Die Super Nanny in Japan von JinShin ================================================================================ Kapitel 15: Der Alptraum ------------------------ Wir fanden Kaoruko völlig aufgelöst vor. Sie bat uns dennoch, einzutreten, was Nami veranlasste, in Erstaunen eine Augenbraue anzuheben. Naja, es war mehr ein Zucken ihrer Augenbraue. Ich bekam langsam Übung darin, Gefühle in ihrem Gesicht zu lesen. Wenn mir das auch noch bei Kurauchi gelang, wäre ich richtig gut darin geworden! Allerdings war mir nicht ganz klar, ob sie erstaunt darüber war, dass Kaoruko weinte, oder dass sie uns trotz des Weinens herein ließ. Kaoruko entschuldigte sich mehrfach, schnäuzte sich sehr dezent und tupfte die Augen trocken. „Was ist denn los?“ fragte ich besorgt. Sie hob abwehrend die Hand und schüttelte den Kopf. „Was führt Sie zu mir?“ fragte sie nun ihrerseits, offenbar froh über die Ablenkung. Wir waren in einem Raum, den ich noch nicht kannte. Vielleicht ihr eigenes Zimmer oder das Familienwohnzimmer. Es war so karg eingerichtet wie alle Räume in diesem Haus, die ich bisher kennen gelernt hatte. Ich hörte das Plätschern von Wasser, sah jedoch keinen Zimmerspringbrunnen oder ähnliches. Kaoruko hörte sich schweigend Namis Bericht an, und außer dass sich eine tiefe Falte zwischen ihren Brauen eingrub und sie die Lippen zusammenpresste, hatte ich das Gefühl, dass sie sogar eher ihre Fassung zurück gewann. „Ich möchte jetzt endlich Antworten“, sagte sie, nachdem Nami geendet hatte. „In diesem Haus erhalte ich sie nicht. Ich werde sie selbst suchen. Ich möchte wissen, was mit meinem Sohn geschehen ist! Vielen Dank, dass Sie sich solche Mühe geben. Midorikawa-san, bitte halten Sie sich morgen früh für mich bereit.“ „Natürlich.“ Nami verneigte sich und nahm es als Zeichen, sich zu entfernen. „Ich habe versucht, mit meinem Mann zu reden“, sagte Kaoruko, als wir allein waren. „Es ist sinnlos.“ „Das ist es nie“, antwortete ich. „Hirose ist auch nicht so kalt, wie er wirkt. Er ist auch verunsichert, sonst würde er nicht verschweigen, was passiert ist. Zu wahrer Stärke gehört Authentizität und Ehrlichkeit. Und er ist beides nicht im Moment. Geben Sie jetzt nicht auf! Es ist auch für Tatsuomi wichtig, dass Vater und Mutter zusammen arbeiten und an einem Strang ziehen.“ „Mein Mann nimmt mich ja gar nicht ernst“, sagte sie mutlos. „Naja. Es ist wahrscheinlich auch das erste Mal, dass Sie ihn nicht unterstützen, in dem was er tut, oder? Wahrscheinlich ist er einfach nicht gewohnt, dass von Ihrer Seite Widerworte kommen… Da muss er sich erst dran gewöhnen.“ Ich begleitete die Worte mit einem aufmunternden Lächeln. Sie seufzte leise. „Ja. Und ich mich auch.“ Plötzlich gellten mehrere spitze Schreie durch das Haus. Wir springen auf. „Das ist Tatsuomi!“ Kaoruko rannte auf den Gang hinaus. Ich lief hinterher. Tatsuomis Zimmer lag im Dunkeln, Kaoruko musste das Licht anmachen. Der Junge lag auf dem Tatami, die Decke hatte er von sich gestrampelt, und er schrie und schlug um sich als würde es um sein Leben gehen. Kaoruko kniete sich nieder und versuchte vergeblich, ihn aufzuwecken. Oder war er schon wach? Ich dachte daran, wie schwer es Nami und mir am Nachmittag gefallen war, ihn wieder zu beruhigen. Schade, dass sie jetzt nicht hier war. Stattdessen kam Hirose ins Zimmer gefegt, seinen dunklen Schatten, Kurauchi, im Gefolge. Der Bodyguard sah uns und blieb in der Tür stehen. Hirose packte den Jungen fest und schüttelte ihn. Gott sei Dank hörte er auf zu schreien. Dafür schluchzte er jetzt, laut und verzweifelt. Kaoruko zog ihn von Hirose fort und zu sich und wiegte ihn sanft. So waren also die Alpträume, von denen sie mir erzählt hatte. Heftig. Kein Wunder, dass der Arzt Beruhigungsmittel verordnet hatte. Hirose legte eine Hand auf den bebenden Rücken des Jungen und sagte etwas. Ich bekam nicht mit, ob er zu Tatsuomi oder zu seiner Frau sprach. Eigentlich war das jetzt eine gute Gelegenheit für die beiden Eheleute, sich in der gemeinsamen Fürsorge zu ihrem Sohn wieder einander anzunähern. Bedauerlicherweise zischte Kaoruko ihrem Mann wütend etwas zu und schlug sogar seine Hand von dem Kind weg. Nein, dachte ich, doch nicht jetzt, das ist der denkbar ungünstigste Zeitpunkt zum Streiten! Ich konnte Kaoruko jedoch auch gut verstehen, sie war einfach am Ende ihrer Belastbarkeit, und daran war Hirose nicht unbeteiligt. Ich sah, dass auch sie jetzt weinte. Ich hoffte nur, dass Tatsuomi davon nicht allzu viel mitbekam. Der Ärmste hatte gerade wirklich genug Probleme, auch ohne zankende Eltern. Hirose trug es mit Fassung. Er machte ein fast unmerkliches Zeichen Richtung Tür, und der dunkle Schatten verschwand augenblicklich. Die beiden mussten sich wirklich gut kennen, wenn sie sich so problemlos mit kleinen Gesten verständigen konnten. „Kurauchi holt die Medikamente für Tatsuomi“, sagte Hirose. Ob er sich wohl auch ein Beruhigungsmittel für seine Frau wünscht, kam es mir sarkastisch in den Sinn. Aber so sehr, wie Tatsuomi schluchzte, war die Idee mit den Medikamenten vielleicht gar nicht so schlecht. Er schien sich überhaupt nicht beruhigen zu können. „Gibt es denn keine andere Möglichkeit?“ fragte Kaoruko und umschlang ihr Kind schützend. „Nun, Nami… ich meine, Midorikawa-san hat heute Nachmittag etwas mit irgendwelchen Energieschlössern gemacht, das hat ganz gut geholfen“, erinnerte ich mich. Das Wort hatte ich mir gemerkt, weil ich es so ungewöhnlich fand. „Sie soll her kommen“, sagte Kaoruko in Befehlston. Hirose sah seine Frau an und atmete einmal tief ein. Dann stand er auf und verließ den Raum. Ich nahm seinen Platz neben Kaoruko ein und legte ihr unterstützend meine Hand auf die Schulter. Sie vergrub ihr Gesicht in Tatsuomis Haar und wiegte ihn weiter hin und her. „Manchmal geht das die ganze Nacht so“, murmelte Kaoruko. „Oh je“, machte ich. „Das ist wirklich schlimm. Kommt er denn zu Ihnen ins Bett, wenn er so schlecht träumt? Ich kenne das von meinen Söhnen…“ „Dafür ist er schon zu alt“, ließ sich Hiroses tiefe Stimme hinter mir vernehmen. Er war schon wieder zurück. Anscheinend hatte er nur telefoniert oder so. Der feine Herr holte seine Bedienstete natürlich nicht persönlich ab. „Dafür kann man gar nicht zu alt sein“, sagte ich. „Außerdem ist er doch erst acht.“ Langsam wunderte ich mich nicht mehr darüber, was von Kindern in diesem Haus erwartet wurde. Kurauchi kam mit einem kleinen Fläschchen und gab es Hirose, der es wiederum neben Kaoruko auf den Boden stellte. Er sagte etwas auf Japanisch, und sie nickte nur stumm. Tatsuomi weinte mit unverminderter Heftigkeit weiter. Endlich kam Nami ins Zimmer gehuscht und verneigte sich kurz. „Mi-san, danke, dass sie da sind“, sagte Kaoruko erleichtert. „Saalfrank-san meinte, Sie könnten uns helfen.“ „Ich werde es versuchen“, antwortete Nami bescheiden und hockte sich auf die andere Seite neben Kaoruko. Sofort waren ihre Finger an Tatsuomis Hinterkopf, an den Punkten, die sie vorhin mir gezeigt hatte. „Kommen Sie“, sagte Hirose leise zu mir, und ich bemerkte, dass sein Atem leicht nach Alkohol roch. „Wir werden hier nicht mehr gebraucht. Und Sie haben jetzt Feierabend!“ Ich zögerte einen kurzen Moment, und witzigerweise war es Nami, die mir mit einem Nicken zu verstehen gab, dass es in Ordnung war, noch bevor Kaoruko sagte: „Mein Mann hat Recht. Ruhen Sie sich aus. Wir sehen uns morgen.“ Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Jungen zu und lauschte auf Namis gemurmelte Anweisungen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)