Mila Superstar - Wiedersehen in Fujimigahara von lachende_goettin (Reuinion 2000) ================================================================================ Kapitel 2: Das, was du zurückgelassen hast. ------------------------------------------- Mila hatte Midori schon bei der Einfahrt des Zuges auf den Bahnsteig ausgemacht. Sie würde ihre einstmals beste Freundin aus alten Jugendtagen immerzu erkennen, egal, wie viele Jahre und Kilometer zwischen ihnen gelegen hatten. Midoris Haare waren nicht mehr so lang wie damals und hatten nicht mehr diesen natürlichen Schwung, doch das hatte schon zu Unizeiten allmählich nachgelassen. Das rötlich-braune Farbspiel ihrer, unter dem nun auch die ein oder andere Blondsträhne schimmerte, erschien Mila eher nachgeholfen. Midori versuchte zweifelsohne, ihr gutes Aussehen von damals zu konservieren und man musste ihr durchaus zugestehen, dass sie sich darauf verstand. Unabhängig davon stand Midori das ein oder andere Fältchen vortrefflich, wie Mila fand, ihr Gesicht war sehr feminin, die nun gelockten Haare hochgestockt, vor allem aber war es ihr jugendlicher Geist, der sie manchmal noch sehr an die Midori von damals erinnerte. Natürlich war das heutige Treffen nicht das erste Aufeinandertreffen mit Midori in fast 30 Jahren. Die ersten drei Semester hatten sie noch zusammen durchgestanden, bis Midori sich entschloss, das Sportstudium abzubrechen. Literatur war es, was ihr nach eigenen Aussagen besser lag – das hatte die Freundschaft der beiden aber nicht trügen können. Mit dem Studium hatte Mila sich schwer getan. Sie hatte natürlich ihre Stipendien vom Sportverband, doch hin- und wieder kam es vor, dass sie ein Semester wiederholen musste, wie sonst sollte man ein Studium bewältigen, das stets unterbrochen wurde von langen Trainingszeiten für Landes – und Weltmeisterschaften sowie Olympiaden? Midori und Mila fanden immer wieder zueinander. Mila erinnerte sich, dass sie ihre Trauzeugin war, als sie bei Nacht und Nebel mit Mitamura durchgebrannt war, und es war ebenfalls Mila gewesen, die Midoris todunglücklichen Vater davon überzeugt hatte, dass seine Tochter mit einem nicht standesgemäßen Fußballer glücklicher wird als mit dem Sohn seines Firmenkollegen, den sie kaum kannte. Sie war es, die Midoris Umzug mitorganisierte als sie mit Mitamura in einer 6-Tatami-Matten-Wohnung angefangen hatte, und sie war es, die an ihrer Seite war, als Midori ihren ersten Sohn bekam. Dafür hatte Mila sogar – wenn auch etwas widerwillig – ein Endspiel abgebrochen, das von ihrer damaligen Mannschaft trotzdem noch gewonnen werden konnte. Über die Jahre hatten sich gelegentliche Treffen stets ergeben, etwa auf dem Ferienanwesen der beiden auf Okinawa. Nachdem Mitamura seinen Vertrag bei Gamba Osaka unterschrieben hatte, war es für das Paar finanziell leichter geworden, die großen Entfernungen zu ihrer alten Freundin zu überbrücken. So war Midori auch bei den Olympiaden anwesend gewesen. Auch die drei Jungs, heutzutage alle schon eingeschult, hatten die Ferien schon des Öfteren bei Tante Mila verbracht. Dann hatte sich etwa ein drei Jahres-Rhythmus eingestellt, was die Treffen anging, natürlich waren Anrufe und Emails zahlreicher. Doch langsam, aber immer bestimmter schien der Kontakt abzukühlen. Dies war Mila im Augenblick aber egal, da es keine Fremde war, die sie auf dem Bahnsteig erwartete. Allen Anschein nach war Midori alleine gekommen, worüber Mila froh war, denn sie war aufgeregt, die anderen zu sehen – zu denen die Kontakte äußerst schnell abgerissen waren. Um ehrlich zu sein, war sie sogar nervöser als vor manchem großen Spiel, und sie verstand sich selbst nicht, dass sie vor diesem Treffen lieber flüchten würde. Immerhin handelte es sich um all jene Freunde, die ihr in ihrer Jugendzeit so viel Liebe und Unterstützung gegeben haben. Außerdem hatte sich für heute ein Spezialgast angekündigt, und schon alleinig wegen diesem erstickte Mila schnell den Gedanken, sie könnte sich auf dem Bahnsteig unbemerkt durch die Menge wieder einen Zug schieben, er den Rückweg antrat, ohne, dass Midori sie vorher entdeckte. Mila sprang auf den Bahnsteig und steuerte ihre beste Freundin an, die, den Hals gestreckt, die Hand an die Stirn gelegt hatte, um nach ihr Ausschau zu halten. Irgendwann trafen sich die Blicke der beiden Frauen, und Mila erkannte, wie vor ehrlicher Begeisterung in Midoris Gesicht die Sonne aufzugehen schien. Sie eilte durch die Menschenmassen und sprang Mila um den Hals. - „Mila, wie schön, dass du endlich da bist!“ rief sie und hielt sie sich auf Schulterbreite, um sie zu betrachten. Midori sah aus der Nähe noch viel phantastischer aus. Sie duftete nach teurem Parfüm. „Wir haben uns schon solche Sorgen gemacht, wegen des Taifuns. Hast du trotzdem eine gute Reise gehabt, ja?“ - „Ich freue mich auch, Midori! Ach was, ich kann nicht klagen.“, antwortete Mila und schob ihre Freundin ein wenig von sich weg. - „Weißt du was? Ich habe den anderen gesagt, dass ich nicht eher hier weggehe, bis ich dich mitgenommen habe. Ich hätte notfalls auch mein Zelt hier aufgeschlagen“, sagte Midori und lachte aus voller Kehle. - „Die anderen sind schon alle eingetroffen?“ fragte Mila überflüssigerweise, denn sie war über zwei Stunden zu spät und es war offensichtlich, dass das Treffen schon in vollem Gange war und sie als eine der letzten eintraf. - „Natürlich. Und sie freuen sich alle, ihren alten Boss wiederzusehen.“ Mila stöhnte innerlich. Die Bezeichnung Boss, die sie noch vor ihrer Volleyballzeit von ihren Freundinnen verliehen bekommen hatte, hatte sie trotz heftiger Proteste nie abschütteln können. Damals war Mila gerade zwölf geworden und verbrachte ihre ersten Tag auf dem Fujimi Gymnasium, welches sie damals noch ermüdend langweilig empfand. Aufgrund ihres kühnen Kopfes, mit dem sie sich gegen die Lehrer auflehnte, hatte sie sich schnell die Bewunderung ihrer Mitschülerinnen eingebracht – und ebendiesen verhassten Spitznamen. Midori hatte sich bei Mila eingehakt – was hatte ihre alte Freundin doch für bemerkenswerte Muskeln! – und begleitete sie, fröhlich vor sich hin plaudernd, in die Bahnhofshalle. Mila blickte beiläufig zu ihrem Füßen. Sie selbst trug sandgelbe Sneakers, eine Spezialanfertigung, die die Wadenmuskulatur beim Gehen trainierte. Midori trug weißlackierte Louboutin-Pumps, die sie etwa neun Zentimeter größer machte, als sie eigentlich war. Man sah ihrer Fußmuskulatur dank ihrer unbestrümpften Beine deutlich an, dass sie häufiger Schuhwerk mit spitzen Absätzen zu tragen pflegte, die nicht dafür optimiert waren, das Gewicht nach hinten zu federn. Gänzlich ungeeignet zum Volleyballspielen, dachte Mila beim Betrachten von Midoris schönen Beinen. - „….war der Akku meines Handy leer. Hey, Mila, was ist los mit dir?“ Mila erschrak. „Verzeih, ich habe nicht zugehört.“ - „Ich sprach gerade davon, dass der Bahnhof von Fujimigahara komplett erneuert wurde. Ist dir das noch nicht aufgefallen?“ Mila sah sich um. Tatsächlich, der Bahnhof erschien um so einiges moderner als in ihren Jugendtagen, wo sie so viele Stunden auf den Gleisen zugebracht hatten, um als Mannschaft ungewissen Turnieren in der Ferne entgegenzufahren. Sie, Midori, die Mannschaft und Herr… Mila räusperte sich und fasste einen neuen Gedanken. Sie hatte auf der ganzen Welt Bahnhöfe gesehen, was war dagegen schon der Bahnhof in Fujimigahara? Die beiden Frauen stiegen in ein Taxi. - „Zum alten Fujimi-Gymnasium!“ wies Midori den Fahrer an, der sofort die Kupplung instand setzt. Es gab mittlerweile drei Gymnasien alleine hier im schönen Fujimigahara, welches erst 1972 das Stadtrecht erhalten hatte. Ländlich, dachte Mila, als sie im Regen durch die Stadt fuhren. Sicherlich viel mehr Stadt als damals, aber auch immer noch auf eine Weise dörflich. Der Fuji war bei derart gräulichem Wetter natürlich nicht sichtbar, was Mila schon auf der Zugstrecke bedauert hatte. Es gelang ihr indes nicht, ihre Nervosität abzuschütteln. Jeder Kilometer, der sie der Schule näher brachte, verunsicherte sie mehr, so dass sie bald hoffte, die Fahrt möge nie zu Ende gehen. Sie verstand ihre eigenen Gefühle nicht. Sie, die vor Komitees auf der ganzen Welt gesprochen hatte und sich gelegentlich fürs Fernsehen interviewen ließ, die jetzt Mannschaften für die Weltspitze trainierte, hatte Angst vor einem Klassentreffen. Nach einer Weile des Schweigens fragte sie Midori: - „Ist sie schon da?“ Midori sah ihre Freundin zunächst mit großen Augen an, als müsste sie überlegen, welche der vielen anwesenden sies Mila Kopfzerbrechen bereitete. Doch auch Midori konnte sich denken, warum ihre Freundin, die heute zurückgezogener in Nähe der Trainingscamps in Hokkaido lebte, sich wirklich zu einem Klassentreffen hatte überreden lassen. Genau genommen: Wegen wem. - „Nein, Mila, du hast Glück. Sie kommt erst später. Ihr Flug war heute morgen aufgrund des Wetters gestrichen worden. Mittlerweile dürfte sie aber fast da sein.“ - „Oh, das ist gut“, sagte Mila und fühlte, wie ihr ein Stein vorm Herzen fiel. Während das Taxi in eine Wohnsiedlung einbog, staunte Mila. Hier erinnerte kaum noch etwas an die Gegebenheiten vor neunundzwanzig Jahren. Ganz in der Nähe hatte sie mit ihren Eltern gewohnt, die längst wieder in Tokio lebten. Hier war so sie jeden Morgen zur Schule gelaufen und manchmal dabei auf Tsutomu getroffen. Sie fragt sich, ob der Betonbau, der jetzt von allerlei Wohnungen umgeben war, ihre alte Schule war, das war angesichts des Regenschauers nicht zu erkennen. -„Gymnasium Fujimigahara. Fünfhundert Yen.“, unterbrach der Fahrer ihre Gedanken. Mila hielt die Luft an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)