Suffer...until you're dead von Teddy24 ================================================================================ Kapitel 2: Ein neues Jahr... ---------------------------- Hi, hier also das zweite Kapitel meiner FF. Ich hoffe, es gefällt euch. __________ 2. KAPITEL: EIN NEUES JAHR… Das neue Jahr begann ebenso wie das Letzte geendet hatte: mit viel Schnee und Kälte. Die Straßen und Gehwege waren spiegelglatt und man musste höllisch aufpassen, wollte man nicht bei jedem Schritt ausrutschen. Ich hasste die Kälte, ich hasste den Schnee und ich hasste mein ganzes beschissenes Leben! Entsprechend missmutig stapfte ich deshalb durch den Schnee, den Kragen meines für die vorherrschenden Temperaturen viel zu dünnen Mantels hochgeschlagen und einen Schal so fest um Hals und Gesicht gewickelt, dass nur noch meine Augen zu sehen waren. Die Mütze tief ins Gesicht gezogen, starrte ich auf den Boden vor meinen Füßen und achtete kaum auf das, was um mich herum geschah. Die Weihnachtsfeiertage und Silvester waren, entgegen meiner ursprünglichen Vorahnung, richtig entspannend und unterhaltsam gewesen. Eva und ich hatten es uns in ihrer Wohnung gemütlich gemacht und einen Film nach dem anderen angeschaut, bis wir auf dem Sofa eingeschlafen waren. Ich hatte von Eva eine neue wintertaugliche Mütze und einen Schokoladenweihnachtsmann bekommen und ihr im Gegenzug ein Buch geschenkt, das sie schon länger hatte lesen wollen. Silvester hatte ich mich dazu überreden lassen, mit Eva durch verschiedene Bars in der Stadt zu ziehen und das erste Mal seit langem war es mir gelungen, meine Sorgen und Ängste zu vergessen. Obwohl ich zugeben muss, dass der Alkohol, den ich in dieser Nacht konsumierte, eine nicht zu verachtende Rolle dabei gespielt hatte. Die Zeit zwischen den Festtagen hatte ich in meiner eigenen Wohnung zugebracht und zusammen mit Eva, die es sich nicht nehmen ließ, jeden Tag bei mir vorbeizuschauen, ein paar mehr oder weniger interessant klingende Jobangebote herausgesucht, die für mich in Frage kamen – oder auch nicht. Eigentlich hatte ich es nur Eva zu verdanken, dass ich mir jetzt, zwei Wochen nach Neujahr, auf dem Weg zu meinem ersten Bewerbungsgespräch, die Füße abfror. Dabei machte ich mir nicht einmal große Hoffnungen, dass ich den Job überhaupt bekam. Ich konnte mir ja nicht einmal vorstellen, womit ich mir die Einladung zum Vorstellungsgespräch verdient hatte. Bestimmt nicht mit meinem mehr als kurzen Lebenslauf, der die Wahrheit an einigen Stellen etwas überstrapazierte und das meiste, was ich in meinem Leben schon jobtechnisch gemacht hatte, ganz wegließ, weil es sich eben nicht wirklich gut in einem normalen Lebenslauf machte. Aber Eva war ganz begeistert gewesen, als sie die Anzeige im Internet gefunden hatte. Wir saßen gerade in meinem kleinen Wohnzimmer auf dem mickrigen, an einigen Stellen schon etwas löchrigen Sofa, Eva mit ihrem Laptop auf den Knien, ich über die Jobangebote in der Zeitung gebeugt, beide eine Tasse heißen Kakao vor uns auf dem niedrigen Tischchen stehend, als Eva plötzlich einen geradezu begeisterten Ausruf ausstieß: „Ich hab’s!“ Erschrocken zuckte ich zusammen und sah auf. „Was hast du?“ „Den ultimativen Job für dich. Mann, wenn ich nicht gerade mitten im Studium wär, würd ich mich glatt selbst bewerben.“ Sie war ganz aus dem Häuschen. Ich zog eine Augenbraue hoch. „Ach ja? Und was ist das für ein sagenhaftes Angebot?“ Mit einem breiten Grinsen drehte sie den Laptop um, damit ich den Bildschirm und die Homepage, die darauf angezeigt wurde, erkennen konnte. Ich runzelte die Stirn, als ich das Logo der Kaiba Corporation erkannte. Die KC war eine der größten Entwicklungsfirmen für Computer- und Duellmonstersspiele in der ganzen Welt. Ihr Inhaber ein gewisser Seto Kaiba galt als ausgesprochen reif für sein Alter, er leitete die Firma seit seinem achtzehnten Lebensjahr, und sollte überdurchschnittlich gut aussehen, was ihm zum Schwarm vieler junger Mädchen und Frauen gemacht hatte. Allerdings hörte man nicht nur Gutes über seinen Charakter. Weiter unten auf der Seite fiel mein Blick auf die Stellenanzeige, die Eva derart in Aufregung versetzte. «Sekretär/in in der Geschäftsführung gesucht, bis zum 1. Februar nächsten Jahres.» Es folgten eine genauere Beschreibung der Aufgabenbereiche und eine Auflistung der benötigten Fähigkeiten, die der Bewerber mitzubringen hatte. „Das ist nicht dein Ernst“, hakte ich ungläubig nach und riss meinen Blick von der Anzeige los, um Eva anzustarren. „Das ist ein Scherz, oder?“ Natürlich war es kein Scherz und in den nächsten Minuten erging sie sich förmlich in Schwärmereien: Ich solle mir bloß einmal vorstellen, wie absolut cool es wäre, wenn ich für DEN Seto Kaiba arbeiten würde! Er wäre ja der tollste Mann der Welt und wie gut er doch aussähe und ich könne ihr ja dann immer Bericht erstatten, wie es lief und was er den Tag über so machen würde. An dieser Stelle wagte ich einzuwerfen, warum sie sich nicht einfach selbst um den Job bewarb, wenn sie das alles so toll fand, woraufhin sie mich daran erinnerte, dass sie immer noch studierte und das deshalb zeitlich überhaupt nicht in Frage kam. Sie machte ein bisschen den Eindruck, als würde sie das tatsächlich ein wenig bedauern. „Aber ich habe überhaupt keine Erfahrungen als Sekretärin vorzuweisen“, versuchte ich erneut, ihr die Idee auszureden und schielte auf die Anzeige im Internet. „Und ich bin weder teamfähig noch besonders kontaktfreudig“, griff ich ein paar von den dort aufgelisteten Voraussetzungen auf. Doch auch diesen Einwand ließ sie nicht gelten. „Ach was. Was nicht ist, kann ja noch werden und außerdem hast du doch mal erzählt, dass du früher schon mal einen Verwaltungsjob gemacht hast, da kommst du doch sicher schnell wieder rein.“ Ich starrte sie ungläubig an. Wann sollte ich ihr das erzählt haben? Okay, gelogen war es nicht, ich hatte mich eine Zeit lang um die Verwaltungsarbeit einer gewissen Organisation gekümmert, doch auch das war etwas, woran ich nicht gerne zurückdachte. Nach einigem hin und her hatte ich mich schließlich überreden lassen, es wenigstens zu versuchen, obwohl ich nach wie vor der Meinung war, dass meine vorzuweisende Erfahrung wohl niemanden davon überzeugen würde, mich einzustellen. Umso größer war meine Überraschung als bereits fünf Tage später ein Antwortschreiben mit der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch in meinem Briefkasten landete. Danach war Eva praktisch nicht mehr zu bremsen gewesen. Sie hatte sogar darauf bestanden, dass ich mir einen grünen Rollkragenpulli von ihr auslieh, der meine Augen besser zur Geltung bringen sollte. „Du kannst da unmöglich in diesen unscheinbaren langweiligen Pullis hin, die du sonst immer trägst“, erklärte sie mit unbewegter Miene, als ich zu protestieren versuchte. Meinen Einwand, ich hätte nichts dagegen unscheinbar und langweilig zu wirken, tat sie mit einem energischen Wink ab. „Du kannst in deiner Freizeit so unscheinbar und langweilig aussehen wie du willst, aber nicht bei einem Vorstellungsgespräch bei Seto Kaiba.“ Seufzend hatte ich mich in mein Schicksal gefügt. Und jetzt war ich also auf dem Weg zum Firmengebäude der Kaiba Corporation in der Innenstadt. Da ich nicht allzu weit entfernt wohnte und das Geld für den Bus lieber sparen wollte, war ich zu Fuß unterwegs. Eva hatte mir zwar angeboten, ihre Vorlesung an der Uni zu schwänzen, um mich hinfahren und wieder abholen zu können, doch das hatte ich entschieden abgelehnt. Das fehlte gerade noch, dass sie meinetwegen bei ihrem Studium schlecht abschnitt, obwohl ich es ihr hoch anrechnete, dass sie ihren Unterricht extra für mich hätte ausfallen lassen. Halb erfroren stand ich schließlich vor dem gut zwanzig Stockwerke hohen Gebäude und legte den Kopf in den Nacken um bis zum Dach hinaufzusehen. Nach oben hin reihte sich eine Fensterfront an die nächste. Beeindruckend sah es schon einmal aus. Auf halber Höhe waren zwei große Buchstaben angebracht: KC. Den Eingang bildete eine gläserne Drehtür, neben der zwei Minibäume in ockerfarbenen Tonkrügen standen. Der mit hellen Steinen gepflasterte Weg führte von der Tür fort zu einer Haltebucht, in der mindestens vier Busse gleichzeitig hintereinander Platz hatten. Ich bezweifelte jedoch, dass hier oft Busse hielten. Durch die Drehtür betrat ich eine weitläufige Empfangshalle von der mehrere Flure abgingen. Gegenüber dem Eingang stand ein langer Empfangsschalter, hinter dem zwei Frauen im Hosenanzug ihren Dienst versahen. Unschlüssig blieb ich stehen und kaute auf meiner Unterlippe herum. Die Versuchung, einfach wieder zu verschwinden, war groß, doch dann gab ich mir einen Ruck und steuerte zielstrebig auf die jüngere der beiden Empfangsdamen zu. Das Schild an ihrer Jacke wies sie als Mrs. White aus. Sie blickte auf, als ich näher kam und lächelte. „Guten Tag und herzlich Willkommen bei der Kaiba Corporation. Was kann ich für Sie tun?“ „Hallo. Mein Name ist Mia Terrell. Ich habe um 11:00 Uhr ein Vorstellungsgespräch bei Mr. Kaiba.“ „Einen Moment bitte.“ Mrs. White griff nach einem Telefonhörer und wählte eine zweistellige Nummer. Scheinbar hob gleich beim ersten Klingeln jemand ab. „Miss Terrell ist hier für Mr. Kaiba. Soll ich…“ Sie hielt inne und lauschte. „Ja. Ja, okay. Tschüss.“ Sie legte auf und wandte sich wieder mir zu. Mit einem Lächeln wies sie in Richtung Fahrstuhl. „Mr. Kaiba erwartet Sie. Nehmen Sie am besten den Fahrstuhl. Sie müssen in den 22. Stock hoch, die dritte Tür auf der rechten Seite. Viel Glück.“ Ich dankte ihr und ging zum Fahrstuhl hinüber. Die Türen glitten auf sobald ich den Knopf drückte und gaben den Blick auf eine mit großen Spiegeln ausgestattete geräumige Kabine frei. Als sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte, zog ich meinen Mantel aus und nahm Mütze und Schal ab. Nervös zupfte ich meine Haare zu Recht. Vielleicht wäre es doch besser gewesen zu kneifen. Nicht das ich ein Problem damit hatte, mich bei einem völlig Fremden vorzustellen, der mit etwas Glück mein neuer Arbeitgeber werden könnte. Es war vielmehr so, dass ich immer noch daran glaubte, die Einladung sei ein Versehen gewesen. Mit einem leisen „Ping“ schwangen die Fahrstuhltüren wieder auf. Dahinter wurde ein langer mit weißen Fliesen ausgelegter Flur sichtbar, von dem mehrere Türen abzweigten. Die Wände zierten gerahmte Bilder von Duellmonsters-Karten. Ich klopfte an der dritten Tür von rechts. In Kopfhöhe war ein goldenes Schild angebracht auf dem in schwarzen Buchstaben „Seto Kaiba, Geschäftsführung“ stand. „Herein“, erklang eine weibliche Stimme hinter der Tür. Ich folgte der Aufforderung und trat ein. Das Büro hinter der Tür war geräumig und recht gemütlich eingerichtet. In der Ecke neben der Tür stand ein kleines Sofa, davor ein niedriger Couchtisch. Gegenüber stand ein breiter Schreibtisch, auf dem mehrere Ordner und ein Flachbildschirm standen. Links dahinter an der Wand erhob sich ein Bücherregal, das vor Ordnern und Mappen nur so überquoll. Offenbar hatte da jemand keinen Sinn für Ordnung. Eine zweite Tür führte in den angrenzenden Raum. Hinter dem Schreibtisch saß eine schlanke blonde Frau, die von der Tastatur des Computers aufsah, als ich eintrat. „Guten Tag. Sie müssen Miss Terrell sein.“ Sie stand auf und kam um den Tisch herum, um mir die Hand zu schütteln. „Ich bin Helena Johnson. Mit etwas Glück werden Sie vielleicht meine Nachfolgerin.“ Sie gab mir gerade genug Zeit um ebenfalls eine Begrüßung über die Lippen zu bringen, ehe sie schon mit einer Geste in Richtung der zweiten Tür fortfuhr: „Sie können gleich durchgehen. Mr. Kaiba erwartet Sie bereits. Viel Glück.“ „Danke.“ Ich ging an ihr vorbei und klopfte vorsichtshalber noch einmal an, ehe ich die Tür aufdrückte. Der Raum dahinter war noch ein wenig größer als das Büro, das ich gerade verlassen hatte. Eine Fensterfront nahm die ganze hintere Wand ein. Davor stand ein großer Schreibtisch, auf dem gleich zwei Computermonitore Platz fanden. Vor dem Tisch standen zwei mit schwarzem Polster bezogene Stühle, die auf den ersten Blick einen bequemen Eindruck machten. Dahinter saß auf einem braunen Ledersessel mit hoher Lehne Seto Kaiba, der Leiter der Kaiba Corporation. In einem musste ich Eva zustimmen: Er sah wirklich gut aus. Schlank, hochgewachsen, die kurzen braunen Haare umrahmten ein schmal geschnittenes Gesicht. Wenn ich schätzen müsste, würde ich sagen, er war nicht älter als dreiundzwanzig. Seine ganze Haltung strahlte Autorität aus. Das Auffälligste waren jedoch seine Augen: von einem stechenden eisblau strahlten sie eine Kälte aus, die mich unwillkürlich Schaudern ließ. Ich hatte so einen Blick schon einmal bei einem anderen Menschen gesehen, mit dem ich heute nur noch Hass und Abscheu verband. Am liebsten hätte ich sofort kehrt gemacht und das Büro wieder verlassen und wahrscheinlich hätte ich das auch getan, wenn er mich nicht in diesem Moment angesehen hätte. Jetzt einen Rückzieher zu machen, wäre echt peinlich. Einen kurzen Moment lang musterte er mich nur schweigend, dann kam er um den Tisch herum und streckte mir zur Begrüßung eine Hand entgegen. „Guten Tag. Ich bin Seto Kaiba“, stellte er sich vor, was ich ein wenig überflüssig fand, doch ich sagte nichts. „Es freut mich, Sie kennen zu lernen.“ „G…guten Tag“, brachte ich mit einiger Verspätung hervor, ein wenig überrumpelt von der freundlichen Begrüßung, die ich ihm, dem ersten Eindruck nach, nicht zugetraut hatte. Er wies auf einen der beiden Stühle vor dem Schreibtisch. „Bitte, setzen Sie sich.“ Als ich mich in Bewegung setzte, schloss er die Tür hinter mir und kehrte zu seinem Platz zurück, wo er eine dünne Mappe aufschlug, die vor ihm auf dem Schreibtisch lag und in der ich meine Bewerbungsmappe wiedererkannte. Ich setzte mich auf den rechten der beiden Stühle und wartete darauf, dass Kaiba etwas sagte. Nachdem er meine Unterlagen noch einmal überflogen hatte, lehnte er sich in seinem Sessel zurück und verschränkte die Hände. „Vielleicht ist es Ihnen aufgefallen, aber sie erfüllen nicht unbedingt die Bedingungen, die ich mir für diesen Job vorgestellt habe.“ Seine Stimme klang ausdruckslos und ich fragte mich verwundert, was er mir damit sagen wollte oder worauf er hinaus wollte. Gleichzeitig merkte ich, dass ich leicht rosa anlief. „Sie haben weder eine entsprechende Ausbildung noch haben sie mehrjährig Erfahrung in diesem Bereich vorzuweisen. Zudem haben Sie, nach eigenen Angaben, keine Übung im Erstellen von Präsentationen und würden sich auch nicht als besonders kommunikationsfreudig bezeichnen.“ Er durchbohrte mich geradezu mit seinem Blick. „Der Grund, warum ich Sie trotzdem zu einem Gespräch eingeladen habe, ist einfach: Ich war neugierig. Warum haben Sie sich überhaupt erst beworben? Sie müssen doch gewusst haben, dass ihre Chancen nicht gerade gut stehen.“ Er hob eine Augenbraue und sah mich abwartend an. Na toll! Hieß das jetzt, dass er mich nur herbestellt hatte, weil er wissen wollte, warum ich mich beworben hatte? Hieß das, er dachte nicht einmal ernsthaft darüber nach, mich einzustellen? Wenn das so war, konnte ich ja genauso gut wieder gehen. Für wen hielt sich der Kerl überhaupt? Doch dann erwiderte ich den Blick seiner eisblauen Augen, die mich immer noch aufmerksam musterten, und bevor ich genauer darüber nachgedacht hatte, antwortete ich: „Das Café, in dem ich gearbeitet habe, hat Insolvenz angemeldet und ich brauche einen neuen Job, um meine Miete bezahlen zu können.“ Okay, das klang jetzt weder besonders höflich noch diplomatisch. Auf jeden Fall schien er etwas anderes erwartet zu haben, denn für einen kurzen Augenblick blitze Überraschung in seinen Augen auf. Der Ausdruck verschwand jedoch genauso schnell wieder, wie er gekommen war und machte der ursprünglichen kalten Miene Platz. „Das ist alles?“ Ich zuckte die Schultern. „Aus welchem Grund würden Sie sich denn einen neuen Job suchen?“ Ich sah ihn herausfordernd an, doch er ging nicht darauf ein. „Und warum haben Sie sich ausgerechnet für die Stelle als Sekretärin bei mir beworben, wenn es ihnen nur darum geht, ihre Wohnung bezahlen zu können?“ Ich überlegte kurz und beschloss dann, bei der Wahrheit zu bleiben: „Meine Freundin hat mich dazu überredet. Sie war ganz begeistert von der Idee. Und ich hab mir gedacht, bevor sie mich für den Rest meines Lebens damit nervt, kann ich es genauso gut mal versuchen.“ Das schien ihn dann doch ein wenig aus der Fassung zu bringen, auch wenn ich zugeben muss, dass er seine Gesichtsmuskeln ziemlich gut unter Kontrolle hatte. Ein kaum sichtbares Lächeln spielte um seine Mundwinkel, auch wenn ich mir nicht hundertprozentig sicher war, dass es keine Einbildung war. Was war so lustig an meiner Antwort gewesen? Eine Weile, die mir wie eine Ewigkeit erschien, starrte er mich nur an, ohne eine erkennbare Gefühlsregung zu zeigen und es kam mir so vor, als überlege er, was er nun tun sollte. Ich rechnete jeden Moment damit, dass er das Gespräch für beendet erklären und mich hinausschicken würde, jetzt da seine Neugier befriedigt war, doch er machte keine Anstalten irgendetwas in dieser Richtung zu unternehmen. Schließlich schien er zu einer Entscheidung zu kommen. Er lehnte sich auf seinem Sessel vor und stütze die Ellenbogen auf der Tischplatte auf. Über seine verschränkten Hände hinweg, sah er mich mit einem geschäftsmäßigen Ausdruck im Gesicht an. „Also gut. Was würden Sie sagen sind ihre Stärken?“ Mit dieser Frage brachte er nun mich völlig aus dem Konzept. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass er jetzt anscheinend ein ganz normales Bewerbungsgespräch begann. Etwas überrumpelt starrte ich ihn an. „Ähm…ich…“, verdammt auf solche Fragen hatte ich mich doch vorbereitet! Warum fiel mir jetzt nichts ein? Vielleicht lag das daran, dass Kaiba mich immer noch unverwandt ansah. Blinzelte der Kerl eigentlich nie? „Also…ich denke, meine Stärke liegt darin, dass ich nicht leicht zu stressen bin. Ich kann alle möglichen Sachen gleichzeitig und in kurzer Zeit erledigen, wenn es nötig ist, ohne dabei gleich die Nerven zu verlieren. Ich bin gut darin, mir viele Dinge auf einmal zu merken und lerne recht schnell… und ich bin gut im Diktat schreiben.“ Letzteres fügte ich noch an, weil bei der Stellenanzeige im Internet unter Aufgaben stand, dass man nach Phonodiktat schreiben können musste. Kaiba quittierte meine Antwort mit einem knappen Lächeln. „Und ihre Schwächen?“ Okay, das war schon schwieriger. Sicher, ich hatte bestimmt eine Menge Schwächen, aber keine, die ich ihm auf die Nase binden wollte. Ich wusste, was andere Bewerberinnen jetzt mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sagen würden und ich wusste, was Eva jetzt sagen würde. Fast hörte ich noch ihre Stimme, die in meinen Ohren nachhallte: „Und wenn er dich fragt, was deine Schwächen sind, dann kannst du ja sowas sagen wie, dass du dich manchmal viel zu sehr auf deine Arbeit konzentrieren würdest und darüber die Zeit vergessen würdest. Ich habe gehört Seto Kaiba soll ein Workaholic sein, das wird ihm also denke ich mal gefallen.“ Als Antwort hatte ich sie nur wortlos angestarrt und mir geschworen, dass ich das auf keinen Fall erwidern würde. Stattdessen zuckte ich mit den Schultern. „Meine Schwäche haben sie doch schon selber aufgezählt. Ich bin nicht besonders kommunikationsfreudig, habe keine entsprechende Ausbildung für den Job und eigentlich überhaupt keine Qualifikationen, wegen der man mich einstellen würde.“ Kaiba ließ sich in keinster Weise anmerken, was er von der Antwort hielt. Allerdings wandte er jetzt endlich den Blick von mir ab, um erneut auf meine Unterlagen zu schauen. „Hat es einen bestimmten Grund, dass Sie keine Telefonnummer in ihrem Lebenslauf angegeben haben?“ „Äh, ja. Ich besitze kein Telefon.“ „Und ein Handy?“ „Ist auch ein Telefon, also nein.“ Er verengte kaum merklich die Augen. „Nun, wenn Sie den Job haben möchten, brauchen sie irgendetwas, womit ich Sie erreichen kann. Ohne Telefon wird das schwer. Da sie auch keine E-Mail-Adresse angegeben haben, nehme ich an, sie haben auch kein Internet?“ Ich nickte. „Haben Sie noch irgendwelche Fragen?“, wollte Kaiba wissen, schob meinen Lebenslauf wieder in die Mappe zurück und schlug diese zu. Ich schüttelte den Kopf. „Gut. Dann können Sie jetzt gehen. Sie werden per Post benachrichtigt, ob sie den Posten bekommen oder nicht.“ Er erhob sich und ich sprang förmlich von meinem Stuhl hoch. Wir schüttelten uns über den Tisch hinweg die Hände. „Auf Wiedersehen, Miss Terrell.“ „Auf Wiedersehen.“ Ich drehte mich um und verließ das Büro. Im Vorzimmer begegnete ich dem mitfühlenden Blick von Helena Johnson. „War es sehr schlimm?“ „Sehe ich so mitgenommen aus?“, fragte ich verwundert. Sie kicherte. „Nun ja, Sie machen den Eindruck, als würden Sie ein wenig neben sich stehen und ich kenne ja meinen Chef.“ „Ich bin mir nicht sicher, was ich von Mr. Kaiba halten soll“, gab ich zu. „Das, was er sagt, klingt zwar freundlich, aber seine ganze Haltung strahlt so eine Distanziertheit und Unnahbarkeit aus und sein Blick ist eiskalt.“ Ich schauderte bei dem Gedanken an diese blauen Augen. Johnson zuckte mit den Schultern. „Man gewöhnt sich daran.“ Sie senkte verschwörerisch die Stimme: „Ich glaube ja, dass eine schwere Kindheit der Grund dafür ist, dass er so geworden ist. Warum sonst sollte er sich so abweisend verhalten. Er lässt niemanden an sich heran. Aber er sieht verboten gut aus“, fügte sie mit einem Zwinkern hinzu. Das Gespräch wandte sich nun eindeutig zu privaten Themen zu und ich hatte keine Lust mir von Johnson auch noch Kaibas gesamten Lebenslauf vorbeten zu lassen, da ich ihn sowieso nicht wieder sehen würde. Daher verabschiedete ich mich hastig und floh in den Flur. Den ganzen Weg nach Hause und später, als ich mein Mittagessen in die Mikrowelle schob, dachte ich noch über das hinter mir liegende Gespräch mit Kaiba nach. Es hatte ein paar rasante Wendungen genommen: von „ich will eigentlich nur wissen, warum Sie so blöd waren, sich für den Job zu bewerben“ über „ich kann ja einfach mal so tun, als würden wir beide tatsächlich ein Bewerbungsgespräch führen“ bis hin zu „ach so, Sie haben kein Telefon, na dann, tschüss“. Im Nachhinein ärgerte ich mich über Kaibas arrogante Art und über mein eigenes Verhalten. Normalerweise ließ ich mich nicht so einfach einschüchtern. Aber seine Augen, dieser eiskalte Blick, hatten mich völlig aus dem Konzept gebracht und Erinnerungen aus meinem früheren Leben in mir wach gerufen, die ich lieber vergessen hätte. ‚Wahrscheinlich ist es sogar gut, dass ich von vorneherein keine Chance hatte. Mit Sicherheit würde ich den Job in seiner Gegenwart nicht lange durchhalten‘, überlegte ich und schob mir eine Gabel voll Lasagne in den Mund. Die Türklingel riss mich so unerwartet aus meinen Gedanken, dass ich erschrocken zusammen zuckte und mir die Gabel in den Gaumen bohrte. Leise vor mich hin fluchend schlurfte ich zur Tür, warf einen Blick durch den Spion, seufzte ergeben auf und öffnete. „Hi, Eva. Komm rein.“ „Hi. Ich dachte, ich schaue mal kurz vorbei, um zu fragen, wie es gelaufen ist.“ Meine einzige Freundin hüpfte vergnügt an mir vorbei in die Wohnung und weiter in die Küche. „Oh, störe ich dich beim Essen? Tut mir Leid.“ Sie ließ sich auf einen der drei Stühle fallen. Ich setzte mich ihr gegenüber und widmete mich wieder meinem Mittagessen. Eva funkelte mich erwartungsvoll an. „Und, wie ist es gelaufen?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich glaube, nicht so gut.“ „Erzähl mir alles“, verlangte sie. Ich verdrehte die Augen, wusste aber, dass sie keine Ruhe geben würde und ging das Gespräch mit Kaiba noch einmal mit ihr durch. Als ich meine Ausführungen beendet hatte, sah Eva gar nicht mehr so glücklich aus – eher nachdenklich. „Das hört sich irgendwie nicht so an, als könntest du mit einem positiven Schreiben rechnen“, resümierte sie. „Das Gleiche hab ich auch gedacht“, erklärte ich ihr und stand auf, um meinen leeren Teller in die Spüle zu stellen. Zum Abwaschen würde ich wohl erst kommen, wenn Eva wieder weg war. Nicht, dass sie Anstalten machte zu gehen. Scheinbar war sie gerade erst dabei, es sich in meiner Küche gemütlich zu machen. Lässig stützte sie die Arme auf der Tischplatte auf. „Na ja, mach dir nichts draus. Immerhin hast du’s versucht. Dann suchen wir jetzt halt weiter nach einem Job für dich.“ „Aber diesmal bitte einen, bei dem ich auch eine Chance habe.“ Und damit war das Thema Kaiba Corporation für uns beide erledigt. *** Umso unvorbereiteter traf mich der Brief, den ich eine Woche später in meinem Briefkasten fand. Es war ein großer, dicker Umschlag. Als Absender war die KC angegeben. Wie es der Zufall wollte, war ausgerechnet an diesem Tag Eva zu Besuch. Inzwischen war es fast einfacher, die Tage zu zählen, an denen sie nicht an meiner Tür klingelte. Grund dafür war die Tatsache, dass auch sie noch keinen neuen Job hatte. Nicht das sie es nötig hätte, ihre Eltern bezahlten sowieso ihren Unterhalt, aber Eva fühlte sich wohler, wenn sie nicht gänzlich von ihren Eltern abhängig war. In der dadurch neu gewonnenen freien Zeit drückte sie sich erfolgreich ums Lernen für ihr Studium, indem sie einfach häufiger bei mir vorbei schaute. Allmählich bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil ich sie ja indirekt vom Lernen abhielt, aber ich brachte es einfach nicht über mich, sie abzuweisen und ohne dass ich es mir selbst eingestehen wollte, genoss ich ihre Gesellschaft. Es war einfach lustiger nicht immer alleine in der Wohnung zu hocken. Als ich mit der Post wieder ins Wohnzimmer kam, hielt ich den Brief hoch. „Die Antwort von der KC ist da. Ganz schön dick für eine Absage.“ „Wahrscheinlich haben Sie deine Bewerbungsunterlagen wieder mit zurück geschickt“, mutmaßte Eva. Ich riss den Umschlag auf, zog einen kleinen Papierstapel daraus hervor, las die Überschrift auf der ersten Seite – und erstarrte. Das konnte nicht sein! Da musste ein Irrtum vorliegen! Eva, die meine Reaktion beobachtet hatte, trat neben mich. „Was ist los?“ Fassungslos blickte ich sie an. „Das ist ein Arbeitsvertrag“, brachte ich tonlos hervor, nicht ganz sicher, ob ich mich nun darüber freuen sollte oder nicht. Es kam etwas unerwartet. Rasch blätterte ich die Seiten durch. „In zweifacher Ausfertigung.“ „Nicht dein Ernst!“ Eva riss mir die Blätter aus der Hand und überflog die erste Seite. Als sie wieder aufschaute strahlte sie über das ganze Gesicht. „Das ist ja fantastisch! Du hast es geschafft!“ Überschwänglich fiel sie mir um den Hals. „Meinen Glückwunsch! Damit hast du den besten Job ever!“ Immer noch etwas geplättet nickte ich bloß. Ja, ein neuer Job. Ein viel besserer Job als ich mir mit meinem jämmerlichen Schulabschluss und den sowieso verloren gegangenen Zeugnissen erhofft hatte. Wenn ich es nicht sofort vermasselte und die Probezeit gut überstand, würde ich eventuell bald in eine größere Wohnung ziehen können. Mein Leben würde endlich wieder in geregelteren Bahnen verlaufen. Es war ein neuer Anfang. Aber konnte ich mich wirklich darüber freuen? An diesem Abend, als Eva gegangen war, schlich ich die Treppe hinauf zum Dachboden. Eigentlich hatte dort nur der Hausmeister Zugang, aber verschlossene Türen waren für mich noch nie ein Problem gewesen. Der Dachboden war vollgestellt mit allerlei Gerümpel und nachdem ich festgestellt hatte, dass auch der Hausmeister nur sehr selten hier heraufkam, hatte ich beschlossen, dass der Boden das war, was ich gesucht hatte: Ein Versteck! Mit einiger Mühe schob ich den leeren Schrank an der hinteren Wand ein Stück zur Seite. Darunter kamen ein paar lose Bretter zum Vorschein. Ich nahm sie heraus und legte so ein kleines Loch im Boden frei. In dem Hohlraum darunter lagen drei eingewickelte Päckchen. Ich nahm das flachere der drei heraus und wickelte es aus. Zum Vorschein kam ein handgroßer, goldener Ring. Dazwischen war eine Pyramide mit einem eingravierten Auge eingelassen, die den Ring nur an den Ecken berührte. Es war ein wunderschönes Stück – und gefährlich. Ich kannte die Macht, die er in sich barg. Alleine war er noch recht harmlos, aber zusammen mit den anderen Stücken… daran wollte ich nicht einmal denken. Lange saß ich dort auf dem Boden und betrachtete den Ring. Drei Jahre. Drei Jahre war es nun her, dass ich mit meinem alten verhassten Leben und den Menschen darin gebrochen hatte. Drei Jahre, in denen ich nichts von meinen besten Freunden gehört hatte, und jetzt machte mein Leben Anstalten wieder zu einer gewissen Normalität zurückzukehren. Durfte ich das einfach so zu lassen? Oder würde ich mit der Zeit meine Vorsicht fallen lassen? War es leichtsinnig zu hoffen, dass jetzt alles besser werden würde? Dass ich keine Angst mehr vor der Zukunft haben musste? Schließlich wickelte ich den Ring wieder in das Tuch ein und legte ihn an seinen Platz zurück. Dann verschloss ich das Loch und schob den Schrank wieder in seine alte Position. Ohne eine Antwort auf meine Fragen gefunden zu haben und immer noch von einem Gefühl der Unsicherheit geplagt, ging ich ins Bett. Es dauerte lange, bis ich endlich einschlief. __________ Fortsetzung folgt... Ich hoffe, es hat euch gefallen. Das dritte Kapitel ist bereits in Arbeit, sollte also nicht so lange auf sich warten lassen. ;) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)