Blutige Lilie von Saedy (Der See des Vergessens) ================================================================================ Kapitel 8: Kugelige Überraschung -------------------------------- Am folgenden Montagabend wurde wie geplant der vorgetäuschte Drogendeal durchgeführt, wobei Jonouchi den aktiven Part übernahm, während seine Kollegen im Hintergrund Stellung bezogen, um im richtigen Moment eingreifen zu können. Über einen Informanten hatten sie erfahren, dass dieses Mal der Boss der Drogenbande persönlich anwesend sein würde. Der Deal fand im Keller eines Spielkasinos statt. Seto Kaiba stand in Zivilkleidung am Hinterausgang des Kellers Wache und hoffte, dass niemand hier vorbeikommen würde. Sollte doch jemand auf den Gedanken kommen, diese Tür zu benutzen, würde er einfach so tun, als sei er ein Gast des Spielkasinos, der sich auf der Suche nach der Toilette verlaufen hatte. Aber wahrscheinlich würde die Sache sowieso so schnell vorbei sein, dass er sich darüber keine Sorgen mehr machen musste. Der junge Polizist widerstand der Versuchung, die Tür einen Spalt zu öffnen und durchzugucken, denn damit hätte er sich nur verraten, falls gerade jemand zur Tür schaute. Er würde über sein Funkgerät schon rechtzeitig Bescheid bekommen, wann es an der Zeit war, hineinzugehen und die Dealer in Gewahrsam zu nehmen, und zwar dann, wenn Jonouchi sein Kodewort fallen ließ. Kaiba wartete… und wartete und wartete. Wieso dauerte das so lange? Das konnte doch nicht mehr normal sein. Vielleicht sollte er doch mal vorsichtig durch die Tür linsen? Er war gerade noch am zweifeln, als plötzlich hinter ihm eine Stimme und ein Klacken ertönte: “So, jetzt nimm mal schön die Hände hoch und dreh dich ganz langsam um!”, wurde er aufgefordert. Seto biss sich auf die Zunge, da war ja etwas ganz miserabel schief gegangen, wurde ihm klar. Er wandte sich um und blickte in den Lauf einer Pistole. Der Mann vor ihm kam nun auf ihn zu, klopfte seinen Körper ab und fand seine Waffe unter dem Jackett. “Ihr Bullen seid doch so dumm”, bemerkte der Fremde. “Und jetzt sag Lebewohl.” Der Mann hob die Waffe und zielte auf Setos Kopf. Jener schluckte krampfhaft. Sollte das schon sein Ende sein? Das konnte doch nicht sein, immerhin war er erst 23 Jahre alt und hatte noch praktisch sein ganzes Leben vor sich. Normalerweise war er kein ängstlicher Mensch, doch jetzt zitterte er, da er wusste, dass ihm hier niemand mehr heraushelfen konnte, wenn nicht ein Wunder geschah. Kaiba zuckte zusammen und kniff die Augen zu, als ein dumpfer, kaum hörbarer, Schuss erklang. Im nächsten Moment öffnete er verwirrt die Augen, denn er begriff, dass er nicht verletzt war und starrte erstaunt auf den am Boden liegenden Mann, der ihn eben noch erschießen wollte und den es jetzt offensichtlich selbst erwischt hatte. Der junge Polizist blickte auf und entdeckte weiter vorne auf dem Gang die Gestalt eines zierlichen Mannes in einem pechschwarzen Anzug und ebenso schwarzer Sturmmaske, der nun mit gehobener Pistole auf ihn zukam. Was ging hier vor? Bekriegten sich hier zwei unterschiedliche Verbrecherbanden? Wenn ja, dann hatte Kaiba gerade erleichtert aufgeatmet, nur um von dem nächsten erschossen zu werden. Es sein denn, dieser wäre nicht besonders schlau und wusste nicht, dass er Polizist war, dann könnte er ihn vielleicht überzeugen, lediglich ein Gast zu sein, der sich verlaufen hatte. Doch die dunkle Gestalt kümmerte sich zu seinem Erstaunen nicht weiter um ihn und drängte sich einfach an ihm vorbei, sorgte lediglich dafür, dass er ihn nicht behinderte. Dabei ließ er eine Kugel fallen, ehe er durch die Hintertür den Keller betrat. Kaiba dachte im ersten Moment an eine Bombe, stellte aber schnell fest, dass es sich lediglich um eine Kugel aus Holz handelte. Sich darüber zu wundern, hatte er aber keine Zeit, steckte die Kugel einfach in die Tasche und folgte seinem unbekannten Retter, der kein Wort an ihn verloren hatte. Im nächsten Moment hielt er hustend den Ärmel vor sein Gesicht, offensichtlich hatte jemand eine Rauchbombe fallen lassen. Sehen konnte er gar nichts. Doch dafür umso mehr hören, denn es war ein ganz schönes Gerangel im Gange. Jemand fluchte, andere riefen Befehle durcheinander oder stießen gegeneinander oder gegen irgendwelche Möbel. In diesem Moment hörte er durch den Funkempfänger Jonouchi das Kodewort sprechen. Wenigstens würde jetzt die Verstärkung den Keller stürmen. Das alles war ja in einem Desaster geendet. Doch warum? Aber für Fragen war jetzt keine Zeit. Als sich der Rauch nach scheinbar etlichen Minuten endlich ein wenig gelichtet hatte, sah Kaiba jemanden am Boden liegen, einige andere Personen standen um ihn herum und keiner schien zu wissen, was los war. Auch Jonouchi stand verwirrt am Rande. Plötzlich rempelte ihn jemand von der Seite an, den er zuvor gar nicht gesehen hatte und stürmte auf den Hinterausgang zu. Kaiba verfluchte sich innerlich, seine Pflicht in dem Getümmel vergessen zu haben, und folgte dem Flüchtling. Er rannte die Treppe hoch, kam an zwei auf dem Boden liegenden Kollegen vorbei und riss die Notausgangstür im Erdgeschoss auf. Leider konnte er nur noch einen schwarzen Schemen flüchten sehen. Als Kaiba wieder im Keller ankam, war die ganze Sache schon vorbei. Die Kollegen hatten die Dealer gestellt und waren dabei, sie in Handschellen zu legen. Nur eine Gestalt rührte sich immer noch nicht und blieb weiterhin am Boden liegen. Es handelte sich um den Boss der Drogenbande, wie Kaiba bei näherem Hinsehen feststellte. “Er ist tot”, verkündete sein Kollege Yamamoto, nachdem er den Puls gefühlt hatte. Jetzt entdeckte Kaiba auch das Blut am Körper des Mannes und die Einschussstelle in der Brust. Was war hier nur geschehen? Wie hatte diese gut vorbereitete Aktion in einem solchen Desaster enden können? “Was genau ist passiert?”, fragte Kaiba. “Das müssten Sie doch eigentlich am besten wissen. Schließlich kam der Typ zur Hintertür herein, die Sie bewachen sollten”, blickte Yamamoto ihn vorwurfsvoll an. Kaiba warf ihm einen finsteren Blick zu und erklärte, wie der Schwarzgekleidete hereingekommen war. “Trotzdem, auch wenn man offensichtlich über unsere Aktion Bescheid wusste - woher, werden wir noch klären müssen - hätten Sie besser aufpassen müssen, dann wäre das erst gar nicht passiert. Das wird noch Konsequenzen für Sie haben.” “Yamamoto! Bevor Sie hier irgendjemandem Vorwürfe machen, sollten wir hier lieber erstmal für Ordnung sorgen und danach herausfinden, wie unsere Aktion bekannt geworden ist”, warf Rika Kawasaki ein, die gerade den Raum betreten hatte. “Jawohl Chefin”, meinte der leicht angesäuert. Kaiba hatte er noch nie leiden können und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Nun, zumindest hatten sie ihr Ziel erreicht, den Drogenboss und einen Teil seiner Bande zu überführen, wenn auch etwas anders, als erwartet, dachte Kaiba. Plötzlich erinnerte er sich der Holzkugel in seiner Tasche und zog sie hervor. Sie war ungefähr so groß wie eine Faust und besaß in der Mitte einen Schlitz wo man sie wahrscheinlich öffnen konnte. Er war aber nicht so dumm, das ohne vorherige Untersuchung zu tun, denn auch wenn es sich nicht um eine Bombe handelte, konnte dort drin zum Beispiel Gift sein oder ein wichtiges Beweismittel. Doch warum der mysteriöse Schwarzgekleidete eine solch seltsame Kugel hinterlassen hatte, konnte Kaiba sich beim besten Willen nicht vorstellen. Er zeigte die Kugel seinen Kollegen und wollte sie gerade eintüten, als er versehentlich eine Stelle berührte, die unter seinem Finger nachgab. Plötzlich öffnete sich das Teil und Kaiba erschrak sich fast zu Tode, als ihm etwas ins Gesicht sprang. Verblüfft guckte er auf eine, an einer Sprungfeder befestigte, violette Lilie. In diesem Moment, als ihm klar wurde, wer der Schwarzgekleidete offensichtlich gewesen war, lief es ihm heiß und kalt den Rücken hinunter. Einige seiner Kollegen hatten sich um ihn herum gestellt und guckten ebenfalls überrascht auf die Kugel. Als Kaiba genauer hinein blickte, entdeckte er einen kleinen, zusammengefalteten Zettel, nahm ihn heraus und öffnete ihn. “Für dich, mein süßer Polizist”, las Jonouchi verblüfft, der ihm über die Schulter gelinst hatte, die aus einer Zeitung herausgeschnittenen Buchstaben. Kaiba ballte verärgert die Hand zur Faust. “Der Typ macht sich über uns lustig. Kein Wunder, immerhin führt er die Polizei schon seit Jahren an der Nase herum”, stellte er fest. “Aber wieso bezeichnet er Polizisten als süß? Er konnte ja nicht wissen, dass du da sein würdest”, meinte Jonouchi. “Willst du damit etwa sagen, ich sei süß?”, brauste Kaiba auf und wandte sich mit drohend erhobener Faust dem blonden Kollegen zu. “Nein, wie käme ich denn dazu”, hob Jonouchi abwehrend die Hände. “Aber wenn Violette doch nicht wusste, wer seine Kugel bekommen würde, dann hat er damit ja mal alle Polizisten pauschal als süß bezeichnet, oder nicht?”, wunderte er sich. “Ach, du bist so blöd, Jonouchi”, meinte Kaiba verärgert und steckte den Zettel wieder in die Kugel. “Nein, so blöd ist das gar nicht”, wandte Kawasaki ein. “Überlegen Sie doch mal: Würde ein Auftragskiller wie Violette - gesetzt dem Fall, es handelt sich nicht um einen Nachahmungstäter - alle Polizisten als süß bezeichnen, egal, wer seine Kugel bekommt? Also bliebe nur der Schluss, dass er wusste, wer hier sein würde. Das heißt, nicht nur diese andere Bande - wahrscheinlich auch Drogendealer - waren über unsere Anwesenheit aufgeklärt, sondern auch Violette, und zwar nicht nur darüber, dass wir da sein würden, sondern auch genau, wer. Und es wurden ja schon früher Profile von Polizeipsychologen aufgestellt, wo vermutet wird, dass Violette auf Männer steht.” “Er hat mir das Leben gerettet”, stellte Kaiba nun, blass werdend, fest. “Das hätte er nicht tun brauchen. Er hätte einfach abwarten können, bis ich erschossen worden wäre und sich dann dem Bandenmitglied zuwenden können. Stattdessen hat er mich nicht mal beachtet, mal abgesehen davon, dass er mich beiseite gestoßen und mir die Kugel zugerollt hat.” “Stimmt. Warum hat er das getan? Da stellen sich interessante Fragen auf, wie zum Beispiel, ob Violette in irgendeiner Beziehung zu Ihnen steht”, stimmte Kawasaki zu. “In Beziehung zu mir? Also jetzt gehen Sie mit Ihren Vermutungen aber zu weit”, wandte Kaiba ab. “Vielleicht”, gab Kawasaki zu. “Hey”, legte Jonouchi ihm eine Hand auf die Schulter und grinste. “Vielleicht hat Violette uns ja ausspioniert. Dabei bist du ihm dann aufgefallen und er hat sich in dich verknallt.” “Quatsch nicht, du Affe”, wischte Kaiba ärgerlich die Hand von seiner Schulter. Wenn Jonouchi nicht indirekt dafür verantwortlich gewesen wäre, dass er mit Atemu zusammen gekommen war, indem er sie und einige Freunde damals mit auf einen Skiurlaub genommen hatte, wäre sicher schon ein offener Streit zwischen den beiden ausgebrochen. Und natürlich hielt sich Kaiba auch zurück, weil sie Kollegen waren. Hätte er allerdings geahnt, dass er in Zukunft den Spitznamen “Violettes Liebling” auf dem Polizeirevier bekommen würde, hätte er sich vielleicht nicht mehr so gut beherrschen können. Nachdem die Drogendealer abgeführt worden waren, fanden sich die Beamten des Polizeireviers noch zu einer abendlichen Abschlussbesprechung ein. Dabei kam man zu einem sicheren Schluss: Irgendjemand hatte ihre Aktion verraten. Ihr Informant würde es kaum gewesen sein, denn davon hätte er nichts, im Gegenteil. Also konnte der Verräter nur ein Polizist sein. Irgendjemand, der sich hatte bestechen lassen und wahrscheinlich auch in Drogengeschäfte verwickelt war. Außerdem hatte es jemand auf den Boss der Dealer abgesehen gehabt und Violette beauftragt. Dabei konnte es sich nur um eine rivalisierende Bande handeln. Doch wenn diese von der Polizeiaktion gewusst hatte, warum hatte sie nicht einfach abgewartet, dass sie festnahmen und stattdessen einen Killer beauftragt? Die Antwort konnte nur sein, dass sie aus irgendeinem Grund hatten sicherstellen wollen, dass der Boss der rivalisierenden Dealerbande nichts ausplauderte. Und zur Sicherheit hatten sie nicht nur Violette geschickt, sondern auch noch einen ihrer Leute. Doch warum hatte Violette dann jemanden, der zu seinen Aufraggebern gehörte, erschossen? Fest stand jedenfalls, dass der Verräter unter ihnen gestellt werden musste und dass ihr Informant nun unbedingt Personenschutz brauchte. Zu diesem Zweck wurden erstmal zwei Beamte von der Nachtschicht abgestellt. In den nächsten Tagen sollten dann Kaiba und Jonouchi dies übernehmen. Na toll, dachte sich Kaiba angesäuert auf diesen Auftrag hin. Wahrscheinlich hielt man ihn doch für unfähig, dass man ihn jetzt für diese dumme Arbeit einteilte. Spät in der Nacht kam Seto nach Hause und war so fertig, dass er nicht mal seinen Taschenschirm aufspannte, als es anfing zu regnen. Doch es waren auch nur ein paar Schritte vom Parkplatz bis zum Haus. Drinnen ließ er alles stehen und liegen und aß nur einen kleinen Snack, um danach einfach neben einem selig schlafenden Atemu ins Bett zu fallen. Bevor ihm die Augen zufielen, nutzte er allerdings noch die Gelegenheit, sich näher an die Wärmequelle anzukuscheln, wobei sein Freund ein leises Murren von sich gab, aber nicht aufzuwachen schien. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)