Die Super Nanny in Japan von JinShin ================================================================================ Kapitel 10: Mutlosigkeit ------------------------ Kaoruko empfing uns aufgeregt. „Wie geht es Ihrem Arm?“ fragte sie mich besorgt. „Och…“ Den hatte ich schon wieder fast vergessen und spürte, wie meine Ohren heiß wurden bei dem Gedanken an den eigentlichen Grund, weswegen Nami und ich zu dem Arzt gefahren waren. Wie gut, dass meine Haare so lang waren! „Mir geht es gut“, beeilte ich mich zu versichern. „Wie konnte das passieren?“ fragte sie jetzt Nami, und in ihrer Stimme schwang unüberhörbar ein leichter Vorwurf. „Verzeihung.“ Nami verneigte sich tief. „Ich habe Hirose-sama gesagt, ich sei das gewesen. Ich wollte nicht, dass Tatsuomi-sama unnötig Ärger bekommt.“ „Tatsuomi hat…?“ Kaoruko hob entsetzt ihre Hand vor den Mund. „Saalfrank-san, das tut mir außerordentlich leid, bitte entschuldigen Sie sein ungehöriges Verhalten.“ Jetzt war sie es, die sich vor mir verneigte. „Das ist nicht nötig. Er hat es nicht mit Absicht getan“, sagte ich. „Darüber wollte ich sowieso mit Ihnen noch sprechen.“ „Ja. Natürlich.“ Sie wandte sich an Nami. „Vielen Dank, dass Sie Saalfrank-san begleitet haben.“ „Es war mir ein Vergnügen. Ich hätte gern den Rest des Tages frei.“ Kaoruko nickte. „Ich denke, wir brauchen Sie heute nicht mehr.“ Obwohl ich von Nami einen nichtssagenden Blick auffing, ertappte ich mich dabei, mich zu fragen, was sie wohl nun schon wieder vorhatte. Ich bezweifelte, dass sie tatsächlich nur frei haben wollte. Kaoruko führte mich in ein kleines Zimmer, dessen einziger Wandschmuck ein riesiger uralter Holzschnitt war, auf dem eine Gruppe Samurai mit gezückten Schwertern abgebildet war. Für mich war nicht ersichtlich, ob es sich um die Darstellung eines Kampfes oder das Abbild einer Schwertübung handelte. Aber zu meiner Erleichterung befand sich auch eine Sitzgruppe im typisch westlichen Stil in diesem ansonsten leer gehaltenen Raum. Von dem vielen ungewohnten Sitzen auf dem Fußboden taten mir schon die Knie weh. Kaoruko hörte mit sichtlicher Betroffenheit meinen Bericht an. „Was sollen wir nur mit ihm machen?“ fragte sie hilflos, nachdem ich geendet hatte. „Er muss doch irgendwann wieder damit aufhören.“ „Das kann er nicht, Kaoruko-san“, sagte ich sanft. „Er möchte ja selbst nichts lieber, als wieder so sein wie früher. Er verhält sich nicht aus Trotz so, oder um Sie zu ärgern. Er kann nicht anders. Und, ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass Sie ihm allein mit erzieherischen Maßnahmen helfen können.“ So. Jetzt war es ausgesprochen. „Wie meinen Sie das?“ fragte Kaoruko beunruhigt. „Er wollte sich erinnern und ist dabei total in Panik geraten. Wir durften ihn nicht mal anfassen in diesem Moment. Sie haben erzählt, dass er in der Schule Mitschüler und eine Lehrerin verletzt hat? Ich nehme an, dass waren auch solche Angst auslösenden Situationen. Jemand hält ihn fest, oder nähert sich ihm von hinten… das erschreckt ihn, und er rutscht in Gefühle hinein, die mit der Situation gar nichts zu tun haben. Das Gleiche geschieht wohl auch beim Waschen. Er kann das nicht kontrollieren. Und da hilft auch kein noch so großes Verständnis und keine noch so große Strenge, da braucht er richtige therapeutische Hilfe.“ Ich sah, wie Kaoruko sich bei meinen Worten versteifte und mit versteinerter Mine, aus der jede Emotion verschwunden war, meinen Worten folgte. Da sie keine Anstalten machte, mir etwas zu erwidern, sprach ich erstmal weiter: „Ich kann Sie dabei unterstützen, mit der Situation umzugehen und es ihm leichter zu machen. Aber um ihm ursächlich zu helfen, rate ich Ihnen wirklich dringend, ihn fachärztlich behandeln oder zumindest untersuchen zu lassen. Ich denke, Ihr Sohn hat ein ernstzunehmendes Problem. Er hat irgendetwas erlebt, womit er nicht fertig wird. Oder etwas, das er erlebt hat, hat etwas ausgelöst, mit dem er nicht fertig wird.“ Ich wählte meine Worte mit Bedacht, da ich noch immer nicht wusste, was eigentlich los war. Trauma oder hirnorganische Psychose – obwohl mir diese zwei Alternativen durch den Kopf gingen, mochte ich sie nicht aussprechen. Für die endgültige Diagnose war ein Facharzt zuständig. „Sie haben sich doch so etwas sicherlich schon gedacht. Sie haben mir doch gleich am Anfang erzählt, dass er sich so plötzlich verändert hat. Nach diesem Unfall…“ Oder was da auch immer gewesen sein mag, fügte ich in Gedanken hinzu. „Durch das, was ich bisher erfahren habe, glaube ich eigentlich nicht, dass ein Sportunfall ihm so stark zusetzen könnte. Es muss etwas anderes sein. Im Krankenhaus könnte er vielleicht etwas Traumatisches erlebt haben, das ist gar nicht so selten. Sind Sie denn wirklich nicht auf die Idee gekommen, einen Kinderpsychologen hinzuzuziehen?“ Ich hielt meine Stimme frei von Vorwurf, denn darum ging es mir nicht. Allmählich sorgte ich mich auch um Kaoruko, weil sie so gar nicht auf meine Worte reagierte. Ihr Mund war so fest verschlossen, dass die Lippen richtig weiß waren. Diese Elterngespräche waren immer schwierig, aber ich konnte es Kaoruko auch nicht ersparen. Sicherlich hatte sie genau das befürchtet, und es musste sich für sie wie ein Alptraum anfühlen, dass ich ihre Befürchtungen jetzt in Worte fasste. Bisher hatte sie sich an der Hoffnung festhalten können, dass Tatsuomis Zustand nur eine vorübergehende Phase war, die sich mit ein wenig Hilfestellung von selbst wieder normalisieren würde. „Ich glaube, Hirose weiß genau, was geschehen ist. Und er hat Tatsuomi anscheinend verboten, darüber zu reden. Das geht aber so nicht. Tatsuomi braucht die Möglichkeit, das Erlebte zu verarbeiten“, sagte ich möglichst einfühlsam. „Was soll ich denn tun?“ fragte Kaoruko tonlos. „Fragen Sie Hirose. Verlangen Sie eine Antwort.“ Langsam rollten zwei Tränen über das erstarrte Gesicht. Für mich ein gutes Zeichen, dass ihre Gefühle zurückkehrten. „Er spricht ja nicht mit mir“, sagte sie ganz leise. „Lieben Sie ihn?“ fragte ich nach einer stillen Pause. „Ja“, sagte sie ohne Zögern. „Hirose ist ein guter Mann… ich habe sehr viel Glück.“ Sehr glücklich sah sie allerdings im Moment nicht dabei aus. „Wie haben Sie sich denn kennen gelernt?“ fragte ich, da mir gerade auffiel, von Kaoruko noch so gut wie gar nichts zu wissen. Außerdem war es gut für sie, zu sprechen, erstmal egal über was. „Wir trafen uns bei einem o-miai, einem Hochzeitstreffen. Unsere Eltern hatten das verabredet. Ich war damals noch ein Kind und sehr erleichtert, dass mir der Mann, mit dem ich verlobt werden sollte, von Anfang an so sympathisch war. Aber auch sonst hätte ich nie gewagt, meinen Eltern zu widersprechen. Ich war so erzogen, zu gehorchen. Meinen Eltern war es sehr wichtig, dass ich in eine wohlhabende und einflussreiche Familie einheiraten sollte. Hirose entsprach genau ihren Vorstellungen. Zu mir war er sehr nett, er zeigte gute Manieren und sah obendrein so gut aus, dass alle meine Freundinnen richtig neidisch waren.“ „Er sieht immer noch gut aus“, warf ich ein. „Ja, das stimmt“, sagte sie, und ich meinte, Wehmut in ihrer Stimme zu hören. „Ist Ihre Ehe denn glücklich?“ fragte ich. „Ja. Sicher“, antwortete sie ohne große Überzeugungskraft. „Warum fragen Sie?“ Ich hoffte, mich jetzt nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen, denn wir befanden uns an sich schon sehr weit in ihrer Intimsphäre. Trotzdem sagte ich, was mir durch den Kopf ging: „Nun, ich wunder mich, dass Sie nur einen Sohn haben, wo doch in dieser Familie die Erbfolge eine solch große Rolle spielt…“ Erst dachte ich, sie würde mir darauf keine Antwort geben, so lange schwieg sie und blickte zu Boden. Doch dann sah sie mich mit tränenglänzenden Augen an. „Es liegt an ihm“, hauchte sie und senkte wieder den Blick. „Nein, was rede ich da. An mir. Er… er findet mich nicht mehr anziehend… Wir haben getrennte Schlafzimmer, seit ich mit Tatsuomi schwanger war, und er… Ich habe das Gefühl, er verrichtet nur seine Pflicht, wenn wir… wenn wir beieinander liegen… Es ist so selten, und ich werde einfach nicht schwanger…“ Ihre Stimme gewann wieder an Festigkeit. „Aber jetzt geht es um den Sohn, den ich habe. Wie kann ich Hirose dazu bringen, mit mir zu sprechen? Er trifft alle Entscheidungen allein. Ich habe zwar gedroht, mich scheiden zu lassen, doch damit habe ich nur deutlich gemacht, wie ernst es mir ist. Ich könnte auch gegen ihn nie einen Sorgerechtsstreit gewinnen, ich hätte keine Chance gegen ihn, ich kann das nicht, und er weiß das…“ „Ich denke, Sie könnten das“, sagte ich bestimmt und fing ihren Blick wieder ein. „Und es lohnt sich zu kämpfen, glauben Sie mir. Für Ihren Sohn. Und für sich. Und für Ihre Ehe.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)