Die Super Nanny in Japan von JinShin ================================================================================ Kapitel 24: Der letzte Morgen ----------------------------- „Katia-san. Katia-san.“ Namis Stimme drang aus weiter Ferne in mein Bewusstsein. Ich öffnete die Augen. Ich lag auf einem Futon auf dem Boden, und Nami kniete vor mir und berührte mich an der Schulter. Es musste schon Morgen sein, denn es fiel Tageslicht in das Zimmer, und draußen zwitscherten schon die Vögel. Was machte Nami hier? War etwas passiert? Sie lächelte sanft. „Es ist bald Zeit fürs Frühstück. Besser, wenn Sie jetzt gehen.“ Oh je. Jetzt fiel mir alles wieder ein. Ich hatte Nami spät am Abend ja noch aufgesucht, nach dem Gespräch mit Hirose. Einer der Wachleute war so freundlich gewesen, mir den Weg zu ihrem Zimmer zu weisen. Sie hatte sehr überrascht ausgesehen, als ich vor ihrer Tür stand, aber hatte mich nach diesem ersten Moment des Zögerns freundlich herein gebeten. Wir hatten Tee getrunken und uns noch sehr lange unterhalten… Natürlich nannte ich ihr keine Einzelheiten, was zählte, war schließlich das Ergebnis, dass Hirose endlich doch noch nachgegeben hatte. Vor lauter Erschöpfung und Erleichterung war diesmal ich diejenige, die die Tränen nicht zurück halten konnte, und dieses Mal war sie es gewesen, die mir Trost zusprach… Dann musste ich irgendwann einfach eingeschlafen sein. Nami musste mir meine Gedankengänge im Gesicht ablesen, denn ihr Lächeln vertiefte sich, und sie sagte: „Sie waren so müde, ich habe es einfach nicht fertig gebracht, Sie fortzuschicken.“ „Entschuldigung“, murmelte ich verlegen. „Das macht gar nichts“, entgegnete sie munter. „Sie sind jederzeit ein willkommener Gast in meinem bescheidenen Heim.“ „Danke.“ Ich war beruhigt, da es ihr anscheinend überhaupt nicht unangenehm war, dass ich die Nacht in ihrem Futon gelegen hatte. Und wo hatte Nami eigentlich geschlafen? Wir wechselten noch ein paar Worte, die Nachmittagsplanung betreffend, dann schlich ich mich möglichst unauffällig in mein eigenes Zimmer zurück, um mich vor dem Frühstück noch ein wenig frisch zu machen. Ich fühlte mich ein wenig in alte Jugendherbergszeiten zurück versetzt. Das war nun schon die zweite Nacht, die ich nicht auf meinem eigenen Futon verbracht hatte. Das war schon etwas peinlich. Glücklicherweise schien niemand mein Fortbleiben bemerkt zu haben. Hirose ließ sich wieder entschuldigen, er war schon sehr früh am Morgen in die Firma gefahren. Aber er ließ mir ausrichten, er sei zum Mittagessen zurück. Das Frühstück verlief ohne besondere Vorkommnisse. Nadeshiko bestritt gut gelaunt den Großteil der Konversation, während ihr Bruder Akihito wie üblich Missstimmung zu verbreiten suchte. Anscheinend passte es ihm nicht, dass Hirose ihm ein weiteres Mal einen Großteil seiner Termine aufgebürdet hatte. Und seinen Blicken nach zu urteilen, gab er mir die Schuld dafür. Er schien allgemein wenig Freude an seinen Aufgaben in der Familie zu haben. Ich erinnerte mich, dass er auch das Schwerttraining in seiner Kindheit als Tortur empfunden hatte. Warum blieb er, warum baute er sich nicht ein eigenes Leben auf wie sein jüngerer Bruder Koji? Und was würde er wohl machen; was entsprach seinem wahren Talent, wenn es hinaus dürfte? Leider hatte ich keine Gelegenheit, Akihito diese Fragen zu stellen. Ich hatte irgendwie ein ungutes Gefühl, was ihn anging, konnte es jedoch nicht genau fassen, was es war. Irgendetwas brodelte hier unter der Oberfläche, und es schien auf unbestimmte Art auch Hirose zu betreffen. Aber während ich bei Akihito das Gefühl hatte, er könnte jeden Augenblick explodieren und irgendeine Dummheit tun, war es bei Hirose eher der Eindruck von Resignation. Die mir jedoch genau so viel Unbehagen bereitete. Und was mochte diese Kombination in der Zukunft bringen? Wenigstens würde Hirose noch einige Denkanstöße erhalten, wenn er seinen Sohn durch die Therapie begleiten würde. Ich wünschte sehr, dass er die Chance für sich nutzen können würde. Obwohl Kaoruko sehr schweigsam war und sehr müde aussah, wirkte sie auf mich entspannter als am Vortag. Hoffentlich war das auf eine heilsam hilfreiche Aussprache mit ihrem Mann zurück zu führen. Tatsuomi aß seine vereinbarten Pflichthappen und verkündete, dass er heute überhaupt keinen Unterricht haben würde, obwohl keine Ferien waren. „Hast du es gut“, meinte Nadeshiko. „Ich muss jetzt los.“ „Ich nehme dich mit“, bot Akihito an, und die beiden brachen gemeinsam auf. „Ich fahre mit Tatsuomi zu Dr. Emoto“, wandte sich Kaoruko an mich. „Haben Sie Lust, uns zu begleiten?“ „Gern“, nickte ich und freute mich, die Auswirkungen von Hiroses Umdenken zu erleben. „Und heute Nachmittag unternehmen wir alle zusammen etwas“, sagte sie und sah mich fragend an. „Was denn?“ fragte auch Tatsuomi neugierig. Ich erzählte den beiden, was Nami und ich überlegt hatten. „Und Papa kommt auch mit?“ vergewisserte er sich ungläubig. „Die ganze Familie“, bestätigte ich. Er sah zu seiner Mutter. „Wirklich?“ „Ja, wirklich.“ „Toll!“ Er hüpfte aufgeregt herum. „Darf ich Coco auch mitnehmen?“ Seine Mutter nickte. „Zu Dr. Emoto auch?“ „Natürlich.“ Er rannte los. Nami fuhr uns und musste auf der Fahrt raten, was für den Nachmittag geplant war. Sie tat völlig ahnungslos, und Tatsuomi hatte große Freude, auf alles, was sie aufzählte, mit Nein zu antworten. Die gute Stimmung war im Wartezimmer leider schon wieder verflogen, und Tatsuomi wartete nervös mit mir und Nami während Kaoruko zunächst allein mit dem Arzt sprach. „Muss ich mich gleich ausziehen?“ fragte Tatsuomi mit der alten Angst in den Augen. „Ich glaube nicht“, versuchte Nami ihn zu beruhigen. „Ist das hier Coco?“ fragte ich, um ihn abzulenken, und meinte den kleinen Stoffaffen, den er an sich gepresst hielt. Er nickte. „Der ist von meinem Papa“, berichtete er stolz. „Der kommt auch aus Deutschland.“ Er zeigte mir das Schildchen im Ohr des Tieres, das ihn als echtes Steiftier auswies. „Wenn er bei mir ist, kann mir nichts passieren, sagt Papa. Er passt auf mich auf.“ „Dann bin ich ja arbeitslos“, scherzte Nami. „Nein“, sagte Tatsuomi in großem Ernst. „Coco kann ja nicht Auto fahren.“ „Dann ist ja gut“, sagte Nami. „Herzlich willkommen, Herr Kollege Coco-san.“ Nami verbeugte sich förmlich vor dem Affen, und so ging das Spielchen weiter, bis Kaoruko mit dem Arzt kam. Es war so schön, Tatsuomi so entspannt zu erleben. Ich fand, dass Nami ein echter Glücksfall für diese Familie war, insbesondere natürlich für Tatsuomi. Die Untersuchung und Behandlung erwies sich als weniger schlimm wie befürchtet, und nachdem auch mein Arm noch einmal kurz inspiziert worden war, fuhren wir zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)