Suffer...until you're dead von Teddy24 ================================================================================ Kapitel 5: Panik ---------------- Vorhang auf für das fünfte Kapitel^^. Viel Spaß beim Lesen. Ich entschuldige mich schon mal im Voraus für den wirklich unkreativen Namen des Modehauses, aber ich wollte keinen Laden nehmen, den es wirklich gibt und da hatte ich echt Probleme, einen Namen zu finden^^. __________ 5. KAPITEL: PANIK Die Wochen vergingen wie im Flug und allmählich stellte sich bei mir wieder so etwas wie Normalität ein. Kaiba und ich koexistierten mehr oder weniger friedlich nebeneinander und schafften es, uns nur sehr selten in die Haare zu kriegen (nach wie vor ging mir seine kalte, arrogante Art auf die Nerven). Nach den ersten Tagen, in denen mein Handy in meiner Freizeit praktisch ohne Unterlass geklingelt hatte, weil entweder Eva oder Sonja etwas von mir wollten – Kaiba hatte bis jetzt noch nicht angerufen und dabei war er es gewesen, der auf das Handy bestanden hatte – gewöhnte ich mich langsam daran und zuckte nicht mehr jedes Mal zusammen, wenn das Ding losträllerte. Wie gesagt: Mein Leben verlief wieder mehr oder weniger normal und das seit nun mehr drei Jahren. Ich erwischte mich sogar dabei, dass ich immer weniger an meine alten Freunde zurück dachte und schämte mich dann jedes Mal deswegen. Nur weil ich jetzt wieder ein Leben hatte, konnte ich Sascha und Kerry doch nicht einfach so aus meinen Gedanken verbannen, oder? Aber im Grunde war ich viel zu glücklich, um mich deswegen wirklich zu quälen. Ich wagte sogar zu hoffen, dass jetzt alles einfacher werden würde, dass die Zeit der Angst endlich vorbei war, doch dabei vergaß ich, dass es niemals vorbei war, niemals vorbei sein konnte, auf Grund der Gegenstände, die ich auf meinem Dachboden versteckte. Nein, ich dachte nicht daran, ich war sozusagen geblendet vor Glück, mit anderen Worten ich war naiv und das nach all dem, was mir passiert war. So schrecklich naiv! Denn dann kam diese Geschäftsreise und der Ball und das war der Anfang vom Ende… „Haben Sie für morgen alles geregelt?“, fragte mich Kaiba und warf mir einen kurzen Blick zu, ehe er sich wieder seinem Computerbildschirm zuwandte. Echt, es war ein Wunder, dass er noch keine Brille brauchte, so lange wie er jeden Tag vorm Rechner hockte, war das doch geradezu ein tägliches Attentat auf seine Augen. „Natürlich. Wir fliegen morgen früh um acht hier los und werden so gegen zwei im Hotel erwartet, wo wir dann sogar noch die Möglichkeit haben, ein spätes Mittagessen zu bekommen, bevor dann um vier die Besprechungen anfangen“, erklärte ich, stolz darauf an alles gedacht zu haben. „Ich habe heute auch vorsichtshalber noch einmal angerufen, ob auch wirklich alles so klappt, wie es sollte.“ „Sehr gut, dann können Sie jetzt gehen. Ich nehme doch an, Sie müssen noch packen?“ „Ähm…ja“, gab ich zu und schielte auf meine Armbanduhr. Es war erst kurz nach sieben. Wow, das war ja richtig früh für Kaibas Verhältnisse! Eine Sensation! Aber immerhin hatte ich ja die letzten zwei Wochen schon jeden Tag bis acht oder neun gearbeitet, wegen der Geschäftsreise, für die noch dies und jenes hatte erledigt werden müssen. „Also, dann… Bis morgen.“ Ich wandte mich zur Tür um. „Und denken Sie daran auch Abendgarderobe einzupacken“, erinnerte mich mein Chef, als ich die Klinke schon in der Hand hatte. Ich erstarrte. Mein Stolz verpuffte in einem Rauchwölkchen. Wie in Zeitlupe drehte ich mich wieder zu ihm um. „Abendgarderobe?“, echote ich ungläubig, in der Hoffnung, mich vielleicht verhört zu haben. Kaiba warf mir einen ungeduldigen Blick zu. „Spreche ich chinesisch oder irgendeine andere Sprache, die Sie nicht verstehen.“ „Nein, nein“, versicherte ich eilig, „aber wieso Abendgarderobe?“ Ich rang immer noch um Fassung. Kaiba zog eine Augenbraue in die Höhe. „Für den Geschäftsball übermorgen? Vielleicht erinnern Sie sich noch, an die Einladung oder haben Sie sie wegen Überlastung aus ihrem Gedächtnis gestrichen?“ Oh, oh. Eins hatte ich in den vergangenen Wochen gelernt: Wenn Seto Kaiba anfing, derart gemein zu werden, stand er kurz davor die Geduld zu verlieren. Jetzt war Vorsicht angesagt. Allerdings war ich in meiner derzeitigen Verfassung alles andere als diplomatisch veranlagt. Es gab da nämlich ein Problem; ein sehr großes Problem… „Aber ich besitze keine Abendgarderobe“, platzte es aus mir heraus, was so ziemlich das Falsche war, was man in einer solchen Situation sagen konnte. „Wo soll ich denn heute noch etwas auftreiben?“ Für einen Moment, der mir wie eine Ewigkeit erschien, herrschte Stille, während der mich Kaiba einfach nur anstarrte und seine Augen sich immer mehr verengten. „Das. Ist. Jetzt. Nicht. Ihr. Ernst. Oder?“, fragte er schließlich, mit gefährlich ruhiger Stimme, deren Kälte mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Mein Schweigen schien ihm Antwort genug, denn er fuhr im gleichen Tonfall fort: „Sie wissen seit vier Wochen von dieser Geschäftsreise und seit drei Wochen von der Einladung zum Ball bei einem meiner wichtigsten Geschäftspartner und Sie wollen mir ernsthaft erzählen, dass sie es innerhalb dieser Zeit nicht geschafft haben, ein Kleid aufzutreiben?“ Wenn Blicke töten könnten… Ich schaffte es jedenfalls nicht, den eisigen Blitzen aus seinen Augen standzuhalten und senkte stattdessen den Kopf, wobei ich mich über mich selbst ärgerte, weil ich mir vorkam wie ein Kind, das für ein Vergehen getadelt wird. Bei dem Gedanken spürte ich, wie ich rot anlief, ob vor Wut oder Verlegenheit konnte ich jedoch nicht sagen. Wahrscheinlich war es ein bisschen von beidem. „Ich warte“, ließ sich Kaiba erneut vernehmen. Ich zögerte. „Ich mag weder Bälle noch andere Veranstaltungen in dieser Richtung, da hab ich die Einladung wohl erfolgreich verdrängt“, erwiderte ich schließlich, immer noch ohne aufzuschauen. Die Kälte, die Kaiba verströmte, war geradezu körperlich spürbar und aus irgendeinem Grund versetzte mir das einen schmerzhaften Stich in der Brust. „Ich hab es einfach vergessen. Kann doch jedem Mal passieren.“ „Falsch“, meinte Kaiba. „Ihnen darf so etwas nicht passieren. Sie sind meine Sekretärin.“ Als ich bei diesen Worten doch aufsah und seinem Blick begegnete, in dem ich außer der mörderischen Kälte auch so etwas wie Geringschätzung zu erkennen glaubte, loderte Zorn in mir auf, so als hätte jemand einen Schalter in meinem Kopf umgelegt. Plötzlich war die Wut da und strömte mit aller Macht aus mir heraus. Diesmal schaffte ich es, seinem Blick mit meinem standzuhalten, in dem zwar sehr viel weniger Kälte lag, dafür umso mehr Wut. „Was heißt hier, „Ihnen darf so etwas nicht passieren“?!“, fauchte ich, nicht in der Lage die Worte zu stoppen, die aus meinem Mund drangen. Doch sein Verhalten erinnerte mich so sehr an früher. Diesen Vorwurf, den er mir eben an den Kopf geworfen hatte, hatte ich schon einmal gehört. Damals hatte ich klein beigegeben, diesmal würde es anders laufen. „Ich bin immer noch ein Mensch, ob Sie das nun einsehen wollen oder nicht! Ich bin ein Mensch! Und Menschen machen Fehler! Warum scheine ich der einzige Mensch auf dieser Welt zu sein, bei dem das nicht gilt?! Warum bin ich die Einzige, bei der immer alles perfekt sein muss?!“ Meine Stimme wurde immer lauter und lauter. Ich hatte das Gefühl, mich selbst zu beobachten, unfähig in das Geschehen einzugreifen. Dabei wollte ich nichts von dem sagen, was da aus mir heraussprudelte. Schon gar nicht meinem Chef. Es gab viel zu viel von mir selbst Preis, von meinem wahren Ich, das ich all die Jahre über erfolgreich hinter einer mühsam errichteten Fassade versteckt hatte. Doch Kaibas Worte hatten Erinnerungen in mir wach gerüttelt. Erinnerungen an ein ganz ähnliches Gespräch, an dessen Ausgang ich mich nur zu gut erinnerte. Sie nagten an der Mauer, hinter der ich mich verkrochen hatte. Risse erschienen im Stein, von dem ich all die Jahre geglaubt hatte, er würde jedem Angriff standhalten. Kaiba hatte meinen Ausbruch wortlos über sich ergehen lassen, doch ihm war anzusehen, dass er seine beherrschte Miene nur mit Mühe beibehielt. Wahrscheinlich hatte ihn noch nie jemand dermaßen angebrüllt. Noch während mir dieser Gedanke durch den Kopf schoss, verpuffte meine Wut und verwandelte sich stattdessen in Ungewissheit. Ich versuchte an Kaibas Gesicht abzulesen, was er dachte, doch wie immer war das ein Ding der Unmöglichkeit. War ich zu weit gegangen? Was hatte ich mir überhaupt dabei gedacht? Jetzt, wo ich mich wieder einigermaßen gefasst und die Risse in meiner Maske wieder halbwegs geschlossen hatte, ging mir auf, wie bescheuert ich gewesen war. Einen Mann wie Seto Kaiba schrie man nicht an. Jedenfalls nicht, wenn man den Job behalten wollte, der einem endlich wieder ein vernünftiges Leben ermöglichte. Ich hatte schließlich schon angefangen mich nach einer größeren Wohnung umzusehen und jetzt hatte ich all das innerhalb weniger Sekunden zunichte gemacht. Er würde mich feuern. Ich würde hochkant aus der Firma fliegen. Kein Chef ließ sich von seinen Angestellten anbrüllen. Unsicher schielte ich zu Kaiba hinüber, der immer noch nichts gesagt hatte. Den Blick fest auf mich gerichtet stand er wie in Zeitlupe von seinem Schreibtischsessel auf und kam um den Tisch herum auf mich zu. Unwillkürlich wich ich zurück und stieß mit dem Rücken gegen die Wand, da ich ja sowieso schon an der Tür gestanden hatte. Was hatte er vor? Sein Blick war zornerfüllt, in diesem Zustand wäre er bestimmt zu allem Möglichen in der Lage gewesen… und wieder bekam die Wand in meinem Kopf Risse, die größer und größer wurden. Bilder stürzten auf mich ein und vor meinen Augen begann sich Kaiba, der immer noch auf mich zukam, zu verwandeln. Das eisige blau seiner Augen verschwand und machte einem grausamen violett Platz. Ich keuchte. Ich kannte diese Augen. Seine Haare verfärbten sich und wuchsen in die Länge, bis sie ihm wie Stacheln vom Kopf abstanden, das Gesicht wurde voller und runder. Mein eigener rasselnder Atem dröhnte laut in meinen Ohren, es war das einzige, was ich überhaupt hören konnte. Ich hatte mich nicht mehr unter Kontrolle. Mein Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei und als die Gestalt, die nun nichts mehr mit Kaiba gemein hatte, vor mir stand, spürte ich, wie meine Beine mir den Dienst versagten und ich kraftlos an der Wand hinunter sackte, die Arme schützend über dem Kopf ausgebreitet, um die Schmerzen abzuwehren, die sicher gleich einsetzten würden, diese grauenvollen Schmerzen, von denen ich gedacht hatte, sie nie wieder ertragen zu müssen… Weit hinten in meinem Kopf, in dem winzigen Teil, der sich noch einen letzten Rest von Vernunft bewahrt hatte, vernahm ich eine leise Stimme, die mich darauf hinweisen wollte, dass ich gerade am Durchdrehen war und dass das, was ich glaubte zu sehen, nicht möglich war, doch ich war schon zu weit in meinem selbstgeknüpften Netz aus Angst und Zweifel verstrickt, um ihr Gehör zu schenken. Ich atmete viel zu schnell, meine Brust schmerzte, als wolle sie jeden Moment zerspringen. Die Welt verschwamm vor meinen Augen. Eine schlanke Gestalt beugte sich über mich, Sorge spiegelte sich in ihrem Gesicht und ihr Mund bewegte sich, als würde sie auf mich einreden, doch die Worte drangen nicht an meine Ohren. Ich meinte, violette Augen aufblitzen zu sehen und schlug wild um mich und dann forderte die durch Hyperventilation entstandene Unterversorgung meines Gehirns ihren Tribut und ich versank in tiefer, Erleichterung bringender Dunkelheit. *** Ich erwachte durch einen plötzlichen, heftigen Schmerz, der sich auf meiner linken Gesichtshälfte ausbreitete. Erschrocken riss ich die Augen auf und fuhr hoch, die Hand an meiner Wange. „Au.“ Die abrupte Bewegung rächte sich jedoch prompt und die Welt versank in einem Schauer aus bunten Farben. Benommen ließ ich mich zurückfallen und blinzelte die schwarzen Punkte weg, die vor meinen Augen tanzten. Allmählich wurde mein Blick wieder klarer. Ich blickte an eine weiß gestrichene Decke, die sich, wie ich sofort erkannte, nicht in meiner Wohnung befinden konnte, weil es dort keine weißen Decken gab. Auch lag ich nicht, wie ich zuerst angenommen hatte in meinem Bett sondern auf einem Sofa, das, der Bequemlichkeit nach auch nicht mein eigenes sein konnte. Wo also war ich? Verwundert wandte ich den Kopf und erblickte meinen Chef, der auf dem Couchtisch neben dem Sofa saß und alles andere als glücklich aussah. Um der Wahrheit die Ehre zu geben, wirkte er mehr als nur ein bisschen verstimmt. Nicht sicher, was ich nun schon wieder getan hatte, um ihn zu verärgern, brachte ich nur ein zögerliches: „Ähm…hi.“ hervor, für das ich mir im nächsten Moment am liebsten eine Ohrfeige verpasst hätte. Apropos Ohrfeige… Ich musterte Kaiba misstrauisch. „Kann…“, doch er unterbrach mich: „Sie hatten eine Panikattacke“, seine Stimme klang nur mühsam beherrscht. „Möchten Sie mir vielleicht irgendetwas mitteilen?“ Ich starrte ihn an. „Eine Panik…“ Die Erinnerung kam zurück; ich hatte das Gefühl, jemand würde einen Eimer mit kaltem Wasser über mir ausgießen. „Oh…“ „Sie haben geschrien und mir einen Kinnhaken verpasst und alles was ihnen dazu einfällt ist „oh“?“, Kaibas Stimme gewann an Schärfe, seine Augen funkelten verärgert. „Ich…nun ja… ich…es… es tut mir Leid“, brachte ich stotternd hervor, nicht ganz sicher, was ich sagen sollte. Kaiba schnaubte. „Das will ich auch hoffen. Haben Sie so etwas öfter?“ Ich antwortete nicht sofort. Stattdessen setzte ich mich erneut auf, vorsichtiger diesmal und vergrub das Gesicht in den Händen. Am liebsten wäre ich jetzt auf der Stelle im Boden versunken. Tränen traten mir in die Augen, doch ich drängte sie mit aller Macht zurück. Das fehlte mir gerade noch: vor Kaiba in Tränen ausbrechen. Als wenn die ganze Situation nicht schon unangenehm genug wäre. „Hatten Sie schon häufiger Panikattacken?“, präzisierte Kaiba seine Frage und ich fühlte geradezu, wie er mich mit Blicken durchbohrte. Irgendwie fand ich seine derzeitige Stimmung nicht gerade hilfreich dabei, meine Fassung wieder zu gewinnen. Das Gesicht immer noch in den Händen vergraben, nuschelte ich: „Seit ungefähr eineinhalb Jahren nicht mehr.“ „Und Sie haben es nicht für nötig empfunden, dass mit irgendeinem Wort zu erwähnen, als ich Sie eingestellt habe?“ „Ich habe nicht damit gerechnet, dass es wieder passiert“, erwiderte ich patzig. „Außerdem wüsste ich nicht, was Sie das angeht.“ Gleich darauf bereute ich meine Worte, als sich Kaibas Gesicht wieder verfinsterte. „Was es mich angeht?“, zischte er. „Sie sind vor meinen Augen komplett durchgedreht und in Ohnmacht gefallen. Eine Vorwarnung wäre hilfreich gewesen.“ Mir ging auf, dass mein Auftritt sogar den sonst so gefühllosen Kaiba ein wenig geschockt haben musste und ein bisschen verlegen biss ich mir auf die Lippe. „Tut mir wirklich Leid. Ich hatte wirklich nicht damit gerechnet. Ich dachte, das wäre vorbei.“ „Schon gut.“ Kaiba fuhr sich mit der Hand über das Gesicht und strich sich die Haare aus der Stirn. Dann stand er auf und ging zu der Fensterfront hinüber, wo er stehen blieb und scheinbar in Gedanken versunken nach draußen starrte. Ich konnte nichts anderes tun, als ihn ungläubig anzusehen. Schon gut? Hatte er gerade tatsächlich „schon gut“ gesagt? Ein Seto Kaiba der eine Entschuldigung mit einem einfachen „schon gut“, noch dazu mit einem ziemlich erschöpft klingenden „schon gut“, abtat? Was war denn jetzt los? Obwohl, wenn man ihn so betrachtete, wie er gedankenverloren aus dem Fenster schaute, sah er doch etwas müde aus. Hatte mein Zusammenbruch vielleicht doch mehr aus der Fassung gebracht, als er sich anmerken lassen wollte? „…Auslöser war?“, drang Kaibas Stimme an meine Ohren und riss mich aus meinen Überlegungen. „Äh…was?“ Kaiba hatte sich wieder zu mir umgewandt, jetzt wieder verärgert wirkend. „Wissen Sie noch, was der Auslöser war?“, wiederholte er seine Frage. Der Auslöser? Gute Frage. Ich versuchte, mir unser vorangegangenes Gespräch in Erinnerung zu rufen. „Ich glaube, es fing an, als sie auf mich zugekommen sind“, meinte ich dann etwas zögerlich, während die letzten Momente, an die ich mich erinnerte noch einmal vor meinem inneren Auge abliefen. „Sie sahen so wütend aus und dann… dann hat wohl meine Fantasie verrückt gespielt“, ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich daran dachte, wie sich Kaiba vor meinen Augen verwandelt hatte. Mein Chef zog eine Augenbraue hoch. „Ich wusste gar nicht, dass ich so furchteinflößend bin.“ Irrte ich mich oder klang er tatsächlich ein wenig gekränkt? Naja, vermutlich war das Einbildung. Ich war offenbar noch immer nicht wieder ganz da. „Da kennen Sie sich aber schlecht“, murmelte ich leise und hoffte, er würde es nicht hören. Lauter sagte ich: „Nein, nein, Sie haben mich nur an jemanden aus meiner Vergangenheit erinnert. Jemand…nicht sehr nettes“, ergänzte ich etwas lahm, darauf bedacht, nicht zu viel auszuplaudern. Auf gar keinen Fall wollte ich, dass Kaiba etwas über meine Vergangenheit erfuhr. Allerdings sah ich ein, dass ich ihm nach meiner Vorstellung wenigstens einen Teil der Erklärung schuldete. „Und darf ich fragen an wen?“, hakte Kaiba nach. Da ich nicht gewillt war, ihm darauf zu antworten, inspizierte ich äußerst interessiert meine Knie, in der Hoffnung, er würde nicht noch einmal nachfragen. Was er zu meiner Überraschung auch nicht tat. Nach einigen Momenten des Schweigens wagte ich es, wieder aufzuschauen und stellte fest, dass er sich wieder den Fenstern zugewandt hatte. „Und jetzt?“, fragte ich nach einer Weile etwas unsicher, nicht sicher, was ich als nächstes zu erwarten hatte. Kaiba drehte sich wieder zu mir um und musterte mich etwas abschätzig. „Fühlen Sie sich wieder besser?“ „Ähm…ja.“ „Dann werde ich jetzt bei Cloakroom anrufen und ihnen mitteilen, dass sie noch einen späten Gast zu erwarten haben.“ Er ging zu seinem Schreibtisch hinüber, scheinbar in der Absicht sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Verwirrt starrte ich ihn an. „Sie wollen was?“ „Cloakroom anrufen“, wiederholte Kaiba ungeduldig. „Sie brauchen schließlich immer noch ein Ballkleid oder glauben Sie, das Problem hat sich von selbst gelöst, während Sie bewusstlos waren.“ Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an. Im ersten Moment wusste ich nicht, wovon er sprach. Dann fiel es mir wieder ein: Natürlich! Mit dem blöden Kleid für den Ball hatte ja alles angefangen! Aber momentmal… „Ich…ich meinte eigentlich, was passiert jetzt mit…mir?“ Kaiba sah mich nur mit seinem üblichen unergründlichen Gesichtsausdruck an. Wollte er tatsächlich einfach so darüber hinweg sehen, dass ich mitten in seinem Büro einen Panikanfall hatte und zusammengebrochen war? „Wer sind Sie und was haben Sie mit dem echten Kaiba gemacht“, hätte ich jetzt gerne gefragt, weil er sich zurzeit so ganz und gar nicht wie der Kaiba verhielt, den ich kannte. Aber ich sah ein, dass das wohl nicht sehr klug gewesen wäre, deshalb beließ ich es dabei, meine Frage ein wenig zu präzisieren: „Naja, ich meine, Sie werfen mich nicht raus? Ich…ich dachte, wo ich doch diesen Anfall hatte und Ihnen nichts gesagt habe und so und weil ich Sie vorhin angeschrien habe…“ Meine hastig hervorgestoßenen Worte erstarben in einem undeutlichen Murmeln unter Kaibas nach wie vor emotionslosem Gesicht. Als ich meinen Mund wieder zugeklappt hatte, erwiderte Kaiba, die Hand schon am Telefonhörer: „Voraussichtlich nicht in den nächsten drei Tagen. Es wäre unmöglich bis morgenfrüh noch Ersatz für Sie zu bekommen. Und das ist auch der Grund, weshalb ich mich jetzt für Sie um ihr Problem kümmere.“ Ich beließ es dabei, ihn ungläubig anzustarren und verkniff mir den Kommentar, der mir auf der Zunge lag. Immerhin würde ich meinen Job noch für ein paar Tage behalten, da wäre es sadistisch, sich über Kaibas unpassende Wortwahl zu beschweren. Also wirklich, als wäre ich ein Ding, das man nach Belieben austauschen und ersetzen konnte. Inzwischen hatte Kaiba gewählt und unterhielt sich mit jemandem am anderen Ende der Leitung. Ich achte nicht weiter auf die Worte, die gesprochen wurde und versuchte mich stattdessen im Aufstehen, was mir sogar ziemlich gut gelang. Zumindest brach ich nicht gleich wieder ohnmächtig zusammen und nach ein paar unsicheren Schritten legte sich auch das aufkommende Schwindelgefühl. Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Es war viertel nach sieben, was hieß, dass ich nicht länger als ein paar Minuten bewusstlos gewesen sein konnte. Nachdenklich ging ich zum Fenster hinüber und beobachtete die Autos, die weit unten auf der Straße vorbeifuhren. Warum hatte das passieren müssen? Warum gerade jetzt? Das, was ich Kaiba gesagt hatte, stimmte: Ich hatte seit etwas mehr als eineinhalb Jahren keinen Anfall mehr gehabt. Damals, kurz nach meiner Flucht, war ich ständig wegen irgendeiner Kleinigkeit durchgedreht: Wenn ich das Gefühl hatte, verfolgt zu werden, wenn mich jemand unerwartet auf der Straße ansprach oder wenn ich glaubte, ein Gesicht in der Menge zu erkennen, dass mich mit violetten Augen böse anfunkelte. Es war kein leichtes Leben gewesen. Mehr als einmal war ich unfreiwillig in einem Krankenhausbett aufgewacht. Ein freundlicher Arzt hatte mir schließlich Tabletten gegen meine Angstzustände und eine Therapie verschrieben, zu der ich jedoch nie hingegangen war. Wie hätte ich einem Fremden von meinen Problemen erzählen können? Im einfachsten Fall hätte der Betreffende mich wahrscheinlich für verrückt erklärt und in eine psychiatrische Anstalt eingewiesen, im schlimmsten Fall… Nun ja, darüber dachte ich besser nicht allzu genau nach. Nachdem meine Anfälle immer weniger geworden waren und schließlich ganz aufgehört hatten, hatte ich die Tabletten nicht mehr gebraucht und natürlich schleppte ich sie daher auch nicht mehr ständig mit mir herum. Vielleicht war das ein Fehler gewesen. „Und Sie sind sich sicher, dass es ihnen gut geht?“ Ich zuckte erschrocken zusammen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass Kaiba sein Telefonat beendet hatte. Um ehrlich zu sein, hatte ich total vergessen, dass ich ja nicht alleine war. Mein Chef hatte sich in seinem Schreibtischsessel umgewandt und beäugte mich nun misstrauisch, als befürchtete er, ich könne jeden Moment wieder zusammenbrechen. „Ich bin wieder okay“, versicherte ich mit Nachdruck in der Stimme. „Schön“, Kaibas Stimme nahm wieder einen geschäftsmäßigen Tonfall an: „Dann werden Sie jetzt nach unten gehen, in die Limousine steigen, die für Sie bereit steht, und sich bei Cloakroom ein Kleid aussuchen, dass Sie übermorgen auf dem Ball anziehen können.“ Ich wusste nicht genau, ob ich verärgert oder erleichtert sein sollte. Verärgert darüber, dass er schon wieder in seinem arroganten Befehlston mit mir sprach und erleichtert darüber, dass er sich anscheinend in den gefühlskalten Kaiba zurückverwandelt hatte, den ich kennen gelernt hatte. Diese nachsichtige Version, die er nach meinem Anfall aufgefahren hatte, war mir langsam unheimlich geworden. Dennoch wagte ich es, ihn auf einen Haken in seinem Plan hinzuweisen: „Ähm… ich weiß nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, aber es ist bereits halb acht. Die Geschäfte schließen in einer halben Stunde.“ „Was meinen Sie, warum ich gerade bei Cloakroom angerufen habe?“, fragte mich Kaiba leicht säuerlich. „Wenn Sie dort eintreffen, wird man sich um Sie kümmern und Sie erst mit einem geeigneten Kleid wieder hinaus lassen, egal, wie lange Sie brauchen, um eins zu finden.“ Ich sah ihn ungläubig an. „Und das können Sie einfach so veranlassen?“ „Mit dem nötigen Kleingeld, kann man alles Mögliche tun“, beschied mich Kaiba knapp. „Und den Aufschlag, den ich für diese Gefälligkeit zahle, werde ich Ihnen selbstverständlich von ihrem Gehalt abziehen, genauso wie die Rechnung für das Kleid. Sein eisiger Blick durchbohrte mich. „Immerhin ist es ihrem Versagen zu verdanken, dass Sie nicht vorbereitet sind.“ Ich schluckte. Das klang überhaupt nicht gut. „Und wie viel bezahlen Sie denen?“ Ein wölfisches Grinsen huschte über Kaibas Gesicht, bei dem ich unwillkürlich erschauerte. „Das kommt darauf an.“ „Worauf?“ „Darauf, wie viele Überstunden sie wegen Ihnen machen müssen. Ich an ihrer Stelle würde daher zusehen, dass ich mich ein bisschen beeile. In der Zeit, in der Sie hier gestanden und mich ausgefragt haben, hätten Sie schon mindestens drei Kleider anprobieren können“, sprach seine Majestät und wandte sich hoheitsvoll seinem Rechner zu. Ich war entlassen. Bebend vor Wut starrte ich ihn an. Hätte er das nicht eher sagen können? Doch da meine Zeit zurzeit sehr knapp zu sein schien, wollte ich am Ende des Monats wenigstens noch ein paar Euro verdient haben, beherrschte ich mich mühsam und wandte mich zum Gehen. Ein Streit hätte wahrscheinlich mein gesamtes Gehalt aufgebraucht. Zähneknirschend stieg ich in den Fahrstuhl. Vielleicht war der nachsichtige, ein wenig um mich besorgte Kaiba doch besser gewesen. __________ Fortsetzung folgt... Bis zum nächsten Kapitel^^. Ich hoffe, es hat euch gefallen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)