Don't cry for me... von Xai ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Langsam lässt das Rauschen in meinen Ohren nach und ich höre noch andere Geräusche – ein leises Schniefen aus Richtung meiner Füße und ein fast noch leiseres Murmeln links von mir. Wer bei mir ist weiß ich nicht, doch die einzigen Menschen, denen ich etwas bedeute sind meine große Schwester Caro und mein bester Freund Sean. Also werden es wohl die beiden sein. Aber wer heult denn dann? Inzwischen bin ich mir sicher, dass es meine Schwester ist, die spricht. Mit einem Arzt denke ich mal. Was sie sagen, kann ich nicht verstehen, deswegen kann ich das nur vermuten. Aber Sean und heulen? Nie! Nicht wegen mir. Oder ist er das gar nicht? Aber wer sollte sonst heulen? Ich versuche mich aufzusetzen und mir wird schwarz vor Augen. Mist, was ist eigentlich los mit mir? Die sowieso schon leise Geräuschkulisse hört auf, nur in meinen Ohren rauscht es noch. Ich fühle mich beobachtet, als würden mich alle anstarren und die Stille breitet sich erwartend aus. Dann durchbricht wieder ein Piepton den Raum und ich höre, wie die Leute in meinem Zimmer zum Bett stürmen. Kurz danach höre ich eine aufgeregte Stimme rufen: „Er ist aufgewacht!“ Ne, echt? Ich schaue in die Richtung und lächle meine Schwester an. Doch als ich ihrem Blick begegne bleibt mir das Lächeln im Hals stecken. Gequält – das einzige Wort, das mir zu ihrer Mimik einfällt. Wir schauen und stumm an, dann küsst sie stumm meine Stirn, schaut mich noch ein letztes Mal mit Tränen in den Augen an und geht dann aus meinem Zimmer, wie ich an der zuschlagenden Tür höre. Ich höre wieder das Schluchzen und spüre einen Druck auf meinen Beinen, anscheinend hat Sean sich auf sie gelegt. Dann fängt der Arzt an zu sprechen. „Hallo, Joshua. Ich bin Dr. Martens, der leitende Oberarzt. Ich habe eine schlechte Nachricht für dich. Du.. nunja, du leidest an einer sehr schweren und seltenen Krankheit. Die Behandlung ist sehr kostspielig und zeitaufwändig und der Erfolg eher gering. Momentan kannst du nur wegen der Maschine hinter dir leben und die.. die wollen deine Eltern abstellen. Das tut mir Leid, aber du warst zwei Monate im Koma. Aber da du jetzt aufgewacht bist, denke ich, dass deine Eltern ihre Meinung ändern werden, wenn du jetzt lebensfähig bist, auch wenn du noch eine Weile angeschlossen bleiben musst.“ Ich lache trocken auf. Kennt dieser Arzt meine Eltern? Wahrscheinlich cniht. Für sie bin ich nur eine Last, ein Klotz am Bein und sie würden mich liebend gerne tot sehen. Das sage ich auch mit krächzender Stimme. Der Doktor wird blass um die Nasenspitze und murmelt aus der Tür gehend irgendetwas von „Eltern benachrichtigen, Jugendamt auch, das geht so doch nicht..“. Einen Moment legt sich die Stille wie ein schwerer Mantel auf mein Zimmer, bis sie wieder von einem Piepston unterbrochen wird und als wäre das ein geheimes Signal gewesen, fängt Sean wieder an zu schluchzen. Der große, starke Sean heult wie ein kleines Mädchen.. Das ich das noch erleben darf! Die Ironie meiner Gedanken wird mir im Moment gar nicht richtig bewusst. Vorsichtig poke ich ihn in die Seite und er schaut mich aus müden und verheulten Augen an. Ich strecke meine Arme nach ihm aus, die ich schon seit einiger Zeit vorsichtig zu bewegen versucht habe und ziehe ihn fest an mich. Beruhigend streiche ich ihm über den Rücken und bette seinen Kopf in meine Halsbeuge. Langsam wird er ruhiger und ich kann zwischen den Schluchzern einzelne Worte verstehen. Aber ich glaube, ich bin noch nicht wieder so ganz wach, denn wenn es so wäre, hätte mein bester Freund mir soeben ein Liebesgeständnis gemacht. Schade, wäre sicherlich schön gewesen, das früher zu wissen. Es ist nicht so, dass ich ihn liebe oder begehre oder so, aber angezogen fühle ich mich von ihm schon. Ob als Kumpel oder Freund ist doch egal. Aber das werde ich ihm nicht gestehen. Beim nächsten Piepton finde ich wieder in die Realität zurück und bemerke, wie er mich erwartungsvoll ansieht. Jetzt kann ich ihm schlecht gestehen, dass ich ihm nicht zugehört habe, deswegen drücke ich ihn erst mal an mich und meine Lippen auf seine Stirn. Ich weiß nicht, als was er das auffasst, aber anscheinend als etwas Positives. Sean seufzt leise, aber es hört sich sehr zufrieden an und er hebt seinen Kopf. Inzwischen hat er sich beruhigt und seine Stimme klingt so schön wie immer (habe ich das grade wirklich gedacht???): „Schön, dass du mich auch liebst. Das hast du mir nämlich eben zu verstehen gegeben, auch wenn du keine Ahnung davon hattest. Ich denke jetzt hörst du mir zu, daher sage ich es dir auch noch einmal: Ich liebe dich über alles, Joshi. Ich liebe dich seit Jahren und konnte es dir nur nie sagen. Aber jetzt hab ich Angst, dass es zu spät sein könnte. Der Arzt mag deine Eltern nicht kennen, aber ich kenne sie leider viel zu gut. Ich hab dich schon viel zu oft verarztet, wenn dein Vater mal wieder im Suff auf dich losgegangen ist und dich halb totgeprügelt hat.Sie werden bald kommen und die Maschinen abstellen, wenn Dr. Martens es ihnen gesagt hat. Sehr bald, denn sonst sieht es ihnen garantiert zu sehr nach Mord aus, was es ja auch ist. Deine Schwester und ich wollten das zwar verhindern, aber wir sind machtlos. Wenn deine Eltern das beschließen, können wir nichts dagegen tun .O Joshi, ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich liebe dich so und ich kann und will dich nicht verlieren, selbst wenn du mich nicht liebst...“ An der Stelle unterbreche ich ihn. Wie er auf die aberwitzige Idee kommt, dass ich ihn nicht lieben würde, frage ich ihn noch, bevor mir klar wird, dass ich ihn wohl doch liebe. Egal was ich vorhin noch gedacht habe. Sean fängt wieder an zu schluchzen, doch lächelt er dabei. Grinsend umarmt er mich und drückt mir dann einen vorsichtigen Kuss auf die Lippen. Er löst sich viel zu schnell wieder und deshalb ziehe ich ihn wieder runter und versiegle seine zum Protest geöffneten Lippen mit meinen. Eine kleine Ewigkeit versinken wir so und vergessen alles um uns herum, bis ein lauter Krach vor der Türe uns aus unserer Trance weckt. Meine Eltern reden lautstark auf den Arzt ein, der ihnen wohl den Zugang versperrt. Sean löst sich von mir und die Tränen, die jetzt über sein Gesicht rollen, haben nichts mehr mit den Freudentränen von grade eben gemein. Ich küsse ihn vorsichtig und sehr zärtlich auf die Stirn, bevor die Tür mit einem Knall aufgeht und meine Eltern hereinstürmen. Hinter ihnen betreten der Arzt – bleich wie ein Gespenst – und meine Schwester – völlig in Tränen aufgelöst – das Zimmer. „Das können Sie nicht machen! Er ist jetzt aufgewacht und die Heilungschancen liegen somit bei über 75%..“ Er wollte wohl noch mehr sagen, doch mein Vater unterbricht ihn harsch: „Was ist, wenn er einen Rückfall erleidet? Jetzt oder in ein paar Jahren. Wir wollen ihm die körperlichen und uns die seelischen Schmerzen ersparen. Darum beenden wir es jetzt! Und Sie, der sich einen Arzt schimpft, sind gefälligst still! Es ist unsere Entscheidung! Also tun Sie Ihren Job und schalten Sie die Maschine aus.“Dr. Martens wird noch bleicher, inzwischen sieht er aus wie die Wand hinter ihm. Weiß mit einem leichten Grünschimmer. Er schluckt schwer und sieht Hilfe suchend zu meiner Schwester. Sie hat sich auf die andere Seite von meinem Bett gesetzt und hält wie Sean meine Hand. Irgendwie fühle ich mich grade ziemlich hilflos, wie ich hier so liege. Beide Hände sind beschlagnahmt und ich kann mich nicht drehen oder so, weil ich von beiden Seiten eingeengt werde. Sean auf meiner linken Seite, näher an der Tür, mit Blick auf mich – so gequält.. und so heiß. OMG, ich bin ein Sadist.. Caro auf der anderen Seite, an der Wand, mit Tränen in den Augen, den Blick fest auf unseren Vater gerichtet, hält sich an mir fest und versucht ein Zittern zu unterdrücken. Liebend gern würde ich sie trösten – beide -, aber dazu müsste ich einen von beiden loslassen. Nein, das kann ich nicht. Mal abgesehen davon, dass mir beide quasi meine Hände zerdrücken, könnte ich es nicht ertragen sie auch nur einen Moment loszulassen. Nicht, wenn meine Eltern schon da sind; nicht, wenn ich bald – sehr bald – sterben werde. Schon seltsam wie ruhig ich darüber nachdenke. Meine Eltern töten mich und es sind eher Minuten als Stunden, die ich noch zu leben habe. Aber eigentlich ist es kein Wunder. Mein Leben ist die Hölle, zumindest würden die Meisten das so sagen. Ich habe mich daran gewöhnt. Mein Vater hat mich schon immer geprügelt, meine Mutter ignoriert oder angeschrien, immer im Wechsel. Meine Schwester war die Liebe, die Gute – solange sie klein was. In letzter Zeit wurde auch sie immer mehr ignoriert. Warum haben sie uns überhaupt in die Welt gesetzt? Zwei Menschen. Zwei Personen, die mich wahrscheinlich vermissen werden. Eigentlich traurig. Aber irgendwie freue ich mich, dass es vorbei ist. Obwohl es schade ist, dass ich nicht leben kann – und lieben. Ich bin echt schlau. Eben dachte ich noch, dass ich mich nur irgendwie angezogen fühle und jetzt steht es fest, dass ich Sean liebe. Ich bin komisch, definitiv... Aber er hat es verdient, glücklich zu werden. Er sollte mich besser bald vergessen. Werd jetzt bloß nicht depressiv, Joshua.. Es ist wirklich besser so, du kannst es nicht ändern. Moment. Erst mal tief durchatmen, sonst werde ich hier noch wirklich zum Emo. Das geht nicht. Jetzt sollte ich mich wirklich zusammenreißen. Wenn ich sie schon verlassen muss, sollen sie sich nicht noch schlechter fühlen, wenn sie sehen, wie ich verzweifle. Lieber mit einem Lächeln auf den Lippen und die Augen meiner Lieben schauen und dann friedlich einschlafen – wenn es nur so einfach wäre... PIEP! Schon wieder diese Maschine. Schon wieder holt sie mich aus meiner Gedankenwelt zurück. Der Arzt redet grade ziemlich nachdrücklich auf meinen Vater ein. Juristische Folgen? Ja sicher doch, als ob das meine Eltern interessieren würde. Sie haben genug Geld. Sie werden sich den besten Anwalt nehmen und mit Leichtigkeit einen Freispruch erwirken. Wäre doch gelacht wenn die wegen so einer Last wie mir in Schwierigkeiten kommen würden. Der Arzt kennt sie nicht. Er weiß anscheinend nicht wirklich viel von uns. Naja, bringen wir es zu Ende. „Dr. Martens. Lassen sie es gut sein. Ich kenne meine Eltern. Sie werden nicht locker lassen, bis ich tot bin. Also schalten Sie die Maschinen ab.“ Geschocktes Schweigen. Ich spüre alle Blicke auf mir. Leise hör ich ein Lachen. Es tut in meinen Ohren weh, doch mein Vater – nein, mein Erzeuger – benutzt meine Selbstopferung auch noch als Argument für sich. „Sehen Sie, DOKTOR, er ist nicht bei klarem Bewusstsein. Möglicherweise wird er es auch nie mehr sein. ALSO SCHALTEN SIE ENDLICH DIE MASCHINEN AB!!!!“ Der arme Arzt zuckt zusammen so sehr hat mein Vater ihn angeschrien. Meine Schwester und mein Freund fangen unisono an zu schluchzen, nachdem sie bei „Vaters“ Ausbruch für einen Moment aufgehört hatten zu weinen. „Hey ihr Beiden. Ich liebe euch, vergesst das nie. Werdet glücklich. Für mich ist das hier eindeutig besser. Tut mir Leid, Caro, dass ich dich mit ihnen alleine lasse. Zieh aus, geh weg, fang ein neues Leben an. Du brauchst sie doch gar nicht. So wenig wie ich sie brauche.“ Sanft streiche ich über ihren Kopf und zerstrubble ihre Frisur. Früher hat sie das nicht leiden können und mich immer halb totgeprügelt doch jetzt gewinne ich ihr nur ein müdes Lächeln ab. „Sean. Hör mir zu. Ich weiß, das ist jetzt irgendwie blöd, aber ich liebe dich total. Ich wusste es ja selbst nicht, tut mir Leid. Fang auch ein neues Leben an. Such dir jemanden, der dich liebt und vergiss mich. Versprich es mir!“ Er nickt nur. Zu mehr ist er nicht fähig. Er zittert und seine Augen gleichem einen Wasserfall – ohne Witz jetzt. Ich ziehe ihn an mich und küsse ihn. „Weint nicht wegen mir. Bitte. Ich könnte es nicht ertragen.“ Beide nicken stumm. Ich ergreife ihre Hände. „Dr. Martens, würden sie nun bitte dem Wunsch meines Vaters nachkommen?“ Der Arzt schluckt schwer und begibt sich zu meinem Bett und drückt einen Schalter hinter meinem Kopf. PIE- Stille. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)