Schwan und Wolf von --Tina-- ================================================================================ Kapitel 1: Die Frau auf der Fensterbank --------------------------------------- Es war warm und weich, wo ich langsam aufwachte. Der Himmel war wirklich angenehm, es roch sogar gut. Wohlig zog ich die Luft tief ein und versuchte zu ergründen wonach es hier duftete. Eindeutig zu identifizieren war der Geruch nach alten Büchern und wieder dieser Blumenduft, den ich vor meinem Tod im Wald gerochen hatte. Ich versuchte mich darauf zu konzentrieren und kam zu dem Schluss, dass es Rosenblüten waren, die so gut rochen. Außerdem war da noch der kaum wahrnehmbare Geruch nach irgendwas Essbarem. Erst jetzt merkte ich, wie hungrig ich war und wollte mich aufrichten. Schmerz durchzuckte so ziemlich jeden meiner Körperteile und mit einem Aufstöhnen entspannte ich meine Muskeln wieder. Hatte man im Himmel Schmerzen und Hunger? Soweit ich wusste nicht und beinahe erschreckte mich die Enttäuschung, die sich in mir breit machte. Eigentlich sollte ich doch froh sein, dass ich noch lebte, doch für einen Moment hatten die Sorgen und Ängste überhand genommen. Wenn ich noch nicht tot war, konnte ich immer noch verletzt werden und einen Augenblick drohte Panik mich zu übermannen. Ich zwang mich tief durchzuatmen und die Augen zu öffnen, doch nur langsam gewöhnte ich mich an das Licht in dem Raum. Über mit war eine Lage Stoff gespannt, die von verzierten Holzstelen gehalten wurde. Ein Himmelbett? Ich runzelte die Stirn und sah an mir herunter. Meine Wunden waren alle vorbildlich versorgt und von meinem gebräunten Brustkorb und den Armen leuchteten mir regelrecht die weißen Verbände entgegen. Ein Blick unter die Bettdecke sagte mir, dass mir jemand meine zerrissene Jeans und die dreckigen Schuhe ausgezogen hatte. In dem weichen Kopfkissen drehte ich meinen Kopf etwas zur Seite. Der Raum war liebevoll eingerichtet. Es hingen bunte Gemälde an den Wänden, die Tapete war in einem hellen gelb gehalten, ein riesiges Regal mit Büchern verdeckte fast eine ganze Wandseite und auf einer antiken Kommode stand ein Strauß mit Rosen. Das erklärte den dezenten Duft nach Rosenblüten. Mit jeder Sekunde machte sich eine größere Verwunderung in mir breit. Wo zum Teufel war ich und wie war ich hier her gekommen? Dann drehte ich meinen Kopf weiter zu dem Fenster und was ich dort sah, ließ mich inne halten. Auf der Fensterbank, die breit und hell war, saß eine junge Frau. Sie hatte ein Buch, dessen Titel ich nicht lesen konnte, auf ihrem Schoß und las darin. Die schwarzen Haare waren in einem frechen Kurzhaarschnitt gehalten und ließen so den langen, eleganten Hals der jungen Frau sehen. Unter dem dunkelblauen Rock sah ich zwei schlanke Beine ohne Schuhe hervorlugen und die gelbe Bluse ließ die Frau noch zerbrechlicher und femininer wirken. Irgendwie erinnerte mich diese Frau an einen Schwan, eine Taube oder irgendein anderes Zeichen für Reinheit und Unschuld. Vielleicht war es nur, weil ich das genaue Gegenteil war, dass ich sie sofort für sanft und fragil hielt. Ich war schließlich ein Mann, in dessen Leben es seit Jahren nur um Kampf, Gewalt und Brutalität ging. „Hast du mich genug angestarrt?“, fragte der Engel auf dem Fensterbrett. Sie hob den Kopf, lächelte dabei verschmitzt und funkelte mich belustigt an. Irgendwie konnte ich nichts machen, außer die Frau anzustarren. Mit einer eleganten Bewegung stand sie auf, legte das Buch auf die Polster der Fensterbank und kam langsam zu mir herüber. Automatisch spannte ich mich an und drohend knurrte ich auf. Es war reiner Instinkt, eigentlich wollte ich sie nicht einschüchtern, doch in den letzten Jahren war mir das ständige auf der Hut sein in Fleisch und Blut übergegangen. Hilflos zu wirken war in meinen Kreisen unter Umständen mit einem Todesurteil gleich zu setzen. „Keine Angst, ich tue dir nichts. Ich heiße Sina Meyers. Wie heißt du?“, meinte die Frau immer noch mit einem Lächeln und hob die Hände beschwichtigend. Sie kam weiterhin näher, aber in einem noch langsameren Tempo, als wolle sie mir keine Angst machen. Innerlich lachte ich gerade laut auf. Dieses naive, neugierige Ding dachte wirklich, sie würde mir Angst machen? Na gut, für einen Moment war es wirklich so gewesen, doch eigentlich müsste sie in Panik weglaufen. Und das würde sie auch, sollte sie jemals erfahren was ich war. „Thomas Cole.“, antwortete ich auf ihre Frage, als Sina sich in einem für mich gerade noch akzeptablen Abstand auf den dort stehenden Stuhl gesetzt hatte. Meine Stimme hörte sich krächzend an und der Hals schmerzte, wahrscheinlich weil ich so lange geschwiegen hatte. Was mich wiederum automatisch zu der Frage führte, wie ich hier her gekommen war und wie lange ich schon in diesem Bett lag. „Hast du starke Schmerzen und wer hat dich so zugerichtet? Ich dachte gestern Nacht du würdest sterben, aber du hast dich erstaunlich schnell erholt.“, erklärte die Frau und ich hörte neben der unbestreitbaren Neugierde auch so etwas wie Misstrauen und Vorsicht heraus. Damit hätte sich auch die Frage nach dem Datum erübrigt, was ich sehr begrüßte, denn ich fühlte mich selbst zum sprechen zu müde. Kluges Mädchen, das sie auch so etwas wie Vorsicht kannte, dachte ich mir. Doch wenn ich ihr wirklich etwas tun wollte, hätte sie selbst wo ich in diesem desolaten Zustand war keine Chance gegen mich gehabt. Ich war ein Monster, gefährlich und unberechenbar. Sina sollte sich vorsehen, denn ich würde nicht zögern ihr etwas zu tun, wenn ich dadurch mein Leben schützen würde. Ich konnte ihr schlecht sagen, dass ich mich so gut erholte, weil ich nicht normal war. Ich war anders als sie, seit ich vor knapp zehn Jahren im Wald von einem Wolf angefallen worden war. Ja, ich war kein Mensch mehr, ich war etwas anderes. Gleichzeitig besser und stärker, aber auch Furcht einflößend. Ich war ein Werwolf. Normalerweise ahnten die Menschen das immer irgendwie, denn unwillkürlich wechselten sie im Dunkeln die Straßenseite, wenn sie mir begegneten oder gingen Zweikämpfen mit mir aus dem Weg. Doch dieses zierliche Mädchen hatte wohl ihren Instinkt verloren, schien sie zwar vorsichtig, aber nicht verängstigt zu sein. „Du hast bestimmt Hunger. Ich hatte nicht viel im Haus, aber dann habe ich noch eine Tütensuppe gefunden. Damit hast du zumindest etwas Warmes im Magen.“, meinte Sina in das lange Schweigen hinein und legte den Kopf schief, während sie mich betrachtete. Es war fast so, als wolle sie ergründen, was in meinem Kopf vorging. Ich nickte vorsichtig und wie auf Kommando knurrte mein Magen. Sina ließ ein helles Lachen ertönen und stand wieder auf, um kurz aus dem Zimmer zu verschwinden. Ich spitzte die Ohren und konnte sie in ein Nebenzimmer gehen hören, wo sie mit Geschirr klapperte. Sofort wurde der Duft nach etwas zu Essen deutlicher und mir lief im wahrsten Sinne des Wortes das Wasser im Mund zusammen. Nicht nur dass mein Körper für die Heilung sehr viel Energie benötigte, ich hatte auch in der letzten Zeit nicht regelmäßig und schon gar nicht gehaltvoll gegessen. Ich war regelrecht ausgehungert und die junge Frau konnte froh sein, dass ich nicht auf Menschenfleisch stand und sie etwas zu Essen da hatte. Irgendwas machte mich an dieser Sina nervös. Ich konnte nicht den Finger drauf legen, doch mein Instinkt sagte mir, dass irgendwas anders war an ihr und damit meinte ich nicht nur ihre völlig fehlende Angst vor mir. Als ich die eiligen Schritte meiner mehr oder weniger unfreiwilligen Gastgeberin zurückkommen hörte, schluckte ich den Geifer herunter und versuchte mich relativ erfolglos aufzurichten. Da kam Sina auch schon wieder in den Raum, stellte einen dampfenden Teller Suppe und ein Stück Brot auf den Nachttisch neben dem Kopfende des Bettes und half mir ohne zu zögern beim aufsetzen. Mein Körper spannte sich automatisch an, verband ich doch Berührungen mit Schmerzen. Dieses Mädchen übersah gekonnt alles Warnzeichen und hätte ich durch ihre Hilfe nicht tief in ihrer Schuld gestanden, so hätte ich für nichts garantieren können. Auch so, hatte sie es nur meiner momentanen Schwäche zu verdanken, dass ich ihre Hand nicht grob zur Seite schlug oder sie anfuhr, sie solle ihre Finger von mir lassen. Als sie das Kissen hinter meinem Rücken richtig platziert hatte, setzte Sina mir vorsichtig den Teller Suppe auf die Bettdecke und legte das Brot dazu. Endlich schien sie es kapiert zu haben, dass ich gerne einen Sicherheitsabstand zu allen Leuten hatte, denn sie setzte sich wieder auf den Stuhl, der immer noch gut einen Meter vom Bett entfernt stand. Sie zog die Beine auf die Sitzfläche, legte das Kinn auf die Knie und beobachtete mich beim Essen. Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass meine Hände zitterten und ich die Suppe und das Brot förmlich herunter schlang. Dass ich damit nicht gerade manierlich as, schlürfte und die Bettdecke mit Suppe bekleckerte war geradezu vorprogrammiert. Mir fiel dies jedoch erst auf, als der Teller leer und auch der letzte Krümel Brot in meinem Mund verschwunden war. „Noch einen Teller?“, fragte Sina, wieder mit diesem belustigten Lächeln auf den Lippen. Langsam gewöhnte ich mich an ihre Gesellschaft und gegen meinen Willen bildete sich auf meinem Gesicht ebenfalls ein winziges Lächeln, während ich den Kopf schüttelte. Mir war warm, die Schmerzen hielten sich in ertragbaren Grenzen und mein Bauch war voll. Was wollte ich mehr? Antworten! „Wie bin ich hierher gekommen und wo ist ´hier´ überhaupt? Und wieso zur Hölle hilfst du mir? Du kennst mich nicht, ich könnte ein psychopatischer Massenmörder sein!“, fragte ich einfach drauf los. Vielleicht nicht die beste Taktik, aber ich war noch nie jemand, der lange um den heißen Brei herum redete. Geduld und Überlegtheit waren keine Stärken der Werwölfe. Unser Volk war schon immer vom Instinkt geleitet und gerade um Vollmond herum waren die Werwölfe leicht zu reizen und aggressiv. Das war es zum Großteil auch, was mir letzte Nacht beinahe das Leben gekostet hatte. Unter anderen Umständen hätte ich mich vielleicht mit den anderen Werwölfen nur geprügelt oder mit Geknurre und Drohungen die Grenzen abgesteckt, doch im Rausch des Vollmonds war die Auseinandersetzung ausgeartet. „Das sind aber viele Fragen. Nun, du bist einen Kilometer von deinem Fundort und fünf Kilometer von der nächsten Stadt Siedertrop. Das hier ist das Haus meiner Familie, doch meine Eltern und vier Geschwister sind im Moment auf einer Tagung und kommen erst in ein paar Tagen wieder.“, erzählte Sina und beantwortete so wenigstens einige meiner Fragen. Jetzt wusste ich wo ich war und dass mich ihre Familie, wie auch immer, hier her gebracht hatte. Wieso sie nicht einen Krankenwagen gerufen hatte, entzog sich meiner Kenntnis. Doch was sollte man auch mit einem Mann machen, der sich eindeutig geprügelt hatte und fast daran krepierte? Ganz koscher konnte das natürlich nicht sein. Und gerade das müsste ihre Familie doch davon abhalten, Sina hier alleine mit ihm zu lassen. „Hast du denn keine Angst? Und was hast du alleine im Wald gemacht?“, fragte ich verwundert, denn langsam wurde ich neugierig. Meine Lebensgeister waren dabei wieder aufzuerstehen und damit kam das Interesse an meiner Umwelt zurück. Immerhin war es auch lebensnotwenig zu wissen, was um mich herum vor ging und nach gestern Nacht war ich noch leicht paranoid. So zuckte ich auch zusammen, als die junge Frau die Füße auf den Boden setzte und sich vorbeugte. Sofort hielt sie in ihrer Bewegung inne und ich entspannte mich wieder etwas. „Du bist ganz schön neugierig, Thomas. Ich mache gerne Ausflüge in den nächtlichen Wald. Angst habe ich weder vor dir noch vor dem was mir dort begegnen könnte, denn ich kann mich wehren.“, erklärte Sina stolz und ich fragte mich, was sie eigentlich anstelle von Ausflüge in dem Satz sagen wollte, denn die Pause vor dem Wort war nicht zu überhören gewesen. Das sie annahm sich wehren zu können, belustigte mich. Ein wölfisches Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus. Wenn mir es nur ein bisschen besser ginge, hätte ich ihr eine Demonstration von ihrer eigenen Hilflosigkeit gegeben. Doch trotz meiner beschleunigten Heilkraft, fühlte ich mich nicht gut genug dafür. Sollte mich die junge Frau angreifen oder irgendjemand sonst, würde ich es wohl schaffen mich aus diesem Bett zu erheben, doch solange ich es nicht musste, hielten mich die Schmerzen davon ab. „Was machst du auf diesen Ausflügen?“, fragte ich vorsichtig. Einerseits musste ich es wirklich wissen, denn die Unwissenheit ließ mich unruhig werden. Andererseits genoss ich langsam dieses Gespräch, so irreal die Situation auch war. Aber was war seit der Infektion mit dem Werwolfsgen bei mir schon normal? „Was ich auf den Ausflügen mache? Jagen.“, erklärte Sina verschmitzt und ihre scharfen Eckzähne lugten bei dem darauf folgendem Lächeln unter ihren Lippen hervor. ----------------------------------------------------------- *unauffällig auf Reviewbutton zeig* Würde mich freuen, wenn ihr mir einen Kommentar dalasst ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)