Die Super Nanny in Japan von JinShin ================================================================================ Kapitel 12: Missglücktes Abendessen ----------------------------------- Als wir in das Speisezimmer kamen, waren Tatsuomi und seine Tante schon da. Die Stimmung schien gut zu sein, und mir gefiel der liebevoll scherzende Tonfall, in dem sie zu ihm sprach. Wir aßen ohne Akihito, der den Abend in der Innenstadt verbrachte. Vielleicht hatte er keine Lust auf pädagogische Familienarbeit. Vielleicht hatte Hirose auch keine Lust, seinen kleinen Bruder dabei zu haben. Er schien hier wirklich alle Fäden in der Hand zu halten. Das Essen fing ganz gut an, Tatsuomi aß sogar drei oder vier Happen mehr als sonst, aber dann legte er die Stäbchen plötzlich zur Seite und fing laut an zu weinen. „Tatsuomi“, sagte Hirose streng und ließ noch einige Worte im selben Ton folgen, als hätte nie ein Gespräch mit mir stattgefunden. Kaoruko legte beschützend den Arm um ihren Sohn. „Fragen Sie ihn, was mit ihm los ist“, sagte ich. „Ich weiß, was los ist“, sagte Hirose und legte nun seinerseits genervt die Essstäbchen auf den Tisch. „Es ist immer das Gleiche!“ „Deswegen wollen wir das ja jetzt anders machen. Fragen Sie ihn, was los ist, warum er auf einmal weint“, wiederholte ich. „Tatsuomi. Warum weinst du?“ Er schien die Frage auf Japanisch zu wiederholen, und Tatsuomi antwortete auf Japanisch. „Was hat er gesagt?“ raunte ich Nadeshiko zu, die mir am nächsten saß. „Weil er Hunger hat“, antwortete sie mir leise und verfolgte gleichzeitig aufmerksam den kleinen Dialog. „Dann iss doch“, sagte Hirose schlauerweise. Er war ganz eindeutig mit seinem Latein am Ende. „Nein!“ schluchzte Tatsuomi. Ich versuchte, die Situation zu retten: „Wir hatten doch gerade besprochen, Tatsuomis Probleme ernst zu nehmen.“ Leider missglückte mein Versuch. Kaoruko sprang zwar helfend ein, indem sie verständnisvoll fragte, warum er denn nicht essen wolle, wenn er doch Hunger habe. Tatsuomi sagte, was ich schon wusste: Er habe Angst. Die ganze Unterhaltung lief auf Japanisch ab, was mich natürlich stark in meiner Arbeit behinderte, da ich die gesprochenen Sätze nur zeitverzögert verstand. Nadeshiko übersetzte mir monoton wie eine Nachrichtensprecherin, sichtlich fasziniert von der Szene. „Aber wovor hast du denn Angst?“ fragte die Mutter ratlos. „Dass es weh tut“, sagte Tatsuomi kaum hörbar. „Was tut weh?“ fragte seine Mutter, jetzt besorgt. Hirose schlug mit der Hand auf den Tisch, dass die Schälchen wackelten und alle zusammenzuckten. Er sagte ein paar Sätze in wütendem Tonfall, die mir Nadeshiko leider nicht übersetzte. Sie starrte ihren Bruder entgeistert an. Kaoruko sah zunächst genauso aus, doch dann trat ein entschlossener Ausdruck in ihre Miene. Steif erhob sie sich und ebenso steif richteten sich ihre Worte gegen ihren Mann. Dann verließ sie den Raum mit ihrem Sohn, der wacker versuchte, sein Schluchzen zu unterdrücken. Es herrschte kurze Stille. Ich wunderte mich sehr über Hirose. Wo war nur das geblieben, was wir eben noch besprochen hatten? „Also, ich muss sagen, ich bin wirklich sprachlos“, sagte ich schließlich. „Ich dachte, es wäre klar, worauf es ankommt.“ Er stand auf und verneigte sich förmlich. „Verzeihung, ich bin unhöflich. Aber ich habe noch zu arbeiten.“ „Das Waschen nachher wird aber anders verlaufen“, konnte ich mir nicht verkneifen, seinem Rücken hinterher zu rufen. So langsam ärgerte mich seine Art, unsere Gespräche nach seinem Belieben einfach zu beenden. Was war nur mit ihm los? „Was ist denn mit dem los?“ sprach Nadeshiko meine Gedanken aus. „So kenne ich ihn gar nicht. Entschuldigen Sie.“ Ich winkte ab. Schon gut. „Was hat er denn gesagt?“ fragte ich. „Er hat ihm verboten, darüber zu sprechen“, sagte sie, und ich hörte ihre Fassungslosigkeit darüber. Ich hatte das Gefühl, auf der Stelle zu treten. Die Arbeit mit Hirose war noch schwieriger als ich erwartet hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)