Nachtlektüre von Sitamun (OS-Sammlung zu I/S) ================================================================================ Kapitel 5: Genuss ----------------- Genre: Shounen-Ai, Romantik, Humor Summary:: Es ist nicht mehr als ein kleines Missverständnis, aber doch mehr als ausreichend, um ihn abzulenken, sich ständig und immer wieder Gedanken darum zu machen, warum sein Freund so etwas sagte, wie er nur konnte, was er ihm tat. War es wirklich so schlimm, bei einem Gespräch einzuschlafen, und dafür dann so eine harte Strafe zu bekommen? Aber wenn es so schlimm ist - warum sieht er ihn dann imer auf diese eine besondere Art an? - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - Mit jedem einzelnen Wimpernschlag verliert die Welt ein wenig mehr Farbe, ihre Konturen verblassen und alles beginnt zu verschwimmen. Er blinzelt nicht oft und je länger er seinen Blick auf einen Punkt gerichtet hält – und für mehr schafft er es auch gar nicht, irgendwelche Motivation aufzubringen; seine Umgebung hatte in diesem Moment nicht viel von großem Interesse für ihn –, desto unschärfer wird alles. Dunkle Bereiche vergrößern sich, verschlingen den Rest und irgendwann bliebe nichts mehr übrig, wenn seine Augen bis dahin nicht zu trocken geworden wären und zu schmerzen begonnen hätten, ließe er das Zwinkern gänzlich sein. Einmal Blinzeln, ein bisschen weniger Farbe, ein Flimmern an den Rändern seines Sichtfeldes und dann wird es wieder dunkler. Ein Gähnen drückt sich die ganze Zeit von unten herauf. Der Drang, ein wenig mehr Sauerstoff aufzunehmen, kämpft sich seine Luftröhre hinauf, hängt im Rachen fest und kommt doch nicht ganz hinauf. Gäbe er dem nach, könnte er es sicherlich überhaupt nicht mehr lassen und er gähnte und gähnte und gähnte und gähnte und gähnte … Aber er weiß, er kann jetzt nicht schlafen. Noch nicht. Ein wenig muss er noch durchhalten. Aber dann. Sehr bald. Wenn der andere ihm gegenüber endlich mit Reden fertig ist. Und das dauert bestimmt nicht mehr lang. Gleich. Sicherlich. Der Drang zu gähnen wird wieder stärker, doch er unterdrückt es immer noch. Nicht mehr lang. Immerhin kann er das dem anderen doch nicht antun und einfach, während er ihm etwas erzählt, einschlafen. Dabei wäre es toll, so toll, jetzt einfach die Augen zu schließen, an nichts mehr zu denken und einfach einzuschlaf …. Ohne Punkt und Komma. Einfach weiter. Immer weiter. Und dann noch das und jenes natürlich absolut nicht zu vergessen – nein, wie könnte er nur? Das war doch immerhin das bedeutendste und vor allen Dingen noch wichtigste Ereignis des gestrigen Tages. Ohne dieses eine hätte dieses nicht geschehen können und oh, natürlich! Das Ende! Das Ende war natürlich die absolute Krone! Die Spitze des Eisbergs! Das I-Tüpfelchen! Das Sahnehäubchen der süßesten Torte! Und so schnell findet er sicherlich keinen Schluss seiner kleinen Rede. Da gibt es so viel zu erzählen. Nicht nur das, was er erzählen will, nein, auch das, was er unbedingt erzählen muss. Und das nicht nur einfach irgendjemanden, sondern nur ihm. Dieser eine muss unbedingt alles wissen, was er erfahren hat und ihm widerfahren ist. Der andere sieht müde aus, das ist ihm gleich zu Anfang aufgefallen, doch sicherlich nicht müde genug, als dass er ihm nicht mehr bis zum Ende zuhören kann. So viel ist das doch gar nicht. Nur die Ereignisse eines einzigen Tages. Oder zwei. In dieser Kurzform, in der er sie verfasst, dürfte es der andere gerade noch lang genug aushalten können. Da ist er sich sicher. Er holt zum neuen Luft um wieder von vorn zu beginnen, um zu erzählen von dem, was danach geschah, denn es gibt noch genug, dass es zu erwähnen gilt. Der gestrige Tag mag abgeschlossen sein, aber heute steht ja auch noch aus. Heute ist nicht so ereignisreich wie gestern gewesen, aber doch mehr als nur erzählenswert. Doch bevor noch das erste Molekül der eingeatmeten Luft seinen Mund verlässt, blickt er zu dem hinunter, dem er all dies erzählen will, und er stockt. Die Atmung des anderen ist zu ruhig, ist zu gleichmäßig, das Flackern der Augenlider ist nicht mehr, die Augäpfel bewegen sich unter den geschlossenen Lidern. Er schläft. Empört und wie ein kleines Kind bläst er die Luft aus seinen Wangen. Wie kann er nur? Er gibt sich so viel Mühe, seine Erzählung spannend und lebhaft zu gestalten und er? Er schläft ein. „Shiki! Hey, Shiki! Wach auf!“ Er rüttelt ihn schwach, genug um ihn aus seinem leichten Schlaf zu reißen. Auf relativ sanfte Weise. Wie konnte er nur einschlafen? Nein, er ist nicht wirklich wütend oder sauer – er weiß doch, dass Shiki kaum schlief in letzter Zeit und das noch weniger als er selbst, da der Jüngere sich bisher einfach geweigert hatte zu Bett zugehen, bevor er selber nicht zumindest in ihrem gemeinsamen Zimmer war. Wäre an sich nicht weiter schlimm, wenn Shikis Tagesjob nicht noch dazu käme, der ihm noch die normale Schlafenszeit raubte. Kein Wunder, dass der arme Junge nun so müde ist. „Ach, Ichijou-san, lass mich …“ Das ist kein Reden, das ist nur ein Nuscheln, leicht unverständlich mit starken Tendenzen zu überhaupt nicht mehr verständlich. Der Mund nicht mal richtig auf, die Augen flattern, nie wirklich länger auf als den Bruchteil einer Sekunde. Wohl wollend und liebevoll lächelt Takuma auf ihn herunter. Wie konnte man nach einem solch süßen Anblick noch wütend sein? „Ich erzähle dir hier lang und breit von meinem Tag und was machst du? Du schläfst ein!“ Seine gespielt aufgebrachten Worte kommen nur langsam an und mit jedem weiteren Blinzeln kann Takuma sehen, wie Shiki mit sich ringt, zu verstehen, was er ihm sagte. Für einen Vampir mit überdurchschnittlichen Denkfähigkeiten und –kapazitäten dauert der Verstehensprozess ziemlich lange und beinahe hätte er darüber gekichert. Aber vermutlich, selbst wenn er es getan hätte – Shiki hätte es nicht mitbekommen. „Ichijou-san, ich bin … “, und der Rest geht unter in einem herzhaften Gähnen Ist sein Tonfall einfach nur müde oder entschuldigend? Takuma nimmt es hin mit einem schwachen Grinsen und beschließt, sein kleines Spielchen weiterzuführen. „Als Freund mag ich dir das vielleicht nicht übel nehmen, aber dafür, dass du deinem Vizehausvorstand nicht zugehört hast, gibt es zwei Monate Pockyverbot!“ Ob die Strafe vielleicht ein wenig zu hart ist? Für den kleinen, müden Shiki sicherlich schon, denn dieses eine letzte Wort lässt ihn aufschrecken, wohl das einzige, was durch die dumpfe Schicht des Schlafes durchzudringen vermag. Und schon wieder hätte er beinahe darüber lachen können. „Was?“ Vermutlich soll es überrascht und empört klingen, doch es ist viel mehr nur ein Hauch dessen, doch sein Gesichtsausdruck selbst ist ein Bild der Götter. Diese Mischung aus Übermüdung, Schock, Sprachlosigkeit, schlechten Gewissen und auch ein wenig Verletztheit in diesem einen schönen Gesicht, dessen Augen von diesem undurchschaubaren Blau in den Augenwinkeln vom Gähnen tränen, ist einfach nur der reinste Gaumenschmaus für ihn. „Was? Pockyverbot?“ Wirklich das einzige Wort, das erfolgreich zu ihm durchdrang und sich dauerhaft dort verankerte. „Natürlich. Wenn du deinem Vizevorstand nicht zu hörst, dann bleibt mir wohl keine andere Möglichkeit, als genau dort durchzugreifen, dass dich am meisten trifft und dich über dein Verhalten nachdenken lässt.“ Takuma bringt es mit einer ernsten Stimme und einem durchaus strengen Gesichtsausdruck vor, wirkt belehrend und tadelnd auf den anderen und mit jedem weiteren seiner Worte kann er genau erkennen, wie die Betroffenheit und das schlechte Gewissen in dem göttlichen Bild die Oberhand gewinnen. Er wartet einen Augenblick, sieht, wie Shiki mit sich ringt um endlich die richtigen Worte zu finden. „Aber … aber wieso?“ Er wirkt so verletzt. Die Tränen in den Augenwinkeln scheinen weniger vom letzten herzhaften Gähnen zu kommen als von seinen Gefühlen, die seine Worte so trafen. Der Anblick stimmt ihn für einen Augenblick nachdenklich. Ist er einen Schritt zu weit gegangen? Hat Shiki seine Worte zu ernst genommen? Dann beschließt er, es nicht weiter zu riskieren – wie könnte er es wirklich auch nur in Gedanken ernsthaft in Erwägung ziehen, seinen Shiki wütend auf ihn zu machen? Mit einem Lächeln, das für sich selbst spricht, winkt Takuma ab. „Ach, Shiki …“, und er sagt es extra voll von Verständnis, sanft und beschwichtigend, „nie im Leben würde ich dir Pockyverbot erteilen. Ich weiß doch, wie müde du bist und wie viel du in letzten Tagen wach geblieben bist.“ Für ihn. Nur für Takuma. „Es wird Zeit, dass du endlich mal ausschlafen kannst. Ab ins Bett mit dir, mein Lieber.“ Er stützt seinen Lieben ein wenig, obwohl er durch den kleinen Schock bereits wach genug scheint, seinen Weg ins Bett alleine problemlos zu finden ohne die Gefahr, auf dem halben Weg einzuschlafen. Seine Augen haben nun einen undefinierbaren Ausdruck, völlig undeutbar in jeder Weise und Takuma rätselt für einen Augenblick darüber, was ihm durch den Kopf gehen kann. Ist er wütend über sein Verhalten, dass er ihm diesen kleinen Streich spielte? Nein, Shiki kann ihm nicht ernsthaft wütend sein. Der Ausdruck vergeht und Shiki wirkt einfach nur noch unendlich müde. In ihrem gemeinsamen Zimmer angekommen knöpft er dem Kleineren die Schuluniform auf, erst die Jacke, dann die Weste, streicht erstere bedächtig von den Schultern und wirft sie unbedacht auf das Bett hinter ihm, verfährt mit der Weste genauso und fingert gekonnt an dem Knoten der Krawatte, bevor er sie soweit gelockert hatte, dass er sie langsam abziehen kann. Gedankenlos landet sie ebenfalls auf dem Bett. Umso bedächtiger allerdings wendet er sich den einzelnen Knöpfen des Hemdes zu, ebenso wie den Manschettenknöpfen. Mit jedem einzelnen wird ein wenig mehr der blassen Haut darunter frei gegeben, in der Dunkelheit bildet die elfenbeinfarbene Haut ein ebenso deutlichen Kontrast zu dem schwarzen Hemd als am Tage. Takuma schluckt. Shiki, in seinem stehenden Halbschlaf, stöhnt leise auf, als er mit seinen Händen unter das Hemd wandert und es so von seinen Schultern zieht, dabei einen Schritt näher tritt als vielleicht notwendig. Er schluckt wieder. Und es wundert ihn nicht im Geringsten. Er weiß, warum er seinem Shiki nicht wütend sein kann, selbst wenn er bereits nach dem Hallo eingeschlafen wäre, nach der ersten Sekunde der nicht mal ernst gemeinten Empörung wäre dort wieder dieses eine, andere Gefühl für ihn … Einem, dem er nie entkommen kann und er weiß, er wäre des Wahnsinns, wenn er es auch nur in seinen Träumen versuchen würde. Nie im Leben würde er … Shiki lehnt sich an ihn, seinen Kopf gegen seine Schultern, als er nach einigen Augenblicken immer noch so nah bei ihm steht und sein Herz stolpert bei einem Schlag. „Mmmmh …“, kommt nur über seine Lippen und obwohl er so müde ist, seine Stimme bei diesem einen Laut sogar fast schon bricht, klingt es zufrieden. Takuma schüttelt den Kopf, erinnert sich wieder an sein eigentliches Vorhaben: Shiki ins Bett bringen, das sollte er jetzt auch umsetzen. Aber ob das auch funktionieren kann und wird? Seine eigenen Gedanken sind bereits nicht mehr die keuschesten und Shiki wirkt selbst im halbschlafenden Zustand nicht abgeneigt, sich ihm hinzugeben. Vorsichtig drückt er ihn ein wenig weg von ihm, damit er wieder von alleine steht (nein, es tut ihm nicht weh, den Körperkontakt zu unterbrechen, ist viel mehr gefesselt und geknebelt von dem Gedanken, was er nun tun wird) und kniet sich vor ihm hin nieder, um einfacher seine Hose öffnen und sie ihm dann ausziehen zu können. Und direkt vor seiner Nase ist … Was bei so einer einfachen Handlung doch alles passieren konnte. Nur ein kleines Streifen, ein kleiner Hauch von einer Berührung, ein warmer Atemstoß – solche Kleinigkeiten reichten aus, um die heutige Nacht zu einer wirklich außergewöhnlichen zu machen. Doch was hat er davon, wenn Shiki kaum noch in der Lage war, sich aufrecht zu halten? Mit einem weiteren Kopfschütteln versucht er seine Gedanken zu kontrollieren und Shiki so schnell wie möglich ins Bett legen zu können, damit er ins Bad gehen kann. Für eine kalte Dusche. Eine sehr kalte. Und mindestens eine. Seit jenem Vorfall geht die Zeit natürlich weiter. Ganz normal. Wie gehabt. Schneller als sonst. Quälend fürchterlich langsam. Ohne Ende. Ohne Grenze. Und dann auf einmal doch in einem besonderen Augenblick den endgültige Schluss versprechend. Das übliche halt, wie das Leben vergeht. Die Tage fangen an, die Sonne geht auf oder nicht, es regnet oder nicht, die Tage enden und es wird Nacht. Alle 24 Stunden dasselbe Spiel. Und seit seine Gedanken in die vielleicht ein wenig verkehrte Richtung abgedriftet sind, wie sie es seit dem so oft und immer und immer wieder tun, fällt sein Blick immer öfters unbewusst auf den einen, den er sofort und beinahe ein wenig peinlich berührt wieder abwendet, wenn er merkt, dass der andere ihn auch ansieht. In seinen Augen wieder dieser eine undefinierbare Ausdruck. Und das passiert meistens in schätzungsweise 99 Prozent aller Fälle. Sieht er ihn an, blickt er auch zu ihm zurück. Als wären sie miteinander verbunden, ihre Blicke durch ein unsichtbares Band verbunden, das sie unweigerlich dazu zwingt, aufzusehen, tut es der andere auch. Takuma gefällt dieser Gedanke. Es bringt ihm sogar zum Lächeln, sogar immer öfter, wenn er nur mit Shiki allein ist, ihm irgendetwas erzählt, die Stimmung dabei noch so gelassen ist, Blickkontakt überhaupt nicht von Nöten wäre, und ihre Augen doch immer wieder wie durch Magie zueinander finden. Seit jenem Tag wirkt der Kleine selbst bei solch wirklich banalen Gesprächen über das Wetter aufmerksamer als sonst, als erzählte er ihm nicht, wie praktisch der Regen doch nach einer langen Sonnenzeit wäre, damit die Blumen wieder in prächtigen Farben erblühen konnten, sondern, dass ein Widerstand gegen den Vampirsenat zum jetzigen Augenblick vielleicht noch erfolgreicher sein konnte als jemals zuvor durch seine geschwächte Position, besonders hervorgerufen durch das aufrührerische Verhalten des hauseigenen Reinblüters. Aber über so etwas redet er nicht mit Shiki. Und deswegen ist es umso verwunderlicher, dass er, egal, wie es um seine Stimmung bestellt ist, nie noch aufmerksamer sein konnte. Jedes Mal, wenn ihm das aufs Neue auffällt, meldet sich sein schlechtes Gewissen zu Wort, erinnert ihn daran, dass Shiki in seinem übermüdeten Zustand seinen Scherz vielleicht zu ernst genommen hatte. Kann das sein? Unwahrscheinlich ist es nicht, wenn er sein Verhalten mit dem davor verglich. Doch Shiki selbst sagt nie etwas dazu, wenn Takuma das Gespräch in die entsprechende Richtung zu lenken versucht. Vielleicht bildet er sich das nur ein, er ist sich nicht sicher. Er vergisst es nicht, aber geht nicht weiter darauf ein, wenn er mal wieder von den Ereignissen seines Tages erzählt, während Shiki willig zuhört und ihn anschaut, wenn er es auch tut. Aber das ist nicht das einzige, was Takuma auffällt. Wenn er da sitzt und erzählt, Shiki ihm gegenüber oder, wenn sie in ihrem Zimmer sind, auf seinem Bett liegt, dann tut derselbe nichts anderes als einfach nur dort zu sein. Er isst nichts, wie er es für gewöhnlich zu tun pflegt, seine geliebten Pockys hat er seit geraumer Zeit nicht mehr in dessen Händen gesehen. Nicht mal während des Unterrichts, wenn die kleine Rima ihm etwas anbietet. Entweder tut er nahezu penetrant so, als würde er sie nicht hören, so dass sie sich bereits mehr als einmal beleidigt abwandte, oder er meint schlicht, er wolle sie jetzt nicht. Die Ablehnung seiner Lieblingsnascherei überrascht mit der Zeit so ziemlich jedes Mitglied der Night Class. Shiki Senri ohne Pockys ist wie Aidou ohne Ärger von Kaname-sama. Beides geht einfach nicht ohne. Und so passierte es anfänglich, dass manche ihrer Mitschüler besorgt zu ihm kamen und ihm von ihren Beobachtungen erzählten. Shiki esse keine Pockys mehr, ist er krank? Geht es ihm nicht? Aber wenn ja, warum geht er dann noch immer regelmäßig zu seinen täglichen Modeljobs? Verschweigt er seine Krankheit etwa? Spielte er den Starken? Der verehrte Vizehausvorstand und Zimmerkollege möge sich doch bitte darum kümmern. Man wolle ja nicht, dass es einen von ihnen schlecht ging. Beinahe bringt ihn die Sorge der anderen um den einen zum Lachen. Eine kleine Veränderung am Gesamtbild und sie kommen an, als stünde die ganze Welt Kopf. Ihre Bitten häuften sich sogar, als der erste Monat vollständig verstrichen war und Shiki noch immer völlig pockylos dastand. Es ist in der Tat besorgniserregend, aber Takuma weiß nicht, was er dagegen tun soll; er sieht ihn an und mit diesem ersten Blick sieht er, dass dem Jungen überhaupt nichts fehlt. Alles in Ordnung. Wüsste er es nicht besser, würde er sogar zu behaupten wagen, alles sei in bester Ordnung. Doch das wäre ja offensichtlich eine Lüge. Es vergeht noch einmal zwei Wochen lang dasselbe Spiel. Der Tag bricht an und endet, die Sonne geht immer weniger auf und umso mehr Regenwolken zieren statt ihrer den Himmel, aber im Prinzip bleibt es dasselbe und nichts passiert. Nichts bis auf dieses eine und dieses Eine ist die zugegebenermaßen wirklich verspätete Erkenntnis darüber, warum sein kleiner Shiki, der in der Zwischenzeit seinen Gedanken doch so viel nährreichen Boden für die unanständigsten und schamlosesten Vorstellungen gab – ein göttlicher Anblick nach dem anderen, der sein Herz zum Fliegen und Flattern bringt –, seine geliebten Pockys seit jenem Tag nicht mehr angerührt hat. Das Wissen darum, dass Shiki seinen kleinen Scherz ein wenig zu ernst und ihm übel nahm, betrübt die zuckersüßen bis heißen Fantasien und er weiß sich nicht anders zu helfen, als bei jedem Mal erneut aufzuseufzen, wenn er sieht, dass Rima es nicht einmal mehr versucht, Shiki auch nur einen Pocky anzudrehen und es ihn noch nicht einmal kümmert. Und dann ein erneutes Seufzen, wenn er von einem kleinen Auftrag, den Kaname-sama ihm auftrug, zurückkehrt und er von ihr erfahren muss, dass er nicht einmal welche annimmt, wenn er einen Pocky hätte genießen können ohne Gefahr zu laufen, dass Takuma es jemals erfahren würde. Das scheint für Shiki von keinerlei Interesse zu sein und er hält seine „Strafe“, die nicht einmal eine ist, konsequent durch. Allein bei dem Gedanken geht es ihm nicht mehr gut, seinem Freund so etwas angetan zu haben und jetzt sind bereits über dreiviertel der Strafe bereits um. Anderthalb Wochen verbleiben und Shiki hat nicht einen einzigen Pocky angerührt. So erst kann er das doch gar nicht genommen haben … Eine Woche steht noch aus und sie sind beide in ihrem Zimmer, der Morgen naht in einigen Stunden. Takuma sitzt auf seinem Bett, liest ein Buch und neben ihm eine Schachtel Pockys, nach der er gelegentlich greift; eine versteckte Aufforderung an den anderen, sich nun endlich auch von diesem lächerlichen Verbot zu lösen und wieder normal zu sein. Doch nichts. Shiki sitzt einfach nur auf dem Boden an das Bett gelehnt, auf dem er selbst sitzt, hat die Augen geschlossen, schweigt und tut nicht mehr als zu atmen. Es scheint nicht, als wäre ihm langweilig, vielleicht ein wenig müde, doch der Kampf, nicht einzuschlafen, sieht er eindeutig den zusammengezogenen Augenbrauen an. Die kleine Falte zwischen ihnen, die nicht sein sollte. Als wollte er jenen Fehler – und er nennt es nur so, weil Shiki es so zu betrachten scheint – um jeden Preis vermeiden. Das sieht er sich noch einige Minuten lang an, dann gibt er seufzend auf, legt das Buch weg, schwingt die Beine über den Bettrand und setzt sich direkt neben Shiki, bleibt aber auf dem Bett. Von hier oben kann er ihn doch viel besser beobachten. Sanft drückt er mit einem Zeigefinger zwischen die Augenbrauen (sein Blick nimmt wie jedes Mal jedes einzelne Detail des schönen Gesichtes auf, jetzt wohl gemerkt hauptsächlich die wohl geformten Augenbrauen: jedes einzelne Haar sitzt in bester Form und hat denselben rötlich schimmernden Farbton wie das Haupthaar) und versucht die Falte zwischen ihnen zu glätten, hält den Finger solange dort, bis sie es tut, das Gesicht entspannter wirkt. „An was denkst du, Shiki?“, fragt Takuma, nachdem er seinen Finger über das Gesicht wandern lässt, es genießt, das es sich in die Richtung dreht, in der seine Finger zuletzt die weiche Haut berührt hatten, als könnte es so die Berührung wiederholen. Dass so etwas ausreichte, um seinem geistigen Augen eine ganz besondere Vorstellung seines rothaarigen Lieblings zu geben, so unterwürfig, die Stimme nahezu nur ein Hauch und ein Klang, der ihm mehr als nur eine Gänsehaut beschert – jetzt hat er ein wirklich schlechtes Gewissen, dass er so etwas genießt, während Shiki unter Pockyentzug litt und leidet. Wie ungerecht er doch ist. „An dich“, antwortet der Kleine ehrlich. „Und an was genau?“ „An einen Tag vor knapp zwei Monaten.“ „Was war genau? Was hab ich getan?“ Als ob er das nicht selbst genau weiß. „Du … hast geredet …“ Er lacht leise, das ist nichts Ungewöhnliches. Aber Recht hat er. „Und?“ „Ich schlief ein.“ „Ja?“ „Du hast mich wieder geweckt.“ „Und dann?“ Das ist ja wirklich süß. „Warst du wütend.“ „Ernsthaft?“ „Solltest du das nicht besser wissen?“ „Könntest du mich nicht auch falsch verstanden haben?“ Welch interessantes kleines Spiel. Lächelnd erhebt er sich in einer flüssigen Bewegung vom Bett und kniet sich direkt vor Shiki über dessen eines ausgestrecktes Bein, stützt auf das angewinkelte seinen rechten Arm, mit dessen Hand er unter Shikis Kinn greift. Wieder dieses eine Bild verführerischster Unterworfenheit, das am Rand seines Bewusstseins kitzelt und nach Erfüllung schreit, als der andere die Augen öffnet und ihn fragend anschaut. Die Nähe überrascht ihn nicht, scheint viel mehr willkommen zu sein und der undefinierbare Ausdruck vergeht ein wenig unter anderen Gefühlen. „Ist das wahrscheinlich?“ „Du warst müde und vielleicht hast du meine Worte nicht mehr ganz so gut verstanden, wie normalerweise.“ Aber dennoch war es so knuffig, ihm dabei zuzusehen, wie er zu verstehen versuchte, was es in seinem Zustand zu verstehen gar nicht möglich war. „Meinst du?“ Dieser zweifelnde (und nun wirklich unterwürfige) Tonfall – wie süß. „Ja, meine ich.“ Und wie zum Beweis greift er nach der Pockyschachtel um einen einzigen hinauszuziehen, den er dem anderen vor den Mund hält. Ein skeptischer und ungläubiger Blick ist die Antwort und Takuma kann nur darüber lachen. „Wie ich damals schon sagte: Ich käme nie auf die Idee, dir Pockyverbot zu erteilen.“ „Aber sagtest du nicht, du würdest es mir übel nehmen?“ Schon wieder ist die eine kleine Falte zwischen seinen Augenbrauen vorhanden. Und schon wieder muss Takuma über seinen Freund lachen. „Nein, natürlich nicht – wie könnte ich?“ „Was sagtest du dann?“ „Dass ich es dir als Freund eben nicht übel nehmen könnte, aber selbst wenn ich es so gesagt hätte – nichts davon war ernst gemeint.“ Ist es überzeugend genug? „Aber wenn du mir nicht glaubst …“, fängt Takuma an und führt den Pocky von Shikis Mund zu seinem, „ … dann kann ich es mir natürlich auch schmecken lassen.“ Mit einer schnellen Bewegung – schneller, als er sich imstande fühlt – greift er nach dem Handgelenk des anderen, bevor dieses auch nur die halbe Strecke bis zu dem anderen Mund überbrücken kann. Er hat ihn falsch verstanden. Gut, dass kann passieren. Dann hat er also mehr als anderthalb Monate umsonst auf Pockys verzichtet. Umsonst. Das Wort streicht durch seinen Kopf und findet keine Ruhe. Der Geruch der Schokolade umschmeichelt seine Nase und er vergisst es, führt die Hand wieder zurück und beißt in die Schokolade herein, genießt es, wie sie auf seiner Zunge vergeht. Welch Wohlgeschmack! Hin und wieder schaut er auf und er ist sich sicher, er täte alles, was Takuma verlangte. Alles. Er isst die kleine Nascherei auf, bis er mit den Lippen Ichijou-sans Hand berührt, der während dessen nichts anderes tat, als ihm mit diesem einen besonderen Blick anzusehen, den er bereits öfters bei ihm entdeckt hat. Der diese eine besondere Botschaft aussendet. Der darum bittet, Genüsse empfinden zu dürfen und ihn selbst empfinden zu lassen, die sie bisher nur erahnen konnten. „Ich glaube dir“, antwortet Senri und schaut ihn durchdringend an, erwidert diesen einen Blick aus grünen Flammen, beugt sich nach vorne. Er hat ihn also missverstanden. Beinahe könnte er darüber lachen. Aber es gibt etwas, was nicht deutlicher sein könnte. Das hatte er selbst damals in seinem völlig übermüdeten Zustand verstanden hatte. Da ist etwas zwischen ihnen, dass nur sie beide sich gegenseitig geben konnten und ihn was ein Pockyverbot von über anderthalb Monaten gerne wieder vergessen ließ. Jetzt zählt nur etwas anderes. Verlangen nach diesem unendlichen Genuss. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)