerlich, jeder einzelne Klang, der einem Lachen gleich kam und sei es auch nur ein kurzes hartes Auflachen, ein einzelnes Geräusch ohne Zusammenhang, wäre berechtigt gewesen. Nicht nur berechtigt. Auch noch verständlich. Tolerierbar. Akzeptabel. Und jegliche anderen Synonyme, die beinhalteten, etwas hinzunehmen und dabei war es ihm reichlich egal, ob das auf einer positiven Art geschah oder einer völlig anderen. Hauptsache, irgendwie. Und Hauptsache, das Gelächter hatte irgendeinen Grund. So fühlte er sich nämlich. Und in diesem Augenblick reichte es nicht einmal im Ansatz an das heran, was er verdiente. Sagte er das? Nein. Er nahm einfach hin, dass auf seinem Stolz so herumgetrampelt wurde, auf seiner Würde, auch wenn er sie nicht so offen wie manch anderer vor sich rum trug, und dachte im Nachhinein darüber nach, ob es gut war, seinen Mund gehalten zu haben. Natürlich war es das nicht, aber was sollte er jetzt schon ändern, nun, da alles zu spät war? Wenn etwas zu spät war, gab es nichts mehr zu ändern. Dann nahm man einfach nur hin. Die Vergangenheit ließ sich vielleicht erklären, aber nicht ändern. Wie konnte er so etwas nicht wissen? Es war schrecklich, fürchterlich schrecklich und in allen Definitionsarten unabänderlich. Und, was noch schrecklicher war, es war vergangen. Es ließ sich also nicht mehr das Geringste daran ändern und jetzt aus dem Gegebenen das Beste machen? Ja, das war sein erster Gedanke gewesen, aber gleich danach hatte er ihn wieder verdrängt. Das Beste draus machen. Ha. Guter Witz. Genauso lachhaft wie sein Verhalten dem ganzen Mist gegenüber. Da ließ sich nirgends mehr das Beste draus machen. Da ging absolut gar nichts mehr. Tote Hose. Nada. Niete. Nothing. Zero. Absolut einfach nichts. Es war geschehen und nun stand er hier, mit dem Unausweichlichen konfrontiert und wusste nicht weiter. Wie sollte er auch? Auf so etwas konnte man nicht vorbereitet sein. Niemals. Egal, wie gut man sich irgendwann jemals auf irgendetwas Mögliche vorbereitet hatte. Man machte sich Gedanken, klar, das war bis gestern auch noch völlig verständlich und natürlich gewesen, aber heute, besonders seit diesem Augenblick war das Gedankenmachen ein Punkt geworden, dem man eindeutig weniger Aufmerksamkeit schenken sollte. Brachte ja eh nichts. Hatte sich in der letztendlich bedeutendsten Situation ja herausgestellt. Von wegen es wird alles leichter, wenn man sich vorher nur lang genug einen Kopf drum macht. Alles gelogen. Nichts war leichter geworden. Alles nur beschissener und schwieriger. Sein naiver Aberglaube wäre jedes Auslachens wert gewesen. Mindestens. Sehr lauten Auslachens, so richtig schön vor tiefem Hohn und unglaublicher Schadenfreude triefend. Allerdings wurde es keinen einzigen Augenblick lang laut, blieb totenstill und vielleicht, dachte er sich, war das noch besser als das Auslachen. Niemand machte sich überhaupt erst die Mühe, sich mit so einem Vollidioten wie ihn selbst zu beschäftigen. Warum auch? Es stand ihm doch geradezu auf die Stirn geschrieben, was für ein absoluter Versager er war. Unfähig, sich derer anzunehmen, die er am meisten bewahren wollte. Voll von der Inkompetenz seiner Fähigkeit beherrscht, seine Liebsten zu bewahren. Oder viel mehr seinen Liebsten. Gerade den hatte es am meisten getroffen. Und gerade dadurch traf es ihn selbst am meisten. Eine fürchterliche Ironie, die er genauso verdiente wie das Gelächter und das Schweigen. Eine Ironie des Schicksals, das genauso unabänderlich war wie die Vergangenheit selbst. Die Zukunft war vorgegeben und das bereits Geschehe war nicht länger von Interesse. Es half beim Verstehen des Vergangenen, ließ sich aber nicht im Geringsten umändern. Und die Gegenwart, determiniert durch das Schicksal und in feste Bahnen gefahren durch Geschichte, ließ keinerlei Handlungsfreiheit. Zu glauben, man könnte seinen Weg selber wählen, war fast genauso lächerlich wie er selber. Der Gedanke ließ ihn verzweifeln und an seiner Verzweiflung verbittern. Er hätte nie wirklich etwas ändern können. Hatte nie etwas ändern können. Egal, wie sehr er wen auch immer zu beschützen versuchte. Das tat weh. Fast schon unerträglich. Doch statt sich dem Schmerz hinzugeben, verdrängte er ihn und blickte hinunter auf den, der in dem Bett vor ihm lag. Den, der hatte nicht beschützen können. An sich ging es ihm jetzt nach seinem Versagen nicht schlecht, eigentlich geradezu fast schon bestens durch den Kräftewuchs, den der Wandel mit sich brachte, aber an sich war er einfach nicht er selbst, so dass ihm das Neue nicht das kleinste bisschen an Vorteil für ihn mitbrachte. Also was soll’s. Er sah weiter hinunter. Woran lag das, dass er nichts hatte tun können? An seiner oft als Treue missverstandenen Unterlegenheit seiner Familie gegenüber? Missverstanden, ja, war genau das richtige Wort. Hätte er auch nur für einen Augenblick die Kraft und die Macht dazu gehabt, hätte er sich längst aus dieser Misere befreit und jedem kräftig in den Arsch getreten, der er erstens verdiente, der sich zweitens in seinem Weg befand und von dem ihm drittens die Nase nicht gefiel, die Krawatte schief saß, was auch immer. Er hätte jeden einzelnen eiskalt abgemurkst und dann darüber gelacht, dass er von dieser kranken Familie frei war, wenn das ihm die Möglichkeit versprochen hätte, seinen Liebsten zu beschützen. Doch das war ihm nie bestimmt gewesen. Und so musste er nicht nur seine Treue zur Familie hinnehmen, sondern auch die damit immer wieder gerne fälschlicherweise verbundene Treue zum Vampirsenat, was die Sache noch um einiges schlimmer machte. Den konnte er noch weniger leiden als seine Familie. Und wie auch zuvor, wenn es um die Ironien des Schicksals ging, waren und blieben sie einfach wie erfroren an ihrem Platz stehen, der immer dort zu sein schien, wenn man sie sich am meisten fortwünschte, um auch nur die minimalste Veränderung hervorzurufen. Doch wie sollte er den Senat noch grausamer und sadistischer umbringen können, einen nach dem anderen, wenn es ihm noch nicht mal gestattet war, Hand gegen seine Familie zu erheben? Ja, Ironie des Schicksals. Wie er bereits sagte. Und jetzt stand er hier, gefesselt durch eben jene und durch Schicksal und Geschichte zugleich, blickte auf den herunter, den er zu schützen versagt hatte und verzweifelte. Hasste sich dafür und zugleich doch wieder nicht. Immerhin hatte er nichts getan, was er nicht hatte verhindern können. Was die Sache aber nicht angenehmer machte. Eigentlich eher nur beschissener. Und Scheiße war noch nicht mal ein adäquates Wort für seine Lage. Eine maßlose Untertreibung, die er nicht mehr steigern konnte. Am liebsten würde er sich wünschen, er hätte überhaupt nicht mehr hierher zurückkehren müssen, dann hätte er sich nichts von all dem mehr antun müssen, was geschehen würde, hätte nicht unter dem Anblick leiden müssen, der sich ihm noch bieten würde. Die weichen Hände, das leblose Gesicht, die unergründlichen Augen, sie würden nicht mehr die gleichen sein. Nicht mehr wie vorher und nicht mehr das, was er so geschätzt und geliebt hatte. Nicht mehr. So schnell nicht wieder. Vielleicht sogar nie wieder. … jaa, Scheiße war wirklich eine maßlose Untertreibung. Nähme man mal an, es hätte sich überhaupt die Möglichkeit für ihn geboten, nicht wieder zurückzukehren, dann wäre es ihm erspart geblieben, es sich jede Sekunde aufs Neue mit ansehen zu müssen. Vielleicht hätte er vergessen können, sich vor dem Schmerz retten können. Und dann hätte er sich selbst ausgelacht. Noch so ein schamlos guter Witz. Wie hätte er jemals so jemanden wie den anderen vergessen können? Gar nicht! Das war nicht möglich. Das war nicht sein Schicksal. Ihre Lebensfäden waren unweigerlich miteinander verbunden, mehr noch als mit jedem anderen, den er kannte – wie sollte er dann sein Schicksal, sein eigenes, vergessen können? Es war ihm vorbestimmt zu leiden, egal, was er tat. Ausweichen war nicht möglich. Und es fing bereits an. Er litt bereits in diesen Augenblick, starb tausend Tode von Höllenqualen, obwohl er sich nicht im einmal im Ansatz sicher sein konnte, dass sein Schmerz überhaupt eine ausreichende Äquivalenz besaß, um mit tausend Toden verglichen zu werden. Von den Höllenqualen wollte er gar nicht reden. Die passten. Als einziges. Immerhin etwas. Zogen die Sache aber nur noch mehr in den Dreck. Was brachte es ihn zu wissen, dass er sich zwar vorkam, als würde er ihm heißesten Feuer verkokeln, aber letzten Endes doch nie starb? Kein einziges Mal? Nicht zu sterben war das Schrecklichste an der ganzen Sache. Tod hätte Erleichterung bedeutet. Tod hätte Erlösung bedeutet. Wenn auch nur für ihn und nicht für den anderen, wegen dem er sich doch von vorneherein nur den Kopf zerbrach. Welch Ironie … Die Ironie des Schicksals zu sein ist wohl das gemeine Schicksal der Ironien … Ein einzelner Satz von Wahrheit mit ungeahnten Ausmaßen und für einen Augenblick lechzte er sich an ihm, nahm jeden einzelnen Tropfen des unendlichen Meeres in sich auf, bevor er sich an ihm verschluckte und es aufgab. Was wollte er mit der Wahrheit? Er wusste, dass es sie nicht gab. Das alles vorgegeben war und sich nicht umändern ließ. Wollte er mehr wissen? Oder vielleicht war die viel wichtigere Frage, ob er mehr zu wissen brauchte. Und darauf kannte er die Antwort schon längst. Fast schon resignierend wandte er den Kopf nicht ab, verscheute viel eher seine Gedanken und erinnerte sich an seine Aufgabe. Ja, wenn er doch könnte. Wenn …. Natürlich ließ er den Gedanken, den einen, alles andere als geheimen Wunsch unvollendet. Ihn jetzt zu enden wäre unangebracht. Brachte doch so oder so nichts. Es ändere sich nichts. Nicht das geringste. „Hey. Wach auf.“ Er weckte ihn mit einer Stimme, mit einer Klangfarbe, mit einer Intention wie nie zuvor, lag aber auch daran, dass das hier keinem einzigen Augenblick zuvor entsprach. Etwas völlig neues. Etwas völlig dummes. Etwas völlig beschissenes. Keine Reaktion. Wär ja auch zu schön gewesen. „Shiki …“ Der Name zerging auf seiner Zunge wie heiße Butter, hinterließ dort den angenehmen Geschmack von süßestem Blut. Ja, der Junge hatte es an und in sich, hatte die unglaublichste Wirkung auf ihn, aber wie konnte er nicht, wenn sie so eng miteinander verbunden waren, dass selbst ihre Schicksalsfäden, also ihr gegenseitiges Wohlbefinden, von einander abhing? Am liebsten hätte er einmal so richtig kräftig ausgeholt und irgendetwas zerschlagen, nur um einmal seine Verzweiflung über diesen größten Mist an irgendetwas auszulassen. Langsam wurde es echt zu heftig. Der Junge, mit dem er sein Schicksal verbunden sah, war nicht länger mehr der Junge, wusste es sicherlich nicht mal bewusst, oder wenn doch, konnte nichts daran ändern, wie an allem anderen auch nicht, und musste damit genauso leben wie er. Verdammt dazu, dem jeweils anderen beim Sterben zuzusehen. Irgendwann. Hörten diese Ironien eigentlich irgendwann mal auf? Wieder verspürte er das dringende Bedürfnis, sein eigenes Leben einmal gründlich auszulachen. Das … oder sich einfach mal so richtig ordentlich selbst zu verdroschen ohne Rücksicht auf Verluste. Was brachte es schon, die Schäden zu minimieren oder überhaupt nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, wenn er an den entstehenden Verletzungen eh nicht sterben würde? Einfache Verletzungen waren nicht notwendig, wenn sie ihn nicht in den Tod führten und das taten weder die psychischen durch das Auslachen entstandene noch die physischen. Und eben deswegen war es ihm nicht gestattet. Weder das eine noch das andere. Das war doch die reinste Verarsche. Doch dann wachte der andere auf … die Stimme war dieselbe wie vorher, ihr Klang, die Mimik, der verschlafene Ausdruck in den Augen – alles einfach wie vorher. Und seine ganze Weltansicht bröckelte auf einmal frisch fröhlich vor sich hin. Das konnte doch nicht wahr sein! Das hier war wirklich Shiki, nicht der von einem bescheuerten und zudem noch völlig überflüssigen Reinblüter besessene Körper seines Liebsten. Das sah er ihm an – wie könnte er nicht? So eng, wie sie miteinander verbunden waren?! Gab es das Schicksal also doch nicht? Hatte er sich die ganze Zeit nur Mist eingeredet, um seine eigene Unfähigkeit herunterzuspielen? Die Schuld bei jemand anders zu suchen, als sich selbst, weil er einfach nicht damit fertig wurde, es nicht akzeptieren konnte, dass der andere wegen ihm so leiden musste? Es wäre nur verständlich, fand er. Eine typische Reaktion des Unterbewusstseins, um den bewusst denkenden und handelnden Part, das aktive Denken zu schützen. Nichts Ungewöhnliches. Fast schlich sich ein erleichterndes Lächeln über sein Gesicht und am liebsten hätte er wieder gelacht, dieses Mal aber vor Erleichterung. Ein zittriges Lachen, um die Angst abzuschütteln, die immer noch in seinen Gliedern saß. Ja, das hätte er am liebsten gemacht. Stattdessen machte er einen Ausfallschritt nach vorne und griff mit seiner Hand nach der Schulter, rüttelte, schüttelte – sanft, natürlich. Doch dann griff eine Hand mit langen, schlanken Fingern nach seinem Handgelenk, ihr Griff so vertraut, dass er in diesem Augenblick nahezu widerwärtig auf ihn wirkte, ihn anekelte, weil er genau wusste, dass nur die Hülle, des Äußere, vertraut war. Die Handlung dahinter war’s nicht. Er erfror auf der Stelle. „Shiki, Shiki“, sagte die ach so vertraute Stimme und ein Schauer lief ihm über den Rücken. Sein zuvor ach so wahres Weltbild, das der eiskalte Reinblüter so gewitzt so zerstören gewusst hatte, richtete sich wieder auf und schlug dann zu. Hart und fest, genauso wie er es haben wollte. Von sich selbst aus. Es schlug zu, verprügelte und verdrosch ihn nach allen Gesetzmäßigkeiten der Gnadenlosigkeit, ließ keinen einzigen Augenblick Erbarmen gelten. Es gibt keine andere Wahrheit außer der einen! Es ist nichts änderbar! Du bist zum Leiden bestimmt! Du wirst niemals in der Lage sein, irgendetwas zu verändern! Kapier es! Kapier es! Kapier es! Kapier es! Kapier es! Kapier es! Und egal, wie oft sich der letzte Satz wiederholen würde, er würde es nicht verstehen. „Es nervt, Takuma.“ Da lag keinerlei Respekt mehr in der Stimme, nicht einmal ein Hauch von Freundschaft. Er war der Herr und er selbst der Diener, der unnützige, der, der zum Sterben verdammt war, wenn es das Schicksal so wollte. Und das war jetzt kein Schlagen mehr. Die letzten Worte waren ein kaltes, unberührtes und völlig lebloses Abstechen mit einem Messer aus der Stimme Shikis, geschliffen mit seinen Gefühlen für ihn. Vielleicht war das die angemessene Strafe für sein naives und abergläubisches Verhalten … Ihm war nicht mehr nach Lachen zumute. Wie um alles in der Welt hatte er es auch nur wagen können die eine, die einzige Wahrheit anzuzweifeln, die es niemals anzuzweifeln galt? Würde er es jemals lernen? Verdammte Scheiße. Shiki war da nirgends mehr und er, der er nicht mehr in der Lage war, die eine Wirklichkeit zu erkennen, fiel tief. Hatte ihn nicht retten können, hätte niemals gekonnt, nie … Nein. Nein. Nein. Nein, nein, nein nein nein nein nein … Kapitel 7: Freundebleiben ------------------------- Genre: Shounen-Ai, Drama, Darkfic Summeray: Was soll ich den schon machen? Ich kann's einfach nicht. Es ändert immer so. Egal, wie sehr ich dich im ersten Moment auch lieben und bewundern mag, im zweiten ist's doch alles wie vorher. Aber das macht nichts. Es wird dich nicht umbringen, ich bin nicht das Zentrum der Welt. Aber mich wird es irgendwann um den Verstand bringen. [Der Titel ist absichtlich als ein Wort geschrieben.] - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Du lachst. Ich nicht. Du siehst mich an und ich blicke weg. Der Ausdruck in den Augen nur für mich bedacht, aber ist nichts, wofür ich mich interessieren könnte. Oh ja, er ist nett und ich fühle mich geehrt, weide mich an dem Wissen, dass es meiner ist. Niemand anderes wird ihn sehen, solange ich nicht nur wegschaue, aber ich kann ihn nicht genießen. Dass du lachst und ich nicht, hat seinen Grund. Du liebst mich und dein Herz lacht. Lacht und strahlt mich über deine Lippen und Augen an, kann dieses Gefühl nicht oft genug mitteilen. Beim ersten Mal konnte ich mir ein ebensolchen Drang ebenfalls erlauben. Deswegen, weil ich vergaß, was danach kommt. Ich war glücklich, ebenso wie du. Ich lachte auch. Jetzt ist es später und später bin ich’s nicht mehr. Du redest weiter, lachst und stahlst und ich könnte dein Glück nicht ertragen, erwiderte ich den Blick. Ich höre dir nicht einmal mehr zu, blicke einfach in die Ferne und warte darauf, dass es vorübergeht. Es dauert niemals lange. Ein Tag dauert niemals lange. Die Zeit in dieser Schule wird nicht lange dauern. Schneller als erwartet wird es vorüber sein nur ein Blinzeln lang verglichen mit dem, was war und kommt. Vielleicht wird es eine Erinnerung wert sein, doch jetzt ist es nur ein Moment. Ich antworte dir mit Worten, die schon allein motivierter klingen als ich mich fühle. Dass du nichts merkst! Dass ich nichts merke, ist allerdings bedauerlicher. Keine Reue, kein schlechtes Gewissen, dass dein Herz strahlt und meines nicht. Dass wir in Prinzip zwar nebeneinander gehen, zwischen uns aber mehrere Kilometer Höhenunterschied liegen. Ich weiß es, du vielleicht auch, aber du lachst trotzdem wie die Sonne am Himmel. Wenn du es weißt, dann sagst du nichts. Zufrieden damit, dass ich selbst von dort unten den Himmel sehen kann, nachdem du nur die Hand ausstrecken musst. Also redest du weiter, von Glück, von Liebe, von Zukunft, von mir und von uns. Ich sehe dich an, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Du bist viel zu weit weg für mich. Meine Hand liegt in deiner, weil du so sehnsüchtig nach ihr gegriffen hast, ich spüre dein Leben, spüre ganz platt und einfach dich, was all das beinhaltet, aber ich denke nicht, dass du mich fühlst. Wenn ja selbst ich nichts merken konnte, kein Gefühl dort ganz unten, sondern nur darüber, in der Luft zwischen uns, nur von dem Arm festgehalten, den ich nach ihnen ausstrecke, wie solltest du dann in der Lage sein, irgendetwas zu spüren? Dein Lächeln sagt die Wahrheit: Da ist nichts. Nichts, was dir Sorgen bereiten könnte. Meiner Hand folgt mein ganzer Körper. Du umschlingst mich und dein Herz rast dabei so schnell. Du genießt den Kontakt, genießt das Leben und die Zeit. Jeder Augenblick ist kostbar, für dich zu kostbar, als dass dein Herz ihm nicht so freudig entgegen laufen würde. Am Anfang dachte ich auch so. Mein Lächeln ist nostalgisch, doch du es verstehst es, wie du willst und küsst mein Haar. „Ich liebe dich, Senri. So sehr.“ Den letzten Teil murmelst du in mein Haar und ich spüre deine Lippenbewegung, das Lächeln. Ja. Du lachst und ich nicht. Du küsst mich und ich dich nicht. Deine Lippen sind zu weich, ihr Verlangen nach mehr zwar fordernd, aber schwach, weil ihre weiche Form nicht gegen meine kalte Gnadenlosigkeit ankommt. Du liebst mich und ich denke, das auch zu tun. „Ich liebe dich auch.“ Getan zu haben. Wo ist da schon der Unterschied? Anderer Moment. Anderer Tag. Der Augenblick schon verstrichen, in dem Nichts einfach nur Nichts ist. Du schweigst, lachst und redest nicht mehr und bist einfach nur da. Du tust irgendetwas, lesen, glaub ich, keine Ahnung. Ich hab dich schon seit einer Stunde nicht mehr angesehen und nur zwei Mal fragte ich mich in dieser Zeit, ob du denkst, dass ich schlafe. Ist mir auch egal. Wir sind zusammen, ist es nicht das, was für dich zählt? Du sitzt und ich liege hier direkt neben dir, den Kopf auf deinem Schoß, eine deiner Hände auf meinem Haar. Die Geste sollte vertraut sein, eine gewisse Intimität beinhalten, aber auf mich wirkt sie starr. Ich liege hier, weil ich das soll. Es wird von mir erwartet. Selbst ein Mensch lernt sein Leben lang nichts anderes als sich den gegebenen Rollen entsprechend zu verhalten, nichts anderes. Die Rolle des Geliebten erfordert das hier. „Guten Morgen, Rima – noch immer auf?“ Takuma spricht mit einer Person, deren Schritte ich nicht einmal gehört hatte, deren ganzes Wesen mir so vertraut ist, dass es mir nicht einmal mehr auffällt. Jetzt, da du sie ansprichst, weil du sie sehen kannst, merke ich sie auch. Sie antwortet ihm nicht. „Er schläft nicht.“ Die Hand in meinem Haar macht ein paar massierende Bewegungen. „Ich hab’s mir schon gedacht.“ Kein Vorwurf, nur ein verschmitztes Lächeln und ein Seufzen. „Lass es, Shiki.“ Sagt sie und geht. Ich weiß genau, was sie meint, du aber nicht und deine Hand hört auf. Ich kann deinen Blick nahezu sehen, wie er an ihr hängt und aus ihren Worten nicht schlau wird. Momente vergehen. Du schweigst immer noch, dann siehst du ein, dass dein Nachdenken nichts bringt und deine Hand macht weiter. Es ist angenehm, aber es gefällt mir nicht. Ich schweige auch. „Was seid ihr zwei eigentlich füreinander?“ „Wir sind Freunde.“ „Seltsame Freunde, wohlgemerkt. Ihr seid zwar ständig zusammen, aber ihr redet kaum oder gar nicht. Schön, ihr teilt und füttert euch immer wieder mit Pockys … aber man sollte meinen, dass ihr euch mehr zu erzählen hättet und –“ Ich unterbreche deine kleine Diskussion mit dir selber, richte mich auf, zwischen uns nun der Abstand, den ich im Liegen mit meinem Körper überbrückt hatte. Zum ersten Mal seit langem blicke ich dir wahrhaft in die Augen, weil es wichtig ist, was ich sagen werde. Der Moment verwirrt dich. Du merkst und weißt es. Du schweigst. Ich nicht. „Wir sind einfach Freunde geblieben.“ Freunde bleiben. Den Ausdruck kennst du. Und all das, was du gerade sagtest, ergibt für dich auf einmal Sinn. Freunde geblieben. Erklärt Rimas und meine Beziehung zueinander. Lass es, Shiki. Hör auf, in deiner eigenen Welt zu leben. Komm rauf und erzähl ihm, was du fühlst, wenn ihr wirklich Freunde bleiben wollt. Mehr als wir sind. Ich sage nichts und doch alles. Meine Augen, die dich seit Monaten das erste Mal richtig wahrnehmen, erzählen alles. Und du verstehst. Du schweigst. Ich nicht. Ich gehe. Der Abstand zwischen uns noch größer. Ich könnte mich nicht einfach hinlegen und bei dir sein. Aber das willst du auch nicht. Du wähltest bewusst den einen Platz dort ganz hinten irgendwo in meinem Rücken, wo ich dich im Moment nicht einmal mehr mit Blicken erreichen kann. Auch das wolltest du. Es stört mich nicht. Dein Lachen und Reden fehlt. Es ist auf einmal so still geworden, weil du endlich begriffen hast. Die Zeit verstreicht, nicht langsam, rast dahin, weil alles schnell seinen Reiz verliert, wenn du es lange genug hattest. Dieser Moment bietet keine genüssliche Kost und ich warte nur, dass er vergeht wie alle anderen vor ihm auch. Das wird nicht mehr lange auf sich warten lassen müssen. Ich sitze hier, weit weg von dir, du noch weiter weg von mir und Rima mir direkt gegenüber. Ich strecke die Hand aus und berühre sie. Realer als du. Der Kontakt ist bitter, all die Reue, das schlechte Gewissen, der Zorn und der Hass, die unendliche Gleichgültigkeit gegenüber dem vorherigen. Ich liebte sie am ersten Tag. Ich liebte auch dich am ersten Tag. Doch der erste Tag vergeht, die Nacht endet und der zweite Tag fängt an und ich frage mich, was das ist, von dem sie reden. Liebe. Rima weiß das. Ihre Hand spricht von dem Schmerz, den ich ihr zufügte, über den sie noch nicht hinweg ist. Ich sehe es in der nichts sagenden Bläue ihrer Augen, die einmal ganze Märchen erzählte. Vor meiner Zeit. Sie bleibt bei mir, bleibt ein Freund, weil es für so erträglicher ist. Aber du kannst das nicht. Deine Berührung spricht nicht, schreit vor Schmerz und Verzweiflung und Vorwürfen, die ich dir nicht verübeln, sondern einfach nur hinnehmen kann. Du liebst mich, deswegen tut es dir weh. Ich liebe dich nicht, deswegen ist den Anblick nicht schwer zu ertragen. ich bereue es, weil ich es schon wieder getan habe, obwohl ich genau wusste, wie es enden wird, weil es immer so endet. Ich kann das nicht. Das weiß ich. Und tat’s trotzdem. Bedauerlich. Traurig. Aber mehr für dich als für mich. Du wirst darüber hinwegkommen. Ich nicht. Du wirst leiden, Schmerzen haben, aber du wirst mich vergessen und dich wieder neu verlieben. Irgendwann werde ich nur noch ein dunkler Fleck in deiner Erinnerung sein. Wenn du deinem Liebsten irgendwann von mir erzählst, wirst du kurz wehleidig lächeln, dich fragend, wie du dich nur auf einen solchen Fehler einlassen konntest, aber dann werden Augen und Herz wieder strahlen. Ich nicht. Irgendwann werde ich in einer Ecke wie du jetzt sitzen, in den dunklen Himmel starren und hoffen, dass die Sonne dahinter mich verbrennen möge. Es wird nicht geschehen, also werde ich vergebens hoffen. Die Ecke wird dunkel sein wie der Himmel. Wirklich sonnige Aussichten. Ich werde mich nicht dafür entschuldigen, was ich tat. Dir antat. Du bist nicht der erste, dem ich dieses Schicksal auflastete. Ich werde dich nicht dafür bemitleiden, dass du trotzdem eine Zukunft hast. Denn ich werde allein bleiben. Du nicht. Kapitel 8: Drama ohne Shakespeare --------------------------------- Genre:Drama, Romantik, Shounen-Ai Summary: Die einfachen Zeiten sind vorbei. Senri versucht aus jedem falschen Schritt zu lernen und zu verstehen, weiß aber keinesfalls, ob die folgenden Schritte die richtigen sind. Er schwelgt zwischen Vergangenheit und Gegenwart und fragt sich, ob die Zukunft ihm gnädiger gestimmt ist. In diesem oder im nächsten Leben. Wenn Vampiren denn ein nächstes Leben zusteht. - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Zwischen ihnen liegt ein deutlicher Abstand, eine zumindest geistig unüberwindbare Entfernung. Physisch gesehen ist es ein Katzensprung. Wenn er nur könnte. Wenn er es wollte. Wenn er sich traute. Es trifft nichts auf ihn zu und darum steht er nur da, beobachtet, lauert, ohne die geringste Absicht oder gar den kleinsten Hoffnungsschimmer. Er macht nichts. Seine Augen und Ohren erfüllen ihre Dienste. Ein Mensch könnte auf diese Entfernung vielleicht gerade mal bewegte Schemen erkennen, aber seine geschärften Augen sehen alles. Die Schatten in dunklen Ecken, das Leuchten in geöffneten Augen, eine zögerliche Bewegung. Alles, was er eigentlich nicht sehen will. Vielleicht auch nicht sehen soll. Der andere, den er beobachtet, den er nur beobachten kann, wenn der Wind günstig steht und sein Geruch ihn nicht verrät, hat ihm nicht gesagt, er solle aus seinem Leben verschwinden. Genau genommen hat er überhaupt nichts gesagt. Plötzlich war einfach … Schweigen. Mehr seine Schuld als alles andere. Genau genommen ist sogar alles seine Schuld. Aber sich – oder ihm, den anderen, den er beobachtet – es einzugestehen, bringt auch nichts. Er ist sich sicher, erfolgreich dafür gesorgt zu haben, dass Takuma nie wieder ein Wort mit ihm sprechen würde. Und nie wieder ist eine lange Zeit. Senri seufzt. Es war eine Tragödie, von Anfang an bis Ende von ihm geschrieben und niemand, der Korrektur las, sich eine zweite Meinung bilden konnte. Es war keine schöne Geschichte. Welche schöne Geschichte endet schon mit endlosem Schweigen, gebrochenen Herzen und dem Tod einer Liebe? Keine einzige. Deswegen ist das Wort auch so bitter, schmeckt ekelhaft, schaudert ihn. Es gehört einfach nicht zusammen. Dieses Drama ist kein Shakespeare, kein One-Hit-Wonder. Dieses Drama hätte einfach nicht sein müssen. Er weiß nicht, wie der andere darüber denkt. Er weiß nicht, ob er vielleicht nicht irgendwann ein kleines „Hallo“ verdient hat. Vermutlich nicht, aber er wagt die Hoffnung nicht aufzugeben. Er steht auf einem fremden, verlassenen Dach, blickt hinunter auf den Unsterblichen an seinem Schreibtisch vor dem Fenster. Schreibt etwas. Vielleicht einen Brief? Er redet dabei mit jemanden, den Senri nicht sehen kann. Wenn er wollte, angestrengt lauschte, könnte er die Worte verstehen. Er lässt sie nur vom Wind davon tragen. Er beobachtet grüne Augen, die sich gerne in seinen verloren hatten. Er sieht flinke Hände, die ihre Arbeit gedankenlos erledigen. Er kann den Blick nicht von dem Mann abwenden, an dessen Seite er früher stand. Damals war Takuma wie einen Sonnenstrahl in seinen Augen. Metaphorisch gesehen. Trotz ernster, tiefer Seite stets gut gelaunt. Nun hatte sein Bild einen schwarzen Schatten. Ob Takuma sich im Spiegel genauso sah, weiß er nicht. Wie so vieles andere auch nicht. Er kann nicht erkennen, ob er betrübt oder gar traurig ist, nach der langen Zeit überhaupt noch irgendetwas fühlt. Es ist nur etwas über ein Jahr her. Normalerweise nicht eines Gedankens wert, wenn man die Ewigkeit vor sich hat, aber dieses eine Jahr ist voller Gedanken und je näher die Erinnerungen der Gegenwart kamen, desto mehr verlängerten sie jeden Augenblick. Endlose Fragen, auf deren Antwort er ebenso endlos würde warten müssen. Genau genommen konnte er nicht einmal mit Bestimmtheit sagen, wie die Fragen überhaupt lauteten. Wie überhaupt eine einzige Frage lautete. Sein Kopf ist mehr mit Bildern gefüllt als mit Worten. Bilder der Vergangenheit und dessen, was hätte sein können. Was aber nicht ist. Niemals sein wird. Das Wissen nagt an ihm und frisst ihn auf, lässt ihn jetzt hier entgegen der Windrichtung auf einem Dach stehen wie ein penetranter Stalker. Er sollte nicht hier sein. Aber es lässt ihm einfach keine Ruhe, egal, was er macht. Ein Schatten auf seinem Geist wie der Schatten um Takuma. Wie verflucht. Und verdammt hat er sich selber, weil er es einfach nicht besser wusste. Senri ließ sein Herz schweifen, von A nach B, von B nach C, von C nach D, erlebte Höhepunkte einem nach dem anderen, glaubte zu lieben. Er brauchte es. Er musste fühlen. Aber der Höhepunkt verebbte, die Nachwirkungen ließen nach, das Kribbeln im Bauch verschwand. Sein Herz flog weiter. Als er Takuma kennen lernte, kämpfte er. Versuchte zu kämpfen. Er kennt sein Herz. Kennt die Fehler, die es jedes Mal aufs Neue macht. Läuft davon, um sich dem größten Schmerz, Sehnsucht, Kummer, noch mehr Schmerz, nicht stellen zu müssen. Nur Fühlen. Nur das Beste. Doch nicht einmal bewusst. Es geschieht einfach und Senri brauchte lange Zeit um zu verstehen. Er kennt und versteht seine Schwäche nun und für Takuma versuchte er alles, was er konnte. Er merkte es, als es passierte, kämpfte weiter, spürte es noch einmal. Aber es änderte alles nichts. Sein Kopf sagte nein, aber sein Herz war frei. Ist frei. Flog davon und Takuma blieb alleine zurück. Seit dem herrscht Schweigen. Senri seufzt tief. Er kann nicht länger bleiben. Er spürt, wie sich das Wetter ändert. Der Regen würde erst lange, nach dem Wind seine Richtung gewechselt hat, einsetzen. Er ist allein mit seiner Schuld und sie isst ihn auf. Er hofft, sie irgendwann loszuwerden. Zu verstehen, dass er die Auswirkungen, Schweigen, Vorwürfe, Zorn, Hass, allesamt verdient hat. Es gibt für ihn keinen Ausweg. Er könnte Takuma nicht einmal darauf ansprechen, dass sein flatterhaftes Herz mit dem Sonnenstrahl hinter dem Fenster noch einen weiteren unverzeihlichen Fehler gemacht hat. Senri hatte ihn vorgewarnt, aber was soll man schon machen, wenn alle anderen sich besser kennen und Gefühle weniger fürchten als er? Takuma hatte nicht hören wollen. Sieh, wo sie gelandet sind. Wo er selbst gelandet ist. „Senri.“ Die Stimme ist bar jedes Verständnisses für seine Situation. „Es bringt nichts.“ Aber nicht ohne jedes Gefühls für ihn. Er lächelt bitter. „Ich weiß.“ Der Angesprochene dreht sich um und sieht ebenso blondes Haar im Wind flattern wie es in seinem Rücken im matten Licht einer Glühbirne glänzt. Es gibt keine weiteren Ähnlichkeiten zwischen ihnen. „Warum stehst du noch hier?“ „Der Wind hat sich noch nicht gedreht.“ Die Person kommt näher, kopfschüttelnd, bis sie neben ihm steht, ebenfalls auf Takuma herunterblickt. Auch sie waren einmal Freunde, doch dank ihm herrscht nun auch zwischen ihnen Schweigen. „Du bist nichts weiteres als ein schwarze Erinnerung für ihn.“ „Woher weißt du das?“ „Weil er dich nicht beachtet. Dein Fehler hat dich aus seinem Leben verbannt. Du gehörst nicht mehr dazu. Schon lange nicht mehr.“ Er hört aus ihren Worten, dass sie den schwarzen Schatten nicht sieht. Bildet er ihn sich nur ein? Hat sie Recht? Es gibt keine Antworten. „Und was ist er für mich?“ „Eine weitere Tragödie. Ein weiterer Fehler. Ein Teil deiner Vergangenheit, die du nicht ändern kannst.“ „Und die Zukunft?“ Für einen Augenblick stutzt sie bei seiner Frage, als kämen ihr Zweifel an dem Grund ihres Zusammenseins auf. „Er ist der Teil deiner Vergangenheit, der dich in deiner Zukunft so lange verfolgen wird, bis du lernst, dir zu verzeihen, vielleicht auch, bis du genau weißt, dass Takuma dir verziehen hat, du wenigstens einen Blick wert bist. Du weißt jetzt, wie es hätte sein können. Dass du es damals nicht wusstest ...“ Sie lässt den Satz offen und zuckt mit den Schultern. Er kann den Weg ihrer Gedanken in ihren Augen sehen. Er sieht, dass sie annimmt, er wünschte sich in die Vergangenheit, um alles rückgängig zu machen. „Nein. Es soll so bleiben, wie es ist. Die Vergangenheit kann man nicht mehr ungeschehen machen.“ „Und wenn du es könntest?“ Lange sieht er sie an. Der Wind zieht an ihren Klamotten, löst Strähnen aus ihren Zöpfen, hüllt ihn mit ihrem ganz eigenen Geruch ein. Er wünscht nicht, die Vergangenheit ändern zu können. „Wenn ich es könnte ...“, fängt er an, hat Bilder im Kopf, große Worte von dem Versuch, aus dem fürchterlichen Drama eine Geschichte mit angenehmen Ende zu machen, kein plötzlicher Tod ohne Grund. Ein verständnisvolles Abflauen. Etwas, dass die grundlegende Freundschaft nicht zerstört hätte. Etwas mit einem Hallo und auf Wiedersehen. Wartend zieht die eine Augenbraue hoch. „Wenn ich es könnte, wäre ich nicht hier, Rima. Ich wäre noch bei ihm.“ Senri blickt von Rima zu Takuma. „Ich wäre noch bei ihm ...“, wiederholt er, betrachtet mit finsteren Gedanken von Schuldgefühlen den schwarzen Schatten. Er wäre nicht da. „Aber ich kann es nicht. Ich will es auch gar nicht können.“ Und Takuma noch weniger. Ganz gewiss. Garantiert. Zu tief in dem guten Willen und Glauben an ihn erschüttert. „Ich bin hier.“ Er kann gar nicht weg. All die Fehler, die er früher machte, sein Herz von einer geliebten Seele zur nächsten fliegen ließ, scheinen vorbei. Die Frau ihm gegenüber nahm ihm die Bewegungsfreiheit – nein, er selbst nahm sie sich. Und ohne Möglichkeit zu flüchten sah er endlich, was ihm jedes Mal entging. Was er mit Takuma hätte haben können. Welche Gefühle, welche Freude, welches Glück und welche Sorgen und all der Schmerz, der doch zu ertragen ist. Endlich hatte er gelernt, stehen zu bleiben, Hand in Hand mit der anderen Person an seiner Seite zu gehen, statt immer einen Schritt voraus. Für Takuma war es dafür aber leider zu spät. „Komm jetzt, Senri.“ Sie dreht sich um und geht, mit ihr der Wind. Sie braucht nicht auf ihn zu warten um zu wissen, dass er folgen wird. Noch immer sieht Senri zu Takuma, der Wind nun in seinem Rücken, der seinen Blicken folgt. Ja, was soll er sonst schon machen? Es ist seine gerechte Strafe, dass er diesen hier aufgrund seiner Gefühle, seiner Angst gehen ließ. Und jetzt trennt sie dieser Abstand, diese unendlich tiefe Kluft. Er könnte sie nicht überwinden, seinen Körper nicht dazu bringen, auch nur einen Schritt zu machen. Hier ist die Grenze. Das Ende. Sein Geruch weht durchs gekippte Fenster in den Raum und der scheinbar junge Mann darin blickt auf. Erschrocken, grimmig, enttäuscht, wütend, hoffnungsvoll? Senri kann es nicht sagen. Nur einen Moment erwidert er seinen Blick, sieht das Erkennen in den grünen Augen, der schwarze Schatten folgt jeder seiner Bewegungen. Er will nicht wissen, was der andere denkt. Er fühlt sich nicht wohl, alles in ihm zieht sich zusammen, doch noch hält er stand. Dann ist es genug. Senri atmet tief auf, seufzt, er kann die Vergangenheit nicht ändern und will die Vergangenheit nicht zur Gegenwart machen. Geht. Vielleicht im nächsten Leben,wenn Vampiren die Wiedergeburt zustünde. Vielleicht aber auch nicht. Nichts davon lag in seiner Macht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)