Hochseilballerina von Ekolabine ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Tap. Tap. Tap. Meine Schritte knirschen auf dem Stroh. Es liegt hier überall auf dem Boden. Langsam schreite ich durch die Dunkelheit, auf das Ende dieses Tunnels zu. Ich sehe ein Licht ganz dort hinten. Nähre mich ihm langsam, doch dorthin will ich nicht. Immer noch knirschen meine Ballerinas auf dem Stroh. Mein Körper ist in ein hautenges Kostüm gezwängt. Jedes Gramm zu fiel sieht man hier. Langsam nimmt die Geräuschkulisse zu. Gemurmel, Gelächter… Ohs und Ahs. Aus allen Reihen. Wie sie freudig alles kommentieren. Lachen, jubeln, ihre Arme erheben. Will ich das? Mir ist schlecht. Vielleicht hätte ich mich nicht vor ein paar Minuten noch auf dem Klo übergeben sollen. Aber so bin ich leichter. Biegsamer. Wundersamer. Tap. Tap. Tap. Jubel, Trubel, Heiterkeit. Komm‘ in den Zirkus. Hier erlebst du Wunderwelt. Artisten mit komischen Talenten, Spaßmacher mit heiteren Witzen. Komm‘ herein. Setz‘ dich. Friss Popcorn bis dir schlecht wird. Ich nähre mich dem Licht. Eine Hand klopft mir noch einmal auf die Schulter. Ein „Streng dich an“ wird mir leise ins Ohr geraunt. Schon geht es los. Ich beginne meine Schritte zu beschleunigen. Der Direktor kündigt mich an. Krampfhaft verziehe ich meine Muskeln zu einem Lächeln. Schmerzhaft beißen meine Zähne aufeinander. Jetzt bin ich drin. Lachend winke ich den Kindern in ersten und letzten Reihen zu. Laufe in der Manege umher, vollführe dabei einen Salto. Ein leichtes für ein Fliegengewicht wie mich. Dann geht es schon los. Mit tosender Stimme verkündet der Direktor, dass ich mich nun in gewaltige Höhe begebe. Langsam befolge ich seine Anweisungen. Stufe für Stufe erklimme ich die Leiter. Höher, immer höher. So lange bis mir schlecht wird. So schlecht. Doch mein Magen ist leer. Es wird wieder kein Missgeschick passieren. Nun stehe ich hier. Blicke strahlend zu dem wartenden Publikum. Pose hier. Pose da. Sie sind nun still. Wartend. Lauernd sitzen sie alle da. Sie haben bezahlt. Wollen jetzt für ihr Geld was sehen. Vielleicht falle ich ja runter. Breche mir alle Knochen. Bin gelähmt mein restliches Leben lang. Leicht gesichert nur mit einem feinen, fast unsichtbaren Seil. Kein auffangendes Netz am Boden, denn dass würde nur die Spannung rauben. Erster Schritt auf das wacklige Seil. Zweiter Schritt. Balancierschirm in der Hand. Wieso weiß denn keiner, dass ich das nicht will? Hocke. Wieso weiß keiner, dass ich für diesen federleichten Körper täglich kotze? Drehung. Wieso weiß keiner, dass ich Höhenangst habe? Alpträume jede Nacht? Leichtes Wippen zur Spannungssteigerung. Und warum nur, tue ich mir das trotzdem immer wieder an? Für wen? Für einen Vater, dem das Wort Familie fremd ist? Halt wieder bekommen. Erleichterte Ahs und Ohs. Tue ich es heute? Keiner weiß es. Von meiner Tat letzte Nacht. Immer wenn ich verheult nachts aufwache, schleiche ich zu den Sicherungsseilen und fange an die meine leicht anzuschneiden. Nur ein paar Schnitte. Bei Gebrauch würden sie sicherlich reißen. Wozu weiterleben? Ich suche fieberhaft den Grund, doch er will mir nicht einfallen. Leichter Sprung. Erschrockene Aufschreie. Tränenüberströmt blicke ich hinauf. Blicke dorthin, wo ein Himmel sein sollte. Es ist okay. Ich falle. Nach dem Unfall im Zirkus Kuntibuntios sind die Veranstalter sowie alle Artisten tief betroffen von dem Unfall. Ihre junge, bildhübsche Hochseiltänzerin war bei einem Auftritt gestürzt und dabei auf dem Boden aufgeprallt. Schädeldecke geplatzt. Sicherungsseile waren angeschnitten. Ein Attentat oder Selbstmord? Viele der anwesenden Kinder sowie Eltern müssen nun nach dem Vorfall eine psychiatrische Behandlung aufsuchen. Zuschauer der ersten Reihen mussten für das verspritzte Blut auf der Kleidung entschädigt werden. Insgesamt hat der Direktor diese Saison einen Verlust eingefahren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)