Letters for you von Shinigami_Megumi (eine Geschichte über den Krieg und die Liebe) ================================================================================ Kapitel 1: Winter 1937 ---------------------- Der Winter neunzehnhundertsiebenunddreißig war einer der härtesten, die ich je erlebt hatte. Vielleicht war es mir auch nie bewusst, wie hart ein Winter sein kann, da ich bis dato immer noch ein Dach über dem Kopf hatte. Aufgewachsen, zumindest soweit ich mich erinnern kann, bin ich bei einer alten Dame, Toki-sama, die mich zwar nicht mochte, aber dennoch duldete. Sie war Gemüsehändlerin und schon halb blind, deswegen benötigte sie jemanden mit guten Augen, der ihr half. Ich kann mich nicht mehr genau an jenen Tag erinnern, aber es muss ebenfalls im Winter gewesen sein. Damals war ich acht Jahre alt. Mein Geburtsdatum ist mir nicht bekannt, lediglich das Jahr. Aus diesem Grund setzte ich selbst mein Geburtsdatum auf den ersten Januar. Ich muss allein und sehr hungrig gewesen sein, als Toki-sama mich aufnahm. Sie war um die sechzig und wohnte in einem kleinen Haus am Stadtrand von Hiroshima. Ihre kleinen, fast erblindeten Augen lugten stets hinter den dicken Gläsern einer alten Nickelbrille hervor. Sie hatte gelbliche, faltige Haut und roch immer nach eingelegtem Rettich. Ihren Mund zierten nur noch wenige Zähne und ein gewaltiger Buckel perfektionierte das Bild einer Hexe. Dennoch, die alte Dame war gnädig, wenn sie auch selbst nur Hilfe benötigte. Ich wollte mir damals Gemüse von ihrem Stand stehlen, doch sie ertappte mich. Nachdem sie mich eine halbe Ewigkeit mit der Bambusrute verdroschen hatte, bot sie mir schließlich an, mich zu versorgen, falls ich ihr im Gegenzug bei den Geschäften half. Ich hielt dies zunächst für ein angenehmes Übereinkommen, musste aber bald feststellen, dass Toki-sama nur einen billigen Sklaven brauchte. Nichts desto trotz blieb ich bei ihr. Ohne sie hätte ich die letzten sechs Jahre nicht überlebt. Nun war sie tot, die alte Dame. War einfach in der Nacht friedlich ein geschlummert. Ich war keine Verwandte von ihr, darum hatte ich auch kein Anrecht weiterhin in der alten Hütte zu leben. Als dann auch noch der Pfänder auftauchte, musste ich verschwinden. Dies war nun vor vier Tagen. Nun saß ich wieder auf der Straße, allein unter Menschen, die mich fürchteten und verabscheuten. Die letzten drei Nächte hatte ich unter der kleine Brücke, die über den Bach führt, verbracht. Ich hatte glücklicherweise ein paar alte Kimonos von Toki-sama mitgenommen, die ich seit vier Tagen über meiner Kleidung trug. Der Boden war durchgehend gefroren und auch das Wasser des Baches gefror des Nachts. Zu diesem Zeitpunkt war mir nicht klar, ob ich die nächsten Tage noch überleben würde. Nun begann es wieder zu dämmern. Während ich zwischen den geschäftigen Leuten die Straße hinunter schlenderte, bemerkte ich zwei junge Mädchen, jünger als ich, die laut kichernd in einem der beleuchteten Häuser etwas abseits der Straße verschwanden. Was mir an diesem Haus sofort auffiel, war der riesige, alte Kirschblütenbaum davor. Für einen Augenblick fragte ich mich, was dies für ein Haus war, als mir der Lichtstrahl auffiel, der aus einer versteckten Luke, an der, der Straße abgewandten Seite des Hauses kam. Zudem bemerkte ich etwas Rauch aufsteigen, und mir war klar, dass es sich hierbei um die Küche des genannten Hauses halten musste. Da ich Hunger hatte und nichts zu verlieren, beschloss ich mein Glück in diesem Haus zu versuchen. Ich war nie eine gute Diebin gewesen, aber ich musste es versuchen. In dem wilden Treiben der Stadt fiel mein Nähern an das Haus nicht auf. Es schien viel bewohnt zu sein, denn ich vernahm mehrere verschiedene Stimmen. Lautlos drückte ich mich an der Hauswand vorbei, bis ich nahe der offenen Luke war. Zweifelsohne hielt es sich um die Küche, und zu meinem Glück hatte der Koch einen großen Topf mit Teigtaschen zum Abkühlen auf den kleinen Unterbau gestellt. Stellte ich mich jetzt geschickt an, würde es mir gelingen eine zu stehlen. Ganz vorsichtig, auf Zehenspitzen näherte ich mich dem Topf. Nur noch wenige Zentimeter und ich konnte zugreifen. Dann tat ich es und musste meine erhaschte Beute sogleich wieder fallen lassen, denn sie war glühend heiß und meine Hand verbrannt. Nur mit Müh und Not gelang es mir den Schmerzensschrei zu unterdrücken. Ich wog mich schon in Sicherheit, wollte gerade mit etwas mehr Bedacht wieder zugreifen, -es war mir klar, dass ich mich wieder verbrennen würde, aber dieses Mal war ich vorbereitet- als ich ertappt wurde. „Hey du, Finger weg.“ Erklang eine Stimme laut und ich spürte den harten Schlag einer Suppenkelle auf meinem Handgelenk. Nun war es egal. Ich musste meine Beute greifen und mich aus dem Staub machen, doch alles kam anders. Zwar erhaschte ich meine Beute, wurde aber von etwas festgehalten, sodass ich hinfiel. In meiner Verzweiflung griff ich nach dem ersten Stein, den ich fand und schleuderte ihn in die Richtung meines Verfolgers. Ein lautes Zerreißen von Papier war zu hören, doch der Verfolger hatte noch immer mein Fußgelenk in den Händen. Neue Stimmen kamen hinzu. Ich vernahm eine sehr vornehme, erhabene Frauenstimme, die Stimme meines Fängers -ebenfalls eine Frauenstimme mit schroffem Unterton- und die süße Stimme eines kleinen Mädchens, wie ich vermutete. „Maki, was geht hier vor?“ fragte die vornehme Frauenstimme. „Wir haben einen Dieb, Mayumi-sama.“ „ Oh wie schrecklich.“ wisperte die Mädchenstimme. Ich versuchte mich umzudrehen und meinen Fuß zu befreien, als ich die drei Sprechenden sah. Ungläubig starrte ich sie an. Es handelte sich bei allen dreien um wunderschöne Frauen, welche ich noch nie zuvor gesehen hatte. Die junge Frau, die meinen Fuß festhielt, trug offenes, schwarzes Haar und hatte malerisch schöne kastanienbraune Augen. Sie war mit einem blauen Kimono bekleidet und blickte mich böse an. Das junge Mädchen war tatsächlich jünger als ich, wie ich annahm, doch war auch sie von unglaublicher Schönheit. Ihr schwarzes Haar war hochgesteckt und zwei große, mahagonibraune Kinderaugen funkelten mich ängstlich an. Die letzte der drei Damen war jedoch die Schönste von allen. Sie schien mir auch die Älteste, hatte zusammengebundenes, aschernes Haar und grüne Augen. Ihre Haut war blass, ihre Lippen blutrot geschminkt. „Komm her, du Dieb.“ rief die Schönheit mit den Kastanienaugen und zog mich unsanft an meinem Fuß ins Licht. Doch kaum befand sich mein Körper im Lichtstrahl, ließ sie mich erschrocken los. „Hilfe, ein Geist.“ „Unsinn, das ist kein Geist, sondern ein Mädchen.“ warf die Ältere ein. „Aber sie ist so weiß.“ meinte nun die Kindliche. „Hast du noch nie einen Menschen mit weißem Haar gesehen? Sie sind sehr selten, besonders in Asien, doch es sind Menschen.“ Die beiden Jüngeren betrachteten mich teils schockiert, teils fasziniert. Ich war dies gewohnt. Aufgrund meiner weißen Haare und meiner blauen Augen wurde ich stets von den Menschen gemieden. Es war nichts Neues. „So, du bist also eine Diebin?“ fragte die Älteste. Ich antwortete nicht. Was sollte ich auch sagen? Ja, ich bin eine Diebin. Schön sie kennen zu lernen? Wohl kaum. Ich versuchte ein grimmiges Gesicht aufzusetzen. Immerhin hatten sie mich sehr unsanft behandelt. „Sie hat die Tür kaputt gemacht“ warf nun die Jüngste ein. Nun erst bemerkte ich, dass meine Steinwurfattacke scheinbar das Fusuma getroffen hatte und dieses daraufhin gerissen war. „Du bist eine Diebin und hast meine Tür zerstört. Nun, das wirst du bezahlen müssen.“ „Ich habe aber kein Geld“ antwortete ich trotzig. „Dann muss ich wohl eine Anzeige erstatten.“ Bei diesen Worten wurde mir flau. Ich wollte nicht ins Gefängnis, niemals. Obwohl ich nicht wusste, wie es dort aussah, hatte ich mir geschworen eine solche Einrichtung niemals von innen zu sehen. „Nein, bitte nicht. Es tut mir Leid“ bettelte ich verzweifelt. Jetzt mischte sich auch die Mittlere wieder ein. „Mayumi-sama, wir müssen die Polizei rufen.“ „Jetzt beruhige dich, Maki. Sie wollte nur eine Teigtasche stehlen. Aber es ist wahr. Für die Tür musst du aufkommen und wenn du kein Geld hast, wirst du den Schaden abarbeiten müssen.“ Ich schluckte. Was sollte das heißen? „Wie heißt du, Mädchen?“ „Kisara“ antwortete ich zaghaft. „Nun schön, Kisara, du wirst wohl einige Wochen arbeiten müssen, bis die Tür abbezahlt ist. Wo wohnst du denn?“ „Nirgendwo“ gab ich wahrheitsgemäß zu. „Ha, typisch. Auch noch ein Straßenkind“ warf die Mittlere ein. Aus einem ganz speziellen Grund war mir diese Person bereits jetzt unsympathisch. Hingegen hatte die Älteste eine ganz besondere Ausstrahlung von Ruhe und Güte. Sie ließ mich vermuten, dass so eine Mutter sein musste, die ich nie hatte. „Maki, halte dich zurück. Kisara, wenn du einer Anzeige entgehen möchtest, wirst du vier Wochen für mich arbeiten, verstanden?“ Ich nickte stumm. „Für diese Zeit darfst du in der Abstellkammer übernachten, damit du mir nicht noch erfrierst, bevor die Arbeit verrichtet ist.“ „Aber Mayumi-sama...“ begann die Frau namens Maki, wurde jedoch sogleich von der Älteren unterbrochen. „Maki, ich sagte, du sollst dich zurückhalten. Dies ist mein Haus, das weißt du hoffentlich?“ Maki nickte, und man bemerkte, dass sie sich dabei auf die Unterlippe biss. „Also Kisara?“ Ich nickte wieder. „Ach ja, mein Name ist übrigens Haruka Haname, aber du wirst mich Mayumi-sama nennen. Diese beiden Damen heißen Maki Anada und Hana Nishimura.“ Daraufhin wandte Mayumi-sama sich um und verschwand. Ihr folgte Maki, Hana blieb. Die Jüngste schaute mich immer noch skeptisch an. Sie befürchtete wohl, ich habe doch übernatürliche Kräfte. Zaghaft, und mit Abscheu wandte sie sich an mich. „Ich zeig dir deinen Schlafplatz“ kam es trocken von ihr. Brav und etwas erleichtert folgte ich Hana. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)