Götterdämmerung von Knispell (Wenn die Unsterblichen wiederkehren...) ================================================================================ Prolog: Prologue. ----------------- . . . Erschöpft stützte sie sich auf ihren Stock aus knorrigem alten Holz, der fast so groß war wie sie selbst. Nach mehreren Stunden Wanderschaft war sie endlich an ihrem Ziel angekommen, einer kleinen, selbstgebauten Hütte, die abseits von jeder menschlichen Zivilisation lag. Schon vor Jahren hatte sie sie gebaut, als sie noch jung und kräftig gewesen war und gerade erst diese entlegene Gegend gefunden hatte, in der sie ihr Leben verbringen wollte, fern von all den Menschen, deren Köpfe mit Gedanken an die neuen Götter verpestet waren. Die Menschen, die den alten Göttern abgeschworen hatten und sich neuen zuwandten, ohne zurückzublicken, die vergaßen, was die wahren Unsterblichen für sie getan hatten, die ihnen ohne ein Wort des Dankes den Rücken gekehrt hatten, weil sie dachten, die Götter hätten sie im Stich gelassen. Dabei waren sie nur mit ihren ganz eigenen Problemen beschäftigt gewesen, die ihre meiste Zeit in Anspruch nahmen. Mit den Jahrhunderten hatten sie Fehler begangen, die sie unter sich klären und ausmerzen mussten, was nun mal mehrere Jahre beanspruchte. In dieser Zeit hatten sich die meisten dieser gottlosen Menschen von ihnen abgewandt und dies hatte ihr nur bestätigt, wie leichtgläubig diese Idioten waren. Wegen eines Mannes, der behauptete, die Götter seien von ihnen gegangen, hatten sich alle nach dem Strom gerichtet und waren dabei, die Alten zu vergessen. Sie hatte Schutz vor dieser Narretei gesucht und war hierher gelangt. Hier, so hatte sie sich geschworen, würde sie ihr Leben fristen. Verborgen im dichten Wald vor den Augen Neugieriger und geschützt vor den Blicken der nur noch selten vorkommenden Kentauren, die einige Kilometer östlich von hier lebten. Die Menschen glaubten gar nicht mehr an die Existenz dieser einzigartigen Wesen, hielten sie für Mythen oder Legenden, von denen irgendein Betrunkener glaubte, sie gesehen zu haben. Obwohl es noch um die 70 von ihnen geben müsste, die sich mit ihren Söhnen dort verborgen hielten. Einmal, erzählte man sich, waren sie ein stolzes und kriegerisches Volk, im Moment waren sie jedoch nichts anderes als ein paar zurückgezogene Flüchtlinge, die um ihr Dasein bangten. Die Menschen machten Märchen für ihre Kinder aus ihnen, die sie den Kleinen abends am Bett erzählten oder sie drohten damit, sie zu ihnen zu schicken, wenn ihre Nachkommen nicht artiger sein sollten, denn die Kentauren galten bei den Menschen als hirnverbrannte Barbaren und als lüsterne Frauenschänder, die sie auch wirklich einmal gewesen waren, doch diese Zeiten waren schon lange vorbei. Sie wusste es besser, sie hatte die Männer mit dem Oberkörper eines Mannes und dem Leib eines Pferdes schon öfters gesehen. Immer, wenn es Krankheitsfälle gab, wurde sie zu ihnen gerufen, denn sie war die einzige Person hier in der Nähe, die sich mit den Geheimnissen der Kräuter auskannte und den armen Kreaturen helfen konnte. Zum Dank wurde sie manchmal abends von ihnen an ihre Lagerfeuer eingeladen, denn etwas besseres konnten sie ihr nicht anbieten und noch nie hatte sie etwas anderes von ihnen verlangt, doch sie war dankbar für das gebratene Ziegenfleisch, das sie dort bekam. Der Wein war herb und jung, die Stimmung immer gut, auch wenn es einen Toten zu betrauern gab. Auch dieses Volk hatte eine sehr alte Kultur, die sie zwar nicht mehr so pflegen konnten wie noch vor hundert Jahren, aber sie wurde im kleinen Kreise immer noch ausgelebt. Sie sangen alte Balladen und Lieder über große Schlachten, über die Heldentode vieler mutiger Krieger ihres Volkes und dem der Menschen, über die Götter und deren Eltern und Kinder. Auch ihre wenigen Söhne erzogen sie nach den alten Regeln, mit all den Riten, die sie von ihren Vorfahren erlernten, die von Generation zu Generation weitergegeben worden waren und nun langsam in Vergessenheit gerieten. Manchmal hatte sie das Gefühl, sich an Zeiten zu erinnern, an denen es noch Tausende von ihnen gab, als sie große Schlachten geschlagen, für ihr Volk eingestanden und dem Pferdegott gedient hatten. Zeiten, in denen sie mit Menschen verkehrten und sich nicht versteckt hielten, weil sie sich vor ihrer Ausrottung fürchteten, in denen sie Seite an Seite mit dem sagenumwobenen Volk der Amazonen kämpften, das ihnen ihre Kinder schenkte. Doch das war nicht möglich. Diese Zeiten lagen weit in der Vergangenheit, fern von dieser Zeit. Sie war nur ein Mensch und ebenso vergänglich wie alles Leben auf dieser Welt. Wie alt war sie? Sie konnte es nicht genau sagen, viel zu schnell vergaß man die Zeit, wenn man in der Einsamkeit lebte. Für sie gab es zwei Möglichkeiten, um diese seltsamen Anstürmungen von Bildern zu erklären. Die erste war, dass sie vor lauter Abgeschiedenheit verrückt geworden war und die zweite, dass sie eine Art Seherin war. Einst solle es ja Priesterinnen gegeben haben, die in die Zukunft blicken konnten, möglicherweise konnte sie ja in die Vergangenheit sehen. Zwar hatte sie das noch nie gehört, doch unmöglich wäre es nicht. Sie träumte von Menschen, Göttern und deren Liebschaften, von Kriegen zwischen Städten und Ländern, vom Olymp, dem heiligen Berg, von Nymphen, Sirenen, Musen und Kyklopen. Manchmal sah sie die Giganten, die Titanen oder Chaos selbst, Gaia, die Erde, Uranos, den Himmel und andere, fast in den Strudel der Vergessenheit geratene Dinge. Langsam schweifte ihr Blick zum Himmel; die Sonne würde bald wieder hinter den Bäumen versinken, sie sollte sich beeilen. Noch einmal holte sie tief Luft, um wieder zu Atem zu kommen. Eine ihrer vom Alter gezeichneten Hände ergriff das schlichte graue Gewand, um es ein wenig anzuheben, damit sie nicht stolperte und mit der anderen stützte sie sich auf den Stock. Wenn sie heute Nacht nicht jämmerlich erfrieren wollte, müsste sie sich bald ein Feuer machen und sich vielleicht etwas Essen kochen. Natürlich dürfte sie nicht vergessen, ihre geliebten Tiere zu füttern. Schon seit jeher empfand sie eine unbeschreibliche Liebe für die Geschöpfe des Waldes und nie könnte sie es über sich bringen, eines mutwillig zu töten. Das tat sie nur, wenn das Tier große Schmerzen litt und sie nichts mehr für sein Wohlsein tun konnte oder um es vor einem schlimmeren Schicksal zu bewahren. Sie wusste nicht, woher diese unendliche Liebe kam oder warum sie sie empfand; sie war einfach da, solange sie sich erinnern konnte. Für diese Liebe hatte sie auf die Nähe der Frauen und ganz besonders der Männer verzichtet, sich ganz dem Wald und dessen Bewohnern hingegeben. Heute hatte sie einen abgemagerten Hasen gefunden, der sich ein Bein gebrochen hatte und nicht mehr von der Stelle kam. Daraus würde sie sich eine Suppe kochen, die sicher noch für morgen ausreichen würde. Völlig entkräftet stieß sie die Tür zu ihrer Hütte auf und schlug sie auch lautstark wieder zu, nachdem sie eingetreten war. Die Einrichtung war sehr schlicht. Links standen ein grob zusammen gezimmerter Tisch und ein nicht sehr stabil aussehender Stuhl, rechts befand sich ein kleines Bett mit einer großen klobigen Truhe am Fußende und geradezu eine offene Feuerstelle mit einem großen Kessel unter dem einzigen Fenster, das mit Hirschkuhleder verhängt war. Es wurde langsam dunkel, also machte sie sich daran, das Feuer und die Suppe vorzubereiten. Während ihre Hände wie von selbst arbeiteten, den Hasen ausnahmen und zubereiteten, schweifte sie mit den Gedanken wieder ab, diesmal zum stolzen Volk der Amazonen. Sie waren schon etwas Besonderes, diese Frauen. Nirgendwo auf der Welt gab es Frauen, die auf ähnliche Art und Weise lebten wie sie. Es wäre auch ein großes Wunder, wenn die Schutzgöttin der Ehe so etwas ein weiteres Mal geduldet hätte. Sie ritten und kämpften besser als die meisten Männer, hielten sich eben jene als Sklaven und vereinigten sich mit ihnen, ohne dass auch nur eine einzige von ihnen verheiratet gewesen wäre. Sie lebten ohne die Abhängigkeit vom anderen Geschlecht und deswegen bewunderte sie diese Frauen. Diese Selbstständigkeit. Andere Frauen, die ihre Männer von morgens bis abends bekochten und bedienten, mit ihnen das Lager teilten, ihnen ihre Kinder gebaren und dies alles für selbstverständlich hielten und behaupteten, dies sei das wahre Schicksal einer Frau, hatten keine Ahnung, was leben bedeutet. Sie wurden zu einer Ehe gezwungen, doch wenn dies einer Amazone geschah, war das die größte Schande, noch schlimmer, als wenn man vor einem ehrlichen Kampf davonrannte. Die verweichlichten Frauen, die abends am Herd warteten, hielten die Amazonen für unmenschliche Mannsweiber, die Götter nicht achteten, weder die alten, noch die neuen und für die Kriegerinnen hingegen war es unbegreiflich, wie man sich einem Mann verpflichten konnte. Die Namen der großen Königinnen Penthesilea und Antiope kamen ihr plötzlich in den Sinn, warum, das wusste sie nicht. Auch Kassandra, die Schwester des Hektor, die den Untergang Trojas vorhersagte, war eine Zeit lang mit ihnen geritten. Es wunderte sie auch so schon, dass die Gemahlin des Königs der Götter dieses Volk geduldet hatte, doch es musste schon einen Grund geben. Mit einem Mal waren die Bilder verschwunden. Vor ihr köchelte die Suppe im Kessel und verbreitete einen angenehmen Duft in dem kleinen Raum. Jetzt musste sie nur noch ihre Lieblinge versorgen, dann war sie fertig für heute. Draußen machte sie sich sofort an die Arbeit. Aufgeregt eilte sie hinter die Hütte, um einen Sack voll Eicheln zu holen, die sie im letzten Herbst unter großer Anstrengung gesammelt hatte. Es hatte sie ziemlich viel Zeit gekostet. Mal wieder drängten sich ihr die Fragen in den Sinn, die sie schon immer verfolgt hatten und auf die sie vor geraumer Zeit schon mal eine Antwort gehabt hatte. Besitzt ein Mensch die Macht, sich von Grund auf zu ändern? Seine Vorlieben, seine Gefühle für andere Wesen, seien es Sterbliche oder Unsterbliche, seinen ganzen Charakter neu zu erschaffen? Dinge, die er verabscheute, plötzlich zu lieben, von einen Tag auf den anderen einem anderen Gott zu dienen und zu huldigen, als dem, dem er sein Leben gewidmet hat? Sind Menschen dazu fähig, Kinder, die sie auf die Welt gebracht und geliebt haben, zu verstoßen? Können sie den Menschen, mit dem sie glücklich sind, wegen eines anderen verlassen? Bringen sie es fertig, einen langjährigen Kampgefährten und Freund umzubringen? Sich für etwas aufzuopfern, was ihnen nie etwas bedeutet hat? Können sie sich zu so etwas zwingen? Die Antwort wurde seit Jahren immer klarer, kam in ihren alten, zerrütteten Geist zurück, der schon zu lange auf die Rückkehr gewartet hatte. Nein, das vermögen nur die Götter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)