Mila Superstar - Wiedersehen in Fujimigahara von lachende_goettin (Reuinion 2000) ================================================================================ Kapitel 1: Das, welchem du entgegensiehst. ------------------------------------------ Ein Punkt. Ein einziger Punkt, der den Griff nach den Sternen bedeutete. Die Weltmeisterschaft, dieses höchste aller Ziele, an welches Mila Ayuhara die letzten 5 Jahre – ja, im Grunde genommen ihre gesamte Jugendzeit – geheftet hatte, war einen einzigen Treffer entfernt. Noch nie war Mila so nah dran gewesen, nach den Sternen zu greifen. In den letzten Wochen hatte Mila in jenen Trainingscamps auf Hokkaido gekämpft bis zur völligen körperlichen Revolte, um nun hier – in Sophia - unter Japans besten 13 gegen den unverwüstbaren Feind aus Russland anzutreten. Einen Punkt noch! Mila wirbelte dem Ball entgegen. Sie hatte kein Auge mehr dafür, wer soeben aus ihrer Mannschaft Schleninas gefährlichen Schmetterball angenommen hatte und ihn ihr in angedrehter Form zugespielt hatte, sie wusste nur, dass er perfekter nicht hätte kommen können. Mila spürte, wie ihr Körper aufgab, die Beine nachgaben, die Schlagkraft sie verlassen hatte. Seit über einer Stunde quälten sie sich nun durch dieses Endspiel, und keine der beiden Mannschaften war bereit, der jeweils anderen die Weltspitze zu überlassen. Zweimal aber hatte Mila zu unterschiedlichen Zeitpunkten ihres Lebens Schlenina gegenübergestanden, was jedes Mal harter Vorarbeit bedurft hatte. Mannschaften aller Herren Länder hatten besiegt werden müssen, dem voraus ging wochenlanges Training bis an die Grenzen des Machbaren. Mit allem, was Recht war, hatte sie trainiert, mit Medizinbällen, die ihr fast die Handgelenke zerschmetterten, die sie zuvor in Eisenketten gelegt hatte. Nicht nur einmal war sie in den letzten 5 Jahren eine Haaresbreite davon entfernt gewesen, ihre Gesundheit zu ruinieren und schon deswegen einen Sieg über Schlenina unmöglich zu machen. Hinzu kamen die menschlichen Abgründe, die sich vor ihr aufgetan hatten. Das alles sollte sie jetzt aufgeben, um wieder nur die Nummer 2 zu werden? Niemals. Japan und Russland waren mittlerweile im fünften Satz, es stand fünfzehn zu vierzehn für die Japanerinnen - wann, wenn also nicht jetzt? Mila spürte noch etwas anderes, als sie dem Ball entgegenrannte. Sie war in dieser einen Sekunde eine Art Vertreterin aller japanischen Hoffnungen geworden, die sie nicht enttäuschen konnte – auf gar keinen Fall durfte sie den Sieg entwischen lassen. Die Angelegenheit schien sich auf den Saal zu übertragen. Es herrschte kurzzeitig eine eisige Stille in der Halle, sogar der sonst so voreilige Kommentator vom Sportfernsehen wagte kein Urteil, und auch Frau Sofia, die liebevolle Gastmutter, die hieß, wie die Stadt, brachte keinen Ton heraus, als Mila dem Ball entgegenflog. Vielleicht kam daher nun die starke Kraft, die sie noch einmal mobilisieren konnte, obwohl sie gerade erst wegen Erschöpfung aus dem Krankenzimmer zurückgekommen war. Mila setzte im Ausfallschritt zum Flug an und hob derart dynamisch vom Boden ab, dass nicht nur Trainer Inokuma auf der Bank neben ihr und Yushima auf der Tribüne ahnten, was nun unmittelbar bevorstand, auch Schlenina auf der Gegenseite fiel vom Staunen der Kiefer nach unten. Mila drehte sich in der Luft und schlug mit allen verfügenden Kraftreserven, die sie aus der Drehung bezog, auf den Ball ein, der daraufhin in seiner Form leicht nachgab und mit einem regelrechten Donnergrollen den Weg in das gegnerische Feld einnahm. Die Zeit schien sich zu dehnen wie ein Gummiband. Der entsetzte Ausdruck in Schleninas hübschem Gesicht verriet, dass sie das Unheil schon kommen sah. Auch sie war allmählich am Ende ihre Kräfte angelangt. Schlenina setzte sich in Bewegung. Sie hetzte dem Ball entgegen, der in einen ungewöhnlich scharfen Winkel fast bis zur Deckenhalle empor gedonnert war, um letztlich wie ein fallender Stein nach unten zu sinken, was seine Flugbahn ein Stück unberechenbar machte. Verdammte Mila, nie geht dir Munition aus, dachte Schlenina, während sie die Arme nach vorne riss. Sie versuchte, ihren Weg dem Ball entgegen zu verkürzen, indem sie schließlich sprang und hoffte, die drohende Niederlage abwenden zu können, doch im Grunde wusste sie, dass es zu spät war: Als hätte er sie bewusst gemieden, schlug der Ball eine Haaresbreite vor ihr auf dem Boden ein, drehte sich dort einen kurzen Moment und rollte schließlich vom Spielfeld. Mila hatte ihr Manöver soeben erst beendet und landete geschickt im Ausfallschritt, im Gegensatz zu Schlenina, die auf dem Boden lag wie eine Erschossene, die den Kampf verloren hatte. - „Und da ist der Schlusspfiff! Die japanische Damenmannschaft hat die Weltmeisterschaft gewonnen! Wir haben gewonnen!“ rief der Kommentator außer sich, nachdem er seine Sprache wieder gefunden hatte. In der Halle ertönte ein Getöse, wie es bei keinem Siegesspiel bei dieser Weltmeisterschaft zu hören gewesen war, und allmählich spürte Mila, wie wieder Leben in ihren Körper zurückkehrte. Rings um sie herum fielen ihre Mitstreiterinnen sich in die Arme. Ihr Blick fiel beiläufig zu Trainer Inokuma, in seinem Gesicht lag keinerlei Regung. Was er fühlte, wäre ohnehin nicht mit Augen sichtbar gewesen, das spürte sie nur zu deutlich. Die russischen Spielerinnen hatten sich indes weinend um ihren Trainer versammelt, der ihnen beruhigende Worte zumurmelte, die Mila nicht verstand. Schlenina hatte sich noch immer nicht erhoben, als sei alles zu Ende mit ihr. Mila duckte sich unter dem Netz und wagte einen Schritt aufs gegnerische Feld. - „…erreichen wir den Hautbahnhof Fujimi. Informationen zu Anschlusszügen, Fern- und Nahverkehr entnehmen Sie unseren Informationen vor Ort. Wir bitten Sie, die Unannehmlichkeiten wegen der Verspätung zu entschuldigen und wünschen Ihnen eine angenehme Reise. Beehren Sie uns wieder.“ Mila Ayuhara erwachte abrupt aus ihrem Traum. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie eingenickt war, wo sie doch normalerweise in Zügen niemals Ruhe fand. Die integrierte Digitaluhr im Sitz vor ihr verriet ihr, dass sie bereits zwei Stunden zu spät war. Es war September, die Taifun Saison hatte begonnen, und so war es auch nicht verwunderlich, dass der Shinkansen Probleme hatte und während ihrer achtstündigen Reise mehrmals stehen geblieben war. Mila hielt es deswegen für keine besonders günstige Idee, das Wiedersehen der alten Volleyballklasse, zudem sie unterwegs war, ausgerechnet in diesen Monat zu verlegen. Sie konnte sich ein Schmunzeln aber nicht unterdrücken, als sie bedachte, dass Ishi Matsu das Treffen geplant hatte, und die war noch nie dafür bekannte gewesen, etwas gründlich zu durchdenken. Dabei war es wichtig, das Treffen mit Sorgfalt zu planen, wo sich die begeisterten Volleyballtalente von damals doch in alle Himmelsrichtungen des Landes verteilt hatte. Während der Zug nun durch das bunte Häusermeer Fujimis zog und Mila sich zum Aussteigen bereit machte, stellte sie fest, dass sie zitterte. Der Traum gerade war so intensiv gewesen, dass es den Anschein hatte, er sei eine Zeitreise gewesen. Sie tippte sich gegen die Stirn, als wolle sie sich selbst symbolisieren, wieder zur Vernunft zu kommen. - Aufwachen Mila, sagte sie zu sich selbst. Schlenina, Bulgarien und die Weltmeisterschaft – all das lag mitsamt jenem Glück, das sie in jenen Tagen ihrer Jugend empfunden hatte, hinter den Toren der Vergangenheit im Jahre 1971 . Jetzt war sie in Fujimigahara, am Fuße des Fujis, wo vor langer Zeit alles begonnen hatte, und man schrieb das Jahr 2000. Der Zug würde unmittelbar halten, und Mila wusste nicht, was sie erwarten sollte, sobald die Türen zur Seite glitten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)