C'era una volta... von Pads (Oder ein Schal auf Schatzsuche) ================================================================================ Kapitel 6: Manche Dinge lernt man erst beim Aufräumen ----------------------------------------------------- Aus dem Tagebuch des Captain Scarf Hach, ich hoffe inständig, dass ich dieses Gesicht niemals vergessen werde. Marco kann nicht fassen wie ihm geschieht. Oder er mag es nicht fassen. Oder doch, er wird es schon fassen wollen, immerhin wird dieses Mädchen ihm nun ein schöne Zeit verschaffen. Während der aufsichtshabende Schießhund immer noch nicht weiß, ob er mich davonjagen oder der Kleinen in die Herberge folgen soll, mache ich einfach das Beste aus meiner nun anstehenden Freizeit und lade die übrigen beiden Mädchen auf etwas süßes Gebäck ein. Ich habe nichts gegen diese Art von Zeitvertreib, die Beiden sind recht ansehnlich und zumindest eine hat auch wirklich was im Kopfe. Es ist nett mit ihnen zu plaudern und abgesehen davon macht es mir Spaß, den alten Kerl in seinem Stehkragen ordentlich ins Schwitzen zu bringen. Immer wieder linst er zu dem Fenster hoch, an dem Marco noch vor einiger Zeit gesessen hatte, aber er wagt nicht fortzugehen. Da ich kein Unmensch bin, spendiere ich ihm auch ein bisschen Kuchen und schaue zu, wie er das Gebäck verzweifelt in sich hineinmümmelt. Nach ungefähr zwei Stunden ist die Sonne so ziemlich untergegangen und es wird kühler. Passend zu meiner aufkeimenden Langweile resultierend aus Tatenlosigkeit verlässt die holde neureiche Maid die „güldene See“ und der Herr Anstandswauwau wuselt ihr aufgebracht entgegen. Sie redet beschwichtigend auf ihn ein, während die anderen beiden Weiber auf sie einstürzen und kichernd alles erfahren wollen. Ich muss schmunzeln, irgendwie sind doch die Mädchen aller Schichten gleich gestrickt. Sie werden nun die nächsten Stunden das verbrachte Abenteuer der Einen lang und breit erfragen, jedes Detail, jedes Muttermal meines zukünftigen ersten Maates wissen wollen. Ich schlendere an ihnen vorbei, verabschiede mich freundlich und gebe der Kleinen mit dem vermuteten Grips einen sachten Klaps auf das Hinterteil. Was für ein Abgang... Als ich in das Zimmer trete, sitzt Marco nur mit einer leichten Baumwollhose bekleidet am Fenster und schaut verträumt hinaus. Wahrscheinlich sieht er seiner kleinen Romanze nach. Nichts ist so leicht erobert und gebrochen wie das Herz eines Südländers. Ich verspüre ein gewisses Maß an Mitleid, aber auch Neid. Ich muss zugeben, dass mir ein solches Gefühl recht fremd ist, auch wenn ich durchaus Bedürfnisse und Wünsche habe. Aber ich hatte noch nie zuvor einen solchen Gesichtsausdruck, da bin ich mir absolut sicher. „Na, hast du Hunger?“ Er schreckt fürchterlich zusammen und schaut mich entgeistert an. Ich kann nicht anders und pruste los. So ein dummer Gesichtsausdruck ist mir schon zu lange nicht mehr untergekommen. Seit ungefähr 2 Stunden nicht mehr um genau zu sein. „Was?“ Für Marco recht ungewöhnlich bleibt er ruhig, geht sogar auf mein Gelächter ein und schmunzelt. Es macht ihn zu einem ganz neuen Menschen und ich setze mich neben ihn auf das Bett um mir das Spektakel aus der Nähe anzuschauen. „Wa...was?!“ Nun klingt er schon deutlich angefressener. „Nichts. Ich hab dich bisher nur immer verärgert oder richtig wütend gesehen, da wollte ich mir den lächelnden Marco mal aus der Nähe betrachten.“ „Bleib mir vom Leib, du Landratte.“ Sein Ton steht allerdings im Gegenteil zu seinem Gesprochenen und ich bemerke ein leicht zufriedenes Lächeln auf seinen Lippen. So vielschichtig sich die meisten Menschen auch geben, ein aufmerksamer Beobachter kann an einem Gesicht alles wissenswerte ablesen. „Also, wollen wir zu Abend speisen?“ „Du hast manchmal eine echt affektierte Sprache, Scarf.“ Ich seufze leise auf, er hat einen meiner Schwachpunkte gefunden. „Ja ja, ich weiß. Hast du nun Hunger oder nicht?“ Er springt auf, sammelt auf dem Weg zur Tür seine Klamotten auf und schlüpft hinein. „Wie ein Bär! Ich könnte n halbes Schwein vertragen.“ Ich folge ihm weniger elanvoll, aber auch mir beginnt der angehende Abend in den Fingern zu kribbeln. Nach einer guten Mahlzeit schlagen wir uns wieder durch die Kneipen und Marco zecht ordentlich auf meine Kosten. Wäre mein Schiff schon fertig, würde ich ihn einfach shangheien. Mal sehen, was sich ansonsten so mit ihm anstellen lässt, wenn er richtig betrunken ist. Aber er scheint seinen Spaß zu haben und auch einiges zu vertragen. Das ist der beste Zeitpunkt ein wenig mehr über ihn zu erfahren. „Wie bist du eigentlich hier in diesem Hafen gelandet?“ Während er in seinen dritten Rum starrt, scheint Marco erst eine Weile zu überlegen bevor er spricht. „Mein Onkel. Meine ganze Familie steckt in der Piraterie und ich bin quasi im familiären Betrieb an Bord aufgewachsen. Hab mich immer ganz gut durchgeschlagen bei meiner Masse an Geschwistern...“ Er schnaubt abwertend, kippt sich einen langen Zug hinter die Binde und ich rutsche aufgeregt auf meinem Hosenboden herum. „Mehrere Geschwister? Wie viele?“ Familie, welch ein Luxus! Marco stellt das Glas ab und wirft mir einen schwer deutbaren Blick zu, irgendeine Mischung aus Verachtung und zärtlicher Zuneigung. Ziemlich gegensätzlich jedenfalls. „Zu viele. Und alle älter! Am schlimmsten sind diese lärmenden Weiber!“ Er spuckt abwertend auf den Boden und stiert ein paar Sekunden haltlos herum. „Schrecklich, haben mich immer als Spielpuppe missbraucht.“ Es braucht ein Weilchen um diese Information sacken zu lassen. Ich schließe genüsslich die Augen und stelle mir einen kleinen Marco hübsch mit Schleifchen im Haar verziert in einem Kleidchen vor. Meine Phantasie bekommt jäh Flügel und verleiht meiner Träumerei einen pastellfarbenen Hintergrund sowie ein wenig seichte Streichmusik. Erst ein schmerzhafter Tritt gegen mein Schienbein bringt mich in die Realität zurück. „Bastard!“ „Entschuldige, es lud zu sehr dazu ein.“ „Du hast wirklich merkwürdige Anwandlungen.“ Wie recht er doch hat. „Also, jedenfalls hab ich es nicht mehr bei meinen Eltern und Geschwistern ausgehalten, vor allem wegen meines Vaters.“ Ich nicke mitfühlend und tätschle sachte seine Hand, die krampfhaft den Bierkrug umklammert. „War er so grausam zu dir?“ „Hölle nein!“ Er schlägt meine Hand weg und spuckt wieder angewidert zu Boden. Das ist doch ein wenig eklig und ich beginne zu wünschen, dass er das doch lieber unterlassen möge. „Mein Vater war ein verfluchter Jammerlappen, der sich so leid tat wie ein zweibeiniger Köter! Ich hatte eigentlich vor ihn umzulegen, aber...“ Ich werde hellhörig, das ist eine doch recht interessante Wendung. „Aber..?“ „Hmmm... hätte meiner Mutter wohl das Herz gebrochen. Sie hängt an dieser widerwärtigen Transuse.“ Sein ehemals aggressiver Ton ist abgeklungen, seine Stimme viel weicher geworden. Scheinbar hängt Marco an seiner Mutter, ganz im Gegensatz zum Rest seiner Familie. Ich schmunzle, das finde ich doch ein wenig rührend. „Was grinst du so, du Affe?“ Abgesehen davon, dass ich sein breites und durchaus abwechslungsreiches Repetoire an Beschimpfungen respektierte, bin ich machtlos gegen die entwaffnende Ehrlichkeit Betrunkener. „Ich mag es, dass du einen weichen Kern hast. Und das trotz deiner ziemlich dicken harten Schale.“ Ich kann dem Bierhumpen gerade noch ausweichen, sonst wäre er direkt in mein Gesicht gekracht. Während ich noch verblüfft nach der Pfütze schaue, die das Bier am Boden der nächsten Wand um den kaputten Krug herum bildet, packt Marco meinen Schal und zerrt mich mit einem Ruck quer über den absplitternden Tisch. Ein leises schmerzhaftes Auszischen stiehlt sich über meine Lippen und ich schimpfe mich selbst ein Weichei. „Was hast du gerade gesagt?“ „Nichts. Schon gut. Ich bekomme keine Luft, Marco.“ Mein bewusst ruhiger Ton dringt in sein umnebeltes Hirn und er lässt mich los. Ich sinke auf meinen Stuhl zurück und beginne die Splitter aus meiner Brust und meinem Bauch zu puhlen. Na wunderbar. „Ich kann dich nicht ausstehen. Du bist ein grinsendes Arschloch!“ „Wäre es dir lieber, ich würde so griesgrämig dreinschauen wie du?“ Ich schmunzle ihn leicht belustigt an und er zischt wütend. „Wäre weniger gespielt. Geh mir n neues Bier holen.“ Da ich mich in der Beweispflicht meiner mir gegebenen 24 Stunden befinde, stehe ich brav auf und hole ihm ein neues Gesöff. „Da, bitte sehr. Und nun erzähl mir, wie du auf das Schiff deines Onkels kamst.“ „Ach, ich hab mich einfach an Bord gestohlen und bin erst rausgekommen, als wir auf hoher See waren. Dann konnte er mich schlecht zurückbringen.“ „Also warst du ein blinder Passagier? Nicht sehr piratig...“ Das enttäuscht mich ein wenig. An seinem sonstigen Verhalten gemessen hätte ich wenigstens angenommen, dass er seinem Onkel eine Pistole an dessen behaarte Brust gesetzt und seine Mitfahrt erzwungen hätte. „Was weißt du schon...? Du warst ja noch nie auf einem Piratenschiff.“ „Richtig! Ich war noch auf gar keinem Schiff!“ Als Antwort genehmigt er sich lediglich einen tiefen Zug, rülpst männlich und knallt den Krug auf den Tisch. „Angenommen ich komme mit auf dein höchstwahrscheinlich aus Seemannsgarn gesponnenes Schiff, was erwartet mich da?“ „Außer Abenteuern, Kaperei und einem großen Schatz?“ Ich strahle vor mich hin und reibe unternehmungslustig meine Finger aneinander. Marco seufzt, schüttelt den Kopf, gerät darüber leicht ins Schleudern und muss sich am Tisch festhalten um nicht umzukippen. Ich denke, dass war erst Mal sein letztes Bier. „Ja... außer dem ganzen romantischen Quatsch, der überall gesponnen wird.“ Ich überlege scheinbar eine Sekunde und zucke ergeben seufzend die Schultern. „Okay, du darfst auch den unromantischen Quatsch machen. Faulpelze auspeitschen, Verwundete amputieren oder auch das Deck schrubben.“ In seinen Augen sehe ich, dass er mich wieder treten würde, hätte er noch genug Macht über seine Motorik. „Du laberst so eine verdreckte Katzenpisse.... Bei dir wäre das Seil fürs Kielholen noch ne Verschwendung.“ Kurzerhand nehme ich ihm den Krug ab und trinke den letzten Schluck. „Hey...“, beginnt Marco zu protestieren, aber sein Blick ist schon ziemlich benebelt. „Schlafenszeit für betrunkene erste Maate. Na komm.“ Ich greife ihn unter den Schultern und schleife ihn raus aus der Spelunke. Er ist sehr viel schwerer als er ausschaut, immerhin ist er recht kurz geraten. An der frischen Luft atme ich einmal tief durch, ziehe ihn so gut es geht auf meinen Rücken und binde ihn umständlich mit meinem Schal an mir fest. So kann ich ihn einigermaßen leicht zurück zur Herberge schleppen ohne gleich umzukippen. Marco wehrt sich nicht, murrt nur noch ab und zu. Ich hoffe inständig, dass er sich nicht in meinen Nacken übergeben möge und rede munter auf ihn ein, obwohl er mir wohl kaum zuhört. Ich beschreibe ihm mein Schiff, welches noch einen neuen Namen braucht, plappere ungeniert über unsere zukünftigen Abenteuer und Schatzsuchen. Während ich dem besoffenen Kerl auf meinem Rücken das Blaue vom Himmel erzähle, erfasst mich eine seltsame gute Stimmung. Eine Aufbruchsstimmung gepaart mit wilder Vorfreude. Ja, ich werde am Ruder stehen, mein erster Maat Marco wird dabei neben mir Kommandos brüllen und mitsamt unserer mottenzerfressenen Mannschaft werden wir Handelsschiffe mit ordentlich Kanonenfeuer eindecken. Ich kann schon förmlich den Schwefeldunst des Kanonen riechen und die Schreie der Verdammten in den Ohren klingeln hören. Während ich dies Marco detailliert beschreibe, bin ich an unserer Herberge angekommen und schleppe ihn in unser Zimmer. Er kichert besoffen und dümmlich vor sich hin und ich muss mich beherrschen nicht irgendetwas Falsches zu tun. Marco torkelt auf sein Bett unter dem Fenster zu und will sich direkt schlafen legen, doch ich kann morgen nicht mit einem Mann mit zerknitterten Klamotten an meiner Seite durch die Gegen laufen. Also muss ich ihn wohl oder übel aus seinen Sachen schälen, bevor ich ihm erlauben kann sich endgültig in das Land der Träume zu verkrümeln. Aber immerhin habe ich etwas Interessantes über Marco gelernt, was mir in Zukunft sicherlich nützlich sein kann. Und ich bin mehr als nur gespannt, wie der morgige Tag sich wohl entwickeln wird. Mit einem breitem Grinsen entledige ich mich meiner Hose, falte meinen Schal ordentlich zusammen und schlüpfe zu Marco unter die Decke. Dieses Mal mit einer Widmung: Meinem erstem Maat und meinem Captain. In aufrichtiger Trunkenheit, euer Steuermann Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)