Angel Hunter von AikaTadano (Der Pfad der Rache) ================================================================================ Kapitel 11: Die Kreuzfahrt -------------------------- Vorschlag (stammt von der lieben fairy_cloud) Hört euch zur Tanzszene das im Text genannte „Objection Tango“ an. Link: http://www.youtube.com/watch?v=l_QQOGLdOCo Eine Woche war seit Aikas Rückkehr vergangen und alles hatte sich wieder einigermaßen normalisiert. Zwar waren am Tag der Renovierung zufällig noch zwei Maler vorbeigekommen, die Aikas Hälfte der Wohnung schwarz streichen sollten, doch konnte man sich dann auf einen Stil einigen, der auch ihr zusagte. Mit den Möbeln war sie überraschenderweise zufrieden. Eines hatten die beiden jedoch gemeinsam, einen gehörigen Groll auf Yoji und Aya, weil diese bei ihrem Machoverhalten nicht nur die ersetzten Möbel zerdeppert, sondern auch geliebte Dekostücke dem Erdboden gleich gemacht hatten. Dilara schmollte ganze drei Tage, ohne ein Wort mit den beiden Übeltätern zu wechseln. Aika hingegen konnte einem Strauß roter Rosen in Verbindung mit Ayas Lächeln nicht standhalten. „Das muss wahre Liebe sein“, seufzte Dilara, „jemanden zu verzeihen, der gestern meine teuerste Vase geworfen und mich dazu gerade noch mal verfehlt hat. Andererseits könnte ich meinem Ken auch nicht böse sein.“ Es war Freitag und es herrschte absolutes Chaos im Blumenladen. Es war so voll, dass Aika schon vorhatte, sich mit einem Spaten den Weg freizuschaufeln. Außerdem war ein großer Teil der Besucher männlich. Dilara wurde heiß umschwärmt, was Ken mehr als nur eifersüchtig machte. Aber jedes Mal, wenn er auf einen der flirtbegeisterten jungen Männer losgehen wollte, packte ihn Aika beiläufig am Kragen und schleifte ihn ins Lager, damit er sich abkühlen konnte. Dilara schien gar nicht zu bemerken, dass die Kerle nicht die Blumen, sondern eher sie betrachteten. Einige verwechselten sie allerdings immer noch mit Maya, der blauen Augen und der schwarzen Haare wegen. In einer ruhigen Minute hatten die fünf endlich einmal Zeit miteinander zu reden. Yoji seufzte. „Seit ihr Mädels wieder bei uns seid, geht’s auch im Blumenladen drunter und drüber.“ „Mein Gott, jeder weiß, dass sich Sexyness verkauft. Stimmt doch, Dilara?“ Aika löschte ihren Durst mit Mineralwasser. Dilara setzte einen scheinheiligen Blick auf. „Ich bin zwar nett angezogen, aber doch nicht wirklich sexy.“ „Nett genug jedenfalls, dass alle dich anglotzen! Dem nächsten reiß ich die Augen aus!“ Ken kochte vor Eifersucht. „Beruhig dich lieber. Seht mal, was heut in meinem Briefkasten lag!“ Omi hielt etwas, das verdächtig nach Eintrittskarten aussah, wie einen Fächer vors Gesicht. Yoji verrenkte sich um die winzige Schrift zu entziffern. „Eine Kreuzfahrt? Wo hast du denn die gewonnen?“ Dilara sprang begeistert auf und ab. „Jippie! Wir lassen uns alle so richtig verwöhnen! Das wird oberklasse!“ Omi seufzte. „Die Sache hat nen Haken.“ Dilara hielt mitten in der Bewegung inne: „Fahren wir etwa Economie?“ Aika fasste sich an die Stirn. „Wäre das dein einziges Problem?“ Ihre Partnerin grinste peinlich berührt. „Gibt’s denn was Schlimmeres?“ Aus dem kalten Schweigen schloss sie jedoch, dass es wieder mal um einen Auftrag gehen musste. Doch jetzt war nicht der Zeitpunkt offen zu sprechen. Dilara entschied, nicht weiter darauf einzugehen und passte. „Gut, ich glaub ich habs verstanden. Lasst uns weitermachen, wir haben eh nicht mehr lang!“ Pünktlich um acht machte Ken das Rolltor zum Laden zu. Dilara, die seit Stunden darauf brannte, die anderen mit Fragen zu löchern, sprang auf die Theke. Aika hängte ihre Schürze neben die der anderen und setzte sich auf einen riesigen, umgedrehten Blumentopf. „Also was hat es mit dieser Kreuzfahrt auf sich, Omi-kun?“ Das jüngste Weiß-Mitglied zog ein Schreiben von Manx hervor. „Hier drin steht, dass wir uns auf das Kreuzfahrtschiff begeben, um Takatori Junior zwei, also Masafumi, auszuschalten. Das ist der bisher größte Schlag gegen diesen machtbesessenen Clan. Allerdings fürchte ich, dass wir erhebliche Schwierigkeiten bekommen werden.“ Er machte einen todernsten Eindruck. „Wieso? Welche Sicherheitsmaßnamen gilt es zu umgehen?“ Yoji klopfte die Zigarette in den Ascher. Omi breitete vier Fotos auf der Theke aus. Auf jedem waren Frauen zu erkennen, die scheinbar den Job der Leibgarde für Takatori Junior ausführten. „Diese vier Weiber nennen sich Schön, Neu, Tod und Hell, gemeinsam sind sie als „Schreient“ bekannt.“ Yoji starrte auf das Foto von Neu. Sie war Asuka ähnlich, aber meist wirken Menschen in der Realität ganz anders als auf Bildern. „Außerdem kommt noch erschwerend hinzu, dass Masafumi scheinbar an Gentechnik interessiert ist und durch veränderte Drogen unsterblich werden will“, fuhr Omi fort, „er scheint schon total dem Wahnsinn verfallen zu sein. Wir müssen vorsichtig sein. Äußerlich ist er ein Spargeltarzan, durch Einnahme seiner neuesten Kreation entwickelt er jedoch erstaunliche Kräfte. Dieses Zeug scheint ähnlich zu wirken wie die Aufputschdrogen aus dem zweiten Weltkrieg. Manx schreibt, er soll nen einsneunzig großen Nachtclubtürsteher mit einem Schlag sämtliche Rippen gebrochen haben, nur weil er mit dessen Arbeit unzufrieden war!“ „Hört sich wahnsinnig einladend an.“ Ken bewies Galgenhumor. Dilara bis sich auf die Lippe. „Heißt das, wir reisen im Frachtraum?“ Omi lachte. „Du hast Probleme! Ich kann dich beruhigen, wir reisen Business Class unter Decknamen. Dieses Schiff gehört zwar zu Takatoris Flotte, aber es ist nicht gut bewacht. Anscheinend geht der Clan nicht davon aus, dass irgendjemand so verrückt ist, auf hoher See zuzuschlagen. Du kannst dich schon mal auf den Ball freuen.“ Der letzte Satz brachte Dilara total aus der Fassung. „Ein Ball! Ich werde das schönste Abendkleid von allen haben! Ich geh gleich morgen einkaufen!“ Aika schüttelte den Kopf, sagte jedoch nichts. „Wann fahren wir?“, wollte Aya wissen. „Sonntagmorgen um sieben Uhr legen wir ab“, meinte Omi mit einem Blick in die beiliegende Broschüre. „Das wird wohl nichts mit ausschlafen“, jammerte Aika wie erwartet. Es war sechs Uhr dreißig, als die Jungs und Mädels mit ihrem Handgepäck vor dem Kreuzer standen. Den Kopf in den Nacken gelegt und mit offenen Mündern bestaunten sie dessen Ausmaße. Dilaras Augen funkelten. „Wow! Ist das toll! Ha, ha, ich fühle mich jetzt schon wie eine Prinzessin!“ Aikas Kopfnuss brachte sie zum Schweigen. „Aua! Mann Ai…, äh Satori, Kotori? Ach scheiß egal, Gelbhaar! Verdammt was sollte das?!“ „Halt die Klappe, du bist viel zu auffällig!“, raunzte ihre Partnerin. „Du hast aber ne Laune… Und das, obwohl wir Urlaub haben!“ Dilara zuckte mit den Schultern. „Sprich sie am besten nicht vor zehn Uhr an. Ihre Sonntage sind ihr heilig, da versteht sie keinen Spaß.“ Yoji entließ den blauen Dunst seiner Zigarette in die kalte Morgenluft. Ken stöhnte. „Musst du denn schon um diese Zeit damit anfangen?“ „Ich werde eh nicht alt, also misch dich nicht ein.“ Die wartenden Menschen bewegten sich wieder ein Stück vorwärts. Omi verteilte die Tickets. „Rose und Siberian werden als Tanzpaar reisen und am Ball teilnehmen. Eure Aufgabe ist es, die Crew zu beobachten und Schwachstellen für mögliche Täuschungsmanöver zu finden. Balinese mimt den ausgebrannten Geschäftsmann und ist für die Erkundung des Schiffs zuständig. Abyssinian und meine Wenigkeit checken die Ruten der Wachen und Sicherheitsmaßnahmen.“ Alle nickten. Omi blickte über die Schulter zu Aika, die sich gerade laut geräuspert hatte. „ Äh Angel, du weißt, was du zu tun hast…?“ „Klar“, grummelte sie, „am besten unsichtbar werden und stumm…“ Er nickte. „Ich glaube das hier dauert noch ein bisschen, darum schlage ich vor, du tust es gleich.“ Aika seufzte. „Mir bleibt aber auch nichts erspart!“ Dann verschwand sie, um in einem der abgelegenen Toilettenhäuschen zu verschwinden. „Hä, woher wusstest du, dass Aika ein dringendes Bedürfnis hatte?“ Dilara verstand die Welt nicht mehr. Omi schwieg, während die Warteschlange sich wieder zehn Meter verkürzte. Rose fixierte die blaue Plastiktür, hinter der Aika verschwunden war. „Mann, was dauert denn das so lang, wir sind gleich an der Reihe!“ In just diesem Moment wurde die Tür fast aus der Angel katapultiert, weil ein Highheel sie genau mittig getroffen hatte. Im Rahmen stand Angel, die Beine in einem Winkel, als hätte sie sich in die Hose gemacht und einem bizarr verzerrtem Gesicht. Dilara lachte lauthals los: „Ha, ha, ha! Mein Gott, die und hohe Schuhe! Ich glaub, die müssen wir festbinden, damit sie nicht von selbst über Bord geht!“ Omi und Ken kicherten ebenfalls. Aya presste sich die Hand auf den Mund, um das Lachen zu unterdrücken. „Verdammt, Rose! Die Teile gehen sicher auf dein Konto!“ Angel wackelte auf die Warteschlange zu. „Nein, davon wusste ich wirklich nichts!“ Dilara versteckte sich vorsichtshalber hinter Ken. „Stell dich mal gerader hin. Diese Schuhe machen ein schlankes Bein.“ Yoji zog ihre Schultern hoch. Aika funkelte ihn an. „Was soll das denn heißen? Hast du mich gerade darauf hingewiesen, das ich speckig bin!?“ „Autsch, böses Faul“, merkte Ken mit schmerzverzerrtem Gesicht an. „Äh nein, ich dachte nur, du solltest mal ein wenig ladylike rumlaufen…“, versuchte sich sein Partner zu retten. „Du Mistkerl! Playboy! Gehirnzellen-unterm-Gürtel-Träger! Schlüpferdetektiv! Sexistisches Schwein!“ Bei jedem Wort trat sie Yoji gegen sein rechtes Schienbein. So wäre das wahrscheinlich ewig weitergegangen, wenn die seltsame Gesellschaft nicht endlich einchecken hätte können. Omi und Aya hatten ihre Zimmer im oberen Teil des Kreuzers, ziemlich mittig. Yoji wohnte mit schöner Aussicht im Heck. Ken und Dilara teilten sich eines der Sonderzimmer für Tanzpaare. Nur Aika musste im letzten Deck untergebracht werden, der Tarnung wegen. Ihr Raum diente außerdem als Basis für ihren Auftrag. Ansonsten konnte nur über die Zimmertelefone kommuniziert werden. Offiziell kannten die sechs sich für die nächsten drei Tage nicht. Omi wählte die Nummer von Kens Zimmer. „Hallo?“, meldete sich eine weibliche Stimme. „Hi Rose! Alles O.K. bei euch?“ „Klaro! Wir packen gerade aus. Es gibt nur ein Problem….“ „Was denn?“, fragte Omi irritiert. Dilara flüsterte: „Es gibt nur ein Bett. Das geht doch nicht!“ „Reiß dich zusammen, oder brauchst du nen Keuschheitsgürtel?“, hörte sie das Weiß-Mitglied sagen. „Ist ja gut. Ich mein ja nur“, lenkte Rose ein. „Schon klar. Ich muss mich noch bei den anderen melden. Wir treffen uns morgen um 18 Uhr bei Angel. Also bis dann“, Omi legte auf. Er wollte gerade wählen, als zu seinem Erstaunen das Telefon klingelte. „Hi, hier ist Angel! Wollt nur sagen, dass bei mir alles in Ordnung ist. Bleibt alles wie besprochen?“ „Ja, aber wie hast du meine Nummer rausgekriegt?“ „Mein lieber Bombay-kun, auch ich weiß, dass sich die Telefonnummern aus der Etage und der Zimmernummer zusammensetzten. Halt mich nicht für blöder als ich bin!“ „Sorry, ich war nur erstaunt.“ Omi entspannte sich wieder. „Dann lass ich dich mal in Ruhe. Ciao!“ Omi ließ sich in seine Koje fallen. „Mann, die hats echt drauf, mich zu erschrecken!“ Als er sich beruhigt hatte, wählte er Ayas Nummer. „Ja?“, tönte es aus der Hörmuschel. „Abyssinian?“ „Was gibt’s?“ „Äh, alles Roger?“ „Wie immer.“ „Na dann.“ „Morgen sechs Uhr abends. Weiß ich. Tschüs.“ Aya, wortkarg, wie meistens, legte auf. Einige Sekunden später hatte er das letzte Weiß-Mitglied am Hörer. „Mann, gibt’s hier keine willigen Frauen? Mir ist langweilig!“ Omi zwang sich, ruhig zu bleiben. „Pass bloß auf, dass du nicht auffällig wirst! Sonst bist du raus! Ein wenig Enthaltsamkeit wird dir nicht schaden!“ Schweigen am anderen Ende der Leitung. „…Balinese?“, fragte Omi. Plötzlich schallte es ihm entgegen: „Wow! Ist die geil! Die muss ich jetzt ansprechen! Entschuldige mich Bombay! Hey, schöne Frau wie heißen….“ Der jüngste der Truppe legte auf. „Dieser notgeile Sack!“ Einige Meter weiter den Gang hinunter öffnete sich die Tür mit der goldenen 35. Aya trat heraus, gekleidet mit einem schwarzen Anzug und Brille. Er ging auf Deck. Sein Blick schweifte runter zum Kai, wo im selben Augenblick die Tür einer weißen Limousine geöffnet wurde. Ein schmalgesichtiger, fahlhäutiger Japaner zog sich heraus. Er war ungewöhnlich schlitzäugig und ziemlich schlaksig. Ihn begleiteten vier junge Frauen, je zwei an jeder Seite. Es war nicht zu übersehen, dass er zum Takatori- Syndikat gehörte. Aya spürte den Zorn in sich aufsteigen. Aus den Augenwinkeln sah er eine Gestalt zu Reling gehen. Dilara blickte ebenfalls mit gefrorenen Gesichtszügen nach unten. „Das ist also der Kerl, mit dem mein Bruder Geschäfte gemacht hat. Es wird mir das größte Vergnügen sein, ihn zu töten!“ Der Wind zerzauste ihr rabenschwarzes Haar. Masafumi ging an Bord. Erst jetzt bemerkte sie Aya. Er nickte ihr zu, bevor Dilara das Deck wieder verließ. „Masafumi. Du Ausgeburt der Machtgier, mit deinem Tod reiße ich Takatori sein linkes Auge heraus. Genieße deine letzten Stunden, denn übermorgen fährst du zur Hölle!“ Abyssinian ballte die Fäuste in seinen Hosentaschen. Das grelle Hupen des Nebelhorns riss ihn jäh aus den Rachegedanken. Ken war zur selben Zeit auf dem Weg zum großen Saal. Auch er hatte sich ein wenig „umgestylt“. Statt der üblichen sportlichen Kluft, schlenderte Ken in schwarzer Hose und weißem Hemd zur Startnummernvergabe. Nur die Krawatte hatte ihn so gestört, das sie nun offen, links und rechts über seine Schultern fiel. „Verdammt! Wieso gerade jetzt? Meine Haare wollen einfach nicht sitzen!“ Eine große, schlanke, blond gelockte Frau mit starkem Make-up stöckelte ihm entgegen. „Was glotzt du so? Noch nie ein Topmodel gesehen?“, zickte sie Ken im Vorübergehen an. „Äh, nein. Wer sind sie?“, fragte das Weißmitglied mit dämlichen Grinsen. „Was?!“ Die Frau wirbelte herum. „Man nennt mich Schön! Meinen richtigen Namen haben die meisten schon vergessen. Er ist ja auch zu durchschnittlich. Karen Kitamura, schrecklich, nicht? Aber was unterhalte ich mich überhaupt mit dir? Typen mit weniger als zehn Mille auf dem Konto sind mir die Luft zum Reden nicht wert!“ Schön ließ den verdutzten Ken ohne ein weiteres Wort stehen. Als sie um die nächste Ecke verschwunden war, traf es ihn wie ein Blitz. „Scheiße! Die war ein Mitglied von Schreient!“ Panik war jetzt nicht angebracht. Ken beschloss, seinen Rundgang fortzusetzen. Zwei Etagen unter ihm stellte Yoji der Frau nach, die er beim Telefonat mit Omi gesehen hatte. „Meine Dame! Hallo! Warten Sie doch!“ „Sie verfolgen mich jetzt schon seit zehn Minuten. Ich hatte Ihnen schon mal gesagt, dass ich keine Gesellschaft wünsche!“ Sie würdigte ihn keines Blickes. „Manche Kerle kapieren es einfach nicht!“ Yoji erstarrte: „Diese Stimme, nein, das kann nicht sein. Er wirbelte herum. Eine Frau mit blauschwarzem, kinnlangen Haar hatte ihn angesprochen. Die riesige Sonnenbrille verdeckte fast ihr ganzes Gesicht, doch obwohl Balinese ihre Augen nur erahnen konnte, wusste er, wer vor ihm stand. „A...Asuka! Du lebst?!“ Yoji ging auf sie zu. „Bleib mir vom Leib! Ich weiß nicht, wer diese Asuka sein soll, aber du machst den größten Fehler deines Lebens, wenn du mich anfasst!“ Sie drängte sich an ihm vorbei. Im Normalfall hätte Yoji auf diese Abfuhr sicher eine passende Antwort gehabt, aber der Schock saß einfach zu tief. „Es gibt keinen Zweifel, das ist Asuka, sie ist beim Feind!“ Von alldem ahnte Aika nichts. Sie war seit Stunden in ein Buch vertieft und nahm nur am Rand Notiz davon, dass das Schiff sich bereits mitten auf See befand. Nach einer Weile legte Angel die Lektüre zur Seite. Ihre Gedanken schweiften um andere Dinge. Hatten die Schreient-Mitglieder ebenso außergewöhnliche Fähigkeiten wie die Schwarz-Männer? Was genau bezweckte Persha mit den Mordaufträgen? Welche Verbindung hatten all diese Dinge mit dem Tag, als ihre Eltern getötet wurden? Aika drehte sich zur Seite. „Ich sitze hier fest, während alle anderen herumschnüffeln dürfen. Das hab ich mir selber eingebrockt… Wäre ich doch stärker gewesen, als mich Schwarz entführen wollte. Dann wüsste jetzt nicht die gesamte Tokioer Unterwelt, dass eines der Angel Hunter Mitglieder blond ist. Vielleicht kennen sie bereits mein Gesicht, ach ich mag gar nicht darüber nachdenken!“ In diesem Moment hämmerte jemand gegen ihre Kabine. Augenblicklich war Angel hellwach und mit ihrem Tanto bewaffnet. Sie schlich sich an die Tür. Mit einem Ruck riss Aika diese auf und beinahe hätte sie Yoji mit ihrem Doch erstochen. „Mein Gott, was ist mit dir? Hey!“ Seine ausdruckslosen Augen erschraken Angel. Sie zog ihn in ihr Zimmer. Yoji ließ sich aufs Bett fallen. Sie setzte sich neben ihn. „Was ist passiert?“ „Asuka, sie lebt. Sie hat die Schießerei überlebt. Ich habe immer geglaubt, sie sei tot!“ Er starrte auf den Boden. „Sie ist hier auf dem Schiff?!“ Aika packte ihn an den Schultern. „Neu“, japste Yoji. Er bemühte sich, einen Satz herauszubringen, doch Angel nahm ihn ohne ein weiteres Wort in den Arm. Auch Yoji hatte eine schwache Seite, das wusste sie zwar schon länger, aber endlich kam er nicht mehr herum, ehrlich zu sein. „Wenn du möchtest“, sagte sie nach einer Weile, „kannst du heute Nacht hier bleiben.“ „Danke, ich weiß nicht, wie ich das sonst durchstehen soll!“ Yoji legte seinen Kopf auf Aikas Schulter. Ken war inzwischen in ein aufgeregtes Gespräch mit Dilara verwickelt. „Was hat diese Tussi zu dir gesagt?! Der werde ich gleich zeigen, was bei ihr noch alles schief sitzt!“ Mit geballten Fäusten stapfte das wütende Mädchen in Richtung Tür. „Halt, halt, halt! Sie gehört zu Takatoris Leibgarde!“ Ken hielt sie fest. „Das ist mir wurscht! Keine Schnepfe dieser Welt, und wenn sie Heidi Klum hieße, bezeichnet meinen Ken als minderwertig!“ „Stopp! Es schmeichelt mir ja, dass du mich verteidigen willst, aber du gefährdest die Mission, Dilara!“ Sie hörte auf zu zappeln. „O.K. Ich verschiebe die Ohrfeige bis übermorgen.“ Ken atmete auf. „Endlich kommst du zur Vernunft. Meine kleine Wildkatze!“ Dilara grinste. „Gehen wir zur ersten Ballprobe? Die fängt in ner halben Stunde an.“ „Wie du möchtest, Schatz!“ Er lächelte erleichtert. Der erste Tag verstrich sehr schnell, da jedes Mitglied der Attentäter seinen Erkundungsaufgaben gründlich nachging. Omi machte sich viel Arbeit, Ayas Beobachtungen in Skizzen umzuwandeln. Ken und Dilara kundschafteten bei der Probe zum Ball die Logenplätze und alle Zugänge zum Saal aus. Aika zog sich für ihre Erkundung im VIP-Bereich eine Uniform des Bordpersonals über, die sie zuvor aus der Umkleide geklaut hatte. Sie übernahm damit Yojis Aufgabe. Dieser verbrachte den Rest des Tages in Aikas Kabine. Am nächsten Morgen gingen alle getrennt voneinander zum Frühstück in den Speisesaal. Beinahe hätten sich die Weiß- und Angel Hunter Mitglieder nicht erkannt. Die Kleiderauswahl und Frisuren bewirkten totale Typveränderungen. Dilara hatte sich die Haare geglättet und stolzierte mit großem Hut und Sommerkleidern herum; dass es Anfang Dezember und eiskalt war, ignorierte sie einfach. Ken, der sie begleitete, trug dasselbe Outfit wie am Tag zuvor. Omi hatte die Shorts gegen langbeinige Hosen und T-Shirts gegen Hemden getauscht. Seine Haare waren mit Gel gebändigt. Yoji musste sich, bis auf eine getönte Brille, kaum verändern, er war auch im richtigen Leben meist salonfähig. Aya spielte den Intellektuellen, mit Anzug und Brille. Die meiste Zeit zum Verkleiden benötigte jedoch Aika. Sie hatte sich mit dunkelbrauner Perücke, dunkelblauem Kostüm, grünen Kontaktlinsen und Stöckelschuhen, in eine Businesslady verwandelt. Alle nahmen so Platz an ihren Tischen, dass jeder den anderen im Blick hatte. Der Saal war von zurückhaltendem Gemurmel erfüllt, während die Gäste anfingen zu speisen. Auch die Weiß-Leute begannen mit dem Frühstück, jedoch nicht ohne die Aufmerksamkeit zu verlieren. Wie erwartet kam um Punkt halb zehn Masafumi, in Begleitung seiner Leibwächterinnen, mit theatralischem Gehabe in den Saal marschiert. Die fünf nahmen am Tisch hinter Omi Platz. „Oh Fumi Schnucki, dieses Schiff ist so langweilig! Warum müssen wir diese dämliche Fahrt überhaupt machen?“ Schön rührte, so anmutig sie es fertig brachte, in ihrem Kaffee. „Weil ich heute Abend, wenn wir ankommen, wichtige Geschäfte in Schanghai zu erledigen habe.“ Er ließ den Macker raushängen. „Masafumi-san, hast du irgendwelche Sonderwünsche, was unsere Dienste angeht?“ Die blauhaarige, muskulös aussehende Frau zu seiner rechten blickte ihn schmachtend an. „Das ist Hell, auf dem Foto sah sie anders aus, hier war sie gezwungen, ihr Haar zu einem strengen Zopf zu binden.“ Omi beobachtete die Szenerie mit einem kleinen Spiegel an seiner Uhr. Takatori nahm ihr Kinn, um ihren Kopf zu sich heranzuziehen. „Meine liebe Hell, immer korrekt. Du weißt doch, ich sage dir immer alle Extrawünsche, falls ich welche haben sollte.“ Sie schmolz dahin. „Aber sicher.“ Aika, die ebenfalls einen guten Blick auf die Yakuza hatte, schmunzelte, als sie bemerkte, wie Schön vor Eifersucht kochte. Masafumi wendete sich Neu zu. „Du wirst heute Abend hier bleiben. Wir gehen um 18 Uhr, sind so gegen 21 Uhr zurück.“ „Sicher, Masafumi-san. Sie können sich auf mich verlassen!“ Sie nickte. „Fumi-san! Tot mag nicht mit zu ernsten Geschäften! Tot will mit Neu hier bleiben!“, meldete sich das letzte Schreient-Mitglied zu Wort. Tot war die jüngste der vier. Mit ihren siebzehn Jahren redete sie aber immer noch in der Babysprache und hatte immer einen gelben Regenschirm und einen Teddy dabei. „Von mir aus. Schön und Hell reichen völlig aus, um mich zu beschützen.“ Er wedelte überheblich mit der Hand. So ging das noch eine ganze Weile, bis die Gesellschaft ihr Frühstück beendet hatte. Danach verschwanden die fünf genauso schnell wie sie gekommen waren. Omi gab seinen Mitstreitern ein Zeichen, worauf auch die Weiß-Leute sich zurückzogen. Auf dem Gang sprachen sie einige kurze Sätze miteinander. „Die scheinen nichts mit Schwarz gemeinsam zu haben“, meinte Ken. „Nein, du hast Recht. Schreient wirkt geradezu harmlos“, stimmte Dilara zu. Aika blieb stehen. „Ihr unterschätzt die Weiber gewaltig. Diese Hell ist sicher eine würdige Gegnerin, die gehört mir, damit das klar ist!“ „Und ich nehm die dumme Pute von Modepüppchen!“ In Dilaras Augen loderte es. Yoji hingegen schwieg. „Was ist eigentlich mit dir los?“ Omi stieß ihm mit dem Ellenbogen an. „Nichts“, log er. Aya knurrte etwas von „Takatori muss sterben“ vor sich hin. „Der Meinung bin ich auch“ sagte Angel. Sie hielten sich kurz an der Hand. Bei der nächsten Abzweigung trennten sich die Wege der sechs. Eine Durchsage hallte durch das gesamte Schiff: „Sehr geehrte Fahrgäste, wir möchten Sie darauf hinweisen, dass heute Nachmittag um 16 Uhr der Tanzwettbewerb in unserem großen Saal stattfindet. Wir freuen uns über Ihren Besuch!“ Dilara freute sich. „Cool, dann kann ich endlich mein Ballkleid anziehen!“ Ken lächelte sie an. „Du wirst sicher umwerfend aussehen!“ „Darauf kannst du wetten!“ Yoji beschloss derweil ganz andere Dinge. Er wollte Neu nachspionieren. Allerdings erst nachdem Takatori Junior vom Schiff war. „Vielleicht hat sie nur ihr Gedächtnis verloren. Ich muss sie zurück gewinnen!“ Yoji blickte vom Deck aus über die See. Aika machte sich unten in ihrem Quartier genau darüber Gedanken. Ihr Instinkt sagte, dass Yoji mit Neus richtiger Identität nicht klar kommen würde. „Hoffentlich macht er keinen Mist. Ich mag nicht wissen, was die Kritiker mit Asuka machen würden. Wahrscheinlich müssten wir sie töten, egal was sie schwören würde, oder welche Informationen sie versprechen könnte. Scheiße, wie ich diese Situationen hasse!“ Aika vergrub sich in ihrem Kissen. Stunden später standen Dilara und Ken bei den Tanzpaaren, die alle gespannt auf ihren Auftritt warteten. Jedes Pärchen musste einen langsamen Walzer, danach Tango und Quickstepp vorführen. Danach entschied die Jury, wer in die Endrunde kam. Die letzten sechs Paare traten mit einem Samba gegeneinander an. Aya, Omi und Aika hatten sich im hinteren, abgedunkelten Teil des Saals an einem Tisch zusammengefunden. „Bin ja gespannt wie die sich machen“ Omi nippte an seinem Cocktail. „Äh, Bombay? Warum hast du uns herbestellt? Wir wollten uns doch erst später treffen“, wollte Aika wissen. „Merkst du was?“, sagte er knapp. „Ja, der Playboy fehlt“, raunzte Aya. „Stimmt, er meinte, es ginge ihm nicht gut. Deshalb wollte er sich aufs Ohr hauen.“ „Na und“, Aika zuckte mit den Schultern. Omi wurde deutlicher. „Das ist nicht der Punkt, Angel. Balinese war schon beim Frühstück nicht er selbst. Weiß irgendwer von euch, weshalb der Kerl so mies drauf ist? Ich will ne ehrliche Antwort.“ Aya sah ihn an. „Keinen blassen Schimmer. Hab mich schon gewundert, dass er sich die Tänzerinnen entgehen lässt.“ Omi wandt sich Aika zu. „Sehe ich so aus, als wüsste ich, was Balinese hat? Vielleicht ist er nur seekrank. Mach dir mal nicht unnötig Sorgen“, wich sie ihm systematisch aus. „Wie ihr meint.“ Das jüngste Weißmitglied lehnte sich zurück. Aya nickte zur Tanzfläche. „Es geht los!“ Die Paare betraten das Parkett. Der erste Tanz war der langsame Walzer. Dilara trug ein roséfarbenes Ballkleid, dessen Ausschnitt und Taille rote Rosen säumten. Ken begleitete sie in einem edlen, schwarzen Smoking. Arm in Arm schritten die beiden mit den 14 anderen Paaren in die Mitte des Saals. Als die drei anderen sie beobachteten, fiel ihnen auf, dass Masafumi mit drei der vier Bodyguards in der ersten Reihe Platz nahm. „Leute, ich hab ganz vergessen, dass ich noch einen Bericht für Persha schreiben muss. Ihr wisst schon, wegen meinem Aufenthalt bei Schwarz. Ihr entschuldigt mich dann?“ Aika drängte sich an Aya vorbei. „Ich dachte immer, die wollen so wenige Lebenszeichen wie möglich von uns. Warum verlangt der Boss plötzlich Papierkram?“, kommentierte Omi den eiligen Aufbruch des Angel Hunter Mitglieds. „Weiß nicht. Sagt mir Bescheid, wie weit die beiden gekommen sind! Bis dann“ Sie verschwand in der Menge. „Verdammt! Ich wusste es! Warum muss ich in solchen Dingen immer Recht behalten. Yoji, wehe du bist nicht in deiner Kajüte!“ Aika eilte zum obersten Stockwerk, in dem sich seine Unterkunft befand. Als nach mehrmaligem Klopfen niemand antwortete oder öffnete, beschloss sie, den Schaden zu begrenzen und machte sich umgehend auf die Suche nach dem ehemaligen Privatdetektiv. Der befand sich in einem ganz anderen Teil des Schiffes. Masafumi war vor einigen Minuten mit Hell, Tot und Schön in den Ballsaal verschwunden. Asuka hatte darauf bestanden, in der Kabine ihres Chefs zu bleiben, um einige Pläne überprüfen, da ihr der Tanzwettbewerb nicht zusagte. Yoji witterte seine Chance, sie anzusprechen. Er nahm allen Mut zusammen und klopfte. Die Tür schwang zu seinem Erstaunen auf. „Ja? Du schon wieder! Verschwinde!“ „Asuka! Bitte hör mir zu! Du musst dich doch an mich erinnern! Ich dachte, du wärst in jener Nacht gestorben!“ Yoji packte sie an den Schultern. Neu schmetterte ihn gegen die Wand. „Ich sagte, fass mich nicht an! Ich kenne deine Asuka nicht!“ „Dann sag mir, ob du dich an die Zeit vor drei Jahren erinnern kannst! Was hast du gemacht, bevor du Masafumis Leibwächterin wurdest!? Sag es mir!“, schrie er sie verzweifelt an. Neu schwieg. „Das ist der Beweis“, keuchte Yoji. Doch plötzlich griff sie zu einer Pistole auf dem Schreibtisch. Balinese rettete sich mit dem Draht aus seiner Uhr, der sich um Neu’s Handgelenk schlang und sie zwang die Waffe fallen zu lassen. „Du verdammter…! Sie stürmte auf ihn zu. Mit erschreckender Genauigkeit hagelten ihre Schläge auf Yoji nieder. Irgendwie fand seine Faust aber den Weg an ihre Schläfe. Neu sank zu Boden. Dilara und Ken schlugen sich derweil blendend im Walzertanzen. Bis jetzt hatte keiner von ihnen einen Schrittfehler gemacht. Omi und Aya machten sich beide im Stillen Gedanken, was es mit Aikas schnellem Aufbruch auf sich haben könnte. Die ganze Sache war irgendwie nicht im Bereich des normalen. Angel hastete durch das halbe Schiff, um zu ihrer Kajüte zu kommen. Für den VIP-Bereich brauchte sie die Uniform. Im Geiste übte sie bereits die Standpauke für Yoji. In Masafumis Zimmer kam Neu wieder zu sich. „Entschuldige die drastischen Mittel“, sagte Yoji. „Erzähl mir von dieser Asuka. Ich will wissen, weshalb du mich belästigst.“ „Du willst es wirklich hören?“ Er war verblüfft. „Wir waren bei einem Auftrag…“ Yoji fing an zu erzählen. „Und nun kommen wir zum Tango! Meine Damen, Verwandlung bitte!“, animierte der Kommentator. Dilara öffnete eine Öse an der Taille und der wallende Rock fiel zu Boden. Darunter kam ein knappes Kleidchen zum Vorschein. Der Rosensaum blieb unverändert. Die anderen Frauen hatten sich ebenfalls des langen Rockes entledigt. Schon tönte der 2/4 Takt des Tangos durch den Saal. „Mit Angel stimmte was nicht“, fing Aya an. „Ich wollte gerade dasselbe sagen“, erwiderte Omi. „Also spinne ich nicht. Gut, was machen wir jetzt?“, meinte sein Gegenüber. „Uns bleibt nichts anderes übrig, wir müssen sie suchen. Beeilen wir uns!“ Omi stand auf. Die beiden verschwanden klammheimlich. Als sie gerade um die Ecke eilten, rauschte Aika ihnen entgegen. „Was zum!“, schnaufte sie. „Keine Ahnung, die gleiche Frage könnte ich dir stellen. Wieso dieser Aufzug? Wolltest du in die VIP-Lounge?“, wollte Omi wissen. „Jein“, sagte sie knapp. „Warum das denn?“ „Das kann ich euch nicht erklären, jedenfalls nicht zwischen Tür und Angel“, antwortete Aika. „Dann gehen wir in deine Kabine. Ich will wissen, warum hier nicht mit offenen Karten gespielt wird!“ Aya reagierte leicht angesäuert, kein Wunder, nach all dem, was in den letzten Wochen vorgefallen war. „Also, ich warte. Was ist hier los?“ Omi setzte sich auf Aikas Bett. „Asuka. Scheinbar ist sie wieder aufgetaucht. Yoji war gestern bei mir, er wusste nicht, was er tun sollte.“ Sie zog die Uniform aus. Aya legte die Hand unter sein Kinn. „Wir wollen die ganze Wahrheit. Ihr beide würdet nicht so ein Theater inszenieren, wenn diese Asuka einfach nur wieder aufgetaucht wäre.“ Aika warf sich ein T-Shirt über. „Keine Sorge, ich war auch noch nicht fertig mit der Geschichte. Neu ist nach Yojis Aussage Asuka. Schlimmer hätte die Sache nicht laufen können. Jetzt schwebt nicht nur er in Lebensgefahr. Ich bin mir fast sicher, dass Masafumi was von unserem Angriff ahnt. Hoffentlich hält Yoji wenigstens die Klappe.“ Omi starrte sie an. „Was?! Willst du damit sagen, dass der Idiot sich mit Neu trifft?“ „Ich weiß es nicht! Es ist nur so eine Ahnung! Da er weder in seinem Zimmer, noch an Deck oder irgendwo im frei zugänglichen Bereich aufzufinden war, gehe ich jedoch stark davon aus!“ „Mist, dann ist es zu spät! Wir müssen abwarten, bis er sich wieder in seine Kajüte bemüht, sonst fliegt unsere Tarnung zu früh auf! Mann, wenn ich den erwische!“ Aya ballte die Fäuste. „Beruhige dich! Wir dürfen uns jetzt nicht zu Kurzschlussreaktionen hinreißen lassen!“, herrschte Aika ihn an, „ihr beide verkrümelt euch wieder in den Ballsaal und drückt gefälligst Ken und Dilara die Daumen. Ich bleibe hier.“ „Und ich soll diese Asuka sein? Wie hast du mich gefunden?“ Neu blickte ihn unschuldig an. „Äh, eigentlich gar nicht. Es war purer Zufall, dass ich dich hier gesehen habe.“ Yoji fasste sich an den Kopf. „So. Was genau hast du in Shanghai vor? Bist du immer noch Detektiv?“, fragte sie interessiert. „So in der Art. Ich arbeite jetzt als Angestellter bei einem Staatsanwalt, tja und für den bin ich gerade unterwegs. Mehr darf ich nicht sagen.“ „Ich verstehe. Nimm es mir nicht übel, aber ich muss die ganze Geschichte erst mal verdauen. Entschuldige mich.“ Neu stand auf. „Sicher. Ich lasse dich allein. Wir sehen uns, ja?“ Yoji hob die Hand zum Abschied. „Klar“, nickte das Schreient-Mitglied. „Früher als du denkst.“ Im Ballsaal war inzwischen die Entscheidung gefallen, welche Tanzpaare im Finale gegeneinander antreten würden. „Kommen wir zu den Finalisten! Bitte die Paare mit den Nummern 1, 3, 5, 6, 11 und 13 auf die Tanzfläche! Geben Sie noch mal alles Ladys and Gentleman!“ Dilara und Ken, mit der Startnummer 11 betraten abermals das Parkett. Für den Samba hatte Rose sich ihr Finalkleid angezogen. Über und über mit pinkfarbenen Pailletten bestickt strahlte es im Scheinwerferlicht. Auf der rechten Seite verlängerten rosa Federn den Saum, während links ein Schlitz das Kleid noch knapper machte als es eh schon war. Ken versteckte seine Eifersucht hinter einem breiten Lächeln; ihm war es gar nicht recht, dass Dilara dermaßen sexy rum lief. Omi beobachtete unauffällig Takatori, der sich scheinbar prächtig amüsierte. Aya war in Gedanken bei jemand ganz anderem. Er machte sich Sorgen, ob Aika ihr Versprechen hielt und in ihrer Koje blieb. Zu recht, wie sich herausstellen sollte. Aika hatte sich tatsächlich in den VIP-Bereich geschlichen. Unglücklicherweise rannte Yoji sie fast um, als er aus Neus Zimmer kam. „Entschuldige bitte“, keuchte er und hastete davon. „Scheiße“, durchzuckte es Aika, „er hat mich geduzt!“ Um ihre Tarnung aufrecht zu erhalten, marschierte sie weiter. Einige Minuten später trafen sich die beiden in Yoji’s Suite. „Bist du denn von allen guten Geistern verlassen?! Verdammt, Balinese! Das kann ziemlich ins Auge gehen! Was ist, wenn sie jetzt weiß, dass du nicht allein hier bist? Und was ist mit der Anwaltssache? Die fliegt spätestens dann auf, wenn wir anlegen und du nicht von Bord gehst!“, schrie Aika ihn an. „Aber…“, protestierte Yoji. „Komm mir nicht mit „aber“! Hier steht nicht nur dein Arsch auf dem Spiel! Wir alle haben viel auf uns genommen, um an diesen Punkt zu kommen! Versau es nicht! Auch wenn es stimmt, dass Neu Asuka ist, musst du endlich einsehen, dass sie nichts mehr von ihrem alten Ich in sich hat!“ Yojis Augen füllten sich mit Tränen. Im Grunde seines Herzens wusste er, dass sie Recht hatte, trotzdem widerstrebte es ihm, aufzugeben. Als Yoji nichts erwiderte, bremste sich Aika. „Balinese?“ Sie beugte sich zu ihm. „Sieh mich an!“ Seine Augen waren trüb und ausdruckslos. Angels Blick fiel auf Yojis Tätowierung. Auf einem Petruskreuz mit Flügeln bildeten Nägel das Wort „Sin“ und darunter stand: „When you gonna lern?“ „Maya“, durchzuckte es Aika, das hier war dieselbe Situation. „Weiß. Der Name allein ist schon ein Witz. In unserem Fall steht es nicht für Reinheit, von Unschuld gar nicht zu sprechen. Wir sind eher wie Schnee, weiß und eiskalt“, merkte sie zynisch an, bevor Angel den Raum verließ. Dilara und Ken tanzten mit einer solchen Leidenschaft, dass Omi mal wieder die Röte ins Gesicht stieg. Deshalb bemerkte dieser auch nicht, als sich Aya wegschlich. Kaum aus dem Saal lockerte er seine Fliege und beschleunigte seine Schritte. Sein Herz klopfte bis zum Hals. „War Aika in ihrem Zimmer?“ Er fetzte um eine Ecke und einen Augenblick später fand Aya sich auf dem Boden wieder. „Verdammt! Du Trampel!“, keifte Schön, die scheinbar gerade von der Toilette gekommen war. Nach einem prüfenden Blick kroch sie auf Aya zu. „Oh, da haben wir ja nen ganz Hübschen. Wie wärs, willst du, dass ich dir das größte Geschenk mache, das du je bekommen hast? Meinen Körper?“ Geschockt drückte Aya sich an die Wand. Schöns gespitzte Lippen kamen unaufhaltsam näher. Abyssinian hatte schon die Augen zusammen gekniffen, um es wenigstens nicht mit ansehen zu müssen, als ein dumpfer Aufprall durch die Gänge hallte. „Du aufgetakelte Stadtmatratze! Finger weg von meinem Flirt!“ Aika stand mit einem Fuß auf Schöns blondiertem Kopf, der offensichtlich ungebremst auf dem Boden eingeschlagen hatte. „Gne ofort unter!“, keuchte das Schreient-Mitglied mangels Sauerstoff. „Häh? Wie bitte?“ Aika zuckte mit den Schultern. Aya stand auf. „Ich glaube, sie meinte, du sollst von ihr runtergehen.“ „Ach sooo! Warum sagt sie das nicht gleich?“ Angel trat zur Seite. Schön saugte geräuschvoll Luft in ihre Lungen. Ihre Nase blutete und auf der Stirn zeichnete sich ein kreisrunder, roter Fleck ab. Bevor Aya reagieren konnte, war Aika von ihrer Widersacherin an die Wand gedrückt worden. „Ich hoffe, du weißt, mit wem du dich angelegt hast, Schlampe!“, zischte sie. „Mit der bösen Stiefmutter?“ Angels Augen funkelten herausfordernd. Schöns Gesicht verzerrte sich zu einem grauenhaften Etwas. „Du wirst diesen kleinen Zwischenfall bitter bereuen, das versprech ich dir!“ „Uhh, was habe ich zu erwarten? Einmal von dir geschminkt werden?“ „Nein, ich schätze, das muss dann jemand anderes erledigen. Obwohl, es fällt eh nicht auf, wenn ich Hackfleisch aus deiner Visage mache. Das ungeübte Auge wird keinen Unterschied bemerken!“ Mit diesen Worten zog Schön ab. „Alles in Ordnung?“ Aya half Aika auf, die zu Boden geschleudert worden war. „Abgesehen von meinem angekratzten Selbstbewusstsein? Alles noch dran. Gibt es irgendeinen Zweifel, warum die Tussi niemand haben will? Im Tanzsaal verhallten gerade die letzten Töne des Sambas. Dilara hatte alles gegeben. Sie strahlte mit ihrem Dress um die Wette. Ken hielt sie sicher über seinem Kopf in der Endpose. Was auch immer jetzt kam, das Paar brauchte sich nicht hinter den anderen Finalisten zu verstecken. Sie schauten zu den Preisrichtern, die angeregt diskutierten. „Ist das normal?“, wollte Dilara wissen. „Keine Ahnung.“ Ken drückte ihre Hand. Jetzt stolperte der Sprecher nach vorn: „Meine Damen und Herren! Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass es ein Stechen gibt! Die Paare 3 und 11 sind punktgleich im Rennen um den ersten Platz! Um den Sieger zu ermitteln, werden diese beiden Kontrahenten nochmals im Tango gegeneinander antreten! Applaus für Sayuri und Jun mit der Startnummer 3!“ Das in hellblau gekleidete Paar trippelte wieder in die Mitte der Tanzfläche! „Drücken sie auch unserer Nummer 11 die Daumen! Tomoko und Akira!“ Unter großem Jubel tänzelte Dilara zu dem anderen Paar, Ken hinterher schleifend, der noch nicht ganz kapiert hatte, dass sie um den Pokal tanzten. Der Song „Objection Tango“ von Shakira wurde eingespielt, ein Song, bei dem sich Dilara des Öfteren vorgestellt hatte, mit einem knackigen Kerl zu tanzen. Zu ihrer Verzückung riss sich Ken das Hemd auf. Sie drehte sich in seine Arme, stieß ihn zurück, spielte die Unnahbare, nur um ihn Sekunden später wieder zu verführen. Das war der Reiz am Tango. Die Geschichten, die man mit seiner Bewegung erzählen konnte. Die Leidenschaft, die ihrer Meinung nach dem Walzer fehlte. Dilara spielte ihre Rolle so gut, dass Ken am liebsten sofort alle Keuschheit über Bord geworfen und sie auf der Tanzfläche flachgelegt hätte. Er genoss ihre Nähe, den Geruch ihres Parfüms von Jean Paul Gaultier. Die letzten Takte des Songs nutzten sie, um wieder in die Mitte der Tanzfläche zu wirbeln. Dilara schwang ihr Bein um Kens Hüfte und zog seinen Kopf zu sich heran. Da überkam es ihn. Das Publikum johlte, als Ken seine Dilara küsste. Natürlich musste der Kommentator seinen Senf dazugeben: „Wow! Das nenne ich Leidenschaft, meine Damen und Herren! Aber hat das gereicht? Geben sie bitte jetzt ihre Stimme ab! In einer Viertelstunde wissen wir, wer unser Sieger ist!“ Dilara und Ken verbeugten sich, bevor sie mit den anderen Paaren zu den Sitzplätzen gingen. Omi war ein wenig nervös geworden, als er bemerkt hatte, dass Aya verschwunden war. Nun da dieser sich wieder neben ihn setzte, fiel ihm ein Stein vom Herzen. „Sag mal, wo warst du?“ „Toilette.“ Aya war, wie meistens, kurz angebunden. Bombay fragte nicht weiter nach, sondern nickte zu ihren Freunden auf der anderen Seite des Parketts: „Unser Pärchen wartet darauf, ob es gewonnen hat. Hatten gerade ein Duell um den ersten Platz!“ „Das nennt man wohl unauffällig“, meinte Aya trocken wie ein Beutel Wüstensand. Omi grinste verlegen. Dilara und Ken saßen zufällig direkt vor Takatori Junior und seinen Bodyguards. Beinahe wären sie aufgesprungen, als Tots Kopf zwischen ihnen auftauchte. „Ihr Tot gefallen habt! Wirklich! Ich bis heute niemanden gesehen hab, der Hüfte so bewegen kann!“ Sie grinste Dilara an. „Tot gefallen die Farbe von deinem Kleid!“ Das kindische Mädchen wandte sich um. „Fumi-san! Tot doch mitgehen, aber nur shoppen! Auch haben wollen so ein hübsches Kleid!“ Er seufzte: „Aber sicher doch!“ „Masafumi–san, bist du auch so heißblütig wie die beiden?“ Scheinbar wollte Hell die Abwesenheit Schöns nutzen, um ihren Chef für sich zu gewinnen. „Ich bevorzuge andere Orte, um meine Leidenschaft auszuleben.“ die Doppeldeutigkeit war nicht zu überhören. „Die würde ich zu gern mal sehen“, baggerte sie ihn an. Doch die Stimmung wurde von Schön zerstört, die just in diesem Moment zwischen Hell und Takatori Platz nahm. „Was ist denn mit dir passiert?“ Ihre Partnerin glotzte auf die wunde Stelle auf ihrer Stirn. „Mein Gesicht ist ruiniert! Selbst mein engelsgleiches Lächeln und meine tolle Figur können diesen peinlichen Fleck nicht wettmachen! Ich bin so hässlich!“, heulte Schön. „Das ist nichts Neues. Ich meinte, woher kommt der Fleck?“ Hell nippte an ihrem Drink. „Dieses Flittchen! Ich wollte mir gerade den Typen vornehmen, der mich umgerannt hatte, da trampelte diese Schlampe mir auf den Kopf!“ Zornig zerknüllte sie das blutige Taschentuch. Hell lachte. „Sag mal, bist du vor dem Typen gekrochen oder wie erklärst du dir, dass du Bekanntschaft mit dem Boden gemacht hast?“ Schön schäumte vor Wut. „Pass nur auf, dass du nicht Bekanntschaft mit den Haien machst!“ „Wie das böse, böse Mädchen denn aussieht?“, mischte sich Tot ein. „Dunkelbraunes, glattes Haar, unverschämt grüne Augen, vielleicht 1 Meter 70 groß.“ Schön tupfte sich mit einem frischen Papiertaschentuch die Tränen ab. „Abgespeichert! Tot sie finden! Und dann wir sie fertig machen, Schön-chan!“ Ken sah Dilara an. „Denkst du, was ich denke?“ Sie nickte. Die Methoden der Frau sprachen für sich. Die Ansage des Sprechers unterbrach das Gemurmel im Saal. „Meine Damen und Herren! Die Sieger stehen fest! Ich bitte alle Teilnehmer, noch einmal zu mir zu kommen.“ Die Paare stellten sich auf. Dilara klammerte sich an Kens Arm. Sie war schrecklich aufgeregt. „Kommen wir zu Platz drei! Applaus für Noriko und Eiri, mit der Startnummer 5! Herzlichen Glückwunsch!“ Nach dem üblichen Prozedere mit Blumen und Küsschen stieg die Spannung ins Unermessliche. „Es war eine schwere Entscheidung, aber den zweiten Rang belegen Sayuri und Jun! Kommt zu mir ihr beiden!“ Das Paar Nummer 3 erwies sich als fairer Verlierer. Sie gratulierten Dilara und Ken, die es kaum fassen konnten, dass sie gewonnen hatten. Voller Freude sprang Rose ihrem Freund an den Hals. „Na, na, na ihr zwei! Wollt ihr euch nicht erst euren Preis abholen?“, schmunzelte der Kommentator. Hand in Hand liefen sie zu ihm um den gläsernen Pokal entgegenzunehmen. Nicht weit von ihnen entfernt freuten sich auch Omi und Aya über den Sieg ihrer Freunde. „Ladys and Gentlemen, ich möchte sie darauf hinweisen, dass wir in wenigen Minuten anlegen. Alle Teilnehmer der Clubtour treffen sich in der Lounge. Die 5 Passagiere, die heute noch den Rückweg antreten, bitte ich, ihren Landgang bis um 21.30 Uhr zu beenden. Um Punkt 22 Uhr legen wir ab. Ich wünsche Ihnen einen schönen Aufenthalt in Schanghai.“ Aika saß vor dem Bullauge ihrer Kajüte und starrte in den bewölkten Himmel. Es sah nach Sturm aus. Sie schreckte auf, als es klopfte. „Ja?“ „Zimmerservice!“, hallte Yojis Stimme. „Kommen Sie rein!“, antwortete Aika. Wenige Augenblicke später platzte der Raum fast aus allen Nähten. „Beschwert euch ja nicht! Man musste mir ja die kleinste Kabine geben! Ich fühl mich manchmal wie ne Ratte in ner Holzkiste mit einem Luftloch!“ Angel ließ sich neben Aya aufs Bett fallen. Ken platzte mit der Frage heraus, die ihn seit Schöns Auftritt beschäftigt hatte: „Hast du dafür gesorgt, dass Schön den Boden geknutscht hat?“ „Wüsste nicht, wann“, wich Aika aus. Dilara durchbohrte sie mit ihren blauen Augen. „Sei ehrlich. Wer ist denn sonst so verrückt?“ Ihre Partnerin schaute sie wortlos an, mit der gewünschten Wirkung. „Hey, lass mich aus dem Spiel. Ich war nachweislich auf der Tanzfläche! Schließlich haben wir gewonnen!“ Aika strahlte: „Is ja cool! Ich freu mich für euch!“ „Lenk nicht ab!“, unterbrach Ken sie. „Schon gut, schon gut! Ich hab die Schnepfe platt gemacht. Würdest du das nicht machen, wenn sie sich an Ken ranschmeißt, Dilara?“ „Dann hat sie Rotschopf angebaggert?“ „Offensichtlich.“ „Ah! Du hattest vollkommen Recht, Gelbhaar! Diese miese, verkommene, grässliche Entgleisung der Schöpfung soll Dreck fressen! Erst beleidigt sie mein Schatzi und jetzt gräbt sie deinen Freund an!“ „Sie hat Siberian getroffen?“ Dilara nickte. „Ja. Dieses Miststück sagte, er sei die Luft zum Reden nicht wert! Allahallahallah!“ Omi unterbrach die beiden Frauen: „Geht’s euch noch gut? Wir wollten unauffällig bleiben!“ „Das ist jetzt eh vorbei“ Yoji brachte alle zum Schweigen. „Ich habe mit Asuka gesprochen, ich meine Neu.“ „Du hast was?!“, riefen Dilara und Ken wie aus einem Mund. Yoji blickte zu Omi und Aya: „Ihr seid nicht überrascht?“ „Angel hat uns vorhin eingeweiht, als wir sie auf dem Weg zum VIP-Bereich erwischt haben.“ Aya sah ihn mit seinen violetten Augen ernst an. „Weiß sie, dass du für Persha arbeitest, oder du nicht allein bist?“ Omi blieb sachlich. „Keine Ahnung, ob Neu meine Geschichte geglaubt hat. Ich hoffe…“ „Du glaubst tatsächlich daran, ich meine, Neus alte Identität Asuka?“ Dilara sah ihn voller Mitleid an. Yoji nickte. „Egal wer sie war, wir haben einen Auftrag Leute!“ Omi ballte die Fäuste. „Balinese, ich sage das nicht gern, aber…Wir können Neu nicht verschonen, selbst dann nicht, wenn ihre Erinnerung zurückkommt. Bitte! Ich will nicht noch einen Freund, nein einen Teil meiner Familie verlieren!“ Aika nahm ihn bei den Händen. Sie schien ausgesprochen zu haben, was alle gedacht hatten. Weiß und Angel Hunter waren zusammengewachsen. Das Geheimnis ihrer Organisation, die Trauer, die Verluste, aber auch die Freude, die gemeinsame Arbeit im Laden, das alles hatte sie zusammengeschweißt. Jeder wusste das und alle zogen es vor, ein Leben als Assasinen zu führen, als je wieder ohne Halt und einsam zu sein. „Angel hat Recht, wir brauchen dich!“ Omi legte die Hände auf Aikas. Ken grinste. „Es wäre doch stinklangweilig ohne unseren Playboy!“ „Genau! Wer würde sich dann mit Rotschopf um Gelbhaar streiten?“ Dilara legte ebenso wie Siberian die Hände auf Yojis. „Stimmt, wir haben noch ein Hühnchen wegen gestern Nacht zu rupfen!“ Aya schloss sich an. „Dann sind sich ja alle einig. Also halten wir uns an das Sprichwort: „Einer für alle und alle für einen!“ Aika blickte in die Runde. „Ja!“, riefen die Freunde. Omi rollte den Plan des Schiffs auf dem Boden aus. „Prägt euch bitte alles gut ein. Hier, die roten Punkte zeigen die Überwachungskameras, schwarze Linien die Routen der Wachen. Glücklicherweise sind es nur zwei pro Deck. So weit ich mitbekommen habe, wird Takatori um ca. 21 Uhr hier eintreffen. Außerdem hat er auf dem Oberdeck die Bar gemietet, ihr wisst schon, dieses Häuschen am Bug. Dort werden wir ihn überraschen. Die Tatsache, dass er allen Wachen befohlen hat, das Oberdeck zu räumen, macht die Sache um einiges einfacher. Um unsere Spuren zu verwischen, gehen wir jetzt getrennt von Bord. Unsere Tickets sind nur Oneway. Danach warten wir zwei Stunden, bevor wir auf die Meer zugewandte Seite des Schiffes tauchen und nach oben klettern. Ich hoffe, ihr habt eure Taucheranzüge dabei, Leute!“ Wie besprochen verließen die sechs den Kreuzer, Gerätschaften und Waffen in schwarzen Reisetaschen verpackt. Einen Kilometer entfernt ging ein Steg ein Stück ins Meer hinaus. Zu ihrem Glück war sogar ein kleines Ruderboot an ihm festgemacht. „Das ist perfekt. So können wir bis auf 200 Meter ran, sonst hört oder sieht man uns.“ Omi warf seine Tasche hinein. Dilara schauderte. „Müssen wir wirklich in dieses tiefe, dunkle, eiskalte Wasser?“ „Ja“, raunzte Aya. „Ich hab aber Angst. Außerdem bin ich nicht so gut im Schwimmen.“ Aika drückte ihr die Flossen in die Hand. „Keine Sorge, mit denen an den Füßen ist absaufen ein Ding der Unmöglichkeit!“ Dilara zitterte. „Lasst mich da drinnen bitte nicht allein!“ Ken nahm sie in den Arm. „Du schwimmst in der Mitte, Aika und Omi hinter dir, Yoji und ich neben dir und Aya schicken wir voraus, falls es hungrige Haie gibt.“ Abysians Blick in Siberians Richtung war vernichtend. „Schon gut“, lenkte er ein, „war nur ein Scherz! Ein Scherz!“ Dilara rang sich ein Grinsen ab. „Hey, Leute! Wollt ihr warten bis das Meer verdunstet ist?“ Nacheinander sprangen die Weiß-Mitglieder ins Boot. „Los Rose, ich halte dich!“ Ken streckte ihr die Arme entgegen. Sie warf ihm einen flehenden Blick zu. Aika verschränkte die Arme hinterm Kopf. „Du kannst auch hinterher schwimmen, wenn du das vorziehst.“ „Ich geh ja schon!“, jammerte ihre Partnerin. Jetzt erst löste Angel das Tau und sprang zu den anderen. Während sie in Richtung Hafen ruderten, machte sich Yoji Gedanken über den bevorstehenden Kampf, Omi ging in Gedanken den Plan durch und Aika spielte mit ihrer Katana herum. Dilara kuschelte sich an Ken, gegenüber von Aya, der mit leerem Blick vor sich hinstarrte. Die zwei Stunden zogen sich bei der winterlichen Kälte wie Kaugummi. Alle froren erbärmlich. „Mann, bin ich froh, wenn der scheiß Auftrag vorbei ist“, bibberte Angel. „Da sind wir einer Meinung.“ Dilara drückte sich noch näher an ihren Freund. „Es ist soweit.“ Omi blickte auf seine Uhr. „Haben alle ihre Klamotten in den wasserdichten Koffern verstaut? Yoji, hast du die Magnetleiter? Sind alle Waffen fest mit eurem Körper verbunden?“ Jeder prüfte nach und stimmte daraufhin zu. „Auf geht’s!“, rief Ken. Sie sprangen ins Wasser. Dilara verspürte einen leichten Anflug von Panik, merkte jedoch, dass die Flossen sie leicht über Wasser hielten. Dicht beisammen schwammen die Assassinen auf den Kreuzer zu. Aus dem Wasser betrachtet wirkte er furchteinflößend und riesig. Auf der versteckten Seite des Schiffs angekommen schoss Yoji die Magnetleiter knapp unter die Kannte der Reling. Als der magnetische Aufhänger richtig saß, löste sich die Strickleiter und fiel bis ins Wasser hinunter. Aika, die eine gute Schwimmerin war, hielt das untere Ende fest, sodass die anderen relativ problemlos nach oben kamen. Erst als Aya über der Reling war, stieg sie auf die unterste Sprosse. Yoji und Abyssinian zogen Angel mitsamt der Leiter nach oben. Es war genau viertel nach Neun, als die Tür zum Oberdeck aufging. Heraus kamen Masafumi Takatori und seine vier Leibwächterinnen, die sich in bester Feierlaune befanden. „Oh Fumi-san! Mit deiner Erfindung wirst du auf dem Rüstungsmarkt Milliarden scheffeln!“, frohlockte Hell. „Ich werde der reichste Mann der Welt sein, durch das, was ich in diesem kleinen unscheinbaren Koffer transportiere. Jahahaha, dann wird nichts mehr so sein, wie es heute ist!“ Neu öffnete die Tür für die anderen. Sie setzten sich um den Tisch in der Mitte des Raumes. „Ladys, lasst uns richtig anstoßen!“ Takatori stellte eine Flasche Wodka und fünf Gläser auf den Tisch. Aufgeschreckt durch das Entsicherungsgeräusch von Schusswaffen wirbelten sie jedoch herum, bevor ihr Besäufnis begonnen hatte. „Hi!“, trällerte Dilara und winkte. „Ich hoffe wir sind zu eurer kleinen Party eingeladen!“ Aika kam aus ihrem Versteck. Weiß tat es ihr gleich. „Ich kenne die fünf, allerdings, der“, Schön zeigte auf Angel, „bin ich noch nie begegnet. „Ach nein, Stiefmütterchen?“, frotzelte Aika. Dem Schreient-Mitglied fiel die Kinnlade runter. „Das die böse Frau ist! Ich sie jetzt kaputtmachen!“ Tot stürmte mit ihrem Schirm auf die verdutzte Angel zu. „Du willst mich mit diesem lächerlichen Schirm angrei-?“ Im letzten Moment konnte sie die Klinge abwehren, die aus dessen Spitze geschossen kam. „Fuck!“ Aika parierte die Schläge mit der Saya ihrer Katana. Dilara nahm zur gleichen Zeit Takatori aufs Korn, übersah dabei aber Schöns Peische. Ken warf sich dazwischen und wurde am Arm verletzt. „Geht’s dir gut?“ Dilara kam auf ihn zu. „Keine Zeit über so etwas nachzudenken! Greif an!“ Siberian stürzte sich auf Schön. Er wich ihren Peitschenhieben aus. Sie wehrte zwei seiner Bukuk Schläge ab, doch der dritte traf. Kreischend wich Schön zurück, die Hände aufs Gesicht gepresst. Hell lieferte sich ein Duell mit Aya. Sie schleuderte ihn mit einer Fußtrittkombo aus dem Gebäude. Kaum war er wieder auf den Beinen, stand Hell auch schon wieder vor ihm. „Na Süßer, schade, dass du auf der falschen Seite stehst, sonst wärst du meine Nummer zwei hinter Masafumi-san!“ Schön hatte sich wieder gefangen, aber ihr Gesicht war mit vier tiefen Schnitten entstellt. Ihre Mimik war unter all dem Blut kaum zu erkennen. Es glich einem Wunder, dass sie noch stand. Dilara stolperte entsetzt zurück direkt in Tots Arme. Sie bekam einige Schläge mit dem Schirm, stieß mit dem Rücken gegen die Wand und sah sich Wimpernschläge später der Spitze gegenüber. Geistesgegenwärtig drehte sie sich nach links, kurz bevor das Holz neben ihr splitterte. Rose rannte auf den Tresen zu und sprang darüber. Ihr Puls raste, das Adrenalin schien in Übermengen ausgeschüttet zu werden. „Das ist es, was Aika mit Überlebenswille gemeint hatte“, kam ihr in den Sinn, „sie hatte absolut Recht, ich will leben, um jeden Preis!“ Auf einmal schien die Moral in den Hintergrund zu treten, die Reflexe steuerten ihre Bewegungen, als Rose aus vollen Rohren feuerte. Schöns Peische hatte sich, bei einem seiner Ausweichmanöver, um Kens Hals geschlungen. „Du hast mich für immer entstellt! Jetzt werde ich dich zum Dank dafür töten!“, kreischte sie. Er würgte. „Na, gefällt dir das, du Bastard?“ Seine Finger krallten sich im Leder der Geißel fest, während Ken versuchte, sich Luft zu verschaffen. Yoji suchte vergeblich einen Weg, Abyssinian zu helfen. Er zog den Draht aus seiner Uhr. Hell durchschaute seinen Plan längst und drängte ihn mit einigen direkten Messerhieben zurück. Neu griff statt ihrer Aya an, der sich, nach einigen harten Treffern, nur mühsam wieder auf die Beine kämpfen konnte. Wortlos und mit eiskaltem Blick schlug sie ihm das Katana aus der Hand. Aika schmetterte, bei dem Versuch Ken zu retten, Tot zu Boden, während sie zu Dilara schrie: „Jeeetzt! Hilf Siberian!“ Rose zielte auf Schön, doch Takatori hielt Ken, der langsam blau anlief, seine Pistole an den Kopf. „Wenn du schießt, ist er tot.“ „Nein!“ Angel warf sich auf Masafumi. „Du blöde Gaijin!“ Er schoss auf sein neues Opfer. Sie hechtete unter Kugelhagel an Schön vorbei, wobei einer von Takatoris Schüssen von einer der stählernen Verblendungen abprallte und die vollen Wodka Flaschen auf dem Regal über Schön traf. Die Spirituosen ergossen sich über das Schreient-Mitglied. Dilara erkannte ihre Chance und schoss auf die Pfütze. Sofort fing die perplexe Schön Feuer. Überraschung spiegelte sich in ihren Augen, während die Information, dass sie lichterloh brannte, erst Sekunden später den Weg in ihr Bewusstsein fand. Tot, Hell und Masafumi ergriffen die Flucht. Unter gellenden Schreien wälzte sich Schön auf dem Boden, aber die Flammen ließen sich nicht löschen. Aika packte die geschockte Dilara an der Hand und sie stürzten mit Yoji und dem hustenden Ken nach draußen. Nur wenige Augenblicke später rannte die fürchterlich entstellte Schön über das Deck und sprang von Bord, ohne zu sehen, dass neben dem Kreuzer ein Segler ankerte. Der Mast bereitete ihrem Leben ein schnelles, grausames Ende. All das bekamen die Weiß-Leute nicht mehr mit. Yoji versuchte, trotz des Hagels von Schlägen, mit Neu zu sprechen. „Bitte hör auf! Asuka! Ich verspreche dir, dass ich alles wieder gutmachen werde!“ Er schubste sie von sich. Neu taumelte einige Schritte zurück. „Mach dich bereit zu sterben, du verweichlichter Idiot!“ Sie zog ihre Pistole. In diesem Moment tauchte Dilara hinter ihr auf, mit einem Paddel, das sie vom nächstbesten Rettungsboot hatte mitgehen lassen und zog es der Frau über den Kopf. Neu fiel bewusstlos zu Boden. Yoji lief zu ihr. „Asuka“ Er nahm sie in die Arme. Neus Sonnenbrille, die sie immer trug, um ihre Identität zu verbergen, war zerbrochen. Omi versuchte Tot aus dem Weg zu schaffen, die jetzt vergiftete Nadeln auf ihre Gegner niederprasseln ließ. Dilara, immer noch mit dem Paddel bewaffnet, schaffte es nicht mehr, auszuweichen. Drei der hauchdünnen, toxischen Geschosse bohrten sich in ihren Oberschenkel. „Allah, tut das weh!“ Mit zitternden Fingern rupfte sie die Nadeln aus dem Fleisch. Ken versuchte hinter Tot zu gelangen, um ihre großflächigen Angriffe zu unterbinden. Aber das kindische Mädchen war aufmerksamer, als er dachte. „Böser Junge! Du glauben, Tot seien blöd? Tot dich abmurksen! Das wird großen Spaß machen! Aber erst du noch um dein Leben rennen darfst! Genau wie deine Freundin! Wenn sie mit Fischen schwimmen tut, dann Tot gehen in ihr Zimmer und nehmen sich dieses Glitzerkleid! Tot bald haben will, deshalb nicht böse sein, wenn Tot sie schnell kaputt macht!“ Omi griff indessen Takatori an, der ihn jedoch mit dem geringsten Kraftaufwand abwehrte. Aya kam ihm zur Hilfe, nachdem Aika versichert hatte, sie würde allein mit Hell fertig. Er schmetterte sein Schwert auf Takatoris Kopf nieder. Dieser fing die Klinge mit den Handflächen ab und hielt sie wie in einem Schraubstock. Ein gezielter Fußtritt schleuderte Abysinian mit solcher Wucht gegen Omi, dass beide zehn Meter übers Deck rutschten. „Ha, ha, ha, ihr habt mir nichts entgegen zu setzen!“, lachte Takatori. Hell war wirklich gut mit der Klinge. Aika hatte Mühe, den Stichen auszuweichen. Ihr Katana war zu lang zum Parieren, aber für den Wechsel zum Tanto ließ ihr das Angriffstempo ihrer Gegnerin keine Zeit. „Was ist, Kleine? Bin ich zu schnell für dich?“, spöttelte Hell. „Träum weiter, so lange du noch Zeit dazu hast! Den morgigen Sonnenaufgang erlebst du nämlich nicht mehr!“ Aika tauchte unter dem Hieb weg, ließ ihr Schwert fallen und blockte den nächsten Angriff mit dem Dolch. Hells Augenbraue zuckte. „Hey, lass das! Das darf nur ich!“ Angel drängte sie zurück. Zu ihrem Erstaunen lächelte ihre Gegnerin. „Schön, sehr schön. Ich dachte schon, die Schwarz-Luschen hätten sich mit ihrer Vorwarnung geirrt!“ Angel brachte einige Meter Abstand zwischen sich und Hell. „Wovor haben sie euch denn gewarnt?“ Das Schreient-Mitglied schmunzelte. „Vor ner blonden Pussy, die so lebensmüde wäre, mich anzugreifen. Ich war schon enttäuscht, als ich auf dem Schiff keine gesehen habe.“ „Das heißt, ihr wusstet von unserem Plan?“ Der Wind ließ Aikas Haar flattern. „So ist es. Die Angestellten haben die Anweisung, sich nicht einzumischen. Alles war von Anfang an geplant, das geringe Wachpersonal, um euch nicht abzuschrecken, wenige Kameras. Wir wussten, dass ihr die Chance nutzen würdet, nur nicht, wann es soweit sein sollte.“ „Die Ungewissheit ist ja jetzt vorbei. Dann sollen wir nun unser Schicksal entscheiden.“ Angel nahm ihre Angriffsposition ein. Hell tat es ihr gleich. „Wie schade, dass du heute sterben musst. Die erste Gegnerin, die den Mumm in den Knochen und das Können hat, eine anspruchsvolle Killerin wie mich zu unterhalten. Der Rekord meines hartnäckigsten Feindes liegt bei 3 Minuten!“ „Bis das erste Blut floss?“ Aikas Klinge prallte hart auf Hells Messer. „Bis er tot war“, grinste ihre Gegnerin unheimlich, bevor sie Angel knapp verfehlte. Dilaras Bein brannte mittlerweile wie Feuer. Das Gift zeigte seine Wirkung. Zu allem Übel ging langsam ihre Munition zur Neige. Egal wie oft sie auf Tot schoss, diese wehrte jede der 9 Millimeter Kugeln ab, indem sie den Schirm aufspannte. „Verdammt, aus welchem Material ist das Teil?“, rief Rose zu dem fünf Meter entfernten Ken. „Keine… Ahnung! Bleib in… Bewegung!“, schrie er zwischen zwei Seitwärtsrollen. Das fiel Dilara jedoch zunehmend schwerer. Kalter Schweiß rann über ihre Schläfe, ein leichtes Schwindelgefühl ließ die Konturen ihrer Umwelt leicht verschwimmen. Neu war derweil wieder zu sich gekommen. Sie stand Yoji gegenüber und fasste sich an die Schläfe. „Was, was ist passiert? Wo bin ich?“ „Asuka?“ Yoji ging einen Schritt auf sie zu. „Bist du das, Yoji?“ Sie strich ihm über die Wange. „Asuka, du erinnerst dich?“ Er starrte Neu an. Sie umarmte ihn. Aika bekam die Szenerie aus den Augenwinkeln mit, ein kurzes Blitzen verriet Neus Absicht. „Balinese, pass auf!“ Ihr Ruf kam zu spät. Yoji starrte in Neus kalte Augen. Mit einer raschen Handbewegung zog sie das Messer aus seinem Rücken. Er sackte zusammen. „Dummer Narr!“ Neu wischte das blutige Messer an ihrer Hose ab. Aika stieß Hell von sich und rannte auf ihren Kameraden zu. Doch auf halber Strecke raste ein brennender Schmerz durch ihren Körper. Sie fiel zu Boden, Hells Messer im Rücken. „Herzlichen Glückwunsch, Gaijin, knapp 8 Minuten, neuer Rekord. Hätten aber mehr werden können, ohne diesen Gefühlskram!“ Sie zuckte mit den Schultern. Dilara und Ken kamen immer noch nicht gegen Tot an und zu ihrem Entsetzen kam jetzt Neu auf sie zu. Omi wurde gerade zum zwölften Mal gegen die Wand der Bar geschmettert und sank benommen zusammen. Aya kam zu keinem weiteren Angriff, da plötzlich Hell hinter ihm stand. Ein erster Blitz durchzuckte die Nacht und beleuchtete die leblosen Körper von Yoji und Aika. Aya rannte mit vor Wut glühenden Augen auf die Messerkämpferin zu. „Stiirb!“ Sie wehrte seinen Angriff ab. „Sei nicht dumm, Süßer. Ein Racheschwert tötet meistens seinen eigenen Herrn!“ Hell strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr. In diesem Augenblick durchzuckte ein weiterer Blitz den Himmel und sie blickte in Abyssinians Augen, die in diesem Licht hellblau leuchteten. Der Wind zerzauste sein rotes Haar. Dann kehrte die Dunkelheit zurück. Er stürmte wie ein Dämon auf Hell zu, die nur überheblich grinste, während sie in Abwehrstellung ging. Als Ayas Hieb jedoch auf die Schneide ihres Messers traf, splitterte dessen Klinge in vier Teile. Hell kam gerade noch dazu, überrascht das zu betrachten, was von ihrem Messer übrig geblieben war, als der kalte Stahl der Katana ihr Herz durchdrang. Indessen war Omi wieder auf die Beine gekommen. Er stand hinter Tot, die gerade nach Ken schlug. Dilara war bereits vor einigen Minuten die Munition ausgegangen, mit dem Messer kam sie jedoch nicht nah genug an ihre Widersacherin heran, geschweige denn, dass sie, durch das Gift geschwächt, rechzeitig ausweichen hätte können. Omi zog seine Darts aus dem Gürtel, holte Schwung und schleuderte sie auf Tot, die ihn nicht bemerkt hatte. Sie wurde durch den Angriff nicht getötet, allerdings nutzte Ken die Chance, die Halsschlagader zu attackieren. Das Schreient-Mitglied ging zu Boden. Trotz Tots Bemühungen die Wunde zuzuhalten lief das Blut in Strömen an ihrem Körper nach unten. „Tot nicht sterben wollen. Sie doch Nagi heiraten unter Kirschblüten!“ Omi, Ken und Dilara starrten sie an. Tot schluchzte auf: „Er Recht hatte, Tot hätte zuhause bleiben sollen. Dann Sie glücklich geworden wäre!“ Sie fiel auf die Knie. Der Schirm rollte über das Deck und im selben Moment, da er ins Wasser platschte, tat Tot ihren letzten Atemzug. Dilara spürte ein Kratzen im Hals. Sekunden später hing sie über der Reling und übergab sich. Ken lief zu ihr. „Rose, was ist mit dir?“ Ihr Bein war mit roten Striemen durchzogen. „Verdammt! Du hast vorhin Giftnadeln abbekommen! Warum hast du nichts gesagt?!“ Er schüttelte sie. Der Wind frischte auf und das Nebelhorn erklang. Der Kreuzer legte ab. Neu und Masafumi Takatori standen nun einer Überzahl an Feinden gegenüber. „Ihr sitzt in der Falle!“, rief Ken. „Nicht ganz! Als dieser Trottel mich heute belästigte, ahnte ich bereits, dass wir ein Attentat zu erwarten hatten. Deshalb habe ich Verstärkung angefordert. Sie müssten gleich hier sein.“ Neu machte sich angriffsbereit. „Ich glaube, es ist Zeit, meine Geheimwaffe zu testen!“ Takatori öffnete seinen Koffer und holte eine Art Pille heraus, die er schluckte. Die verbliebenen Weiß-Mitglieder starrten entsetzt in seine Richtung. Erst passierte gar nichts, bis Augenblicke später sein Körper von Krämpfen geschüttelt wurde und sich die Struktur seiner Muskeln seltsam zu verformen begann. Neu lächelte überlegen. Als hätten sie sich abgesprochen, stürzten die Weiß Mitglieder auf den mutierenden Takatori zu. Ehe sie ihn erreichten, wurden alle von einer unsichtbaren Macht zu Boden geworfen und an die Wand der Bar gedrückt. „Was für eine Kraft!“ Neu staunte nicht schlecht. Masafumi sprach mit blecherner Stimme: „Töte sie! Keiner von ihnen wird sich wehren können!“ Aya, Ken und Omi kämpften mit aller Macht gegen Takatoris Telekinese an. Das Gift in Dilaras Körper hatte sie schon so geschwächt, dass sie kaum noch Kraft zu kämpfen hatte. Neu stellte sich vor die vier. „Wer von euch möchte zuerst sterben? Du, Kleiner? Oder fang ich mit dir an, Mädchen? Nein, bei dir ist es nur eine Frage der Zeit. Hm, ich denke, du hast die Ehre, als Erster von uns zu gehen.“ Sie ging auf Ken zu. „Bitte nicht!“, flüsterte Dilara. Plötzlich blieb Neu mitten in der Bewegung stehen. „Was ist das?“ Dünne Fäden lagen um ihren Hals und um ihren Körper. Yoji hatte sie gespannt. „Asuka, es tut mir Leid! Bitte vergib mir!“ Neu ahnte, dass ihre Zeit gekommen war. „Masafumi-san, ich liebe dich!“ Ihr verzweifelter Ruf hallte über die See. Im selben Augenblick riss Yoji mit tränenüberströmtem Gesicht den Draht zu sich. Zwei dumpfe Aufschläge, als Neus Kopf von den Schultern fiel und neben ihrem Körper auf dem Deck landete. Yoji stürzte entkräftet zu Boden. Der Regen prasselte in Strömen vom Himmel und vermengte sich mit dem Blut der Getöteten. Takatori schleuderte Yojis Körper zu den anderen. „Ihr habt meine geliebten Frauen auf dem Gewissen! Jetzt ist endgültig Schluss mit unserem kleinen Spiel! Macht euch bereit, zu sterben!“ Aus seinen Fingern wuchsen Klauen, lang wie Dolche und scharf wie Rasierklingen. Er rannte auf die Weiß-Leute zu. Scheinbar hielt ihn die Bewegung davon ab, seine telekinetischen Fähigkeiten einzusetzen, sodass sich alle gerade noch ducken konnten, bevor die Wand über ihren Köpfen unter lautem Krachen zerbarst. Hilflos flohen sie in alle Richtungen, nur um festzustellen, das es kein Entkommen gab. Als ihr Schicksal schon besiegelt schien, drang ein Geräusch aus der Dunkelheit, das sie als Hubschrauberrotoren identifizierten. Ken stützte Dilara, die fiebrig und verschwitzt versuchte, zu überleben. In Ayas Schulter steckte ein Holzsplitter, Yoji blutete stark und Omi litt unter einer schweren Gehirnerschütterung. Takatori lachte. „Endlich sind sie da!“ Er blickte nach Osten. Die Lichter des Hubschraubers kamen schnell näher. Sekunden später wurden die Weiß-Leute fast von Deck geblasen, als der Helikopter neben dem Schiff in der Luft stehen blieb. „Wisst ihr was? Ich verschwinde jetzt! Wenn ihr mit eurer Mission scheitert, seid ihr eh tot. Wie die vor euch. Haben sich auch für mächtig stark gehalten. Als sie ihr Missionsziel nicht erreichten, lernten sie das Exekutionsteam der Kritiker kennen! Ahahahahaha! Wie schön, wenn sie die eigenen Leute killen!“ In diesem Moment wurde die Tür des Hubschraubers aufgerissen. Die Schwarz-Leute wedelten mit den Armen. Keiner von Weiß war mehr fähig, sich zu bewegen. „Er hat Recht, jetzt ist es vorbei“, stöhnte Omi. Seine Kameraden schwiegen, jeder wusste, dass dies die Wahrheit war. Takatori schritt zum Hubschrauber, dabei stieg er über Aikas Körper, zog das Messer heraus und raunte: „Arme Hell, ich werde das hier zum Andenken behalten.“ Ohne sich umzublicken ging er zur Reling und stieg auf die vorletzte Sicherheitsstange. Der Hubschrauber pendelte etwas vom Schiff weg. Trotzdem waren die Gesichtsausdrücke der Schwarz-Mitglieder noch zu erkennen. Sie bedeuteten Takatori, sich umzudrehen. Ein Blitz beleuchtete Aikas Gesicht. Erschrocken taumelte er zurück. Das Überraschungsmoment war auf Angels Seite. Mit einem gewaltigen Hieb ihrer Katana spaltete sie Masafumis Schädel. Das Schwert blieb in seinem Rumpf stecken. „Game Over, du Mutant!“ Sie stellte den Fuß auf seinen Brustkorb, um es mit einem Ruck herauszuziehen. Sie blickte in den Helikopter, das Schwert zu einer Drohgebärde erhoben. Crawfords Lippen formten das Wort „Wenden“ und fast im selben Augenblick schwenkte der Pilot den Hubschrauber aufs offene Meer hinaus. Omi kroch zu Dilara. „Gleich geht’s dir besser.“ Er spritzte ihr ein Gegengift in den Arm. Sie war bereits zu schwach zum Reden. Ken hielt ihre Hand. „Wird sie es schaffen?“ „Ja, ich denke schon.“ Aya stützte Aika, bis sie bei den anderen waren. Dort versorgte er notdürftig ihre Stichwunde. „Da bin ich gerade noch mal im richtigen Moment zu mir gekommen“, sagte sie. „Ich dachte, Hell hätte ihr Ziel erreicht.“ Ayas Gesicht war zerkratzt. Sein Haar klebte im Gesicht. Yoji war noch nicht wieder zu sich gekommen. Omi machte sich Sorgen um ihn. „Er war der festen Überzeugung seine Asuka wieder gefunden zu haben. Ich wünschte, ihm wäre das alles erspart geblieben.“ Aika krabbelte zu Dilara. „Hey Süße, geht’s dir schon besser?“ Ihre Freundin nickte. „Das ist schön.“ Angel blickte in den Himmel. Der Regen prasselte auf ihr Gesicht und wusch den Schweiß herunter. Es war bitterkalt, was die Gruppe erst bemerkte, als der Lärm des Gefechts langsam dieser bedrückenden Stille wich, die jeden Willen zum Handeln unterdrückte. Langsam kroch die Kälte ihre Beine hinauf, der Sturm preschte die Wellen mit derartiger Wucht gegen die Flanken des Schiffs, dass das gesamte Deck in regelmäßigen Abständen überschwemmt wurde. „Wir sollten uns in der Bar einquartieren. Bei diesem Sturm hat Birman keine Chance, uns abzuholen!“ Omi schrie gegen das Getöse des Meeres an. Das Team schleppte sich in das kleine Haus am Bug. Das Schaukeln war an der Front des Schiffes besonders schlimm. Sämtliche Flaschen fielen aus den Regalen, die Stühle rutschten hin und her. Aya und Ken fanden die Falltür zum Vorratskeller der Bar. Zwischen den Getränkekisten fanden sich einige Tischtücher, die sie zu Decken umfunktionierten. Omi sprach über Sattelitentelefon mit Birman. Sie versicherte, sofort zu kommen so schnell es das Wetter zuließ. Pershas Sekretärin war ihnen mit einem Tag Abstand gefolgt, um die sechs nach dem Auftrag in Sicherheit zu bringen. Die Nacht verbrachten Weiß und Angel Hunter dicht zusammengedrängt in der unbeheizten Bar. Yoji war gegen 2 Uhr kurz zu sich gekommen, aber nicht ansprechbar. Nachdem Omi ihm Schmerzmittel verabreicht hatte, schlief er wieder ein. Aya löste Omi um kurz nach fünf bei der Wache ab und weckte die anderen eineinhalb Stunden später, als eine weiße Yacht direkt auf den Kreuzer zukam. Im Zwielicht erkannten sie, dass die See immer noch rau war. Die Gischt spritzte hier und da auf die Planken des Decks. Von den leblosen Körpern Takatoris und seiner Schreient-Truppe war nichts mehr zu sehen. Die Fluten mussten sie während des Sturms über Bord geschwemmt haben. Ken trug Dilara, deren Gesicht eine grünliche Färbung angenommen hatte. Er machte sich große Sorgen. „Ich glaube, ihr geht es gar nicht gut. Omi, bist du sicher, dass das Antiserum wirkt?“ „Ich hoffe. Tot hat scheinbar eine Art Neurotoxin benutzt. Es lähmt und verursacht Kreislaufbeschwerden.“ Omi strich ihr das Haar aus dem Gesicht. Yoji sah noch schlechter aus als Dilara. Im Gegensatz zu ihr schien alle Farbe aus ihm gewichen zu sein. Aika saß neben ihm an die Wand gelehnt. „Yoji? Du musst wach bleiben!“ Er rang sich ein müdes Lächeln ab. Sie warf einen flüchtigen Blick auf seine Wunde. „Mein Gott! Wenn Birman keine Blutkonserven an Bord hat, dann gute Nacht!“ Minuten später half ihnen Birman auf ihr Schiff. „Unter Deck liegt alles bereit, was ihr braucht. Ich muss noch was erledigen, bin in fünf Minuten wieder da!“ Pershas Sekretärin lief in Richtung der Tür, die ins Innere des Kreuzers führte. Weiß und Angel Hunter brachten sich in der Yacht in Sicherheit. Tatsächlich hastete Birman kurze Zeit nach ihnen auf die Brücke. Unter ihrem Arm ein Laptop. Mit Volldampf steuerten sie vom Kreuzer weg. Aya blickte aus einem der Bullaugen. Die Lichter des Todeskreuzers waren nur noch in weiter Ferne auszumachen als eine gewaltige Explosion das nächtliche Meer erleuchtete. Eine riesige Feuersäule stieg den Himmel empor. Aika drängte sich neben ihren Geliebten: „War das das Werk der Tippse?“ „Ein bisschen höflicher wenn’s geht!“ Birman stand in der Tür. „Entschuldige Birman.“ Aika rutschte wieder an ihren Platz. „Ihr solltet euch ausruhen. Es wird noch einige Stunden dauern, bis Land in Sicht ist. Ihr habt nen guten Job gemacht, Leute!“ ____________________________________________________________________________________ Dieses Kapitel entstand aufgrund eines Wunsches meiner Freundin. Sie wollte Dilara in einem Ballkleid sehen und so entstand die Idee der Kreuzfahrt mit Tanzwettbewerb. Bei Schreient konnte ich mal alle Register ziehen^^ Ich mag vor allem Schön's Charakter, weil ihre überhebliche, zickige Art immer eine gute Vorlage für dynamische Gespräche bietet. Ich hoffe auch, die Beziehung zwischen Neu und Yoji kommt glaubwürdig rüber. Bei Tot hab ich es wohl ein wenig übertrieben, aber ich mag sie so seltsam wie sie ist. Leider ist mir Hell wahrscheinlich nicht so gut gelungen^^' Im Nachhinein fand ich es fast schade, dass Schreient nur so einen kurzen Auftritt bekam. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)